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Kapitel 1: Die Erleuchtung

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Es wurde bereits Abend und es war kühl, als die beiden Männer den Weg, der sie vom Hügel führte, herunterkamen.

Es war einer der Hügel der Dünenlandschaft, bei dem sich im Hintergrund bewachsenes Gebiet von dichten Sträuchern auftat, und waldähnlich verschlungene Wege freigab, die aus dem Gebiet heraus führten.

Einer der Männer sah aus wie ein Cockerspaniel, die Hunde die man mag, oder eben auch nicht.

Der Vergleich zum Cockerspaniel rührte von der leicht übergroßen Kleidung desjenigen. Das lag aber nicht – wie man vermuten konnte - an seinen stattlichen 2 Metern Körpergröße und das er nichts passendes fand, sondern seine Kleidung war einfach nur etwas zu groß gewählt. Sein Kleidungsstil machte auf modebwußte Betrachter einen eher langweiligen Eindruck. Er trug ein schlichtes hellblaues Hemd und Jeans, aber er machte trotzdem und trotzdem er schlank war, wie gesagt, eine stattliche Figur, war er doch von aufrechte Gangart, Anfang 50, zielstrebig, aber entspannt. Seine grau melierten vollen mittellangen Haare trug er zum Mittelscheitel.

Der andere trug einen Anzug mit weißem Hemd und sah eher aus wie ein Businessman, so hatten beide ihre Eigenart mit ihrer äußeren Erscheinung den Blick möglicher Betrachter, die ihren Weg kreuzten, oder die sie aus der Ferne wahrnehmen konnten, auf dem Weg zwischen den Dünen auf sie zu lenken.

Die Anzughose des Businessman flatterte im Spätsommerwind. Er war ca. 1,85 m groß mit sportlicher Figur und kurzem hellbraunem Haar und Mitte 40.

Abstrus erschien beiden die Umgebung in Anbetracht der Kleidung des Businessman und der Reisetasche und des Koffers, die sie bei sich trugen. Die Reisetasche gehörte zum Businessman.

Dieser Wanderweg offenbarte keinen offensichtlichen Grund für die Kleidung des Businessman oder das Gepäck der beiden, kein Haus im Hintergrund, keine Unterkunft gleich welcher Art, kein Hotel oder ähnliches aus der sie kommen konnten. Alles zu weit weg. Für andere mussten sie trotzdem wie verirrte und leicht verwirrte Hotelgäste wirken.

Sie selbst fühlten sich auf dem hügeligen Weg der sie vom waldähnlichen Gebiet weg und zum Meer führte, eben deswegen auch deplatziert.

Den Weg zu laufen war anstrengend, obwohl sie ihn bequem beschreiten konnten, da das Gepäck nicht allzu schwer war. So wünschten sie sich das am Ende des langen befestigten Weges am Fuß des Hügels jemand warten möge um sie aufzunehmen, und ihnen von dort aus weiterzuhelfen. Aber dort stand niemand, weder eine Person noch ein Taxi oder sonstiges Gefährt war da weit und breit zu sehen; es war auch niemand in greifbarer Nähe der ihnen helfen könnte dorthin zu gelangen, wo sie hinwollten. Auch wenn sie sich danach sehnten, denn sie waren schon seit einer Stunde unterwegs, hatten sich verlaufen, und wollten so schnell wie möglich weg von diesem Ort.

Es zog sie weiter in Richtung Meer, weg vom Wald, und sie hatten gehofft, sie kämen dort an einen möglichst noch belebten Strand, vielleicht mit einem Taxiplatz in der Nähe. Doch es war weit und breit nichts zu sehen. Auf jeden Fall bisher noch nichts.

