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1: ALS SCHWEINE FLIEGEN LERNTEN

„Es wäre fantastisch, wenn wir so etwas wie Live Aid machen könnten … Vielleicht bin ich aber auch nur verdammt sentimental. Ihr wisst ja, wie wir alten Schlagzeuger sind.“

Nick Mason

„Ich hoffe schwer darauf, dass wir uns noch einmal zusammentun.“

Richard Wright

„Ich glaube nicht, dass wir es länger als die erste halbe Stunde der Probe aushalten würden. Wenn ich Musik mache, dann will ich das mit Leuten tun, die ich liebe.“

Roger Waters

„Ich glaube, dass Roger Waters meine Telefonnummer hat. Allerdings habe ich kein Interesse daran, irgendetwas mit ihm zu besprechen.“

David Gilmour

Pink Floyd gelang es mit ihrer Wiedervereinigung das Establishment in Aufruhr zu versetzen – gerade zu dem Zeitpunkt, als es so schien, als hätte die Rockmusik ihre Fähigkeit zu provozieren endgültig eingebüßt. Wir schreiben den 2. Juli 2005 und die Band soll beim Benefizkonzert Live 8 im Londoner Hyde Park auftreten. Jedoch verzögert sich der Auftritt nun schon seit fast einer Stunde. Um es mit den Worten der Gegenkultur der Sixties auszudrücken: „The Man“ – also das Establish­ment – ist alles andere als glücklich über die Lage. In diesem Fall wird „The Man“ durch Tessa Jowell, die britische Ministerin für Kultur, Medien und Sport, verkörpert. Die Presse bekommt schließlich Wind davon, dass Jowell hinter der Bühne eine Notfallkonferenz einberufen hat. Sie droht damit, die Show abzusagen, da sie befürchtet, die 200.000 Konzertbesucher würden auf den Straßen der englischen Hauptstadt für chaotische Zustände sorgen.

Das letzte Mal, als David Gilmour, Richard Wright, Nick Mason und Roger Waters auch nur annähernd in Konflikt mit der Politik geraten waren, lag 25 Jahre zurück. Damals sang ein Chor bestehend aus Londoner Schulkindern auf Pink Floyds Hit-Single „Another Brick in the Wall Part 2“ die Textzeile „We don’t need no education“, was der damaligen Premierministerin Margaret Thatcher sauer aufstieß. Doch in der Zwischenzeit hatte sich die politische Landschaft dramatisch verändert. Das Motiv, das hinter Live 8 steckte, bestand darin, Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse der Dritten Welt zu lenken sowie die Politiker auf dem gesamten Planeten dazu zu drängen, sich ernsthaft mit dem Thema Armut zu beschäftigen.

Jedoch hat einer dieser besagten Politiker – Premierminister Tony Blair – verkündet, dass er sich ganz unabhängig von der politischen Motivation der Band schon sehr auf den Auftritt von Pink Floyd bei Live 8 freue. Blair ist Rock-Fan, der gerne mal selbst zur Gitarre greift und während seiner Studienzeit sogar kurzfristig als Leadsänger einer Band fungiert hatte. Als Presseberichte über die Rock’n’Roll-Vergangenheit des Premiers erschienen, wurden sie wenig überraschend von einem Foto des jungen Blair aus dem Jahr 1972 begleitet, auf denen sich sein Gesicht hinter langen ungekämmten Haaren verbarg. Hätte er auf dem Schnappschuss nicht dermaßen gegrinst, dann hätte man ihn sogar für ein Bandmitglied von Pink Floyd oder zumindest einen Roadie halten können. Allerdings wäre er dann vermutlich entlassen worden, weil er zu fröhlich gewesen wäre und sich mit Roger Waters angelegt hätte. Wer weiß, ob der Floyd-Fan und Premierminister sich nicht gar in die Debatte eingemischt hat?

Nach dem eiligst einberufenen Meeting, an dem Vertreter der Metropolitan Police und der Royal Parks Agency teilnahmen, gibt Tessa Jowell nun jedenfalls grünes Licht für eine Fortsetzung der Show. Es heißt sogar, dass Decken an jene Konzertbesucher verteilt werden sollen, die sich dafür entscheiden würden, die Nacht im Park zu verbringen. Erst am nächsten Tag würde das Publikum aus den Zeitungen erfahren, dass das Konzert kurz vor dem Abbruch gestanden hatte.

