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Оглавление2: DER ENDLOSE SOMMER
„Freiheit ist, wonach ich strebe.“
Syd Barrett
Erst vier Tage nach seinem Ableben erfuhr die Öffentlichkeit davon. Syd Barrett war am 7. Juli 2006 verstorben. Als Todesursache wurde Bauchspeicheldrüsenkrebs angegeben. Sein gesundheitlicher Zustand hatte sich jedoch über viele Jahre hinweg stetig verschlechtert. Syds Familie informierte David Gilmour, der daraufhin die übrige Band sowie den Freundeskreis um Pink Floyd benachrichtigte. Aus Rücksichtnahme auf den Wunsch von Syds Familie hatte seit Jahren niemand mehr von Pink Floyd Syd gesehen oder mit ihm gesprochen. Als die Neuigkeit schließlich am Dienstag, dem 11. Juli, weltweit bekannt wurde, zierten Fotos von Barrett die Titelblätter vieler Tageszeitungen rund um den Erdball. Es war eine ungewöhnliche und so noch nicht dagewesene Reaktion auf den Tod eines Mannes, der seit über 30 Jahren kein Album veröffentlicht und fast ebenso lange über seine Zeit als Popstar geschwiegen hatte.
Die Wege von Pink Floyd und ihrem Freund und ersten Sänger seit Kindertagen hatten sich im Frühling 1969 getrennt. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich bereits David Gilmour der Band angeschlossen, um musikalische Stabilität zu garantieren, da Barretts Drogenkonsum und sein zunehmend labiler Geisteszustand ihn zu einer Belastung machten. Im Januar 1969 beschlossen die übrigen Bandmitglieder auf dem Weg zu einem Auftritt, Syd nicht abzuholen. Diese Entscheidung sollte sich massiv auf den Rest ihres Lebens auswirken.
In der Woche vor Pink Floyds Auftritt bei Live 8 entsandte der Londoner Evening Standard einen Journalisten zu Barretts Haus in Cambridge, um eventuell ein Interview mit dem zurückgezogen lebenden ehemaligen Sänger der Band zu ergattern. Dieser weigerte sich jedoch, die Türe zu öffnen. Barretts Schwester Rosemary gab preis, dass sie ihrem Bruder von der unmittelbar bevorstehenden Reunion von Pink Floyd erzählt habe. Er habe dies reaktionslos zur Kenntnis genommen. „Das ist ein anderes Leben für ihn“, erklärte sie. „Eine andere Welt und eine andere Zeit.“ Auch seinen Spitznamen, Syd, den er in ebendiesem vergangenen Leben getragen hatte, hatte er bereits seit geraumer Zeit abgelegt. Seit vielen Jahren hatte er nun wieder unter seinem bürgerlichen Namen Roger Barrett gelebt.
Das anonyme Doppelhaus am St. Margaret’s Square in Cambridge, wo Barrett seine letzten Lebensjahre verbrachte, verriet nur wenig über die wahre Identität seines einzigen Bewohners. So verzichtete Barrett auf die Statussymbole, mit denen Rockstars seit jeher ihren Wohnbereich ausschmückten: weder goldene Schallplatten, auf die man durch einen Spalt zwischen den Vorhang einen Blick hätte erhaschen können, noch teure Sportwägen, die sich in der Einfahrt drängten. Jedoch war das Domizil auch nicht verwahrlost, wie man es vielleicht hätte annehmen können, wenn man den Halbwahrheiten, die über die geistige Gesundheit seines Besitzers kursierten, Glauben geschenkt hätte. Seit dem Tod seiner Mutter 1991 hatte Barrett dort alleine gelebt. Er war nie verheiratet gewesen, hatte keine Kinder und war seit dem Ausscheiden seines Alter Egos bei Pink Floyd in den Sechzigerjahren auch für längere Zeit keiner Beschäftigung mehr nachgegangen.
Gelegentlich drang die Außenwelt in sein privates Universum ein. So tauchten Fotos der marineblauen Eingangstür sowie Bilder des Hausbewohners in Zeitungen auf. Syd, der unvorbereitet vor seinem Haus von Fotografen überrascht wurde, sah jedes Mal verblüfft aus, manchmal auch wütend oder verängstigt. Er war stets nur halb bekleidet und trug das Bäuchlein eines Mannes mittleren Alters vor sich her. Sein heruntergekommenes Äußeres trug das Seinige dazu bei, die Gerüchteküche um Syd Barrett am Laufen zu halten. Syd musste diese Verletzungen seiner Privatsphäre stets dann erdulden, wenn seine Vergangenheit in den Fokus rückte. Als sich nun Pink Floyd reformierten, um bei Live 8 aufzutreten, war klar, dass dadurch auch das Interesse der Presse an ihm wieder aufflackern würde. Zuletzt war er während der Medienhysterie rund um die Acid-House-Raves in den späten Achtzigerjahren von News of the World belästigt worden, wo man ihn als warnendes Beispiel für die Gefahren von LSD präsentierte. Selbstverständlich wussten sie, dass er sie niemals verklagen würde. Allerdings: Wer wusste schon, wozu er imstande wäre? Seine Nachbarn berichteten von schrecklichen Schreien mitten in der Nacht, wohingegen andere ihn wie einen Hund bellen gehört hatten.
Seit den frühen Neunzigern verbrachte Roger Barrett seine Tage mit seiner Malerei, Büchern sowie Radausflügen, auf denen er in den örtlichen Läden haltmachte. Er führte ein ruhiges Leben und war auch nicht völlig zurückgezogen. Nach jeder Verletzung seiner Privatsphäre löste sich das Interesse an ihm schnell wieder in Luft auf. Nur gelegentlich klopfte vielleicht einmal ein ungebetener Bewunderer an seine Tür.
Egal in welchem Kontext sie stehen mochten: Die Fotos des alten Syd Barrett von früher, die jene Zeitungsartikel oft begleiteten, hatten trotz allem etwas Faszinierendes an sich. Dieselben fast 40 Jahre alten Bilder sollten nach seinem Tod noch einmal abgedruckt werden. Sie zeigten Syd in seinen modischsten Klamotten mit welligem Haar, wie er mit stechendem Blick die Kamera fixierte. Er hatte den verlorenen Rockstar verkörpert, lange bevor zahllose Imitate seine Pose annahmen und zum Klischee machten. „Er war jemand, auf den die Leute auf der Straße mit dem Finger zeigten“, erinnert sich David Gilmour, der mit Syd seit Kindertagen befreundet war. „Syd hatte dieses besondere Charisma, diese Art Magnetismus.“
Die gemeinsame Geschichte der drei zentralen Protagonisten bei Pink Floyd – Barrett, Gilmour und Waters – ist unwiderruflich mit ihrer Heimatstadt, in der sie ihre Jugend verbrachten, verknüpft.
Der Ruf der Stadt Cambridge als Zentrum für Bildung lässt sich bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen. Die beeindruckende Architektur der Universitätsgebäude sowie der River Cam, dessen Windungen sich durch die Stadt ziehen, vermitteln etwas typisch Englisches. Wie ein Kontrast zum malerischen Stadtbild wirkt hingegen das raue Moorland, welches das Umland prägt. Dieses Ambiente schien sich von Anfang an in Pink Floyds Musik bemerkbar zu machen. Der Titel ihres erstes Albums, The Piper at the Gates of Dawn, stammte aus Der Wind in den Weiden, jenem Kinderbuch von Kenneth Grahame, welches 1908 veröffentlicht wurde und an einem Flussufer spielte. Im Kapitel selben Namens begaben sich zwei der tierischen Figuren auf eine bizarre spirituelle Suche. „Grantchester Meadows“, jenes sanfte Interludium aus der Feder von Roger Waters, das auf dem Album Ummagumma von Pink Floyd erschien, bezog ihren Titel von einem stark bewaldeten Flussufer, das sich im Süden der Stadt und unweit vom Zuhause der Gilmours befand.
Zu jener Zeit, als die drei wichtigsten Floyds das Licht der Welt erblickten, war Cambridge, wie es einer ihrer Bekannten aus Kindertagen heute formuliert, „ein Ort, wo verbriefte Verschrobenheit akzeptiert wurde. Man traf auf all diese brillanten, aber skurrilen Köpfe wie etwa Francis Crick, den Entdecker der DNA. Er radelte gerne einfach so die Straße hinunter.“ Auch Syds Vater war ein bekannter Exzentriker, den man ebenfalls nicht selten auf seinem Fahrrad die Hills Road hinunterfahren sah.
Dr. Arthur Max Barrett, von allen Max genannt, war University Demonstrator für Pathologie am örtlichen Addenbrooke’s Krankenhaus. Später übernahm er eine Stellung als pathologischer Anatom an der Universität. In seiner Freizeit war er ein renommierter Hobby-Maler und Botaniker, der über seine eigenen Schlüssel zum botanischen Garten der Stadt verfügte. Als Mitglied der Cambridge Philharmonic Society besaß auch Dr. Barrett musikalisches Talent, obwohl erst sein Sohn damit berühmt werden sollte.
Er war mit Winifred Garrett, der Urenkelin von Elizabeth Garrett Anderson, die 1865 die erste Ärztin des Landes wurde, verheiratet. Die Barretts hatten fünf Kinder: Alan, Donald, Ruth, Roger (Syd) und Rosemary. Syd kam am 6. Januar 1946 im ersten gemeinsamen Zuhause der Familie in der Glisson Road 6, im Stadtzentrum von Cambridge, zur Welt. Drei Jahre später zog die Familie in ein nahegelegenes Haus mit fünf Schlafzimmern in der Hills Road 183.
Nur wenige Gehminuten vom neuen Domizil der Barretts entfernt befand sich die Rock Road, wo sich die Familie von George Roger Waters angesiedelt hatte, als jener gerade zwei Jahre alt war. Rogers’ Vater, Eric Fletcher Waters, war im County Durham als Sohn eines Kohlengrubenarbeiters und Labour-Party-Funktionärs aufgewachsen. Er wurde schließlich Lehrer und strenggläubiger Christ. Auch weigerte er sich bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, sich dem Militär anzuschließen. Stattdessen erfüllte er ehrenamtliche Aufgaben, fuhr während der Luftangriffe einen Krankenwagen und trat schließlich der Kommunistischen Partei bei. Doch inmitten des Krieges änderte Eric seine Meinung und nahm als Soldat an den Kampfhandlungen teil, er schloss sich dem City of London Regiment, 8th Battalion Royal Fusiliers als Unterleutnant an.
Roger, der einen älteren Bruder namens John hat, kam am 6. September 1943 zur Welt. Seine Mutter, die im Mädchennamen Mary Whyte hieß, war Lehrerin von Beruf. Als Eric ins Kriegsgebiet versetzt wurde, zog Mary mit ihren beiden Söhnen von Great Bookham in Surrey nach Cambridge, da sie glaubte, dort sicherer vor den deutschen Bombenangriffen auf London zu sein. Eric Waters wurde nach der Landung der Alliierten auf den Stränden von Anzio an der italienischen Küste zuerst als vermisst gemeldet und am 18. Februar 1944 für tot erklärt. Roger war zu diesem Zeitpunkt gerade einmal fünf Monate alt.
David Jon Gilmour wurde am 6. März 1946 geboren. Damals lebten die Gilmours in Trumpington, einem Dorf außerhalb von Cambridge. Die Familie zog noch einige Male um, bevor sie sich schließlich in der Nähe des River Cam im Bezirk Newnham niederließ. Die Adresse lautete Grantchester Meadows 109. David war damals zehn Jahre alt. Sein Vater Doug und seine Mutter Sylvia hatten sich am Homerton College in Cambridge kennengelernt, wo beide zu Lehrern ausgebildet wurden. Sylvia sollte schließlich als Cutterin bei der BBC arbeiten, Doug Gilmour wurde hingegen Hochschuldozent an der Universität und unterrichtete Zoologie. Das Paar hatte vier Kinder: David, seine Brüder Peter und Mark sowie seine Schwester Catherine. „Cambridge war ein großartiger Ort, um aufzuwachsen“, sagt Gilmour. „Man befand sich in einer Stadt, die von Bildung geprägt war – man war umgeben von klugen Leuten. Dann war da aber auch noch dieser ländliche Touch, der sich bis ins Stadtzentrum hinein bemerkbar machte. Es gab tolle Plätze, wo man sich mit seinen Freunden verabreden konnte.“ Gilmour traf auf Barrett und Waters zum ersten Mal, als die drei Jungs von ihren Eltern für den Kunstunterricht am Homerton College eingeschrieben wurden, der jeden Samstagmorgen stattfand. Sowohl Waters als auch Barrett besuchten die Morley Memorial Grundschule in Blinco Grove, wo Mary Waters als Lehrerin angestellt war. Dort offenbarten sich auch bereits Syds Begabungen. Er war nicht nur ein talentierter Imitator, sondern gewann im Alter von sieben Jahren mit seiner Schwester Rosemary („Roe“) auch einen Preis fürs gemeinsame Klavierspielen. Nick Barraclough, der ebenso die Morley Memorial besuchte und später Musiker wurde und als Rundfunksprecher für die BBC arbeitete, erinnert sich an Syd als „hübschen Knaben, der unglaublich künstlerisch begabt war. Meine Schwester war in derselben Klasse. Sie waren damals vielleicht zehn oder elf und wurden gebeten, ihre Eindrücke eines heißen Tages zu verarbeiten. Die meisten Kinder zeichneten daraufhin einen Strand oder die Sonne. Roger – so wurde er ja damals noch gerufen – zeichnete aber ein Mädchen im Bikini, das sich mit einem Eis am Stiel ankleckerte. Das wirkte alles sehr fortgeschritten, wenn man an sein Alter denkt.“
Alle drei Jungs bestanden ihre 11-Plus-Examen, die damals verpflichtende Prüfung für britische Schulkinder, anhand welcher festgelegt wurde, wer intelligent genug für die Grammar School war. „Mein Vater unterrichtete an der Grundschule“, erinnert sich Barraclough, „und die beiden Rogers wurden ihm zu jeweils unterschiedlichen Zeitpunkten zugeteilt, um auf ihre Prüfungen vorbereitet zu werden.“ Waters besuchte schließlich ab 1954 die Cambridgeshire High School for Boys (vormals Cambridge and County School vulgo „County“) in der Hills Road. Die Schule, die mittlerweile Hills Road Sixth Form College heißt, war damals, wie es ein ehemaliger Schüler beschreibt, „eine Grammar School, die sich selbst für eine Privatschule hielt – inklusive schulmeisterlichem Gehabe, Doktorhüten und Sadismus“. Die Schule rühmte sich auch für ihren hohen akademischen Standard, und eine beeindruckende Anzahl von ehemaligen Schülern schaffte es an die Elite-Unis in Cambridge oder Oxford.
Roger machte sich einen Namen als talentierter Sportler: Er brillierte nicht nur im Cricket-Team, sondern war auch ein beeindruckender Rugby-Spieler. Auch trat er widerwillig der Combined Cadet Force bei, einer Jugendorganisation, die vom Verteidigungsministerium unterstützt wurde, und verbrachte einige Wochenenden auf dem Trainingsschiff HMS Ganges. Seine Ausbildung bei der Force umfasste unter anderem auch Schießkunst und Treffsicherheit, wofür er sich durchaus erwärmen konnte. Allerdings war er auch clever und gewitzt – und seine scharfe Zunge brachte ihn mitunter in Schwierigkeiten. Zumindest einmal wurde er von seinen Mitschülern verprügelt. „Ich glaube, dass mich die meisten Leute, mit denen ich zu tun hatte, hassten“, gab Waters später zu.