Kühl, ja kühl war es, ein bisschen, so wie es zwischenzeitlich war wenn der Sommer auf den Herbst umging, da sich das Wetter hier am Meer schnell wandelte und man das Gefühl hatte, dass es wie ein ständig wechselnder Bildband mit Verwehungen, Wolken, Sonne und Regen über einen hinwegflog. Jedoch waren die Temperaturen in dieser Zeit am Ende des Septembers im allgemeinen noch hoch, und es regnete nicht, so dass sie beide, der Cockerspaniel und der Businessman, mit ihrer sommerlichen Kleidung immer noch passend gekleidet waren.

„Bitte“, sagte der Cockerspaniel, etwas kläglich zu seinem Gegenüber „lass uns, wenn möglich, diesen Ort nicht so hektisch verlassen Ich möchte erst noch etwas essen, trinken und irgendwo entspannen, ich bin völlig fertig. Sofern wir noch eine Lokalität oder einen Aufenthaltsort finden der uns das ermöglicht.“ Mit etwas Wehmut fügte er hinzu:“ Wenn ich an den langen Weg denke, den wir schon hinter uns haben und an den langen Weg vor uns, in die Südsee, und dass, was wir hier an diesem Urlaubsort gerade verlassen, verliere ich ein wenig die Lust mich von hier weiter fortzubewegen.“

Der Businessman selbst hatte keinen Moment Zweifel, das es richtig war ihr Hotel zu verlassen um in die Südsee aufzubrechen, und ihren Freund zu treffen um ihm zu helfen, mit der Situation klar zu kommen die er vorgefunden hatte; er hatte sie nunmal gebeten zu kommen und er gehörte zu ihnen wie die Butter zum Brot.

Was Butter und Brot betraf, so aßen sie nicht nur gerne zusammen, es verband sie auch eine gefestigte Freundschaft. So waren die drei gut befreundet. Nicht sehr gut befreundet, nein, dazu fehlte ihnen die Zeit. Aber sie passten gut zusammen, sehr gut sogar. Immer, wenn sie sich trafen oder sich ihre Wege kreuzten standen sie vor dem Problem, dass einer von den dreien beruflich oder privat zu stark eingebunden war, als dass neben den meist kurzen Treffen noch Zeit für eine erweiterte Freundschaftsanbindung gewesen wäre. Die Treffen waren damals aufgrund und auf Basis der Krankheit des Businessman entstanden. Es war für jemanden der sich mit psychischen Krankheiten nicht auskannte erstaunlich, dass derjenige heute wieder gesund war, da er vor Jahren an einer Psychose erkrankt war.

Nichts deutete heute darauf hin dass diese seinen Lebensweg gekreuzt hatte, und der Cockerspaniel, sein Psychiater, vor Jahren ausschließlich eine andere Stellung in seinem Leben hatte. Sie waren dann damals, nach der Psychose, zufällig auf einer Kirmes privat aufeinader getroffen und hatten sich lange unterhalten, und festgestellt, dass sie sich gut verstanden, daraus entstanden dann ihre regelmäßigen Treffen.

Die Psychose kam und ging auch wieder, der Wechsel verlief so wir der Sommer in den Herbst wechselte.

Einfühlsames Verhalten des Cockerspaniels aber auch Tabletten hatten dazu geführt, dass die Psychose ihn wieder verließ. So war er jetzt befreit von dem Ganzen, wieder ein ganz normaler Mensch mit einer für ihn typischen Ausstrahlung.

Ja Krankheiten,

beide waren erleichtert, auch unbewusst in diesem Moment, dass sie nichts plagte, denn auch der Cockerspaniel war krank gewesen, er war vor Jahren an Leukämie erkrankt, aber wohl genesen.

So trugen beide eine alte Last, die sie gleichermaßen beschwerte, denn beide Krankheiten nahmen den gesamten Körper und Organismus ein, aber es blieb davon nichts übrig, nur ihre Gedanken, die sie wohl oder übel dann und wann einholten. Wohl auch, denn genesen waren ja beide.

