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7 Sommer 1983
ОглавлениеDer Zug fuhr pünktlich ab. Die Fahrräder hatten Sie bereits zwei Tage zuvor aufgegeben, um sie am Zielbahnhof Kleve kurz vor der niederländischen Grenze in Empfang nehmen zu können. Das Wetter war gut, die Laune prächtig. Endlich Urlaub, alleine, ohne Gruppenleiter, ohne Eltern. Zeit genug, ausreichend Geld und ein Haufen Kassetten mit der ab-ge-fahrendsten Musik. Man konnte ja nicht wissen, dass es auch solange das Abgefahrendste bleiben würde, bis eine gefühlte Ewigkeit später irgend jemand aus Versehen an einen Plattenspieler stieß und aus der Not einer schlimm kratzenden Nadel die Tugend des Scratchens entwickeln würde.
Als der Zug wirklich und tatsächlich den Heimatbahnhof verlassen hatte, holte Tom die ersten Süßigkeiten heraus.
„Ich dachte schon, wir müssten verhungern“, sagte Fred und griff sich zwei große, runde Schokokekse. Sven nahm sich auch einen.
„Wir hätten doch was mitnehmen sollen“, sagte er. Die Schokolade hatte ihn an das zuhause gelassene Dope erinnert. Damit war das Thema wieder auf dem Tisch. „Das hätte geklappt, hundertpro!“
„Und wenn nicht? Die Hunde riechen alles, das ist für uns unvorstellbar“, sagte Fred mit wissendem Gesicht. Hatte er wieder irgendwo gelesen, „Geheimnisse der Hundenase“ oder so.
„Ja, ich glaube auch, in Seife würden sie es riechen. Da hätten wir es schon zusätzlich in Glas einschweißen müssen.“
„Das Problem war eben, dass es nicht spurenlos geht. Mit einem Apfelstecher ein Stück Seife auszuhöhlen, ist super. Einfach ein Stück abschneiden und schon ist das Dope mitten in der Seife. Dann den Seifenkern etwas kürzen und als Stopfen wieder drauf. Nur dass man eben an einem Ende der Seife immer noch den Kreis vom Ausstechen sieht, und der lässt sich auch nicht wegwischen, weil er ja bis in die Tiefe führt.“
Tom erklärte es so, als wäre Sven nicht dabei gewesen. Er musste zeigen, dass er es genau verstanden hatte.
„Das hatten wir doch schon tausendmal. Ich seh`s ja ein,“ sagte Sven und nahm sich noch einen Keks, obwohl er eigentlich gar keinen Appetit mehr hatte. Aber wenn Tom und Fred gegen ihn anredeten, musste er sich schon ein wenig zurückziehen, zumal er wusste, dass sie Recht hatten. So waren sie also ohne Dope losgefahren, was aber den Fahrrädern auf dem Weg nach Amsterdam Flügel verleihen sollte.
Als sie endlich auf ihren Rädern saßen, war es gerade noch eine halbe Stunde bis zur Grenze. Obwohl ihre Taschen völlig sauber waren, machte vor allem Fred sich ein wenig Sorgen darüber, ob an der Grenze auch alles glatt laufen würde. Sie sprachen kein Wort, während die Grenze, schon von Weitem sichtbar, immer näher rückte. In Höhe der Schlagbäume hielten sie an, es wurde ein wenig gemurmelt und jeder kramte in seinem Brustbeutel nach dem Personalausweis. Der Radweg lag in einer irritierend großen Entfernung von dem Grenzhäuschen. Mehrere Fahrbahnspuren führten dazwischen über die Grenze und zunächst war weit und breit kein Zollbeamter zu sehen, ganz zu schweigen von einem Drogenspürhund. Unsicher hielten sie ihre Ausweise in den Händen, während die vollbepackten Fahrräder an einem Laternenmast lehnten.
„Da hat einer gewunken“, sagte Sven und machte eine Kopfbewegung in Richtung Zollhäuschen.
„Ich kann nichts sehen…!“
„Wo denn?“, fragte Fred und schaute in Richtung Zollhaus, wobei er seine Augen mit der Hand vor der Sonne schützte.
„Jetzt seh´ ich auch was“, sagte Tom und als er endlich das richtige Fenster in dem flachen Backsteinbau im Blick hatte, erkannte er einen wild fuchtelnden Arm, der immer in die gleiche Richtung winkte, nach Holland.
„Ich glaube, der meint uns“, sagte Fred.
„Sieht aus, als könnten wir los.“
„Der fuchtelt immer noch“, sagte Tom, der seinen Blick nicht abwenden konnte.
