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«Verbundpartnerschaft» – Schlagwort oder Erfolgsrezept?
Zur Steuerung der schweizerischen Berufsbildung
Die Steuerung von dual-korporatistischen Berufsbildungssystemen (Greinert, 1995, 2004) – Systemen also, die wie das schweizerische betriebliche und schulische Ausbildungsanteile kombinieren und sich durch eine starke Einbindung von Berufs- und Wirtschaftsverbänden charakterisieren – ist hochkomplex. Die Feststellung gilt nicht erst für die Gegenwart, sondern reicht bis auf die Konstituierung der Berufsbildung als staatlicher Politiksektor unter Beteiligung von Bund, Kantonen und Berufsverbänden/Sozialpartnern im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert zurück. Das erste eidgenössische Berufsbildungsgesetz von 1930, das dem Bund die oberste Regelungskompetenz übertrug, bedeutete historisch ohne Zweifel eine Zäsur in der Begründung der Rolle der drei Akteure. Tatsächlich wurde damit aber nicht ein eindeutig hierarchischer Steuerungmodus eingeführt, vielmehr war die Konzeption der Beziehung zwischen den drei Mitspielern, also zwischen dem Bund, den Kantonen und den Berufsverbänden beziehungsweise Sozialpartnern von Beginn weg kooperativ und koordinativ, also auf Zusammenarbeit und gegenseitigen Interessenausgleich hin angelegt. Dies erklärt sich weitgehend daraus, dass es zwischen 1880 und 1910 zuerst vor allem Berufs- und Branchenverbände und etwas später die Kantone waren, die sich der normierenden Regelung der Berufslehre annahmen, während der Bund zunächst lediglich über Subventionen steuernd eingriff (Berner, Gonon & Ritter, 2011). Der Wunsch, der Bund möge in der beruflichen Ausbildung eine massgebliche Rolle einnehmen, wurde bereits seit Ende der 1880er-Jahre laut.
Es sind die genannten drei Akteure – Bund, Kantone und die neu unter dem Begriff «Organisationen der Arbeitswelt» (OdA) zusammengefassten Berufsverbände und Sozialpartner –, die die Verbundpartnerschaft in der schweizerischen Berufsbildung ausmachen. Der Ausdruck verweist auf eine lange Tradition und ist somit geeignet, trotz Kompetenzverschiebungen mit augenfälligen Auswirkungen auf die Steuerung des Gesamtsystems Kontinuität zu evozieren und zu integrieren.
«Steuerung» bildet innerhalb des vorliegenden Sammelbandes insofern ein Querschnittsthema, als es in anderen Beiträgen behandelte Aspekte wie zum Beispiel die Finanzierung der Berufsbildung oder die Ausgestaltung von Berufsbildern und Bildungsverordnungen in Teilen mit einschliesst. Ziel dieses Beitrags soll es nun sein, in systematischer Weise, das heisst ausgehend von einer einheitlichen und umfassenden Perspektive, Einblick in die Besonderheiten von Steuerungsmodi und -prozessen innerhalb der schweizerischen Berufsbildung zu geben. Das der Analyse zugrunde gelegte Steuerungskonzept basiert auf dem Ansatz des akteurzentrierten Institutionalismus (grundlegend: Mayntz & Scharpf, 1995; Mayntz, 2009), wobei dem Regelungsaspekt von Institutionen zentrale Bedeutung beigemessen wird. Institutionelle Regeln umfassen formelle und informelle Verfahren, Routinen, rechtliche Normen, die in den Strukturen des politisch-administrativen Systems festgelegt sind, die Machtbeziehungen zwischen den Akteuren widerspiegeln und den Zugang zu Entscheidungsarenen vordeterminieren (Knoepfel et al., 2011). Die Handlungsmöglichkeiten der involvierten Akteure sind weitgehend durch institutionelle Regeln definiert. Während gewisse institutionelle Regeln formeller und informeller Art den Handlungsspielraum von Akteuren direkt begrenzen, bieten andere ihnen neue Möglichkeiten, sich an der Erarbeitung und/oder Umsetzung einer Politik zu beteiligen und Einfluss zu nehmen (Knoepfel et al., 2011). Institutionelle Regeln sind dabei nicht sakrosankt, im Gegenteil: Es liegt im Interesse der in Steuerungsprozessen interagierenden Akteure, institutionelle Regeln ihren Zielen entsprechend zu transformieren.
Im Wesentlichen lassen sich zwei Ebenen von Normen und Institutionen bzw. Regeltypen unterscheiden (vgl. Knoepfel et al., 2011). Konkret handelt es sich um:
1. die konstitutionelle Ebene: Regeln, die in der Verfassung verankert sind
Verfassungsregeln haben Gültigkeit für die Gesamtheit aller öffentlichen Politiken im Staat und dienen der Festlegung der Rahmenbedingungen einer demokratischen Austragung konkreter Interessenkonflikte. Ihrer Kodifizierung auf Verfassungsebene entsprechend, sind solche Regeln vergleichsweise stabil. Rahmengebend für die Berufsbildungspolitik sind etwa Bestimmungen zur Staatsform und zum Verhältnis zwischen Gesamtstaat und Gliedstaaten, das Subsidiaritätsprinzip, aber etwa auch die Verflechtung von Wirtschaft und Staat.
2. Regeln der Verwaltungsorganisation
Eine Stufe tiefer bestimmen institutionelle Regeln die Verwaltungsorganisation. Verwaltungsorganisationen existieren in der Berufsbildung sowohl auf Bundes- wie auf kantonaler Ebene, aber auch im parastaatlichen Bereich. Formelle und informelle Regeln des Einbezugs parastaatlicher Akteure und korporatistischer Interessenträger sind hier von zentraler Bedeutung.
Die aktuelle und gegenwärtig noch in Umsetzung begriffene Reform der Berufsbildung nahm ihren Ausgangspunkt in Problemwahrnehmungen Mitte der 1990er-Jahre und mündete in das neue Bundesgesetz über die Berufsbildung (Berufsbildungsgesetz, BBG) von 2002. Ein Kernanliegen dieser Reform bezieht sich auf die Optimierung der Steuerung der Berufsbildung. Die jüngste Berufsbildungsreform ist damit, bezogen auf die Steuerungsthematik, in zweifacher Hinsicht ein interessanter Untersuchungsgegenstand: Einmal lässt sich anhand des Reformprozesses nachvollziehen, welche institutionellen Regeln und Akteure die berufsbildungspolitische Arena und damit die Entwicklung des Systems massgeblich prägen. Zum anderen enthält das neue BBG als wesentliches Ergebnis der Reform eine Reihe neuer Steuerungsnormen, vor allem auch dort, wo es die Kompetenzen der «Verbundpartner» definiert.
Im Untersuchungsgang dieses Beitrags wird die Revision des Gesetzes damit als Transformation steuerungsrelevanter institutioneller Regeln aufgefasst. Zur Disposition stehen dabei in erster Linie Regeln der zweiten Ebene und der nachgeordneten berufsbildungsspezifischen Behördenarrangements, während die Regeln der ersten Ebene die prozeduralen Leitplanken vorgeben.