Der hügelige mit rotem Klinker gepflasterte Weg war teilweise seitlich stark bewachsen, alte Sträucher rahmten seine Windungen, und gaben dem kurvigen Verlauf Puffer aus sperrigen Zweigen und dichtem Bewuchs, so dass beide animiert waren dann und wann auf dem Weg zu verschwenken, und sich entweder auszuweichen, oder sich in die Arme zu laufen. Nach einigen hundert Metern hatten sie aber ihren Takt gefunden, sich auf dem Weg soweit aus dem Weg zu gehen um sich beim Laufen nicht zu behindern, und so waren sie fast mehr oder weniger schweigend nach einem langen Marsch am Fuße des Hügels angelangt, und nun lagen vor Ihnen nur noch ein paar Dünen, die sie vom Strand trennten.

Es waren nur noch wenige Schritte vom befestigten Weg bis auf den weitläufigen Sandstrand, doch beide vermuteten, es wäre wegen der aufkommenden Flut zu nass und zu feucht, um sich in der Abenddämmerung noch weiter Richtung Meer zu wagen und dort am Wasser weiter zu laufen. Nachdem sie noch ein Stück gegangen waren blickten sie sich um, und entdeckten zu Ihrer Freude in der Ferne eine Straße und einen Parkplatz.

Sie hatten als sie aufgebrochen waren die Möglichkeit gewählt, von ihrem Hotel aus in Richtung Meer und nicht Richtung Stadt zu laufen, um fortzukommen, warum wussten sie in diesem Moment auch nicht mehr genau, und das dies eine schlechte Wahl war, hatten sie jetzt auch erkannt.

Etwas Verzweiflung klang aus der Stimme des Cockerspaniels, der Dr. Hunt hieß: „Jetzt haben wir einen Parkplatz und eine Straße und können nicht mal ein Taxi rufen um uns abzuholen weil unsere Handys kein Netz haben.“

Der Wind blies abwechselnd warme und kalte Luft, die vom Meer kam verwirbelnd um sie herum. „Wie wir hier wegkommen, ist im Moment wirklich auch das, was auch mich am meisten interessiert, da bist Du nicht alleine“, sagte der Businessman, der Frederik hieß.

Mit Wehmut sah Dr. Hunt zu einem Auto, welches sich vom Wendeparkplatz nah den Dünen langsam Richtung Stadt entfernte. „Und, was machen wir jetzt?“ Frederik sagte nichts. Langes Schweigen füllte den weiten Raum zwischen dem Meer und den Hügeln. Man hörte ausschließlich Windgezwirbel und Geräusche, die aus Richtung Meer kamen.

„Weißt Du was mich stört“, sagte Dr. Hunt. Er drehte sich zu Frederik „Das Du schweigst.“ „Nun, so bin ich nunmal“ Frederik grinste ein wenig. „und nur weil ich schweige, kann ich in Ruhe nachdenken, und nur weil ich nachdenke, fällt mir auch etwas ein. Wahrscheinlich“, fügte er hinzu „denn bisher ist mir noch nichts eingefallen. Bis auf…“, er blickte in die Ferne in Richtung des Parkplatzes, „… die Lösung für das, wonach Du Dich gesehnt hast: Essen, Trinken und ein ruhiges Plätzchen zum Entspannen. Da hinten steht ein Kiosk, und ich sehe Tische und stühle, da bekommst Du was Du brauchst, und damit hätten wir schon mal ein Problem gelöst.“

Der Weg den sie entlang gingen, gabelte sich vor dem Sandstrand, so dass man parallel zum Meer entlang der Dünen in beide Richtungen laufen konnte. Sie schritten nach rechts weiter, dort machte der Weg einen langen Bogen weg vom Meer Richtung Dünen, und führte nach ca. 50 Metern zu einer Straße, diese führte Richtung Flugplatz und Stadt.

Kurz bevor der Weg mit der Straße eins wurde, stand dort ein mittelgroßer Kiosk aus Rauspundbohlen. Das sind die grob gehobelten Bretter, die die natürlichen Biegungen des Stammes tragen, und deren Borke noch auf den Rändern vorhanden ist.

