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Kapitel 2: Cote d`Azur

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Die Gischt der Wellen sprühte warmen Nebel auf alle, die sich weit genug ins offene Meer gewagt hatten, man musste schon 30 bis 40 Meter ins Meer gehen, um die höheren Wellen, die rauschend und krachend in sich zusammenfielen, genießen zu können.

Auch der Wind schien hier etwas stärker zu sein als am Strand, so bekam man, wenn man über Wasser und nicht unter Wasser war, denn man konnte hier auch vorzüglich tauchen, eine schöne Priese des feinen Nebels mit, was das Badevergnügen für all diejenigen steigerte, so dass gerade die jüngeren Badegäste vor Vergnügen kreischten.

Johannes sah dies aus geringer Entfernung und fragte sich zurecht, ob er sich noch weiter ins Meer wagen sollte, denn außer etwas mehr warmen Nebel kam er auch an seinem jetzigen Standort voll auf seine Kosten.

Der weiße Sandstrand in Cannes war kilometerlang zum Baden und Schwimmen ausgelegt, regelmäßig standen dort die Überwachungstürme der Rettungsschwimmer, der Strand war gesäumt mit Spielplätzen und Freiflächen mit Bänken und Tischen sowie kleinen Buden und Ständen, wo es etwas zu Essen und zu Trinken gab, und welche die Geschäfte am Rande der Straße zum Strand mit ihrem Angebot ergänzten, wie in Urlaubsorten so üblich. So waren an diesem schönen Sommertag, der etwas über 30 Grad hatte, jede Menge Menschen am Meer, um wie auch er, das Nass zu genießen.

Mord dachte er, an einen Mord denkt hier außer mir bestimmt keiner.

Gefangen von dem Gedanken sah er sich die Menschen seiner Umgebung an und versuchte herauszufinden, wer möglicherweise fähig war einen Mord zu planen. Oder fähig war einen zu begehen. Aus eigentypischem Verhalten.

Aber wäre es überhaupt möglich, potenzielle Mörder mittels Sichtkontrolle zu erkennen?

Er kniff die Augen zusammen und drehte den Kopf zum Strand. Als erstes sah er vergnügte Kinder, die sich im flachen Wasser nass spritzten. Er drehte den Kopf zurück.

Nein, das machte keinen Sinn, wenn er so darüber nachdachte und versuchte herauszufinden wer möglicherweise fähig war zu diesen Dingen und wer nicht, kam er wirklich nicht weiter.

Also ließ er es, wohlwissend dass ja sowieso nur das mitgehörte Gespräch ihn dazu anreizte dies zu tun, denn einen anderen wirklichen Anlass der seiner Umgebung zuzuordnen war, gab es dafür natürlich nicht.

Er sah nach vorn, wo sich die Wellen vor ihm zusammenwarfen, und die ausflachenden Bewegungen der Wellen ihn sanft hin und herwarfen.

Er steckte den Kopf unter Wasser, nachdem er intensiv Luft geholt hatte, tauchte kurz ab und schwamm unter Wasser ein paar Meter, wobei er versuchte die Augen offen zu halten.

Er tauchte auf, schüttelte das Wasser vom Kopf und drehte sich Richtung Strand.

Gut, dachte er, wie gut, dass meine Freunde kommen. Ich kann an nichts anderes mehr denken als an Mord. Und gut dass ich selbst keinen geplant habe, sonst wäre ich wahrscheinlich kurz davor einen zu begehen.

Den Urlaub hatte er auf 14 Tage ausgelegt, heute am 6. Tag fühlte er sich schon wohl in seiner Umgebung. Seine Frau und die Kinder wollten nicht mitkommen. „Zu heiß“, „Zu weit“, waren die Kommentare gewesen, als er zu Hause sein Anliegen preisgab, einmal nicht in Deutschland den Sommerurlaub verbringen zu wollen, sondern in Frankreich an der Cote d`Azur.

Er hatte die Kommentare für einen Scherz gehalten, doch bei weiterem Nachfragen wurde ihm bewußt, dass dies emotionalgesteuerte ehrliche Aussagen waren, welche die drei, seine Töchter und seine Frau, auf seinen Vorschlag ohne Umschweife tätigten.