Die in der Berufsbildung als einem spezifischen Politikfeld massgeblichen Verfassungs- und Verwaltungsregeln sollen als Erstes zur Darstellung gelangen. Der Frage, welche Akteure und institutionellen Regeln das Zustandekommen des neuen Normtextes – des BBG von 2002 – in welcher Weise gesteuert haben, ist das folgende Kapitel gewidmet. Hier wird also untersucht, wie Berufsbildungspolitik in der Gegenwart «gemacht» wird. Der materielle Gehalt des BBG 2002 mit Fokus auf die neuen steuerungsrelevanten Bestimmungen ist Gegenstand des daran anschliessenden Kapitels. Ein zentrales Steuerungselement bilden die Verordnungen über die berufliche Grundbildung (Bildungsverordnungen, BiVos; früher Ausbildungsreglemente), deren Erneuerung das BBG anordnet. Der Prozess der Ausgestaltung dieser Normtexte, die am Beispiel der MEM-Berufe analysiert wird, ist weitgehend geprägt durch formelle und informelle Verwaltungsregeln und Behördenarrangements. Diese haben in jüngerer Vergangenheit einige Änderungen erfahren. Verwaltungs- und Vollzugsverfahren sind oftmals unterhalb der Ebene demokratischer Legitimation angesiedelt; Revisionen sind somit möglich, ohne dass sie einen Niederschlag in Gesetzen, Verordnungen und ähnlichen Rechtsdokumenten finden müssen. Da sich die verbundpartnerschaftliche Zusammenarbeit mitunter gerade in diesem Raum abspielt, sind auch die entsprechenden formellen und informellen Praxen von solchen Änderungen massgeblich betroffen. Wenn im aktuellen BBG, in politischen Verlautbarungen und Stellungnahmen also die «Verbundpartnerschaft» beschworen wird – so lässt sich folgern –, ist damit noch relativ wenig über den realen Einfluss der einzelnen Akteure auf die Ausgestaltung der Berufsbildung gesagt. Daraus ergeben sich Herausforderungen für die gegenwärtige und zukünftige schweizerische Berufsbildung, die im abschliessenden Kapitel skizziert werden.
Institutionelle Grundregeln schweizerischer Berufsbildungspolitik
Es sind vor allem drei Grundregeln institutioneller Politik, welche die schweizerische Berufsbildungspolitik konfigurieren und «Verbundpartnerschaft» zu einem Lösungsansatz des Interessenausgleichs machen:
a. Föderalismus (und Subsidiarität) als politisches Ordnungs- und Vollzugsprinzip;
b. Korporatismus im Sinne einer traditionell starken Einbindung parastaatlicher Organisationen;
c. Konkordanzprinzip und Konsensdemokratie.
Im Gegensatz zur obligatorischen Schule ist für die Berufsbildung in der Schweiz bekanntlich der Bund zuständig; dies gilt seit Inkrafttreten der neuen Bundesverfassung von 1999 mit dem neuen Artikel 63 (Abs. 1) sogar für sämtliche nicht akademischen Berufe (Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft 1999).
Diese Kompetenzzuweisung geht auf das ausgehende 19. und beginnende 20. Jahrhundert zurück und steht für den historischen Entscheid, die Berufsbildung nicht der Logik des Unterrichtssystems, sondern derjenigen der Arbeitswelt zuzuordnen (Berner et al., 2011). Bestrebungen, das Lehrlingswesen gesamteidgenössisch zu regeln, orientierten sich nämlich während Jahrzehnten an dem Vorhaben, eine schweizerische Gewerbeordnung einzuführen (Berner et al., 2011). Dieses Projekt scheiterte jedoch in der Volksabstimmung von 1894 zunächst an der Ablehnung eines Verfassungsartikels, der dem Bund die entsprechende Gesetzgebungsbefugnis übertragen hätte. 1908 wurde der Gewerbeartikel1 im zweiten Anlauf dann doch angenommen. Die anschliessende Ausarbeitung eines Gesetzes über die berufliche Ausbildung stand noch in dieser Linie der Ereignisse und Entscheidungen (Berner et al., 2011); am Ende waren sich Vertreter aus Politik und Wirtschaft schnell darin einig, statt einer allgemeinen Gewerbeordnung – die Gewerbeschutz, Arbeiterschutz und Lehrlingswesen umfasst hätte – separate Gesetze zu entwerfen und dabei dem Lehrlings- bzw. Berufsbildungsgesetz Priorität einzuräumen. Der Erste Weltkrieg und die anschliessende Rezession liessen dieses Projekt über zwanzig Jahre in Anspruch nehmen.
(Vollzugs-)Föderalismus
Trotz der Zuständigkeit des Bundes ist die Berufsbildung aber ein typisches Beispiel für den schweizerischen Vollzugsföderalismus (Germann, 1997); das heisst, der Gesetzesvollzug und die Umsetzung mittels Erlass von Ausführungsbestimmungen und Benennung der zuständigen Behörden liegen in der Berufsbildung – wie dies bei Bundesgesetzen häufig der Fall ist – überwiegend bei den Kantonen. Damit korrespondiert der hohe Allgemeinheitsgrad der Berufsbildungsgesetze auf Bundesebene (Rahmengesetz). Diese Texte enthalten vor allem Delegationsnormen und allgemeine Zielformulierungen, während die Details über Verordnungen, die kantonale Gesetzgebung und im administrativen Vollzug geregelt werden. Bedeutsam im Kontext der Steuerungsfrage ist hierbei, dass Akteure aus dem Bereich der Verwaltung häufig mit der Interpretation, der Implementation und dem Vollzug rechtlicher Normen konfrontiert sind und ihnen somit eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Ausgestaltung und Veränderung von Institutionen zukommt (Mahoney & Thelen, 2010).
Korporatismus
Neben der Delegation von Vollzugsaufgaben an die Kantone verbindet sich mit dem Vollzugsföderalismus schweizerischer Ausprägung ein starker Einbezug parastaatlicher Organisationen2 im Bereich öffentlicher Verwaltung (Germann, 1987). In der Schweiz ist neben der Landwirtschaft die Berufsbildung ein typisches Beispiel für parastaatliche Verwaltung – oder, wie Germann (1987) es ausdrückt, für die Amalgamierung des öffentlichen und privaten Sektors. Diese Amalgamierung ist eine gegenseitige und kommt etwa auch darin zum Ausdruck, dass an den regelmässigen Sitzungen der Berufsbildungskommission des Schweizerischen Gewerbeverbands (SGV) stets auch Vertretungen des BBT, der EDK bzw. der Konferenz der kantonalen Berufsbildungsämter (SBBK) sowie der gewerblich-industriellen Berufsschulen teilnehmen (Triponez, 2007). Diese Konstellation geht auf den Einbau korporatistischer Interessen in die Wirtschaftspolitik im ausgehenden 19. Jahrhundert zurück (Gruner, 1959) und fällt also nicht zufällig mit der ersten Phase der institutionellen Ausformung eines schweizerischen Berufsbildungswesens zusammen, in dem die Berufsverbände eine bedeutsame Rolle spielten.
Konkordanz- bzw. Konsensdemokratie
Das als drittes genannte Prinzip der Konkordanz respektive des Konsenses (Lehmbruch, 2003) ist keine formelle Verfassungsregel, sondern hat sich über die Zeit als Praxis etabliert. Ziel ist die möglichst breite Abstützung politischer Entscheide durch Herbeiführung eines Konsenses und damit den Einbezug einer Vielzahl von Akteuren (Parteien, Verbände, gesellschaftliche Gruppierungen usw.). Die grosse Bedeutung von Konsultationen und Vernehmlassungen im Gesetzgebungsprozess ist ein Ausdruck dieses Prinzips. Zugleich bergen diese dem Korporatismus und dem Konkordanzprinzip geschuldeten Verfahren die Gefahr, dass Entscheide nicht durch demokratisch legitimierte Institutionen, sondern im vorparlamentarischen Raum wenn nicht getroffen, so doch weitgehend vorstrukturiert werden (Lehner & Widmaier, 2002). Ein weiterer kritischer Punkt betrifft die Schwerfälligkeit von politischen Entscheidungsprozessen, die sich daraus ergibt, und die eher geringe Innovationsfähigkeit dieser Systeme (Lehner & Widmaier, 2002). Mit Bezug auf die Schweiz wird dieses Problem zum Beispiel immer wieder im Zusammenhang mit den Harmonisierungsbestrebungen im Bildungsbereich oder der Europapolitik angeführt.
