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Gewaltloses Handeln hält den absoluten Wert des Friedens hoch

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Um das Ende gleich vorwegzunehmen: Der Held der Bergpredigt stirbt. Die Rede geht für ihren Sprecher nicht gut aus. Wie Mahatma Gandhi und Martin Luther King, die von der Bergpredigt inspiriert sind, wird auch Jesus, der Urheber, letztendlich ermordet. Nach einem kurzen Prozess wird er zum Tode verurteilt und findet als politischer Aufwiegler den Tod am Kreuz: „König der Juden“ lautet der Tatbestand – ein zynisches Fazit seines Wirkens, das gerade nicht an weltlicher Herrschaft interessiert ist, sondern am Reich Gottes.

Die Feinde Jesu stammen vorwiegend aus den Reihen religiöser Gruppierungen wie der Pharisäer und Sadduzäer. Während die Pharisäer ihre Frömmigkeit betonen und sich um die exakte Auslegung der Tora bemühen, rekrutieren sich die Sadduzäer aus den herrschenden Priesterfamilien und der einflussreichen Oberschicht. Wiederholt gerät Jesus mit ihnen in Konflikt, beispielsweise, als er am Sabbat Kranke heilt oder kurz vor seinem Tod die Händler aus dem Tempel jagt. Oberflächlich betrachtet handelt es sich bei diesen Auseinandersetzungen um theologische Dispute. De facto betreffen sie jedoch die öffentliche Sphäre und im Fall des Tempels die ökonomische Lebensgrundlage der Sadduzäer und Hohepriester.

Hingerichtet wird Jesus dann allerdings durch die Schergen des römischen Präfekten Pontius Pilatus. Er ist als Statthalter der Repräsentant der Besatzungsmacht, die seit 63 v. Chr. das Gebiet beherrscht und es seit 6 n. Chr. autonom verwaltet. Aus sozialen, ökonomischen und religiösen Gründen lehnt ein Teil der palästinischen Bevölkerung die Fremdherrscher ab. Letztendlich kommt es nicht einfach zum Sturz der römischen Verwaltung, sondern zum Bürgerkrieg unter der Führung gewalttätiger Splittergruppen, genannt Zeloten („Eiferer“) und Sikarier („Dolchmänner“). Ihren Wurzeln nach sind sie Sozialrevolutionäre und Banditen, die besonders in der verarmten Landbevölkerung großen Rückhalt haben. Aus religiöser Sicht stellen sie eine radikale Abspaltung der Pharisäer dar. Nach vier Jahren gipfelt der Krieg 70 n. Chr. schließlich in der Zerstörung des Jerusalemer Tempels.

Auch unter den Jüngern Jesu findet sich bereits ein früher Anhänger der gewalttätigen Bewegung: Simon, genannt „der Zelot“ (Lk 6,15). Die Bergpredigt ist vor dem Hintergrund der beschriebenen politischen Spannungen und dem Aufruf zu Gewalt durch gewisse Gruppen zu verstehen: Tut nichts dergleichen. Liebt eure Feinde. Nicht nur die Römer, sondern eure Feinde generell. Schlagt nicht einmal zurück, wenn ihr geschlagen werdet. – Erstaunliche, aber sicherlich keine todeswürdigen Aussagen. Schlussendlich werden es die politischen Mühlen der Zeit sein, die Jesus das Leben kosten: ein Statthalter, der zu Pessach keine Unruhen brauchen kann, einige einflussreiche Persönlichkeiten, die sich durch Jesus gefährdet sehen, und der Verräter in den eigenen Reihen: Judas.

Es scheint so, als hätten Menschen im wohlgeordneten Rechts- und Sozialstaat keine Feinde dieser Größenordnung. Glaubt man TV-Sendungen wie Schauplatz Gericht, sind Feinde in Österreich weder Fremdherrscher noch geniale James-Bond-Bösewichte, sondern querulantische Nachbarinnen und Nachbarn, die einen vor Gericht zerren, oder die eigenen Geschwister, die sich im Streit über das Testament der verstorbenen Matriarchin zu Hyänen entwickeln. Was hieße es, diese Feinde im Sinne Jesu zu lieben? Soll man ihnen die drei Quadratmeter Grund kampflos überlassen ohne Gewähr, dass sie nicht morgen drei weitere wollen? Soll man ihnen zum Sparbuch der Mutter auch noch das Tafelsilber dazugeben? – Die Bergpredigt durchbricht die Logik, die Feinde an einen herantragen, durch ein Verhalten, das sich Feinde nicht leisten können: durch Großzügigkeit, Selbsthingabe und Verletzlichkeit.