Doch für jeden, der auch nur einen Hauch einer Ahnung von der Beziehung zwischen den einzelnen Bandmitgliedern von Pink Floyd hatte, bestand das eigentliche Wunder darin, dass die Gruppe sich überhaupt zu einem Auftritt überreden hatte lassen.

Live 8 war gekennzeichnet durch ein paar herausragende und ein paar weniger herausragende Auftritte. Auch gab es die üblichen peinlichen Momente, die sich ereignen, wenn Pop-Stars der guten Sache wegen zusammenkommen. Der Organisator des Events, Sir Bob Geldof, hatte den Hochadel der Popmusik zusammengetrommelt, wobei er auf dieselbe Überzeugungsarbeit wie schon bei Live Aid 1985 zurück gegriffen hatte. Er hatte nämlich angedeutet, dass jeder Act, der die Einladung ausschlug, seine Glaubwürdigkeit und seinen Ruf nachhaltig beschädigen würde. U2, Madonna, Sir Elton John, Sir Paul McCartney sowie eine Reihe jüngerer, noch nicht in den Adelsstand erhobener Rockstars folgten dem Aufruf, sich kostenlos in den Dienst der guten Sache zu stellen. Die Reihenfolge der Auftritte erschien willkürlich – Newcomer folgten auf alte Haudegen –, doch als die Uhrzeit voranschritt, offenbarte sich eine Art Hierarchie. Rund um den Globus fanden insgesamt zehn Konzerte in weiteren Metropolen wie Rom, Berlin und Philadelphia statt. Doch für viele, die sich zu diesen Events einfanden, war es der Auftritt einer einzigen Band in London, der sie dazu bewogen hatte. Wie Geldof widerwillig eingesteht: „In den Vereinigten Staaten wird dem Umstand, dass sich jene Band, deren Karriere nur so vor Durcheinander strotzt, bereit erklärt hat, bei Live 8 aufzutreten, viel mehr Aufmerksamkeit zuteil als dem Event selbst.“ An jenem Tag, an dem Pink Floyds Auftritt publik wurde, machte ein Gerücht die Runde, demzufolge ein Promoter 250 Millionen Dollar für eine vollständige Tour des Quartetts bieten würde.

Pink Floyds Laufbahn als Aufnahmekünstler begann im Jahr 1967. Seit damals haben sie allein 30 Millionen Exemplare ihres Albums von 1973, Dark Side of the Moon, verkaufen können. Trotz allem drohten ihre öffentlich ausgetragenen bandinternen Konflikte mitunter ihre künstlerischen Leistungen zu überschatten. Seit 24 Jahren hatten sie nicht mehr als Vierergespann gemeinsam auf einer Bühne gestanden. In der Zwischenzeit hatte das Trio Gilmour, Wright und Mason weiterhin als Pink Floyd Platten veröffentlicht und Tourneen absolviert, während der vormalige Bassist der Gruppe, Roger Waters, der auch als produktivster Songwriter und allgemein anerkannter kreativer Anführer fungiert hatte, von außen seinen Unmut darüber kundtat. Einmal verkündete er sogar, dass seine vormaligen Kollegen quasi sein Kind in die Prostitution verkauft hätten: „Und das werde ich ihnen niemals verzeihen!“

Vergebung mag zwar nicht auf dem Tagesprogramm gestanden haben, doch galt für diesen einen Tag eine Art Waffenstillstand zwischen den vier Musikern. Pink Floyd hatten seit 1994 kein Album mehr aufgenommen. Unter normalen Umständen hätte es einen beschwerlichen Prozess dargestellt, die Band, die Gitarrist David Gilmour als „schwerfälligen Giganten, der sich kaum aus seiner Starrheit holen lässt“, zu reaktivieren. Doch der gute Zweck und Geldofs Expertise als Überredungskünstler ermöglichten es, dass gerade einmal drei Wochen zwischen Gilmours zögerlicher Zusage und dem Auftritt der reformierten Pink Floyd im Hyde Park vergingen.

