Читать книгу Die Abenteuer des Huckleberry Finn - Mark Twain - Страница 17
Ich lasse Jim davonkommen
ОглавлениеAls ich aufwachte, stand die Sonne schon so hoch, dass es mir wie nach acht vorkam. Ich lag im Gras im kühlen Schatten, hab über dies und das nachgedacht und fühlte mich ausgeruht und so richtig wohl und zufrieden. Durch ein, zwei Lücken kam die Sonne durch, aber fast überall standen hohe Bäume, und unten dazwischen war’s düster. Es gab gesprenkelte Stellen am Boden, wo das Licht durch die Blätter sickerte, und die Lichtflecken tanzten ein bisschen hin und her, was zeigte, dass oben eine leichte Brise wehte. Zwei Eichhörnchen saßen auf einem Ast und schwatzten sehr freundlich mit mir.
Ich lag unheimlich faul und bequem da – hatte keine Lust aufzustehn und Frühstück zu kochen. Grade war ich wieder am Eindösen, da kommt’s mir vor, wie wenn ich weiter flussauf ein dumpfes »Bum!« höre. Ich setz mich auf, stütz mich auf den Ellbogen und horche; bald hör ich’s wieder. Und ich saus hoch und lauf zu ner Lücke im Laub, um rauszuschauen, und weit flussauf seh ich zwei Rauchwölkchen auf dem Wasser liegen – etwa in Höhe der Fähre. Und da war auch das Fährboot, es war voller Leute und kam den Fluss runter. Jetzt wusste ich, was los war. »Bum!« Ich seh, wie der weiße Rauch aus der Seite vom Fährboot rausquillt. Aha, sie geben Kanonenschüsse überm Wasser ab, damit meine Leiche an die Oberfläche kommt.
Ich war ziemlich hungrig, aber ein Feuer anzünden ging jetzt nicht, weil sie vielleicht den Rauch gesehn hätten. Und so saß ich da, beobachtete den Kanonenrauch und lauschte auf das Böllern. Der Fluss war hier eine Meile breit, und an einem Sommermorgen sieht er immer schön aus – und so fand ich’s ganz lustig zuzusehn, wie sie nach meinen Überresten forschten, wenn ich bloß nen Bissen zu essen gehabt hätte. Da fiel mir auf einmal ein, dass sie immer Quecksilber in Brotlaibe reintun und die losschwimmen lassen, weil die immer schnurstracks zur Leiche von dem Ertrunknen wandern und da halten. Gut, sag ich mir, ich leg mich auf die Lauer, und wenn welche von den Broten mir nachschwimmen, lass ich sie an mich ran. Ich bin rüber ans Illinois-Ufer der Insel, um zu sehn, ob ich da Glück habe, und werd nicht enttäuscht. Ein großer Doppellaib kommt an, und beinah hab ich ihn mit nem langen Stock erwischt, aber ich rutsch mit einem Fuß aus, und er schwimmt weiter. Natürlich hab ich mich da hingestellt, wo die Strömung dem Ufer am nächsten kam – so dumm war ich nicht! Aber nach ner Weile kommt ein andres, und diesmal bin ich Sieger geblieben. Ich zog den Stöpsel raus, schüttelte das Klümpchen Quecksilber raus und biss rein. Es war »Bäckerbrot« – was die vornehmen Leute essen –, kein so mieses Maisbrot.
Ich fand nen guten Platz unterm Laub, setzte mich auf nen Baumstamm und hab das Brot runtergemampft, beobachtete das Fährboot und war restlos zufrieden. Und da ist mir plötzlich was aufgegangen. Jetzt, denk ich mir, hat vermutlich die Witwe oder der Pfarrer oder sonst jemand für mich gebetet, dass das Brot mich finden soll, und hier ist’s gekommen und hat mich gefunden. Kein Zweifel, da ist was dran. Das heißt, da ist was dran, wenn jemand wie die Witwe oder der Pfarrer betet, aber bei mir funktioniert’s nicht, und vermutlich funktioniert’s auch nicht, außer bei den richtigen Leuten.