„Roger war eine Klasse über mir an der County“, erinnert sich Seamus O’Connell. „Ich war mit einem Jungen namens Andrew Rawlinson befreundet, der auf den Spitznamen Willa hörte. Er war auch richtig dicke mit Roger. In der Schule war meine Beziehung zu Roger ein wenig getrübt, da er mitunter kein sehr angenehmer Zeitgenosse war. Aber dennoch waren wir Freunde.“
Etwas später wurde Roger der Cadet Force überdrüssig und gab seine Uniform im Zorn zurück. Er weigerte sich, an weiteren Trainingseinheiten teilzunehmen, weshalb er unehrenhaft entlassen wurde. Sein ehemaliger Mitschüler Tim Renwick, der Pink Floyd an der Gitarre unterstützen sollte, erinnert sich an den Skandal: „Ich war ein paar Jahre jünger als Roger, aber jeder in der Schule hatte von dem Vorfall gehört. Er sorgte für einen ziemlichen Aufruhr. Allerdings bin ich mir sicher, dass Roger seinen Ausstieg mit Gewissensgründen erklärte.“ Waters’ Kindheitserfahrungen sollten schlussendlich ihren Niederschlag in der Musik von Pink Floyd finden, wobei er auch den oberflächlichsten Zuhörer wissen ließ, wie er über den Alltag an der County dachte. „Roger arrangierte sich mit der Schule“, sagt Mary Waters. „Seine Einstellung war: ‚Du musst dich damit abfinden und das Beste daraus machen.‘“
„Ich hasste jede einzelne Sekunde, abgesehen von den Spielen eben“, meint hingegen Roger. „Die Schulleitung war sehr repressiv und orientierte sich an den Standards der Vorkriegszeit. Man tat verdammt noch mal das, was einem aufgetragen wurde. Natürlich blieb uns nichts anderes übrig, als dagegen zu rebellieren. Es ist schon komisch, dass sich diese Typen in der Schule immer das schwächste Kind aussuchen, um auf ihm herumzuhacken. Dieselben Kinder, die schon von ihren Mitschülern gequält werden, werden auch von ihren Lehrern malträtiert. Als hätte jemand Blut geleckt. Die meisten Lehrer waren absolute Schweine.“
„Ich ging stets davon aus, dass The Wall von den Schulmeistern an der County handelte“, sagt Nick Barraclough. „Der Direktor war ein Mann namens Eagling, der bis heute der angsteinflößendste Mann ist, den ich jemals kennengelernt habe. Die beiden Rogers – Waters und Barrett – dürften das ebenso erlebt haben.“
Obwohl das Schulsystem immer noch in der Zwischenkriegszeit festzustecken schien und sich kaum an den Bedürfnissen von Jugendlichen orientierte, denen der Friede und relative Wohlstand, der ihren Eltern verwehrt geblieben war, zuteilwurde, waren die Fünfzigerjahre wie keine Ära zuvor voller neuer Möglichkeiten für Teenager. Waters brachte später seine Verachtung gegenüber dem Schulsystem auf den Punkt, indem er eine Episode aus seiner Schulzeit beschrieb. Nachdem er beschlossen hatte, sich für eine tatsächliche oder auch nur eingebildete Kränkung am Gärtner der Schule zu rächen, kletterten er und seine Mitverschwörer mittels einer Stufenleiter in den Obstgarten und wandten sich dem Lieblingsbaum des Gärtners zu. Daraufhin aßen sie jeden einzelnen Apfel – ohne sie von den Ästen zu pflücken. Als er diese Anekdote 30 Jahre später gegenüber der Zeitschrift Musician zum Besten gab, erklärte Waters, wie stolz er auf seinen ausgeklügelten Streich gewesen war.
Syd Barretts Weg durch die County, an die er drei Jahre nach Waters wechselte, war gekennzeichnet von seiner großen Leidenschaft für Kunst und sein Interesse an Poesie und Schauspiel. Auch er lehnte sich gegen Autoritäten auf, war aber in der Lage, sich mithilfe seines Charmes, seiner Intelligenz und seines guten Aussehens aus Schwierigkeiten herauszumanövrieren. Wie sich Gilmour erinnert, war er „ein heller Kopf und auf vielen Gebieten sehr bewandert“. Jedoch verfolgte er einen konventionelleren Weg und stieg innerhalb seiner lokalen Pfadfindertruppe bis zum Anführer auf.
Im Juni 1961 begann der 15-jährige Syd eine Beziehung mit Elizabeth Gausden, die von allen Libby gerufen wurde. Sie war Schülerin an der nahegelegenen Cambridge Grammar School for Girls. „Syd hatte bereits eine Freundin – eine sehr hübsches, liebes Mädchen namens Verena Frances“, erinnert sich Libby. „Aber bei uns stimmte die Chemie einfach. Er hat immer gesagt: ‚Du bist zwar nicht das hübscheste, aber dafür das lustigste Mädchen aller Zeiten.‘ Er war ein wunderbarer Junge. Jeder liebte ihn.“
John Gordon traf zum ersten Mal im Kunstunterricht der County auf Syd. „Er brillierte vom ersten Tag an“, erinnert er sich. „Seine Haare waren länger als die der anderen Schüler. Er teilte den Lehrern offen mit, was er sich dachte, und verließ sogar das Klassenzimmer, wenn er zurechtgewiesen wurde.“ Syd weigerte sich regelmäßig, den Blazer seiner Schuluniform zu tragen. Außerdem war es bemerkenswert, dass er seine Schuhe ohne Schnürsenkel trug – eine Angewohnheit, die er auch als Erwachsener beibehalten sollte. Ermutigt von seinen Eltern, kultivierte Syd seine kreative Ader, die sich erstmals an der Grundschule bemerkbar machte, indem er öffentlich Gedichte vorlas und vor Publikum sprach. Doch es sollte ein Schatten auf seine Jugendjahre fallen. Am 11. Dezember 1961 verstarb Dr. Barrett. „Sein Vater war schon lange krank gewesen“, sagt Libby Gausden. „Er litt an Krebs und hatte starke Schmerzen. Ich glaube, dass es fast eine Erlösung für die Kinder war, da er vor seinem Tod so schwer hatte leiden müssen. Syd schrieb wunderbare Tagebucheinträge. Jeder war fast einen halben Meter lang – doch am Todestag seines Vaters schrieb er bloß: ‚Mein armer Dad ist heute gestorben.‘“
Viele Leute stellten bezüglich der Auswirkungen, die der Verlust des Vaters auf Syd hatte, Mutmaßungen an. David Gilmour, der während dieser Jahre viel Zeit mit seinem Freund verbracht hatte, sagt dazu: „Syd sprach nie darüber. Die Leute meinen, dass der Tod seines Vaters ihn verändert hätte, doch damals konnte man nicht wirklich irgendwelche Veränderungen feststellen.“
„Ich kannte weder Syds Vater noch seine Brüder und wusste nicht, welche Aufgaben die Männer in seiner Familie erfüllten“, erinnert sich John Gordon. „Syd wirkte stets weltlicher als ich. Er genoss mehr Freiheiten und war erfahrener. Als sein Vater starb, übernahm er bereitwillig viel mehr Verantwortung als zuvor.“
Nachdem seine älteren Geschwister ausgezogen waren, bewohnte Syd einen großen Raum an der Vorderseite des Hauses, während seine Mutter die anderen Schlafzimmer an Untermieter – in der Regel Studenten – vermietete. Unter ihnen waren auch ein Vertreter des niederen britischen Adels sowie ein zukünftiger japanischer Ministerpräsident.
Falls Waters und bis zu einem gewissen Grad auch Barrett eine obrigkeitskritische Neigung gehabt hätten, wäre ihnen nun auch noch ein amtliches Motiv geliefert worden. Mit dem Erscheinen der Hit-Single „Rock Around the Clock“ von Bill Haley and the Comets im Jahr 1955 verkündeten die Medien die offizielle Erfindung des Teenagers sowie ihres Soundtracks – Rock’n’Roll. Zwei Jahre später verlieh Elvis Presley dieser neuen Musik mit seinem ikonischen Antlitz ein Gesicht und wurde das Vorbild einer ganzen Generation. Syds Bruder Alan spielte Saxofon in einer Skiffle-Gruppe und Syd selbst versuchte sich an einer Ukulele, bevor er seine Mutter davon überzeugen konnte, ihm eine Akustikgitarre der Marke Hofner zu spendieren.
„Nach der Schule trafen Syd und ich uns auf dem Flur, um dann zu ihm zu gehen, schließlich wohnte er praktisch gegenüber von der Schule“, erinnert sich John Gordon. „Mein Vater war Musiker, aber zumindest ein Teil von mir wollte nicht so sein wie er, weshalb ich mich gegen das Klavier sperrte und stattdessen mit Syd lernte, Gitarre zu spielen. Er hatte auch ein paar amerikanische Import-Platten. Außerdem hatte ich einen Onkel, der ein paar 78er- und 45er-Scheiben von Bill Haley und Eddie Cochran beisteuerte. Ich nahm sie mit zu Syd und dann versuchten wir gemeinsam, anhand dieser Schallplatten Gitarre spielen zu lernen. Syd mochte alles. Heute redet jeder darüber, dass er so auf Bo Diddley abgefahren sei, aber in Wirklichkeit war er viel umfassender orientiert.“
Der 14-jährige Waters befand sich im idealen Alter für Rock’n’Roll, stand der Sache anfangs jedoch skeptisch gegenüber. Stattdessen tendierte er musikalisch zu Dixieland- und Blues-Musikern wie Bessie Smith. „Eigentlich alles“, bekannte er später, „außer Rock’n’Roll.“ Nachdem er sich die Gitarre eines Onkels zugelegt hatte, nahm er klassischen Unterricht bei einer ortsansässigen Lehrerin. Später gab er jedoch zu, bald schon wieder aufgehört zu haben, da ihm seine Finger wehtaten: „Ich fand es einfach viel zu schwer.“ David Gilmour teilte die Vorbehalte seines zukünftigen Bandkollegen in Bezug auf Rock’n’Roll kein bisschen. „Ich bin nicht sicher, ob ‚Rock Around the Clock‘ die erste Platte war, die ich mir kaufte, aber zumindest war es eine der ersten“, erinnerte er sich. (Später erwähnte er, dass die besagte 78er-Single zu Bruch gegangen sei, als das Au-Pair-Mädchen der Familie versehentlich darauf Platz genommen habe.) Doch Gilmour war ohnehin vielmehr von Elvis Presleys „Heartbreak Hotel“ angetan, das ein Jahr später folgte. Zuhause umfasste die Schallplattensammlung seiner Eltern außerdem noch zahlreiche Blues-78er. Wie Waters und Barrett entdeckte auch Gilmour Radio Luxemburg für sich und wurde von diesem Sender mit einem abwechslungsreichen Musik-Mix versorgt, der auf keiner britischen Radiostation zu hören gewesen war. Er war nicht allein: Außer ihm lauschte noch eine ganze Generation englischer Rockmusiker den wunderlichen Klängen, die von der anderen Seite des Kanals ausgestrahlt wurden.
Obwohl sich auch Gilmours musikalische Ausbildung nun in vollem Gange befand, hatte sein formeller Bildungsweg bereits im Alter von fünf Jahren begonnen, als er ins Internat geschickt wurde. Doug Gilmour hatte beschlossen, einen sechsmonatigen Forschungsurlaub von der Cambridge University anzutreten und diesen mit Sylvia im Mittleren Westen der USA zu verbringen. Die Kinder wurden inzwischen nach Steeple Claydon in Buckinghamshire geschickt, wo sie das folgende Schuljahr verbringen sollten. „Meine Eltern liebten einander und genossen ihre gemeinsame Zeit, und wenn ich ehrlich bin, glaube ich, dass sie uns als eher unpraktisch empfanden“, erzählt Gilmour 2006 in Mojo. „Als wir noch sehr klein waren, machten wir noch zusammen Ferien, doch sobald wir alt genug waren, wurden wir bei den Pfadfindern oder so geparkt. Wir fuhren nie wieder gemeinsam in den Urlaub.“
Jahre später stieß Gilmour auf Briefe und ein Tagebuch aus jener Zeit, als er und seine Geschwister auch nach der Rückkehr der Eltern noch in Steeple Claydon blieben. „Damals kam einem das völlig normal vor. Erst später denkt man sich, dass das gar nicht so toll war.“
Im Alter von elf Jahren, als Barrett gerade an der County eingeschrieben wurde, landete Gilmour an der Perse School for Boys, die sich nur einen Steinwurf vom Haus der Barretts entfernt befand. Die Perse war eine gebührenpflichtige Grammar School, die auf die Einhaltung strikter Verhaltensregeln achtete. Unter ihren Alumni befanden sich Sir Peter Hall, der Gründer der Royal Shakespeare Company und Direktor des Royal National Theatres. Bis ins 17. Jahrhundert zurück waren ein Viertel der Schüler Internatszöglinge und jeder musste verpflichtend am Samstagmorgen dem Unterricht beiwohnen, was dazu beitrug, dass die Schule im Ruf stand, „eine eher versnobte Privatschule“ zu sein, wie es ein ehemaliger Schüler ausdrückte. Obwohl von Natur aus aufgeweckt, ließen Gilmours schulische Leistungen zu wünschen übrig. „Ich war faul“, gesteht er mittlerweile ein. Elvis mag zwar ein erster Einfluss gewesen sein, aber es waren zwei Gitarre spielende, Harmonien singende Geschwister und ihr erster großer Hit von 1957, „Bye Bye Love“, die eine entscheidende Rolle dabei hatten, dass Gilmour die Gitarre für sich entdeckte. „Ich liebte die Everly Brothers. Als ich 13 war, bekam der Nachbarsjunge eine Gitarre. Allerdings war er komplett unmusikalisch und hatte überhaupt kein Interesse daran. Deshalb borgte ich sie mir aus und gab sie nie wieder zurück. Ich fing an, darauf herumzuschrammeln, was meine Eltern ziemlich freute. Sie kauften mir daraufhin ein Pete-Seeger-Gitarrenbuch und eine dazugehörige Schallplatte. Diese ersten Lektionen waren einfach wunderbar.“
Auch Gilmours Freund Rado Klose ackerte sich fleißig durch Seegers Lehrbuch. Später sollte er unter seinem zweiten Vornamen, Bob, Mitglied bei den frühen Pink Floyd werden. „David und ich kannten uns praktisch von Geburt an“, sagt Klose. „Unsere Väter hatten sich kennengelernt, noch bevor sie überhaupt Familien gründeten. Ich weiß nicht mehr, ob David sich von mir etwas beibringen ließ, aber ich erinnere mich daran, wie wir beide die Platte von Pete Seeger und Radio Luxemburg hörten. Da waren Songs, die uns gefielen, und wir fragten uns, wie man sie spielte. Dann machten wir uns daran, es herauszufinden. Bei ‚Walk Don’t Run‘ von den Ventures war das etwa der Fall. David wusste sofort, wie der ging, während wir anderen länger dafür brauchten.“ Klose war ebenso Schüler an der County: „In diesem Alter ist die Schule der absolute Lebensmittelpunkt. Syd war eine Klasse unter mir und Roger eine über mir. Wir hatten alle einen ähnlichen Musikgeschmack. Eine Zeitlang fuhr ich voll auf Jazz ab – aber nur auf den Jazz aus der Zeit vor 1935! Dann Django Reinhardt. Roger stand auf Jimmy Dufree. Den Blues für mich zu entdecken, war wie ein Moment der Offenbarung. Ich erinnere mich daran, wie ich nach der Schule in den Plattenladen ging und eine LP von Leadbelly sah. Ich hatte keine Ahnung, wer er war, mir gefiel nur der Name. Der Verkäufer ließ mich in das Album reinhören. Es war wie die Essenz von allem, was ich an Musik mochte – nur in konzentrierter Form.“ Leadbelly wurde zu einem gemeinsamen Favoriten des Trios Klose, Gilmour und Waters.
Seitdem Roger zwölf war, hatte er regelmäßig Jazz-Konzerte im lokalen Corn Exchange besucht, doch anders als etwa Syds Mutter, hatte Mary Waters nicht viel für Musik übrig. „Sie behauptete, kein musikalisches Gehör zu haben“, erinnert sich ihr Sohn. „Sie machte sich nicht viel aus Kunst. Sie war ein sehr politischer Mensch. Politik stand bei ihr an erster Stelle. Auf jeden Fall wurde ich weder zuhause noch in der Schule ermutigt, mich mit Musik zu befassen.“
1961, dem Jahr, in dem Syd Barrett seinen Vater verlor, kam auch Gilmours Familienleben in eine beträchtliche Schieflage. Seinem Vater Doug Gilmour wurde im Rahmen des sogenannten „Brain Drain“, bei dem britische Akademiker mit hochdotierten Lehrposten ins Ausland gelockt wurden, eine Stelle an der New York University angeboten, wo er schließlich zum Professor für Genetik wurde. Er und Sylvia entschieden sich, für ein Jahr nach New York zu gehen. David Gilmours zehn Jahre alter Bruder Mark begleitete sie, während die anderen Geschwister in England blieben. Davids Schwester Catherine besuchte bereits die Universität. Dem 15-jährigen David wurde angeboten, seinen Eltern und seinem Bruder in die USA zu folgen, doch entschied er aufgrund der musikalischen Möglichkeiten, die er ihn Cambridge vorfand, in seiner angestammten Umgebung zu bleiben. Während dieser Zeit kam er bei einer Familie in Chesterton unter. Unbeaufsichtigt schlich sich Gilmour zu Konzerten, anstatt für seine O-Level-Prüfungen zu lernen.
Waters, Barrett und Gilmour hatten nun zwei Dinge gemeinsam: ihren schulischen Hintergrund sowie die Abwesenheit ihrer Väter. Auf sich selbst gestellt, schickten sie sich an, ihrer Zukunft als Pink Floyd entgegenzustreben.
Auch wenn Gilmour der erste der drei war, der sich für Rock’n’Roll begeisterte, so waren seine zukünftigen Partner auch ohne Elvis nicht untätig darin, gegen das restriktive Klima an der Schule aufzubegehren. Wenn etwa Waters’ akribisches Vorgehen gegen den Obstgarten seiner Schule mehr wie ein kunstvoller Streich als ein einfacher Vandalenakt erscheint, so darf einen dies nicht weiter wundern.