Diese Erkenntnis machte ihm ihn seiner Ehre als Psychiater schwer zu schaffen.

„Die waren ehrlich“, hatte er zu seinen Freunden Thomas und Frederik gesagt, als sie sich bei einem ihrer letzten Treffen über die Absichten ihres Sommerurlaubs unterhielten.

Auf Basis der Überlegungen zu einem Urlaub am Meer an der Cote d`Azur hatten sich Frederik und Thomas dann auch, ganz wie Johannes`Frau und die Töchter, für den Nordseeurlaub entschieden, denn die deutsche See lag auch ihnen näher als die Cote Azur.

Und nun fehlten ihm Frederik und Thomas, um ihn aus dieser Lage zu befreien.

Er ging zurück zu seinem Handtuch und stockte einen kurzen Moment, als ein Mann mit einem Kind sich auf sein Handtuch zu setzen drohte. Wie sich herausstellte, hatte sich der Mann vertan, das Kind zog an seiner Hand und sie gingen einen Liegeplatz weiter.

Die Handtücher sahen ähnlich aus.

Er atmete schwer aus. Selbst solche Situationen, in denen eigentlich nichts weiter geschah, und die einfach nur etwas ungewöhnlich waren, schienen ihn in einem gewissen Schockzustand zu versetzen, oder zumindest sehr zu beeindrucken, auch wenn er als Psychiater so einiges gewohnt war.

Er war im Moment innerlich so aufgestellt, dass er bei allem in seiner Umgebung, was sich nicht gehörte oder schickte, oder was allem Anschein nach seltsam, interessant oder außergewöhnlich war, er direkt prüfte, ob dies etwas mit dem zu tun hatte, was er in dem Geschäft gehört hatte. Auf einmal vermutete er überall Zusammenhänge zu dem Gespräch und zu den Männern, auch wenn das natürlich eigentlich quatsch war.

Die beiden Männer, denen er mehr aus Zufall zugehört hatte, hatten sehr leise, aber doch laut genug von dem Mord in OWL gesprochen, und das OWL die Abkürzung der Region Ostwestfalen-Lippe war, dass bestätigte sich im Verlauf des Gesprächs immer wieder, als typische Städtenamen wie Bielefeld oder Detmold fielen, die in dieser Region lagen.

Tatsächlich sagen die wenigsten, die aus der Region kommen oder mit Ihr zu tun haben Ostwestfalen-Lippe, das ist einfach zu lang.

„Entweder wir machen das an den Externsteinen, oder bei Miele“, hatte einer der Männer gesagt. Miele war wohl jedem als einer der größten Waschmaschinenhersteller der Welt bekannt, die Externsteine waren große Felsen, ein sagenumwobener Ort der Germanen im Teutoburger Wald.

Das hatte er mitbekommen, als er zwei Regale weiter in dem kleinen Laden in seinem Urlaubsort typische deutsche Waren einkaufte. Dort gab es Tiefkühlpizza und Pudding aber auch typisch deutsche Reinigungsmittel und Waschmittel.

Ja er fühlte sich bis auf die Angelegenheit mit dem Mord wohl in seiner Umgebung am 6. Tag. Bereits am 3. Tag kam ihm alles ein wenig vor wie zu Hause.

Eine Ähnlichkeit mit seiner Heimatstadt Gütersloh suchte man vergebens, jedoch zeigte die Stadt, trotzdem sie so beliebt und voll von Touristen war, eine gewisse Ruhe, wenn man – zu welcher Tageszeit auch immer – in ihr und ihren Straßen wandelte und fuhr.

Zum Glück hatte er auf ein Auto verzichtet und bewegte sich ausschließlich zu Fuß oder mit dem Taxi, schon seine Anreise hatte er mit dem Zug getätigt. Hier in der Nähe des Strandes einen Platz für ein Auto zu finden war – so schien es ihm – die Stecknadel im Heuhaufen zu suchen und zu finden, denn am Ende wollte ja wohl jeder an den Strand, und nicht die Straßen des Badeortes stundenlang auf und abfahren.