Ich hab mir ein Pfeifchen angezündet und vor mich hin geschmaucht und weiter zugeschaut. Das Fährboot schwamm jetzt mit dem Strom, und vermutlich würd ich ne Chance kriegen zu sehn, wer an Bord war, wenn es vorbeikam – weil es hier dicht vorbeimusste wie das Brot auch. Als es schon ganz schön nah an mich rankam, hab ich meine Pfeife ausgemacht, bin dahin, wo ich das Brot rausgefischt hatte, und legte mich hinter nen Baumstamm am Ufer, an ne kleine offne Stelle. Wo der Stamm sich gabelte, könnt ich durchlinsen.
Bald kam das Fährboot, und es trieb so dicht ran, dass sie ne Planke hätten auslegen und an Land spazieren können. Fast alle sind an Bord. Pap und der Richter Thatcher und Bessie Thatcher und Jo Harper und Tom Sawyer und seine alte Tante Polly und Sid und Mary und jede Menge andre. Alle reden von dem Mord, aber der Kapitän hat sie unterbrochen und gesagt:
»Aufgepasst jetzt! hier führt die Strömung am dichtesten vorbei, und vielleicht hat’s ihn da an Land geschwemmt, und er hängt irgendwo am Wasserrand im Gestrüpp. Ich hoff es jedenfalls.«
Ich aber nicht! Und alle drängen sich zusammen, lehnen sich über die Reling – fast mir ins Gesicht –, sind still und gaffen sich bald die Augen aus dem Kopf. Ich konnt sie erstklassig sehn, sie mich aber nicht. Dann ruft der Kapitän: »Zurück!« – und direkt vor meiner Nase hat die Kanone so einen Schuss losgelassen, dass ich bald taub vom Lärm und blind vom Rauch wurde, und ich denk, jetzt ist’s aus. Wären da ein paar Kugeln drin gewesen, hätten sie vermutlich die Leiche doch noch gekriegt, hinter der sie her waren. Na, ich seh, dass ich Gott sei Dank nicht verletzt bin. Das Fährboot schwamm weiter und verschwand hinter dem Inselvorsprung. Ab und zu konnte ich das Böllern noch hören, dann verlor es sich immer mehr, und dann, so nach ner Stunde, hörte ich’s gar nimmer. Die Insel war drei Meilen lang. Sie müssen jetzt, denk ich, am untern Ende sein und werden wohl aufgeben. Aber ne Zeitlang haben sie’s noch nicht getan. Sie fuhren ums untre Ende rum und dann unter Dampf die Fahrrinne an der Missouri-Seite hoch und haben unterwegs hin und wieder geböllert. Ich bin auf die Seite rüber und hab sie beobachtet. Als sie auf Höhe der Spitze waren, haben sie mit Schießen aufgehört, sind zum Missouri-Ufer rübergeschwenkt und fuhren heim ins Dorf.
Ich wusste, jetzt war ich in Sicherheit. Niemand würde mehr kommen und nach mir suchen. Ich holte meine Siebensachen aus dem Kanu und machte mir ein schönes Lager im dichten Wald. Aus meinen Decken hab ich mir ne Art Zelt gebaut, um mein Zeug drunterzulegen, damit der Regen nicht drankam. Ich fing einen Katzenwels und hab ihn mit meiner Säge ausgenommen; und als die Sonne unterging, machte ich mir ein Lagerfeuer und aß zu Abend. Dann hab ich ne Leine ausgelegt, um ein paar Fische fürs Frühstück zu fangen.
Als es dunkel war, setzte ich mich an mein Lagerfeuer, rauchte und fühlte mich recht wohl; aber nicht lange, da wurd’s mir ein bisschen einsam, und so bin ich los und setz mich ans Ufer und horche, wie die Strömung vorbeispült, zähle die Sterne und die Treibhölzer und die Flöße, die runterkommen, und dann ging ich schlafen; es gibt kein bessres Mittel, sich die Zeit zu vertreiben, wenn man einsam ist; man hält das nicht durch, und so kommt man schnell drüber weg.