Um 22 Uhr 17 betritt Großbritanniens größtes Fußball-Idol, David Beckham, die Bühne, um Großbritanniens größtes Pop-Idol, Robbie Williams, anzukündigen. Robbies Stimme ist merklich angeschlagen, doch er schlüpft mühelos in seine Rolle, die zu gleichen Anteilen aus Teenieschwarm und Slapstick-Komiker zu bestehen scheint. Er legt sich fürwahr ins Zeug und man kann sich nur schwer vorstellen, dass sonst noch irgendwer das Publikum so für sich einnehmen würde können. Die Situation verheißt jedenfalls nichts Gutes für den nächsten Act, The Who. 1964 hatte sich „My Generation“ von The Who für Pink Floyds Drummer Nick Mason, der damals am Regent Street Polytechnic Architektur studierte, als eine Art Offenbarungserlebnis erwiesen: „Ja, das ist es, was ich machen möchte.“ Nachdem bereits zwei der ursprünglichen Besetzung das Zeitliche gesegnet hatten, liegt es nun an den verbliebenen Mitgliedern Roger Daltrey und Pete Townshend sich mithilfe von ein paar Begleitmusikern durch „Who Are You“ und „Won’t Get Fooled Again“ zu ackern. Sie scheinen das Publikum zu ignorieren und Pete Townshend, der sich hinter undurchsichtigen Sonnenbrillen verbirgt, vermeidet sogar jeglichen Augenkontakt. Ihre musikalische Darbietung ist makellos und vermittelt ansatzweise gar die glorreiche Widerborstigkeit vergangener Zeiten, doch ist ihr Auftritt auch schon wieder vorüber, noch bevor er richtig begonnen hat.

Der Event läuft nun schon seit fast zehn Stunden und der Park ist in tiefschwarze Dunkelheit getaucht. McCartney soll das Abschlusskonzert der Veranstaltung bestreiten und hinter den Kulissen werden vermutlich bereits die Decken für jene ausgepackt, die sich entschlossen haben, die Nacht unter den Sternen zu verbringen. Ohne jedes Intro oder irgendeine Ankündigung durch einen Prominenten erklingt um 22 Uhr 57 ein unheimliches, aber vertrautes Geräusch im Park. Plötzlich verziehen sich die Roadies von der Bühne in den Backstage-Bereich. Die Intensität des Geräuschs nimmt zu. Es ist ein beständiger, metronomischer Pulsschlag. Suchscheinwerfer schwenken über das Publikum und die Videoleinwand auf der Bühne wird in Betrieb genommen. Der Pulsschlag wird immer lauter. Schließlich ertönt eine Stimme: „I’ve been mad for fucking years.“ Es handelt sich dabei um einen Kommentar eines Roadies der Band, der fast 30 Jahre zuvor in den Abbey Road Studios mitgeschnitten wurde. Darauf folgt das ominöse Schwirren der Rotorblätter eines Hubschraubers, der Klang einer Registrierkasse sowie zusammenhangloses Gelächter. Diese Geräuschkulisse läuft in Endlosschleife, bevor sie in einen langgezogenen, hysterischen Schrei mündet, der auch das Ende des allerersten Tracks von Dark Side of the Moon, „Speak to Me“, markiert. Zuerst scheint der markerschütternde Schrei noch an Intensität und Lautstärke zuzunehmen. Dann erklingen die ersten beruhigenden Takte von „Breathe“. Als die Suchscheinwerfer gedimmt werden und die Bühne in hellem Licht erstrahlt, können die Konzertbesucher zum ersten Mal die vier Männer, die auf der Bühne stehen, genauer sehen. In einer kuriosen Umkehr des Dogmas aus Der Zauberer von Oz, „nicht hinter den Vorhang zu blicken“, konzentriert sich unsere Aufmerksamkeit ausschließlich auf diese vier Männer. Die Bilder von vertrauten Pink-­Floyd-Motiven, die hinter ihnen über die Videoleinwand ziehen, vermögen es nicht, uns von der Gruppe abzulenken. In der Vergangenheit hatte die Band in ihrer Anonymität geschwelgt.

