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Оглавление3: EIN SONDERBARES HOBBY
„Turn up, tune in, fuck off!“
Roger Waters
Was für eine Party! Ein Mann kriecht durch Götterspeise. Mädchen oben ohne. Abwegige Dichtkunst. Seltsame Musik …“ So berichtete das Sechzigerjahre-Klatschblatt Titbits über „das spontane Underground-Happening“ im Februar 1966. Besagter Event fand im Marquee statt, einem Club in der Wardour Street, also quasi im Herzen Sohos gelegen. Innerhalb weniger Wochen sollte The Pink Floyd Sound, wie sie sich gerade nannten, zu den Bands gehören, die die Musik zu solcherlei buntem Treiben beisteuerten. Das Jahr 1966 sollte in Bezug auf Rockmusik und Popkultur im Allgemeinen weitreichende Folgen nach sich ziehen. Die Beatles veröffentlichten Revolver – ein Album voller exotischer Sounds, die die LSD-Erfahrungen der Band reflektierten – und Cream, die erste sogenannte Supergroup des Rocks, machten sich daran, Heavy Metal zu erfinden. Gleichzeitig verblüffte Jimi Hendrix die Londoner Club-Szene mit seinem grellen, pyrotechnisch angehauchten Ansatz zum Thema E-Gitarre. In London zeigte eine Kollision von Mode, Kunst und Musik langsam Wirkung und sollte im Jahr darauf im sogenannten „Summer of Love“ gipfeln.
Sowohl Hendrix als auch Cream beeinflussten Pink Floyd. „Ich weiß noch, dass sie beide am Regent Street Poly im Rahmen unserer Semesterabschlussfeier auftraten“, erinnert sich Roger Waters. „Ihre langen Improvisationen zu sehen und zu hören, war echt erstaunlich.“
Wo auch immer sich die Band in dieser neuen Welt einordnen würde, ihre persönliche Lage war alles andere als glamourös. Die finanzielle Situation war besorgniserregend und auch das Dilemma, Jobs, Ausbildung und Musik unter einen Hut zu bringen, war immer noch aktuell. Mason büffelte am Regent Street Poly, arbeitete nebenher aber auch für Lindys Vater, einem Architekten. Waters hatte sein Studium auf Eis gelegt und sammelte in einer Firma praktische Erfahrung. Wright und Barrett besuchten beide ihre jeweiligen Colleges.
Pink Floyds Teilnahme an gewissen Happenings in der und rund um die Hauptstadt zu Jahresbeginn 1966 ergab sich aufgrund der Aktivitäten einer Gruppe von Londoner Szenehelden. John „Hoppy“ Hopkins hatte in Cambridge sein Studium abgeschlossen und einst auch als Mediziner für die Atomenergiebehörde gearbeitet. Nachdem er aber unangekündigt Moskau einen Besuch abgestattet hatte, wurde er vom Security Service verhört, woraufhin er schließlich seine Kündigung einreichte. Ab den frühen Sechzigerjahren arbeitete er dann als freiberuflicher Fotograf sowohl für Tageszeitungen als auch den Melody Maker. „Hoppy“ fand Geschmack daran, Dope zu rauchen und die Bourgeoisie vor den Kopf zu stoßen. Er entwickelte einen allgemeinen Sinn für Anarchismus“, erklärte einer seiner Zeitgenossen. Wie ein anderer versicherte, war Hoppy aber auch „ein Naturtalent, wenn es ums Organisieren ging, und zwar zu einer Zeit, als alle anderen nur Schabernack trieben“. Nach einem Abstecher in die USA im Jahr 1964 kehrte Hopkins mit der Idee nach London zurück, eine Underground-Zeitschrift und eine alternative Bildungseinrichtung für Erwachsene, die später als London Free School bekannt werden sollte, zu etablieren.
Die Schule, die in einem Keller in der Powis Terrace 26 in Notting Hill eingerichtet wurde, sollte zuerst verwirklicht werden. Hopkins erklärte im Oktober 1966, was ihm vorschwebte: „Eine Nicht-Organisation, die über keinerlei gewählte Vertreter oder Verantwortlichkeiten verfügt.“ Einer von Hopkins Bekannten, der schwarze Aktivist Michael de Freitas, auch als Michael X bekannt, arrangierte mit dem Besitzer des Gebäudes die Formalitäten. Die ersten, die in den Keller zogen, waren ein paar Squatter, die der Lokalität im Handumdrehen einen Zurück-zur-Natur-Vibe verliehen. „Es war so feucht und kalt dort unten, dass sie die hölzernen Bodenplatten herausrissen und in Brand steckten“, erinnert sich Hoppy. „Aus diesem Grund wurde die Schule unter anderem für ihren Erdboden bekannt.“
Mit seinen in psychedelischen Farben gehaltenen Wänden zog der Ort umgehend Musiker, Dichter, Beatniks, liberale Intellektuelle sowie alle möglichen Gestalten des künstlerischen Londoner Undergrounds an. In der Funktion eines Stegreif-Gemeindezentrums stellten sich die Verantwortlichen zur Verfügung, um Besuchern in mietrechtlichen Fragen mit Rat zur Seite zu stehen und sogar Immigranten rudimentäres Englisch beizubringen. Jahre später sollten ein paar der involvierten Personen auch eine Rolle beim Zustandekommen des ersten Notting Hill Carnival spielen. Und Michael X organisierte 1966 auch noch einen Besuch der Box-Legende Muhammed Ali.
Hoppy betont: „Die Free School war eine Idee, die kein festgeschriebenes Ziel verfolgte. Die Leute, die sie bevölkerten, erfüllten sie mit allem, wonach ihnen war.“ Unter ebendiesen Leuten befanden sich Joe Boyd, ein 25-jähriger Amerikaner, der die britische Niederlassung von Elektra Records leitete, sowie Peter Jenner, ein 24-Jähriger, der seinen Uni-Abschluss in Volkswirtschaftslehre in Cambridge mit Auszeichnung gemacht hatte und inzwischen an der London School of Economics unterrichtete. Jenner war ein ehemaliger Mitbewohner von Eric Clapton und verrückt nach avantgardistischer Musik. Hopkins, Jenner, Felix de Mendelsohn (ein weiterer Absolvent der Free School) und Hoppys Mitbewohner, der Jazz-Kritiker Ron Atkins, hatten gemeinsam eine Produktionsfirma namens DNA auf die Beine gestellt und der Free-Jazz-Gruppe AMM ermöglicht, ein Album einzuspielen. Dank eines, wie Jenner es heute beschreibt, „absoluten Scheiß-Deals“, den Boyd eingefädelt hatte, wurde das AMM-Album Music from a Continuous Performance via Elektra veröffentlicht. „AMM verwendeten Gitarren, Klaviere, aber auch Radios und Sägen für ihre Musik“, erinnert sich Hoppy. „Sie bewegten sich im Grenzbereich zwischen Musik und Lärm. Nachdem man sie sich eine Stunde lang angehört hatte, ging man auf die Straße hinaus und hatte das Gefühl, dass es immer noch weitergehen würde. Es gab da diesen improvisierten Film aus den Fünfzigern, Shadows, von John Cassavetes – und AMM waren wie ein musikalisches Äquivalent dazu. Absolut hypnotisch.“
Der atonale Ansatz von Keith Rowe, dem Gitarristen von AMM, sowie seine Vorliebe, seiner Gitarre mithilfe diverser Gegenstände Geräusche zu entlocken, hinterließen einen besonderen Eindruck bei Syd Barrett, der später einer Aufnahmesession von AMM beiwohnen sollte. AMM traten auch bei einem der ersten Happenings im Marquee auf. Der Folkie Donovan – er trug rotes und schwarzes Augen-Make-up – sowie der Jazz-Organist Graham Bond gehörten ebenfalls zum musikalischen Line-up des Events am 30. Januar 1966. Das Happening war von Steve Stollman organisiert worden. Sein Bruder Bernard betrieb in New York das experimentelle Label ESP Records. „Ich war ein 22-jähriger Amerikaner, der es sich in London gutgehen ließ“, sagt Steve Stollman heute. „Einer der ersten Orte, den ich aufsuchte, war Better Books, da sie die Platten meines Bruders dort verkauften. Dort lernte ich Hoppy und all diese anderen interessanten Leute kennen. Ich wollte meinem Bruder dabei helfen, dass sein Label vermehrt wahrgenommen würde. ESP veröffentlichte Scheiben von Albert Ayler, Sun Ra und The Fugs – ungewöhnliches Zeug eben. Irgendjemand – vielleicht ja ich – sagte, es würde doch Sinn machen, diesen Club, der am Sonntagnachmittag nicht bespielt wurde, in Beschlag zu nehmen. Also sprach ich mit den Besitzern des Marquees. Meine Argumentation lautete, dass wir Geld für Kingsley Hall [ein Gemeindeprojekt des Psychoanalytikers R. D. Laing] sammeln wollten, da wir alle Laings Buch Knoten gelesen hatten. Ich glaube, dass tatsächlich ein paar Mäuse, die wir damit verdienten, diesem Zweck zugutekamen.“
Der Event startete um 16 Uhr 30, der Eintritt betrug sechs Shilling und einen Sixpence, es gab keine offizielle Werbung und das Publikum wurde persönlich informiert: Musiker, Autoren, Dichter und andere Underground-Kenner. Ein Ankündigungsschreiben, das zu Promo-Zwecken veröffentlicht wurde, informierte über den gewünschten Dresscode: „kostümiert, maskiert, ethnisch, abgespaced, edwardianisch, viktorianisch und allgemein hip …“ Die Trennungslinie zwischen den Performern und dem Publikum sollte mit Absicht verwischt werden.
„Mittendrin wurde ich zum Vordereingang gerufen, da Robert Shelton, der Kritiker der New York Times, in Anzug und mit Krawatte um den Hals aufgekreuzt war“, erinnert sich Stollman an eines der frühen Happenings. „Wir bestanden eben darauf, dass sich jeder so bizarr wie möglich zu kleiden hätte – auch wenn dafür bloß ein Stoffhandtuch aus deinem Ohr baumeln musste. Da Robert als Entdecker von Bob Dylan berühmt war, erklärte ich sein Kostüm zum Besten überhaupt und ließ ihn herein.“
Seit damals wird weithin berichtet, dass The Pink Floyd Sound bei den beiden ersten Happenings im Marquee, sowohl am 30. Januar als auch am 27. Februar, auf der Bühne standen. Jedoch behaupten andere Augenzeugen, dass die Gruppe erst beim dritten Event, also am 13. März, ihr Debüt im Marquee gab. „Ich hätte The Pink Floyd Sound nicht von The Green Floyd Sound unterscheiden können“, gibt Stollman bereitwillig zu. „Ich hatte keine Ahnung, wer sie waren, aber irgendjemand schlug sie mir vor.“
„Ich kannte Steve Stollman“, erklärt Nigel Lesmoir-Gordon. „Er war auf der Suche nach experimenteller Musik und niemand sonst wollte bei diesen Sessions am Sonntagnachmittag auftreten. So kamen sie schließlich auf Pink Floyd.“ Stollman hält jedoch daran fest, dass der Auftritt der Band mitgeschnitten wurde. „Ich erinnere mich, dort einen Typen namens Ian Somerville gesehen zu haben, der ein Freund von William Burroughs war. Er saß die ganze Zeit mit Kopfhörern da. Niemand weiß, was aus dieser Aufnahme geworden ist.“
Das Set der Band bestand aus Blues-Standards und Eigenkompositionen und wurde außerdem durch Barretts abstraktes Gitarrenspiel und ausgedehnte Instrumental-Jams bereichert. Es bot aber vor allem die ideale musikalische Untermalung für den Anlass. „Guter Sound, gute Gedichte, ein wundervoller Event“, meint Stollman. „Ich schwöre, dass Pink Floyd annähernd drei Stunden lang spielten. Niemand wollte sie daran hindern, da es so gut zu dem passte, was damals gerade angesagt war.“
„Pink Floyds Musik war neu, aber nicht komplett inkompatibel mit dem, was sich andernorts abspielte“, ergänzt Hoppy. „Wir hörten alle Avantgarde-Jazz und meine damalige Freundin hatte mir Tapes von The Velvet Underground aus New York mitgebracht. John Cage hatte 1964 oder 1965 schon ein Konzert im Saville Theatre gespielt und im musikalischen Bewusstsein der Leute einen Eindruck hinterlassen. Pink Floyd waren anders, aber sie passten zu alldem gut dazu.“
Weitere sonntägliche Happenings sollten folgen, etwa mit David Jones – er würde schon bald als David Bowie für Furore sorgen. Auch er war beeindruckt von „dieser seltsamen Präsenz mitsamt weiß geschminktem Gesicht und schwarzem Eyeliner, die vor dieser Band sang“. Aber Stollmans Interesse daran, solche Happenings zu veranstalten, verebbte, als das Management des Marquees vorschlug, während seiner Veranstaltungen eine Bar zu öffnen. „Ich war der Ansicht, dass Schlägereien ausbrechen würden“, lacht er. „Eine Menge Leute waren stoned, weshalb ich der Meinung war, dass kein Alkohol ausgeschenkt werden sollte, während all dies vor sich ging. Also verlor ich das Interesse.“ Stollman sollte später das Land verlassen müssen, nachdem sein Name im Zusammenhang mit einer von der BBC gesponserten Dokumentation über LSD in einem Yellow-Press-Artikel genannt worden war: „Plötzlich war ich auf der Titelseite, mit einem schwarzen Balken über den Augen. Was für ein Skandal!“
Für Pink Floyd hatte sich jedoch inzwischen bereits eine überaus wichtige Connection ergeben. An einem Sonntag im Juni begab sich Peter Jenner, der es leid war, Prüfungen zu korrigieren, auf den Weg ins Marquee. „Ich wusste, wer Steve Stollman war und ich glaube, dass ich eine Werbeanzeige für diese Sache im Melody Maker gesehen hatte“, erinnert er sich. Nachdem er beobachtet hatte, wie sich zahlreiche Leute mit Götterspeise vollschleimten, wurde Peter zum ersten Mal mit The Pink Floyd Sound konfrontiert: „Sie spielten in erster Linie Blues-Nummern, aber anstelle von heulenden Gitarren-Solos, bei denen sich der Gitarrist ins Hohlkreuz zurücklehnte, wie das eben üblich war, spielten sie diese kosmischen Sachen. Es waren nicht wirklich die Blues-Songs, die interessant waren, nein, es war die Art, wie sie sie spielten, die mein Interesse weckte. Ich glaube, dass das, was Syd versuchte, seine Art war, markant zu wirken und die Lücken zu füllen, wo üblicherweise ein jaulendes Solo wie bei Clapton oder Peter Green zu hören gewesen wäre. Ich war jedenfalls sehr fasziniert.“ Peter wurde von etwas angetrieben, das viel profaner war als die Musik. „Ich hatte mir die Zahlen von DNA genauer angesehen und wusste, dass die Firma nicht überleben würde, wenn wir nicht mehr Platten verkauften. Wir brauchten also eine Popband.“
Im Jahr davor hatte Peter sogar The Velvet Underground angesprochen, nachdem er ihre Aufnahmen von Hoppy gehört hatte. Allerdings musste er zur Kenntnis nehmen, dass die Band bereits Pop-Art-Künstler Andy Warhol mit der Aufgabe, sie zu managen, betraut hatte. Nachdem ihm nun aufgefallen war, dass Pink Floyd ohne Management dastanden, wagte Jenner einen Vorstoß. „Ich holte mir ihre Nummer von Steve Stollman. Dann begab ich mich nach Highgate, wo sie bei Mike Leonard lebten. Ich kannte Mike nicht, weshalb ich nicht wusste, was es damit auf sich hatte. Allerdings hörte sich dieses Arrangement ziemlich künstlerisch und so an – und das machte auch einen Teil ihres Reizes aus. Der erste von ihnen, mit dem ich mich ernsthaft unterhielt, war Roger. Ich fragte ihn, ob sie nicht auf unserem Label sein wollten. Roger meinte, dass sie alle erst einmal bis September Ferien machen würden.“ Jenner hatte damals den Eindruck, dass sie als Gruppe „es auf eine semiprofessionelle Art sehr ernst nahmen“, ihre Zukunft aber eher vage war. „Sie hatten sich von einem Kredit einen Van und Equipment gekauft, standen aber kurz davor, sich wieder aufzulösen“, behauptete er 1972.
Klar, ohne Konzerte in absehbarer Zukunft, dafür mit reichlich Uni-Stress und wichtigen beruflichen Entscheidungen, die getroffen werden mussten, am Hals, gab es eine Menge, über das die Bandmitglieder nachzudenken hatten, als sie für den Sommer getrennte Wege einschlugen. Mason brach als Erster auf und folgte seiner Freundin Lindy nach New York, wo sie nun für die Martha Graham Dance Company arbeitete. Dort sollte Mason die amerikanische Jazz-Szene auch abseits seiner Schallplatten erleben und gemeinsamen Konzerten von gefeierten Interpreten wie Thelonius Monk und Mose Allison beiwohnen, bevor er und Lindy sich schließlich auf den Weg an die Westküste machten. Falls Mason ernsthafte Zweifel bezüglich der Zukunft der Band plagten, so wurden sie vermutlich durch einen Artikel der Underground-Zeitschrift East Village Other zerstreut, in dem The Pink Floyd Sound Erwähnung fanden. Später erinnerte er sich: „Dadurch begriff ich, dass die Band über das Potenzial verfügte, mehr zu sein als bloß ein Vehikel für mein persönliches Amüsement.“
Auch Juliette Gale war über den Sommer in die USA gereist, weshalb es ihrem Freund Richard Wright freistand, zu tun, was er wollte. Teile der Cambridge-Crew hatten die letzten drei Sommer in Griechenland und auf den Balearen verbracht. Sie pendelten zwischen Mykonos, Ibiza und Formentera, arbeiteten an ihrer Bräune, rauchten starkes Gras und unterhielten sich über Gott und die Welt. Richard und Juliette waren außerdem noch in Lindos auf Rhodos gewesen. Im Sommer 1966 schloss sich Wright Roger Waters zu einem weiteren Ausflug nach Griechenland an. „Da waren Nigel und ich, Russell Page, David Gale, Rick, Roger und Judy“, erinnert sich Jenny Lesmoir-Gordon. Bei Judy handelte es sich um Judy Trim, eine vormalige Schülerin der Cambridge County School for Girls und Tochter eines in Diensten der Uni stehenden Forschers. Sie und Roger waren bereits als Teenager ein Paar gewesen. „Rog, Andrew Rawlinson und ich waren alle hinter Judy her“, erinnert sich Storm Thorgerson. „Aber Rog bekam sie schlussendlich.“
„Es war während dieses Urlaub, als Roger zum ersten Mal LSD nahm“, fährt Jenny fort. Wir fuhren in dieser alten amerikanischen Karre quer durch Europa und mitten in der Nacht ging plötzlich nichts mehr. Der Wagen fuhr nur noch rückwärts und der Mechaniker, zu dem wir ihn brachten, verwendete das Wort ‚kaputt‘. Also setzten wir uns in einen Bummelzug durch Jugoslawien und Griechenland. Schließlich fanden wir diese Villa und überließen Rog und Ju-Ju, wie sie sich damals gegenseitig nannten, das beste Zimmer. Roger bestand darauf, obwohl ich glaube, dass sie unter dem Bett einen Skorpion entdeckten. Roger war ein sehr forscher Typ, aber konnte auch recht zurückhaltend und schüchtern sein. Ich erinnere mich daran, wie ich eines Tages mit ihm allein am Strand war und er schrecklich nervös wirkte. Er war mit Judy zusammen und schien in Gegenwart anderer Frauen sehr scheu zu sein.“
Anders als die meisten Mitglieder der Reisegesellschaft hatte Waters zuvor noch nie LSD ausprobiert. Auf der griechischen Insel Patmos beschloss er, sich mittels Pipette doch einmal einen Tropfen aus Nigels Fläschchen zu genehmigen. „Es war eine außergewöhnliche Erfahrung“, bestätigt Waters. „Und sie dauerte ungefähr 48 Stunden lang an.“ Später sagte er, dass er nach diesem Erlebnis es nur noch ein einziges Mal mit LSD versucht habe.