Und so ging es drei Tage und drei Nächte. Ohne irgendeine Abwechslung – immer dasselbe. Aber am nächsten Tag hab ich die Insel kreuz und quer durchstreift. Ich war ihr Herr; sie gehörte ganz allein mir, sozusagen, und ich wollte alles über sie erfahren; aber vor allem wollte ich die Zeit rumkriegen. Ich fand jede Menge Erdbeeren, reif und prima, und grüne Sommertrauben und grüne Himbeeren; und die grünen Brombeeren kamen grade raus. Die würden mir alle nach und nach sehr gelegen kommen, dacht ich mir.
Also, ich bin weiter forschend im dichten Wald rumgestreift, bis ich nicht mehr weit vom untern Inselende weg sein konnte. Ich hatte meine Flinte bei mir, aber noch nichts geschossen; es war mehr zur Sicherheit; ich wollt vielleicht noch in Lagernähe ein Stück Wild schießen. Und da war ich um ein Haar auf ne hübsch große Schlange getreten, und die schlüpft fort durchs Gras und die Blumen, und ich ihr nach, um ihr mal nen Schuss zu verpassen. Ich immer hinter ihr her, bis ich plötzlich in die Asche von einem Lagerfeuer spring, das noch raucht.
Mein Herz hat einen Sprung getan. Ich hab mich nicht mehr groß umgeguckt, sondern meine Flinte entsichert und bin leise und so schnell wie möglich auf Zehenspitzen zurück. Ab und zu blieb ich im dichten Laub stehn und horchte; aber mein Atem ging so schwer, dass ich gar nichts andres mehr hören konnte. Ich schlich ein Stück weiter und horchte wieder; und so immer weiter; und wenn ich nen Baumstumpf sah, hielt ich ihn für nen Mann; wenn ich auf nen Stock trat, und der ist entzweigebrochen, war mir’s, wie wenn mir jemand den Atemzug zerschneidet und ich bloß eine Hälfte kriege, und dazu noch die kürzere.
Als ich zum Lager kam, war ich nicht mehr sehr tatendurstig, es war nicht mehr viel Mumm in meinen Knochen; aber jetzt, sag ich mir, ist keine Zeit nicht zum Trödeln. Und so hab ich meine Siebensachen wieder ins Kanu gepackt, damit sie außer Sicht waren, löschte das Feuer und verstreute die Asche, damit’s aussah wie ein Lagerfeuer vom letzten Jahr, und bin dann auf einen Baum geklettert.
Ich saß bestimmt zwei Stunden in dem Baum oben; aber ich sah nichts, ich hörte nichts – ich hab mir immer bloß eingebildet, wenigstens tausend Sachen zu hören. Also, ewig könnt ich da oben nicht bleiben; so bin ich irgendwann wieder runter, aber ich hielt mich ständig im dichten Wald und war auf der Lauer. Alles, was ich zu essen bekam, warn Beeren und was vom Frühstück noch übrig war.
Als es Nacht wurde, war ich ziemlich hungrig. Und als es stockdunkel war, stieß ich noch vor Mondaufgang vom Ufer ab und bin zum Illinois-Ufer rübergepaddelt – ungefähr eine Viertelmeile. Ich bin in den Wald, hab mir ein Abendessen gekocht und hatte mich so gut wie entschlossen, die ganze Nacht auf der Seite zu bleiben, da hör ich auf einmal ein »planketti-plank, planketti-plank«, und ich sag mir, Pferde kommen; und dann hör ich Menschenstimmen. So schnell wie möglich hab ich alles ins Kanu geschafft und schlich dann durch den Wald, um zu sehn, was ich rausfinden konnte. Ich war noch nicht weit gekommen, da hör ich einen Mann sagen:
»Am besten kampieren wir hier, wenn wir einen guten Platz finden; die Pferde sind ziemlich ausgelaugt. Sehn wir uns hier um.«
Ich hab nicht mehr gewartet, sondern stieß gleich ab und paddelte sachte weg. Ich machte an der alten Stelle wieder fest und beschloss, im Kanu zu schlafen.