Von der Problemdefinition zum neuen BBG
Institutionelle Regeln und Steuerungsprozesse in der jüngsten Berufsbildungsreform
Die Berufsbildungsdebatte im Vorfeld der jüngsten Reformen wurde Mitte der 1990er-Jahre auf parlamentarischer Ebene über verschiedene Vorstösse lanciert. Entsprechend erfolgte der «Filterungsprozess», der zu einer konzisen Problemdefinition und schliesslich zur Neuformulierung des BBG 2002 führte, unter der Regie der Bundesbehörden. Dass Initiierung und Verlauf einer Berufsbildungsreform nicht unbedingt auf diese Weise vonstattengehen muss, zeigen die Reforminitiativen im Vorfeld der Gesetzesnovellierung von 1978. Diese gingen zuerst von den kantonalen Berufsbildungsämtern, Spitzenverbänden der Arbeitgeber und Arbeitnehmer und Fachverbänden des beruflichen Unterrichts aus (Schweizerischer Bundesrat, 1977). In der Folge erarbeitete der Schweizerische Gewerkschaftsbund parallel zu der vom Bundesrat eingesetzten Expertenkommission einen alternativen Gesetzesentwurf; zudem ergriff der Gewerkschaftsbund nach Verabschiedung der Vorlage durch das Parlament das Referendum, wenngleich ohne Erfolg. Die Reform der Siebzigerjahre war insgesamt stärker von einem gesellschaftspolitischen Reformimpetus getragen. Die von der Linken und Fachkreisen formulierten Modernisierungs- und Pädagogisierungsforderungen fanden mit der Einführung obligatorischer Kurse für die Ausbilder, Modelllehrgängen, Mitspracherecht der Lehrlinge in Schulfragen, Einführung der Berufsmittelschule usw. zumindest eine teilweise Umsetzung.
Für die Darstellung der Problemdefinitions-, Entscheidungs- und Umsetzungprozesse anlässlich der jüngsten Berufsbildungsreform bietet sich der Rückgriff auf ein zyklisch-prozedurales Schema an, das folgende fünf Phasen unterscheidet: 1) Problem-(re-)definition, 2) Agenda-Setting, 3) Politikformulierung, 4) Politikumsetzung, 5) Politikevaluation (vgl. Knoepfel et al., 2011).
In den Achtzigerjahren machte sich ein Rückgang des Lehrstellenangebots und der Zahl abgeschlossener Lehrverträge bemerkbar, ein Abwärtstrend, der in der ersten Hälfte der Neunzigerjahre seinen Tiefpunkt erreichte und zeigte, dass dringender Handlungsbedarf bestand. Unter dem Eindruck der «Lehrstellenkrise» forderten darauf verschiedene parlamentarische Vorstösse eine Revision des Berufsbildungsgesetzes und kurzfristige Massnahmen zur Förderung des Lehrstellenangebots. Einen wichtigen Akteur in dieser Phase stellte die nationalrätliche Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur dar, die die Lehrstellenbeschlüsse I (1997) und II (2000) erarbeitete.
Stimmen aus Politik und Wirtschaft hatten angesichts der prekären Lehrstellensituation Zweifel an der Zukunftsfähigkeit der in der Schweiz traditionell vorherrschenden dualen Berufsbildung angemeldet. Im Parlament äusserte sich ein dezidierter Wille, die Zukunft der Berufsbildung angesichts der Krise zu sichern und ihr zu einem neuen Aufschwung zu verhelfen, wobei sich überraschend schnell zeigte, dass eine Mehrheit aus Politik und Wirtschaft am etablierten Ausbildungsmodell festhalten wollte.
Die Stossrichtung der anstehenden Reform wurde erstmals vom Bundesrat im Rahmen seines Berichts über die Berufsbildung vom 9. November 1996 formuliert (Schweizerischer Bundesrat, 1996). Der Prozess der Konsensfindung war in der Einschätzung des Bundesrates zu jenem Zeitpunkt noch nicht genügend weit fortgeschritten, um grundlegende Reformen und einschneidende Massnahmen vorzubringen. Dafür wären die Ergebnisse aus den Diskussionen zur Reform der Bundesverfassung, der Regierungs- und Verwaltungsreform sowie zum neuen Finanzausgleich abzuwarten (Schweizerischer Bundesrat, 1996). In Zusammenhang mit letzterem Geschäft war immerhin die Möglichkeit einer Kantonalisierung der Berufsbildung kurzfristig zur Diskussion gestanden, jedoch von Fachkreisen des Bildungswesens wie auch von den Kantonen deutlich abgelehnt und schliesslich in der Vernehmlassung abgewehrt worden (vgl. Strahm, 2008). Aufgrund der gültigen Verfassung beschränkten sich die Vorschläge auf die BIGA-Berufe, doch äusserte der Bundesrat bereits den Willen, «seine Koordinations-, Aufsichts- und Steuerungskompetenzen in der Berufsbildung verstärkt für zukunftsweisende Rahmenbedingungen» einzusetzen (Schweizerischer Bundesrat, 1996, S. 6). Mittel dazu bildeten ein neuer Finanzierungsmodus und ein verstärktes finanzielles Engagement, da es sonst «dem Bund zunehmend schwerer fallen [würde], seine gestaltende Rolle im Interesse der Ausbildung in einem einheitlichen Wirtschaftsraum wahrzunehmen» (Schweizerischer Bundesrat, 1996, S. 71). Das Kernanliegen der Reform war in diesem Bericht bereits definiert: Angesichts der Problemlage galt es, die berufliche Bildung für die Jugendlichen attraktiver zu gestalten (z. B. Durchlässigkeit), ohne der Ausbildungsbereitschaft der Betriebe Hindernisse in den Weg zu stellen; vor dem Hintergrund des technologischen und wirtschaftlichen Wandels sollte das duale Modell zudem auf die gestiegene Bedeutung anspruchsvoller Ausbildungsberufe mit entsprechendem schulischem Anteil hin weiterentwickelt werden. Schliesslich stand das schweizerische Berufsbildungssystem vor der Herausforderung, die Europakompatibilität seiner Ausbildung nachzuweisen und die Anerkennung der Abschlüsse voranzutreiben.3
Diese Zielsetzungen machten es notwendig, die Berufsbildung dezidiert im Kontext und in Abhängigkeit vom Gesamtbildungssystem zu betrachten. Die «Krise der Berufslehre» stand zudem in Zusammenhang mit einem Trend zu längerer schulischer Ausbildung und insbesondere zu höheren Abschlüssen. In der bundesrätlichen «Botschaft über die Förderung von Bildung, Forschung und Technologie in den Jahren 2000–2003» vom 25. November 1998 wird diese Tendenz mit Sorge betrachtet (Schweizerischer Bundesrat, 1998). Die Botschaft stellt «ein Problem erhöhter Maturanden- und Studierendenzahlen» fest und statuiert das «Oberziel einer Plafonierung der Studierendenzahlen an den traditionellen Hochschulen (von ca. 15–20 % der relevanten Altersjahrgänge)», um die Universitäten zu entlasten (und die Studierendenzahlen an den Fachhochschulen zu erhöhen) (Schweizerischer Bundesrat, 1998, S. 319). Damit ist ein klares steuerungspolitisches Ziel benannt. Nach den geburtenstarken Jahrgängen war ab etwa 2008 wieder mit einem Rückgang der Absolventenzahlen der obligatorischen Schule zu rechnen (Babel, 2005) und damit mit einem verschärften Wettbewerb zwischen Berufsbildung und Gymnasien um «gute» Schülerinnen und Schüler.
Die Phase der Politikformulierung kam 1997 nach der parlamentarischen Debatte des genannten Bundesratsbericht über die Berufsbildung zu einem vorläufigen Abschluss. In einem nächsten Schritt setzte das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement (EVD) im März 1998 eine Expertenkommission unter der Leitung des Direktors des Bundesamtes für Berufsbildung und Technologie (BBT; 1998 aus dem Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit BIGA hervorgegangen) ein, die einen Entwurf eines neuen Berufsbildungsgesetzes ausarbeiten sollte. Mit dem Entwurf, den die Kommission Anfang 1999 verabschiedete, war der Problemfilterungsprozess abgeschlossen und die Politik in groben Zügen definiert. Wesentlichen Bestandteil der Politikformulierung bildet im schweizerischen System allerdings die Vernehmlassung durch Repräsentanten von Politik, Bildung und Gesellschaft, hier vor allem bestehend aus den Kantonen und den Berufsbildungsämtern, Berufs- und Fachorganisationen, Parteien und Vertretern beruflicher Bildungseinrichtungen.