Leider förderte der Aufenthalt in Griechenland auch erstmalig Anzeichen für die angespannte Beziehung zwischen Waters und Richard Wright zutage. Es tat sich ein Graben zwischen den beiden auf, der noch Jahre später signifikante Auswirkungen auf Pink Floyd haben sollte. „Rick war ein lieber, schüchterner Typ“, berichtet Jenny. „Seine Freundin war zu diesem Zeitpunkt in Amerika. Er hielt eine Menge von ihr. Aber Roger machte ihn dauernd runter. Es war so, als ob er in Rick eine Art Sandsack sah, auf den er eindreschen konnte.“
Nachdem sich die einzelnen Bandmitglieder nach dem Sommer wieder in London eingefunden hatten, brachte die Gruppe in Erfahrung, dass Peter Jenner immer noch an einer Zusammenarbeit interessiert war. Als Waters ihn informierte, dass die Band in erster Linie einen echten Manager bräuchte, stellte er seinen Plan, sie für DNA unter Vertrag zu nehmen, erst einmal hinten an und holte seinen alten Freund und Kollegen von der London Free School hinzu: Andrew King. „Pete und Joe Boyd wollten DNA zusammenführen und ich sollte als Manager fungieren“, erinnert sich Andrew King. „Aber als es mit dem Label nicht wirklich nach Wunsch lief, schlug Pete vor, dass er und ich gemeinsam Pink Floyd managen sollten.“ Jenner nahm sich eine zwölfmonatige Freistellung von seinem Lehramtsposten an der Wirtschaftsuni, wobei er sich die Option offenließ, im Falle einer Bruchlandung als Pop-Manager jederzeit wieder zurückzukehren. Andrew King und Peter Jenner hatten bereits gemeinsam die Schulbank gedrückt und waren nach der Universität zusammen durch die USA gereist. Sie waren in den Worten Kings „bürgerlich-liberale Intellektuelle, die mit der Londoner Avantgarde-Szene verbandelt waren“.
„Ich hörte nicht viel Popmusik“, gesteht Jenner. „Ich stand gerade mal auf Bob Dylan und die Byrds. Aber ich war nicht der Meinung, dass weiße Männer den Blues singen könnten.“
Damals arbeitete King in der PR-Abteilung von British European Airways, aber hatte, was äußerst wichtig war, auch ausreichend Geld von seiner Familie zur Verfügung, um ein wenig zu investieren. Mit einem Hinweis auf ihre Bedürftigkeit überredete Waters das neue Management, der Band eine PA-Anlage zu finanzieren. Zwar bekamen sie die auch, doch die vollständige Ausrüstung verschwand kurz darauf wieder. Erneut griffen King und Jenner tief in ihre Taschen. Später sollte Waters gestehen, dass er das Duo ursprünglich für Drogendealer mit Niveau gehalten habe, die auf der Suche nach dem großen Wurf waren.
Inzwischen brauchte auch die Free School eine Finanzspritze. „Wir stellten etwa einen Newsletter zusammen“, erzählt Hoppy. „Ich zahlte die Produktionskosten und obwohl ich Anfang der Sechzigerjahre als Pressefotograf ganz gut verdient hatte, verdingte ich mich nun anderweitig und wurde ärmer und ärmer. Um die Schule über Wasser zu halten und den Newsletter weiterhin veröffentlichen zu können, beschloss ich einen Benefiz-Event zu veranstalten, woraus sich dann eine ganze Reihe solcher Veranstaltungen entwickelte.“
Peter Jenner arrangierte, dass auch The Pink Floyd Sound bei diesen Konzerten in der All Saints Church Hall, in unmittelbarer Nähe zur Westbourne Park Road, zum Zug kamen. In der für die Gegend bedeutenden Veranstaltungshalle sollten später Bühnenmusicals und Theaterstücke aufgeführt werden und der Gemeinde von Notting Hill sollte sie als allgemeiner Versammlungsort dienen. Damals traf sich dort unter anderem eine von Londons ersten Spielgruppen für Kinder.
John Leckie, der später bei Aufnahmesessions von Pink Floyd als Toningenieur arbeiten sowie Größen wie die Stone Roses und Radiohead selbst produzieren sollte, war im benachbarten Ladbroke Grove aufgewachsen: „Ich sah Pink Floyd ein paar Mal in der All Saints Hall. Fantastisch. Das einzige Problem war, dass das eben eine Schulversammlungshalle war. Deshalb standen da all diese winzigen Kindertische und Stühlchen in der Gegend herum, was eine ziemlich witzige Kulisse bot, wenn irgendjemand plötzlich aufsprang, ausflippte und zu dieser abgefahrenen Musik seinen Idiotentanz aufführte.“
Eben in der All Saints Hall erlebte auch Andrew King seine Pink-Floyd-Premiere. „Ich glaube, es war dort, dass ich sie zum ersten Mal auftreten sah“, erzählt er. „Sie spielten damals immer noch 15-minütige Versionen von ‚Louie Louie‘ und ich erinnere mich daran, wie sonderbar doch alles klang. Ich wusste Bescheid über den Blues und die Wurzeln des Rock’n’Roll und das hier klang irgendwie nicht richtig. Aber all diese musikalischen Unstimmigkeiten bewirkten, dass es dann doch auch wieder funktionierte. Außerdem fand ich, dass Syd eine magnetische Ausstrahlung hatte.“
Im Publikum befand sich auch die aufstrebende Schriftstellerin Jenny Fabian, die einen im Musikbusiness angesiedelten Roman mit dem Titel Groupie schreiben sollte, der 1969 veröffentlicht wurde. „Ich hatte gerade die Flucht vor meinem ersten Ehemann ergriffen und lebte nun am Powis Square“, erzählt sie heute. „Ich war stets auf der Suche nach etwas Außergewöhnlichem, und die Leute, die ich in die All Saints Hall gehen sah, erweckten meine Neugier. Die Musik fand ich auch interessant, die Typen auf der Bühne sahen nicht minder interessant aus und der Leadsänger sah sogar ein bisschen mehr als bloß interessant aus.“
Nachdem ihr Jenner und King „als zwei Privatschüler, die ich aus einem vergangenen Leben kannte“, aufgefallen waren, „erlaubte ich Andrew, mich zu verführen“, wie Jenny sagte, bevor sie sich mit dem wahren Objekt ihrer Begierde, Syd Barrett, befasste. Später sollte er nur sehr oberflächlich getarnt als Ben in ihrem Buch in Erscheinung treten, während seine Band dort Satin Odyssey hieß.
Syds magnetische Bühnenperformance während diesen frühen Gigs wurde durch eine exotisch anmutende Lightshow ergänzt, für die Joel und Toni Brown verantwortlich zeichnete. Das amerikanische Ehepaar, das aus Ashbury-Haight, dem Hippie-Bezirk San Franciscos, stammte, bediente sich eingefärbter Dias und eines Projektors, was sich markant von den üblichen Deckenscheinwerfen in den meisten Auftrittssälen abhob. Als die Browns in die USA zurückkehrten, machten sich Peter Jenner und seine Frau Sumi daran, aus einem halben Zoll dicken Regalbrettern, fixierten Scheinwerfern für den Hausgebrauch von Woolworth, Reißzwecken und Kunststoff-Gel eine Vorrichtung zu basteln, die ähnliche Resultate liefern sollte. Joe Gannon, ein 17-jähriger Amerikaner, der die Gigs in der All Saints Hall besucht hatte, wurde als erster Beleuchter der Band angeheuert.
Obwohl Jenners Beleuchtungsanlage im Vergleich mit dem heutigen Standard hoffnungslos primitiv gewirkt haben mag, verlieh sie Pink Floyd seinerzeit eine spezielle visuelle Komponente, die ihnen diesbezüglich auch einen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz verschaffte. Außerdem gelang damit auch eine Art Vorstoß in jenen Bereich, den Jenner als „Medienmix-Welt“ bezeichnet. Die Bandmitglieder waren empfänglich für die Idee, schließlich hatten sie auch schon die musikalische Begleitung zu Mike Leonards Licht-und-Sound-Workshop am Hornsey College of Art beigesteuert. Im März traten sie außerdem auf dem Lumpenball der University of Essex vor auf die Bühne projizierten Filmaufnahmen auf, die ein im Rollstuhl sitzender Student, während er durch London geschoben wurde, gefilmt hatte.
Aufgrund ihrer avantgardistischen Lightshow und Bühnenprojektionen wurden die Konzerte in der All Saints Hall immer mehr zum beliebten Gesprächsthema, obwohl einer der ersten Auftritte so spärlich besucht war, dass Syd sich im Scherz erlaubte, eine Rede aus Hamlet für die wenigen Anwesenden zu rezitieren. „Es waren vielleicht 20 Leute bei unserem ersten Auftritt“, gesteht Roger Waters. „In der zweiten Woche waren es dann 100, als Nächstes vielleicht 300 oder 400. Und irgendwann kamen viele gar nicht mehr rein.“
In Übereinstimmung mit ihrer politisch links orientierten Einstellung, die auch ihr Management teilte, sollte die Band schon bald bei einem Oxfam-Benefizkonzert (gemeinsam mit den Komikern Peter Cook, Dudley Moore und Barry Humphries) sowie einer Show im Roundhouse in Camden, bei dem für die Unabhängigkeit Rhodesiens geworben wurde, auftreten. Da aber die Free School ihre finanziellen Schwierigkeiten nicht abschütteln konnte, ließ Hoppy nicht locker und machte mit großem Eifer auf sein Anliegen aufmerksam. Inspiriert von der New Yorker Village Voice unterbreitete Hopkins unter anderem Barry Miles (später nur mehr Miles) seine Idee, eine kostenlose Zeitschrift für die alternative Szene zu initiieren. Miles hatte schon die Indica Bookshop and Gallery eröffnet – El Dorados für die hippe Szene und fixe Anlaufpunkte zu Besuch weilender amerikanischer Beatniks. Auch war er mit Paul McCartney befreundet. Die Zeitschrift, International Times, wurde somit aus der Taufe gehoben, um – in den Worten von Miles – „London mit New York und Paris und Amsterdam zu verbinden … die Maler, Musikleute und Tanzleute zu vereinen …“
Am 15. Oktober 1966 richtete die International Times ihr Hauptquartier im Keller von Indica ein, was mit einer Party im Roundhouse – eine ehemalige Drehstation für Züge und Gin-Destillerie nahe der U-Bahn-Station Chalk Farm – gefeiert wurde. Hoppy und Miles verlangten zehn Shilling an der Tür und den Konzertbesuchern wurden Zuckerwürfel mit auf den Weg gegeben, die vielleicht oder vielleicht auch nicht mit LSD versetzt waren. (Tatsächlich enthielt keiner der Würfel LSD.) Drinnen, inmitten der verfallenen Ruine der vormaligen Destillerie, fanden sich 2000 Konzertbesucher ein, manche von ihnen tatsächlich auf LSD, während andere dies bloß von sich dachten. Sie alle trafen staunend auf die Minirock tragende Schauspielerin Monica Vitti, Marianne Faithful in bodenlangem Nonnengewand, Paul McCartney und Jane Asher, die als Araber verkleidet waren, sowie „trendige Leute, Beatniks, Saubermänner, Zuckerpüppchen und Höhlenmänner in Goldlamé“, wie das Magazin New Society später berichtete. The Pink Floyd Sound waren als Headliner gebucht und The Soft Machine, eine experimentell angehauchte Jazz-Rock-Formation, die an jenem Abend das Geräusch eines aufheulenden Motorradmotors in ihre Performance einbaute, fungierte als Vorgruppe. Vor Pink Floyds Auftritt kam es noch zu einem Unfall, bei dem Syd und Roadie Pip Carter angeblich eine ein Meter achtzig hohe Installation aus Götterspeise zerstörten – entweder indem sie den Van rückwärts in das Kunstwerk steuerten oder indem sie ein Holzbrett herauszogen, das die Konstruktion aufrechterhalten hatte.
„Ich erinnere mich an die Götterspeise“, lacht Jeff Dexter, der damals DJ in einem Londoner Club war. „Der Gig im Roundhouse war das erste Mal, dass ich The Pink Floyd sah. Ich war nicht übermäßig von ihrem Auftritt beeindruckt, aber ihre Leute waren der Hammer. Ich war fasziniert von ihrer kleinen Entourage – hauptsächlich Mädchen, die Syd umschwirrten.“
Die Floyds, in ihre besten Satin-Hemden gewandet und ausstaffiert mit Seidenschals, „tröteten und heulten und zwitscherten“, während ihre rudimentäre Lightshow und die Bildprojektionen das Ambiente um sie herum in psychedelische Farben tunkten.
„Ihre Musik war fast ausschließlich ein sehr lauter, psychedelischer Jam, der kaum einmal in irgendeiner Weise zur Intro-Musik passte, egal, ob das nun ‚Road Runner‘ oder ein anderer R&B-Klassiker war“, schrieb Miles im Jahr 2004. „Nach ungefähr 30 Minuten hörten sie auf, sahen sich kurz an – und spielten weiter, ziemlich genau von da, wo sie sich selbst unterbrochen hatten, nur dass sie zuerst noch ein neues Intro einspielen ließen.“
Ich denke, es war unser großes Glück, dass wir es nicht auf die Reihe bekamen, Covers zu spielen“, gibt Roger Waters zu. „So waren wir gezwungen, uns unsere eigene Ausrichtung und Herangehensweise zu überlegen.“ Richard Wright ergänzte: „Um die Gitarre und das Keyboard herum wurde alles etwas improvisierter. Roger fing auch an, den Bass wie ein Lead-Instrument einzusetzen.“
Es war egal, welche musikalischen Mängel die Gruppe hatte, Peter Jenner war begeistert vom Auftritt im Roundhouse. „Es herrschte ein so tolles Feeling an diesem Abend“, erinnert er sich. „Wir waren mit vielen Gleichgesinnten in Kontakt getreten – mit anderen Bands, anderen Leuten. Es war so in der Art von: ‚Wow, hier gehören wir hin.‘“ Wie Jenner selbst zugibt, wollten er und Andrew King die „gediegene“ Presse hofieren. Für sie ging es darum zu zeigen, dass „dies eine kulturelle Sache war, nicht nur Popmusik“.
Eine Woche später wurden The Pink Floyd (das „Sound“ wurde von nun an auf Peter Jenners Anregung hin weggelassen) zum ersten Mal in der landesweiten Presse erwähnt und zwar im Rahmen einer überraschend wohlwollenden Konzertkritik der Sunday Times. Darin kam auch Roger Waters zu Wort, der für das Review interviewt worden war. Er fabulierte von „genossenschaftlicher Anarchie“ und bezeichnete die Musik der Band als „eine vollkommene Umsetzung psychedelischer Anliegen“, eine Äußerung, die er später als „ganz offenkundig ironisch gemeint“ zurückwies. „Genossenschaftliche Anarchie“ beiseite, die Floyds und ihr neues Management waren sich trotz allem der Bedeutung eines guten Vertragsabschlusses bewusst.
Am Ende des Monats unterzeichneten Jenner und King einen Vertrag mit den vier Bandmitgliedern und gründeten die Firma Blackhill Enterprises. (Der Name stammte von einem Cottage, das Kings Familie in den Brecon Beacons besaßen.) Barrett, Waters, Wright und Mason gaben ihr Studium auf. Obwohl sich Bob Klose erinnert: „Syd fiel die Entscheidung, die Kunst-Uni zu verlassen, alles andere als leicht. Es bereitete ihm vielmehr große Qualen.“ Es war nicht das erste Mal, dass sein engeres Umfeld sich wunderte, warum dieser begabte Künstler der Musik den Vorzug geben wollte: „Ich fand es immer schon unglaublich, dass Syd und Roger von ihren Müttern erlaubt wurde, die Kunstschule und das Architekturstudium abzubrechen“, erzählt Libby Gausden. „Vor allem Mary Waters erstaunte mich. Schließlich stand Roger davor, Architekt zu werden.“
Der erste Firmensitz von Blackhill Enterprises war die Wohnung von Jenner in der Edbrooke Road 4, Notting Hill, und June Child von der Wohnung darunter wurde als Telefonistin engagiert. Jenner und King erhielten nun auch einen genaueren Einblick in die Persönlichkeiten ihrer neuen Schützlinge. „Mitunter fühlte es sich so an, als hätten wir es mit Syd und den drei Typen, mit denen er eben spielte, zu tun“, gesteht King. „Man könnte aber auch sagen, dass Nick und Rick anfangs reine Mitläufer waren und Roger insgeheim auf der Lauer lag.“
„Syd war ein attraktiver Kerl und der Sänger der Gruppe, weshalb er immer im Fokus stand“, erklärt Jenner. „Syd war der kreative Kopf und anfangs noch sehr umgänglich und pflegeleicht. Aber auch Rick war sehr hübsch, also war da nicht nur Syd. Rick mochte ich sehr. Er war höflich. Es war ein klassisches Management-Szenario: Er verursachte keinerlei Schwierigkeiten, weshalb man ihn gar nicht richtig wahrnahm. Den Leuten, um die man sich mehr kümmern musste, schenkte man einfach mehr Beachtung. Es war leicht, mit Nick klarzukommen. Er war derjenige, der mit allen anderen stets eine Gesprächsbasis hatte. Allerdings war er Rogers Kumpel, weshalb er sich immer mit ihm verbündete, wenn über irgendetwas abgestimmt wurde. Roger verkörperte die Organisation. Er war derjenige, an den man sich wandte, wenn man irgendwelche praktischen Angelegenheiten klären musste. Er stellte viele Fragen und wollte immer genau wissen, was gerade vor sich ging.“
„Roger organisierte alles“, erinnert sich Libby Gausden. „Jahre später, als ich hörte, dass er um die Namensrechte von Pink Floyd kämpfte, dachte ich: ‚Verdammt noch mal, und wie dir das zusteht.‘“
Barrett und Waters hatten beide noch in Cambridge damit begonnen, Songs zu schreiben. Einer von Syds frühesten Versuchen, „Let’s Roll Another One“, sollte später den Titel „Candy and a Currant Bun“ erhalten – um Vorwürfe bezüglich einer drogenfreundlichen Botschaft zu vermeiden – und auf der B-Seite der ersten Single der Band erscheinen. Waters’ Debüt als Songwriter war das bis dato niemals aufgenommene „Walk With Me, Sydney“, ein schmalziges Duett, das ursprünglich Barrett und Juliette Gale hätten singen sollen. Ab November 1966 sollte das Repertoire schließlich solche Barrett-Kompositionen wie „Matilda Mother“ und „Astronomy Domine“ sowie etwa „Take Up Thy Stethoscope and Walk“ umfassen. „Alle waren dazu angehalten, Songs beizusteuern“, erzählt Jenner. „Aber es war Syd, der mit den großartigen Sachen herausrückte.“
Der Herbst 1966 markierte für Barrett nicht nur eine überaus kreative Zeit, sondern auch eine Phase persönlicher Zufriedenheit, die im krassen Kontrast zu den Wirren stand, die in den kommenden Monaten folgen sollten. Er hatte inzwischen ein Zimmer in einem schmalen, dreistöckigen Haus, Earlham Street 2, in der Nähe des Cambridge Circus in London bezogen. Das Haus, das, einem Besucher von damals zufolge, „eine typische Hippie-Bude mit violetter Eingangstür und psychedelischen Wandmalereien“ war, ist inzwischen längst renoviert worden und im Erdgeschoss befindet sich heute ein Zeitungshändler. Es war die erste von mehreren Nachfolgewohnungen zur Clarendon Street 27, jener Kifferhöhle in Cambridge, in der er ein paar Jahre zuvor gewohnt hatte. Der Hauptmieter des Gebäudes war der mittlerweile verstorbene Jean-Simone Kaminsky, der aus der französischen Armee ausgebüchst war, dank eines mitfühlenden britischen Abgeordneten zuerst Zuflucht in Cambridge gefunden und Tür an Tür mit Matthew Scurfield gewohnt hatte.
Kaminsky zog schließlich nach London und mietete sich in der Earlham Street 2 ein. Obwohl er einen Job bei der BBC hatte, stellte er nebenbei auf Druckerpressen in seiner Wohnung sogenannte „intellektuelle Sexbücher“ her. Später, als eine der Pressen Feuer fing, musste das Gebäude geräumt werden. Nachdem die Feuerwehrleute den Flammen Einhalt geboten hatten, entdeckten sie Kaminskys illegale Literatur und verständigten die Polizei. Die anderen Mieter packten die anstößigen Schriften in einen Van, fuhren durch London und entsorgten die nassen Papierfetzen in allen möglichen Gärten.
Die Lebensumstände waren recht spartanisch, wie man am Mobiliar, das aus Lattenkisten gefertigt war, ablesen konnte. John Whiteley, ein ehemaliger Gardesoldat aus Nordengland, der damals als Mädchen für alles bei Better Books beschäftigt war („Unter den ganzen Intellektuellen war ich der einzige, der Glühbirnen austauschen konnte“), wohnte gelegentlich dort mit seiner Freundin Anna Murray, als das Aufgebot aus Cambridge regelmäßig in die bescheidene Hütte einzufallen begann. „Es wirkte, als ob diese Leute immer gleichzeitig aufkreuzten“, erinnert sich Whiteley heute. „Ponji Robinson, Dave Gale, Seamus O’Connell – so lernte ich Syd kennen.“
Mit der Hilfe seiner hippen Mutter organisierte der besonders vernünftige Seamus („Ich stand auf Bier, Jazz und Blues“) einen gedeckelten Mietpreis von fünf Pfund, fünf Shilling und fünf Pence in der Woche für die ganze Bude.