Viel hab ich nicht geschlafen. Ich konnte irgendwie nicht, dauernd war ich am Nachdenken. Und jedesmal, wenn ich aufgewacht bin, kam mir’s vor, wie wenn mich einer am Genick packt. So hab ich gar nichts von meinem Schlaf gehabt. Irgendwann sag ich mir: so geht’s nicht weiter; ich muss ums Verrecken rausfinden, wer mit mir hier auf der Insel ist. Und gleich war’s mir auch wieder besser.
So nahm ich mein Paddel, stieß das Kanu ein oder zwei Schritt vom Ufer ab und ließ es dann im Schatten flussab treiben. Der Mond schien jetzt, und außerhalb vom Schatten war es fast so hell wie am Tag. Gut ne Stunde trieb ich so vor mich hin, alles war totenstill und in tiefem Schlaf. Inzwischen war ich fast am untern Ende. Eine kühle Brise kam auf, die das Wasser leicht kräuselte, und das hieß soviel wie: die Nacht war bald um. Ich drehte mit dem Paddel bei und setzte das Kanu mit der Nase ans Ufer; dann nahm ich meine Flinte und schlich zum Waldrand. Ich hockte mich auf nen Baumstamm und hab durch die Blätter rausgespäht. Ich sah, wie der Mond grad seine Wache verließ und wie die Dunkelheit sich gleich auf den Fluss legte. Aber schon bald sah ich einen blassen Streifen über den Baumspitzen und wusste, dass es jetzt Tag wurde. Und so nahm ich meine Flinte und schlich zu der Stelle, wo ich auf das Lagerfeuer gestoßen war; alle ein, zwei Minuten blieb ich stehn und horchte. Aber irgendwie hatte ich kein Glück; ich fand, scheint’s, die Stelle nicht wieder. Aber auf einmal, todsicher, seh ich einen winzigen Feuerschein zwischen den Bäumen. Ganz vorsichtig und langsam geh ich hin. Und dann bin ich nah genug dran, um was sehn zu können – und da liegt ein Mann auf dem Boden. Bald hätt ich Panik gekriegt! Hat der um sein Kopf ne Decke gewickelt, und sein Kopf liegt beinahe im Feuer. Ich hock mich, so sechs Fuß von ihm weg, hinter einen Busch und lass ihn nicht aus den Augen. Inzwischen wird es immer heller. Nicht lange, da gähnt er und streckt sich und wirft die Decke weg – und es ist der Jim von Miss Watson! War ich froh, ihn zu sehn – jede Wette! Und ich spring raus und ruf:
»Hallo, Jim!«
Mit einem Satz ist er hoch und starrt mich wild an. Dann fällt er auf die Knie, faltet die Hände und bettelt:
»Tu mir nix – bitte net! Hab noch nie keim Geist was Böses getan. Ich hab tote Leut immer leiden könne, un alls für se getan, was ich kann. Mach, dass de widder innen Fluss reinkommst, wo de hinghörst, un tu ’m alten Jim nix, wo immer dein Freund gwesn is.«
Also, lang hab ich nicht gebraucht, um ihm klarzumachen, dass ich nicht tot war. Ich kann gar nicht sagen, wie froh ich war, Jim hier zu sehn. Jetzt war ich nicht mehr einsam. Ich hätt keine Angst, sagte ich ihm, dass er den Leuten erzählt, wo ich war. Und ich hab immer weitergeredet, aber er saß bloß da und hat mich angeschaut; er hat kein Ton rausgebracht. Dann sag ich:
»’s ist jetzt heller Tag. Komm, wir machen uns ’n Frühstück. Mach mal dein Feuer richtig an!«
»Für was ’n Feuer anmache, bloß für Erdbeeren un so ’n Zeug zum Kochen? Aber du hast da ne Flinte, hm? Na, dann könne wir was Bessres kriegn wie Erdbeeren.«
»Erdbeeren und so ’n Zeug«, sag ich, »hast du von dem gelebt?«
»Was andres hab ich net kriegt!«, sagt er.
