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Kapitel 1

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Hofgang

Es war ein eisig kalter Sonntagmorgen.

Dichtes Schneetreiben herrschte und auf dem vereisten Asphaltboden des trostlos grauen Gefängnishofs, der von drei Seiten durch Gebäude der Haftanstalt und von einer Seite durch eine mit Stacheldraht bewehrte hohe Mauer begrenzt wurde, drehten deutlich weniger Männer ihre Runden als an anderen Tagen, da es viele der Häftlinge bei derartigen Temperaturen vorzogen in ihren warmen Zellen zu bleiben, anstatt sich der eiskalten aber frischen Luft auszusetzten.

Die Männer wurden von oben durch einen Gefängniswärter argwöhnisch beobachtet, der in einer an einem der Gebäude angebrachten Glaskanzel an einem schmucklosen alten Tisch saß und von Zeit zu Zeit zu einem Fernglas griff, um sich einige der meist in Gruppen zu zweit oder dritt gehenden Strafgefangenen genauer anzusehen.

Der tägliche Hofgang war in jedem Gefängnis der Welt und für jeden Inhaftierten ein wichtiger Fixpunkt in dem monotonen Alltag der Gefangenschaft.

Der Hofgang bot die Möglichkeit, Kontakt zu Häftlingen aus anderen Zellen zu bekommen, Geschäfte abzuwickeln, Schulden einzutreiben und offene Rechnungen zu begleichen.

Zu Gewalttätigkeiten kam es vorzugsweise in den Zellen, Duschräumen oder anderen Bereichen des Gefängnisses, die den Blicken der Mitglieder der Justizwache verborgen blieben, aber an manche Insassen konnte man nur beim Hofgang herankommen, weil sie beispielsweise in Einzelzellen saßen oder zu einer anderen Gruppe beim Duschen gehörten.

Wenn es nicht anders ging, musste auch hier zur Tat geschritten werden, auch wenn die Gefahr bestand, dass einer der Wärter zu einem unliebsamen Zeugen werden konnte.

So hatte schon oft nach einem Hofgang ein Sträfling das Blut eines Mitgefangenen von dem alten Asphalt gewaschen, heute blieb es jedoch friedlich.

Ein bulliger, in eine dicke schwarze Wolljacke gehüllter Mann, der die Wollmütze auf seinem Kopf tief ins Gesicht gezogen hatte, stemmte sich allein gegen den eisigen Wind und ging mit kräftigen Schritten direkt an der Außenmauer des Hofs entlang.

Wenn ein anderer Gefangener aus Unaufmerksamkeit seinen Weg kreuzte, machte er ihm eilig Platz, sobald er auf seinen Fehler aufmerksam wurde.

Diesem Mann stand man besser nicht im Weg, legte man Wert auf seine körperliche Unversehrtheit.

Manche seiner Mitgefangenen kannten seinen richtigen Namen, alle nannten ihn jedoch Satan, ein Spitzname der ihn seit langer Zeit begleitete.

Satan beging heute seinen vierundvierzigsten Geburtstag, die letzten sieben Jahre hatte er den Gebäudekomplex der Justizvollzugsanstalt nicht verlassen, abgesehen von einigen Ausführungen zu Gericht, wohin er einige Male in Handschellen und von fünf Justizwachebeamten eskortiert gebracht worden war, um in anderen Strafverfahren als Zeuge gehört zu werden.

Egal welche Frage dort an ihn gerichtet worden war, er hatte stets die gleiche stereotype Antwort gegeben:

„Ich kann mich an den gegenständlichen Vorgang nicht erinnern.“

Seine Auftritte bei Gericht waren dementsprechend kurz gewesen und seine Bewacher hatten ihn jedes Mal nach weniger als einer Stunde mit einem alten zerbeulten VW Transporter wieder zurück in das Gefängnis gebracht.

Er würde niemals eine Ratte werden, eine Ratte hatte ihn hierher gebracht.

Normalerweise hätte er schon gestern entlassen werden müssen, da er seine siebenjährige Haftstrafe bis auf den letzten Tag abgesessen hatte, die Justizwache hatte jedoch vergessen, ihn zu enthaften - ein letzter Abschiedsgruß der Justizwachebeamten, die eine erstaunliche Kreativität in der Erfindung immer neuer subtiler Quälereien aufwiesen, mit denen sie den Gefangenen das Leben schwer machen wollten.

In dem seiner Haftstrafe zugrundeliegenden Urteil hatte man ihn des Handels mit Kokain in nicht geringer Menge, wie es in der Urteilsbegründung geheißen hatte, schuldig gesprochen.