Ein solches Verhalten ist wahnsinnig und könnte niemals staatstragend werden. Dementsprechend wurde die Bergpredigt durch die Jahrtausende hindurch auch relativiert: Sie gelte nur bis zum Ende der Welt, das Jesus in naher Zukunft erwartete. Da es noch aussteht, sei sie nicht mehr ganz ernst zu nehmen. Oder: Die Bergpredigt sei nur für eine gewisse Elite, deren Lebensumstände es zuließen, tatsächlich umsetzbar, beispielsweise für Priester und Ordensleute. Oder aber die Bergpredigt sei bloß ein Ideal, an dem wir uns zwar orientieren, dem wir aber nie gerecht werden können.

Ich hänge einer anderen Auslegung an: Es gibt keine andere Möglichkeit, einen Punkt hinter die menschliche Gewaltgeschichte zu setzen. Die Wucht des Angriffs muss in mir zum Erliegen kommen. Es gibt keine Rache. Das ist sehr unbefriedigend, wie ich nach einer ziemlich unglücklichen Schulzeit und vielen Jahren zermürbender familiärer Konflikte sagen kann. Die Vorstellung, das erlittene Unrecht zu potenzieren und einmal mächtig Schaden anzurichten, ist verlockend, besonders in Augenblicken besinnungsloser Ohnmacht. Wenn jedoch über Jahre keine der Parteien aus der Gewaltspirale aussteigt, stürzen sie im Allerletzten nur gemeinsam in den Abgrund. Niemand gewinnt mehr, beide verlieren, und worum es ging, ist endgültig belanglos geworden. Sich an der Eskalation nicht zu beteiligen, kann einen trotzdem das Leben kosten. Was das Gegenüber tut, ist schließlich nicht gesagt. Aber was es einem nicht nehmen kann, ist der Sinn: Das gewaltlose Handeln hält bis in den Tod den absoluten Wert des Friedens hoch. In der Auferstehung setzt Gott dahinter sein Ausrufezeichen.

Frieden gibt es nicht ohne Wahrheit. Wer um der Harmonie willen auch noch die andere Wange hinhält oder sich Täterinnen und Tätern weiter aussetzt, um irgendeinen Schein zu wahren, oder weil das Opfer im Herzen bereits entschuldigt hat, wofür die betreffende Person keine Reue zeigt, wird an dieser Lüge todunglücklich werden und schlimmstenfalls sterben. Frieden und Wahrheit sind nur gemeinsam Ausdruck jener Liebe, die Jesus verkörpert.

Verkörpert hat diese Liebe auch der Schriftsteller James Baldwin (1924–1987), ein wesentlicher Protagonist der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, der einen Großteil eines Lebens im selbstgewählten Exil verbrachte. In einem seiner berühmtesten Texte, einem erstmals 1962 veröffentlichten Brief an seinen Neffen James, schildert er dem Fünfzehnjährigen, was es bedeutet, ein Schwarzer in den USA zu sein. Am Ende seiner Ausführungen, die so wenig bitter wie beschönigend sind, schreibt er:

„Bitte, lieber James, verliere in dem Sturm, der in Deinem jugendlichen Kopf wütet, nie die Wirklichkeit aus den Augen, die hinter den Wörtern Akzeptanz und Integration steht. Du hast keine Veranlassung, so zu werden wie die Weißen, und es gibt nicht die geringste Grundlage für ihre unverfrorene Annahme, sie müssten Dich akzeptieren. Die schreckliche Wahrheit ist, mein Junge: Du musst sie akzeptieren. Das ist mein voller Ernst. Du musst sie akzeptieren, und zwar mit Liebe. Eine andere Hoffnung gibt es nicht für diese unschuldigen Menschen.“ 3

Der Friede, auf den Baldwin abzielt, ist kein Scheinfriede. Die Liebe, zu der er seinen Neffen auffordert, ist kein Entschuldigen der Gräueltaten. Sein Frieden und seine Liebe sind der Wahrheit verpflichtet, für die er in all seinen Werken Zeugnis ablegt.

Mit jedem Nachbarschaftsstreit und mit jedem Familienkonflikt gestalten wir die Weltgeschichte. Oft halten Menschen mit ihren feindseligen Ansichten hinter dem Berg, solange sie keinen öffentlichen Zuspruch erwarten. Doch schon in diesem Moment, wenn das mörderische Gezeter in den eigenen vier Wänden losgeht, fangen sich gesellschaftspolitische Weichen zu stellen an. Schon hier keimt das Gottesreich – oder nicht.

MARKUS SCHLAGNITWEIT

Was würde Jesus tun

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