Mit ihrer zunehmenden Popularität waren auch ihre Bühnenaufbauten immer größer geworden, um das Publikum von den vier unscheinbaren, langhaarigen Männern auf der Bühne abzulenken. Ab 1980 traten sie hinter einer speziell angefertigten Mauer auf, was Roger Waters’ hochmütigem Protest gegenüber der entmenschlichten Natur der Musikindustrie geschuldet war. Als Gilmour dem „schwerfälligen Giganten“ in den Achtzigern und Neunzigern neues Leben einzuhauchen versuchte, umgaben sich die drei verbliebenen Mitglieder mit jüngeren Studiomusikern und tänzelnden Hintergrundsängerinnen und verbargen sich hinter einer Lasershow, vor der auch ein Steven Spielberg seinen Hut gezogen hätte.

Heute Abend wirken Pink Floyd jedoch verblüffend real. Sie erinnern an eine leger gekleidete Gruppe von Geschäftsleuten, die den 50. Geburtstag bereits hinter sich gelassen haben – fast so, als ob sie sich in einem Clubhaus versammeln und nun darauf warten würden, dass der Regen nachließe, damit sie sich auf den Golfkurs begeben könnten. Allerdings würden ihre verwaschenen Jeans die Kleidungsvorschriften des Clubs dann doch ordentlich strapazieren.

Im Hintergrund trommelt Nick Mason, dessen Gesichtsausdruck sich irgendwo zwischen akribischer Konzentration und einem wissenden Lächeln eingependelt hat, auf sein Schlagzeug ein. Als Autor eines jüngst erschienenen Buchs über die Band steht Mason mittlerweile am ehesten im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung und ist am geübtesten im Umgang mit den Medien. Die Wunde, die durch seine Entscheidung, nach dem Ausstieg seines engen Freundes Roger Waters bei der Band zu bleiben, geschlagen wurde, ist gerade erst verheilt. Der selbsternannte Diplomat der Band (später bezeichnete er sich gegenüber Journalisten als „Kissinger der Rockmusik“) war auch ein wichtiger Unterstützer Geldofs bei den Verhandlungen gewesen, die schlussendlich zur Reunion führten. Mason hatte sein Architekturstudium 1966 abgebrochen, als Pink Floyd ihren ersten Management-Deal unterzeichneten. Falls sich der Posten als Schlagzeuger in einer Rockband doch nicht ausgezahlt hätte, hätte er ebendieses Studium wieder fortgesetzt. Mittlerweile – drei Jahrzehnte später – gehören der Walrossschnauzer und die langen Haare, die in den Siebzigerjahren sein Markenzeichen waren, längst der Vergangenheit an. Stattdessen ähnelt der glattrasierte, 60-jährige Schlagzeuger mit den etwas hängenden Backen und den nach wie vor vollen, aber kurzgeschnittenen grauen Haaren dem Architekten, der er fast geworden wäre. Sein Hemd wirft ein paar Falten, was nahelegt, dass es frisch aus der Verpackung stammt.