Die Vernehmlassung des Gesetzesentwurfs zwischen Mai und Oktober 1999 stiess auf reges Interesse – 281 Stellungnahmen wurden eingereicht. In diesen standen, abgesehen von der Differenzierung der Grundbildung in anspruchsvollere und weniger anspruchsvolle Ausbildungen (Berufsfachschulen, Attest), steuerungsrelevante Themen im Vordergrund, so vor allem die Frage der Aufgabenteilung, die Finanzierung und der neu zu schaffende Berufsbildungsrat; auch bei einem weiteren stark diskutierten Thema, der Weiterbildung, ging es vor allem um die Zuständigkeitsfrage (BBT, 2000). Verschiedentlich wurde vonseiten der Kantone gefordert, das Subsidiaritätsprinzip möge stärkere Berücksichtigung und explizite Erwähnung finden (BBT, 2000).
So rief auch das in Artikel 1 pauschal formulierte Zusammenarbeitsgebot vor allem bei den Kantonen Misstrauen hervor. Die Schweizerische Berufsbildungsämter-Konferenz (SBBK) äusserte Kritik hinsichtlich der Aufgabenteilung, sei es, dass die Ämter in verschiedenen Bereichen mehr Mit- und Rücksprache forderten, sei es, dass sie den Eingriff des Bundes in kantonale Hoheitsrechte anmerkten. Die EDK (Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren) fügte an, dass die Leistungen der Kantone generell nicht als «Vollzug» von Bundesvorschriften bezeichnet werden sollten, sondern mit einer Formulierung, die deren Mitwirkung betone.
Daraus spricht die Wahrnehmung eines Ungleichgewichts zwischen Mitbestimmungsmöglichkeiten und finanzieller Lastenverteilung aufseiten der Kantone: Ein Grundtenor lautete, dass das neue BBG wichtige Entscheide, etwa bezüglich der Bildungsverordnungen, dem Bund und den Verbänden überlasse, während die Kantone die Ausgaben für den Vollzug zu tragen hätten – ein Einwand, der später auch in der Vernehmlassung des Entwurfes der Verordnung über die Berufsbildung vorgebracht wurde (BBT, 2003). Auf der anderen Seite führten allerdings die OdA eine zu grosse Regelungsgewalt der Kantone ins Feld und forderten ihrerseits mehr Mitspracherecht, zum Beispiel bezüglich Ausbildung und Anforderungen an die Experten und Expertinnen für Qualifikationsverfahren der beruflichen Grundbildung.
Einen weiteren wesentlichen Punkt in der Vernehmlassung bildete der Berufsbildungsrat; die Zahl der Stellungnahmen zu diesem auf Bundesebene neu einzuführenden Steuerungsorgan wurde nur von derjenigen zur beruflichen Bildung knapp übertroffen. Neben einigen Kantonen äusserten sich vor allem gewerbliche Kreise kritisch bis eindeutig ablehnend. Wie weiter unten noch zu zeigen ist, wurde neben der Repräsentivität des Gremiums dessen Legitimität grundsätzlich infrage gestellt (vgl. nächstes Kapitel).
Das neue Berufsbildungsgesetz konnte 2002 durch die Bundesversammlung verabschiedet werden und trat 2004 in Kraft. Ausgehend von der Problemdefinition der Neunzigerjahre stellt das aktuelle BBG den Kern einer Politikneuformulierung dar. Wie bereits dargelegt, bezieht sich ein Grundanliegen der Reform auf die Optimierung der Steuerung der Berufsbildung. Im Folgenden gilt deshalb das Interesse jenen Gesetzesbestimmungen, die die Steuerungsprozesse – mehr oder weniger direkt und in innovativer Weise – regeln.
Steuerung als Kernthema des neuen BBG (2002)
«Eine klare Zuteilung der Kompetenzen ist für die Steuerung einer Verbundaufgabe von grösster Bedeutung» (Schweizerischer Bundesrat, 2000, S. 5729). Entsprechend dieser Feststellung in der Botschaft bilden die Zuständigkeiten der drei Hauptakteure Bund, Kantone und OdA ein zentrales Thema, das mittels Novellierung des BBG bearbeitet werden sollte. Dass die Rolle des Bundes dabei zu stärken war, darin waren sich Parlament und Bundesrat mehrheitlich einig. Nationale Entwicklungen ebenso wie die Notwendigkeit, das schweizerische Ausbildungssystem im globalen beziehungsweise europäischen Kontext zu positionieren, erforderten eine aktive, evidenzbasierte Berufsbildungspolitik (Renold & Barmettler, 2007). Das neue Steuerungsmodell lässt sich charakterisieren 1) durch die verstärkte Orientierung an Ergebnissen (Output bzw. Outcomes4) und 2) durch eine Zentralisierung im Sinne der Konzentration der strategischen Aufgaben beim Bund. Beide Tendenzen lassen sich anhand von Neuerungen verschiedener Art nachzeichnen. Im Folgenden soll auf vier für die Steuerung der Berufsbildung zentrale Aspekte und Bereiche bzw. Einrichtungen eingegangen werden:
Konzept eines «Innovationsrates»,
neues Finanzierungsmodell,
Definition und Stärkung der Berufsbildungsforschung,
Qualitätsentwicklung als strategische Aufgabe des Bundes.
Beim «Innovationsrat» handelte es sich gemäss Gesetzesentwurf des Bundesrates um ein neu zu schaffendes Organ, das in der Folge dann jedoch wieder gestrichen wurde. Der Innovationsrat wäre der bereits bestehenden Berufsbildungskommission beigeordnet gewesen und hätte eine bedeutende Steuerungsfunktion auf Bundesebene ausüben sollen. Die Idee zu einem solchen «Koordinationsforum», das auch unter dem Namen «Berufsbildungsrat» diskutiert wurde, geht auf eine Motion von Nationalrat Erich Müller und 63 Mitunterzeichnende vom 26. Juni 1998 zurück (Amtliches Bulletin, NR-Sitzung vom 9. Oktober 1998, 98.3341). Hauptanliegen war es, «die dringend notwendige vertikale und horizontale Durchlässigkeit der nationalen, kantonalen und kommunalen Bildungsstätten» und damit die Mobilität der Auszubildenden zu fördern. Dazu brauche es eine Steuerung und Moderation der Berufsbildungspolitik auf nationaler Ebene, und diese, so die Motionäre, «könne nur beim Bund – im Schosse des Bundesamtes für Berufsbildung und Technologie (BBT) – liegen».
Der Innovationsrat beziehungsweise der Berufsbildungsrat gehörte, wie bereits erwähnt, zu den besonders umstrittenen Entwurfsbestimmungen in der Vernehmlassung. Die Zusammensetzung und Entscheidungsbefugnisse dieses Gremiums und seine Legitimität wurden heftig diskutiert; auch bezüglich der Anzahl der Mitglieder, also in der Frage, ob breite Repräsentivität oder effiziente Entscheidungsfähigkeit Priorität haben sollte, herrschte Uneinigkeit. Die Botschaft des Bundesrates spricht mit Bezug auf den Innovationsrat von einer Plattform, bestehend aus sieben bis elf vom Bundesrat ad personam gewählten, die vielfältigen Interessen in der Berufsbildung repräsentierenden Personen (Schweizerischer Bundesrat, 2000). Dem Rat sollten in dieser Konzeption bedeutende Aufgaben für die «zukunftsorientierte Entwicklung der Berufsbildung» (S. 5730) zukommen, die hauptsächlich über das Austesten von Innovationsprojekten voranzutreiben wäre. In der parlamentarischen Überprüfung des Gesetzestextes schlug die Mehrheit der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK) des erstbehandelnden Nationalrates einen Berufsbildungsrat von bis zu fünfzehn vom Bundesrat ernannten Vertretern aus den Reihen von Bund, Kantonen, OdA und Wissenschaft unter der Leitung des BBT-Direktors vor; für drei Mitglieder sollten die Kantone ein Vorschlagsrecht haben (Amtliches Bulletin, NR-Sitzung vom 6. Dezember 2001, 00.072).