Als Universitätsstadt bot Cambridge auch einen fruchtbaren Boden für die neue Garde nonkonformistischer amerikanischer Autoren und Dichter der Beat Generation. Die betreffenden Schreiber – Allen Ginsberg, Jack Kerouac und William Burroughs – wehrten sich stets gegen diese Bezeichnung und protestierten: „Drei Freunde ergeben noch lange keine Generation.“ Trotzdem gab es zwischen ihnen ausreichend Gemeinsamkeiten in Bezug auf ihre Sichtweisen, um den Begriff zu rechtfertigen. Ginsbergs Geheul und andere Gedichte von 1956 sowie Burroughs’ 1959 erschienenem Roman Naked Lunch wurde große Aufmerksamkeit zuteil, nachdem sie in das Visier der Sittenwächter geraten waren. Und doch war es Kerouacs Roman Unterwegs – 1957 nach einem Gerichtsverfahren, in dessen Fokus Geheul gestanden hat, veröffentlicht –, der der Beat Generation zu größerer Bekanntheit verhalf. Die Geschichte eines poetischen Wandervogels, der mittels Güterzügen und anderer Mitfahrgelegenheiten durch die USA reist, Pillen einwirft und zu einem Soundtrack von Bebop-Jazz dem Gelegenheitssex frönt, wurde zur Pflichtlektüre für smarte Teenager, die in einer Universitätsstadt heranwuchsen.
Die ungezügelte Kreativität der Beats, ihre nonkonformistische Haltung und ihre Abenteuerlust sprachen sowohl Barrett als auch Waters an. In Briefen an seine Freundin Libby Gausden schwärmte Barrett von Unterwegs. Er experimentierte mit seinem Outfit und entschied sich schließlich für schwarze Hosen und einen Fischer-Pullover, wie er bei Kunststudenten und Jazz-Fans angesagt war. Einige Zeit nach dem Tod seines Vaters begann er, sich gelegentlich „Syd, der Beat“ zu nennen. „Syd“ leitete sich von Sid Barrett ab, einem nicht mit ihm verwandten Jazz-Drummer, dem er im örtlichen CVJM sowie im Anchor-Pub begegnet war.
„Damals“, so erinnerte sich Waters Jahre später, „gab es diese Vorstellung, ostwärts zu reisen, um Abenteuer zu erleben.“ Andrew „Willa“ Rawlinson begleitete Waters und noch andere auf ihren zahlreichen Trips durch Europa. „Wir fuhren mit dem Auto von Rogers Mum über Frankreich, Italien und Griechenland nach Istanbul“, erinnert er sich. „Wir waren circa drei Monate unterwegs.“ Mit 19 fuhren Waters, Rawlinson und noch weitere in den Nahen Osten. „Wir fuhren in einem alten Rettungswagen, den wir Brutus getauft hatten“, berichtet Rawlinson. „Wir wussten nichts über Motoren, füllten keine Kühlerflüssigkeit nach, und schließlich verreckte unser Wagen in Beirut. Also trennten sich dort unsere Wege. Roger trampte alleine zurück nach England.“ Es war dieser Trip, der seinen Solo-Song von 2003, „Leaving Beirut“, inspirieren sollte. Die erste Textzeile lautete: „So we left Beirut, Willa and I …“
Spätestens ab 1962 hatte sich Syd Barretts Skepsis gegenüber Rock’n’Roll verflüchtigt. Seine musikalischen Vorlieben umfassten mittlerweile amerikanische Interpreten wie Chuck Berry und Bo Diddley, aber auch heimische Acts wie die Instrumental-Band The Shadows, die in den frühen Sechzigerjahren zu den maßgeblichen Einflüssen jedes ambitionierten Gitarristen zählten. Die Veröffentlichung der ersten Beatles-Single „Love Me Do“ im Jahr 1962 sowie das Erscheinen ihres Debüt-Albums Please Please Me im Jahr darauf verliehen der Musikszene von Cambridge einen weiteren Schub. Die Beatles waren Engländer, boten daher mehr Identifikationspotenzial und sogar der sonst stets skeptische Roger Waters meinte: „Die Songs auf ihrem ersten Album waren einfach so gut.“ Barrett wurde zu einem inbrünstigen Beatles-Jünger und fing nach dem Erwerb seiner ersten E-Gitarre sowie des Heiligen Grals unter den diesbezüglichen Lernmaterialien – Pete Seegers Platte und Buch – an, sich Gedanken über eine eigene Gruppe zu machen. Zwar hatte Syd schon gemeinsam mit John Gordon Gitarren-Sessions abgehalten, doch sein erster ernsthafter musikalischer Gehversuch war eine Gruppe mit dem Namen Geoff Mott and the Mottoes, die sich um den geselligen Geoff Mottlow formiert hatte. Geoff besuchte ebenfalls die County und war ein Rugby-Teamkamerad von Roger Waters. Der Band stand mit Syds Schlafzimmer der ideale Raum zur Verfügung, wo sie sich regelmäßig an Sonntagnachmittagen zum Proben einfand. Barrett und ein Junge namens Nobby Clarke spielten Gitarre, Mottlow gab den Leadsänger, während Clive Welham, der 2012 verstarb, hinterm Schlagzeug Platz nahm. „Es ist durchaus möglich, dass ich damals, als Syd und ich anfingen zusammen zu spielen, noch nicht einmal ein vernünftiges Schlagzeug besaß und stattdessen mit Messern auf ein paar Keksdosen trommelte“, verriet Clive. „Aber dann kaufte ich mir ein Schlagzeug, nahm Stunden und wurde sogar ganz gut. Ich weiß allerdings nicht einmal mehr, wer unser Bassist war.“ Welham meinte im Gegensatz zu dem, was in den meisten Büchern zu diesem Thema steht, dass es nicht Tony Sainty gewesen sei, dieser jedoch gemeinsam mit David Gilmour in Bands gespielt habe. „Ich spielte später mit Tony in Bands zusammen“, betonte Clive, „aber nicht in jener mit Syd. Es gab viele, die mal vorbeikamen. Roger Waters trieb sich immer bei Syd zuhause herum, aber das war noch bevor er selbst Musik machte.“
Das Repertoire der Mottoes umfasste Coverversionen von Buddy Holly, Chuck Berry, den Shadows und Eddie Cochran. Jahre später sollte Barrett der Musikpresse mitteilen, dass die Band oft bei privaten Partys aufgetreten sei. Vor zahlendem Publikum spielte sie jedoch nur ein einziges Mal und zwar bei einem Benefizkonzert für die Campaign for Nuclear Disarmament (CND), welches im lokalen Friends Meeting House stattfand. Das zugehörige Konzertplakat entwarf Roger Waters. Die Verbindung war sowohl politisch als auch musikalisch. Roger teilte das Interesse seiner Mutter für linksorientierte Politik und war inzwischen Spendensammler für den Morning Star sowie Vorsitzender der Jugendorganisation des ortsansässigen CND geworden. Später beteiligte er sich auch an Märschen des CND nach Aldermaston, einem Stützpunkt der Royal Air Force. „Wenn Roger Waters da war, rissen wir uns alle am Riemen“, lacht Libby Gausden. „Es war, als ob ein Lehrer den Raum betreten würde. Da er etwas älter war, kaufte man ihm diese Rolle auch ab. Er hatte schon ein Motorrad, bevor wir anderen überhaupt den Führerschein hatten. Und außerdem besaß er noch eine Lederjacke.“ Die Band sollte sich irgendwann zwar auflösen, doch hatte Mottlow 1965 mit seiner nächsten Gruppe, den Boston Crabs, mit „Down in Mexico“, einem zukünftigen Klassiker des Northern Souls, einen kleineren Hit, während Clive Welham sich zum festen Inventar der Szene in Cambridge entwickelte.
Als er 16 war, näherte sich Syds Zeit an der County ihrem Ende und er verkündete, zur Kunstschule gehen zu wollen. Seine Mutter arbeitete im Büro der Cambridge School of Art und um das Vorhaben ihres Sohnes zu fördern, arrangierte sie, dass er und John Gordon an einem außerplanmäßigen Kunstunterricht, der am Samstagmorgen stattfand, teilnehmen durften. Ihr Fleiß sollte sich schlussendlich auszahlen. Im Sommer 1962 schrieben sich beide Jungs an jener Schule ein, wo Syd zwei Jahre lang Kunst und Design studieren würde, wobei er sowohl bei den Lehrern als auch seinen Mitschülern einen bleibenden Eindruck hinterlassen sollte. „Syd war eine große Persönlichkeit“, erinnert sich John Watkins, der mit ihm die Schule besuchte. „Aber er hatte eine ganz schön große Klappe. Ich meine das auf eine nette Art und Weise. John Gordon glaubt, dass das wahrscheinlich mit dem Tod seines Vaters zu tun hatte. Syd forderte es stets heraus, er ließ sich nichts gefallen und ließ auch niemanden im Unklaren darüber.“
Die Cambridge School of Art, die sich in der East Road befindet, war im 19. Jahrhundert gegründet worden. Zu den Absolventen zählten unter anderem der Karikaturist und Illustrator Ronald Searle, bekannt für seine St. Trinian’s-Buchreihe, sowie die Erfinder der Puppen von Spitting Image, Peter Fluck und Roger Law.
„Syd erinnerte mich an einen spanischen Zigeuner“, sagt Richard Jacobs, der zusammen mit Barrett den Zeichenkurs besuchte. „Später behauptete er gerne, dass seine Großmutter eine Zigeunerin gewesen sei. Ich bin mir aber nicht sicher, ob wir ihm das abkauften. Zum ersten Mal sah ich ihn im Sommer 1962. Er hatte eine Akustikgitarre und trug eine Levi’s. Ich war sehr beeindruckt. Zu jener Zeit kleideten wir anderen uns noch sehr proper. Im Keller des Schulgebäudes gab es einen Aufenthaltsraum, in dem Syd während der Pausen Hof hielt. Er saß stets auf einem Fensterbrett und spielte auf seiner Gitarre. Er sang diesen alten Music-Hall-Song, ‚just because my hair is curly, just because my teeth are pearly …‘.“ (Ein Jazz-Song von 1910, der später auch von Ella Fitzgerald und Louis Armstrong aufgenommen wurde.)
Durch die Schule kam Barrett auch erneut in Kontakt mit David Gilmour. Gilmours Eltern waren für einen kurzen Besuch aus den USA heimgekehrt und er selbst studierte mittlerweile Neuphilologie am Cambridgeshire College of Arts and Technology, das sich gleich neben Barretts Schule befand. Laut John Watkins verbrachte er die meiste Zeit zwischen den einzelnen Vorlesungen in der Kunstschule. „Ein paar von uns spielten Gitarre. Ich allerdings eher schlecht als recht. Aber wir fingen an, uns zur Mittagszeit in der Kunstschule zu Sessions zu verabreden“, sagt Watkins. „David fing an, sich daran zu beteiligen, und verbrachte mehr und mehr Zeit mit uns. Vor Cambridge war ich in Ägypten und auf Zypern, weshalb ich nicht wusste, was in der englischen Musikszene so vor sich ging. Ich besaß eine Gitarre und fing an, mir Sachen von Syd abzuschauen. Er brachte mir ein paar Sachen bei und auch David bettelte ich stets um ein paar neue Akkorde an. Die Beatles standen noch ganz am Anfang und Syd hatte sich gerade Songs wie ‚Twist and Shout‘ beigebracht. David machte mich mit Bob Dylan vertraut.“ Gilmour hatte den amerikanischen Sänger und Songwriter für sich entdeckt, als seine Eltern ihm aus den USA ein Exemplar seines jüngsten Albums mitbrachten. In der ganzen Zeit, die ich ihn dort sah“, sagt Stephen Pyle, ein anderer Schüler, „sah ich ihn niemals ohne eine Gitarre. Er war schon damals sehr zielstrebig, was das anging.“
Zwar war Gilmour in Bezug auf neue Akkorde ein verlässlicherer Lehrer, aber Syd war empfänglicher für abgefahrenere Tricks. „Sein Ansatz war experimenteller“, erinnert sich ein anderer alter Kumpel aus Cambridge, David Gale. „Ich erinnere mich, dass Syd einmal in seinem Zimmer ein Zippo, das vermutlich einem amerikanischen Soldaten gehört hatte, auf dem Griffbrett rauf und runter schob. Außerdem enthielt dieses Zippo eine Art Spieldose und spuckte ein paar Töne aus. Er rutschte also mit dem Zippo auf den Saiten der elektrisch verstärkten Gitarre herum, wodurch sich dieser Bottleneck-Effekt ergab, und gleichzeitig noch diese Melodie aus dem Inneren des Feuerzeugs – das ähnelte den Dingen, die er bei Pink Floyd abzog.“ Syd war bekannt für seine Possen, die er während des Unterrichts zu reißen pflegte. Einmal störte er die Diavorführung eines Lehrers, indem er seine Kommilitonen durch das Fenster am hinteren Endes des Klassenzimmers nach draußen lotste, damit sie in weiterer Folge wieder bei der Türe hereinspazierten, was zu einem nicht abreißenden Fluss von wiederkehrenden Kursteilnehmern führte. Ein anderes Mal versteckte er seine Gitarre unter seinem Pult und schlug die Saiten mit seinen Füßen an, was den Lehrer zur Weißglut brachte, da er nicht ausmachen konnte, woher die Geräusche stammten. „Ich erinnere mich an Syd als jemanden, der sich gegenüber dem Lehrpersonal gerne stur und aufmüpfig verhielt“, sagt Richard Jacobs. „Es gefiel ihm, für Aufruhr zu sorgen. Er stürmte auch gerne mal aus dem Unterricht. Er mochte es einfach nicht, wenn man ihm sagte, was er zu tun hätte. Einmal wollten wir alle zusammen eine Studienfahrt unternehmen, doch er weigerte sich, in den Bus zu steigen. Keine Ahnung, was da los war. Er wollte es uns nicht verraten. Mitunter hatte er einfach diese Trotzanfälle. Es wirkte auf gewisse Weise recht weibisch.“
John Watkins fiel außerdem eine unkonventionelle Dynamik im Haus der Barretts auf: „Syd war nach dem Tod seines Vaters der Mann im Haus geworden. Er liebte seine Mum, verhielt sich ihr gegenüber aber recht komisch und sehr unwirsch. Ich glaube, er wollte sie aus der Reserve locken und herausfinden, wie weit er gehen konnte. Sein Schlafzimmer war sein Hoheitsgebiet und wenn ihm seine Mutter eine Tasse Tee brachte, schrie er sie an: ‚Raus aus meinem Zimmer, Frau!‘“
„Syds Mutter Win war eine herzliche, wunderbare Frau“, erinnert sich Libby Gausden. „Sie sah immer nur das Gute in den Menschen, weshalb Syd bei ihr mit allem durchkam. Sie war älter als die Mütter von uns anderen. Sie hatte Syds Brüder Don und Alan bekommen, als sie noch sehr jung gewesen war. Don war bei der Royal Air Force und Alan war Akademiker – und beide waren sie kahl mit 30! Ganz anders als Syd. Er unterschied sich von allen seinen Familienmitgliedern. Er war schon immer so, auch als sein Vater noch lebte. Syds Dad hielt sich ja stets nur in seinem Studienzimmer auf, weshalb Syd tun und lassen konnte, was er wollte.“
Abseits der mittäglichen Musik-Sessions war Syds Zugang zu seinem künstlerischen Schaffen zwar mitunter recht unbeständig, doch er führte oft auch zu Ergebnissen. Manche frustrierte es etwa, dass Syd oft lieber in seinem Garten als an der Kunstschule malte. Und stand ein Abgabetermin ins Haus, wartete er bis zum letztmöglichen Zeitpunkt, um mit einem Meisterwerk unterm Arm aufzutauchen.