„Nun komm“, forderte Sven ihn auf. Fred saß schon wieder auf dem Rad. „Die winken uns durch.“ Das hatte Tom sich irgendwie anders vorgestellt… In Seife verstecken!? In Glas einschweißen!!? Die Satteltaschen könnten randvoll mit dem Zeug sein, es interessierte kein Schwein!
Die Anspannung ließ schlagartig nach, als sie wieder auf ihren Rädern saßen, und mit einem Mal sprudelte es aus ihnen heraus, gegen den Wind.
„So ein Quatsch!“, befand Sven.
„Die Taschen voll! Wir könnten die Taschen voll haben!“
„Wir Idioten!“
„Amsterdam, wir kommen!“
Wer kam schon auf die Idee, Dope nach Holland zu schmuggeln, um dann noch anzunehmen, dass irgendjemand das kontrollieren würde.
Tom beschlich ein erster Verdacht, dass sie vielleicht zu jung für diese Tour waren. Wie konnte man nur so blöd sein!? Aber die Laune war bestens und alle traten mächtig in die Pedale. Endlich eine Grenzerfahrung – Amsterdam und Freeland boten sicher noch mehr.
Am späten Nachmittag hatten sie schon ein gutes Stück des Weges geschafft, knapp die Hälfte und entsprechend ausgelaugt, weil wenig trainiert, gelangten sie zu dem Zeltplatz, den sie sich auf der Landkarte ausgesucht hatten. Kleine rote Zelte als Markierungen an irgendeiner Straße waren alles, was sie an Informationen hatten. Entsprechend groß war die Spannung, was sie dort antreffen würden. Ein Bauernhof mit einer Wiese und ein paar Zelten, Waschen an der Tränke und Kühe, die in der Nacht an den Zeltschnüren leckten, ein Campingplatz aus dem Führer, ADAC-getestet mit Zaun um den Wohnwagen und Tonhund neben der Fußmatte oder irgendetwas dazwischen.
Was sie dann an ihrem ersten Abend vorfanden, machte sie weder besonders glücklich, noch verhieß es Ungemach. Die Wiese war schön, grün und flach, die Straße nah und das Haus und die Rezeption privat bewohnt, so als habe jemand den großen Garten nicht mehr anders nutzen können. Nachdem sie das Zelt aufgebaut hatten, war es eigentlich ganz urig, zumal die Abendsonne den Platz in ein angenehmes, warmes Licht tauchte.
„Jetzt `ne Tüte“, sagte Tom, nachdem die Taschen in den Zelten verstaut und die Matratzen aufgeblasen waren. Er konnte auch gut ohne, aber es wäre der normale Zeitpunkt gewesen, um den Abend einzuläuten und außerdem wollte er nicht in den Verdacht geraten, nicht so scharf darauf zu sein. Klar, er würde schon mitrauchen, aber später gab es bestimmt irgendwo ein paar Bier, die waren auch nicht zu verachten. Zumal hatten sie viel Flüssigkeit beim Radfahren verloren und sollten lieber trinken als rauchen.
„Wir werden uns wohl mit legalen Drogen begnügen müssen“, sagte Fred und schwang sich bereits auf sein Fahrrad. „Bevor wir hierhin abgebogen sind, hab ich einen kleinen Laden gesehen. Ich hol uns was zu trinken. Brauchen wir sonst noch was? Vielleicht Käse fürs Frühstück? Ich schlage vor, heute Abend besorgen wir uns erst einmal Fritten und Frikandel spezial.“
„Gute Idee“, sagte Sven, „mir knurrt auch schon der Magen. Aber Käse fürs Frühstück hab ich eingepackt.“
„Zum Glück haben die uns an der Grenze nicht gefilzt, sonst hätten die mit ihren Hunden noch festgestellt, dass wir Käse nach Holland schmuggeln“, sagte Tom in einem, wie so oft übertrieben ironischen Ton. Die beiden fanden es trotzdem witzig.