Anna Murray und Barrett teilten ein Interesse für die Malerei, weshalb sich die beiden sofort anfreundeten. „Anna malte gut“, erklärt John Whiteley, „und sie und Syd wurden enge Freunde. Sie rauchten ganz schön viel Dope miteinander – so wie wir das damals alle taten.“ Syd übernahm den Kellerbereich in der Earlham Street und freundete sich gut mit Peter Wynne-Willson – einem anderen Mieter – und seiner Freundin, Suzie Gawler-Wright, an. Wynne-Willson hatte seiner Privatschule den Rücken gekehrt, nachdem er 1958 am Ostermarsch nach Aldermaston teilgenommen hatte. Nun arbeitete er als Lichttechniker bei der Musicalproduktion Oliver!. Suzie sollte den Spitznamen „psychedelische Debütantin“ erhalten. Wynne-Willson organisierte einmal einen gemeinschaftlichen LSD-Trip während einer Aufführung von Händels Messias in der Royal Albert Hall. Das Paar sollte auf jeden Fall rasch seinen Platz in der Entourage Pink Floyds einnehmen, wobei Wynne-Willson die Verantwortung für die Bühnenbeleuchtung übernahm, als Joe Gannon sich wieder in die USA verabschiedete.
„Wenn die Theater, in denen ich arbeitete, Dinge entsorgten, trug ich sie zu mir nachhause und reparierte sie“, erklärt Wynne-Willson, der von nun an die Verantwortung für Jenners selbstgebaute Beleuchtungsanlage trug. Für einen seiner ersten Lightshow-Gimmicks spannte er ein Kondom über einen Rahmen aus Draht. Als Nächstes tröpfelte er Ölfarbe darauf und beleuchtete es von hinten, wodurch sich ein innovativer Effekt ergab, der zu einem wichtigen Feature bei Pink Floyds Live-Auftritten wurde. Ein weiterer Kreativitätsschub veranlasste das Paar dazu, etwas zu kreieren, das den Namen „Kosmonokel“ erhalten sollte. Dabei handelte es sich um Schweißerbrillen, deren dunkles Glas durch klares Glas sowie zwei Prismen ersetzt wurde, wodurch sich eine verzerrte und verwirrende Perspektive ergab.
„Ich weiß noch, wie ich mir so ein Ding mal aufsetzte und damit die Charing Cross Road hinunterspazierte – zumindest versuchte ich das“, erinnert sich Emo. „Ein Bulle fragte mich, was ich da täte, und ich glaube, dass wir ihn dazu überredeten, es auch einmal auszuprobieren. Natürlich sah man noch schlechter damit, wenn man stoned war – oder auf einem Trip.“
„Das Jahr 1966 war fantastisch in London“, berichtet Storm Thorgerson. „Unsere Hormone spielten verrückt und wir waren voller Leben.“ In der Earlham Street spielte Syd Gitarre, schrieb Songs, rauchte sein Dope und hing mit seiner Freundin Lindsay Corner ab, die von Cambridge nach London gezogen war, um eine Karriere als Model anzustreben. Unter der Anleitung von Seamus O’Connells Mutter hatte er sich mit I Ging, dem mystischen chinesischen Buch der Wandlungen sowie dem chinesischen Brettspiel Go vertraut gemacht. Nach benebelten Sessions, in denen er sich mit diesen Dingen die Zeit vertrieb, stärkte er sich mit Schokoriegeln aus dem Café Pollo in der nahegelegenen Old Compton Street.
I Ging war damals eine von Syds vielen Inspirationen für seine Musik – so wie auch Tarot-Karten, Hilaire Belloc, die Beatles, die Mothers of Invention, Aldous Huxley und vieles andere. Roger Waters erklärte später: „Syd war nie ein Intellektueller, sondern ein Schmetterling, der von vielen verschiedenen Blüten naschte.“
John Davies aus Cambridge lebte nun auch in London, um sich zum Tierarzt ausbilden zu lassen. Er erinnert sich: „Die Wohnung in der Earlham Street war ein wunderbarer Ort, um an einem Samstag ein wenig Zeit zu verbringen. Da spielte sich alles ab. Syd legte Platten auf und spielte uns neue Songs vor, die er geschrieben hatte. Ich weiß noch, wie ich echt stoned dasaß und lauschte, wie er ‚Scarecrow‘ auf einer Akustikgitarre schrammelte.“
„In der Earlham Street gab es ein Ereignis, das Syd für mich gut zusammenfasst“, sagt Po. „Er hatte ein kleines Zimmer – Matratze in der einen Ecke, Gitarre in der anderen und eine Stange mit eine paar Samthosen und blumig gemusterten Hemden. Das war’s auch schon. Ich erinnere mich, wie ich Go mit ihm spielte. Von der Decke hing eine nackte Glühbirne, die zu hell schien. Ich fragte ihn: ‚Syd, kannst du nicht irgendetwas wegen des Lichts unternehmen?‘ Er meinte: ‚Doch, da gibt es etwas.‘ Er hatte ein paar Orangen in einer braunen Papiertüte, die er herausnahm, um ein Loch in die Tüte zu schneiden. Dann stülpte er das Ding über die Glühbirne. Nun hatten wir einen wunderschönen Lampenschirm, der ein angenehmes Licht auf unser Spiel warf. Er war immer in der Lage, sich ganz mühelos solch künstlerische Dinge aus dem Ärmel zu schütteln, für die wir anderen vermutlich lange überlegen hätten müssen.“ Blackhill schlug seinen neuen Schützlingen vor, ein Demo aufzunehmen, das man dann an Plattenfirmen schicken könnte – und zwar „trotz der Tatsache“, wie Jenner zugibt, „dass wir in der Branche abgesehen von Joe Boyd eigentlich niemanden kannten“. In Thompsons Aufnahmestudio, Hemel Hempstead, nahmen Pink Floyd unter anderem auch „Candy and a Currant Bun“ sowie eine neuere Komposition mit dem Titel „Interstellar Overdrive“ auf. Es war der erste Acid-Pop, wie er typischerweise in der Carnaby Street lief: der ideale Soundtrack für Girls in Miniröcken, die auf Podesten tanzten. Doch es war „Interstellar Overdrive“, das zu Pink Floyds Markenzeichen werden sollte – ein instrumentaler „Freak-out“, der sich aus einer Gitarren-Figur entwickelte, die angeblich von Burt Bacharachs und Hal Davids „My Little Red Book“ in der Version der kalifornischen Band Love inspiriert war, das Jenner Syd vorgesummt hatte.
Anthony Stern lebte mittlerweile in der Carlisle Street im Londoner West End und arbeitete mit dem Filmemacher Peter Whitehead zusammen, jenem Künstler, dem Syd vier Jahre zuvor in seinem Artelier in Cambridge begegnet war. Als er eines Tages Peter Jenner in Soho über den Weg lief, überreichte der Manager Anthony eine Kopie der Demoversion von „Interstellar Overdrive“.
„Ich fand, dass es sich ideal für die Art von Film eignete, die ich machen wollte“, sagt Stern. Während einer Reise nach Amerika im folgenden Jahr sicherte er sich die Finanzierung für seinen Film San Francisco, in dem eine frühe Rohfassung von „Interstellar Overdrive“ abstrakte, aufblitzende Aufnahmen von Amerika im Jahr 1967 hinterlegten. „Ich versuchte, [in meinem Stil] Pink Floyds Lightshow zu kopieren“, erklärt Stern.
Nun, mit einem Management, einem Booking-Agenten und einem frischen Demo-Tape ausgestattet, kehrten Pink Floyd im Dezember 1966 nach Cambridge zurück, um bei der Weihnachtsfeier der Kunstschule aufzutreten. Im Publikum befand sich an diesem Abend auch der zukünftige Fotograf Mick Rock, der damals gerade in seinem ersten Studienjahr an der Universität von Cambridge war. Aufgrund seiner Vorliebe für Dope und Halluzinogene war Rock in Kontakt mit Pip und Emo gekommen: „Sie erzählten ständig von ihrem Freund Syd und seiner Band Pink Floyd und dass sich ihr Name von zwei Bluesmusikern ableite, von denen ich noch nie gehört hatte. Sie schwärmten in einer Tour von Syd. Ich war total geplättet, als ich dann zum ersten Mal Pink Floyd sah. Alles drehte sich dabei ausschließlich um Syd. Man nahm den Rest der Band gar nicht wirklich war. Pip und Emo stellten ihn mir später vor, aber zuerst traf ich noch Lindsay Corner. Wir hingen ein wenig ab und rauchten einen Joint. Ich weiß noch, dass sie sehr angetan war von ihm. Als ich dann nach der Show herausfand, dass sie Syds Freundin war, war ich noch beeindruckter.“
Nach dem Gig schloss sich Rock Barrett und seinen Freunden in der Hills Road an, um noch mehr Joints zu rauchen und sich über Timothy Learys Psychedelic Review und den hippsten Roman des Jahres, Die letzte Generation von Arthur C. Clarke, zu unterhalten. Es ergab sich daraus schlussendlich eine Freundschaft, die in das nächste Jahrzehnt und weit über Syds Abkehr von Pink Floyd hinaus andauern würde.
Ein weiterer von Syds früheren College-Freunden war ebenso vor Ort. John Watkins hatte geholfen, den Event auf die Beine zu stellen. Er erinnert sich: „Ich ging anschließend auf Syd zu und war voll des Lobes für den Auftritt: ‚Was ihr macht, ist echt fantastisch.‘ Er sah mich an und sagte: ‚Danke, aber ich glaube, ich muss den Schlagzeuger feuern und dem Keyboarder einen Tritt in den Hintern verpassen.‘ Aber so war er eben. An der Kunstschule hatte er gefühlt jede Woche eine neue Band gegründet. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass er bei ein und derselben Band bleiben und Nacht für Nacht dieselben Songs spielen würde.“
In London waren Hoppy und Joe Boyd eine Partnerschaft eingegangen. Boyd hatte die Shows von Pink Floyd in der All Saints Hall gesehen und suchte nach einer Location, in der er ähnliche Events inszenieren könnte. So fand er schließlich den Blarney Club, einen Festsaal, in dem Showbands auftraten. Er war unter den Berkley- und Continental-Kinos in der Tottenham Court Road. Boyd ging daraufhin einen Deal mit dem irischen Besitzer, Mr. Gannon, ein, den sie mittels Handschlag besiegelten und der Boyd dazu verpflichtete, wöchentlich 15 Pfund zu bezahlen, damit er im Gegenzug die Lokalität jeden Freitagabend für seine Zwecke nutzen konnte. Der Club-Event, der ursprünglich „UFO-Night Tripper“ hieß und bald schon schlicht als UFO bekannt wurde, öffnete am 23. Dezember 1966 die Pforten. Auf der Bühne standen Pink Floyd sowie als Vorgruppe The Soft Machine. UFO wurde ab dem neuen Jahr zu einer wöchentlichen Veranstaltung, bei der sich Pink Floyd und The Soft Machine als Hausbands etablieren konnten und Pink Floyd sich bei ihren ersten drei Auftritten 60 Prozent der Bruttoeinnahmen sicherten.
Die Organisatoren des Clubs selbst stiegen ebenso positiv aus, was zu dieser Zeit eher eine Seltenheit war. Der Gewinn wurde in Anzeigen investiert, die in der International Times erschienen, was wiederum der Zeitung dabei half, liquide zu bleiben. Im Gegenzug war sich die Belegschaft der International Times auch nicht zu schade, am Eingang des UFO den Eintritt von den Gästen zu kassieren. Der Club hatte von 22 bis 8 Uhr morgens geöffnet. Die stylishe Klientel, der psychedelische Sound und die spacigen Lichteffekte ließen vergessen, dass der Saal mit seiner polierten Tanzfläche und der darüber rotierenden Disco-Kugel tief in der Tradition des altmodischen Showbiz verankert war. Zwar durfte kein Alkohol ausgeschenkt werden, aber an einem kleinen Stand wurden die hungrigen Besucher mit makrobiotischen Snacks versorgt und ein deutscher Drogenhändler, den alle nur unter dem Namen Marlon kannten, verkaufte Trips. Der Beleuchter des Clubs, der leider verstorbene Mark Boyle, hatte regelmäßig Mike Leonards Sound-und-Licht-Workshop am Hornsey College of Art besucht. Boyle stand auf einer improvisierten Plattform, wo er Substanzen zwischen durchsichtigen Dias bannte, die sich durch die Wärme der Projektorlampe verflüssigten und dann schließlich auf die Bühne projiziert wurden, was den Eindruck vermittelte, sie würden über die Band hinwegwabern.
„Heutzutage würde eine Siebzigerjahre-Disco im Vergleich dazu schon hochentwickelt wirken“, meint Mick Farren, der damals für International Times schrieb und mit seiner eigenen Band, The Social Deviants, als Sänger aktiv war. „Aber damals war das Ambiente einfach atemberaubend.“
„Du warfst dir einen Trip ein und erschienst einfach schon sternhagelvoll“, sagt Jenny Fabian. „Es war, als ob man sich in eine unterirdische Traumwelt begeben würde. Die Leute schweiften mit diesem beseelten Blick in den Augen umher oder legten sich auf den Holzboden. Ich lag selbst oft genug da, um ganz in den Schwarz-Weiß-Filmen, die zwischen der Musik liefen, aufzugehen. Das Ganze war auch irgendwie regressiv: Wenn du pinkeln musstest, dann lag am anderen Ende dieses Saals der Träume ein verschlungener Korridor, der zwar hell beleuchtet, aber schwarz angestrichen war. Und von den Wänden tropfte das Kondenswasser. Am Ende des Ganges befand sich schließlich die Damentoilette, wo ich in den Spiegel sah und mich über den Anblick wunderte … Es war jedenfalls immer eine große Erleichterung, in die Gebärmutter dieser Fantasiewelt zurückzukehren.“
Neben der Live-Musik wurden im Club auch Performance-Kunst und Avantgarde-Filme gezeigt. Aber im Laufe der Zeit waren es doch die Live-Bands, die den Reiz des UFO ausmachten. Trotz der gebärmutterartigen Atmosphäre entwickelte sich eine Rivalität zwischen den Anhängern der jeweiligen Bands, wenn nicht sogar zwischen den Bands selbst. „Pink Floyd waren ein sehr abgefahrener, äußerst drogenschwangerer, aber auch sehr weißer Rock. Sie waren für Leute, die Tolkien mochten oder nach Ufos Ausschau hielten“, sagt ein The-Soft-Machine-Fan. „The Soft Machine waren hingegen eher auf eine europäische Art und Weise avantgardistisch. Sie konnten bei Jazz-Festivals in Frankreich auftreten. Ihr Publikum wirkte sozial engagierter, interessierte sich für die Bürgerrechte der Schwarzen und die Revolution der Arbeiterklasse.“ Für manche ging es wiederum mehr um musikalische und visuelle Vorzüge. „Unter meinen Freunden wurde immer gestritten, wer nun besser wäre“, sagt John Leckie. „Wir diskutierten ständig darüber, wer die Grenzen mehr verschieben würde. The Soft Machine konnten sicher besser spielen. Aber Pink Floyd waren abstrakter und hatten außerdem Syd.“
Sogar innerhalb ihrer eigenen Entourage war nicht jeder von der musikalischen Qualität Pink Floyds überzeugt. „Um absolut ehrlich zu sein, ich war nie ein Fan von ihnen“, lacht John Whiteley. „Ich half zwar im UFO bei der Beleuchtung aus, aber ich kann mich auch noch erinnern, dass Syd, während er spielte, den anderen die jeweiligen Akkorde zurufen musste.“
Dennoch erinnert sich etwa der Drummer von The Soft Machine, Robert Wyatt, noch voller Zuneigung an die einstigen Rivalen: „Pink Floyd hatte eine gewisse Leichtigkeit an sich, die mir gut gefiel. Unser Equipment gab ständig seinen Geist auf und Pink Floyd ließen uns dann ihres verwenden, was damals unter Rockbands nicht so üblich war. Die meisten von ihnen hatten sich in ihre Kokons eingesponnen. Ich hörte immer noch John Coltrane und kaufte mir keine Rock-Platten. Aber ich war begeistert, als ich Pink Floyd sah – wie sie sich Zeit dabei ließen, von einer Note zur nächsten überzugehen. Ich hätte das so nicht gekonnt, aber Pink Floyd hatten immer alles unter Kontrolle.“
Da beide Bands die Musik performen durften, die sie spielen wollten, und dies außerdem auch so lange, wie sie wollten, traten Pink Floyd und The Soft Machine oft vor Leuten auf, die – wie es Wyatt ausdrückt – „keine Ahnung mehr hatten, welches Jahr gerade war, geschweige denn, wie spät es war“. Das beeinträchtigte Zeitgefühl, das zu einem Trip dazugehörte, machte Pink Floyd zum idealen Soundtrack für das LSD-Erlebnis. Vor ihren Auftritten im UFO bat ihre Crew das Publikum stets, den Bereich direkt vor den Lautsprechern zu räumen. Wie Miles es später einmal im New Musical Express schrieb: „Ursprünglich ging es dabei darum zu verhindern, dass benebelte Hippies sich ihre Trommelfelle ruinierten, aber irgendwann wurde es zu einem kuriosen Ritual in der Art einer Zen-Zeremonie: die Räumung des Raumes, damit Pink Floyds mysteriöse Musik hervorsprudeln konnte.“
Auf der Bühne spielten sie im Licht selbstgebauter Scheinwerfer und Projektionen, die im Hintergrund verschwammen und das mystische Ambiente noch verstärkten. Syds abstrakte Gitarrenriffs rangen mit Richard Wrights unheimlich klingenden Keyboards. Roger Waters, schlaksig und distanziert, lieferte mit seinem pulsierenden Bass-Spiel das Fundament für das klangliche Spektakel und mitunter, wenn es die Stimmung erforderte, auch unheilig anmutendes Geschrei. Eines Abends, so erinnert sich Joe Boyd, sah er, wie Pete Townshend, der sich auf einem Trip befand, neben der Bühne kauerte, auf Waters zeigte und behauptete, der Bassist würde ihn verschlucken.
„Ich war drei Mal im UFO auf LSD“, erinnert sich Townshend. „Ich hielt Roger für sehr attraktiv und sehr beängstigend. Ich hatte echt Angst davor, dass er mir meine Freundin ausspannen würde, während ich auf LSD war. Schließlich gab er sogar offen zu, dass sie ihm gefiel.“ Die fragliche Freundin war Karen Astley, Townshends zukünftige Ehefrau, eine bildhübsche Kunststudentin, die bereits auf dem Plakat zur Eröffnung des Clubs zu bewundern gewesen war. Sie zog routinemäßig die Aufmerksamkeit im UFO auf sich, da sie, wie der Gitarrist von The Who es ausdrückt, „in einem Kleid tanzte, das aussah, als wäre es aus Kuchenpapier“.
Zoff gab es nur selten im UFO. Mitunter störten sich Mods, die vorbeischneiten, an den offen gezeigten Love-and-Peace-Schwingungen, obwohl viele von ihnen selbst letzten Endes LSD einwarfen, um sich dem bunten Treiben anzuschließen. Gelegentlich konnten Biker auf Acid gegenüber den weiblichen Besuchern ihre Hände nicht in Zaum halten. Auch kam es zu Störungen der öffentlichen Ruhe, wenn die schönen Menschen mitsamt ihren klingelnden Hippie-Glöcklein und Kaftanen in den frühen Morgenstunden auf die Tottenham Court Road gespült wurden und das Interesse patrouillierender Ordnungshüter auf sich zogen.
Sam Hutt, Londons erster „Alternativmediziner“, der später zum Country-Sänger Hank Wangford mutieren sollte, war ein Stammgast im UFO und staunt immer noch, mit wie viel die Clubbesucher letzten Endes durchkamen: „Der Ire, dem der Laden gehörte, war unglaublich pragmatisch. Er drückte buchstäblich beide Augen zu, was sehr irisch war. Für ihn unterschied sich das Ganze nicht von einem Pub, das etwas länger offenließ.“
„Ihr dürft nicht vergessen, dass dies ein gemieteter Festsaal war, in dem sonst irische Showbands auftraten“, ergänzt Mick Farren. Damals musste man die Polizei eben irgendwie besänftigen. „Sogar wenn alles ganz normal ablief und ohne Hippies einmal pro Woche.“ Eine Kiste mit Whiskey zu Weihnachten war allerdings eine wirkungsvolle Methode, um sich Ruhe zu verschaffen.