Die Institutionalisierung der neuen Steuerungsinstanz scheiterte schliesslich am Ständerat. Dessen vorberatende WBK-Kommission sprach sich dezidiert dagegen aus: «Wir wollen kein Organ, das neben Bundesrat, Parlament, BBT und Berufsverbänden irgendwelche weiteren Entscheidungsbefugnisse hat» (Amtliches Bulletin, SR-Sitzung vom 26. November 2002, 00.072); zudem existiere mit der Berufsbildungskommission bereits ein beratendes Organ des BBT und des Bundesrates.
Tatsächlich ist im BBG 2002 weder ein Innovations- noch ein Berufsbildungsrat erwähnt. De facto wurde aber die Idee, einem beratenden Gremium auf Bundesebene eine gewisse Steuerungsmacht zu verleihen, zumindest partiell verwirklicht. Aufgaben, die jener Rat hätte übernehmen sollen – die Beurteilung von Beitragsgesuchen und von Projekten zur Entwicklung der Berufsbildung oder im Bereich von Forschung, Studien und Pilotversuchen –, wurden nun nämlich der bereits bestehenden Eidgenössischen Berufsbildungskommission (Art. 69, 70) übertragen.
Diese Aufgaben stehen in engem Zusammenhang mit der Neuregelung der Finanzierung (BBG, 2002, Art. 52–59) (vgl. den Beitrag von Markus Maurer in diesem Band, S. 61ff.), einer der wesentlichsten Reformen mit Bezug auf die Steuerung der Berufsbildung. Umfangmässig sollte der Anteil des Bundes an den Kosten der öffentlichen Hand von bis anhin gut 15 auf 25 Prozent angehoben werden.5 Hinzu kommt ein neuer Berechnungsmodus. An die Stelle der bisherigen, am Aufwand gemäss anrechenbaren Kosten (hauptsächlich plafonierte Lehrerlöhne und Schulmaterial) orientierten Subventionierung tritt ein System aufgabenorientierter Pauschalen (leistungsorientierte Lehr- beziehungsweise Ausbildungsvertragspauschalen); die Vergütung von Leistungen Dritter durch den Bund erfolgt hierbei über die Kantone. Neu ist schliesslich die gezielte Förderung von Innovationen (insbesondere Projekte zur Entwicklung der Berufsbildung und Qualitätsentwicklung) sowie von «besonderen Leistungen im öffentlichen Interesse». Hierfür sind insgesamt zehn Prozent der Bundesgelder bestimmt. Die Vergabe dieser Mittel und damit der Entscheid, welche Projekte gefördert werden, erfolgt aufgrund der Beurteilung durch die oben genannte Berufsbildungskommission.
Zwei weitere steuerungsrelevante und in Zusammenhang mit der Berufsbildungskommission und der Finanzierung stehende Aufgabenbereiche stellen Forschung und Qualitätsentwicklung dar. Bezüglich Berufsbildungsforschung lässt sich bereits in der «Botschaft des Bundesrates über die Förderung der Bildung, Forschung und Technologie in den Jahren 2000–2003» (Schweizerischer Bundesrat, 1998)6 die Absicht zu einer Offensive feststellen. Im Zentrum steht der «Aufbau der applikationsorientierten Berufsbildungsforschung», und zwar zum einen am Schweizerischen Institut für Berufspädagogik (SIBP) (heute Eidgenössisches Hochschulinstitut für Berufsbildung, EHB) und zum andern auch in ausgewählten Hochschulinstituten7. Die anvisierte Berufsbildungsforschung soll die «Berufsbildungspolitik jeweils zugeschnitten auf die Bedürfnisse der verschiedenen Akteure mit empirisch gestützten Daten über die Berufsbildung, mit Prognoseinstrumenten, Trendberichten sowie mit Evaluationen von Teilen des Berufsbildungssystems» unterstützen. Als ein neuer Schwerpunkt wird die Erforschung der Lernleistungen der Bildungsteilnehmenden und der daraus resultierenden Folgewirkungen auf dem Arbeitsmarkt genannt (Schweizerischer Bundesrat, 1998, S. 364). Erste Priorität kommt somit insgesamt der Sammlung und wissenschaftlichen Aufbereitung steuerungsrelevanter Daten und Information zu, und zwar als Grundlage der genannten vom Bund auszugestaltenden evidenzbasierten Berufsbildungspolitik.
Eine Schlüsselrolle im Hinblick auf die Steuerungsfunktion, die der angewandten Forschung und Qualitätsentwicklung in der Berufsbildung neu zukommen soll, spielt das Eidgenössischen Hochschulinstitut für Berufsbildung (EHB), das 2007 aus dem SIBP hervorgegangen ist. Das EHB ist weiterhin zur Hauptsache in der Aus- und Weiterbildung von Berufsbildungsverantwortlichen, insbesondere von Lehrkräften, tätig; als unabhängiges Institut auf Hochschulstufe übernimmt es nun zudem Aufgaben im Bereich der Akkreditierung von Berufsbildungsmodulen, der angewandten berufspädagogischen Forschung sowie der «Qualitätsentwicklung als Steuerungsinstrument der Berufsbildungspolitik insbesondere bezogen auf Berufsschulen (z. B. Entwicklung von Standards, Qualitätsmodellen, Indikatoren für Effizienzprüfungen)» (Schweizerischer Bundesrat, 2000, S. 5735).
Die aufgezeigte Tendenz hin zur evidenzbasierten und an den Outcomes bzw. am Output orientierten Steuerung des Bildungssystems hat – wie die Diskussion der vergangenen zehn Jahre rund um Bildungsstandards und Kompetenzen zum Ausdruck bringt – ihre Entsprechung auf der Ebene der Bildungsprozesse. Dieser Trend hat sich in Teilen auch in der Neukonzeption der Bildungsverordnungen mit den dazugehörigen Bildungsplänen (und Qualifikationsprofilen), das heisst deren Ausrichtung an Leistungszielen und Handlungskompetenzen (BBT, 2007), niedergeschlagen. Zu verweisen ist im Zusammenhang mit der Output-Orientierung aber vor allem auch auf die neuen Bestimmungen im Bereich der Prüfungen und Abschlüsse, die einer Abkoppelung der Qualifikationsverfahren von formalen Bildungswegen entsprechen.
Bildungspläne mit ihren curricularen Bestimmungen und Leistungsanforderungen regeln Inhalte und Aufbau der beruflichen Grundbildung mit Bezug auf sämtliche drei Lernorte; sie stellen somit ein klassisches Steuerungsinstrument dar und sollen im nächsten Kapitel ausführlicher zur Sprache kommen. Thematisiert wird allerdings nicht deren Inhalt oder Konzeption (vgl. hierzu den Beitrag von Markus Maurer und Silke Pieneck in diesem Band, S. 81ff.), sondern – anknüpfend zugleich an das vorangehende Kapitel – die Regeln der Erarbeitung der Bildungspläne.
Vom BBG zum Masterplan
Die Revision der Bildungsverordnungen als Teil der Politikumsetzung
Die Formulierung institutioneller Regeln der Berufsbildung erfolgt auf Bundesebene mittels Rahmengesetz und dazugehörigen Ausführungsbestimmungen, wie sie in der aktuellen Berufsbildungsverordnung (BBV 2003) enthalten sind. Der Vollzug bleibt über weite Strecken den Kantonen überlassen, die ausgehend von den bundesrechtlichen Bestimmungen kantonale Berufsbildungsgesetze und -verordnungen erlassen. Über je eigene kantonale Behördenarrangements üben sie die Aufsicht über die berufliche Grundbildung aus, vollziehen Bildungsverordnungen und sorgen für ein bedarfsgerechtes Angebot an Berufsfachschulen.