»Nanu, wie lang bisten schon auf der Insel, Jim?«
»In dr Nacht bin ich komme, nachdem se dich tötet ham.«
»Was – so lang bist du schon da?«
»Ja-a, werklich.«
»Und was andres als so ’n Mist haste nicht zu essen gekriegt?«
»Nee, mein Lieber – sonst nix.«
»Was – da musste ja fast verhungert sein!«
»Ja, ich glaub, ich kann glatt ’n Gaul auffresse. Wirklich – das könnt ich. Wie lang bissen du aufer Insel?«
»Seit der Nacht, wo man mich ermordet hat.«
»Nee! Un von was hasten du glebt? Aber du has ne Flinte. Klar, du has ne Flinte. Das is gut. Also, schieß du irndwas, un ich mach Feuer.«
Wir sind rüber, wo das Kanu lag, und während er an einer grasigen offnen Stelle zwischen den Bäumen ein Feuer machte, holte ich Mehl und Speck und Kaffee, den Kaffeetopf und die Bratpfanne, Zucker und Blechtassen – und der Nigger war ganz entgeistert, weil er glaubte, alles ist hergezaubert. Ich fing auch einen dicken Katzenwels, und Jim putzte ihn mit seinem Messer und hat ihn gebraten.
Als das Frühstück fertig war, haben wir uns ins Gras gelümmelt und es siedend heiß gegessen. Jim hat reingeschlungen, soviel er konnte, er war fast am Verhungern gewesen. Als wir uns die Bäuche vollgeschlagen hatten, ruhten wir uns aus und faulenzten.
Nach ner Weile sagt Jim:
»Hör mal, Huck, wer isses dann gewesn, wo se inner Hütte gemordet ham, wenn du’s net gwesn bist?«
Da hab ich ihm die ganze Geschichte erzählt, und er fand’s schlau; nicht mal Tom Sawyer hätt sich nen bessern Plan ausdenken können! Dann sag ich:
»Und wegen was bist du hierher gekommen, Jim, und wie hastes gemacht?«
Er sah ziemlich verlegen aus, und ne Zeitlang hat er gar nichts gesagt. Dann seufzt er:
»Vleicht sollt ich’s lieber doch net erzähle.«
»Und wieso nicht, Jim?«
»Nun, ’s gibt Grund. Aber du verräts mich doch net, Huck, wenn ich’s dir sag, oder?«
»Verdammt, Jim, nie im Leben!«
»Also, ich glaub dir, Huck. Ich – ich bin wegglaufe!«
»Jim!«
»Aber vergiss ja net, du has gsagt, du verräts mich net – du weißt doch, dass du’s gsagt hast, Huck, oder net?«
»Ja, hab ich. Ich hab gesagt, ich tu’s nicht, und ich halt mich dran. Bei meiner Injanerehre! Die Leute schimpfen mich bestimmt nen fiesen Ablitionisten und verachten mich, wenn ich den Mund halte – aber das macht nichts. Ich verrat dich bestimmt nicht, und ich geh sowieso nicht zurück. So, und jetzt erzähl mal alles.«
»Also, es is nämlich so gwesn. Die alte Missus – Miss Watson – die hackt dauernd auf mir rum un is ziemlich barsch zu mir, aber trotzdem hat se immer gsagt, se will mich net nach Orleans runter verkaufen. Aber neulich seh ich, wie sich ’n Niggerhändler hier rumtreibt, un mir wird’s mulmig. Also, annem Abend, ziemlich spät, schleich ich anne Tür, un die war net ganz zu, un ich hör, wie die alte Missus zur Witwe sagt, se will mich nach Orleans runter verkaufn, aber einglich will se doch net, aber achthunnert Dollar könnt se für mich kriegn, un des wär so ne Riesenfuhre Geld, da könnt se net widerstehn. Die Witwe wollt se überrede, dass se sagt, se will’s net tun – aber ich hab ’s Ende net mehr abgwartet! Bin verdammt schnell abghaun, sag ich dir.