An diesem Kiosk gab es alles was ein Kiosk haben muss und noch etwas mehr. So gehörten nicht nur Ansichtskarten zu seinem Repertoire, sondern neben Wurst- und Fischbrötchen, Kaffee, Getränken und Zeitschriften auch allerlei nützliches Equipment wie z.B. Taschenlampen, Sonnensegel und Taschenmesser.

„Die will ich“, sagte Dr. Hunt, als sie vor dem Kiosk standen „die und keine andere“.

Er deutete auf eine Schnapsflasche. Diese beinhaltete den einfachen deutschen Doppelkorn.

„Du willst Dich betrinken?“, fragte der Businessman erstaunt.

„Kleiner Scherz“, antwortete der Cockerspaniel „ich nehme ein Wurstbrötchen, einen Kaffee oder..…nein, lieber zwei Brötchen und einen Kaffee.“

Sie standen allein an dem Kiosk und schienen zu den letzten fünf Gästen des Tages zu gehören, die sich noch einen kleinen Snack gönnten, bevor sie den Heimweg antraten. Die Beleuchtung des Kiosks erhellte schon leicht den Gehweg vor Ihnen in der Abenddämmerung, und die beiden Ausgabenbretter an der Theke machten bereits einen sehr aufgeräumten Eindruck. Man konnte erkennen, dass der Feierabend nahte.

So war die männliche Bedienung mehr oder weniger motiviert, aber noch kultiviert genug die Gäste höflich zu bedienen. „Ich bin ein wenig erstaunt“, sagte Frederik und drehte sich um seine eigene Achse, um die Umgebung zu betrachten.

„Ich bin wirklich erstaunt“, wiederholte er gemächlich. „Dafür dass wir so spontan aufgebrochen sind, anscheinend den falschen Weg gewählt haben und uns verlaufen haben, dafür geht es uns grade wirklich ausgesprochen gut. Du wirkst zumindest im Moment sehr entspannt, wir haben etwas zu essen und zu trinken, Du schwitzt nicht, ich auch nicht, die Arme sind nicht schwer von tragen, denn zum Glück haben wir nur leichtes Reisegepäck dabei und wir liegen noch gut in der Zeit. Und so wie es aussieht, finden wir eine Lösung für unser Problem, wie wir hier weg kommen.“

Dr. Hunt saß bereits auf einem der Stühle und biss genüsslich in sein Wurstbrötchen, aus dem der Ketchup auf den Plastikteller tropfte. „Willst Du nichts, willst Du Dich nicht setzen?“, fragte er Frederik. „Doch“ sagte dieser „aber ich überlege, wie wir jetzt weitermachen oder wie wir hier wegkommen und sehe mich gerade noch um“

„Ich steige auf den Leuchtturm und erschieße eine Möwe für die Allgemeinheit“, sagte Dr. Hunt.

Frederik sah in an. „Habe ich das mal früher gesagt?“, fragte er.

„Nein, aber Du hättest gerne“, erwiderte der Cockerspaniel, dessen Vorname Thomas war, grinsend. „Und es gerne gemacht. Zum Wohl der Allgemeinheit“.

Er biss in das zweite Wurstbrötchen.

„Sag mal, warum denkst Du Dir so was aus, dass hätte ich nie gesagt oder gemacht“, sagte Frederik und zog die Augenbraunen hoch.

Er sah an die Preistafel und überlegte einen Augenblick. Dann bestellte auch er einen Kaffee und zwei Wurstbrötchen und setzte sich. Der Anruf Ihres Freundes Johannes, ebenfalls sein Psychiater, war erst vor zwei Stunden bei den beiden in ihrem Urlaubsdomizil eingegangen, bei dem er sie bat möglichst schnell zu ihm an die Südsee zu kommen und niemandem etwas davon zu erzählen. Es ging um einen geplanten Mord, und er hatte diesbezüglich etwas Angst um sein Leben und um das Leben seiner beiden Freunde.