Im Januar 1967 kreuzten Barretts Wege erneut jene von Peter Whitehead, der mittlerweile Filme drehte, bei denen ihm Barretts Ausstellungspartner Anthony Stern assistierte. Wholly Communion, ein Film über eine Dichterlesung in der Royal Albert Hall im Jahr 1965, in dem unter anderem Allen Ginsberg zu sehen war, sowie Charlie is My Darling, eine Dokumentation über eine Tour der Rolling Stones aus dem darauffolgenden Jahr, sollten Whitehead als Chronist der sogenannten Gegenkultur etablieren. Andrew King beschrieb ihn später als „Mr. Trendy“, obwohl Peter insistiert: „Ich mochte Pop nicht wirklich und war zuvor auch noch nie in meinem Leben auf einem Popkonzert gewesen.“ Whitehead steckte gerade mitten in der Arbeit an einem anderen Film, Tonite Let’s All Make Love in London, bei dem er Segmente von Interviews mit Mick Jagger, Julie Christie, Michael Caine, David Hockney und anderen zu einer Zeitkapsel zusammenschnitt, welche die Pop- und Filmstars und Künstler der Ära dokumentieren sollte. Was der Film noch brauchte, war ein passender Soundtrack, der am Puls der Zeit lag. „Auf keinen Fall wollte ich die verdammten Rolling Stones dafür verwenden“, erklärt Whitehead. „Anthony wusste, dass mir The Soft Machine gefiel. Er erzählte mir davon, dass Syd bei Pink Floyd war und sie etwas Ähnliches machten.“
Peter begab sich daraufhin in den UFO-Club und traf hinter der Bühne auf Syd („Er war schon ein wenig bedient“), obwohl seine Aufmerksamkeit zunächst mehr Barretts Begleitung, einem hübschen Mädchen aus Cambridge namens Jenny Spires, galt. „Jenny war das erste Mädchen, das den Vibe im UFO total personifizierte“, meint Anthony Stern. „Sie lebte eine Weile lang in meiner Wohnung. Eines Abends saß ich so da, als ich hörte, wie die Türe aufging. Es erklang dieses liebliche Geräusch kleiner Glöckchen – wie bei einem Rentier. Es war Jenny, die eben solche Glöckchen um die Knöchel trug. Sie verkörperte auf wunderschöne Weise diesen neuen Frauentyp. Ich hörte kein so liebliches Geräusch mehr, bis ich 1972 in die Stadt Herak in Afghanistan fuhr, wo Pferde mit exakt denselben Glöckchen geschmückt waren. Plötzlich hatte ich einen Flashback und sah Jenny, wie sie erneut durch meine Wohnungstüre kam.“
Jenny und Syd hatten sich während eines von Barretts Besuchen in Cambridge kennengelernt und waren von Ende 1964 an den Großteil von 1965 ein Paar. Ihre Beziehung flackerte bis zum Frühling 1966 noch immer wieder mal auf und die beiden blieben auch nachher noch enge Freunde. Als Jenny nach London zog, verbrachte sie regelmäßig Zeit mit Syd und Lindsay in der Earlham Street.
„Auch ich begann, mich mit Jenny Spires zu treffen“, erklärt Peter Whitehead. „Eines Abends zeigte ich ihr in meiner Wohnung mehrere Szenen, die ich für den Film zusammenschnitt, und erzählte ihr, dass ich noch Musik benötige. Sie schlug Pink Floyd vor. Doch hatten sie damals noch gar keine richtigen Aufnahmen.“
Nachdem er einen Deal mit Syd und Blackhill ausgehandelt hatte, sponserte Whitehead zwei Stunden Studiozeit für 85 Pfund in den Rye Muse Studios in Kensington, die später in Sound Technique umbenannt wurden, und filmte ihre Darbietung von „Interstellar Overdrive“, jenem Song, dessen Demoversion Anthony Stern so beeindruckt hatte. „Mir gefiel es, weil es so düster, drogenschwanger, mysteriös und fast schon klassisch war“, erklärt Whitehead. Wie Stern hielt auch Peter das Stück für ideal geeignet für seinen Film. Auf dem Filmmaterial sieht man Barrett, wie er dissonantes und unkonventionelles Gitarrenspiel beisteuert, wobei sein weites rot-schwarzes Shirt und sein dünner Schnurrbart ihn an diesem Tag ein wenig unstylisher als seine Bandkollegen wirken lassen. Vor allem Mason sieht auf den Aufnahmen „sehr nach Carnaby Street aus“, wie es ein Band-Insider formuliert. Da der Band noch ausreichend Zeit zur Verfügung stand, jammte die Band noch eine weitere Nummer mit dem Titel „Nick’s Boogie“, obwohl für den fertigen Film nur „Interstellar Overdrive“ verwendet werden würde. Jahre später sollte Whiteheads zusätzliches Bildmaterial von der Band bei Auftritten im UFO und dem Alexandra Palace auf der DVD Pink Floyd London 1966–1967 zu bewundern sein.
Im Sound Technique sollten Pink Floyd unter Joe Boyds Anleitung schließlich noch mehr Songs aufnehmen, darunter auch eine neue Barrett-Komposition, „Arnold Layne“. Die Band filmte dafür auch einen Promo-Clip, bei dem das Quartett mit einer Schaufensterpuppe auf einem eiskalten Strand in Sussex herumalberte. Es war ein rares Beispiel für die unbeschwertere Seite der Band, obwohl Roger Waters, der für die Kamera in etwas zu kurzen Röhrenhosen herumtollte, Barrett die Schau stahl.
Peter Jenner gesteht unumwunden, dass sie damals nicht wirklich wussten, was sie da eigentlich taten. Allerdings hatte Boyd die Aufgabe in seiner Funktion als A&R-Mann, der Band einen Deal zu sichern. Laut Jenner hatte Boyd seinen Boss, den Manager von Elektra Records Jac Holzman, der Peter Jenners neue Lieblingsband Love unter Vertrag genommen hatte, einfliegen lassen, um diese Band zu inspizieren. „Aber er fand keinen Gefallen daran und gab uns einen Korb“, so Jenner. Nick Mason erinnert sich hingegen daran, dass Holzman ihnen immerhin „eher widerwillig“ nicht einmal ganze zwei Prozent bot. Polydor Records sprang daraufhin mit einer besseren Offerte ein, welche auch beinhaltete, dass Joe als unabhängiger Produzent an Bord bliebe. (Er hatte inzwischen seine eigene Produktionsfirma namens Witchseason gegründet, wobei sich der Name vom Titel der Donovan-Single „Season of the Witch“ ableitete.) Es wurde bereits ein Vertrag ausgearbeitet, als der Deal innerhalb weniger Tage doch noch scheiterte.
Bryan Morrison war einer der scharfsinnigsten Booking-Agenten des Landes, der von seinem Büro in der Londoner Charing Cross Road aus die Pretty Things managte. Außerdem verwaltete er die Verlagsrechte vieler anderer Bands, die er eben auch als deren Agent betreute, so etwa auch jene, die im angesagten Speakeasy auftraten. Jeff Dexter gehörte zu den ersten, die Morrison einluden, sich Pink Floyd im UFO anzusehen.
Im Jahr 1982 erinnerte sich Joe Boyd daran, dass Morrison ihm und der Band, die gerade probte, einen Besuch abstattete. Im Schlepptau hatte er zwei seiner Gehilfen, Tony Howard und den zukünftigen Pink-Floyd-Manager Steve O’Rourke. „Zwischen mir und den dreien herrschte sofort ein intensives Gefühl der Abneigung“, sagt er. Später erinnerte sich Boyd an „samtene Jacken, Schals, die sie um ihre Kehlen geschnürt hatten, enge Hosen … all dies Dandytum machte sie nur umso verdächtiger“. Diese Kombination aus traditionellem Gebaren und Elementen der prävalenten „Kiffer-Kultur“ ergab einen formidablen Mix. „Joe dürfte von Morrie, Steve und Tony eingeschüchtert gewesen sein“, schließt Jeff Dexter, „da man mit ihnen rechnen musste.“ Das Treffen sollte jedenfalls nicht ohne Folgen bleiben.
Morrison hatte sich bereits mit der Absicht an Blackhill gewandt, die Band in Zukunft zu repräsentieren. Auch hatte er The Pink Floyds Vertrag mit Boyd und Polydor unter die Lupe genommen und der Band mitgeteilt, dass er ihnen mehr zu bieten hätte. Noch bevor Joe irgendwelche Einwände erheben konnte, kehrte Blackhill Polydor den Rücken und unterschrieb einen Deal mit Morrison, der daraufhin eine Aufnahmesession finanzieren würde, die dann diversen Plattenfirmen zugespielt werden sollte.
„Das Problem bestand darin, dass Joe die einzige Person war, die wir im Musikbusiness kannten“, gesteht Jenner. „Und in unseren Augen hatte er sich in Bezug auf Jac Holzman nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert. Allerdings tauchte dann plötzlich Bryan Morrison auf und er schien so gut wie jeden zu kennen … Damals hieß das EMI, Pye oder auch Decca. EMI galt als hipper, weil sie die Beatles hatten und ihnen außerdem Abbey Road gehörte. Bryan sagte zu uns, dass wir uns für die Firma mit dem meisten Geld entscheiden sollten. Das ersparte uns das Nachdenken.“ Nachdem er einen Brief von EMI Parlophones neuem Produzenten Norman Smith, der sich nach neuen Bands umsah, erhalten hatte, wusste Bryan Morrison, dass er EMI an der Angel hatte.
„Ich verschickte Briefe an alle Manager und Agenten, die mir einfielen“, erzählte Norman Smith dem Autor dieses Buches im Jahr 2005. „Bryan Morrison schrieb mir zurück und lud mich ein, mir Pink Floyd anzusehen. Ich hatte noch nie von ihnen gehört und, um ehrlich zu sein, hatte ich kein großes Interesse an psychedelischer Musik. Aber er nahm mich mit in den UFO-Club und, obwohl die Musik mir überhaupt nichts gab, fiel mir auf, dass sie damals schon eine große Anhängerschaft hatten. Ich begriff, dass ich mir meinen Business-Hut aufsetzen sollte. Mir war völlig klar, dass wir hier ein paar Platten verkaufen könnten.“ Der vorgeschlagene Deal verzögerte sich aber, als Jenner und King einen Vorschuss verlangten. „Sie wollten vorab etwas Kohle – 5000 Pfund“, erzählte Smith. „Üblicherweise zahlte EMI aber keine Vorschüsse. Es war schwierig, das Firmenmanagement davon zu überzeugen, aber letzten Endes gelang es mir.“
Laut Smith wollte sich der damalige A6R-Chef von EMI, Beecher Stevens, in die Gestaltung des Deals einbringen – und erntet seitdem fälschlicherweise die Lorbeeren dafür, die Band unter Vertrag genommen zu haben. Jenner erinnert sich, dass das Label „begeistert war, als hip und groovy zu gelten, so eine Band an Land gezogen zu haben“. The Pink Floyd wiederum konnten sich glücklich schätzen, einen Deal für ein Album anstelle eines Vertrags, der die Betonung auf Hit-Singles legte, gelandet zu haben.
Der verschmähte Joe Boyd hatte großmütig die neuen Versionen von „Arnold Layne“ und dessen B-Seite „Candy and a Currant Bun“ produziert, wobei ihm, wie er später erzählte, Roger über die Schulter geschaut und seinen „langen Zeigefinger“ auf einen der Regler gelegt hatte. Allerdings gestatteten die Regeln der EMI ihren Künstlern nicht, mit unabhängigen Produzenten zu arbeiten. Gleichzeitig schraubte die Morrison Agency die Gage der Band für ihre Auftritte im UFO nach oben. Joe Boyds Beziehung zu Pink Floyd war jedoch endgültig beendet. „Es war so ein klassischer Fall von ‚Danke fürs Produzieren, Joe. Wir sehen uns, okay?‘“, erklärt Boyd.
„Zwischen Joe und uns gab es im Anschluss eine leichte Verstimmung“, erzählt Jenner. „Aber wir hatten nicht mehr jedes Mal Zeit, um im UFO aufzutreten, wenn sie uns darum baten. Und so fingen wir an, bei ihnen nachzufragen: ‚Wie viel wärt ihr denn bereit zu zahlen?‘ Joe fühlte sich über den Tisch gezogen und man muss sagen, dass dem ja auch so war. Ich hoffe, dass wir mittlerweile alle darüber hinweg sind.“ Boyd beschrieb den Coup in seinem Buch White Bicycles: Making Music in the 1960s: „So wie auch ich, waren Jenner und King überfordert. Keiner von uns hätte zu träumen gewagt, dass Jahrzehnte später auch in den entferntesten Winkeln der Erde, in den Handschuhfächern irgendwelcher Taxis in Ländern der Dritten Welt Kassetten von Dark Side of the Moon zu finden sein würden.“
Pink Floyds erste Single war „Arnold Layne“, ein Song über einen Fetischisten, dessen wunderliches Hobby es war, Damenunterwäsche zu stehlen. Sie wurde am 11. März 1967 veröffentlicht. Die Kinks und The Who versuchten sich bereits an ausgefalleneren Songtexten und bahnten gleichzeitig einer Reihe von schrulligen englischen Bands den Weg, die mit großem Vergnügen genauso klangen: schrullig und englisch. „Arnold Layne“ war im Vergleich dazu schon etwas grusliger. Die Lyrics waren angeblich von einer wahren Geschichte inspiriert, die sich in Cambridge ereignet hatte. Ein unbekannter Unterhosen-Dieb hatte Mary Waters’ Wäscheleine leergeräumt und Roger hatte Syd von diesem Vorfall berichtet. Die Musik bediente sich eines wirren, Ringelspiel-artigen Rhythmus. Barretts Gesang klang aufsässig englisch und ließ trockenen Humor vermuten. Es war Richard Wrights Farfisa-Orgel, die am offenkundigsten psychedelisch daherkam und der Nummer anstelle eines konventionellen Gitarrensolos einen farbenfrohen Anstrich verpasste und den Song zu dominieren vermochte. Im Frühling 2006, als er als Keyboarder in David Gilmours Solo-Band unterwegs war, sang Wright Syds Leadgesang-Part für eine Version des Songs.„Arnold Layne“ erinnert daran, wie unverzichtbar der ruhige, zaghafte Wright für Pink Floyds früheste Arbeiten war. „Jeder – inklusive mir – unterschätzte Rick“, gesteht Peter Jenner. „Aber er war so wichtig für diese frühen Aufnahmen. Ich erinnere mich daran, wie er Harmonien und Arrangements aussuchte, den anderen sagte, was sie singen sollten, und Rogers Bass stimmte … Ich glaube außerdem, dass die Zusammenarbeit von Rick und Syd generell unterschätzt wird.“
Mit ein wenig Hilfe seitens des Managements („Wir wendeten ein paar Hundert Pfund dafür auf, die Scheibe in die Charts einzukaufen“, gestand Andrew King) erreichte „Arnold Layne“ schließlich die Nummer 20 in den UK-Charts, wurde gleichzeitig aber auch von Radio Caroline und Radio London aufgrund der heiklen Thematik boykottiert. „Wir haben keine Ahnung, was sie daran so aufregt“, protestierte Waters in Disc and Music Echo. „Der Song handelt von einem Kleidungsfetischisten, der ein wenig ein Rad ab hat. Das ist ein sehr einfacher, direkter Song über eine Art von menschlichem Dilemma.“
Die ehemalige UFO-Hausband hatte sich also dafür entschieden, in den Vordergrund des öffentlichen Interesses zu drängen, obwohl ein Auftritt bei Top of the Pops, dem Flaggschiff der BBC, schließlich gestrichen wurde, als die Single ihren Höhepunkt überschritten hatte. „Wir wollen Popstars sein“, erklärte Waters einem Interviewer. Oberflächlich betrachtet wirkte es, als wäre die Band bereit, durch alle Reifen zu springen, die man ihnen vor die Nase hielt: Sie posierten herausgeputzt in ihren besten Hemden und Stiefeln für ein Foto vor dem EMI-Hauptquartier am Manchester Square und ließen sich selbstgefällig mit EMI-Schwergewicht Beecher Stevens in seinem Büro ablichten. Vor allem aber begaben sie sich auf eine zermürbende Tour, die die Morrison Agency gebucht hatte. Diese Konzertreise führte sie kreuz und quer durchs ganze Land, wobei sie regelmäßig zwei Gigs an einem Abend zu absolvieren hatten.
Abgesehen von „Arnold Layne“ bestand das Set der Gruppe nach wie vor aus weniger leicht verdaulichen „Freak-outs“, die das benebelte, zugedröhnte Publikum im UFO regelmäßig in begeistertes Staunen versetzt hatten. Die Konzertbesucher in der Provinz reagierten hingegen weit weniger aufgeschlossen: Verstimmte Gäste bedachten die Gruppe vom ersten Rang herab mit Bierduschen und Waters, der sich nicht scheute, selbst dem feindseligsten Publikum mit einer spitzfindigen Bemerkung entgegenzutreten, erlitt eine klaffende Kopfwunde, als er eines Abends von einer Münze an der Stirn getroffen wurde. Aubrey „Po“ Powell fuhr die Band sechs Monate lang zu ihren Gigs und sah, wie schlecht ihre Musik ankam: „Sie spielten vor, sagen wir mal, 20 Mods, die angesichts dieser psychedelischen Band alle entsetzt dreinblickten. Sie wollten doch eigentlich Junior Walker hören.“
Als The Pink Floyd sich zur Vorzeige-Underground-Band der EMI mauserten, befand sich die Szene, die sie ursprünglich hervorgebracht hatte, gerade im Umbruch. Im Frühjahr war Keith Richards von den Stones wegen Drogen verhaftet worden und die Vorliebe der Musikbranche für illegale Substanzen wurde zum idealen Futter für die Klatschpresse. News of the World titelte etwa mit Schlagzeilen wie „POP SONGS UND DER KULT UMS LSD“ und The Pink Floyd wurde fälschlicherweise unterstellt, sich selbst als „social deviants“ – also als „soziale Abweichler“ – bezeichnet zu haben. Dabei hatte die Zeitung sie mit Mick Farrens Band, The Social Deviants, verwechselt. Nachdem Anwälte konsultiert worden waren, erhielten The Pink Floyd schließlich eine Entschuldigung. Es gelang ihnen sogar, die EMI davon zu überzeugen, dass ihre Musik in keinerlei Hinsicht die Erfahrung eines LSD-Trips nachzuempfinden versuche, wie ihnen vorgeworfen wurde. „Wie wir das angestellt haben, weiß ich auch nicht“, wundert sich Nick Mason.
Während The Pink Floyd weiteren Konsequenzen entgingen, hatten andere nicht ganz so viel Glück. Inmitten all der Aufregung wurde John „Hoppy“ Hopkins wegen Marihuana-Besitzes für sechs Monate eingebuchtet. „Ich war einfach leichtsinnig, unglaublich leichtsinnig“, gesteht er heute ein. Bevor er seine Strafe im Knast von Wormwood Scrubs antrat, übergab er Joe Boyd die alleinige Kontrolle über den UFO-Club. Als A&R-Mann beschloss Boyd verständlicherweise, den Fokus darauf zu legen, neue Bands zu buchen anstatt weitere Mixed-Media-Happenings zu veranstalten. In den folgenden Jahren sollte Boyd behilflich sein, die Karrieren von Fairport Convention, Nick Drake und vielen anderen zu organisieren, doch für manche war der kommerziellere Ansatz an den Club ein Anzeichen dafür, dass die Underground-Szene gespalten wurde – dass sie eben einfach nicht länger den Namen „Underground“ verdiente. The Pink Floyds Unterschrift bei EMI verdeutlichte diese Veränderung. „Meiner Meinung nach war es eine Schande, dass Pink Floyd nicht mehr die ‚unsrigen‘ waren“, bekennt Jenny Fabian.
Mick Farren sieht die Sache pragmatischer. „Den rationaler Denkenden unter uns war ziemlich klar, dass die Floyds auf einem Major-Label landen würden, aber ein paar der Freaks sahen darin einen Ausverkauf. Ich erinnere mich, dass jemand auf die Toilettenwand im UFO ‚Pink Finks‘ [in etwa: ‚Pinke Verräter‘] geschmiert hatte. Mich störte allerdings, wie schnell sie sich aus der Drogenkultur, in der sie sich einen Namen gemacht hatten, verabschiedeten, als die Kacke plötzlich am Dampfen war und die Stones verhaftet wurden, Hoppy ins Gefängnis musste und man auf der Straße massiv schikaniert wurde. Das ließ sie wie Drückeberger wirken.“
Die Gruppe sah die Szene jedoch mehr als eine Art Startrampe für ihre Musik denn als eine Philosophie, nach der sie ihr Leben richten wollte. Nachdem sie ihre akademische Ausbildung abgebrochen hatten, um eine Musikkarriere zu verfolgen, war eben diese Karriere wichtiger als das Schicksal der London Free School oder der International Times.