„In der einen Minute waren seine Bilder figurativ, und in der nächsten dann eher abstrakt“, erinnert sich John Gordon. „Er experimentierte ständig und versuchte neue Stile aus. Irgendwo habe ich noch ein Schwarz-Weiß-Foto, das ich in seinem Garten geschossen habe. Darauf hält Syd eine Leinwand, die fast so groß wie er war. Es war ein abstraktes Gemälde in dunklen Ockerfarben. Auf die Leinwand hatte er ein Stück Stoff – vielleicht ein Shirt – geklatscht und das Ganze dann mit Farbe übermalt.“ Syds Verhalten wurde zu diesem Zeitpunkt bloß als leicht exzentrisch eingestuft, sein Drogenkonsum war alles andere als öffentlich bekannt. „Syd liebte sein Cannabis“, sagt Libby Gausden. „Das war zu einer Zeit, als man immer noch damit durchkam, etwa auf dem Oberdeck eines Busses zu rauchen, was er ja auch tat. Ich kiffte nie. Das tat damals keines der Mädchen in Cambridge, obwohl sich das vermutlich änderte, als ein paar von ihnen nach London gingen.“
„Ich sah Syd nie kiffen, aber wir wussten, dass er es tat“, sagt John Gordon. „Ich zog von zuhause aus, als ich zur Kunstschule ging, und obwohl ich selbst nie wirklich auf das Zeug abfuhr, wurde meine Wohnung in der Clarendon Street zu einer Art Treffpunkt, wo die Leute abhingen, um zu rauchen. Es war eine dieser Buden, in der man mitten in der Nacht aufwachte und Leute vorfand, die im Ofen Bananenschalen buken und anschließend versuchten, sie zu rauchen. Da gab es ein Grüppchen, das regelmäßig aufkreuzte. Zwei dieser Typen – Pip und Emo – sollten später für Pink Floyd arbeiten. Sie konnten zu jeder Tages- oder Nachtzeit bei mir auftauchen.“
Ian Carter, vulgo Pip, war in den Worten eines seiner Bekannten „ein wilder Junge aus dem Moor“. Er hatte einen markanten ostenglischen Akzent, weshalb er manchmal für Leute, die nicht zu seinem unmittelbaren Freundeskreis zählten, völlig unverständlich war. Wie auch andere in Pink Floyds Umfeld, schloss Carter sich ihrer Road-Crew an und arbeitete als ihr Beleuchtungstechniker. (Nick Mason sollte ihn später als „einen der absolut unfähigsten Roadies der Welt“ bezeichnen.)
Iain „Emo“ Moore wird von einem seiner Bekannten von damals als „grimassierender, gestikulierender Kauz, der kaum noch Zähne im Mund hatte“, beschrieben. Wie sein Freund Pip wurde auch er ein enger Vertrauter sowohl von Syd Barrett als auch von David Gilmour. Emo arbeitete und wohnte in den Siebzigern und frühen Achtzigern als Haushälter bei David und seiner ersten Frau Ginger. Der gelegentliche Schauspieler trat später in zahlreichen Pop-Videos auf und brachte es auch zu einem ultra-kurzen Gastauftritt im Pink-Floyd-Film The Wall, wo er den Trauzeugen jenes Charakters spielte, der von Bob Geldof dargestellt wurde.
Nun, da er nicht länger zu Gilmours innerem Kreis zählt, lebt er ein beschaulicheres Leben an der englischen Südküste. „Pip und Emo kümmerten sich um Syd und später dann um David“, erklärt einer ihrer Bekannten. „Sie gaben gut acht auf die beiden, aber kosteten auch die Vorzüge dieser Freundschaft aus. Vor allem in Bezug auf David Gilmour.“ In Pips Fall hieß das, dass der Floyd-Gitarrist für mehrere Drogenentzüge aufkam. Emo hingegen kam in den Genuss einer ausführlichen Behandlung bei Gilmours Zahnarzt. „Pip und Emo waren stadtbekannt“, lacht John Gordon. „Damals waren sie Mods, die ständig mit ihren Motorrollern durch die Gegend flitzten und vor Miller’s, einem Musikladen, abhingen. Wer den Film Quadrophenia gesehen hat: Sie waren beide wie der Typ, den Phil Daniels darstellte. Dave und Syd waren mehr wie Stings Rolle – der coole Typ eben.“
„Ich traf Syd, als er 16 war. Dave war 17, als ich ihn kennenlernte“, sagt Emo, der damals in einem Kohlelager arbeitete. „Ich ging gerne zu Syd rüber, um den ganzen Tag zu kiffen. Dave kannte alle diese Leute aus der Schule, allerdings keine Arbeiterklasse-Typen wie etwa mich. Ich besuchte eine schreckliche Schule und lernte dort genau gar nichts. Wir verstanden uns aber gut, weil ich gerne ein bisschen so wie Dave gewesen wäre. Und ich glaube auch, dass ein Teil von Dave ein bisschen so wie ich sein wollte. Seine Eltern trieben ihn ständig an und er wollte sich davon befreien. Ich hingegen wäre gerne angespornt worden und hätte gerne die Dinge gehabt, die ihm zuteilwurden.“
Ein anderer von Emos betuchten Bekannten hieß Nigel Lesmoir-Gordon, der die Privatschule Oundle besucht hatte, ein paar Jahre älter als Emo war und gemeinsam mit seiner geschiedenen Mutter in Cambridge wohnte. An der Schule hatte Lesmoir-Gordon Konzerte veranstaltet, zum Beispiel auch einen gut besuchten Auftritt des Jazz-Trompeters Humphrey Littleton. In Cambridge organisierte er eine Reihe von Dichterlesungen über dem lokalen Pub Horse and Groom. In den Worten eines Ortsansässigen war er „schrecklich hip“ und sah aus „wie Alain Delon“. Nigel war fasziniert von Syd Barrett. „Ich schaute bei einer dieser sonntäglichen Nachmittags-Sessions in Syds Haus vorbei“, erinnert er sich. „Syd war jünger als wir. Aber wir interessierten uns alle sehr für ihn, was an seinem außergewöhnlichen Äußeren und seinem eigenartigen Charisma lag.“
Zu Lesmoir-Gordon zählte auch eine Gang bestehend aus richtig hippen Jungs, die sich in erster Linie aus Schülern der County und der Perse zusammensetzte. Dazu gehörten unter anderem Andrew Rawlinson, Paul Charrier, David Gale, Seamus O’Connell, Dave Henderson, John Davies, John „Ponji“ Robinson, Anthony Stern, der spätere Pink-Floyd-Coverdesigner Storm Thorgerson sowie der Schriftsteller Nick Sedgwick, dessen Roman von 1989, Light Blue with Bulges, einen Einblick in die Erfahrungen bietet, welche der Autor und seine Freunde zu jener Zeit in Cambridge machten. „Syd hielt Dave Gale immer für einen richtigen Kumpel und er verehrte Nigel Gordon“, erinnert sich Libby Gausden. „Ich glaube, diese Typen hielten uns für einen Haufen ‚Teenybopper‘, weil wir ein bisschen jünger als sie waren. Aber sie waren alle sehr von Syd angetan.“
Die Gruppe hing gerne im Musikladen Miller’s, den Cafés El Patio und Guild, dem Pub Criterion („das Cri“), dem Dorothy Ballroom und ausgesuchten Treffpunkten entlang des River Cams ab. Zwischen 1963 und 1965, so erinnert sich John Davies, „verwandelten wir uns von Schuljungen zu aufstrebenden Beatniks“, die ihre Uniformen gegen schwarze Rollkragenpullover und Lederjacken eintauschten, Miles Davis lauschten, Vespa fuhren und Dope rauchten, das sie amerikanischen GIs, die auf den Air-Force-Stützpunkten in Lakenheath und Mildenhall dienten, abkauften. „Das El Patio war eine der ersten Espresso-Bars“, erklärt Anthony Stern. „Ich verließ die Perse, um dort als Tellerwäscher zu arbeiten, weil ich rebellieren wollte. Erwachsen zu werden, war kein Thema. Also verbrachten wir viel Zeit damit, Dinge zu tun, die Eltern im Normalfall aufregen. So entwickelte sich auch unsere Vorliebe für den Blues. Uns sprach der rebellische Aspekt daran an. Ach, wie gut das war! Eine weitere Möglichkeit, seinen Eltern in den Rücken zu fallen.“
„1962 standen wir alle auf Jimmy Smith“, erklärt Storm Thorgerson. „1963 brachte dann Dope und Rockmusik. Syd war einer der ersten, die auf die Beatles und die Stones abfuhren. Er spielte mit seiner Gitarre auf Partys und ließ einen Hut herumgehen“, entsinnt sich David Gale. „Als ich 16 war, war Syd ein flüchtiger Bekannter. Wir nickten uns zu, wenn wir uns sahen. Das große Ding damals war, wie ein Bohemien auszusehen. Syd erfüllte diesen Anspruch sehr gut. Es gab zwei oder drei Cliquen, die sich während der Schulferien am Fluss trafen. Jede von ihnen hatte ihre bevorzugten Treffpunkte, aber es kam auch zum Kontakt zwischen den einzelnen Gruppen. Wir saßen gerne auf der Grünfläche in der Nähe des Mill Ponds, gleich neben zwei Pubs, dem Mill und dem Anchor. Storms Leute trafen sich in der Regel bei den Badeumkleidekabinen der Männer am Shep’s Green, wo ein paar Sitzbänke und Trauerweiden standen. Es war ziemlich angesagt, sich am Verleih einen Kahn zu organisieren und damit bis runter zu den Grantchester Meadows zu fahren.“ Aubrey „Po“ Powell sollte später mit Storm Thorgerson die Design-Firma Hipgnosis gründen. Er hatte die King’s School im nahegelegenen Ely besucht und die Jungs von der Perse und der County zum ersten Mal bei Cricket- und Rugby-Matches zwischen den jeweiligen Schulen kennengelernt. „Später hatten wir außerdem einen gemeinsamen Freund in Cambridge – eine Drogendealer aus Liverpool namens Nod“, weiß Po zu berichten. „So traf ich diese Typen erneut.“ Nachdem er die Schule hinter sich gelassen hatte, nahm er sich ein kleines Zimmer in jenem Haus in der Clarendon Street, wo zuvor auch John Gordon gelebt hatte“, erinnert er sich noch gut. „Die Leute gingen dort ein und aus. In der Kellerwohnung lebte Sarah, die Schwester des Comedians Peter Cook, weshalb wir auch mit ihr abhingen. Das Haus von Storms Mutter war gleich ums Eck in der Earl Street. Es gab somit also noch diese kleine Enklave, wo wir uns einfinden konnten“, erzählt Po.
Storm Thorgersons Mutter Evangeline war Töpferin und Lehrerin an der Ely Grammar School for Girls und außerdem mit Mary Waters befreundet. Sie lebte getrennt von Storms Vater und so wie Syd genoss auch Storm die Freiheiten, die sich dadurch ergaben. Storm besuchte die äußerst liberale Summerhill Free School in Suffolk, die später von den Medien als „Tu, was du willst“-Schule bezeichnet wurde. „Das bedeutete, dass er für sein Alter immer sehr weit wirkte“, erinnert sich einer seiner Bekannten. „Storm drehte Filme, in denen er seine Freunde als Darsteller einsetzte“, berichtet Anthony Stern. „Einer von Storms Filmen hieß The Mealwhich, den er im Haus meiner Eltern drehte. Es war eine surreale Fantasie-Geschichte, in der Nick Sedgwick ‚gefressen‘ wurde. Nick lag halbnackt auf dem Tisch meiner Eltern, was meinem Vater nicht sonderlich behagte: ‚Anthony, um Himmels Willen, was macht ihr da bloß?‘“
Abgesehen davon, dass sie aus hochgebildeten Familien stammten, hatten viele Mitglieder noch ein weiteres Detail gemeinsam. Storms Vater lebte wie auch Nigels getrennt von seiner Mutter. Die Väter von Syd, Roger Waters und John „Ponji“ Robinson waren verstorben. John Davies erklärt: „Viele von uns hatten Väter, die entweder physisch oder emotional abwesend waren. Oder auch beides.“ Anthony Stern ergänzt: „Beinahe alle von uns hatten Eltern, die den Zweiten Weltkrieg hautnah miterlebt hatten. Mein Vater konnte überhaupt nicht über diese Erfahrung sprechen. Hinzu kam noch, dass man in Cambridge von enormem historischem Gewicht und jeder Menge brillanter Menschen umgeben war. Meine Eltern arbeiteten am St. John’s College. Als Kinder von Akademikern, so wie auch Syd eines war, wuchsen wir mit dem Gefühl auf, dass nichts, was wir jemals tun würden, als gut genug angesehen werden würde. Ich denke, dass viele von uns unter dem litten, was ich mittlerweile als ‚das Cambridge-Syndrom‘ bezeichne.“
Auf sich selbst gestellt, verwandelte Storm Thorgerson sein Zimmer in der Earl Street in etwas, was einer seiner Gäste als „Tankstelle“ für die jungen Beatniks bezeichnete. „Storm zu besuchen, war der Höhepunkt des Abends“, erklärt Emo. „In sein Schlafzimmer passten vielleicht zehn Leute. Wir saßen alle auf dem Boden, rauchten und versuchten, seine Mutter, die nebenan schlief, nicht aufzuwecken.“
„Storm hatte dieses unglaubliche Zimmer“, erinnert sich Po. „Die Wände waren bedeckt mit Graffiti und Montagen aus surrealen Bildern, die er aus Magazinen ausgeschnitten hatte. Das war für damals höchst außergewöhnlich. Aber auch Syds Zimmer war fantastisch. Es war voller Gemälde, kleinen Modellautos und -flugzeugen sowie allem möglichen Kram, den man mit typischen Kunstschülern assoziieren würde. Eines Tages kreuzte ich bei ihm auf und da war diese sechsseitige Doppelpyramide. Das Ding war ziemlich groß, ungefähr einen halben Meter im Durchmesser, und aus Balsaholz. Dann war da noch eins, das vielleicht halb so lang war, sowie ein noch kleineres. Diese drei Objekte hingen von der Zimmerdecke. Er hatte sie selbst gemacht. Absolut perfekte Modelle.“
Po war ebenso angetan von Syds Erscheinungsbild und Benehmen. „Ich werde mich immer daran erinnern, wie er barfuß durch sein Zimmer spazierte, aber eben auf seine eigentümliche Art – auf Zehenspitzen, fast schwebend. Seine Haare hingen ihm ins Gesicht und er hielt eine Zigarette in der Hand. Fast schon elfenhaft. Er hatte seinen eigenen Bekleidungsstil, der verdammt künstlerisch war. Er kreuzte im Pub mit einem blau-weißen Matrosen-Shirt auf und sah aus, als wäre er geradewegs dem Montparnasse der Zwanzigerjahre entsprungen.“
Barrett konnte sich seinen alten Schulfreunden gegenüber ebenso schwer fassbar verhalten wie gegenüber seinen neueren Kumpanen von der Kunstschule. „Er konnte mit einer Gruppe von Leuten unterwegs sein und schlagartig verschwinden“, erklärt Po. „Er teilte niemandem mit, wohin er ging. Dann war man später vielleicht mit ein paar anderen Leuten zusammen – und mit einem Schlag tauchte er wieder auf. Das tat er, so denke ich jedenfalls, nicht absichtlich. Ich glaube, er langweilte sich rasch, weshalb es ihm gefiel, einfach abzuhauen und sein eigenes Ding durchzuziehen. Er hatte einen tollen Sinn für Humor, konnte sich aber auch schlagartig von allem zurückziehen. In der einen Minute saß man noch zusammen in einem Zimmer, um high zu werden, und im nächsten Augenblick war er fort.“
Auch Libby Gausden erinnert sich an derartige Vorfälle: „Anstatt irgendwelchen Einladungen zu folgen, fuhr er weg und setzte sich in die Botanik. Sobald er sein erstes Auto hatte, nahm er mich mit auf Ausflüge zu allen möglichen Flüssen und Hügeln, was ich damals schrecklich öde fand. Aber Syd hatte die Natur eben schon gemocht, als sie den ganzen trendigen Leuten noch egal war.“
Ende 1962 hatte David Gilmour schon ein paar Gigs mit einer lokalen Gruppe namens The Ramblers absolviert, bei der außerdem noch John Gordon an der Rhythmusgitarre und der ehemalige Mottoes-Dummer Clive Welham mit von der Partie waren. „Wir waren sozusagen Halbprofis, spielten und verdienten ein bisschen was“, sagte Welham später. „Dave hatte sich immens verbessert. Als ich ihn ein Jahr zuvor spielen gesehen hatte, war er noch nicht sehr kompetent, doch man merkte, dass er seit damals viel Zeit in sein Spiel investiert hatte.“
„Dave und Syd waren beide Typen, denen man einfach über den Weg lief“, erinnert sich Rick Wills, der in einer von Gilmours späteren Bands Bass spielte. „Ich traf ihn regelmäßig im Musikladen von Ken Stevens, wo wir beide Gitarren ausprobierten und uns dabei zu absoluten Volldeppen machten. Dave hatte eine gewisse Ausstrahlung – mitunter irgendwie arrogant, so als würde er alles wissen. Syd hatte einen sehr individuellen Look. Um ehrlich zu sein, ich nahm ihn eigentlich nie ernst. Er war einer dieser Kunst-Fritzen, die mit einer LP von Bob Dylan unterm Arm durch die Gegend liefen. Ich hielt ihn nicht unbedingt für einen Vorzeige-Rock’n’Roller.“
Andere wiederum – darunter auch Mick Jagger – waren da anderer Ansicht. Libby Gausden begleitete Syd zu einem Stones-Gig in einer Veranstaltungshalle im nahegelegenen Whittlesey. „Mit diesem Auftritt kamen sie wohl einer alten vertraglichen Verpflichtung nach, die sie noch vor ihrem Durchbruch eingegangen waren“, meint Libby. „Nach der Show kam Mick Jagger schnurstracks auf uns zu. Ich weiß das noch, weil er so eine schreckliche, gekünstelte Stimme hatte. Da wir alle aus Cambridge stammten, sprachen wir alle ein schönes Englisch. Mick stellte mir Fragen zu meinen Klamotten. Syd faszinierte ihn jedoch ebenso. Er fand, dass Syd aussah wie ein sehr junger Bill Wyman – dieselben dunklen Haare und sehr dünn.“
Bei einem Konzert von Bob Dylan befand sich auch die Modedesignerin Mary Quant im Publikum. Auch sie sei, wie Libby es ausdrückt, „sehr angetan“ von Syd gewesen. Und auch in Cambridge begeisterten sich ältere Frauen, die sie bei Partys trafen, für Barrett und steckten ihm sogar ihre Telefonnummern zu. „Er rief sie tatsächlich an“, erklärt Libby, „aber wir wollten nur hören, was sie so sagten, um uns darüber lustig zu machen. Er verabredete sich mit ihnen, nur um sie dann zu versetzen.“
Nebenbei war Gilmour auch mit einer Band namens The Newcomers am Start, die zuerst noch als Chris Ian and The Newcomers gespielt hatte. „Dave hatte so eine beschissene alte Burns-Gitarre und einen abgefuckten Amp. Aber es war damals schon offensichtlich, dass er es draufhatte. Er war verdammt gut“, erinnerte sich ihr Sänger Waterson später einmal.