Freds Onkel Lothar war Teppichhändler – in Amsterdam. Er war der Liebe wegen 1970 nach Amsterdam gegangen. Als die Liebe fort war, gab es die Stadt immer noch. Zunächst schlug er sich irgendwie durch, lebte in WGs, schlief in versifften Betten und oft genug einfach auf dem Boden, wobei er versuchte mit zahlreichen Drogen seiner Verlassenheit einen Sinn zu geben. Das gelang dann auch insofern, als er bemerkte, dass viele Häuser in Amsterdam wegen des allgegenwärtigen Wassers sehr feucht waren und viele Teppiche, auf denen er schlafen musste, schimmelten. Bei der nächsten Gelegenheit hörte er sich ein wenig um und eröffnete dann in einer alten Garage an einer Gracht einen Schimmelbeseitigungsservice für Teppiche. Die Sache lief recht gut an. Bald wurden Teppichhändler auf ihn aufmerksam und baten ihn gelegentlich um Hilfe. Dann war es nicht mehr weit, bis er sich die ersten alten Teppiche aus Haushaltsauflösungen zulegte. Sein inzwischen geschulter Blick für die Qualität eines Teppichs ermöglichte es ihm, das eine oder andere Schnäppchen zu machen und einen erheblichen Verkaufserlös zu erzielen. Die Garage wurde schnell zu klein, er brauchte ein Ladenlokal, er brauchte Öffnungszeiten, einen geregelten Arbeitstag – zumindest so geregelt, dass er zur Ladenöffnung und zum Ladenschluss zugegen war –, während er in der anderen Zeit versuchte, sein Party- und Drogenbedürfnis auf ein Maß zu bringen, das mit irdischen Leben vereinbar war.
Und er brauchte einen Kredit. Den bekam er leicht, denn sein Geschäftsplan war gut, ebenso wie seine Kontakte, die inzwischen auch in den Nahen Osten und nach Vorderasien reichten, wo es, wie er alsbald feststellte, neben gutem Dope auch noch andere gute Dinge gab, die er kaufen konnte. Nach einem Jahr musste er sich wieder vergrößern und legte sich Privateigentum in Form einer Eigentumswohnung in einer umgebauten, alten Lagerhalle zu, was aufgrund seiner zentralen Lage Aussicht auf eine gute Wertsteigerung hatte. Jetzt wohnte er immer noch dort, ohne Ambitionen, sich weiter zu vergrößern. Stattdessen vergrößerte er den Reichtum innerhalb seiner Wohnung, legte sich selbst ein paar edle Teppiche aus und hing sich kostbare Bilder an die Wände.
Seine Wohnung war jetzt angefüllt mit den neuesten Hifi- und TV-Anlagen, einer gigantischen Plattensammlung sowie Büchern und Zeitschriften, die sich in der ganzen Wohnung türmten. Und er entdeckte seinen Spaß an Reisen. Er stellte Personal ein und deckte halb Amsterdam mit seinen Teppichen zu. Doch weil all dieser Reichtum Leute anlockte, die etwas davon abhaben wollten, ließ er seine Wohnung nur ungern alleine, wenn er wieder einmal in die heißen Wüstenstaaten flog. Sein Neffe war ihm da sehr willkommen, um ein paar Tage auf seine Wohnung aufzupassen, und das Mitbringen von Freunden war kein Thema, wenn sich dadurch der Zustand der Wohnung nicht nennenswert veränderte.
Während sich also ein großer Teil der rotäugigen Jugend Europas auf den stadtnahen Zeltplätzen tummelte, konnten Fred, Tom und Sven den Luxus einer großzügigen Großstadtwohnung genießen.
„Der Schlüssel ist eine Straße weiter bei einem Freund von Lothar, der froh ist, wenn er mal nicht die Wohnung versorgen muss. Zu ihm können wir auch, falls wir Probleme haben sollten, sagte Lothar. Aber ich war ja oft genug hier. Ich denke, wir kommen auch alleine gut klar.“ Fred zeigte den beiden anderen gerade auf dem Stadtplan, welchen Weg sie noch zu fahren hatten, um möglichst glatt zwischen den vielen Grachten und Brücken hindurch zu kommen.
Sie hatten eine gutes Stück Strecke hinter sich gebracht und am späten Nachmittag Amsterdam erreicht, nachdem ihnen alle Winde der Nordsee Stunden lang die Stirn geschliffen hatten.
Sie sprachen kaum ein Wort, sondern sogen nur die ersten Eindrücke auf. Für Sven und Tom war es der erste Besuch, aber auch Fred sah die Stadt jetzt mit anderen Augen, wo er zum ersten Mal ohne Aufsicht dort war. Sogar das Radfahren war anders als zuhause, wo er stets das Gefühl hatte, auf der Straße nur geduldet zu sein. Hier kehrten sich die Verhältnisse schon durch die schiere Masse der Radfahrer in den engen Gassen um. Und im Auto hatte man zwischen den Grachten und Brückchen schon verloren. Überall sausten die viel flinkeren und wendigeren Räder herum. So ging die größte Gefahr für Radfahrer von anderen Radfahrern aus, aber Fred, Tom und Sven waren sehr geübt und hatten trotz schwerer Beladung kaum Mühe, sich den herrschenden Regeln anzupassen.