Ich also nix wie raus unnen Hügel runter, un denk, ich stehl mir ’n Boot irndwo am Ufer überm Dorf, aber ’s sin noch Leut wach, drum hab ich mich in die alte eingekrachte Fassbinderei am Ufer versteckt un hab gwartet, bis alle weg sin. Na, un da war ich die ganz Nacht. Irndwer hat sich die ganz Zeit da rumtriebn. Am Morgen, so um sechse, komme die erstn Boote vorbeigfahrn, un um achte oder neune ham alle Boote, die ankomme, von deim Pap verzählt, wie er rüber ins Dorf is un gsagt hat, se ham dich gmordet. Un die letztn Boote sin voll Dame un Herrn, die rüberwolln un die Stell ansehn, ’n paarmal lege se am Ufer an, ruhn sich aus, vor se übersetzn, un aus ihrn Redn hab ich alls übern Mord mitkriegt. Hat mir schrecklich leid getan, dass se dich gmordet ham, Huck, aber nu isses ja vorbei.
’n ganzn Tag lieg ich da zwischen Hobelspan. Ich hab wohl Hunger, aber keine Angst, ich hab ja gwusst, die alte Missus un die Witwe gehn gleich nachem Frühstück in die Gmeindeversammlung un sin de ganze Tag weg, un sie wissn ja, ich geh schon im Morgengraun mit ’m Vieh raus, also wern se net erwarte, mich ums Haus rum zu sehn, un wern mich auch net vermissn, vor’s dunkel wird am Abend. Die annern Diener vermissn mich sowieso net, weil die immer ausfliegn un sich ’n schön Tag mache, wenn die alte Herrschafte fort sin.
Also, wie’s dunkel wird, bin ich nix wie raus un de Uferweg rauf un lauf so zwei Meile oder mehr, bis wo keine Häuser mehr sin. Ich hab mich entschiede ghabt, was ich machn will. Weißte, wenn ich nämlich immer so weiter zu Fuß weglauf, komme mir die Hund auf d’ Spur; und wenn ich mir ’n Boot stehl zum Übersetzn, vermissn se ja des Boot bestimmt, un se kriegn leicht raus, wo ich an Land bin am annern Ufer, un wo se meine Spur aufnehme müssn. Also, sag ich mir, ’n Floß brauch ich, genau; das macht keine Spur.
Un dann seh ich auf eimal ’n Licht um nen Ufervorsprung komme, un da wat ich gleich ins Wasser rein, schieb ’n Baumstamm vor mir her, schwimm mit dem halb übern Fluss, mitten ins Treibholz rein, un halt mein Kopf dauernd tief unten un schwimm gegen ’n Strom solang, bisses Floß vorbeikommt. Dann schwimm ich achtern da ran und halt mich fest. Wolken sin jetz aufzogn, un ne kurze Weil war’s ganz schön dunkel. Ich kletter jetz rauf un leg mich auf die Planken hin. All die Männer sin inner Mitte vom Floß drübe, wo ’s Licht an is. Dr Fluss war grad am Steign, un ’s hat ne starke Strömung gebn, so hab ich mir dacht, bis am Morgen um viere bin ich schon fünfundzwanzig Meilen flussab, un dann schlüpf ich, vor’s hell wird, ins Wasser, schwimm ans Ufer un versteck mich im Wald auf dr Illinois-Seit.