Da Syd Barrett kurz vor seinem Schulabschluss an der Cambridge School of Art stand, drehten sich seine Zukunftspläne nach wie vor eher um die Kunst als um seine Musik. „Ich war aber immer der Meinung gewesen, dass seine Kunst nur etwas war, mit dem er sich beschäftigte, solange er darauf wartete, dass er etwas mit der Musik machen könnte“, sagt Libby Gausden. Im Sommer 1963 reiste Syd nach London, um sich an der Camberwell School of Art zu bewerben, obwohl er dadurch einen Gig der Beatles verpasste. Dieses Opfer zahlte sich aus und er wurde angenommen. „Eigentlich wollte er unbedingt auf die Kunsthochschule in Chelsea, wurde aber abgelehnt“, enthüllt Libby. „Dann fand er aber heraus, dass Camberwell sogar noch angesagter war.“
In jenem Sommer stellte er mit Anthony Stern im Lion and Lamb, einem Pub im benachbarten Milton, Werke aus. Stern, der mittlerweile am St. John’s College studierte, wurde vom Kanzler des King’s Colleges ein Atelier zur Verfügung gestellt. „Er war mit meinen Eltern befreundet, weshalb ich enorm privilegiert war“, erzählt Stern. „Dieser Raum bot mir eine weitere Chance, meinen Eltern zu entkommen, und ermöglichte mir, mich dort mit Mädchen zu verabreden.“ Leider verlief die Ausstellung weniger erfolgreich. „Syds Gemälde waren höchst abstrakt oder Stillleben in Öl auf Leinwand. Meine waren hingegen recht hanebüchene Versuche im Bereich psychotischer Surrealismus. Wir verkauften jedenfalls nichts.“ Jedoch entwickelte sich Sterns improvisiertes Atelier auch für Barrett zu einer Art Refugium. „Syd und ich verbrachten Unmengen Zeit dort. Wir führten endlose Unterhaltungen über Film, Kunst und Musik. Es gab da diesen Typen am St. Catherine’s College namens Reg Gadney, der in seinem Zimmer Beleuchtungskästen anfertigte. Er zeigte uns diese Dinger. Sie waren wie große Fernsehbildschirme, hinter denen sich eine Reihe von mechanischen Gerätschaften und Lichtprojektionen verbargen. Die psychedelische Ära sollte später auf solche Konzepte zurückgreifen und Floyd bauten sie in ihre Bühnenbeleuchtung ein. Syd und ich waren jedenfalls ganz hin und weg.“ Syd hatte bereits mit seinem Freund von der Kunstschule, John Gordon, mit selbstgebastelten Lichtshows experimentiert. Als er in eine in der Clarendon Street gelegene Wohnung zog, machten sich die beiden einen Spaß daraus, Bilder auf ein gegenüber gelegenes Haus zu projizieren.
Anthony Stern sollte in diesem Jahr den Kontakt zwischen Syd und einem anderen aufstrebenden Künstler herstellen. Peter Whitehead, der gerade seinen Universitätsabschluss gemacht hatte, hatte in der Grange Road ein Atelier in Cambridge. Später würde er als Filmemacher die bekanntesten Aufnahmen von Pink Floyd der Syd-Ära drehen. Fürs Erste waren Barrett und seine Freunde aber einfach nur einen Gruppe ohne Namen, die im Raum neben seinem Atelier probte. „Ich glaube, dass Syd eine Affäre mit der Tochter der Hausbesitzer hatte“, sagt Peter heute. „Je lauter sie probten, desto lauter hörte ich meinen Bartók, meinen Janáček und meinen Wagner. Für Popmusik hatte ich nichts übrig. Als Syd herausfand, dass ich Maler war, kam er öfter mal vorbei, um sich mit mir zu unterhalten und sich zu erkundigen, was ich da für Musik horchte. Ich hatte ja keine Ahnung, dass sich unsere Wege später erneut kreuzen sollten.“
Im Herbst zog Barrett schließlich nach London, um die Camberwell zu besuchen. Dort erinnerte man sich später an ihn als enthusiastischen, zielstrebigen Studenten, der das Lehrpersonal und seine Kommilitonen verblüffte, indem er für alle seine Gemälde denselben Pinsel verwendete. Unter seinen Bildern, die er im Sommer 1964 anfertigte, befand sich auch ein Porträt der Popsängerin Sandie Shaw, welches er an ihre Plattenfirma schickte, ohne jemals eine Antwort zu erhalten.
London zeigte sich ihm von seiner aufregenden Seite, doch bei Syds Besuchen in der Heimat kam er wieder in Kontakt mit seinen alten Mitstreitern. In Cambridge hatte Andrew Rawlinson damit begonnen, sich bei „Happenings“, die in der Round Church stattfanden, zu engagieren. Die Beteiligung aller Gäste war bei diesen Events von integraler Bedeutung. Rawlinson kaufte etwa eine große Weltkarte, übertrug die Umrisse von 50 Staaten auf Papierbögen, die er dann an Gleichgesinnte schickte. Er forderte sie auf: „Tobt euch aus und schickt mir dann die Bögen wieder zurück.“ Syd wurde Russland zugesandt. Er malte es pflichtbewusst blau aus und ließ sein Werk daraufhin wieder dem Absender zukommen. Später schickte er Rawlinson ein Buch, das er selbst gestaltet hatte und welches den Titel Fart Enjoy trug und aus sieben Seiten Karton bestand. Es umfasste Kurzgedichte, Skizzen, Bilder aus Magazinen sowie eine als Brief getarnte Parodie mit dem Titel „Dear Roge“. Neben dem Foto eines barbusigen Modells waren die Wörter „Fuk, Suk and Lik“ gekritzelt. Rawlinson beschrieb dieses Machwerk als „eine Mischung aus grenzwertig Abstraktem und lodernder Launenhaftigkeit“.
Egal, wie sehr Syd sich seiner Kunst verschrieben hatte: Er kehrte dennoch regelmäßig an seine alten musikalischen Betätigungsstätten in Cambridge zurück. Während der Sommerferien, als er sich gerade in Cambridge aufhielt, stieg er bei The Hollerin’ Blues (manchmal auch als Barney and The Hollerin’ Blues unterwegs) als Gitarrist ein. So kam er in Kontakt mit dem 16-jährigen Matthew Scurfield, dem Halbbruder von Ponji Robinson und Schulfreund des Mundharmonika-Spielers von The Hollerin’ Blues, Pete Glass. Scurfield sollte später als Schauspieler im Theater, im Film und im Fernsehen auftreten. „Meinen Vater hätte man einen ‚romantischen Sozialisten‘ nennen können. Er schickte mich in eine sehr strenge Secondary Modern School in Cambridge“, sagt er heute. „Ich scheiterte bei meinem 11-plus und stieg danach beinahe überhaupt aus. Meine Tante war eine regional sehr bekannte Psychiaterin und ich vertickte im Criterion Medikamente, die ich aus ihrem Arzneischrank geklaut hatte.“ Durch diesen – wie er es selbst nennt – „illegalen Handel mit medizinischer Schmuggelware“ lernte er Pip und Emo kennen. Diese wiederum stellten ihm eines Abends Syd vor. „Wir verstanden uns sofort blendend, weil wir uns beide fürs Theater interessierten. Syd und ich fanden heraus, dass sowohl er als auch ich kleine Modell-Theater gebaut hatten. Ponji und ich freundeten uns gut mit ihm an. Ich wusste nicht einmal, dass er Musiker war, bis ich mir an einem Ort wie vielleicht dem Dorothy Ballroom The Hollerin’ Blues ansah. Plötzlich stand Syd mit einer Gitarre vor mir. Er war zwar nicht der beste Gitarrist der Welt, doch ihm haftete definitiv eine gewisse Aura an.“
Anfang 1965 hatte sich die Band schließlich in Those Without umbenannt – und Syd verstärkte die Gruppe an der Gitarre, wann immer er während seiner Ferien in der Stadt war. „Wir absolvierten ein paar unserer besten Auftritte mit Syd und zwar im Cellars und im Victoria Ballroom“, erinnert sich Drummer Stephen Pyle. „Er war auf Besuch aus London da und hatte sich eine neue Fender und einen großen Vox-Amp zugelegt. Inzwischen war auch die Kinks-Single ‚You Really Got Me‘ erschienen und Syd fuhr total darauf ab. Während der Probe spielte er den Song immer und immer wieder.“
Inzwischen schmiedete David Gilmour seine eigenen Pläne. Falls er seine A-Level-Prüfungen bestünde, könnte er die Uni besuchen, womit er sich von der lokalen Musikszene verabschieden müsste. Gilmour beschloss jedoch auf halbem Weg durch die Examen, die Schule zu verlassen. Mittlerweile waren seine Eltern endgültig aus den USA zurückgekehrt und er lebte alleine in einer Wohnung in der Mill Road. Außerdem hatte er eine neue Band namens Jokers Wild, die sich um ihn, John Gordon und Clive Welham herum formiert hatte.
Während es Syd nach London verschlug, zog es Gilmour also vor, zu bleiben. Die Stärke von Jokers Wild bestand in ihren fünfstimmigen Harmonien. „Wir taten uns zusammen, weil wir alle singen konnten“, sagte Welham. Ihr Set legte den Schwerpunkt auf Songs von den Four Seasons, Sam and Dave und den Beach Boys und sie traten in jedem Club, bei jeder Party und auf jedem Luftwaffenstützpunkt auf, wo man sie haben wollte. Zusätzlich spielten sie auch noch jeden Mittwoch im Les Jeux Interdits, einem Club im Victoria Ballroom, der bei ausländischen Studenten von benachbarten Colleges sehr beliebt war. „Ich glaube, dass wir irgendwann sogar alle ausländische Freundinnen hatten“, wusste Clive zu berichten.
Die Originalbesetzung umfasste Gordon, Welham sowie den Keyboarder und Saxofonisten Tony Dave Altham und den Bassisten Tony Sainty, der später sowohl von Rick Wills als auch Davids Bruder Peter abgelöst wurde. Gilmour mag vielleicht schüchtern und bescheiden gewirkt haben, doch seine Erscheinung machte es schwer, ihn zu übersehen. „Dave war immer ein wenig properer zurechtgemacht als Syd“, erinnert sich John Gordon. „Er sah studentisch aus, etwas amerikanisch vielleicht inklusive weißer Levi’s. Richtig adrett. Das kam bei Frauen gut an.“
„Alle Mädchen verzehrten sich nach ihm“, sagt Christine Smith (ehemals Bull), die der Band zum ersten Mal im Alter von 17 in Cambridge begegnete. „Wir nannten ihn damals Adonis.“ Als Gilmours Eltern in den USA weilten, lud Christines Familie David und Peter gerne zu sich nachhause ein, so etwa auch einmal zu Weihnachten. „Sie brachten ihre Gitarren mit und wir unterhielten uns stundenlang“, erinnert sich Christine.
Eine Anzeige, die Anfang der Sechzigerjahre in der Pop-Zeitschrift Rave erschien, gibt Aufschluss über die Beliebtheit, der sich David Gilmour damals erfreute. Libby Gausdens Schulfreundin Vivien Brans (auch bekannt unter ihren Spitznamen Twig und Twiggy) hatte sie in Auftrag gegeben: „Letzten Juni habe ich einen Jungen namens David Gilmour in Cambridge kennengelernt. Er spielte in einer Gruppe mit Namen Jokers Wild. Er meinte, er wolle nach London ziehen, und trug immer Bluejeans mit Aufnähern. Wenn jemand weiß, wo er ist, soll er oder sie ihm bitte ausrichten, dass er dem Mädchen mit den langen blonden Haaren schreiben soll, das ihm dabei geholfen hat, seinen Van auf der Guest Road anzuschieben, damit er anspringt. Sagt ihm, dass Vivien sich freuen würde, von ihm zu hören, wenn er sich noch an sie erinnert.“ 1964 sollte Vivien schließlich Gilmours langjährige Freundin werden.
Die zunehmende Popularität des Sängers veranlasste sogar Beatles-Manager Brian Epstein, einen Talent-Scout in den Victoria Ballroom zu entsenden. Epstein entschied sich schlussendlich dagegen, ihn unter Vertrag zu nehmen, doch da ihm sein Ruf bereits vorauseilte, war nun auch das Interesse anderer Szenemusiker an Gilmour geweckt worden. Hugh Fielder, der inzwischen Musikkritiker ist, aber damals bei der lokalen Formation The Ramblin’ Blues sang, heuerte Gilmour an, als der Gitarrist seiner Band 1965 unmittelbar vor einem Gig an einer Mädchenschule den Rücken kehrte. „Mädchen hatten bei unseren Konzerten auch schon zuvor gekreischt“, erinnert sich Fielder, „und wir wollten, dass das auch so bliebe. Gilmour war fantastisch.“ Es gab nur ein Problem: „Leider wollte er von uns so viel Kohle, wie wir für den ganzen Auftritt bekommen sollten.“
Den Beatles und den Rolling Stones war es gelungen, Roger Waters’ unterkühlte Einstellung dem Rock’n’Roll gegenüber aufzutauen. Eines Abends waren er und Barrett nach London gereist, um ein geballtes Rock’n’Roll-Paket bestehend aus den Stones, Helen Shapiro und Gene Vincent im Gaumont State Cinema in Kilburn zu bestaunen. Dem mürrischen, in Leder gewandeten Gene Vincent fehlte der Charme des hübschen Jungen, wie ihn etwa auch Elvis ausstrahlte. Vielmehr war er ein Alkoholiker, der sich bei einem Motorradunfall das linke Bein schwer beschädigt hatte und nun stark hinkte. Es kursierten Storys, dass Vincent von seinem Bodyguard in einen Teppich eingewickelt und auf die Bühne getragen hätte werden müssen, da er sich geweigert hätte, seinen Auftritt abzuspulen. Vielleicht hinterließ Vincents Outsider-Image und sein angeschlagenes Auftreten ja einen bleibenden Eindruck auf Barrett und Waters. Was auch immer es war, während der Zugfahrt zurück nach Cambridge begannen die beiden, Gitarrenverstärker zu skizzieren, wie sie das Duo für ihre gemeinsame Rock’n’Roll-Band haben wollten.
Als aber Syd schließlich in London landete, spielte Roger bereits in einer Band. Ohne Barrett und Gilmour beziehungsweise deren Gespür für Kunst und Musik war Waters bei der Suche nach Möglichkeiten, die County hinter sich zu lassen, so ziemlich auf sich allein gestellt. Als er Syd mit den Mottoes sah, erklärte er, dass er gerne ein wenig mehr in die Mitte der Gesellschaft streben wollte. Nachdem er seinen Plan aufgegeben hatte, an der Uni von Manchester Maschinenbau zu studieren, unterzog er sich einer Reihe von Eignungstests, die am National Institute of Industrial Psychology ausgewertet wurden. Schließlich teilte man ihm mit, dass er wie geschaffen dafür sei, Architektur zu studieren.
Als Vorgeschmack darauf arbeitete Waters mehrere Monate in einem Architekturbüro im benachbarten Swavesy, bevor er sich am Londoner Regent Street Polytechnic in der Titchfield Street nahe dem Oxford Circus einschrieb. Mitsamt seiner Gitarre kam er in ein paar heruntergekommenen Studentenbuden unter, dazu gehörte auch ein Squat ohne warmes Wasser nahe der King’s Road. Wie einer seiner späteren Bandkollegen erörtern sollte: „Roger wollte sich selbst befreien, wusste aber nicht, wie er das anstellen sollte.“ Ab dem Frühjahr 1963 fand er sich jedoch in einem Zirkel gleichgesinnter Studenten wieder, der unter anderem auch einen Schlagzeuger, nämlich einen gewissen Nick Mason, sowie einen Keyboarder, Richard Wright, umfasste.