Der schweizerische Vollzugsföderalismus gewährt den Kantonen einen gewissen Spielraum bei der Adaption der bundesrechtlichen Vorgaben an die eigenen kantonalen und regionalen Gegebenheiten, mit Bezug auf die Berufsbildung also etwa an die vorhandenen wirtschaftlichen Strukturen, Bildungsinstitutionen und -traditionen. Positiv besetzt ist auch ein Zusammenarbeitsgebot, das sich aus den föderalistischen (und korporatistischen) Strukturen ergibt und sich im omnipräsenten Begriff der «Verbundpartnerschaft» kristallisiert. Zahlreiche Formulierungen im neuen BBG, die den Einbezug der Partner in Entscheidungsprozesse fordern, deren «Zusammenarbeit» anordnen oder die Möglichkeit der Übertragung von Aufgaben an Dritte vorsehen, eröffnen allerdings zugleich Ambiguitäten, denen die Kantone und OdA in der Vernehmlassung mit Skepsis begegneten.
Ein typisches Beispiel verbundpartnerschaftlicher Kooperation bietet die Erarbeitung von Bildungsverordnungen, deren Revision das neue BBG (2002, Art. 73 Abs. 1) anordnet. Zugleich zeigt dieses Beispiel, wie ein gesetzlich, das heisst durch öffentliche Politik legitimierter Umsetzungsspielraum über Entscheide auf der nachgeordneten Verwaltungsebene – hier repräsentiert durch das «Handbuch Verordnungen» des BBT – reglementiert werden kann.
Die Ausarbeitung der Verordnungen über die berufliche Grundbildung setzt grundsätzlich die Mitwirkung der Kantone und der OdA voraus. In letzter Instanz ist es jedoch der Bund beziehungsweise das BBT, das die Verordnungen erlässt (BBG 2002, Art. 19 Abs. 1). Die BBV von 2003 spezifiziert diesbezüglich: «Das Bundesamt stellt die Koordination mit und zwischen den interessierten Kreisen sowie den Kantonen sicher. Kommt keine Einigung zustande, so entscheidet das Bundesamt unter Berücksichtigung des Gesamtnutzens für die Berufsbildung und allfälliger sozialpartnerschaftlicher Regelungen» (Art. 13, Abs. 4). Eine Schlussbestimmung des BBG hält zudem fest, dass die geltenden kantonalen und eidgenössischen Bildungsverordnungen innert fünf Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes anzupassen beziehungsweise zu ersetzen sind (Art. 73).8
Die Revision der Bildungsverordnungen gehört zu den vorrangigsten der in einem ersten Aktionsprogramm («Masterplan Berufsbildung») aufgeführten Umsetzungsschritte. Am Beispiel von Berufen der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM) sollen im Folgenden die für den Erlass von Bildungsverordnungen und Bildungsplänen konstitutiven Regeln und Akteursnetzwerke dargestellt werden. Die Wahl fiel aus zwei Gründen auf diese Branche: erstens, weil diese über ressourcenstarke und gut organisierte Verbandsstrukturen verfügt, und zweitens, weil in diesem Bereich zwei Untersuchungen existieren, deren Sekundäranalyse Auskunft über allfällige Veränderungen der Erarbeitungsprozesse ermöglicht.
Das Beispiel der MEM-Berufe
Charbel Ackermann hat in seiner rechtswissenschaftlichen Dissertation von 1984 anhand der Entstehung und Durchsetzung von Ausbildungsreglementen unter anderem auch für Werkzeugmaschinen- und verwandte Berufe den Vollzug des schweizerischen Berufsbildungsrechts untersucht. Er bezieht sich in seiner Arbeit auf Ausbildungsreformen, die Ende der 1960er-Jahre in Angriff genommen wurden, deren Ausführung sich dann aber bis nach 1977 erstreckte, als das damals gültige BBG 1963 revidiert wurde. Bei der zweiten Untersuchung, die hinzugezogen wird, handelt es sich um die neuere Lizentiatsarbeit von Lea Zehnder (2011); sie hat die Rolle der Akteure bei der Entwicklung von Berufsbildern, unter anderem zu MEM-Berufen, anlässlich der aktuellen Berufsbildungsreform zum Gegenstand.
Vergleicht man den Aushandlungsprozess bei der Erarbeitung der Bildungsverordnungen, wie ihn beide Studien aufzeigen, lassen sich Änderungen der institutionellen Verfahrensregeln feststellen. Ganz offensichtlich hat die Rolle des Bundes gegenüber den Arbeitgeberverbänden eine deutliche Stärkung erfahren, was nicht zuletzt in der Schaffung eines eigens mit Berufsbildung befassten Bundesamtes, des Bundesamts für Berufsbildung und Technologie (BBT), ersichtlich wird. So konnte Ackermann (1984) die Tätigkeit des Bundes mit Bezug auf die Ausbildungsreglemente noch als «Verwaltung auf Antrag» und den Vollzug des BBG durch das BIGA insgesamt als «Vollzug auf Antrag» bezeichnen (Ackermann, 1984, S. 96). Demgegenüber stammen zwar nach Zehnders Urteil die Impulse für die Reform immer noch von den OdA – genauer: von den Arbeitgeberverbänden; dass aber insgesamt eine Ungleichverteilung von Macht zugunsten der Behörden den Aushandlungsprozess prägt, legen im von ihr untersuchten Fall unter anderem Rückgriffe der OdA auf Exit-Drohungen nahe.
Die Abläufe bei der Erarbeitung von Bildungsverordnungen und der Einbezug der Partner in den verschiedenen Phasen werden heute im «Handbuch Verordnungen» des BBT (2007) Schritt für Schritt definiert. Im Vorwort liest man dort denn auch, dass die erste Phase, also die Analyse, bei der Erarbeitung einer neuen Verordnung sich als entscheidend erwiesen und deshalb eine «Neugewichtung» der Rolle des BBT stattgefunden habe: «Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BBT begleiten und unterstützen die Trägerschaft künftig stärker von Beginn an» (S. 4).
Dies ist ein deutlicher Unterschied gegenüber der Situation vor dreissig Jahren, musste sich doch das BIGA anlässlich der Erarbeitung der BBV zum BBG von 1978 noch für einen Artikel einsetzen, der den Verbänden vorschrieb, vor der Ausarbeitung eines neuen Entwurfs zu einem Ausbildungsreglement mit dem Bundesamt Kontakt aufzunehmen (BBV 1979, Art. 14). Tatsächlich zeigt das Fallbeispiel der Werkzeugmaschinen- und verwandten Berufe Ende der Sechzigerjahre, dass eine solche Konsultation nicht üblich war. Das BIGA nahm in dem von Ackermann beschriebenen Prozess lediglich eine reagierende Position ein. Es war der Arbeitgeberverband Schweizerischer Maschinen- und Metallindustrieller (ASM), der im Alleingang die Entwürfe ausarbeitete. Das BIGA erteilte dem Projekt seine vorläufige Genehmigung, ohne jedoch die obligate Vernehmlassung einzuleiten (Ackermann, 1984). Erst im weiteren Verlauf des Projektes Mitte der Siebzigerjahre zeigte das BIGA vereinzelt Initiative bei der Verhandlungsführung und beim Einbezug weiterer interessierter Akteure. Da der ASM seine Entwürfe jeweils selbst vorab den Branchengewerkschaften vorlegte, verzichtete das BIGA allerdings darauf, die Gewerkschaften zu konsultieren. Das ist nicht unerheblich, weil dadurch der den ASM nicht bindenden internen Vernehmlassung ein unverhältnismässiger Stellenwert zugesprochen wurde (Ackermann, 1984).