„Erzähl mir noch mal genau, was er gesagt hat, Du sagtest er wüsste nicht, wie er damit umgehen soll was er gehört hat“, sagte Dr. Hunt.

„Also Johannes glaubt, wenn er sich nicht verhört hat, dass er in einem Geschäft in seinem Urlaubsort in Cannes etwas von einem geplanten Mord mitbekommen hat, er ist sich aber nicht sicher, und solange er sich nicht sicher ist, will er auch nicht zur Polizei gehen. Darüber hinaus weiß er nicht ob diese Männer ihn erkannt haben, und darum macht er sich Sorgen um sein und unser Leben, und meint, wir sollen möglichst keine Spuren hinterlassen …“, er kaute und schluckte ein Stück Wurstbrötchen herunter „…er sagt, er, also jetzt wir müssten schnell beweisen, dass es sich tatsächlich um einen gelanten Mord handelt um den es da ging, denn wir hätten nicht viel Zeit. Sonst könnten wir nicht zur Polizei. Er ärgert sich dass er nicht genauer hin gehört hat, aber er konnte die Männer nicht gut verstehen, da sie nicht laut gesprochen haben. Darum meint er, wir beide wären natürlich genau die Richtigen, um ihm zu helfen das herauszufinden. Er hat gesagt er weiß in welchem Hotel die beiden Männer wohnen, die darüber gesprochen haben. Also sollen wir irgendwie möglichst schnell die Wahrheit herausfinden.“

„Aha“, erwiderte Thomas, „und, was vermutest Du?“

„Dass er Recht hat und jemand einen Mord plant“, antwortete Frederik „Ich glaube nicht dass er sich verhört hat“

„Ich denke an den Leuchtturm und die Taube“, sagte Thomas.

„Möwe“ erwiderte Frederik, „Du sagtest eine Möwe für die Allgemeinheit erschießen, nicht eine Taube“.

Man merkte dass ihnen ihre Heimat Ostwestfalen näher war als das Meer. Die Verwechselung von Möwen und Tauben tat beiden gut.

Schweigend aßen beide weiter, bis auch Frederik das zweite Wurstbrötchen intus hatte.

„So, wir brechen spontan unseren ersten gemeinsamen Nordseeurlaub ab, obwohl er gerade erst angefangen hat. Und wir besuchen Johannes, um ihm zu helfen herauszufinden, ob er tatsächlich etwas von einem geplanten Mord mitbekommen hat. Ich bin Psychiater, kein Polizist und kein Detektiv und keine 25 mehr und damit unter anderem zu alt für solche Spontanaktionen . Aber – und das sage ich bewußt – aber dummerweise Euer Freund.“

„Und, willst Du jetzt etwas an unserem Vorgehen ändern?“, fragte Frederik.

„Im Moment nicht; im Moment bin ich satt und entspannt“, erwiderte Thomas.

Der Businessman und der Cockerspaniel saßen wiederum schweigend einige Minuten nebeneinander. „Lass uns zahlen und gehen“ sagte Thomas. „Wir sollten sehen, dass wir hier wegkommen“.

Beide hatten schon auf dem Weg darüber gesprochen, dass es wohl schwierig werden würde noch einen Flug zum nächst größeren Flughafen zu bekommen, ein Bahnhof in der Nähe war die Alternative.

Auch die Kosten waren ein Thema. „Müssen wir eigentlich soviel Geld für einen Flug vergeuden“, hatte Thomas geflucht, „warum reisen wir nicht in Ruhe an?“ „Wir sollen schnellstmöglich kommen“, war die Antwort von Frederik und die Bitte von Johannes gewesen.

Rings um den Kiosk war nichts, links nach Osten nur weitläufiger Strand, das nächste Café, ein Dünencafe, wie sie von Kioskbetreiber erfuhren, war im Verlauf nach Osten vier Kilometer weit weg, der Flugplatz Richtung Westen in der Nähe der Straße drei Kilometer weit und die Stadt Dornum mit dem Bahnhof, zu der sie überlegten aufzubrechen um von dort weiterzukommen, fünf Kilometer weit.