Nicholas Berkeley Mason war am 27. Januar 1944 in Edgbaston am Rande Birminghams geboren worden. Sein Vater Bill war Mitglied der kommunistischen Partei und ein ehemaliger Arbeitnehmervertreter der Association of Cinematographic Technicians. Nachdem er einen Job als Dokumentarfilmer angenommen hatte, zog er mit seiner Frau Sally und ihrem gemeinsamen zweijährigen Sohn Nick nach Downshire Hill im Nordlondoner Vorort Hampstead Garden. Drei Töchter – Sarah, Melanie und Serena – sollten später das Familienglück noch vervollkommnen.
Bill sammelte alte Autos und war Motorsportfan, der selbst Amateur-Rennen bestritt. Passenderweise war eine seiner frühen Arbeiten Le Mans eine Dokumentation über das französische 24-Stunden-Rennen aus dem Jahr 1955. Die Autosammlung der Masons war nicht der einzige Hinweis auf ihren Wohlstand. So wie auch seine anderen zukünftigen Bandkollegen wuchs Nick relativ betucht auf. Vermutlich kann man sogar sagen, dass es ein bisschen mehr als nur das war. Pink Floyds erster Manager sollte sich später erinnern: „Ich weiß noch, dass ich enorm beeindruckt davon war, dass Nicks Eltern einen Pool hatten.“
Auch Nicks musikalischer Werdegang begann mit Bill Haley, Elvis Presley sowie dem regelmäßigen Genuss von Radio Luxemburg. Er lernte, Geige und Klavier zu spielen, trat aber an keinem der beiden Instrumente als außerordentlicher Könner in Erscheinung. Später erhielt er ein Schlagzeug und wurde Mitglied einer spontan entstandenen Band namens The Hot Rods, deren Repertoire kaum mehr als das unermüdliche Wiederholen der Titelmelodie der Fernsehserie Peter Gunn umfasste.
Im Alter von elf Jahren besuchte Mason die Frensham Heights, ein gemischtes Internat, das sich damit rühmte, dass es dort weder Uniformen noch Wettbewerb gab und die Lehrer und Schüler sich gegenseitig mit Vornamen ansprachen. Im Vergleich mit den Erfahrungen, die etwa Waters an der zugeknüpften County hatte machen müssen, gestaltete sich Masons Zeit an der Frensham Heights doch um einiges entspannter. „Ich genoss meine Zeit an der Frensham“, schrieb er 2004. „Es war einigermaßen traditionell, zumindest in Bezug auf die Blazer und die Examen, aber der Bildungsansatz war schon sehr liberal.“ Mason vertiefte sich nicht ganz so fest in seine akademische Ausbildung, wie es vielleicht von ihm erwartet worden wäre. Stattdessen wurde sein musikalisches Interesse zuerst von Modern-Jazz- und später Bebop-Schallplatten, die im Gemeinschaftsraum liefen, angefeuert. Im Alter von 14 setzte er sich wieder hinters Schlagzeug, doch dieses Mal unter seinen eigenen Bedingungen. „Ich hatte nie irgendeinen offiziellen Unterricht“, erklärte er später. „Ich halte das für einen großen Fehler. Die einfachste Art und Weise, etwas zu erlernen, ist, wenn es einem ordentlich beigebracht wird.“
Nachdem er die Schule beendet hatte, wandte sich Nick ab 1962 für fünf Jahre dem Architekturstudium am Regent Street Polytechnic zu. Vielleicht hatte das ja auch damit zu tun, dass Frank Rutter, der Vater seiner damaligen Freundin und zukünftigen Ehefrau, ein angesehener Architekt war. Sogar damals schon und obwohl er wieder Schlagzeug spielte, zeigte er nicht denselben brennenden Ehrgeiz, Musiker zu werden, wie ihn etwa ein David Gilmour an den Tag legte. Mason ließ einen Interviewer Jahre später wissen: „Ich bin ein gutes Beispiel dafür, dass Dinge auch dann gut laufen können, wenn man sie nicht wirklich versucht – indem man einfach nur Glück hat.“
Nicks größte Leidenschaft – noch vor Musik oder Architektur – waren aber die Autos. Er fuhr etwa in einem Austin Chummy von 1930 zum Polytechnic. Mason schrieb 2004 in seinem Buch, dass dieses Auto der Grund dafür gewesen sei, dass Roger Waters sich dazu herabgelassen habe, mit ihm zu sprechen. Waters habe sich den Wagen sogar ausborgen wollen, doch Mason habe ihm diesen Wunsch verweigert und behauptet, dass das Vehikel vorübergehend nicht fahrtauglich sei. Kurz darauf habe Roger Nick erspäht, wie dieser hinter dem Steuer des Wagens gesessen habe. Trotzdem entwickelte sich eine Freundschaft, nachdem die beiden für ein gemeinsames Projekt zusammengespannt worden waren.
Im September 1963 hatten die Poly-Studenten Keith Noble und Clive Metcalfe ihre Fühler nach gleichgesinnten Studenten ausgestreckt und eine Nachricht ans schwarze Brett der Schule gepinnt. „Da stand geschrieben: ‚Wer hat Lust, eine Band zu gründen?‘“, erinnert sich Clive Metcalfe. Zu jener Zeit hatten Noble und Metcalfe schon einiges mehr an Erfahrung als ihre zukünftige Rhythmussektion. „Keith und ich sangen zusammen in einer Bar in der Albemarle Street in Picadilly. Wir sangen alles von den Beatles bis hin zu Peter, Paul and Mary, R&B oder zwölftaktigem Blues. Ich besuchte ja eigentlich die Chelsea School of Art, aber damals wurde gerade das Gebäude renoviert, weshalb unser Unterricht am Regent Street Poly stattfand.“
Da sie das Duo erweitern wollten, fingen Noble und Metcalfe an, im Gemeinschaftsraum mit den Leuten zu proben, die auf den Aushang reagierten. Darunter befanden sich auch Mason und Waters (damals spielte er mehr schlecht als recht Gitarre) sowie Keith Nobles Schwester Sheilagh. „Sheilagh sang mit Keith, aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass sie instrumental viel beigesteuert hätte“, sagt Metcalfe. „Roger war als Musiker noch nicht sehr weit, weshalb ich, nachdem ich zuerst noch Lead- und Rhythmusgitarre gespielt hatte, an die Bassgitarre wechselte, weil mir auffiel, dass wir einen Bassisten brauchten.“
Die Band entschied sich für den Namen The Sigma 6, nachdem die Band um einen weiteren Poly-Studenten, nämlich den Keyboarder Richard William Wright, ergänzt worden war und von nun an als Sextett am Start war.
Wright war am 28. Juli 1943 als Sohn des Biochemikers Robert, der bei Unigate Dairies beschäftigt war, und seiner Frau Daisy zur Welt gekommen. Die Wrights lebten in Hatch End, Pinner, im Norden Londons. Pinner war auch die Heimat von Reg Dwight, der einmal als Elton John bekannt werden würde, sowie viel später auch von Simon Le Bon, dem Leadsänger von Duran Duran.
Nach der privaten Grundschule St. John’s wurde Richard an der gebührenpflichtigen Grammar School Haberdasher Aske’s eingeschrieben, die sich damals in Hampstead befand und mittlerweile nach Elstree verlegt wurde. Als Richard schließlich das Teenager-Alter erreichte, erlernte er Posaune, Saxofon, Gitarre und Klavier und besuchte regelmäßig traditionelle Jazz-Konzerte in der Railway Tavern im nahegelegenen Harrow and Wealdstone, wo bald schon die Karriere von The Who ihren Ausgang nehmen sollte. „Ich stand eigentlich überhaupt nicht auf Pop“, bekannte er später. „Ich hörte Jazz. Die Musik, die mich anregte, selbst Musiker werden zu wollen, stammte von Coltrane, Miles Davis und Eric Dolphy.“
Es begann ein kurzes Engagement als Botenjunge für die ortsansässige Kodak-Fabrik in Harrow Wealdstone, doch da er sich nicht sicher war, was er mit seinem Leben anfangen sollte, folgte Richard blindlings dem Vorschlag seines Berufsberaters und schrieb sich als Architekturstudent am Regent Street Poly ein. Jahre später sollte er eingestehen, dass er sich nie wirklich dafür begeistern hatte können, Architekt zu werden.
Da er damals kein eigenes Keyboard besaß, hing Wrights Rolle jeweils davon ab, ob die Location, in der die Band auftreten sollte, über ein eigenes Klavier verfügte. In der Regel fanden ihre Auftritte im Rahmen von Geburtstagspartys oder anderer privater Anlässe statt. Nachdem Sheilagh Noble die Band verlassen hatte, stieg Wrights Freundin Juliette Gale, die damals ebenso am Poly studierte, als gelegentliche Sängerin ein. „Juliette war nett und sang hervorragend“, erinnert sich Clive Metcalfe. „Sie war eine gute Blues-Sängerin und sang Sachen wie etwa ‚Summertime‘. Rick Wright war ein unglaublich stiller Typ. Ich denke nicht, dass wir ihn je wirklich kennenlernten.“
Noch bevor das Jahr vorüber war, heuerte die Band einen Manager und gelegentlichen Songwriter an. Es handelte sich dabei um ihren Mitstudenten Ken Chapman, der der Band seine Eigenkompositionen aufdrängte, damit sie sie in ihr Repertoire aus R&B-Nummern einbaute. Waters erinnert sich daran, dass einer seiner Songs der Melodie von Beethovens Für Elise folgte. Chapman verschaffte der Band darüber hinaus auch ein Vorspielen bei Gerry Bron, der damals als Musikverleger tätig war und später Bronze Records aus der Taufe heben sollte. „Er hielt die Songs für ziemlich gut, meinte aber, dass wir die Band vergessen sollten“, erinnert sich Nick Mason. „Wenn wir damals auf irgendwen gehört hätten, der über ein bisschen Musikgeschmack verfügte, hätten wir auf der Stelle das Handtuch werfen müssen. Allerdings waren wir so auf uns bezogen, dass wir einfach weitermachten.“
Im Verlauf des folgenden Jahres gab es etliche Namensänderungen. Angeblich trug die Formation Namen wie The Megadeaths und The Screaming Abdabs (später zu The Abdabs verkürzt). Für ein Interview, das The Abdabs einer Studentenzeitschrift gaben, wurde die Band fotografiert, wie sie linkisch neben einem Laternenpfosten in der Great Titchfield Street posierte. Waters, der Rock als „Beat ohne Ausdruck“ verunglimpfte, trug seine schwarze Lederjacke, die an Dylan erinnerte, sowie einen verächtlichen Gesichtsausdruck.
„Es war nicht einfach für mich mit Roger“, gesteht Clive Metcalfe. „Nick Mason war sehr umgänglich, aber Roger war irgendwie übel drauf und ich stellte für ihn ein leichtes Ziel dar. Ich war am Land aufgewachsen und entstammte einem eher behüteten Umfeld. Roger war Dummköpfen gegenüber nicht sehr tolerant und ich fürchte, dass es nicht schwierig für ihn war, mich wie einen Dummkopf wirken zu lassen.“
„Ich bin mir nicht sicher, ob ich mir bewusst war, dass ich so bedrohlich wirkte“, erklärte Waters später. „Obwohl ich mir vorstellen kann, dass ich aus einem Gefühl der Unsicherheit heraus versucht haben könnte, dieses Image zu kultivieren. Als junger Mann hatte ich so große Angst vor allem, dass ich ein wenig aggressiv wurde.“
Parallel zu seinem Architekturstudium nahm Wright Privatstunden in Musiktheorie und Komposition an der Eric Gilder School of Music. Als er begriff, dass die Architektur nicht seine Berufung war, ging er am Ende des ersten Studienjahrs von Bord (manche berichten, er wäre über die Planke geschickt worden). „Ich schmiss vor lauter Langeweile das Handtuch“, erörterte er später einmal. „Also reiste ich zum Beispiel nach Griechenland. Im Anschluss daran begab ich mich wieder nachhause, um mir ein wenig Kohle als Innenarchitekt und privater Dekorateur zu verdienen. Aber ich war sehr unglücklich damit, weshalb ich mich für ein Musikstudium entschied.“ Wright schrieb sich irgendwann tatsächlich am Royal College of Music in London ein. Währenddessen versuchten Waters und Mason, sich in ihrem Studium zurechtzufinden. Vor allem Waters war nicht weniger frustriert von seinen Lehrern am Poly, als er es schon an der County gewesen war, wobei er in erster Linie Probleme mit dem Dozenten für Architekturgeschichte hatte. „Es muss schrecklich gewesen sein, mich zu unterrichten“, gab er später zu. „Ich war sehr aufsässig. Es war wieder wie zu Schulzeiten und ich hatte gehofft, das alles hinter mir gelassen zu haben.“
Und doch gab es auch zwei Dozenten, denen Waters keine Verachtung entgegenbrachte. Der eine – sein Jahrgangsstufenleiter – ermutigte ihn, seine Gitarre in den Unterricht mitzubringen, und erlaubte ihm, sie in der Klasse zu spielen. Der andere war der Architekt Mike Leonard, der Teilzeit am Polytechnic und am Hornsey College of Art unterrichtete. Er war ein fähiger Pianist und interessierte sich – obwohl 15 Jahre älter als seine Studenten – für die avantgardistischeren Bereiche der Musik. Außerdem weckte es Waters’ Neugier, dass Leonard mit Beleuchtungseffekten experimentierte: Nicht nur entwarf und baute er Vorrichtungen aus Glas und Akrylglas, sondern brachte außerdem auch mit Öl beschmierte Dias zum Einsatz.
Leonards Haus, Stanhope Gardens 39, in Highgate, war groß genug, um einen Proberaum beherbergen zu können. Außerdem brauchte er Untermieter, um die Hypothek abstottern zu können. Mason und Waters waren schließlich die ersten, die einzogen.
Die Ankunft von Gitarrist Bob Klose – David Gilmours Freund aus Kindertagen – kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Klose hatte regelmäßig in einer Band in Cambridge– Blues Anonymous – gespielt und sich zu einem hochgeschätzten Gitarristen entwickelt. Jedoch führte sein Auftauchen auch dazu, dass Clive Metcalfe und Keith Noble wieder damit begannen, als Duo zu arbeiten. „Bob war einer jener Gitarristen, die meiner Meinung nach ein wenig zu vorwitzig wurden“, erklärt Metcalfe. „Mit mir und Keith in der Band funktionierte der Sound der Band einfach nicht.“ Im selben Jahr schrieben Metcalfe und Noble „A Summer Song“, das in den USA zu einem Top-40-Hit für Chad and Jeremy werden sollte. Klose zog in Leonards Haus und stieg als Gitarrist ein, was dazu führte, dass Waters an den Bass wechselte.
Bob Klose war natürlich nicht der einzige, den es von Cambridge in die britische Hauptstadt verschlug. Nachdem er sich an der Camberwell School of Art eingeschrieben hatte, zog auch Syd in Michael Leonards Haus, wo er sich ein Schlafzimmer mit seinem alten Schulfreund Roger Waters teilte. Richard Wright und Juliette Gale sollten bald folgen, während Nick Mason zurück in das Haus seiner Eltern in Hampstead – mitsamt dem Swimmingpool – zog. Für seine Bandkollegen aus Cambridge war der erste Besuch im Domizil ihres Schlagzeugers eine mittlere Überraschung. „Die Band hatte ja kaum genug Geld, um sich das Benzin für die Fahrt zu ihm leisten zu können“, erinnert sich Libby Gausden. „Als wir bei Nick ankamen, wurden wir herzlich willkommen geheißen – und zwar von der Art Leute, von der man sich das gar nicht erwarten würde. Da standen wir in unseren schwarzen Klamotten und hielten uns für Beatniks. Ich weiß noch, dass Nick ein sehr gutes Schlagzeug besaß und Geld für Verstärker hatte. Seine Eltern freuten sich für ihn, dass er in einer Band spielen konnte. Auf uns aus Cambridge wirkte es so, als hätten Londoner einfach nur Geld.“ Mike Leonards Haus war voller exotischer Musikinstrumente, Ritterrüstungen, Beatnik-Bücher und Jazz-Platten. Außerdem lebten da auch noch seine beiden Katzen Tunji und McGhee. Dieses Ambiente entsprach Syds Vorliebe für Bizarres. Während Leonard im ersten Stock wohnte und arbeitete, probten Barrett, Mason, Waters und Klose im Erdgeschoss. „Der Lärm war phänomenal“, sollte Leonard 1991 berichten. „Die Nachbarn schickten uns die Polizei und Vertreter der Stadt vorbei. Dann erhielten wir einen Brief, in dem stand, dass jemandes Gesundheit unter der Belästigung gelitten hätte.“
Unbeirrt setzte die Band, die sich mittlerweile The Spectrum Five nannte, ihr Treiben fort, während Barrett und Waters Leonard fasziniert mit den Prototypen seiner Beleuchtungsapparate halfen. Die Band steuerte auch die Musik für Mikes Experimente im Rahmen des Sound and Light Workshops am Hornsey College of Art bei. Mike beteiligte sich wiederum gelegentlich an den Proben und sprang als Organist ein. Doch abgesehen von ein paar Auftritten mit der Band in einem örtlichen Pub hatte er kein Bedürfnis, ein Popstar zu werden. „Ich war ein wenig zu alt und hatte nicht das richtige Image“, meinte er. Stattdessen beschränkte er sich darauf, die Band zu ermutigen, während er über Barretts Streiche staunte und mehr schlecht als recht versuchte, ein sonntägliches Mittagessen zuzubereiten: „Da landete schon mal ein ungekochter Kohlkopf auf deinem Teller.“ Die Band nannte sich zu Ehren ihres Vermieters sogar kurzfristig Leonard’s Lodgers. In der Zwischenzeit war es Barrett zu viel geworden, sich ein Zimmer mit Waters zu teilen, weshalb er mit einem Freund aus Cambridge, David Gale, ein möbliertes Zimmer in der Tottenham Street 12 bezog. In derselben Straße wohnte mit Seamus O’Connell noch ein weiterer Freund von früher mit seiner Mutter Ella.