„Ich habe fast so psychotische Anwandlungen wie Frederik in seinen besten Zeiten mit meinen dauerhaften und ständigen Überprüfungen, ich kann ja schon gar nicht mehr klar denken“, fuhr es aus ihm heraus, als er sein Handtuch und den Liegestuhl erreicht hatte.

Er analysierte wirklich fast alles auf Zusammenhänge zu ihm – und zu dem geplanten Mord.

Sich davon nicht befreien zu können machte ihm selbst etwas Angst, obwohl er ein erfahrener und kluger Psychiater war.

Da er nicht gesehen hatte, wie die beiden Männer miteinander gesprochen hatten, konnte er die Stimmen nicht zuordnen. Er konnte jedoch beide identifizieren, da sie nach dem Gespräch neben ihm an den Regalen wo er stand entlanggelaufen waren, und er sie als zwei Hotelgäste, die ein Hotel weiter wohnten, wiedererkannte.

„In 3 Wochen wäre gut“, hatte einer der Männer noch gesagt. Das hieß sie hatten nicht viel Zeit.

Er legte sich auf das Handtuch und schloss die Augen. Salzwasser tropfte von seinen Haaren und lief in Rinnsalen seinen Körper herunter, während die Sonnenstrahlen die nasse kühle Haut aufheizte und trocknete.

Die Männer hatten sich in dem Geschäft unauffällig bewegt; komisch dass ihm so etwas auffiel.

Natürlich schrien Mörder nicht gleich herum und machten auch sonst allerlei Sachen, um die Aufmerksamkeit der Umgebung auf sie selbst und ihr Vorhaben zu lenken.

Also wäre es absurd das Verhalten weiter zu analysieren ohne weitere Anhaltspunkte zu haben, dachte er. Er war nicht ein guter Psychiater geworden weil er sich auf Mutmaßungen und Annahmen stützte, die nicht zu untermauern waren.

Um nicht aufzufallen als die beiden an ihm vorbei gingen hatte er, nachdem er das Gespräch mitgehört hatte, selbst versucht, möglichst unauffällig zu sein und zu wirken, auch deswegen fehlte ihm natürlich jedes Potenzial die beiden Männer weiter im Auge zu behalten oder ihr Verhalten zu studieren, um es nachfolgend analysieren zu können.

Bei allem was er beobachten konnte und mitbekam stellte sich heraus, dass er nur wusste wo eventuell ein Mord passieren sollte, und ungefähr wann, und wo zumindest zwei der Täter, die er nicht kannte, wohnten. Was die Täter selber betraf, so fehlten ihm sämtliche Ansätze um ihr Verhalten zu beschreiben, nur ihre Gesichter hatt er sich gemerkt.

Seine Töchter hatten ihn gewarnt:“Papa, das wird ein seltsamer Urlaub für Dich. Erstens bist Du als typisch deutscher Strandgänger auffällig und alleine an der Cote Azur, zweitens weißt Du in der Regel in solchen Momenten nicht viel mit Dir anzufangen, und drittens…“ „…ist Deine Familie nicht dabei um Dein seltsames Verhalten nach außen entweder zu untermauern oder zu erklären“, hatte sie lachend die andere Tochter unterbrochen. „Nein“, hatte die erste Tochter ergänzt, „drittens bist Du Psychiater, und wirst es schaffen den ganzen Urlaub Deine Umgebung zu betrachten. Dann kommst Du wieder nach Hause und erzählst uns die ganze Zeit etwas von den Begebenheiten, die Dich beim Betrachten der Menschen ereilt haben. Da wird mir jetzt schon unwohl.“

Dr. Großelümer, so war der Name von Johannes, war mit 1,70 m etwas kleiner als seine beiden Freunde, er trug einen Kinnrahmenbart, war Anfang 50, hatte grau melierte kurze Haare und war vollschlank.