Aber ich hab doch kein Glück. Wie wir nämlich bald unten anner Inselspitze sin, kommt ’n Mann mit ner Latern nach achtern. Ich seh, ’s hat kein Zweck, noch zu warten, so bin ich über Bord un auf die Insel losgschwomme. Also, ich hab mir vorgstellt, ich kann da überall an Land, aber da draus wird nix – Ufer zu steil. Ich bin schon bald am Ende vonner Insel, vor ich ne gute Stell find. Da geh ich innen Wald un denk mir, mit dene Flöß mach ich keine Faxen mehr, solang wie die mit dr Latern so rumfuchteln. Ich hab aber meine Pfeif noch bei mir un ’n Priem Rachenputzer un Streichhölzer in meiner Kapp, un die sin net mal nass – also, was willste mehr?«
»Und die ganze Zeit haste gar kein Fleisch und gar kein Brot zu essen gekriegt? Wieso haste dir nicht ’n paar Sumpfschildkröten gefangen?«
»Ja wie denn? Da kannste ja net ranschleiche un se grapschn; un mach mir mal vor, wie du so eine mit nem Stein totschlägst! Un wie willste so was inner Nacht machn? Am Tag hab ich mich nämlich net am Ufer zeign wolln.«
»Verstehe. Du hast natürlich die ganze Zeit im Wald bleiben müssen. Haste auch gehört, wie sie die Kanonenschüsse abgefeuert haben?«
»Na klar. Ich hab ja gwusst, dass se hinner dir her sin. Hab se hier vorbeikomme sehn – durch die Busch beobachtet.«
Ein paar Jungvögel kamen vorbei; sie sind immer ein oder zwei Yard weit geflogen und ließen sich dann nieder. Jim sagte, das ist ein Zeichen dafür, dass es bald regnen wird. Wenn Küken nämlich so fliegen, wär’s jedenfalls ein Zeichen für Regen, und deswegen wär’s bei Jungvögeln bestimmt genauso. Ich wollt schon ein paar fangen, aber Jim ließ mich nicht. Er sagte, das bedeutet Tod. Sein Vater war mal arg krank gewesen, und einer von ihnen fing nen Vogel, und da sagte seine alte Oma, sein Vater würd sterben, und so kam’s dann auch.
Und Jim sagte, man darf die Sachen nicht zählen, die man zum Mittagessen kocht, weil das Unglück bringt.
Und wenn man das Tischtuch nach Sonnenuntergang ausschüttelt auch. Und wenn ein Mann einen Bienenkorb besitzt und er stirbt, muss man das den Bienen vor Sonnenaufgang am andern Morgen sagen, weil sie sonst schwach werden und zu arbeiten aufhören und sterben. Jim sagte auch, Bienen stechen Idioten nicht; aber das hab ich ihm nicht geglaubt, weil ich’s selber schon oft probiert hab, und mich wollten sie nicht stechen.
Ich hatte schon vorher was von solchen Dingen gehört, aber nicht von allen. Jim kannte allerhand Vorzeichen. Er sagte, er würd fast alle kennen. Mir käm’s so vor, sagte ich, wie wenn alle Vorzeichen Unglück bedeuten; und so hab ich ihn gefragt, ob’s überhaupt welche für Glück gibt. Er sagt:
»Ganz, ganz wenig – un mit denen kann niemand was anfange. Für was willste auch wissn, wann Glück kommt? Willste’s vielleicht abhaltn? Bloß, wenn du viel Haar an Armen un aufer Brust has, dann isses ’n Zeichen dafür, dass du reich wirs. So ’n Zeichen hat nämlich sein Zweck, weil’s so lang auf was im Voraus zeigt. Weißte, vleicht wirste erst ahm, un da könnste ganz mutlos wern un dich noch selber umbringe, wenn du net weißt von wege dem Zeichn, dass du irndwann doch reich wirst.«
»Hast du viele Haare an den Armen und auf der Brust, Jim?«