„Mit manchen Elementen des ‚Undergrounds‘ konnten wir etwas anfangen“, sagt Nick Mason heute. „Man lieferte die Musik, während andere Leute tanzten, sich die Gesichter anmalten und in Unmengen von Götterspeise badeten. Vermutlich da wir der Mittelklasse entstammten und einigermaßen gebildete Leute waren, gelang es uns, unter anderem so zu sprechen, als würden wir einer aktuellen Bewegung angehören.“
Roger Waters sieht das Ganze sogar noch distanzierter. „Bis heute weiß ich immer noch nicht genau, was es mit vielen dieser Dinge überhaupt auf sich hatte“, gibt er zu. „Da wurde zwar vage von einer Revolution gesprochen, aber nichts Spezifisches. Ich las auch die International Times ein paar Male, aber was war die Notting Hill Free School noch einmal? Was war ihre Zielsetzung genau? Ich begriff nie, worum es dabei ging – abseits von ein paar ‚Happenings‘ vielleicht. Diese ‚Happenings‘, die wir veranstalteten, waren nie mehr als ein Witz.“
Zwar konnte EMI überredet werden, der Band einen neue Ford Transit und ein neues Binson Echorec – jenes Wunderding, das für die Space-Geräusche verantwortlich war – zu spendieren, doch für die Hotelkosten wollte die Plattenfirma nicht aufkommen. Nach Gigs im hohen Norden musste die Band daher stets noch die nächtliche Rückfahrt nach London in Kauf nehmen. Die zusammengewürfelte Crew hielt ihnen dabei den Rücken frei. Peter Wynne-Willson verlud die Ausrüstung und schraubte die selbstgemachte Beleuchtungsanlage der Band für ihre Auftritte zusammen. Peter hatte noch keinen Führerschein, weshalb Blackhills Sekretärin, die leider inzwischen verstorbene June Child, als Fahrerin des Vans einsprang. Die hübsche Blondine sollte sich als integraler Bestandteil der Floyd-Crew erweisen und Syd in der Not auch eine Schulter zum Ausheulen bieten. Später heiratete June den Barrett-Jünger Marc Bolan, der ebenso von Blackhill betreut wurde.
„Ich kaufte eine Menge Ausrüstung und Gegenstände, die für Experimente in Bezug auf die Bühnenbeleuchtung eingesetzt wurden“, erinnert sich Peter Wynne-Willson. „Jeden Monat kam June in die Earlham Street, um die Unmengen von Quittungen durchzugehen. Um diesen öden Prozess etwas interessanter zu gestalten, entwickelten wir ein System. Wir saßen einander an einem kleinen Tisch, der unter einem Stockbett stand, gegenüber und legten einen Fuß in den Schritt des jeweils anderen. Das war ein amüsantes kleines Ritual. June trug nur die allerkürzesten Miniröcke.“
Trotz allem sollte die Vielzahl von Gigs schon bald ihren Tribut von Blackhills Star-Act fordern. „Ich warf Jahre später einen Blick auf ihren Terminplan“, berichtet ein Vertrauter der Band. „Wer war bloß dafür verantwortlich, sie auf diese Weise durch England zu scheuchen? Der reinste Wahnsinn. Das wäre jedem über den Kopf gewachsen, geschweige denn den Leuten auf Drogen.“
Matthew Scurfield stand inzwischen kurz davor, seine Karriere als Schauspieler am Theater zu starten. Als er seinen Bruder Ponji in die Earlham Street begleitete, sah er mit eigenen Augen die Auswirkungen, die der neue Arbeitsumfang auf Syd hatte. „Syd war jemand, der nicht hundertprozentig in der Spur lief, so wie die anderen in der Gruppe“, sagt er. „Er war nicht so ehrgeizig wie etwa Roger. Ich hielt Syd immer für einen Außenseiter – sogar innerhalb von Pink Floyd. Es war damals ganz offensichtlich, dass ihr Ehrgeiz ihnen in Bezug auf ihre Kunst einen Strich durch die Rechnung machte. Stets hieß es: ‚Komm schon, Syd, wir müssen weiter!‘“
Immer noch wird viel über Barretts damaligen Drogenkonsum spekuliert. Was nahm Syd, wie viel nahm er und wie oft? „Ich denke nicht, dass Roger und Nick damals irgendwelche harten Drogen nahmen“, erklärt Andrew King. „Ich hielt Roger eher für die Art von Typ, der ein paar Pints im Pub kippte. Rick kiffte gelegentlich. Und Syd probierte einfach alles aus.“
„Syd, Andrew und ich rauchten Dope“, sagt Peter Jenner. „Und obwohl ich mich jetzt nicht dezidiert daran erinnern kann, dass Syd jemals sagte, wir sollten einen Trip einwerfen, wusste ich, dass er LSD nahm. Wie oft? Keine Ahnung. Mir wurde stets erzählt, dass er ein paar Freunde hatte, die echt religiös in Bezug auf ihr Acid waren, obwohl ich mich nicht erinnern kann, dass Syd jemals so gewesen wäre. Allerdings glaube ich schon, dass das LSD einer der Auslöser für Syds Probleme war.“
„Syd nahm ganz sicher nicht jeden Tag in der Earlham Street LSD“, betont Peter Wynne-Willson. „Es lag vielleicht eher am Dope als am Acid. Ich weiß, dass das Dope heutzutage viel stärker ist als damals, aber junge Männer zwischen 18 und 20 sind besonders gefährdet, mentale Schäden abzubekommen, wenn sie ein sensibles Naturell haben. Was Syd angeht, so kann ich mich nicht an einen Trip erinnern, der den Ausschlag gegeben hätte. Mitunter fühlte er sich nicht wohl, wenn er bekifft war, aber das traf nicht auf LSD zu. In England gab es in erster Linie Hasch. Syd und ich rauchten in der Regel Joints und manchmal auch aus Shillums. Wir rauchten nur sehr selten pures Hasch aus Pfeifen.“
Für Peter Jenner überschnitt sich Pink Floyds (der bestimmte Artikel „The“ ging im Laufe des Jahres verloren) Auftritt bei „The 14-Hour Technicolor Dream“ im Alexandra Palace im April mit dem „Höhepunkt des Acid-Konsums in diesem Sommer“. Die Fundraiser-Veranstaltung für die International Times, bei der gerade erst eine Razzia stattgefunden hatte und welche daraufhin auf polizeiliche Anweisung hatte zusperren müssen, war der letzte organisatorische Beitrag von John Hokpins, bevor er ins Gefängnis musste. „Ich war derjenige, der die Saalmiete ausverhandelte“, sagt Hoppy heute. „Und noch Jahre später waren sie auf der Suche nach mir. Das war vielleicht ein Spaß! Es müssen zehntausend Leute durch die Türen gegangen sein. Die Freunde von Michael X fungierten de facto als Sicherheitspersonal. Was wir erst Jahre später herausfanden, war, dass sie das Eintrittsgeld, das die Leute zahlten, einfach einsteckten. Also floss nur wenig Geld dahin, wohin es eigentlich sollte.“
Neben Pink Floyd sollten außerdem noch die Pretty Things, The Soft Machine und der neueste Overground-Held des Underground, Arthur Brown, auftreten. Letzterer würde schon bald mit „Fire“ seinen ersten Hit landen, den er in der Regel mit brennender Kopfbedeckung performte. Zusätzlich gab es noch Avantgardefilm-Vorführungen, Beatnik-Gedichtlesungen, eine Spiralrutsche sowie ein Fiberglas-Iglu, in dem man Bananenschalen rauchen konnte. Unter den Besuchern, die sich den Wahnsinn nicht entgehen lassen wollten, befand sich auch John Lennon.
Am selben Abend hatten Pink Floyd zuerst noch einen Auftritt im niederländischen Fernsehen zu absolvieren, bevor die Band zurück nach London flog, um anschließend im halsbrecherischen Tempo zum Alexandra Palace in Muswell Hill zu rasen. Peter Jenner, der anscheinend das Maximum aus dem Abend herauszuholen gedachte, hatte sich bereits etwas zu früh einen Trip eingeworfen. „Ich fuhr immer noch den Van, als ich wieder zu mir kam“, erzählt er. Gleichzeitig befand sich Peters alter Kumpel von der Uni, „Alternativmediziner“ Sam Hutt, in einer ähnlichen Lage. „Ich fuhr zusammen mit Rick Wright und war auf LSD“, erinnert er sich. „Autofahren auf Acid? Nicht sehr empfehlenswert. Alles, an was ich mich erinnern kann, ist, dass ich ganz auf dieses glänzende Cape, das Rick trug, fixiert war – zumindest glaubte ich, dass er so etwas tragen würde.“ Im Inneren der Location zog schließlich die Spiralrutsche Hutt in ihren Bann. „Rauf und runter, rauf und runter! Und jedes Mal wurde ich erneut geboren“, lacht er heute darüber.
Für Robert Wyatt von The Soft Machine war Pink Floyds Auftritt um 4 Uhr morgens „einer ihrer besten Gigs überhaupt. Ich war total von den Socken“. Andere wiederum behaupteten fälschlicherweise, dass Syd zu bedient gewesen wäre, um noch aufzutreten – und doch zeigen Fotos aus jener Nacht, wie Barrett seine Hände an der Gitarre hat und absolut noch in der Lage ist zu spielen. Allerdings war Richard Wrights Cape nicht ganz so glänzend wie in Dr. Hutts Erinnerung.
Für den Event-Organisator, John „Hoppy“ Hopkins, war Pink Floyds Performance im Morgengrauen nur von zweitrangiger Bedeutung. „Einer unserer Freunde war Chemiker“, erinnert er sich, „und brachte etwas mit, von dem wir heute annehmen, dass es mit DMT [das Halluzinogen Diemethyltrytamin] verwandt war. Egal was es auch war, meine Freundin und ich verspürten ein angenehmes, warmes Gefühl und beobachteten schließlich vor dem Alexandra Palace den Ausblick über die Lichter Londons. Ich sah Pink Floyd also gar nicht spielen. Und wenn ich das doch tat, kann ich mich nicht mehr daran erinnern.“
Peter Jenners Erwähnung von Syds LSD-Freunden könnte sich gut auf einen seiner Mitbewohner in diesem Jahr beziehen. Ende 1967 ließ Syd die Earlham Street zugunsten eines Zimmers in einer der Wohnungen in der Cromwell Road 101 hinter sich. Die Lesmoir-Gordons hatten sich gut ein Jahr zuvor mit Bill Barlow, der ebenso aus Cambridge stammte und der Vermieter der berüchtigten Wohnung in der Clarendon Street 27 in Cambridge gewesen war, im ersten Stock des viktorianischen Gebäudes eingenistet. Die alte „Cambridge-Szene“ machte sich nun in diesem neuen hauptstädtischen Party-Haus breit, das sich bis zu seinem Abriss in der Nähe des Busbahnhofs am West London Air Terminal in Earls Court befand. Da Nigel durch sein Studium an der London School of Film Technique in den allerangesagtesten Kreisen verkehrte, wurde Hausnummer 101 zu einem Mekka der sich überlappenden Kunst-, Musik-, Film- und Drogenszenen der Hauptstadt. Unter anderem gehörten der Dichter Allen Ginsberg, der Filmemacher Kenneth Anger sowie die Barden Donovan und Mick Jagger zu jenen, die sich dort die Klinke in die Hand drückten.
Ab 1965 hatten die zahlreichen Räumlichkeiten des Gebäudes Pink Floyd außerdem die Möglichkeit geboten, ihre Proben dort abzuhalten. Auch Roger Waters wohnte für kurze Zeit dort. Außerdem sollte eine Reihe von exotischen Mietern dort Unterkunft finden. So etwa auch John Esam, ein in Neuseeland geborener Beatnik, der im frühen Londoner LSD-Verteilungsnetz eine wichtige Rolle gespielt hatte, oder Prince Stanislas Klossowski de Rola, auch bekannt als Stash de Rola, der Sohn des prominenten französischen Künstlers Balthus. Stash war ein Vertrauter der Rolling Stones, der später gemeinsam mit Brian Jones wegen eines Drogendelikts verhaftet wurde und sich außerdem gemeinsam mit Syd Barrett auf einen denkwürdigen LSD-Trip begab. Mehr darüber später.
Der Künstler Duggie Fields hatte kurze Zeit Architektur am Regent Street Poly studiert, wo er durch Juliette Gale mit der Truppe aus Cambridge in Kontakt gekommen war. Irgendwann 1965 zog er schließlich in die Cromwell Road 101. „Pink Floyd probten in einem der Räume“, erinnert er sich. „Ich ging dann die Treppen hinunter, um ein paar amerikanische R&B-Scheiben aufzulegen. Ich drehte die Lautstärke so laut es ging auf, da ich der Meinung war, dass Pink Floyd über keinerlei Gespür für Rhythmus oder Subtilität verfügten. Daher hoffte ich, dass die Platten, die ich spielte, sich vielleicht positiv auf sie auswirken würden.“ Duggie lebte immer noch in der Cromwell Road (in einem Raum, der mit Marvel Comics austapeziert war), als Barrett sich im Zimmer nebenan einquartierte. Das Haus hatte sieben Zimmer, die auf die beiden Obergeschosse verteilt waren, und es lebten neun bis zehn Leute dort“, berichtet Fields. Die Wände, die Decke und der Boden des Wohnzimmers waren weiß angestrichen (eine Idee, die aus dem Film Der gewisse Kniff von 1965 stammte) und oft wurden Filme an die Wände projiziert, die manchmal auch rückwärts abgespielt wurden. Der Raum wurde in der Regel von den Hausbewohnern, ihren Freunden und mitunter auch komplett fremden Leuten in Beschlag genommen.
„Ich erinnere mich, dass ich einmal vom College nachhause kam und um die 20 Leute dort vorfand. Ich kannte niemanden von ihnen. Keiner von ihnen wohnte dort“, erzählt Fields. „Und das konnte sowohl am Tag als auch in der Nacht vorkommen.“
Im Erdgeschoss lebte ein Dozent („der arme Mr. Poliblanc“, wie ihn einer der ehemaligen Bewohner inzwischen nennt), der überhaupt keinen Bezug zu den anderen Wohnparteien hatte. „Einem von uns gelang es, seinen Stromzähler anzuzapfen, was bedeutete, dass wir de facto seinen Strom klauten“, gesteht Duggie. „Der Stockwerksflur verkam zu einer Art Müllhalde, weil niemand seinen Abfall hinaustrug. Bis heute weiß ich nicht, wo der Müll aus unserem Haus landete.“
Abgesehen von allerlei Wortführern der hauptstädtischen Gegenkultur bot Hausnummer 101 auch Pip und Emo Unterschlupf. Am Flur war eine Zwischendecke eingezogen, die ausreichend Platz ließ, um in dem klaustrophobisch-winzigen Zwischenraum eine Matratze zu verstauen. „Cromwell Road war immer die letzte Zuflucht“, stöhnt Emo. „Dort gingen wir erst hin, wenn wir überall sonst hinausgeflogen waren. Ich erinnere mich immer noch an diese Plattform über dem Korridor. Die Mädchen hatten immer eine Heidenangst, wenn sie dort hinaufklettern sollten. Zwischen mir und Pip gab es immer einen Wettlauf um dieses Bett, falls es das einzige war, das noch frei war.“
In den Worten eines seiner Bekannten: „Duggie Fields stand nicht auf Selbstauslöschung.“ Doch nur weil er den Verstand behielt, ließ sich das nicht über alle Stammgäste in der Cromwell Road behaupten. Obwohl die Geschichten über die Bewohner des Hauses zum Teil übertrieben sind, erinnert sich Mick Rock, ein weiterer regelmäßiger Besucher, daran, dass im Allgemeinen eine drogenschwangere, chaotische Atmosphäre herrschte. „Abgesehen von Duggies Zimmer war der Rest der Hütte voll mit LSD-Burnouts.“ Gruppen-Trips waren in der Cromwell Road absolut keine Seltenheit, egal, ob Barrett nun dort lebte oder nicht, und ein Augenzeuge erinnert sich daran, dass die Flasche mit LSD und die Pipette im Kühlschrank der Lesmoir-Gordons zu finden war. Mindestens ein Mal marschierte die LSD-Gesellschaft auf dem falschen Weg in den Busbahnhof ein, was trotz ihrer gefühlten Unverwundbarkeit die große Gefahr mit sich brachte, von einem entgegenkommenden Fahrzeug angefahren zu werden. Die stacheligen Eisenzäune, die die Cromwell Street 101 umgaben, stellten sogar eine noch größere Gefahr dar.
Eines Nachts fand Nigel Lesmoir-Gordon, als er aus dem Badezimmerfenster blickte, einen seiner alten Drogenkumpels aus Cambridge, Johnny Johnson, nackt und desorientiert an einem Regenwasserabflussrohr hängend vor. Nigel überredete ihn, wieder ins Haus zurückzuklettern. Johnson hatte zuvor bereits einmal versucht, sich mittels Sprung aus dem Fenster selbst umzubringen. Sein nächster Versuch sollte ihm tatsächlich das Leben kosten.
Joe Boyd behauptet, dass er im Mai jenes Jahres Lindsay Corner und Syd im Londoner West End über den Weg gelaufen sei, wobei Syds Augen „wahnsinnig“ auf ihn gewirkt hätten. Lindsay erklärte ihm, dass Barrett eine Woche lang jeden Tag LSD genommen hätte.
Barretts angeblicher täglicher LSD-Konsum bietet seit langem Stoff für wilde Spekulationen. Manche glauben, dass er tatsächlich täglich LSD nahm. Die meisten behaupten aber, das dem nicht so war. Andere aus dem Umfeld Pink Floyds machten sich wiederum Sorgen, dass seine Mitbewohner seinen Drogenkonsum anstachelten, indem sie seine Drinks mit LSD versetzten. „Die Bude in der Cromwell Road war voll heftiger, durchgeknallter, messianischer Acid-Freaks“, berichtet Peter Jenner.
Zwei der Leute, die Syd in der Cromwell Road gelegentlich um sich hatte, waren unter den Namen „Mad Sue“ und „Mad Jock“ bekannt. Im realen Leben hieß „Jock“ eigentlich Alistair Findlay. „Sue“, seine damalige Freundin, hieß mit bürgerlichem Namen Susan Kingsford. Sie war Model und kannte Barrett und Gilmour noch vom Cambridge Technical College. Nachdem sie in einer TV-Werbung für einen Schokoriegel aufgetreten war, verschlug es sie nach London, wo sie sich mit einem weiteren Bewohner der Cromwell Road zusammentat, der für Robert Fraser arbeitete, jenem Galeristen, der zusammen mit einigen der Stones wegen Drogen hochgenommen wurde. Dieser Freund „ließ sich mit den Drogen-Leuten ein“, wie Sue heute erzählt, „und ich ließ mich mit ihm ein“. Sie hatte auch einen Kurzauftritt in Peter Whiteheads Filmmaterial, das er bei „The 14-Hour Technicolor Dream“ drehte. Ihr zufolge trägt sie darin „einen Bisammantel – und sonst nichts“, hält eine Narzisse und lächelt selig.