Auf der linken Bühnenseite beugt sich Richard Wright über seine Keyboards. Er trägt eine dunkle Leinenjacke über einem weißen Hemd. Sein leicht zerknautschtes Äußeres verleitete einen Beobachter einst dazu, ihn mit einem „inzwischen mittellosen ehemaligen Meister-Jockey“ zu vergleichen. Auch er hatte sich eine Zeitlang der Architektur gewidmet und strahlt immer noch das Flair eines Künstlers aus. In Wahrheit wirkt er mehr wie ein halbpensionierter Rockstar aus den Siebzigern als sein trommelnder Bandkollege. Wright, ein begnadeter Musiker, hat sich aufgrund seiner schweigsamen Art und der starken Persönlichkeiten, die ihn umgaben, vorrangig in der zweiten Reihe bei Pink Floyd wiedergefunden. 1979 musste er es sich gefallen lassen, von Roger Waters aus der Band geworfen zu werden, da er Waters zufolge nicht ausreichend zum aktuellen Album der Band, The Wall, beigetragen hätte. In weiterer Folge durchlebte Wright eine depressive Phase im Exil, bevor er unter Gilmours Regie langsam wieder eingeführt wurde. Schlussendlich erhielt er endlich Mitspracherecht in der Band, die er ja eigentlich mitgegründet hatte.David Gilmour, der abgetragene Jeans und ein schwarzes Shirt trägt, überblickt das Geschehen vor ihm. Mehr noch als die anderen Mitglieder seiner Band entsprach Gilmour stets dem Bild eines Hippie-Musikers aus den Siebzigerjahren: barfuß, relaxt und eine Strähne seines langen Haarschopfes hinter seinem Ohr, während er mit den Einstellungen seines Gitarrenverstärkers experimentierte oder mit seinen Zehen auf ein Effektpedal trat. Lange Haare hat er nun schon längst nicht mehr und die Überreste trägt er streng kurzgeschoren. Auch um die Hüften hat er zugelegt. Dennoch strahlt Gilmour inzwischen viel Selbstvertrauen aus. Er wiegt seine Gitarre und macht sich daran, Texte zu singen, die sein einstmaliger Widersacher – Roger Waters – geschrieben hat. Seit Mitte der Achtzigerjahre ist er der Frontmann der Band. Während sich Roger Waters’ Zorn in erster Linie gegen ihn gerichtet hatte, hatte er ohne seinen ehemaligen Partner die Fertigstellung zweier Floyd-Alben beaufsichtigt, die jeweils Platin-Status erreichten, sowie mehrere Touren, die neue Maßstäbe setzten. Er schenkt sowohl Mason als auch dem Publikum ein schmallippiges Lächeln. Vor der Bühne befinden sich in einem geschlossenen Bereich seine Ehefrau sowie ein paar seiner Kinder. Seinen Bassisten würdigt er hingegen kaum einmal eines Blickes. Roger Waters, der nur ein paar Schritte von Gilmour entfernt steht, verwaltet sein eigenes Revier. Sein ergrauendes Haar ist länger und reicht immer noch bis zum Kragen seines verwaschenen blauen Hemds. Die Ärmel hat er hochgekrempelt, wodurch eine teuer wirkende Uhr zum Vorschein kommt. Waters spielt seinen Bass nicht, nein, vielmehr scheint er ihn zu attackieren. Sein Kinn schiebt er majestätisch nach vorne, während er seinen Kopf im Rhythmus bewegt und den Hals seines Instruments umgreift. Gelegentlich lächelt er, wobei er seine Zähne entblößt. Dieses Grinsen wirkt auf beunruhigende Weise aggressiv. Waters scheint trotz seines bedrohlichen Erscheinungsbildes aber begeistert zu sein, mit jenen Männern, denen er 20 Jahre zuvor mit rechtlichen Schritten gedroht hatte, die Bühne teilen zu dürfen. Bezeichnenderweise bewegt Waters seine Lippen synchron zu Gilmours Gesang, als ob er alle Anwesenden daran erinnern möchte, dass das seine Songs sind.„Breathe“ fungiert als sanfte Ouvertüre. Die lieblichen Gitarrenklänge fordern es quasi heraus, dass etliche Konzertbesucher ihre Feuerzeuge über ihre Köpfe halten, während sich ein kollektives Lächeln auf den Gesichtern derer, die die letzten zehneinhalb Stunden auf diesen Moment gewartet haben, breitmacht. Der Song aus der Feder des damals 30 Jahre alten Roger Waters gab die textliche Ausrichtung vor, die auf Dark Side of the Moon verfolgt werden sollte – eine klagende Erkundungsfahrt durch die Ängste und Sorgen des frühen Erwachsenenalters. In den Worten des Bassisten: „Du hast die längste Weile herumgesessen und darauf gewartet, dass dein Leben endlich losgeht – und dann fällt dir plötzlich auf, dass es das längst getan hat.“ Dass der Song nun 30 Jahre später von denselben Männern gespielt wird, lässt ihn umso prophetischer wirken.

Ohne viele Worte zu verlieren, lässt die Band „Breathe“ schließlich hinter sich, um jenen Song zu spielen, der Pink Floyd einst zum Durchbruch in Amerika verholfen hatte – „Money“. Im Vergleich zur ersten Nummer ist es lauter, übersteuerter Hard-Rock. Die Lyrics sind seit damals ein vorhersehbares Ziel des Zornes jener geworden, die über Pink Floyds Status als Multimillionäre die Nase rümpften. Doch das Thema des Songs passt zu Live 8. Mason erklärt später außerdem: „Sir Bob wollte, dass wir ihn spielen.“ Sei’s wie’s sei, der Druck und das Tempo des Songs machen ihn zu einer idealen Nummer für einen Open-Air-Event. Gilmour spielt unermüdlich seine Solos, bis der Song schließlich von einem Saxofon-Solo Dick Parrys in zwei Stücke gehauen wird. Bei ihm handelt es sich um denselben Musiker, der schon auf der Originalaufnahme zu hören gewesen war. Als er die Bühne betritt, wirkt auch er, als sei er auf der Suche nach dem neunten Loch des Golfkurses. Während die beiden die Zielgerade des Songs unter sich ausmachen, kommt es für einen Sekundenbruchteil zum Augenkontakt zwischen Gilmour und Waters.