Der Kiosk stand allein auf offenem Feld, im Hintergrund eine Hügellandschaft aus Dünen, spärlich mit den typischen Nordseesträuchern bewachsen, viele Wildrosen, Sanddorn und hier und da ein paar Bäume. Dahinter der angrenzende Wald aus dem sie gekommen waren. Sonst nur Sand, Strand und Meer. Unregelmäßig und angepasst an die Vorgaben der Natur und nicht nach straßenplanerischen Grundsätzen ein paar Wege für Wanderer, selten ein paar Bänke, und noch seltener Mülleimer und dergleichen.

Ja, die Nordseelandschaft war karg und hatte diesebezüglich einiges zu bieten.

Sand wehte auf die Wege und die Straße, es war windiger geworden in der Abenddämmerung, die alles in ein leichtes rot-orange tauchte.

Straße und Wege waren alt, sie müssen in Hochzeiten des Tourismus in den 70er Jahren entstanden sein, dies war jetzt 50 Jahre her.

„Ich habe eine Idee“, sagte Frederik.

„Eine Erleuchtung wäre besser“, antwortete Thomas.

„Du weißt wie es läuft: Ich habe geschwiegen, so konnte ich in Ruhe nachdenken, und nur weil ich nachdenken konnte, ist mir auch etwas eingefallen. Ich habe eine Idee“.

„Eine Erleuchtung wäre toll“, wiederholte der Cockerspaniel.

„Na gut, nenn es eine Erleuchtung“.

„Und die wäre?“

„Der Kioskbesitzer kann uns helfen, er macht ja gleich zu. Ich habe mir an der Seite eben das Schild mit den Öffnungszeiten angesehen. Wir bitten ihn, uns mitzunehmen mit der Angabe wir hätten uns verirrt. Entweder soll er uns bis zum Flugplatz mitnehmen, wenn von dort noch ein Flieger geht, was wir bis dahin von dem Besitzer herausbekommen, sonst bis zur Stadt, wo ja auch der Bahnhof ist. Wir bieten dem Kioskbetreiber direkt 20 Euro für die Fahrt, so dass er gar nicht erst überlegt, ob er uns mitnimmt oder nicht. Ich denke erstens alleine vom zeitlichen Aspekt geht das schneller als ein Taxi zu ordern. Zum zweiten kennt er sich hier gut aus und kennt damit alle Möglichkeiten und wie wir hier weg kommen und unserem Ziel näher, wir müssen ihm ja nicht gleich auf die Nase binden dass wir an die Südsee wollen; und zum dritten dauert es bestimmt noch eine halbe Stunde, wir können entspannt hier stehen, Kaffee und Korn trinken wenn Du willst und warten.“

„Korn trinken ist gut. Warum ist Johannes eigentlich so vorsichtig? Es darf niemand wissen, dass wir an die Südsee wollen und wir sollen unsere Namen nicht nennen. Solange wir nicht jemandem auf die Nase binden es hätte möglicherweise was mit einem Mord zu tun kann doch nichts passieren, oder?“

„Nun ja, falls Du es vergessen hast: Der Mord, falls er sich nicht verhört hat, soll in Ostwestfalen stattfinden. Da wir drei dort her kommen, gäbe es, sollten wir auffallen, mögliche Verbindungen, die uns das Leben schwer machen, oder dafür verantwortlich sind, dass wir es womöglich verlieren.“

„Gut dass Du mir das noch mal gesagt hast, ich hatte das wohl überhört. Jetzt bin ich etwas beruhigt, obwohl es eigentlich beunruhigend ist.“

„Gerne“, antwortete Frederik.

Der Mann aus dem Kiosk stand im Wind im rauchte. Asche wehte um die Ecke der überlappenden Rauspundbohlen und verfing sich in den Spinnennetzen, die eifrige Spinnen gegen die Mächte der Natur und der auch von Sauberkeit geprägten Pflegekultur des Kioskbetreibers immer wieder sponnen.