Die Anklage des Staatsanwaltes stütze sich auf keinerlei belastbare Sachbeweise, die Kripo hatte bei den diversen Hausdurchsuchungen im Endeffekt nichts gefunden, weder eine bedeutende Menge Koks, noch einen größeren Bargeldbetrag, auch konnte der Staatsanwalt im Hauptverfahren nicht einen einzigen Kunden Satans namhaft machen.

Dennoch war das Gericht dem Antrag der Staatsanwaltschaft gefolgt und hatte ihn aufgrund der Aussage eines einzigen Mannes schuldig gesprochen und ihn zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.

„Das soll ein über jeden Zweifel erhabenes Beweisverfahren sein?“, hatte er nach der Hauptverhandlung seinen Rechtsvertreter in einem Anwaltszimmer in der Besuchsabteilung des Gefängnisses gefragt.

Sein Anwalt hatte ihm sichtlich nervös dargelegt, dass sich der von der Staatsanwaltschaft präsentierte Zeuge mit seiner Aussage massiv selbst belastet hatte und ihm daher vom Gericht eine hohe Glaubwürdigkeit bescheinigt wurde.

Der Zeuge der Anklage hatte in seinem eigenen Strafverfahren ein erstaunlich mildes Urteil erhalten: 18 Monate ohne Bewährung.

Da er schon einige Monate bis zu seinem Prozess in Untersuchungshaft verbracht hatte, war die Ratte keine zwei Monate nach der Hauptverhandlung bereits wieder auf freiem Fuß.

Da er auch von den weiteren Instanzen kein faires Verfahren erwartete, verzichtete Satan auf die Ergreifung von Rechtsmitteln und so wurde sein erstinstanzliches Urteil rechtskräftig.

Er brachte nun Jahr um Jahr in der Justizvollzugsanstalt zu und hatte mit ansehen müssen, wie sich mit der Fortdauer seiner Freiheitsstrafe sein Leben außerhalb der verhassten Mauern des Gefängnisses nach und nach in nichts auflöste.

Im ersten Jahr seiner Haft war seine Mutter gestorben, was ihn sehr getroffen hatte - ein bösartiger Tumor in der Bauchspeicheldrüse hatte sie rasend schnell dahingerafft, keine hundert Tage nach der Diagnose war sie schon tot.

Sein Antrag, unter Bewachung der Beerdigung seiner Mutter beiwohnen zu können, wurde von der Justiz mit der Begründung abgewiesen, es bestünden Sicherheitsbedenken.

Das würde er ihnen nie vergessen, nie vergeben, nie verzeihen.

Victor - so sein richtiger Name - hatte das Grab seiner Mutter noch nie gesehen, doch der erste Weg nach seiner Entlassung würde ihn auf den Waldfriedhof führen, wo seine Mutter ihre letzte Ruhestätte gefunden hat.

Im Gefängnis tut man aufgrund der bedrückenden Monotonie und unentrinnbaren Inhaltsleere des Alltags nichts häufiger, als nachzudenken.

Man lenkt sich manchmal ab, indem man ein Buch aus der Anstaltsbibliothek liest, fernsieht, mit einem Zellengenossen Schach spielt, jede Woche im Gefängnisladen einkaufen geht, tausende Zigaretten raucht und sich hin und wieder mit teuer erstandenen auf diversen Wegen eingeschmuggelten Drogen aus der tristen Realität davonstiehlt, die hauptsächliche Tätigkeit des Strafgefangenen besteht jedoch daraus, nachzudenken.

Seine Lebensgefährtin hatte ihm nach etwa eineinhalb Jahren Haft bei einem ihrer Besuche eröffnet, dass sie ihn verlassen würde.

Während er also häufig aus dem vergitterten Fenster seiner Zelle in die in Beton und Asphalt gegossene Hoffnungslosigkeit des Gefängnishofes starrte, kamen ihm immer wieder bestimmte Bilder aus seinem Prozess in den Sinn: Der Zeuge der Staatsanwaltschaft sagt aus, der Staatsanwalt fordert den Schuldspruch, schließlich verkündet der Richter sein Urteil.

Er würde sie nicht so einfach damit davonkommen lassen.

Sieben Jahre hatte er dafür geopfert, aber nun mussten sie ihn laufen lassen, nun war er dran.