Vor dem Konzert hatte Nick Mason hinter der Bühne ausgerechnet, dass sie zusammen „über 300 Jahre Rock’n’Roll-Erfahrung“ auf die Bühne brächten. Allerdings ist es die Lebenserfahrung der Gruppe, die sie so relevant macht. Wie es ein Floyd-Insider einst ausdrückte: „Die Musik von Pink Floyd gleicht einem hübschen Mädchen, das nicht mit dir sprechen will.“ Im Falle dieser Band, die durch typisch englische Reserviertheit sowie die Unfähigkeit, unabhängig von der Musik miteinander zu kommunizieren, auffiel, brachte dieser plötzlicher Friede all die Menschlichkeit und Emotionen, die sich in ihren Songs verbargen, an die unmittelbare Oberfläche. Mit einem Schlag ergab alles einen Sinn.

Im Kontext dieses Auftritts klingt „Wish You Were Here“ wie das, was es ist: ein simples Liebeslied für einen abwesenden Freund. Gilmour und Waters greifen dafür beide zu Akustikgitarren, während ein weiterer alter Weggefährte, der zweite Gitarrist Tim Renwick, aus dem Schatten tritt, um die beiden zu unterstützen. Waters singt die zweite Strophe, wobei sich seine rauere Stimme von Gilmours lieblicherer Tonlage abhebt. Der Song ist kurz und einfach und wird frenetisch bejubelt. Das Publikum ist bezüglich der Herkunft und Bedeutung dieser Nummer im Bilde. Sie handelt unter anderem auch von jenem einen Mitglied der Originalbesetzung von Pink Floyd, das heute nicht auf der Bühne steht, Syd Barrett.

Die Schlussnummer ist ebenso unvermeidlich wie erwartet. Sie nicht zu spielen, würde einem Akt der Ketzerei gleichkommen. „Comfortably Numb“ ist ursprünglich auf The Wall, einem Konzeptalbum über den qualvollen Niedergang eines Rockstars, erschienen. Waters und Gilmour, die sich erneut den Leadgesang teilen, besingen den ausgebrannten Barden aus The Wall, der sich in einem kuschelweichen, von Drogen herbeigeführten Nirwana verliert, bevor Gilmour den Song mittels eines seiner Gitarrensolos zu einem großen Hollywood-Finale bringt, welches seitdem so inadäquat von so vielen Rockbands abgekupfert wurde. Die Darbietung ist grandios, spektakulär und auf seltsame Weise bewegend.

Als sich die vier zur Mitte der Bühne begeben, machen die zuvor noch so stoischen Mienen Platz für breitgrinsende Gesichter. Waters, der seine Arme bereits um Mason und Wright gelegt hat, gestikuliert in Richtung Gilmour, der sich unbehaglich zu fühlen scheint. Seine Lippen bewegen sich: „Na, komm schon!“ Zögerlich erlaubt es der Gitarrist, dass man ihn in die Arme schließt, während die reformierten Pink Floyd zu ihrer Verbeugung ansetzen. Ein Transparent im Publikum illustriert diesen Augenblick: „Pink Floyd wiedervereinigt! Wenn Schweine fliegen können, ist alles möglich!“

Um 23 Uhr 15 betritt Sir Paul McCartney die Bühne, um Live 8 mit seinem Auftritt würdig abzuschließen. Doch nicht einmal er vermag es, die allgemeine Aufmerksamkeit von den vorangegangenen Geschehnissen wegzulenken. In den USA wird prompt gemunkelt, dass es zu lukrativen Touren von Pink Floyd kommen könnte. Sogar ein neues Album steht im Raum. Währenddessen schreibt die britische Tageszeitung Guardian in Großbritannien weniger ehrerbietig: „Zwar sehen sie aus wie Seniorpartner einer Wirtschaftsprüfungsfirma … doch klingen sie auch 24 Jahre nach ihrem letzten gemeinsamen Auftritt immer noch fantastisch.“