„Das war so ein heruntergekommener Häuserblock unweit der Tottenham Court Road“, sagt Seamus heute. „Ich war bis zu den O-Level-Examen ein guter Schüler an der County, doch danach ließ ich aufgrund familiärer Probleme doch etwas nach. Meine Mutter beschloss, nach London zu ziehen, und ich ging mit ihr. Ich lebte also in dieser Wohnung und bereitete mich auf die A-Level-Prüfungen vor, als David und Syd in unserer Nähe einzogen.“
Während Barrett sich jeden Morgen zur Camberwell begab, studierte Gale am Royal College of Art Film und arbeitete nebenher bei Better Books, einem Laden in der Charing Cross Road und zu jener Zeit die erste Anlaufstelle für Beat-Literatur und -Magazine. Nachts trafen sich die beiden wieder in ihrem „dreckigen, kleinen Zimmer“, wie Gale es zu nennen pflegte. Ein Besucher erinnert sich: „Obwohl keine der Wohnungen, in denen wir damals hausten, irgendeine Art von häuslichem Komfort vorzuweisen hatte, war ihre die einzige, in der es tatsächlich Kakerlaken gab.“
Inzwischen war auch Richard Wright, der sich eine kurze Auszeit gegönnt hatte, um sich auf sein Studium zu konzentrieren, wieder zurück als Keyboarder der Leonard’s Lodgers. Außerdem feierte er seinen eigenen musikalischen Durchbruch, nachdem er einen seiner Songs, „You’re the Reason Why“, an das Liverpooler Gesangstrio Adam, Mike and Tim für eine stattliche Summe von 75 Pfund hatte verkaufen können.
Doch war der Posten des Leadsängers nach wie vor vakant. Juliette Gale hatte inzwischen das Poly verlassen, um an die Universität in Brighton zu wechseln. Barrett und Klose teilten sich den Gesang, doch bald schon wurde ihnen klar, dass sie einen ordentlichen Frontmann für sich gewinnen mussten, weshalb Syd sich an Geoff Mottlow wandte, der aber gerade erst selbst einen Hit mit den Boston Crabs gehabt hatte und ihnen absagte. Klose schlug vor, sich an einen anderen Cambridger zu wenden. Chris Dennis hatte in lokalen Bands wie den Redcaps gesungen und arbeitete nun als Techniker bei der Royal Air Force. Außerdem konnte er von sich behaupten, in der ersten elektrisch verstärkten Band Maltas, den Zodiacs, gespielt zu haben, während er auf der Mittelmeerinsel stationiert gewesen war. Er war ein wenig älter als seine mittellosen Bandkollegen aus dem Studentenmilieu und besaß außerdem eine PA-Anlage von Vox. „Es war offenkundig, dass ich es war, der sich ihnen anschloss“, sagt Dennis heute.
„Sie wollten sich strikt auf Blues beschränken – Slim Harpo, Lightnin’ Hopkins, Howlin’ Wolf. Das war ein Sound, der damals in Großbritannien de facto unbekannt war. Ich stand aber, nachdem ich die Rolling Stones im Rex Ballroom in Cambridge gesehen hatte, viel mehr auf Rhythm and Blues. Das war viel eher mein Ding.“
Dennis nahm an den Proben in Mike Leonards Haus teil und blieb für sechs Monate bei der Band, mit der er in dieser Zeit ungefähr ein Dutzend Gigs spielte, darunter etwa auch als Vorgruppe von Jeff Becks Band, The Tridents. „Bei vielen Bands fällt einem auf, dass es in der Gruppe jemanden gibt, der nur deshalb dabei sein darf, weil er mit den anderen befreundet ist – und zuerst dachte ich, dass dies auf Syd zutreffen würde. Er sang ein paar Nummern, zum Beispiel ‚No Money Down‘ von Chuck Berry, jedoch fehlte es ihm an Präsenz. Roger war der Anführer. Er war es auch, der mir sagte, was ich singen und welche Songs ich lernen sollte.“
Später sollte die Band behaupten, dass Dennis’ witzelnde Art, sich auf der Bühne zu artikulieren, zunehmend problematisch geworden sei. So habe er sich etwa selbst Abwandlungen der Songtitel, darunter auch „Smokestack Lightning“ von Howlin’ Wolf, einfallen lassen. Dennis sieht die Sache anders: „Sie hatten nicht gerade einen sonderlich ausgeprägten Sinn für Humor“, insistiert er. „Aber tatsächlich sind viele dieser alten Blues-Songs sehr witzig. Sie bestanden darauf, dass ich mir keine neuen Songtitel mehr einfallen lassen und dem Publikum nur die Originaltitel ansagen sollte. Ich meinte darauf: ‚Warum? Sie kennen die Songs ohnehin nicht.‘ Um ehrlich zu sein, ich denke nicht, dass das damalige Publikum bereit war für stampfenden Blues mit wunderlichen Texten.“
Es war auch während Chris Dennis’ Zeit bei der Band, dass sie sich Bandnamen zulegten, die Variationen ihres späteren Namens darstellten. Syd kombinierte dazu die beiden Namen zweier Blues-Musiker aus North Carolina, Pink Anderson und Floyd Council. Er hatte bereits seine beiden Katzen, Pink und Floyd, nach ihnen benannt. 1965 und Anfang 1966 firmierte die Gruppe nun unter Namen wie The Pink Floyd Blues Band, The Pink Floyd Sound und The Tea Set, auch T-Set geschrieben. Obwohl Chris Dennis felsenfest behauptet: „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir uns jemals The T-Set genannt hätten. Jedoch weiß ich noch, dass Syd zu einer Probe erschien und uns mitteilte, dass er sich einen Namen ausgedacht hätte – Pink Floyd. Zuerst gefiel mir der Name nicht. Später gewöhnte ich mich daran. Doch am Anfang erschien er mir einfach nicht passend.“
Es wird weithin angenommen, dass der erste Gig, den die Band unter irgendeiner Variation des Pink-Floyd-Namens bestritt, im Count Down in Palace Gate, Kensington, im Februar 1965 stattgefunden hat. Die Band absolvierte drei jeweils 90 Minuten lange Sets und erhielt dafür einen Hungerlohn von gerade einmal 15 Pfund. Um das Mysterium rund um den Namen der Gruppe noch nebulöser zu machen, behauptete ein Freund Syds von der Kunstschule in Cambridge, Richard Jacobs, dass Syd sich den Namen bereits 1963 ausgedacht hätte. „Ich weiß noch ganz genau, dass er in den Gemeinschaftsraum kam und mir erklärte, dass ihm ein Name für die Band, die er gründen wolle, eingefallen sei: Pink Floyd. Er verkündete mir das, als hätte er während der Mittagspause eine Art Epiphanie gehabt.“ 1967 hatte sich die Geschichte aber dahingehend verändert, dass Syd leichtgläubigen Interviewern weismachte, ihm wäre der Name von einer vorbeifliegenden Untertasse während einer Meditationssitzung an einer alten heiligen Stätte ins Hirn übertragen worden.
Und erneut standen der Band einschneidende Veränderungen bevor. Waters, der unglücklich über die parodistischen Titel war, die Chris Dennis sich für die Blues-Standards in ihrem Repertoire einfallen ließ, bestand darauf, dass Klose ihn feuern sollte. Noch bevor es dazu kam, teilte der Sänger der Band mit, dass die Luftstreitkräfte ihn nach Bahrain schicken würden. „Ich wäre ohnehin nicht mehr viel länger bei ihnen geblieben“, behauptet er. „Als ich aus Bahrain zurückkam, sah ich eine LP von Pink Floyd in den Läden stehen. Als ich sie mir reinzog, sprach sie mich überhaupt nicht an. Die Art Musik, die Syd später spielte, überraschte mich total.“
Nach Dennis’ Abschied fand sich Barrett bald schon widerwillig in der Rolle des Frontmanns wieder. Durch einen Kontakt von Richard Wright ergatterte die Band einen kostenlosen Termin in einem Aufnahmestudio in West Hampstead, um ein Demo aufzunehmen. Neben Slim Harpos „I’m A King Bee“ bannte die Gruppe die Barrett-Kompositionen „Butterfly“ und „Double O Bo“ (eine kaum verhüllte Hommage an Bo Diddley) und „Lucy Leave“ auf Tonband, wobei letzterer Song mit seinem schwerfälligen Stones-Groove nur wenig Aufschluss darüber gab, welch ausgefeilte Wortspiele und extravagante Musikalität die Zukunft noch bringen würde.
Allerdings war auch die musikalische Konkurrenz ziemlich respekteinflößend. „Ich weiß noch, wie ich The Who bei Top of the Pops sah, als sie ‚My Generation‘ spielten, und mir dachte: Ja, genau! Das ist es, was ich auch machen will“, erinnert sich Mason. „Das muss 1964 gewesen sein, aber ich hätte mir nicht zu träumen gewagt, dass dies mit dem, was wir machten, möglich sein würde.“ Chris Dennis sollte nicht der Einzige bleiben, auch Bob Klose verließ im Sommer 1965 die Band. „Bob war ein weitaus besserer Musiker als wir anderen“, erzählte Richard Wright. „Allerdings hatte er Prüfungsstress, weshalb er der Meinung war, sich intensiver seinen Pflichten zuzuwenden, wohingegen der Rest von uns nicht ganz so gewissenhaft bei der Sache war.“
„Bobs Eltern sagten jene fatalen Worte zu ihm: ‚Zuerst deine Prüfungen und dann kannst du spielen‘“, berichtet Libby Gausden.
„Ich fühlte mich verloren und musste die Lage wieder in den Griff bekommen“, sagt Klose heute. „Syd hatte gerade damit begonnen, seine eigenen Songs zu schreiben. Damals dachte man sich noch: ‚Ach, Syd hat also einen Song geschrieben.‘ Erst später war ich in der Lage, die Originalität dahinter zu erkennen. Roger breitete diese fantastischen Konzepte vor uns aus – und später setzte er sie tatsächlich um. Der Umfang seiner visionären Vorstellungskraft war tatsächlich außergewöhnlich. Aber die Musik, die wir gespielt hatten, hatte sich daran orientiert, dass ich ein recht beschlagener Gitarrist war und ständig über das Griffbrett flitzte. Syds Songwriting ermöglichte es ihnen nun, die R&B-Covers aufzugeben und sich in eine ganz individuelle Richtung zu entwickeln.“
„Es war ein grober Einschnitt, als Bob die Band verließ, der uns auf einen komplett anderen Weg brachte“, sagt Mason. „Syd und Roger hörten John Mayall und Alexis Korner, aber irgendwann entdeckte Syd das Songschreiben für sich und seine Songs waren eben ganz anders.“
„Bob Klose war jemand, der eine große Bandbreite von Blues-Gitarrenläufen in seinem Kopf hatte“, erklärt Waters. „Als er ausstieg, hatten wir niemanden mehr, der so gut über den Blues Bescheid wusste, weshalb wir anfangen mussten, etwas anderes zu versuchen. Syd übernahm die Leadgitarre und ich bin mir sicher, dass die Geräusche, die Pete Townshend in jenen Tagen fabrizierte, all dieses Gejaule und das ganze Feedback, ihn dabei beeinflussten. Also begannen wir, den Blues zugunsten von seltsamen Geräuschen hinter uns zu lassen.“
Später wurde behauptet, dass Klose keine Freude mit der zunehmend psychedelischen Ausrichtung der Band gehabt hätte. „Das kann man so nicht sagen“, widerspricht er. „Auch dass Syd und die anderen Floyds von Drogen besessene Chaoten gewesen sind, ist nichts als blanker Unsinn. Syd musste nicht stoned sein, um seine Musik zu spielen.“
In den Sommerferien verschlug es Barrett zurück nach Cambridge, wo er mit seinen alten Freunden Kontakt aufnahm. Zwar waren die Floyds nicht „von Drogen besessen“, doch entlang des River Cam hatte eine neue Obsession begonnen sich auszubreiten, und zwar Lysergsäurediäthylamid – kurz: LSD –, jenes damals noch legale Halluzinogen, als dessen größter Advokat der amerikanische Autor und Psychologe Dr. Timothy Leary in Erscheinung trat. Der Mitautor von Psychedelische Erfahrungen, das 1964 veröffentlicht wurde, pries die Vorzüge dieser Droge als „Reise in neue Bereiche des Bewusstseins“.
Im Jahr 1965 hatten so manche in Pink Floyds Bekannten- und Freundeskreis gekifft und einem dieser Leute war es gelungen, an ein Abonnement für eine medizinische Zeitschrift zu gelangen, das der breiten Öffentlichkeit üblicherweise nicht zugänglich war und wo alle legal erhältlichen Pharma-Produkte und ihre Effekte, wenn sie in rauen Mengen konsumiert wurden, aufgelistet und beschrieben wurden. Die genauen Umstände des LSD-Aufkommens in Cambridge in den Sixties ist immer noch Gegenstand von Spekulationen. Anthony Stern hatte LSD zum ersten Mal 1963 gemeinsam mit einem Bekannten genommen, der zum Studieren in Cambridge war und die Droge über einen Kontakt in den USA bezogen hatte. „Er saß mit mir in unserem Haus in der Fisher Street und bereitete mich auf das vor, was nun folgen sollte, und, Junge, als es erst mal passierte … Cambridge ist ein wunderbarer Ort, um LSD zu nehmen, da es hier solche Unmengen an faszinierenden Lokalitäten gibt, die man aufsuchen kann. Wir spazierten etwa durch das Fitzwilliam Museum und starrten die Ausstellungsstücke an. Viele LSD-Trips fanden ihren Höhepunkt in einem Abstecher in die Kapelle des King’s College, wo es eine außergewöhnliche mittelalterliche Decke gab.“
„Damals lasen wir alle über Timothy Leary und den Aufstieg dieser Wunderdroge. Alle fragten wir uns, wie wir sie in die Hände bekommen könnten“, ergänzt David Gale. „Ohne große Anstrengungen unternehmen zu müssen, nahmen sie die Leute aus London mit. In der Regel in der Form von Trips zu je 500 Mikrogramm, was damals ziemliche Hämmer waren.“
Ein britischer Wissenschaftler namens Michael Hollingshead hatte 1961 Timothy Learys Interesse an der Droge geweckt. Vier Jahre später eröffnete Hollingshead das World Psychedelic Centre in einer gediegenen Wohnung in Mayfair, in der sich schon bald alte Absolventen der noblen Privatschule Eton sowie der Universitäten Oxford und Cambridge und gut vernetzte Musiker und Dichter – etwa Paul McCartney und William Burroughs – einfanden, um die Vorzüge der neuen Droge zu diskutieren. Durch Hollingshead kam auch Nigel Lesmoir-Gordon, der nun an der London School of Film Technique studierte, zu seinem ersten Trip. „Ich versuchte LSD zum ersten Mal im März 1965“, erinnert er sich. „Mein erster Trip war absolut abscheulich, mein zweiter schon viel besser. Im Anschluss daran begann ich, es an andere Leute zu verticken. Ich war richtig missionarisch, was das betraf – ich verlangte bloß einen Pfund und machte nicht sehr viel Geld damit.“
Bald schon wurde entdeckt, dass die Samen der Himmelblauen Trichterwinde eine natürliche Form des Halluzinogens enthielten. Man musste sie nur in einer ausreichenden Dosis zu sich nehmen und zu einem Brei zerkauen. Wie Floristen aus der Gegend um Cambridge berichteten, kam es daraufhin zu einem Anstieg in der Nachfrage nach den Samen der Blume, obwohl die Sache auch ihre Nachteile hatte, wie Emo erklären kann: „Man musste erst einmal zwei Stunden lang die übelsten Magenkrämpfe und massive Übelkeit überstehen, bevor der Trip schließlich losging.“
In jenem Sommer verabschiedeten sich David Gales Eltern für ganze sechs Monate nach Australien, womit das Haus der Familie zur Verfügung stand. Unter jenen, die das voll für sich ausnützten, war auch Emo, der inzwischen „zum Arbeiterklasse-Hofnarren einer Gruppe, die vorrangig aus Mittelklasse-Kiffern bestand, avanciert war“, wie es David Gale ausdrückt. Emo nahm einfach ein Zimmer im Haus seines Freundes in Beschlag. „Er ging“, so berichtet David Gale, „ins Mill, riss sich ein Mädchen auf, nahm sie mit, um sie zu bumsen, und zog dann von neuem los, um noch eins aufzureißen.“
Eines Nachmittags versammelten sich Emo, Barrett, Storm Thorgerson sowie ihr Freund Paul Charrier im Garten der Familie Gale. Emo ist davon überzeugt, dass bei dieser Gelegenheit sowohl er als auch Syd die Samen der Himmelblauen Trichterwinde konsumierten. David Gale glaubt, dass ein paar von ihnen auf Liquid – in Flüssigkeit gelöstes LSD, das sie auf Zuckerwürfel träufelten – waren. Bei einem vorangegangenen Experiment hatte Emo bemerkt, dass LSD auch über die Haut absorbiert werden kann, als er mit den durchtränkten Zuckerwürfeln hantierte und dies zu „einem stundenlangen Durcheinander“ führte: „Wir hatten keine Ahnung, welche Würfel nun einen Trip auslösen würden und welche nicht.“
Was auch immer er an diesem Tag einwarf, Barretts Vorstellungsvermögen war ganz gefesselt von einer Streichholzschachtel, einer Pflaume und einer Orange. Er fand diese Dinge in David Gales Küche und verbrachte die folgenden Stunden damit, sie zu analysieren, bis – und dabei kommt es auf den jeweiligen Erzähler der Geschichte an – entweder Charrier die Früchte zerstampfte oder aber Emo sie aufaß. „Das war auch, als Paul und Syd gemeinsam ins Haus gingen und in David Gales Badezimmer auf und ab sprangen und schrien: ‚Keine Regeln! Keine Regeln!‘“, erinnert sich Emo. „Es war immer Syds Ding, sich von Regeln befreien zu wollen. Er dachte, dass es keine Regeln mehr für ihn geben würde, wenn er sich einer Band anschlösse und erfolgreich wäre. Aber sobald ihm genau dies gelungen war, erschien es ihm so, als wäre es nicht anders als alles andere – das trug vermutlich dazu bei, dass er so verkorkst wurde.“
Inzwischen schien die in der Regel in der Schwebe hängende Beziehung zwischen Libby und Syd endgültig am Ende zu sein, obwohl die beiden Freunde blieben. Sie fing darauf an, sich mit Pablo Picassos Sohn Claude zu verabreden. „Er liebte Syd und schlug oft vor, ihm sonntags einen Besuch abzustatten“, erklärt Libby. Auch begab sie sich in diesem Sommer nach Deutschland, um ein paar Kurse zu belegen.