In einer kleinen Seitenstraße der Prinsengracht erreichten sie einigermaßen erschöpft ihr vorläufiges Ziel, ein Studentenwohnheim aus rotem Ziegel in der engen Egelantierstraat. Auf den Klingeln stand lediglich die Nummer der Etage, vier an der Zahl. Nach Namen suchte man vergebens. Nun hatte aber Lothar lediglich den Namen seines Freundes Preis gegeben, sodass Fred nichts anderes übrig blieb, als auf gut Glück irgendwo zu klingeln. Während der Türöffner summte und Fred das Haus betrat, passten Tom und Sven vor dem Haus auf die Fahrräder auf. Die Luft war sommerlich, aber am Spätnachmittag nicht mehr zu warm. Auf der nahen Gracht scheuchte ein kleines Motorboot und ein paar Möwen auf. Tom und Sven lehnten sich an die Hauswand und freuten sich, dass die Sonne zufällig noch den Weg durch eine Baulücke in ihre Gesichter fand.
Freds erster Blick fiel auf eine Wand mit gut und gerne einhundert Briefkästen. Gleich daneben am Treppenaufgang war ein riesiges Cannabisblatt auf die Wand gemalt. Vielleicht sollten sie lieber hier bleiben, als in irgendeine Neureichenbude zu gehen. In der zweiten Etage stand ein großer, langhaariger Kerl mit freundlichem Gesicht in der Tür, der offenbar geöffnet hatte.
„Hoi!“
„Daag“, grüßte Fred in seinem nur spärlichen Niederländisch, „Ik zoek Kees Van Hoeve“, wobei er neben seinem starken deutschen Akzent auch „Hoeve“ wie „Höfe“ aussprach, ein verbreiteter Fehler unter Deutschen.
Der Niederländer stutzte kurz, schien etwas ratlos und bemühte seine sprachliche Fantasie.
„Oh, jij zoekt Kees Van Hoeve“, wobei er es jetzt richtig wie „Huwe“ sagte, „Dan moet jij een etage lager zijn.“
„Ok, dank U!“, sagte Fred freundlich und wählte dabei die völlig unpassende „Sie“-Form.
„Doei“, sagte der Langhaarige, den das nicht zu stören schien, und verschwand wieder.
Fred stieg die Treppe wieder ein Stück nach unten und blickte durch eine verschlossene Glastür in den Flur. Als gerade jemand innen entlangging, klopfte Fred an der Scheibe und es wurde ihm prompt von einer hübschen Frau mit blondiertem Punker-Haarschnitt und Halsband geöffnet.
„Ik zoek Kees Van Hoeve“, sagte Fred.“
„Ja, kom binnen. Ga maar naar het keuken. Kees komt zo.“
Mit dem Verstehen ging es ganz gut, und so ging er in die Richtung, die sie ihm gewiesen hatte zur Küche, wo er sich hinsetzte. Er überlegte kurz, ob er den anderen Bescheid sagen sollte, doch dürfte Tom und Sven klar sein, dass es ein paar Minuten dauern konnte. Außerdem war ihnen allen nach Verschnaufen zumute. Die Küche war denkbar karg eingerichtet, so wie sich Fred ein amsterdamer Studentenwohnheim vorgestellt hatte: großer Tisch, Küchenstühle, Herd, Spüle, Kühlschrank, ein Regalbrett mit Gewürzen, Kaffeedosen und Einweckgläsern, ein altes Radio auf einem hoch unter der Decke angebrachten Brett (wahrscheinlich hatte hier einmal eine Lautsprecherbox gestanden) und dahinter, wohl, weil noch Platz war, ein vertrockneter Efeu. Manch einem wäre es heruntergekommen vorgekommen, Fred fand es ab-so-lut cool, und bei aller Schlichtheit hing noch der Duft längst gekochter Menus in der Luft.
Als Fred gerade überlegte, ob er sich wohl einfach etwas Wasser nehmen konnte, trat ein ebenfalls langhaariger Mann in die Küche, der deutlich älter aussah als der Student eine Etage darüber.
„Du bist bestimmt Fred“, sagte er freundlich in recht gutem Deutsch und reichte Fred die Hand.
„Ja, hallo Kees“, sagte Fred und war froh, das erste kleine Sprachabenteuer heil überstanden zu haben.
„Habt ihr eine gute Reise gehabt?“
„Ja, danke. Hat alles gut geklappt.“
„Wo sind denn deine Freunde? Ich habe gedacht, dass du mit zwei Freunden unterwegs seid?“
„Ja, die warten unten…“
„Musst du mitbringen!“, sagte er beinahe empört, während er eine Flasche Wasser und zwei Gläser nahm.