Die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den Hauptakteuren im Erarbeitungsprozess von Ausbildungsreglementen waren im Fall der ressourcenstarken und professionell organisierten MEM-Berufsverbänden kapazitätsbedingt. Hat ein Verband auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zudem eine starke Stellung, so muss die Verwaltung beim Erlass von Ausbildungsreglementen die Anliegen des Verbandes berücksichtigen, da dieser auch die Möglichkeit hat, die Ausbildung selbstständig durchzuführen (Ackermann, 1984). Wenn die Rekrutierungsbedürfnisse der Betriebe und der Branchen ohne das staatliche Zertifikat gedeckt werden können, haben die Verbände eine starke Position in den Aushandlungsprozessen. Schliesslich können Betriebe Anlehren aufgrund von Lehrverträgen ausschliesslich nach Obligationenrecht durchführen. «Dieses Bild einer klaren Dominanz der Berufsverbände über die Verwaltung beim Erlass der Ausbildungsreglemente», so Ackermann, «ändert sich nur in Branchen und Berufsbereichen mit sehr schwacher Organisierung» (Ackermann, 1984, S. 130).
Gerade in den grösseren Branchen ist es in den vergangenen Jahren zu Änderungen der Kräfteverhältnisse gekommen; das lässt sich an den MEM-Berufen deutlich aufzeigen (vgl. Glättli, 2009): Konnte zum Zeitpunkt der Untersuchung von Ackermann die ASM die Revision der Ausbildungsreglemente quasi im Alleingang an die Hand nehmen, ist inzwischen – als Konsequenz von Art. 8 des BBG 2002 zur Sicherstellung der Qualitätsentwicklung durch die Berufsbildungsanbieter – jede Branche angehalten, mit der Bildung einer «Kommission Berufsentwicklung und Qualität» (SKOBEQ) eine ausgeglichene Vertretung der zugehörigen Branchenorganisationen sicherzustellen. Ebenfalls Einsitz in der Kommission haben neben der Lehrerschaft je eine Vertretung des BBT und der SBBK.
Die Kantone, deren Bedeutung bei der Vernehmlassung von Ausbildungsreglementen früher marginal war, haben in der Wahrnehmung von Rolf Dietrich, dem Präsidenten der SBBK-Kommission Berufsentwicklung von 2001 bis 2010, mit der Schaffung dieses Gremiums deutlich an Gewicht gewonnen (Dietrich, 2011). Diese Stärkung verdankt sich einerseits der Tatsache, dass durch die vorgängige Konsensfindung in der Kommission die Kantone geeint auftreten können. Wenn «die Kommission heute – als Konsequenz der gelebten Verbundpartnerschaft – den Berufsentwicklungsprozess von Beginn weg bis zur Inkraftsetzung einer neuen Verordnung» begleitet (Dietrich, 2011, S. 14), schlägt sich dies auch in den Bildungsplänen nieder, deren Regelungsdichte gerade auch in Bezug auf die Ausbildung in den Lehrbetrieben Dietrich begrüsst. Der fünfzehnköpfigen Kommission gehören neben den Kantonsvertreterinnen und -vertretern und einer Vertretung des Arbeitgebernetzwerkes SQUF auch zwei Personen aus dem BBT und ein Experte bzw. eine Expertin des EHB an.
Einblick in die aktuelle Situation bei der Ausarbeitung der Bildungsverordnungen und Bildungspläne sowie allfällige Machtverschiebungen zwischen den Akteuren gibt die Untersuchung von Zehnder (2011). Nach den Interviews, die sie geführt hat, sieht sich der Bund beziehungsweise das BBT in erster Linie in der Vermittlerrolle; gleichzeitig wird ihm von den übrigen Akteuren ein deutlicher Führungs- und Lenkungsanspruch attestiert und auf das einseitige Abhängigkeitsverhältnis vom BBT hingewiesen, dem im Konfliktfall der Entscheid zukommt. Den Kantonen wird wiederum von den OdA zunehmende Macht und Einflussnahme zugeschrieben. Innerhalb der OdA herrscht die Wahrnehmung eines generellen Steuerungsanspruchs aufseiten der Arbeitgebervertreter vor.
Im Gegensatz zu früher lässt sich nun dem BBT sowohl in der Fremd- wie in der Selbstwahrnehmung eine klare Handlungsorientierung im Hinblick auf die Ausgestaltung der Bildungsverordnungen und -pläne attestieren: Das BBT verfolgt als Hauptziele Uniformität und Sicherstellung der gesetzlichen Rahmenbedingungen, inklusive juristischer Korrektheit der Formulierungen. Konflikthafter ist das zweite Hauptziel, nämlich die Durchsetzung selbst gesetzter pädagogischer und methodischer Normen in der Konzeption der Berufe. Aufseiten der Kantone9 dominieren eindeutig praktische Kriterien und die Kostenfrage bei der Umsetzung, also Finanzierbarkeit sowie Klarheit und Handhabbarkeit der Normtexte. Wird von diesem Akteur also ein möglichst geringer reglementarischer Spielraum gefordert, stehen aufseiten der Arbeitgeber Flexibilität, inhaltliche Vielseitigkeit der Berufsbilder mit möglichst feiner vertikaler Differenzierung der Ausbildungsniveaus im Vordergrund. Hinzu kommt das Interesse an vergleichbaren Ausbildungsstrukturen innerhalb der Branche. Auf Arbeitnehmerseite lassen sich als Präferenzen Verhältnismässigkeit der Anforderungen und Durchlässigkeit zwischen den Ausbildungsstufen festhalten. Artikuliert wird zudem ein Interesse an guten, sicheren Arbeitsbedingungen. Die Belange der ebenfalls den OdA zuzurechnenden Lehrpersonen schliesslich richten sich vornehmlich auf ausbildungsinhaltliche Aspekte. Zusammenfassend liessen sich bei den Verbundpartnern folgende Interessen und Handlungsorientierungen eruieren:
Bund/BBT: pädagogische Orientierung;
Kantone: Praktikabilität im Verwaltungsvollzug, vor allem Finanzierbarkeit;
OdA/Arbeitgeber: Flexibilität, Praktikabilität im Betrieb (Sicherstellung der Ausbildungsbereitschaft);
OdA/Arbeitnehmer (und Lehrpersonen): Bedürfnisse und Zukunft der auszubildenden jungen Menschen, insbesondere auch der schulisch schwachen.
Trotz dieser Differenzen inhaltlicher und strategischer Art beurteilen die Beteiligten den neuesten Reformprozess insgesamt positiv (Zehnder, 2011). Gewürdigt wird vor allem dessen systematische und klare Strukturierung, zu der das «Handbuch Verordnungen» des BBT einen wesentlichen Beitrag leistet. Im Fall der MEM-Berufe zeigt sich gegenüber vorangehenden Ausbildungsreformen ein deutlicher Unterschied darin, dass nun nicht mehr die Arbeitgeberseite, sondern der Bund als impulsgebender Akteur auftritt. Vorteile, die aus dessen Federführung resultieren, vor allem im Hinblick auf die formale Ausgestaltung der Normtexte (Vergleichbarkeit, Kohärenz, Korrektheit usw.), finden durchwegs Wertschätzung.
Verbundpartnerschaft: Rhetorik oder Realität?
Die verbundpartnerschaftliche Trägerschaft bildet gewissermassen das Grundprinzip der schweizerischen Berufsbildung. Sie ist verankert in institutionellen Regeln oberster Ordnung wie Föderalismus, Korporatismus und Konsensdemokratie und kann deshalb als ein äusserst stabiles Charakteristikum bezeichnet werden. Zugleich deuten die Diskussionen der jüngeren Vergangenheit und die in Angriff genommenen Reformen auf Transformationen, welche die Verteilung der Steuerungsmacht der drei Hauptakteure wesentlich betreffen. Zugunsten der Stärkung seiner Rolle kann der Bund Internationalisierungstendenzen im europäischen Arbeits- und Bildungsraum anführen, also die Notwendigkeit der Herstellung nationaler Kompatibilität. Mitunter dürfte die zeitliche Situierung der Problemdefinition und Politikformulierung in den Neunzigerjahren dazu beigetragen haben, die Krise der Berufsbildung vornehmlich als Steuerungskrise zu definieren und mit den entsprechenden Mitteln anzugehen. Damals war nämlich, so lässt sich rückblickend feststellen, just der Zeitpunkt, in der die Governance-Perspektive ultimativ Einzug in die politische und administrative Praxis hielt und insbesondere auch im Bildungsbereich breit rezipiert wurde.