Barrett verschlug es hingegen weiterhin an den Wochenenden nach Cambridge. Seine Heimatstadt bot immer noch reichlich interessante Ablenkungen, was schließlich auch in London nicht unbemerkt blieb. „Ich habe nie in meinem Leben Acid angerührt, weil es mir eine Heidenangst eingejagt hat“, erklärt Seamus O’Connell. „Ich erinnere mich daran, als wir in der Tottenham Street lebten, dass Syd aus Cambridge zurückkam, wo er das Wochenende verbracht hatte. Dort hatte er im Arts Theatre mit einem seiner Kumpels irgendeine sonderbare Drogenerfahrung gemacht. Als er nach London zurückkehrte, sah eines seiner Augen irgendwie tot aus. Er hatte eigentlich sehr lebendige Augen, richtig hell, aber eines wirkte nun, na ja, beeinträchtigt. Wir alle sprachen ihn darauf an, woraufhin er mit einer fantasievollen Erklärung dafür aufwartete.“
Nachdem Libby sich verabschiedet hatte, begann Syd, sich im selben Sommer mit einer anderen ehemaligen Schülerin der Ely Grammar School for Girls namens Lindsay Corner zu treffen. Ihr Vater war ein Freund von Dr. Barrett gewesen. Ihr gemeinsamer Freund Po hatte das Paar im Dorothy Ballroom einander vorgestellt. Lindsay war auch Syds „bewusstseinserweiternden Abenteuern“ gegenüber positiver eingestellt. Damals filmte Nigel Lesmoir-Gordon Syd, wie er angeblich auf Magic Mushrooms war. Nigel hatte sich eine 8-mm-Filmkamera von der Universität ausgeliehen und war zusammen mit seiner Frau Jenny, Syd, Roger Waters’ Freund Andrew Rawlinson, dessen Freundin Lucy Pryor, David Gale und dem zukünftigen Beleuchter bei Pink Floyd namens Russell Page in einen aufgelassenen Steinbruch in die Gog Magog Hills bei Cambridge gefahren. Die Aufnahmen sind körnig und die Kameraeinstellungen teilweise wackelig, aber ein überraschend adrett aussehender Barrett in weißem Hemd und blauem Regenmantel kann darauf beobachtet werden, wie er im einen Moment geradlinig durch den Steinbruch zieht, während er im nächsten wiederum in einen Zustand stiller Einkehr verfällt. Später sieht man ihn, wie er das Blatt einer Pflanze inspiziert, die Kamera stumm anschreit und – offenbar ein wenig befangen – Pilze über seinen Augenhöhlen und seinem Mund platziert. Der Film endet mit Aufnahmen von einem Lagerfeuer im Steinbruch und ein paar verwackelten Einstellungen, die Syds Mitverschwörer in Szene setzen. Dem inzwischen weithin als Bootleg verbreiteten und im Internet frei verfügbaren Film wurde später der irreführende Titel Syd’s First Trip verpasst.
„Wir alberten bloß mit der Kamera herum“, sagt David Gale. „Dieser Film hat sicher einen nostalgischen Charme. Allerdings entstand er ganz spontan, während wir drehten. Es war ganz sicher nicht das erste Mal, dass Syd auf LSD war, und ich bin auch davon überzeugt, dass damals im Garten meiner Eltern nicht das erste Mal gewesen war. Zwar hat diese Legende ihr Eigenleben angenommen, aber ich halte es für möglich, dass er es schon vorher einmal in London genommen hatte. Es würde mich jedenfalls nicht überraschen.“
Auch David Gilmour sollte in diesem Jahr LSD ausprobieren. „Viele Leute experimentierten damit, um ihr Bewusstsein zu erweitern“, erklärt er. „Die Absicht dahinter war, eine sowohl religiöse als auch wissenschaftliche Erfahrung zu machen, was mich ebenso ansprach. Ich bin Atheist und fing anschließend nicht schlagartig an, an Gott zu glauben, aber es hieß, dass man dadurch Zugang zu Bereichen seines Gehirns erlangte, die einem normalerweise verschlossen blieben. Als ich es die ersten paar Male nahm, empfand ich die Erfahrung tatsächlich als sehr tiefschürfend.“
Für manch einen aus dem Cambridge-Zirkel hielt LSD eine quasireligiöse Erfahrung bereit. „Jeder schien damals ganz aufgeregt zu sein“, erinnert sich Jenny Lesmoir-Gordon. „Es waren einige sehr charismatische Persönlichkeiten unterwegs, nicht nur Syd, sondern auch Leute wie Andrew Rawlinson und Paul Charrier. Syd war nur einer von mehreren.“
Es war schließlich Charrier, der einen plötzlichen, dramatischen Riss im Gefüge der Gruppe verursachen sollte – einen Riss, der sich auch signifikant auf Barrett auswirken würde. „Paul war ein dynamischer, bombastischer, fetter, liebenswerter Kerl“, erzählt David Gale. „Allerdings passierte etwas mit ihm, als er im Garten meiner Eltern auf LSD war. Er verschwand auf die Toilette, fand dort ein Buch mit dem Titel Yoga and the Bible und während er dort kackte, hatte er die Offenbarung, dass dieses Buch der Schlüssel zu allem wäre. Er kam aus dem Klo und verkündete, dass er sich nach Indien begeben würde, um diesen Guru zu finden. Wir dachten, dass bloß das LSD aus ihm sprechen würde, aber es veränderte sein ganzes Leben. Innerhalb weniger Wochen brach er nach Delhi auf. Nach weiteren sechs Wochen kehrte er wieder zurück, war in dieses Guru-Outfit gehüllt und mit einer Reihe von spirituellen Aufgaben betraut worden. Er ließ sich die Haare schneiden, kaufte sich einen Anzug von der Stange, sah infolge deprimierend normal aus und fing an, wie ein Verrückter Leute zu bekehren. Irgendwann konvertierten schließlich Andrew Rawlinson, Ponji Robinson und andere Schlüsselfiguren und verpissten sich ebenso nach Delhi. Dann kamen sie alle zurück, missionierten und überzeugten viele weitere Leute, es ihnen gleichzutun. Doch die andere Hälfte von uns – Storm, Seamus, ich – sagten: ‚Das ist Bockmist!‘“
Die Sant-Mat-Sekte, die Charrier und Freunde so verzückte, war ein Ableger der Sikh-Religion und ließ sich bis ins Indien des 13. Jahrhunderts zurückverfolgen. Der betreffende Guru hieß Maharaj Charan Singh, der von seinen Anhängern als „Meister“ tituliert wurde, die wiederum als „Satsangi“ bezeichnet wurden. Der Love-and-Peace-Ethos von Sant Mat passte perfekt zur damaligen Zeit. Es herrschten vier zentrale Prinzipien: sexuelle Abstinenz außerhalb der Ehe, eine strikt vegetarische Ernährungsweise, keine Drogen oder Alkohol sowie die allgemeine Anordnung, ein moralisch vertretbares Leben zu führen. Von allen Jüngern wurde darüber hinaus erwartet, mindestens zwei Stunden am Tag zu meditieren. Im Verlauf der nächsten zwölf Monate sollten sich zahlreiche Mitglieder des Cambridger Bekanntenkreises zu Sant Mat hingezogen fühlen.
„Wir hatten uns mittels LSD so weit in uns selbst vorgewagt, dass wir nun die Reise ohne Drogen fortsetzen wollten“, erklärt Emo. „Paul Charrier haute ab nach Indien und als er zurückkehrte, um uns vom Meister zu berichten, war er absolut unwiderstehlich. Als Nächstes fuhr Ponji nach Indien und als er wiederkehrte, hielt er ein Sit-in in Nigel Lesmoir-Gordons Londoner Zimmer ab, wo er uns von seinen Erfahrungen erzählte. Dave Gilmour war auch anwesend und sagte, dass er, wenn er genug Geld hätte, auf der Stelle ein Flugzeug besteigen würde, um dorthin zu fliegen. Syd wollte ebenso diesem Pfad folgen.“
„Syd dürfte das Buch auf Drängen von Paul Charrier gelesen haben“, glaubt David Gale. „Paul war unerträglich penetrant: ‚Dieser Guru ist Gott. Worauf warten wir noch?‘ Storm zufolge war Syd ziemlich beeindruckt und wollte den Meister selbst kennenlernen. Dieser besuchte ab und an London, um seine hiesigen Anhänger zu treffen. Diese waren schon lange hier ansässig und am Anfang der Kolonialära hierher immigriert. Der Meister stieg also in einem Bloomsbury-Hotel ab und hielt eine Audienz. Er war ein recht netter Kerl, über 60, mit Bart und Turban. Und auch Syd traf den Meister, um herauszufinden, ob er eingeführt werden könne. Dieser erteilte ihm jedoch eine Absage und erklärte ihm, dass er noch nicht bereit sei. Sah der Meister irgendetwas in Syd, das uns verborgen blieb? Storm glaubt, dass es Syd ziemlich aufgeregt habe, als spirituell noch nicht bereit eingestuft zu werden.“
„Bis zu einem gewissen Grad dürfte dies ein Problem dargestellt haben“, sagt Storm Thorgerson. „Rückblickend stellt man sich alle möglichen Fragen zu Syds fragiler Persönlichkeit. Syd hatte einen sehr sprunghaften Charakter. Er neigte dazu, sich mit großer Begeisterung auf Dinge zu stürzen, bevor er sich dann wieder von ihnen abwandte.“
Zwar mag der Weg, den seine Kameraden einschlugen, Barrett und Gilmour fasziniert haben, doch ihre zukünftigen Bandkollegen bei Pink Floyd waren weit weniger davon begeistert. Roger Waters etwa, der sich immer noch eher an der Peripherie der Hipster-Gruppe aufhielt, konnte sich weder für LSD noch für indischen Mystizismus erwärmen. Andrew Rawlinson erinnert sich an ihn als „einen überzeugten Atheisten, der überhaupt kein Interesse für dies alles zeigte“.
Egal welche spirituellen Nackenschläge Syd in diesem Jahr auch hinnehmen musste, das Jahr 1965 brachte ihn auch wieder in Kontakt mit David Gilmour. Im Sommer, während Jokers Wild eine Pause einlegten, war Gilmour durch Frankreich getrampt, um Freunde in der Nähe von St. Tropez zu besuchen. Syd und eine Abordnung aus Cambridge kreuzten in einem Land Rover auf und bezogen auf einem nahegelegenen Campingplatz Quartier. Während ihres zweiwöchigen Aufenthalts betranken sich Barrett und Gilmour, vergnügten sich, spielten gemeinsam Gitarre und wurden beim Musizieren auf der Straße festgenommen.
Im Oktober sollten sich ihre Wege erneut kreuzen, als Jokers Wild und The Tea Set bei der Party anlässlich des 21. Geburtstags von Storm Thorgersons Freundin Libby January und ihrer Zwillingsschwester Rosie in einem Landhaus in Great Shelford auftraten. Bei dieser Feier, die ihr Vater Douglas January, ein prominenter lokaler Immobilienmakler, arrangiert hatte, spielten die Bands auf zwei Bühnen, die an zwei gegenüberliegenden Enden eines Festzelts errichtet worden waren. Außerdem sollte an diesem Abend auch noch ein relativ unbekannter amerikanischer Singer-Songwriter spielen: Paul Simon.
„Paul Simon sang im Wohnzimmer“, erinnert sich Willie Wilson, der Clive Welham am Schlagzeug abgelöst hatte. „Keiner wusste, wer er war. Außerdem war er richtig nervig. Er kam an und fragte, ob er mit uns spielen dürfte. Wir sagten: ‚Du bist ein akustischer Folk-Sänger und wir sind eine Rock’n’Roll-Band.‘ Er meinte, dass er ‚Johnny B. Goode‘ spielen könne. Daraufhin ließen wir ihn auf die Bühne kommen, damit er sich austoben konnte.“
Es wurde ohne Unterlass gekifft und die Partygäste spalteten sich schließlich in zwei Lager. „Da waren all jene, die eher wohlhabend waren, am einen Ende des Zeltes, während wir anderen am anderen Ende abhingen“, erzählt Emo. „Dann versuchte Syd diesen Trick mit dem Tischtuch, das er ruckartig unter den Gläsern herauszog. So viele teure Gläser hat man nur selten zu Bruch gehen gesehen.“
Emos Kumpel Pip Carter gesellte sich schließlich zu Jokers Wild auf die Bühne, um sie an den Bongos zu begleiten. Da er nicht außen vor bleiben wollte, folgte Emo seinem Beispiel. „Ich stieg zu The Tea Set auf die Bühne und sang einen Song von Bo Diddley. Allerdings kannte ich den Text nicht, also sang ich einfach Syd hinterher – bis ich schließlich betrunken von der Bühne kippte. Als ich wieder zu mir kam, stand Mr. January über mir.“
„Das war der Abend, an dem ich begriff, dass sich alles veränderte“, stellt John Davies klar. „Ich erinnere mich daran, dass ich sehr stoned war, aber gleichzeitig war ich mir auch absolut bewusst, dass wir uns von nun an alle auf unsere persönlichen Reisen begeben würden. Ich bin mir nicht sicher, ob wir wirklich eine so einzigartige Gruppe waren, aber manchmal fühlte es sich so an, als ob wir bis 1967 warten mussten, bis der Rest der Welt uns wieder eingeholt hatte.“
Während sich die hippen Cambridge-Jungs auf ihre jeweiligen persönlichen Reisen begaben, sollten Barrett und Waters weitere zweieinhalb Jahre warten müssen, bis sich ihre und Gilmours Wege wieder kreuzen sollten. Vier Jahre später sollte das Landhaus der Januarys erneut eine Rolle in der Story Pink Floyds spielen, als dessen Rasen und Verandatüren auf dem Cover ihres Albums Ummagumma zu sehen waren. Was zu jenem Zeitpunkt damals aber noch wirklich niemand wissen konnte, war, dass Pink Floyds charismatischer wie verführerischer Frontmann dereinst von einem seiner besten Freunde ersetzt werden sollte.