Ob so jemand wohl jemanden umbringen könnte, fragte sich Frederik.

Dr. Hunt meldete sich zu Wort:“Ich bin ehrlich gesagt demotiviert, meinen Urlaub gegen einen geplanten Mord einzutauschen in den wir uns verfangen können. Aber deine Idee ist gut“.

„Dann trink Korn“, sagte Frederik. „Übrigens Erleuchtung, nicht Idee. Ich habe mich mittlerweile damit arrangiert, dass es sich um eine Erleuchtung handelt.“

„Wann weihen wir den Kioskbesitzer in sein Schicksal ein?“, fragte Thomas.

„Am besten wenn Du den Korn bestellst. Aber verrate ihm nicht zu viel. Du bist Psychiater,

da wird Dir schon was tolles einfallen.“

Der Cockerspaniel bestellte eine kleine Flasche Korn, und bat den Besitzer entsprechend Ihnen zu helfen und sie mitzunehmen. Sie ernteten die erwarteten Fragen, warum sie hier hin gegangen wären, ob sich zwei Männer wie sie nicht hätten besser organisieren können, und wo sie hinwollten. Dr. Hunt zog alle Register seines Könnens, und erklärte, sie wären gerade absichtlich unbedarft angereist, um das schöne, den Flair und den Charakter sowie den Charme der Umgebung und der Menschen hier vor Ort richtig erfassen und erleben zu können. Das reichte dem Kioskbesitzer schon fast, und er verschwand kurz an die andere Theke, um sich um eine alte Frau zu kümmern, die auch etwas zu essen bestellte. Er kam zurück.

„Und, wo wollen Sie dann hin?“, fragte er. „Hotel, Pension oder doch liebe ein Zeltplatz, Eine Jugendherberge haben wir auch noch.“

„Nein, wir müssen wieder weg“, antwortete Dr. Hunt. „Leider ist etwas dazwischen gekommen und wir müssen ….“, er stockte kurz, „…wir müssen sehen dass wir ein Stück nach Süden kommen. Dort treffen wir einen Freund.“

„Dann bringe ich Sie zum Bahnhof, dort fährt jede Stunde bis Mitternacht ein Zug Richtung Emden. Von dort kommen Sie immer weg.“

„Was ist mit fliegen“, fragte Dr. Hunt, „gibt es eine Möglichkeit spontan mit dem Flugzeug hier weg zu kommen?“

Der Kioskbetreiber lachte. „Nein, weder spontan, noch um diese Uhrzeit. Der Flugplatz hat schon seit 2 Stunden geschlossen. Wissen Sie was, ich mache in 20 Minuten meinen Stand zu. Dann packe ich Sie ein und bringe sie zum Bahnhof, das wird das beste für Sie sein.“

Das Auto des Kioskmenschen war ein Geländewagen mit Ladefläche, er war zwar erst ein paar Jahre alt, doch die lange Standzeit neben dem Kiosk am Meer mit Sand und Salz in Wind und Wetter hatte bereits leichte Spuren hinterlassen.

In den letzten Minuten teilten sich der Businessman und der Cockerspaniel schweigend Schluck für Schluck die kleine Flasche Korn, und warteten darauf, dass die Klappen des Kiosks nach unten gingen. Dr. Hunt erntete noch Lob von Frederik für seine psychologische Glanzleistung, kurz und knapp den Kioskbetreiber seinem Schicksal zugeführt zu haben, ohne dass er sich wirklich wehren konnte.

Zurück kam das Lob, dass alle Möwen die Anwesenheit Frederiks überlebt hatten.

Als der Dieselmotor aufbrummte stiegen beide in den hinteren Teil des Wagens, und packten die Tasche und den Koffer zwischen sich auf die Rückbank, dann setzte sich der Wagen in Bewegung.

Die Psychologie von Möwen und Tauben

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