Rasch war deshalb klar, dass dem Lehrstellenmangel beziehungsweise dem Rückgang der Zahl abgeschlossener Lehrverhältnisse sowie deren Ursachen mit einer dezidierten Bundespolitik begegnet werden musste. Als zentrales Anliegen kristallisierte sich im «Bericht des Bundesrates über die Berufsbildung» von 1996 die Definition und Wahrnehmung neuer Steuerungsaufgaben heraus. Dies berührte den Kern der traditionellen verbundpartnerschaftlichen Kompetenzverteilung in der Berufsbildung, und entsprechend umstritten waren die diesbezüglichen Punkte in der Vernehmlassung des ersten bundesrätlichen Entwurfs eines neuen BBG. Ablehnung fand auch ein neu einzuführender Innovations- bzw. Berufsbildungsrat, der einen fassbaren Ausdruck des Steuerungsanspruches des Bundes darstellte. Die Verankerung dieses Rats im BBG wurde zuletzt anlässlich der ständerätlichen Überprüfung des Gesetzestextes abgewendet; die ihm zugehörigen Befugnisse wurden dann allerdings in weiten Teilen der bereits bestehenden Berufsbildungskommission übertragen.
Die «Verbundpartnerschaft» wird in erster Linie von staatlicher Seite angeführt. Dies lässt sich – gerade durch die allgegenwärtige Bezugnahme – im Sinn eines vagen (rhetorischen) Kompensationsangebots angesichts der (expliziten) Übertragung strategischer Entscheidungs- und Steuerungsmacht an den Bund bzw. das BBT und einer insgesamt stärkeren Reglementierung der Berufsbildung auf staatlicher Verwaltungs- und Behördenebene interpretieren. Diese Verschiebung konnte im Vorangehenden deutlich anhand der Initiierung der jüngsten Revision der Bildungsverordnungen und der von der einstigen Praxis abweichenden (im «Handbuch» des BBT fixierten) Regeln, die den Prozess und die Akteursbeteiligung der Erarbeitung definieren, aufgezeigt werden. Sie kommt aber auch in der Einsitznahme von Behördenvertretungen, insbesondere des BBT, in Gremien wie den Kommissionen «Berufsentwicklung und Qualität» der Branchen zum Ausdruck.
Eine gewisse Abwehr gegenüber der Dominanz des Bundes in der Steuerung der Berufsbildung hat sich bis in die Gegenwart erhalten. Sie wird etwa in den «Magglinger Leitlinien», die 2007 von den Verbundpartnern verabschiedet wurden, deutlich (Verbundpartnerschaft in der Berufsbildung, 2007). Dort wird zwar lediglich wiederholt, was das aktuelle BGG in seinem ersten Artikel statuiert, zugleich verweist dies aber auf die Unzufriedenheit von Kantonen und gewissen OdA mit der Umsetzung des Postulats der Zusammenarbeit von gleichberechtigten Partnern. Und schliesslich erachtete der SGV in seinem Berufsbildungsbericht 2010 eine «erneute Revision des Berufsbildungsgesetzes» unter anderem deshalb als «zwingend», weil die OdA im Rahmen der Verbundpartnerschaft zu wenig respektiert würden (Schweizerischer Gewerbeverband, 2010, S. 3).
Unterfüttert wird die Kritik gemeinhin mit der Reklamation eines Missverhältnisses zwischen Steuerungsmacht und finanziellem Engagement des Bundes. Dabei gilt: Auch wenn 2012 der vom BBG auf 25 Prozent angehobene Bundesanteil realisiert wird, bedeutet dies nicht, dass der Kritikpunkt ein für alle Mal ausgeräumt ist (vgl. Schweizerischer Gewerbeverband, 2012). Ebenso dürfte der Weg bis zur von der Verfassung postulierten Gleichbehandlung von akademischer und berufsbezogener Bildung noch weit sein.
Die Anrufung der «Verbundpartnerschaft» – im Sinne eines identitätsstiftenden Merkmals jenseits von Kompetenzverschiebungen auch gradueller Art (Mahoney & Thelen, 2010) – kann also durchaus an Grenzen stossen. Dies gilt gerade vor dem Hintergrund der starken Verankerung von Formen kooperativer Regelung und der Handlungskoordination in Akteursnetzwerken, wie sie dem Berufsbildungssektor in der Schweiz eigen ist. Eine mutigere und explizitere Neudefinition dieser Verbundpartnerschaft unter Berücksichtigung damit einhergehender (materieller) Verantwortungen wäre dort angezeigt, wo sie sonst zuweilen eher zum blossen Schlagwort wird.
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1 Art. 34ter: «Der Bund ist befugt, über das Gewerbewesen einheitliche Vorschriften aufzustellen» (zit. in Wettstein, 2008, S. 2).
2 «Unter den Begriff parastaatliche Verwaltung fallen verselbständigte Verwaltungseinheiten, halbstaatliche oder private Organisationen, die öffentliche, gesetzlich vorbestimmte Aufgaben des Bundes, der Kantone oder der Gemeinden erfüllen. Parastaatliche Verwaltung ist eine Form der in der Schweiz stark ausgebildeten Verflechtung zwischen staatlichem und privatem Sektor» (Linder, 1987, S. 136).
3 Darin kommt die zunehmende Bedeutung supranationaler Steuerungsinstanzen für den Bildungsbereich insgesamt zum Ausdruck, auf die jedoch in diesem Text nicht näher eingegangen wird.
4 Im gängigen «Bildungsproduktionsmodell» mit den Kategorien Input, Prozess und Output bezeichnet Letzterer die unmittelbaren Ergebnisse von Bildungsprozessen im Sinne erworbener Kompetenzen; mit Outcomes werden die langfristigen, im weiteren Verlauf des Lebens durch den Kompetenzerwerb erzielten Ergebnisse bzw. Renditen bezeichnet (Klieme & Tippelt, 2008).
5 Anteil des Bundes an den Berufsbildungskosten der öffentlichen Hand: 2000: 16 Prozent; 2005: 17 Prozent; 2010: 20 Prozent; die gesetzlich vorgesehenen 25 Prozent sollen 2012 realisiert werden (BBT, 2012).
6 In dieser Botschaft ist die Berufsbildung erstmals in eine Gesamtstrategie der Bildungs- und Wissenschaftspolitik eingebunden.
7 Die Forschungsförderung an den kantonalen Hochschulen wurde mit dem Förderprojekt des BBT «Leading Houses» eingeleitet. Näheres dazu findet sich unter www.sbfi.admin.ch/berufsbildung/01528/01529/index.html?lang=de. [20.1.2013]
8 Dieser Zeitplan hat sich wegen der Aufwendigkeit, insbesondere was die Aushandlung der Reformschritte mit den Kantonen und OdA betrifft, als zu ambitiös erwiesen (Schweizerischer Bundesrat 2007). Bis Anfang 2010 wurden 116 von insgesamt 220 Verordnungen über die berufliche Grundbildung in Kraft gesetzt (Schweizerischer Bundesrat, 2010).
9 Die Bedürfnisse der Kantone werden in ihren Grundzügen in der Kommission Berufsentwicklung der SBBK (Schweizerische Berufsbildungsämter-Konferenz) abgestimmt; Ziel ist die Erarbeitung konsensueller Stellungnahmen (Dietrich 2011).