„Ich erinnere mich an Sue und Jock“, sagt Mick Rock. „Sue war dieses unglaublich hübsche Mädchen, das zu viel Acid eingeworfen hatte.“ Duggie erinnert sich hingegen, dass Sue eigentlich nicht wirklich verrückt war, sondern „möglicherweise nur ein wenig exzentrisch“. Zwar gibt sie zu, dass sie erstaunliche Mengen LSD konsumiert habe („Wir nahmen es ständig“), jedoch besteht Sue darauf, dass sie nie jemandem etwas in den Drink gekippt habe. „Warum hätte irgendjemand so etwas tun sollen?“, betont sie. „Wenn man damals Acid nahm, dann war das alles eine ernste Angelegenheit. Man lauschte den Klängen von Bach, sah sich Kenneth Angers aktuellsten Film an oder las im Tibetanischen Totenbuch.“
„Jemandem etwas unterzujubeln, war ein schreckliches Verbrechen“, gab Alistair Findley gegenüber Barretts Biografen Tim Willis zu Protokoll. „Das tat man einfach nicht.“
„Wenn sie wirklich allen etwas in die Drinks kippten“, fragt Duggie Fields, „warum dann eigentlich nicht auch mir? Das kam nämlich nie vor.“
Was auch immer seine späteren Probleme gewesen sein mögen, Syd war definitiv geistig auf der Höhe, als er begann, an Pink Floyds erstem Album zu arbeiten. Die Band fand sich zu diesem Zweck in den Abbey Road Studios ein, die dem EMI-Konzern gehörten. In dieser Einrichtung, die weltweit als eine der besten ihrer Art galt, herrschte Zucht und Ordnung: Techniker in weißen Labormäntelchen waren zur Stelle, um bei etwaigen Fehlfunktionen der Ausrüstung auszuhelfen, und Tape-Operators und Toningenieure erlernten dort die Kniffe ihrer Zunft – von der Positionierung der einzelnen Mikros bis hin zur korrekten Methode, ein Kabel aufzurollen. Am besten aber war wohl der inspirierende Mix von Musikern, der dort täglich aus und ein ging. Der damalige Tape-Operator und spätere Toningenieur Jeff Jarratt erinnert sich: „Du bist am Morgen zur Tür hereingekommen und hast den Komponisten und Dirigenten Otto Klemperer im Studio One vorgefunden. Die Beatles waren gleichzeitig im Studio Two und Pink Floyd belegten Studio Three.“
Getreu der Firmenlinie wurde Pink Floyd der A&R-Mann Norman Smith als Produzent zugeteilt. Er war ein adretter ehemaliger Angehöriger der Luftstreitkräfte sowie ein erfahrener Jazz-Musiker und half gelegentlich bei den Beatles als Toningenieur aus. „Er war ein Vertreter der alten Schule und hatte einen sehr trockenen Sinn für Humor“, erinnert sich Roger Waters. „Außerdem erweckte er stets den Eindruck, ein alter Entertainer zu sein. Ich mochte ihn wirklich sehr.“
Die Sessions für das Album, das schlussendlich The Piper at the Gates of Dawn heißen sollte, begannen im Januar 1967 im Studio Three. In den nächsten paar Monaten sollten immer wieder die Beatles im Studio Two nebenan an ihrem nächsten Album, Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band, arbeiten. Smith hatte Pink Floyd bezüglich seiner Qualifikationen nicht im Unklaren gelassen, doch gestaltete sich die Zusammenarbeit nicht immer einfach. Um das Eis zu brechen, setzte sich der Produzent ans Klavier und hämmerte auf die Tasten ein, woraufhin die Band einstieg. Diese Jam-Sessions erfüllten zwar ihren Zweck, doch war Syd weniger offen, wenn es darum ging, sich wegen seiner eigenen Musik Ratschläge erteilen zu lassen. „Mit Syd war es, als würde man gegen eine Ziegelmauer anreden“, erklärte Smith. „Er nahm einen Take auf und kam in den Regieraum, um reinzuhören. Ich machte ihm ein paar Vorschläge und er nickte bloß. Er reagierte nicht wirklich und nahm einfach einen weiteren Take auf, der sich exakt gleich wie der erste anhörte. Roger war sehr hilfsbereit und die anderen waren absolut in Ordnung, Rick war sehr entspannt. Aber was Syd anging, so begriff ich, dass ich meine Zeit vergeudete.“ Jeff Jarratt war bei den Sessions in seiner Rolle als Tape-Op mit dabei. „Meine Erinnerungen unterscheiden sich von Normans“, erklärt er. „Syd war ganz klar der kreative Antrieb der Band. Ich fand ihn fantastisch. Als ich gebeten wurde, die Sessions zu betreuen, sah ich mir Pink Floyd live an und war total hin und weg. Es war alles so frisch und aufregend. So etwas hatte ich noch nie gehört. Norman leitete sie an, damit ihr Material auf Platte so gut wie möglich klang. Also kann es schon vorgekommen sein, dass er Dinge sagte, mit denen er ihre Denkweise in Frage stellte.“ Waters sieht die Sache ähnlich: „Obwohl Syd viel auf LSD war, gab es zu diesem Zeitpunkt keine wirklichen Probleme mit ihm.“ Dennoch waren alle der Meinung, dass die abgefahreneren musikalischen Ideen der Band sich nicht mit der traditionellen Herangehensweise von Smith vertrugen.
„Ich war nicht allzu vertraut mit der Art von Musik, die sie spielten“, gab Norman zu. „Psychedelische Musik war nicht mein Ding. Ich war jedoch der Ansicht, dass es mein Job war, sie dazu zu bewegen, etwas melodischer zu denken.“ Was das betraf, so war Smith durchaus erfolgreich dabei, die Band „von den Ausschweifungen der Live-Konzerte“, wie Peter Jenner dies bezeichnet, abzubringen. Stattdessen wurden improvisationslastige Nummern wie „Pow R. Toc H.“ auf eine überschaubare Länge gekürzt, obwohl Pink Floyd mit der 9 Minuten und 41 langen Version von „Interstellar Overdrive“ auch ein musikalischer Streifzug in der Art ihrer Live-Shows gestattet wurde. Laut dem mittlerweile verstorbenen Abbey-Road-Toningenieur Pete Brown war dies der erste Song, den er die Band proben hörte, als er mit der Arbeit am Album begann. „Ich öffnete die Türe und schiss mir fast in die Hosen“, erinnerte er sich Jahre später. „Jesus, war das laut. So etwas hatte ich eigentlich noch nie gehört.“
„Peter Brown war eine unglaubliche Type“, erinnert sich Jeff Jarratt. „Ein lustiger, extrovertierter Kerl. Er war älter als die Band, aber er war gegenüber neuen Ideen sehr aufgeschlossen.“
„Peter hatte eine viel kreativere Grundeinstellung als vielleicht Norman“, meint Peter Jenner. „Außerdem war er extrem schwul – superschwul sogar –, was damals recht ungewöhnlich war.“ Andrew King erinnert sich daran, dass Brown am Mischpult saß und seine Fingerspitzen mit einer Paste präparierte, die zur Behandlung von Schnitten und Kratzern gedacht war, da er sich Sorgen machte, die endlosen Sessions würden durch Überbeanspruchung bleibende Spuren hinterlassen.
Geschichten von Aufeinandertreffen zwischen Pink Floyd und den Beatles während dieser Sessions sind von zweifelhafter Authentizität. Sie reichen von „rein fiktiv“ – Barrett spielte nicht heimlich auf Sgt. Pepper – bis hin zu „recht banal“, wie etwa jene, derzufolge die Floyds eingeladen worden seien, die Beatles zu treffen und dabei auf einen übelgelaunten Lennon und einen fröhlichen McCartney getroffen seien. Nick Mason schrieb davon, bescheiden dabeigesessen zu haben, als die Beatles gerade an einem Mix von „Lovely Rita“ arbeiteten. Norman Smith fügte dem Sammelsurium von Geschichten noch eine weitere hinzu. Er habe sich gerade im Studio Three aufgehalten und zu Beginn der Piper-Sessions versucht, eine persönliche Beziehung zu Pink Floyd aufzubauen, als angeblich Folgendes passierte: „Die Tür öffnete sich und niemand anderer als Paul McCartney betrat den Raum. Er stellte sich ihnen vor, obwohl sie klarerweise wussten, wer er war. Dann, als er wieder ging, tippte er mir auf die Schulter, und sagte zu ihnen: ‚Mit diesem Kumpel hier könnt ihr nichts falsch machen.‘ Ich denke, das beeindruckte die Jungs.“
„Man muss im Kopf behalten“, sagt Jeff Jarratt, „dass sich Bands in den Abbey Road Studios ständig über den Weg liefen. Wer kann schon sagen, wie oft sich Pink Floyd und die Beatles dort wirklich getroffen haben?“ Aubrey „Po“ Powell erinnert sich an ein Aufeinandertreffen von Barrett, Waters und McCartney im UFO: „Neben der Bühne gab es diesen kleinen Korridor. Ich saß ebendort, als McCartney vorbeikam und einen Joint rauchte. Paul war ein sehr leutseliger Typ und reichte den Joint herum. Nachdem er wieder weg war, sagte Syd: ‚Wow, das war Paul McCartney und er war da, um sich Pink Floyd anzusehen.‘ Mich überraschte seine Aussage und ich sagte zu ihm: ‚Syd, du bist ja inzwischen selbst ziemlich cool.‘ Ich erinnere mich außerdem daran, dass Roger, den ich zuvor noch nie rauchen gesehen hatte, einen tiefen Zug von diesem Joint nahm. Er wusste, wann er sich nach den Regeln zu richten hatte.“
Die Erfolge und Durchbrüche, die die Beatles an der Abbey Road feierten, waren sicherlich mitverantwortlich dafür, dass die Floyds The Piper at the Gates of Dawn aufnehmen konnten. Im Anschluss an das Beatles-Album Revolver hatten sich die Toningenieure an Dinge wie Phasing und Multitracking und all den anderen „schrägen Scheiß“, wie es Jenner ausdrückt, gewöhnt.
„Besonders Roger interessierte sich für das Studio an sich und die Entwicklung des Sounds“, erinnerte sich Smith. Andrew King hingegen berichtet, dass auch Syd ein ähnliches Interesse zeigte: „Ich weiß noch sehr genau, wie Syd den Song ‚Chapter 24‘ mischte und die Regler für den finalen Mix betätigte. Und er war sehr gut darin. Er wusste, was er wollte, und war vollends in der Lage, seine Wünsche auch umzusetzen – zumindest auf technischer Ebene.“
Zwar soll Barrett während der Aufnahmesessions etliche Mikrofone gekillt haben und die Anzeigen regelmäßig in den roten Bereich getrieben haben, doch aus dem gelegentlichen Chaos ging schließlich ein Album mit elf Songs sowie – was am wichtigsten war – eine zusätzliche Single hervor. „Als ich ‚See Emily Play‘ hörte, wusste ich, dass es das war. Das war der eine Song“, erzählte Smith.
Pink Floyd stellten die Single – zuerst noch unter dem Titel „Games for May“ – am 12. Mai bei einem Event unter demselben Namen in der Londoner Queen Elizabeth Hall vor. Jenner hatte die prestigeträchtige Location, in der sonst eher klassische Klänge zu hören waren, durch die Freundschaft seiner Frau Sumi zum Konzertveranstalter Christopher Hunt klarmachen können. Die Band beschloss, dort auch zum ersten Mal ihr neuestes Spielzeug, den Azimuth Coordinator, zum Einsatz zu bringen. Tatsächlich handelte sich dabei eigentlich um das erste quadrophonische Soundsystem. Der Coordinator war von einem der Tüftler in den Abbey Road Studios für die Band gebastelt worden. Es bestand aus vier Rheostaten, die sich in einer großen Kiste befanden. Diese Apparatur umfasste außerdem eine Art „Joystick“, den Richard Wright betätigte, um den Sound – egal, in welcher Location – um 270 Grad zu schwenken. Zwar war allein die Lautstärke, in der Pink Floyd an jenem Abend spielten, ein Thema, doch vor allem die Seifenblasen-Maschine und das Verstreuen von Blumen während ihres Auftritts sorgten für Verstimmung. „Die Kombination aus zerquetschten Narzissen-Stängeln und zerplatzten Seifenblasen hinterließ auf den Lederstühlen und dem Boden eine schmierige Flüssigkeit“, erzählt Jenner. „Wir wurden sofort für weitere Auftritte dort gesperrt und ich glaube nicht, dass sie so bald wieder Popgruppen an die South Bank ließen.“
Nur wenige Tage später war es die Lautstärke, die den Interviewer der Kultursendung Look of the Week auf BBC1 beschäftigte. Nach einem Ausschnitt von Pink Floyds „Pow R. Toc H.“ wurden Barrett und Waters mit ein paar skeptischen Fragen des österreichischen Musikers und Streichquartett-Fans Hans Keller konfrontiert. Der Austausch wirkt mittlerweile wie ein kurioses Historienspiel: der seriöse Musikwissenschaftler im Anzug versus die Pop-Newcomer in geblümten Hemden. „Warum muss alles so schrecklich laut sein?“, erkundigt sich Keller. „So gefällt es uns eben“, kontert Waters. Syd, ganz im Gegensatz zum Ruf, der ihn umweht, wirkt ausgesprochen aufmerksam und ebenso eloquent wie sein Bandkollege. Keller lässt sich davon allerdings nicht beeindrucken und offeriert eine spitzfindige Perspektive in Bezug auf Pink Floyds Musik: „Mein Urteil lautet, dass es sich hierbei um eine Art Rückführung in die Kindheit handelt.“
Nachdem sie Abbey Road hinter sich gelassen hatten, kehrte die Band ins Sound Technique Studio zurück, wo sie schon mit Joe Boyd an „Arnold Layne“ gearbeitet hatten, um die neue Single, „See Emily Play“, fertigzustellen. Allerdings gab es da ein Problem. „Leider fand Syd überhaupt keinen Gefallen an ‚See Emily Play‘“, erklärte Norman Smith. „Eigentlich glaube ich nicht, dass er überhaupt gerne Singles aufnahm.“
Am Tag der Session erhielt Syd einen Anruf von David Gilmour. Der Gitarrist war auf Kurzbesuch in London, um für Jokers Wild, die zu jener Zeit gerade einen Gig als Hausband in einem Pariser Nachtclub hatten, Ausrüstung zu kaufen. Barrett hörte sich absolut normal an und lud Gilmour ins Studio ein. Als dieser eintraf, war er vom Anblick, der sich ihm bot, schockiert. „Er sah sehr eigenartig aus. Als wären seine Augen aus Glas“, erinnert er sich. „Er war nicht unbedingt sehr freundlich und schien mich auch gar nicht wiederzuerkennen. Ich blieb vielleicht ein oder zwei Stunden, bevor ich wieder aufbrach. Ich kannte LSD, da ich es ja selbst schon genommen hatte, aber ich brachte es nicht mit dieser Situation in Zusammenhang. Er war einfach sehr seltsam drauf.“ Gilmour kehrte nach Frankreich zurück. Zwar machte er sich Sorgen über den Zustand seines Freundes, doch konnte er noch nicht abschätzen, wie sehr er sich schon bald auf seine eigene Karriere auswirken würde.„See Emily Play“ erschien am 16. Juni 1967. Roy Featherstone, ein großes Tier bei EMI, prägte im Rahmen der Veröffentlichung den Slogan „Straight to Heaven in ’67“. Peter Jenner erinnert sich: „Obwohl das inzwischen ziemlich abgedroschen klingen mag, funktionierte der Slogan damals.“
Der Song zeichnete sich durch eine Brise der für Syd so typischen Experimentierfreude aus, in diesem Fall dem Geräusch eines Plastiklineals, das über das Griffbrett einer Gitarre gezogen wurde. Andererseits hatte die Nummer auch „eine wundervolle Melodie“, wie Norman Smith betonte. „See Emily Play“ – eine perfekte Legierung aus psychedelischem Exzess und Pop in Reinkultur – übertraf „Arnold Layne“ auf allen Ebenen. Einerseits verzichtete die Band darauf, ein ähnlich sinistres Thema wie auf der Vorgänger-Single zu besingen, entschied sich andererseits aber dafür, Wrights unheimlich klingendes Keyboard und Syds entrückt wirkenden Gesang so einzusetzen, um ein Abdriften in Richtung Easy-Listening-Pop und ähnliche Gefilde zu vermeiden. Der New Musical Express jubelte: „[Der Song] bietet eine Vielzahl seltsamer Oszillationen, Nachklänge, elektronischer Vibrationen, verschwommener Dröhngeräusche und ansprechender Harmonien.“
Obwohl „See Emily Play“ nicht ganz so skurril war wie einige seiner anderen Kompositionen auf The Piper at the Gates of Dawn, war der Song dennoch gepfeffert mit Eindrücken aus Syds und Rogers Kindheit in Cambridge. „Ich weiß genau, über welche Wälder Syd in ‚See Emily Play‘ singt“, erklärte Waters 2004. „Als Kinder sind wir alle in diese Wälder gegangen. Es ist eine ganz spezielle Gegend – ein besonderes Waldstück neben der Straße in die Gog Magog Hills.“
Wer die fragliche Emily ist, ist tief in der Mythologie rund um Pink Floyd verwurzelt. Einige behaupten, es würde sich bei ihr um Emily Young handeln, die an der Notting Hill Free School und dem UFO-Club quasi zum Inventar gehörte und mittlerweile eine geachtete Bildhauerin ist. Obwohl Emily Syd tatsächlich kennenlernte, hat sie keine konkrete Kenntnis davon, dass der Song von ihr handeln könnte. Jenny Spires behauptet, dass „Emily“ einfach Barretts Vorschlag gewesen wäre, wenn er je eine Tochter gehabt hätte. Zur Zeit der ursprünglichen Veröffentlichung des Songs erklärte Waters einem Radio-Interviewer: „Alle könnten Emily sein. Sie ist einfach eine besessene Puppe, das ist alles.“
Zwei Wochen nach dem Erscheinen der Single wurden Pink Floyd eingeladen, bei Top of the Pops aufzutreten. Andrew King sollte später sagen, dass sich Syds Verfall über die unterschiedlichen Auftritte der Band in der Show hinweg deutlich abzeichnete: zwei widerwillige Performances sowie eine Darbietung, der er ebenso fernbleiben hätte können. Peter Wynne-Willson war vor einem der Auftritte mit Syd am Trafalgar Square. „Es wurde immer später. Irgendwann sagte ich zu ihm: ‚Sollten wir nicht langsam aufbrechen?‘ Wir hielten ein Taxi an und Syd bat den Fahrer, ein ganz anderes Ziel anzusteuern.“
Norman Smith begleitete die Band in die Lime Grove Studios im Westen Londons, wo sie ihren ersten Fernsehauftritt absolvieren sollten. „Ich erklärte ihnen, dass sie zu einem Playback spielen müssten, so wie das damals alle Gruppen taten“, erinnerte er sich. „Ich glaube nicht, dass Syd sehr glücklich damit war, aber die anderen akzeptierten es. Also ließen sie sich ihre Haare waschen und Make-up auftragen. Eigentlich dachte ich, dass es Syd egal sei, wie er aussah, aber als er wieder erschien, sah er aus wie ein Popstar. Ich sagte ihm, dass er fantastisch aussähe. Er ging also geradewegs zum nächsten Spiegel, zerzauste seine Haare und wischte sich mit ein paar Taschentüchern die Schminke aus dem Gesicht … Eine Woche später, als wir zurückkehrten, passierte genau dasselbe. In der Show stand er einfach nur da und ließ seine Gitarre vor sich herunterhängen. Im Anschluss sagte ich ihm, dass er unsere Karriere ruinieren würde, wenn er so weitermachte. Aber das ging bei ihm in ein Ohr rein und beim anderen wieder hinaus.“
Die Single erreichte schließlich Platz 5 in den UK-Charts. Als die Gruppe zu einem dritten Auftritt eingeladen wurde, weigerte sich Syd. „Der Grund dafür war, dass John Lennon auch nicht bei Top of the Pops auftrat und wir das deshalb auch nicht müssten“, teilte Roger Waters dem Melody Maker mit. Sue Kingsford traf Syd an einem Nachmittag vor einem seiner Auftritte bei Top of the Pops. Sie und Jock lebten inzwischen in einer Wohnung in der Beaufort Street in South Kensington, nahe der Cromwell Road. „Auf einmal hörten wir, dass jemand gegen unsere Tür schlug“, erinnert sie sich. „Und da stand Syd. Er war barfuß, was damals zwar nichts Außergewöhnliches war, aber seine Füße waren total verdreckt und bluteten. Er sah aus, als hätte er komplett den Verstand verloren, und sagte kein Wort. Er kam herein und wir setzten ihm irgendwelche Cornflakes und eine Tasse Kaffee vor. Allerdings blieb er immer noch stumm. Er saß einfach nur da. Ungefähr eine Stunde nach seinem Eintreffen schlug erneut jemand an die Tür. Es waren ein paar von Pink Floyds Leuten, die fragten, ob Syd da wäre. Wir bejahten dies und sagten, dass er in der Küche säße und wir vermuteten, dass es ihm nicht allzu gut ginge. Sie meinten bloß, dass ihnen das scheißegal wäre. Sie schliffen ihn einfach hinter sich her. Später am Abend fand ich heraus, dass sie ihn zu Top of the Pops mitgenommen hatten. Der Grund, warum er während der Show auf einem Kissen saß, war, dass er so jenseitig unterwegs war, dass er gar nicht stehen hätte können.“
Trotz ihrer Vorstellung bei Top of the Pops lud die BBC die Gruppe ein, Ende Juli als Gäste in ihrer Radioshow Saturday Club aufzutreten. Nachdem sie ins Studio transportiert worden waren, beschloss Syd erneut, sich beteiligen zu wollen. Dieses Mal lieferte er keinerlei Erklärung. „Als wir den Anruf erhielten, dass wir an der Reihe wären, konnte niemand Syd finden“, erinnerte sich Norman Smith. „Der Portier teilte uns mit, dass er jemanden, auf den Syds Beschreibung passte, zur Türe hinausgehen hätte gesehen. Roger und ich gingen also auf die Straße hinaus und da war er auch schon. Er bog gerade um die Ecke. Das war es dann damit.“
Selbstverständlich hatte das alles negative Auswirkungen auf sein Verhältnis zum Rest der Gruppe. Aubrey „Po“ Powell, der den Van der Band fuhr, willigte ein, Syd nach einem Gig in Portsmouth an der Südküste zurück nach London zu chauffieren. „Die anderen wollten ihn nicht wirklich bei sich haben. Ich weiß noch, dass es wie aus Eimern goss. Er rauchte einen Joint und muss ungefähr zwei Stunden lang durchgelacht haben. Allerdings sprach er kaum etwas. Er verlor offenbar langsam den Verstand.“
Im August gab Blackhill gegenüber der Presse eine Erklärung ab, nachdem Pink Floyd mehrere Konzerte abgesagt hatten. „Es stimmt nicht, dass Syd die Band verlassen hat“, erklärte Andrew King dem New Musical Express. „Er ist müde und erschöpft, weshalb ihm geraten wurde, sich zwei Wochen lang zu erholen.“
Peter Jenner suchte Rat bei Sam Hutt. Hutt hatte in jenem Sommer gerade sein Medizinstudium abgeschlossen und machte sich nun einen Namen als Londons hipster Arzt. „Es gab da diese Idee, Syd zum ‚lieben Onkel Doktor‘ zu schicken“, erzählt Hutt heute. „Schließlich wusste ich ja alles über Drogen und nahm sie auch selbst, ohne dabei aus dem Ruder zu laufen.“
Hutt hatte sich inzwischen eine Finca auf Formentera gemietet. Die Insel repräsentierte für all jene, die es nicht in den Osten verschlug, das westliche Ende ihrer Hippie-Route. Syd und Lindsay, Richard und Juliette, Sam, dessen Frau und ihr junger Sohn begaben sich schließlich für zwei Wochen dorthin. Später schlossen sich auch noch Roger und Judy Trim an, die aber auf dem benachbarten Ibiza wohnten. Der Plan bestand darin, Barrett „zurückzuholen“, ihn dazu zu bewegen, Gitarre zu spielen, sich in der Sonne zu entspannen und das Leben zu genießen. Syd folgte diesen Vorgaben pflichtbewusst und schien während des Urlaubs phasenweise recht zufrieden. Allerdings gab es da auch einen Haken, wie sich Hutt erinnert: „Er zog sich ständig LSD rein.“
Die mediterrane Idylle wurde auch regelmäßig von Gewittern heimgesucht, was nicht gerade dazu beitrug, Syds angeschlagene Psyche zu schonen. „Das Wetterleuchten hinter den Wolken erhellte den ganzen Himmel“, erinnert sich Hutt. „Auch wenn man nichts genommen hatte, konnte einen das in Aufruhr versetzen. Nun füge dieser Gleichung noch Acid hinzu: Syd ging im wahrsten Sinne des Wortes die Wände hoch. Er krallte sich in die Wand, während er sich vom Boden lösen wollte.“
„Ich fand es total beschissen.“ Pete Townshend von The Who gehörte zu jenen, die The Piper at the Gates of Dawn nach seiner Veröffentlichung im August nicht vom Hocker reißen konnte. Townshend bemängelte in erster Linie, dass die Platte der Live-Show der Gruppe und der für sie typischen „Wall of Sound“ nicht gerecht wurde. Doch Norman Smith hatte nur getan, worum man ihn gebeten hatte. Er hatte die exzessiveren Seiten der Band abgeschliffen und Peter Jenner dabei geholfen, seinen Traum von einer Avantgarde-Popgruppe zu verwirklichen. Nur zwölf Monate zuvor hatte Pink Floyds Repertoire noch Songs wie „Louie Louie“ umfasst. Doch auf ihrem ersten Album war kaum noch etwas vom Blues-Einfluss der Band zu hören. Richard Wrights Vorlieben für klassische Musik und Jazz scheinen an dessen Stelle gerückt zu sein, wobei sein Keyboard die Lücken füllte, an denen üblicherweise eine Leadgitarre zu hören gewesen wäre, wodurch die Platte über weite Strecken hinweg eine sinistre Unterschwelligkeit erhielt. Auch wenn Songs wie „Bike“, „The Gnome“ und „Flaming“ um Kinderreime herum entstanden zu sein schienen („Watching buttercups come to life … sleeping on a dandelion“), vermittelten „Matilda Mother“ und „The Scarecrow“ doch auch eine gewisse Bedrohlichkeit – wie vertonte Märchen der Gebrüder Grimm. „Lucifer Sam“ wird erfüllt von einem Sixties-Agentenfilm-Thema. Auch findet darin Jenny Spires in Gestalt von „Jennifer Gentle“ Erwähnung.