Tatsächlich hatten seine Töchter recht: Wenn er sich an seinem Stammplatz am Strand gemächlich ausbreitete, und seine durch Gewohnheiten geprägten Regelmäßigkeiten auslebte, so könnte man in Anbetracht dessen, dass er nichts Weiteres tat, also kein Buch lesen oder sonstiges, sondern nur seine Umgebung betrachten, wirklich von einem etwas verschrobenen Menschen ausgehen, noch dazu wenn man sich in einem Gespräch nach seinem Beruf erkundigte.

Sein familiär geprägtes Equipment aus vorangegangenen Urlauben tat ein übriges daran: Eine abgenutzte Strandtasche, ältere Strandlatschen, ein Sonnenschirm und ein Klappstuhl, eine Luftmatratze, sowie diverse Handtücher und ein Kopfkissen, alles mit Emblemen und Symbolen von Nord- und Ostseeurlauben zeigten, dass er gut ausgestattet war, was Strandurlaube betraf.

Nur sah es so aus, als würde er diese Urlaube ständig alleine verbringen - und das mit Vollausstattung.

Ein Polizeiwagen kam an den Strand gefahren. Da es ein Geländewagen war, fuhr er ein Stück auf den Strand um dann aber dort anzuhalten, wo er niemanden störte oder zusätzlich Aufmerksamkeit erregte.

Zwei Polizisten stiegen aus und gingen zur Strandbar, eine Bretterbude, die am Übergang zwischen den Parkplätzen und dem Strand angeordnet war, und sprachen mit dem Barkeeper. Die Bretterbude war nach allen Seiten offen, überall auf der Theke standen bunte Gläser mit kleinen Schirmchen und Strohhalmen, neben großen vasenähnlichen Glasgefäßen, die mit Früchten gefüllt waren. Die Bude war geschmückt mit allerlei Verzierungen, so rahmten Wimpelbänder die Thekenumrandung, und in bunten Lettern war der Name der Cocktailbar oben angeschlagen „Cocktails d´Azur“.

Dr. Großelümer war sofort neugierig geworden. Alleine dass ein Polizeiwagen vorfuhr, ohne irgendeinem offensichtlichen Grund, denn die Polizisten machten nicht den Eindruck, als seien sie in Eile, machte ihn stutzig.

Hinzu kamen natürlich seine Gedanken an das Gespräch über den geplanten Mord, mittlerweile glaubte er selber, dass er sich nicht verhört hatte.

So fand er die Nähe zur Polizei gleichzeitig angenehm und irritierend, da er sich nicht sicher war, wie er damit umgehen sollte. Er stand auf, suchte schnell sein Portemonnaie aus der Strandtasche und ging zügig in Richtung der nahegelgenen Strandbar.

Als er dort angekommen war, bekam er grade noch mit, dass es wohl um zwei deutsche Polizisten ging, welche die französischen Kollegen aus irgendeinem Grund suchten und kontaktieren wollten.

Der Barkeeper schien beiden nicht weiterhelfen zu können, und so verabschiedeten sie sich nach einem kurzen Gespräch und gingen wieder zum Auto.

Wohlwissend, dass er in seiner jetzigen Gemütsverfassung imstande war, Geister zu sehen, fragte er den Barkeeper, was die Polizisten wollten, nachdem er ein Wasser bestellt hatte. Der Barkeeper fügte Eiswürfel und ein Schirmchen in das Wasserglas, dann füllte er das Glas auf.

„Nichts bestimmtes“, antwortete der Barkeeper, und so war er nicht wirklich weniger verwirrt zu seinem Handtuch zurück gekommen, als er von dort gestartet war.

Ich Idiot, dachte er. Warum muss ich mich auch noch mit solchen Dingen verrückt machen?. Lautes Kinderlachen schallte über den Strand.

„Wenn meine Freunde doch schon hier wären“, entfuhr es ihm, „die würden mich schon wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen“.

Sich dessen bewußt, dass auch ein Psychiater an seiner eigenen Psychologie scheitern konnte, sah er den Möwen hinterher die über den Wellen kreisten, als er sich wieder mehr oder weniger entspannt auf seinen Platz legte. Mord, dachte er, Mord und Möwen.

Die Psychologie von Möwen und Tauben

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