Staatsanwalt Dr. Landgrebe, der vorsitzende Richter Dr. Jansen, die Ratte Zimmermann und sein überbezahlter Rechtsanwalt Dr. Holzmann - sie alle hatten ihren Anteil daran, dass er die letzten sieben Jahre seines Lebens mit Warten zugebracht hatte, sie alle würden dafür bezahlen.

Im Verlaufe seiner Haft hatten ihn immer weniger Leute von draußen besucht, nun nach all den Jahren kam ihn eigentlich nur noch Kerim regelmäßig besuchen.

Kerim besaß eine Bar in der Stadt und verwahrte seit sieben Jahren für Satan einen Schlüssel.

Der Schlüssel gehörte zu einem Wochenendhaus an einem kleinen See vor den Toren der Stadt.

Hätten die Behörden dieses Haus überprüft, was jedoch niemals geschah, hätten sie lediglich herausgefunden, dass das Grundbuch als Eigentümer der Liegenschaft eine gewisse Value Creation Public Limited mit Sitz in Dublin war.

Wer herauszufinden versuchen würde, wem dieses Unternehmen zuzuordnen ist, würde nur feststellen, dass alle gesetzlich vorgeschriebenen Funktionen in der Gesellschaft von irischen Treuhändern besetzt waren und der wahre Machtgeber der Gesellschaft unbekannt blieb, was das irische Gesellschaftsrecht zulässt.

Satan hatte nach den letzten sieben Jahren zwar kaum noch soziale Kontakte, er hatte aber Geld.

Niemals war es den Behörden gelungen, das Geld zu finden, das er über die Jahre gemacht hatte.

In dem Haus am See wartete - in einer großen Stahlkiste im Boden der Garage einbetoniert - eine große Summe in Cash auf Satan.

Dieses Geld würde er brauchen, wenn seine Rache erfolgreich sein sollte.

Nach Verbüßung von zwei Dritteln seiner Strafe hätte man ihn auf Bewährung vorzeitig entlassen, Satan saß lieber seine gesamte Strafe ab, als nach seiner Entlassung unter Bewährungsauflagen zu stehen.

In Satans Haus am See befanden sich ebenso die Bankunterlagen zu diversen Konten von Unternehmen in fünf verschiedenen Ländern - allesamt Gesellschaften, die über Treuhänder durch Satan kontrolliert wurden und die seine Gewinne aus dem Drogenhandel schon seit Jahren ebenso erfolgreich wie diskret investierten.

Das Geld war dadurch nicht nur vermehrt, sondern auch gewaschen worden.

Nie hatte er jemals auch nur einen Menschen zu dem Haus am See mitgenommen - es war immer nur eine Art perfekt getarnter Tresor für ihn gewesen.

In diesem Tresor lagen ebenso eine Beretta Px4 Storm (Made in Italy, Kaliber .45 ACP), eine Glock 20 (Made in Austria, Kaliber 10mm Auto), 1000 Schuss Munition für beide Pistolen und ein Dragunow-Scharfschützengewehr (Made in USSR, Kaliber 7,62 × 54 mm R), ebenso mit Munition.

Schon bald würde Satan einige Dinge aus seinem Tresor holen.

Schon bald.

Ein älterer Gefangener schloss in dem eisig kalten Wind zu Satan auf und ging neben ihm her.

Nach einiger Zeit des schweigend nebeneinander her Gehens fragte der Alte schließlich:

„Wann kommst Du raus, Satan?“

„Morgen früh. Sie verzichten darauf, mich am letzten Abend in eine Abgangszelle zu verlegen.“

„Eine lange Zeit. Aber jetzt müssen sie Dich rauslassen.“

„Wann ist es frühestens bei Dir so weit?“

„2021.“

„Schöne Scheiße.“

Der Alte erwiderte nichts darauf, sondern wechselte das Thema.

„Ich habe noch Schulden bei Dir.“

„Das mit dem Tabak? Vergiss es. Ich habe keine Verwendung für Drehtabak mehr. Draußen werde ich wieder Filter rauchen. Nimm‘s als Abschiedsgeschenk. Du wirst hier noch viele Zigaretten rauchen.“

„Danke, Satan.“

Der Alte wünschte ihm am Ende des Hofgangs noch alles Gute, ehe sie wieder in ihre Zellen gebracht und eingeschlossen wurden.

Er rauchte mit seinen drei Mitgefangenen zur Feier noch einen Joint, da er noch einen verdammt guten schwarzen Afghanen in der Zelle hatte.

Morgen würde er nach 2558 Nächten hinter Gittern aus der Haft entlassen werden.


Satans Rache

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