Nächtliche I Ging-Sessions in der Earlham Street fanden ihren Niederschlag in „Chapter 24“, das von dröhnenden Keyboards und Percussion getragen wird, während die Band zusätzlich noch Gebrauch von den abstrusen Musikinstrumenten machten, die so im Studio herumlagen. „Interstellar Overdrive“ und „Astronomy Domine“ waren hingegen in einer tristeren, lärmigeren Ecke angesiedelt. Zweiterer Song ähnelte in den Worten Nick Masons dem, „was Roy Lichtenstein in seine Bilder einfließen ließ“. Er klang, als ob Pop Art und Science Fiction zu einem Rocksong kombiniert worden wären – ein Eindruck, der noch dadurch verstärkt wurde, dass Peter Jenner durch ein Megaphon aus einem Kinderbuch über die Planeten astronomische Koordinaten vorlas, während Roger Waters primitive Bassläufe beisteuerte.
Während Barretts Songs einen wehmütigen, kindlichen Charme verbreiten, wirken „Pow R. Toc H.“ und das alleinig von Waters komponierte „Take Up Thy Stethoscope and Walk“ mittlerweile wie grobe Muster späterer Songs des Bassisten. Sowohl die fieberhafte Andeutung von Wahnsinn als auch das wilde Geheul sollten auf Dark Side of the Moon und Animals erneut zum Einsatz kommen.
Syds märchenhafte Beiträge zum Album trafen den Nerv derjeniger, die ebenso aus Cambridge stammten. „Alles erinnerte einen stark an Cambridge“, meint etwa Seamus O’Connell. „Als wir diese außergewöhnlichen Songs zum ersten Mal hörten, etwa ‚Bike‘, fiel uns allen diese Verbindung auf.“
„Ich vermutete immer schon, dass Syds Kindheit auf sonderbare Art und Weise nie zu Ende gegangen war“, sagt Anthony Stern. „Deshalb fand sich das auch alles in seiner Musik wieder. Die Kindheit war eine idyllische Zeit und ich denke, er fand die Vorstellung, erwachsen zu werden und sich mit der Welt der Eltern auseinanderzusetzen, als ernsthaft beängstigend.“
Für Sue Kingsford ist Syds Verlangen nach seiner Heimatstadt nur allzu vertraut. „Wenn er nicht in Cambridge war, bewegte er sich außerhalb seiner Wohlfühlzone“, vermutet sie. „Wir beide fuhren an den Wochenenden nachhause. Ich erinnere mich daran, wie wir eines Nachts in der Cromwell Road gemeinsam auf LSD waren. Syd, der stundenlang kein Wort gesagt hatte, fragte plötzlich: ‚Fährst du am Wochenende heim?‘ Ich bejahte dies, woraufhin er antwortete: ‚Weißt du, das ist alles, was ich tun möchte. Einfach heimfahren.‘“
So wie auch Sgt. Pepper stand Pink Floyds Debüt-LP repräsentativ für das Jahr 1967 und entfaltete seine Wirkung auch auf nachfolgende Generationen von Hörern. Die Kritiker meinten es gut mit dem Album, obwohl einige der „irren Sounds“, wie sie der Record Mirror bezeichnete, für viele Pop-Fans ihrer Zeit noch etwas voraus gewesen seien.
Fotograf Vic Singh, der verpflichtet worden war, das Cover-Foto der Band zu schießen, ist sich ebenso nicht ganz sicher. „Ihre Musik wirkte fremd und ziemlich surreal“, sagt er heute. „Als ich sie zum ersten Mal hörte, dachte ich, dass das nie funktionieren würde.“ Singh, der sich damals ein Studio unter anderem mit David Bailey teilte, war ein angesagter Society-Fotograf, der mit George Harrison befreundet war. „George hatte eine Prisma-Linse geschenkt bekommen, wusste aber nicht, was er damit anfangen sollte, weshalb er sie mir gab.“ Singh wies Jenner und King an, alle Boutiquen, die sie kannten, nach bunten Klamotten zu durchstöbern, in die sie die Band stecken sollten. Dieses eine Mal schien sogar Syd sich gerne an Spielregeln zu halten. Vic gelang es, die Band „mithilfe von ein paar Joints und ein paar Shots Scotch im Kaffee“ ein wenig aufzulockern, bevor er „einfach drauflos fotografierte“. Die Spezial-Linse des „stillen Beatles“ teilte das fertige Bild und verdoppelte somit die Floyds. „Es war ungewöhnlich und anders – und sie waren begeistert vom Resultat“, erzählt Singh. „Und Syd steuerte für die Rückseite des Covers sogar eine kleine Zeichnung bei.“ The Piper at the Gates of Dawn sollte eines der wenigen Pink-Floyd-Studioalben sein, welches die Gruppe auf der Vorderseite des Covers zeigte.
Vic Singhs Erfahrungen mit Syd standen im krassen Kontrast zu dem, was Andrew Whittuck mit ihm mitmachen musste. Der freiberufliche Fotograf, der in jenem Sommer auch die Beatles und den Maharishi in London ablichtete, fotografierte Pink Floyd sowohl in den Abbey Road Studios als auch im Haus seiner Eltern. „Ich hatte ja zusammen mit Nick Mason die Grundschule in Hampstead besucht“, erzählt er heute. „Allerdings waren wir beide zu cool, das Thema zur Sprache zu bringen.“ Die Band traf mitsamt einem Roadie und ihrer Beleuchtungsapparatur ein und baute diese in Whittucks Schlafzimmer auf: „Sie spielten mir ihr Album vor, das anders war als alles, was ich jemals gehört hatte. Sie sprachen auch viel über den Komponisten Stockhausen, der es anscheinend echt draufhatte, und machten sich alle im Zimmer meines Bruders breit. Syd schlief praktisch in einem Eck zwischen Bett und Tür, in das er sich hineingequetscht hatte. Irgendwann kam meine Mutter zur Türe herein, sah ihn und verkündete: ‚Der Junge sieht aus, als könnte er eine starke Tasse Tee vertragen.‘ Sie machte sich auf den Weg und holte ihm eine. Natürlich war mir das peinlich, aber – um fair zu sein – Syd wurde daraufhin tatsächlich ein wenig lebhafter.“
Pink Floyd zogen mittlerweile die Aufmerksamkeit der Musikpresse auf sich, doch bei den damaligen Interviews waren es vor allem Waters und Mason – und nicht der Leadsänger –, die als Wortführer in Erscheinung traten. „Ich lüge und bin ziemlich aggressiv“, erklärte Roger im Gespräch mit Disc and Music Echo. „Ich will erfolgreich sein und für alles, was ich tue, geliebt werden“, verkündete Nick im selben Interview. Im Gegensatz dazu gab sich Barrett zurückhaltender und weniger wortreich. „Unsere Musik gleicht einem abstrakten Gemälde“, erklärte er in einem kurzen Augenblick der Erkenntnis. „Sie soll in jedem Menschen etwas hervorrufen.“
Nach der Rückkehr von Formentera versammelte sich die Band erneut im Sound Technique Studio, da EMI bereits auf eine neue Single drängte. Unter den neuen Songs, die zur Verfügung standen, war auch Barretts auf schreckliche Weise prophetisches „Scream Thy Last Scream“. Den Song, der ursprünglich „Scream Thy Last Scream Old Woman with a Casket“ geheißen hatte, sang Nick Mason, wobei er von hinterlistig anmutendem Hintergrundgesang und lauernden, taumelnden Klängen begleitet wurde. Bei „Vegetable Man“ sang Syd zu einem unmelodiösen Rhythmus Zeilen wie „I’ve been looking all over the place for a place for me“, was auch nicht viel fröhlicher wirkte. „Er sang über sich selbst. Es war ein außergewöhnliches Dokument einer ernsthaften mentalen Störung“, erklärt Peter Jenner. „Ein Song von unglaublicher wahnsinniger Pracht“, hält dem Andrew King entgegen. Dr. Hutt stattete der Band einen Besuch ab, als sie den Track aufnahm. Nur leider war er gerade auf einem Trip: „Alles, an was ich mich noch erinnern kann, ist: Oje, jetzt kommen die Dämonen!“
„Wir waren wahrscheinlich die einzigen Leute in Los Angeles, die ein Exemplar von The Piper at the Gates of Dawn besaßen“, betont Alice Cooper. Pink Floyds erstes Album wurde Ende Oktober 1967 in den USA veröffentlicht, als der 19-jährige Alice noch unter seinem bürgerlichen Namen Vincent Furnier bekannt war und in einer Band namens The Nazz sang. Außerdem war er „total fixiert auf alles, was mit britischen Bands zu tun hatte“. Die Wege von Alice und Pink Floyd sollten sich bereits kurz nach der US-Veröffentlichung des besagten Albums zum ersten Mal kreuzen.
Andrew King flog in seiner Funktion als Tour-Manager vor Pink Floyds erster US-Tour in die Vereinigten Staaten. Wie er heute erklärt, lief vom ersten Tag an „alles schief, was schieflaufen konnte“. In San Francisco fand King heraus, dass die Visa für die Band noch nicht bereitlagen. Gemäß den gewerkschaftlichen Vorschriften musste eine britische Band de facto gegen eine amerikanische Gruppe ausgetauscht werden, im konkreten Fall hieß das für Pink Floyd Sam the Sham and The Pharaohs. „Ich musste die Lage Bill Graham, dem Veranstalter, erklären“, sagt King. „Ich fühlte mich wie ein totales Arschloch.“
Graham, eine beeindruckende Persönlichkeit von der amerikanischen Westküste, war niemand, mit dem man es sich verscherzen wollte. Er hatte Pink Floyd Auftritte in Clubs und Konzertsälen verschafft, wo sie mit Janis Joplins Band, Big Brother and The Holding Company, spielen sollten. Aufgrund der fehlenden Visa musste die Band nun ihre ersten sechs Konzerte an der Westküste absagen. „Ein erzürnter Bill holte schließlich den amerikanischen Botschafter um 4 Uhr morgens aus seinem Bett in London, damit er die Angelegenheit klärte“, fährt King fort. „Die Band saß dann schon im nächsten Flugzeug. Wenn es so etwas wie ein Trostpflaster für mich gab, dann war es das, dass ich die Ike and Tina Turner Revue zu sehen bekam, die Bill anstelle von Pink Floyd für den ersten Abend gebucht hatte.“
Als die Band nur mit ihren Gitarren in den USA eintraf, stand sie vor zwei massiven Problemen. Ihr US-Label Capitol („das nicht die geringste Ahnung von uns und unserer Musik hatte“, wie Peter Jenner betont) hatte verabsäumt, Instrumente bereitzustellen, weshalb die Band sich gezwungen sah, die örtlichen Musikläden abzuklappern, um sich Equipment auszuborgen. Als die Floyds schließlich im 5500 Besucher fassenden Winterland Auditorium ankamen, wo sie vor Janis Joplin und Richie Havens auftreten sollten, realisierte King, dass ihre hausgemachte Beleuchtungsanlage „absolut unnütz“ sei und „sich eher für eine Aufführung an der Grundschule“ eigne. Großzügigerweise erlaubten ihnen die Headliner, ihre Beleuchtung zu benützen.
In Großbritannien wurde die Musikszene an der amerikanischen Westküste auf romantische Weise als Gegenstück zur Musik-Clique der Londoner Underground-Szene verklärt. Im Windschatten der Beatles brachte die amerikanische Presse wiederum jeder britischen Band, die nach Amerika einreiste, großes Interesse entgegen. Der gerade erst gegründete Rolling Stone entsandte den Fotografen Baron Wolman nach Sausalito, wo Pink Floyd untergebracht waren. Die Band setzte sich bereitwillig vor seiner Kamera in Szene. „Sie waren offensichtlich hocherfreut, in San Francisco zu sein“, erinnert sich Wolman. „Syd schnappte sich ein paar Zuckerwürfel und steckte sie sich in den Mund – eine offenkundige Anspielung auf seine Vorliebe für LSD und eine der populäreren Methoden, sich die Droge zuzuführen.“
Allerdings gab Waters später zu bedenken, dass viele der prominenten Bands von der Westküste im Grunde genommen im Country und im Blues verwurzelt waren. Sie jammten und kifften zwar gerne und ausgiebig, waren in Bezug auf ihren Sound und ihre Einflüsse jedoch überraschend konservativ. Pink Floyds atemberaubender Mix aus Jazz, Beat-Pop und elektronischen Experimenten hatte so gar nichts mit Janis Joplin gemein. Der Kontrast zwischen den beiden Acts fiel auch der Musikpresse auf. Der Star-Kritiker Ralph Gleason vom Rolling Stone schrieb etwa: „An der Westküste haben wir zuletzt The Cream, The Who, Procol Harum, Jimi Hendrix und Pink Floyd gesehen. Drei dieser Acts sind Gewinner. Die anderen beiden bringen’s einfach nicht. Live wirken Pink Floyd – trotz all ihrer elektronischen Vorlieben – schlicht langweilig, wenn sie nach Big Brother und Janis Joplin auf die Bühne eines Tanzsaales müssen.“
Die Band fand, dass sie im Rahmen ihrer kleineren Club-Konzerte, bei denen sie ihre eigene Beleuchtung verwenden konnte, besser ankam – zumindest gelegentlich. Bevor sie von London losflogen, ließ sich Syd bei Vidal Sassoon noch die Haare machen, jedoch fand er keinen Gefallen an der daraus resultierenden Lockenpracht. Auch der Beleuchtungstechniker Peter Wynne-Willson ließ sich seine Haare einkräuseln. „Syd, ich und ein paar andere gingen in London zu Vidal Sassoon, um uns Dauerwellen machen zu lassen. Ich frage mich, ob Syd vielleicht eine allergische Reaktion auf seine neue Frisur hatte. Ich erinnere mich genau daran, dass bald darauf das blanke Entsetzen aus seinen Augen zu sprechen schien.“ Bevor er im Cheetah Club in Santa Monica auf die Bühne ging – so wird zumindest berichtet –, schmierte sich Barrett wütend den Inhalt eines Fässchens Pomade über die Haare und zerbröselte anschließend noch eine Handvoll Barbiturate darin. Wynne-Willson kann sich allerdings nicht daran erinnern. Ganz im Sinne großer Rock-Mythen und Legenden behaupten andere aber felsenfest, etwa auch Sam Hutt, dass Syd diese Nummer zuvor auch schon im UFO abgezogen hatte. („Ich erinnere mich daran, wie beeindruckt ich war. Ich dachte mir, dass dies ein Mann sei, der den Finger am Puls der Zeit hatte.“) Nick Mason hingegen erinnert sich nur daran, dass Syd sich zwar das Haarpflegeprodukt in die Frisur schmierte, aber keine Drogen. Als er einmal auf die Wahrscheinlichkeit dieser Geschichte angesprochen wurde, meinte David Gilmour augenzwinkernd: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Syd die guten Barbiturate verschwendet hätte.“
Als er erst einmal auf der Bühne stand, soll Barrett zunächst seine Gitarre absichtlich verstimmt haben, was in weiterer Folge dazu führte, dass sich Roger Waters in die Hand schnitt, als er wutentbrannt auf seinen Bass einschlug.
The Nazz, die Stammgäste im Cheetah Club waren, sprachen die Band nach der Show an. „Pink Floyd war in Los Angeles das Geld ausgegangen, weshalb sie schließlich ein paar Nächte lang bei uns wohnten“, behauptet Alice Cooper. „Wir hatten nämlich eine Bleibe in der Beethoven Street in Venice. Ich weiß noch, wie ich eines Morgens aufstand: Syd saß da und starrte eine Packung Cornflakes an – so wie ich und du vielleicht einen Fernseher anglotzen würden. Es war offensichtlich, dass bereits etwas ganz und gar im Argen lag.“
„Ich glaube nicht, dass uns das Geld ausgegangen ist“, widerspricht Andrew King. „Aber wir fühlten uns irgendwie einsam und entmutigt. The Nazz luden uns zu sich ein, um ein wenig Pot zu rauchen. Sie waren unglaublich freundlich zu uns, als wir das echt nötig hatten. Wir sahen ihnen auch zu, als sie in diesem Club auftraten und sie den Laden leerfegten.“
Auch abseits der Bühne war Syd eine große Belastung. So war er gegenüber Repräsentanten seiner amerikanischen Plattenfirma unkommunikativ und gab nur sehr knappe Antworten, als er von Dick Clark für die populäre TV-Show American Bandstand interviewt wurde. Vielsagenderweise bewegte Syd während der Playback-Darbietung des neuen Pink-Floyd-Songs „Apples and Oranges“ kaum die Lippen unter seiner Vogelnest-Frisur, weshalb die Regie öfters einen entnervten Roger Waters sowie den unerschütterlichen Nick Mason zeigte. Immerhin war dies schon eine Verbesserung im Vergleich zum Tag zuvor, als Syd in der Show von Pat Boone ihn kalt angestarrt und auf die Frage „Was gefällt dir?“ mit einem einzigen Wort geantwortet hatte: „Amerika“.