»Wieso fragste mich das? Siehste net, dass ich viele hab?«
»So – und bist du reich?«
»Nee, bin’s aber mal gwesn, un ich werd widder reich. Früher hab ich mal vierzehn Dollar ghabt, un ich nix wie los un spekuliert – un pleite gegangen.«
»Und in was hast du spekuliert?«
»Also, erst hab ich’s mit Ware probiert.«
»Mit was für Ware denn?«
»Also, lebende Ware. – Vieh, weißte. Ich hab zehn Dollar in ne Kuh gsteckt. Aber mit Ware riskier ich gwiss kein Geld mehr. Die Kuh is mir nämlich auf ein Schlag unnern Händn gstorbn.«
»Und dabei haste gleich die ganzen zehn Dollar verloren?«
»Nee, alls hab ich net verlorn. Bloß so an de neune. ’s Fell un ’s Fett vonner Kuh hab ich für ’n Dollar un zehn Cent verkauft.«
»Fünf Dollar und zehn Cent sind dir also noch geblieben. Hast du nachher noch mehr spekuliert?«
»Ja-a. Kennste den einbeinig Nigger, der ’m alten Mista Bradish ghört? Also, der macht ne Bank auf un sagt, jeder, wo ’n Dollar einlegt, kriegt am End vom Jahr vier Dollar mehr. Also, alle Nigger machn mit, aber die ham net viel ghabt. Ich war der einzige mit viel. Deswegen hab ich auf mehr als vier Dollar bstandn und sag, wenn ich die net krieg, gründ ich meine eigne Bank. Natürlich, der Nigger will mich aussem Geschäft raushaltn, von wegen, sagt er, dass für zwei Bänke net gnug Geschäft da is, un ich soll ruhig meine fünf Dollar einlegn, un er will mir sogar am End vom Jahr fümfunddreißig auszahln.
Und das hab ich auch gmacht. Weil, denk ich mir, die fümfunddreißig Dollar vestier ich gleich widder un lass die Dinge weiterlauf. Da war nämlich ’n Nigger, Bob hieß er, der hat ’n Flachboot rausgefischt, un sein Herr hat nix davon gwusst; ich hab’s ihm abkauft un ihm gsagt, er soll die fümfunddreißig Dollar dafür nehme, wenn ’s Jahr um is, aber irndwer hat des Flachboot inner Nacht gstohln, un am annern Tag sagt der einbeinig Nigger, die Bank is pleite. Geld hat also keiner von uns net gsehn.«
»Und was hast du mit den zehn Cent gemacht, Jim?«
»Also, ich wollt se schon ausgebn, aber dann hatt ich ’n Traum, un dr Traum sagt mir, ich soll se nem Nigger namens Bileam gebn – Bileams Esel nenne se ihn kurz, is so ’n Dummkopf, weißte. Aber der hat Glück, sagn se, un ich seh, ich hab keins. Dr Traum sagt mir also, ich soll Bileam die zehn Cent vestiern lassn, un er würd mir mein Geld vermehrn. Nun, dr Bileam, der schnappt sich das Geld, un wie er grad inner Kirch is, hört er ’n Prediger sagn, wer sein Geld den Ahmen gibt, der hat’s dem Herrn geliehn un kriegt sein Geld bestimmt hunnertfach widder. Un Bileam nix wie des Geld den Ahmen gebn un drauf gspitzt, was dabei rauskommt.«
»Und was ist dabei rausgekommen, Jim?«
»Rein garnix! Ich hab’s nie geschafft, des Geld abzuholn; un Bileam auch net. Ich leih bestimmt kein Geld mehr aus, ohne dass ich irndne Sicherheit hab. Kriegt sein Geld hunnertfach widder, sagt dr Prediger! Wenn ich die zehn Cent widderkrieg, denn würd ich das anständig nenne un mich freun auf die Aussicht!«
»Lass man gut sein, Jim, du wirst ja sowieso irgendwann mal reich.«
»Ja-a – un ich bin jetz schon reich, wenn ich mir’s genau anseh. Ich besitz mich selber, un ich bin achthunnert Dollar wert. Hätt ich bloß des Geld, mehr brauch ich gar net!«