Hinter der Bühne des kanadischen Ablegers von Live 8 in Barrie verfolgt inzwischen Bob Ezrin, Pink Floyds langjähriger Mitstreiter und Co-Produzent von The Wall, ihren Auftritt im Fernsehen. „Ich fand es umwerfend. Es war der Stoff, aus dem Legenden gemacht sind“, soll er wenige Wochen später enthusiastisch zu Protokoll geben. „Ich war so begeistert. Ja, ich gebe sogar zu, dass ich geweint habe. Dann wurde mir langsam bewusst, dass mich alle beobachteten, wie ich Pink Floyd zusah.“

Für die Anhängerschaft der Band, die Plattenfirmen, die blauäugigen Kollegen und auch alle anderen lieferte Live 8 die Hoffnung auf eine langfristige Aussöhnung der Gruppe. Doch David Gilmour ließ sich nicht lange Zeit, um allen Spekulationen einen Riegel vorzuschieben. „Das ist alles Schnee von gestern. Es liegt hinter mir. Ich habe kein Bedürfnis, noch einmal damit anzufangen“, sagt er. „Es ist großartig, dass wir einen Teil unserer Verbitterung hinter uns lassen können, aber das ist dann auch schon alles.“

Bis zu den Proben für Live 8 waren David Gilmour und Roger Waters zum letzten Mal am 23. Dezember 1987 aufeinander getroffen und zwar, wie es der Gitarrist formulierte, um „ihre Scheidung auszuverhandeln“. Bei einem Meeting auf dem Hausboot und Studio von Gilmour erstellte das Duo mithilfe eines Buchhalters und eines Computers ein Dokument, durch welches die Nutzung des Namens Pink Floyd geregelt wurde.

Zuvor hatte Waters Klagen sowohl gegen Gilmour als auch Mason angestrengt, da er der Ansicht war, dass der Bandname nach seinem offiziellen Ausstieg im Jahr 1985 zu Grabe getragen werden sollte. Über 20 Jahre lang war Waters der primäre Songwriter der Band gewesen, hatte die ursprünglichen Konzepte für Dark Side of the Moon und The Wall erstellt und den Großteil der Songtexte beigesteuert. Er sah sich als treibende Kraft hinter der Band. Gilmour und Mason weigerten sich, seinen Forderungen Folge zu leisten. Nein, sie wollten als Pink Floyd weitermachen. Drei Monate vor diesem finalen Zusammentreffen hatte das Duo ein neues Floyd-Album mit dem Titel A Momentary Lapse of Reason veröffentlicht und Richard Wright für eine daran anschließende Tour gewinnen können. Nach zwei Monaten hatte das Album, das Waters als „gelungenes Imitat“ verunglimpfte, Platin eingefahren. Damit bestätigte sich, dass die Marke Pink Floyd nichts von ihrem Glanz eingebüßt hatte und sogar der Verlust eines Schlüsselmitglieds verkraften konnte.

Andererseits war es auch nicht das erste Mal gewesen, dass der Band eines ihrer Mitglieder abhandenkam. Im Rahmen von Live 8 verwies Roger Waters auf das abwesende Bandmitglied, indem er „Wish You Were Here“ nicht nur allen Abwesenden, sondern „vor allem Syd Barrett“ widmete. Syd Barrett, dereinst Sänger, Gitarrist und richtungsweisende Kraft bei Pink Floyd, hatte sich drei Jahrzehnte zuvor nicht nur aus der Band, sondern überhaupt aus dem Musikgeschäft zurückgezogen. Während seine ehemaligen Bandkollegen vor über 100.000 Fans im Hyde Park und einem Fernsehpublikum, das über zwei Milliarden Menschen umfasste, auftraten, zog es Syd Barrett vor, zuhause zu bleiben. In seinem Fall war dies ein Doppelhaus an der Peripherie von Cambridge. Auf seinen eigenen Wunsch hin verzichtete Barrett auf jeglichen direkten Kontakt mit Pink Floyd und wünschte, nicht an seine Zeit in der Band erinnert zu werden. Für ihn war all dies längst vorbei.

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