Niemand kann genau sagen, ob Syd während seines Aufenthalts in den USA Acid nahm oder nicht (die meisten gehen nicht davon aus), aber dafür spielten andere Rauschmittel eine umso größere Rolle. „Als wir in den USA waren, stieg unser Dope-Konsum merklich an“, berichtet Peter Wynne-Willson. „In Kalifornien gab es überall Gras. Es war sehr stark und ganz anders, weil es stets ohne Tabak geraucht wurde. Die ganzen puren Gras-Joints in den Vereinigten Staaten könnten der Tropfen gewesen sein, der den Brunnen überlaufen ließ … Zwei junge Frauen nahmen Syd und mich mit in eine hügelige Gegend. Auf einen Berg. Ich kann dieses Haus gar nicht als Refugium bezeichnen, weil es dafür einfach zu phänomenal und schön war. Die beiden drängten uns Unmengen von Dope auf, was kein großes Problem für mich war, da ich ja nur die Lichter bedienen musste. Für Syd hingegen schon. Soweit ich mich erinnere, war es das erste Mal, dass Syd auf der Bühne stand und nicht mehr Gitarre spielen konnte.“
Trotz der Unberechenbarkeit ihres Sängers, hatte die Tour für die anderen aber auch ein paar angenehme Ablenkungen zu bieten. So machten sich Waters und Mason mit Southern Comfort vertraut, wobei ihnen Janis Joplin behilflich war. Andere Mitglieder der Tour-Karawane wiederum erfreuten sich am Überangebot williger weiblicher Fans, als man in einem Groupie-freundlichen Motel am Santa Monica Boulevard abstieg. Ein Augenzeuge berichtet, dass sich mehrere Individuen nach ihrer Rückkehr nach Großbritannien wegen Geschlechtskrankheiten im Middlesex Hospital behandeln lassen mussten.
Da sich der Sänger der Gruppe offenbar im freien Fall befand, sagte Andrew King schließlich die Konzerte an der Ostküste ab, woraufhin die deprimierte Reisegesellschaft nach England zurückflog. „Es gab eine Menge gemischter Gefühle“, erinnert sich King. „Wir alle unterhielten uns oft mit Syd.“ Waters verlangte gar, dass Barrett sofort gefeuert werden sollte. Zuerst legte die Band aber noch einen Zwischenstopp in den Niederlanden ein, um bei einem Festival aufzutreten. Vor Ort versuchte die Band mit Syd mittels handschriftlicher Notizen zu kommunizieren. King zog schlussendlich in Erwägung, dass „wir alle verrückt waren und Syd der geistig Gesunde“.
„Ich erhielt nie eine zusammenhängende Erzählung darüber, was in Amerika vorgefallen war“, behauptet Peter Jenner. „Jedoch erinnere ich mich, dass Andrew ganz verstört zurückkehrte … Das Problem ist, dass ich wahrscheinlich an Syds Verhalten gar nicht viel auszusetzen gehabt hätte. Es war avantgardistisch und ich fand Avantgarde cool.“
Für ein paar ließ sich der interne Bruch auch daran festmachen, wer Dope rauchte und wer nicht. Waters’ Tatkraft und Beharrlichkeit wurden als „uncool“ angesehen. „Ziemlich lächerlich, wenn man jetzt so darüber nachdenkt“, verrät jemand aus dem Umfeld der Band, „aber entsprechend der damaligen Hippie-Denkweise waren wir alle dieser Ansicht.“
Laut Libby Gausden gab es noch einen weniger sichtbaren Bruch zwischen Syd und seinen Bandkollegen. Im Oktober besuchte Syd, der frisch zurück von der US-Tour war, Libby in ihrem neuen Job als Übersetzerin an der Universität. Außerdem würde sie schon bald heiraten. „Syd erklärte mir, dass alle anderen in der Band sehr vernünftig wären und sich von dem Geld, das sie mit der Tour verdient hatten, Wohnungen kaufen wollten. Er hingegen hatte jeden einzelnen Penny für ein knallrosa Auto ausgegeben, das er sich nun per Schiff liefern ließ. Er krümmte sich deswegen vor Lachen. Er war der Ansicht, dass Popmusik Spaß machen sollte und er alles ausgeben müsste.“ Libbys Boss erschien ebenso in ihrem Büro und sah Barrett. Er hatte keine Ahnung, wer Syd war, wusste aber von Libbys Hochzeitsplänen, weshalb er sie beiseitenahm und ihr einen Rat gab. „Er sagte: ‚Lassen Sie sich von dem nicht in Versuchung führen. Der wirkt sehr sonderbar.‘“
In Jenners Augen eskalierte das „Syd-Problem“, wie Waters die Sache inzwischen nannte, als die Band ihre nächsten Konzerte absolvieren sollte. Nur knapp 24 Stunden nach ihrer Rückkehr aus den USA sollten Pink Floyd in der Royal Albert Hall vor Jimi Hendrix auftreten, dessen Tour-Auftakt dieser Gig war. Auch der Rest des Programms konnte sich sehen lassen: Amen Corner, The Move und The Nice. Jeder Band war die exakte Minutenanzahl, die ihr Set dauern durfte, vorab mitgeteilt worden, wobei damals viele Konzert-Locations sowohl eine Matinee als auch eine Abendvorstellung verlangten. Während Hendrix alleine unterwegs war, reisten die Vorgruppen mit einem Bus. Der Treffpunkt war das Planetarium in der Baker Street. „All diese Bands in einem Bus. Es erinnerte sehr an Summer Holiday, den Film mit Cliff Richard“, erzählt Nick Mason. Doch Andy Fairweather-Low, damals als Teenager Sänger bei Amen Corner, erinnert sich an die Floyds als „unsoziale Lümmel, die mit niemandem ein Wort wechselten“. Später sollte Fairweather-Low Gitarrist in Roger Waters’ Solo-Band werden, obwohl es während dieser Tour mit Hendrix zu einer Auseinandersetzung zwischen Waters und seinem Manager gekommen war. Nick Mason verbindet die Shows mit Hendrix sowohl mit guten als auch schlechten Erfahrungen. „Vor dieser Tour führten wir als Band eine sehr eigenbrötlerische Existenz“, erinnert er sich. „Das lag in erster Linie an unserer sonderbaren Musik. Also war es einerseits zwar wunderbar, mit Hendrix und anderen Musikern abzuhängen. Allerdings waren wir, als es vorbei war, ganz schön mitgenommen, was an Syd lag.“
Obwohl ihre Auftritte im Rahmen dieser Tour zeitlich begrenzt waren, verhielt sich Barrett dennoch so, als wäre er lieber ganz woanders. „Er unternahm diese langen Spaziergänge und kam erst zwei Minuten vor seinem Auftritt wieder zurück“, erzählt Davy O’List, seines Zeichens Sänger und Gitarrist von The Nice. „Mir fiel das auf, weshalb mir auch die Spannungen nicht entgingen. Musikalisch fand ich sie fabelhaft. Ich verfolgte ihre Auftritte aus dem Publikum heraus und versuchte zu durchblicken, was sie taten.“ O’Lists Aufmerksamkeit und Auge fürs Detail sollten sich bezahlt machen. „Eines Tages, möglicherweise in Liverpool, tauchte Syd nicht auf, weshalb mich die Band bat, für ihn einzuspringen“, erinnert er sich. „Ich sagte ihnen, dass ich ‚Interstellar Overdrive‘ spielen könne. Also gaben sie mir Syds Hut und sagten, dass ich ihn aufsetzen sollte. Ich entschied mich schließlich dafür, mit dem Rücken zum Publikum zu spielen. Das Publikum war voller 14-jähriger Mädchen, die alle schrien, weil sie mich für Syd hielten, weshalb ich beschloss, mich nicht umzudrehen. Roger lächelte, weil er dachte, sie würden damit durchkommen. Das war der Augenblick, indem ich ein wenig wagemutig wurde und mich doch umdrehte. Und das Geschrei verstummte schlagartig. Sobald Syd davon hörte, kam er zurück. Mir fiel auf, dass er mich im Bus nachher nicht einmal mehr ansah.“ Barretts Auftritte blieben auch weiterhin unvorhersehbar, obwohl O’List nie wieder einspringen musste. „Früher habe ich gerne ein wenig übertrieben und Leuten erzählt, ich hätte mehr Konzerte mit ihnen gespielt“, gesteht er. „Aber das lag nur daran, dass ich es mir gewünscht hätte.“
Im November machte die Tour Halt in Cardiff, im Sophia Gardens. Nick Kent, der zukünftige NME-Schreiber, war damals ein 15-jähriger Fan und befand sich im Publikum. „Das war der Moment, in dem Psychedelia in der Provinz ankam. „Bis dahin hatte sich alles nur in London abgespielt. The Nice spielten zehn Minuten, Amen Corner 15 Minuten. Also spielten alle ihr bestes Material und gaben einhundert Prozent. Außer Pink Floyd. Sie kamen auf die Bühne und spielten, so glaube ich, ‚Set the Controls for the Heart of the Sun‘. Allerdings meine ich, dass sie Syds Amp leiser gedreht hatten, weil man seine Kakophonie nur im Hintergrund hörte, während die anderen versuchten, alles zusammenzuhalten.“ Hinter der Bühne sahen Besucher, wie Barrett in LSD-Starre in einer Ecke der Garderobe saß. Er spielte mit einer kleinen Spielzeuglokomotive, die er sich gekauft hatte, und blickte zu Tode erschrocken aus der Wäsche, wenn ihn jemand ansprach.
Angesichts von Syds Zustand war ein kleiner LSD-Ausflug wohl nicht die beste Idee. Während ein paar seltener freier Tage begab sich eine Abordnung von Hedonisten aus Cambridge und London in einem gemieteten Ford Zephyr auf die Blackhill Farm, ein Familien-Cottage in den Brecon Beacons, das unter anderem mit einer Penis-Skulptur im Garten aufwarten konnte, die Ben Palmer, der mitunter für Eric Clapton Klavier spielte, gestaltet hatte. Die Reisepartie umfasste die Lesmoir-Gordons, Syd, Lindsay, den Cromwell-Road-Hipster Stash de Rola und ein Model, das unter dem Namen Gai Caron bekannt war und später Aubrey „Po“ Powell heiraten sollte. Die Vorkommnisse, die sich im Verlauf dieses Ausflugs ereigneten, mögen zwar absurd und überzeichnet wirken, doch mischten sich auch besorgniserregende Untertöne in das fröhliche Durcheinander. Der Lärm und das seltsame Verhalten führten zu einem Kontrollbesuch der Polizei, Nigel und Jenny verirrten sich auf LSD in einem Schneesturm und Stash, der sich am liebsten in ein viktorianisches Nachthemd und ein Cape hüllte, versuchte, sich in den offenen Kamin, wo das Feuer loderte, zu setzen, da er glaubte, wie es Jenny ausdrückt, „dass wir uns nicht verbrennen würden, wenn wir nur fest an die Liebe glaubten“.
Die lächerlichen Possen waren seltsamerer Natur, sobald Syd mit von der Partie war. „Während des ersten Abends auf LSD stand er die meiste Zeit auf einer Weinflasche“, erinnert sich Nigel. „Er stand mit beiden Füßen darauf, hielt sich mit den Händen an einem Balken über ihm fest und schaffte es irgendwie, die Balance zu halten. Später in derselben Woche, als wir wieder auf Acid waren, schiss er vor die Haustüre, was wir total schräg fanden. Sogar auf LSD war das nicht gerade sehr vernünftig.“
Da sie seine Mitbewohner und Nachbarn als Teil seines Problems ansahen, hatte das Blackhill-Team Syd noch vor Ende des Sommers aus der Wohngemeinschaft in der Cromwell Road herausgeholt. Barrett und Lindsay waren daraufhin vorübergehend zusammen mit Rick und Juliette in eine Wohnung auf dem Richmond Hill gezogen, die Andrew King gehörte. Gleichzeitig kursierten verstörende Gerüchte, denen zufolge Syds Hauskatze in der Cromwell Road zurückgeblieben war. Jemand hatte ihr angeblich LSD verabreicht, woraufhin das arme Tier verendet war. Die Wohnung auf dem Richmond Hill lag im zweiten Stock, von wo aus man einen Ausblick über die Themse hatte, und sollte ein vernünftigeres Ambiente bieten. Das dringlichste Problem war trotz allem aber immer noch, eine neue Hit-Single zu produzieren, obwohl es Syd an der Hingabe seiner Band und seines Managements mangelte.
„Syd fing an, tiefe Enttäuschung darüber zu empfinden, was mit Pink Floyd passierte“, erzählt Anthony Stern. „Zu jener Zeit besuchte er mich immer wieder in meiner Wohnung, die ich in den Norfolk Mansions in Battersea hatte und er als eine Art Unterschlupf ansah. Wenn man in Cambridge aufgewachsen war, wollte man nie etwas tun, was zuvor schon wer gemacht hatte. Syd war von Haus aus revolutionär und kreativ – er verstand nur das Konzept kommerziellen Denkens nicht.“
Anstatt eine neue Hit-Single zu schreiben, verbrachte Syd viele Stunden zusammen mit Anthony, um sich über Ideen für einen Film – Arbeitstitel: „The Rose-Tinted Monocle“ – auszutauschen. Das Duo war auf ein Buch des amerikanischen Autors und Erfinders Buckminster Fuller gestoßen und begeisterte sich besonders für eine Stelle, an der von sogenannten „inhärent regenerativen konstellaren Energie-Assoziations-Ereignissen“ die Rede war. „Dies war die Grundlage für den Film“, erklärt Stern. „Die Energie-Assoziations-Ereignisse sollten als Episoden fungieren. Syd und mir schwebte ein Film vor, der keiner linearen Struktur folgte, sondern aus unterschiedlichen Fragmenten bestand, die holistisch betrachtet wieder ein Ganzes ergaben – fast so wie etwas, das man betrachtete, damit es einem beim Meditieren behilflich war.“
Obwohl Barrett den Film niemals fertigstellen sollte, würde Sterne viele der Ideen, die ursprünglich für „The Rose-Tinted Monocle“ erdacht worden waren, für einen eigenen Film verwenden, den er später Pink Floyd anbot. In der Zwischenzeit, abseits des im Entstehen begriffenen Filmprojekts, wurde Syd immer noch ermutigt, doch etwas mehr wie ein Popstar zu denken. Syds neuer Songs, „Apples and Oranges“, war zeitgleich zur US-Tour veröffentlicht worden und sollte Pink Floyd rechtzeitig vor Weihnachten zurück in die UK-Charts befördern. Hatte Syd zuvor noch von Unterwäsche klauenden Transvestiten und „besessenen Puppen“ gesungen, handelte diese Nummer von einem etwas profaneren Erlebnis, und zwar von einem Mädchen, das er beim Shopping in Richmond gesehen hatte. Manche behaupten, dass es sich bei ihr um Lindsay Corner handelte. Es war ein typischer, lebhafter Psychedelic-Song, dem es aber am hypnotischen Charme von „Arnold Layne“ oder „See Emily Play“ fehlte, weshalb die Single auch kein großer Chart-Erfolg wurde. Zwar war es Syd, der als das Genie hinter Pink Floyd wahrgenommen wurde, doch inzwischen erscheint einem die von Richard Wright geschriebene B-Seite „Paintbox“ als die bessere der beiden Nummern.
„Nach ‚See Emily Play‘ baute sich dieser übliche Musikbusiness-Druck auf. Wo bleibt der nächste Hit?“, erzählt Andrew King. „Syd schien der wahrscheinlichste Kandidat zu sein, wenn es darum ging, eine neue Hit-Single zu schreiben, weshalb er es auch war, den wir dazu drängten. Ich hielt ‚Apples and Oranges‘ nicht für so schlecht, aber ich vermute, dass wir uns damals dachten: ‚Ach, herrje … aber wenn das das Beste ist, was sie fabrizieren können …‘“ Produzent Norman Smith gestand: „Ich war derjenige, der diesen Song ausgesucht hat. Er war der beste unter vielen schlechten.“ Als er zum Misserfolg des Songs angesprochen wurde, antwortete Barrett ungewöhnlich direkt: „Das ist mir schnurzegal“, sagte er schulterzuckend. „Alles, was wir tun können, ist Platten zu machen, die uns gefallen. Die Kids fahren auf die Beatles und Mick Jagger nicht wegen ihrer Musik ab, sondern weil sie immer genau das machen, was sie auch machen wollen. Und zum Teufel mit dem Rest!“
„Wir übten viel Druck auf Syd aus“, räumt Peter Jenner ein. „Aber andererseits standen auch wir wiederum unter einigem finanziellen Druck, was alles noch verschlimmerte.“ Blackhill war inzwischen mit Geld aus dem Deal zwischen Pink Floyd und EMI aus der Edbrooke Street in ein konventionelles Büro in der Alexander Street in Westbourne Grove gezogen. Und doch bezahlte die Firma die Band und die Crew mittlerweile nach dem Prinzip: „Wer zuerst kommt, malt zuerst“. Die Schecks platzten regelmäßig, was dazu führte, dass die Angestellten ihre schon am Wochenanfang abholten, um sie als Erste einlösen zu können.
„Wir heuerten einen Buchhalter an, der uns all diese Fragen stellte“, sagt Jenner. „Etwa ‚Kann ich eure Bücher durchsehen?‘ Wir fragten nur: ‚Bücher?‘ Oder er erkundigte sich, ob wir die Sozialversicherung bezahlt hätten, woraufhin wir nur erwiderten: ‚Was für eine Sozialversicherung?‘“
Auch das Live-Geschäft kam für Pink Floyd langsam zum Erliegen. Es war nicht mehr so leicht, die Band zu verkaufen. Wir hatten keinen neuen Hit, weshalb wir nicht in den Pop-Clubs auftreten konnten. Und die Blues-Clubs wollten uns auch nicht zurück. Somit konnten wir nur noch an Colleges spielen. Davon gab es aber nicht sonderlich viele und die, die es gab, hatten wir schon alle abgeklappert.“
Ein desillusionierter Peter Wynne-Willson kündigte am Ende der Tour mit Hendrix seinen Job als Beleuchtungstechniker der Gruppe. Es war angesichts der finanziellen Unsicherheiten rund um Blackhill vielsagend, dass sein Nachfolger John Marsh sich mit einem niedrigeren Gehalt zufriedengeben musste. Instinktiv tat sich Wynne-Willson mit Syd zusammen, dessen Stellung innerhalb der Band von Tag zu Tag wackliger wurde. Als sich das Jahr 1967 zu Ende neigte, schienen sich die Naivität und der blinde Optimismus, die zwölf Monate zuvor noch geherrscht hatten, in Luft aufzulösen. „1967 hatte sich der Zeitgeist verändert“, behauptet Wynne-Willson. „Und er orientierte sich nicht länger an diesen heimeligen Hippie-Dingen.“
Begleitend zum sogenannten „Summer of Love“ hatte News of the World eine Wochenends-Reportage über den UFO-Club veröffentlicht, in der man ihn als „Hippie-Lasterhöhle“ verunglimpft hatte. Die Polizei, die bisher beide Augen zugedrückt hatte, informierte Mr. Gannon, dass er mit einer Razzia zu rechnen hätte und ihm seine Lizenz entzogen werden würde, wenn er am kommenden Freitag aufsperren würde. Joe Boyd verlegte die Veranstaltung daraufhin ins Roundhouse, aber Zusammenstöße mit ortsansässigen Skinheads sowie die übertrieben hohe Miete forderten ihren Tribut, weshalb der UFO-Club schlussendlich im Oktober 1967 zugesperrt wurde. Gleichzeitig lief seine ehemalige Hausband rund um ihren Star-Sänger Gefahr, auseinanderzufallen.
Am 22. Dezember traten Pink Floyd gemeinsam mit The Jimi Hendrix Experience, The Who und The Move bei einer Show mit dem Titel „Christmas on Earth Continued“ im Kensington Olympia auf. In der gewaltigen Location fanden sich die Bands umgeben von neun Meter hohen Beleuchtungsmasten, Attraktionen im Stile eines Jahrmarktes und Boutiquen. Allerdings war Syd kaum in der Lage aufzutreten. Nachdem er von Jenner, King und June Child auf die Bühne geleitet worden war, stand er einfach nur mit hängenden Armen da. Zwar hatte ihm jemand seine Gitarre umgehängt, doch war sie angeblich gar nicht mit dem Verstärker verbunden. Nick Mason schrieb später: „Wir hatten versucht, die Probleme zu ignorieren, aber die Zeit des Verleugnens war vorüber. Wir waren an einer Zerreißprobe angelangt.“
„Alles passierte so schnell“, sagt Peter Jenner. „Innerhalb weniger Monate hatte sich Syd von einem sorglosen Studenten, der von seinem Stipendium lebte und hie und da mal rauchte, in jemanden verwandelt, der von all diesen Menschen umgeben war, die seine besten Freunde sein wollten und sich darauf verließen, dass er einen Gig spielte, ein Interview gab, eine Hit-Single schrieb, das Geld hereinströmen ließ … und ihnen den Sinn des Lebens verriet.“
Als er von einem Interviewer für ein Pop-Magazin nach seinen Gedanken gefragt wurde, arbeitete Syd bereits an einer neuen Strategie: „Alles, was ich weiß, ist, dass ich beginne, weniger nachzudenken“, sagte er. „Es wird langsam besser.“