„Du siehst aus, als ob du Durst hast. Richtig?“, sagte er mit seinem schon beinahe niedlichen Akzent und goss für Fred und sich selbst ein, um sich dann zu Fred zu setzen.
„Wir wollten gerne auch gleich wieder los und nur den Schlüssel holen“. sagte Fred, um seiner leichten Unruhe Ausdruck zu verleihen. Er wollte Tom und Sven wirklich nicht zu lange warten lassen.
„Ihr seid wahrscheinlich müde und könnt nicht warten, die Stadt unsicher zu machen, was?“
„Ja, so ungefähr“, sagte Fred jetzt etwas verlegen.
„Wie lange wollt ihr denn bleiben?“
„Vielleicht drei oder vier Tage, und danach weiter nach Vlieland.“
„Eine schöne Tour, was ihr da plantet. Nun, du warst ja schon ein paar mal hier, nicht wahr? So weißt du, wo du aufpassen musst, und wenn ihr Problemen hat, kannst du kommen. Wenn ihr Dope wollt…. Wollt ihr?“
„Naja“, begann Fred zu stammeln, aber weiter kam er nicht.
„Klar, wollt ihr. Aber du sollst nichts auf der Straße kaufen. Am besten geht ihr zu Melkweg. Da geben sie auch oft schöne Veranstaltungen.“
„Ja, davon haben wir schon gehört, und danke für das Angebot.“
„Gerne getan“, sagte Kees und händigte Fred den Schlüssel aus, „In Amsterdam ist Vieles schön, aber manches auch gefahrvoll. Und passt immer auf für… „zakkenroller“ sagen wir…“
„Meinst du Geschlechtskrankheiten!? Nein, keine Bange, darum sind wir nicht hier“, sagte Fred mit einer wegwerfenden Handbewegung. Das berühmte Rotlichtviertel würde er zwar schon sehen wollen, aber nur um zu gucken…
„Nein, ich meine… Diebe, die euch die Portemonnaies aus der Jacke nehmen.“
„Du meinst Taschendiebe!“, rief Fred aus und musste laut lachen, „Zakkenroller“, das muss ich mir merken. Ja wir werden aufpassen. Danke für die Warnung.“
Allmählich taute Fred auf und er hatte durchaus Lust, noch zu bleiben, aber wahrscheinlich hatte Kees auch noch genug zu tun, studieren und so. Jedenfalls schien er einverstanden, wenn das Gespräch jetzt beendet wurde und er wieder verschwand. Er brachte Fred zur Etagentür, wo sie sich noch einmal die Hand gaben und Kees sein Hilfsangebot erneuerte:
„Ich kenne die Stadt. Es gibt hier viele Verführungen, aber man muss nicht jeder Verführung nehmen, um ein schönes Leben zu machen. Und…“ fuhr er unvermittelt fort, „die Blumen brauchen jeden, spätestens an übernächsten Tag Wasser.“ Er lächelte noch einmal und schloss dann die Tür, während Fred im gleichen Moment und in bester Laune, froh, einen so freundlichen Kontakt geknüpft zu haben, „Jawoll!“ skandierte und sich im nächsten Moment am liebsten die Zunge abgebissen hätte. Er wusste nicht, ob Kees es noch gehört hatte. „Jawoll“ hatte er gesagt, wie ein Obergefreiter! Und das ihm! Ein deutscher Jugendlicher, der sich zu seiner grausamen historischen Last bekennt und beabsichtigt, sich und sein Land durch konsequente Philanthropie bei der ganzen Welt zu entschuldigen. Dabei war das der erste echte Kontakt zur einheimischen Bevölkerung. Was war er nur für ein Idiot…!
„Das hat ja nicht einmal zwei Stunden gedauert“, sagte Sven, der gleich neben der Tür an der Wand lehnte und das Gesicht immer noch in die Sonne hielt. Anscheinend wollte er nur frotzeln. Tom hatte sich auf sein Fahrrad gesetzt und schien nur noch an die nächste Tüte zu denken: „Hast du da oben schon einen klar gemacht, oder was?“
„Nein, haben uns nur etwas unterhalten. War sehr nett.“
„So siehst du aber nicht aus“, sagte Sven, während er sein Fahrrad wieder startklar machte.
„Doch, alles prima“, sagte Fred und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass seine gerade noch allerbeste Laune einen derben Dämpfer erhalten hatte. Nur schnell weg und gleich vergessen.
Etwas später waren sie bei ihrer eigentlichen Adresse angelangt. Fred war schon einmal dort gewesen. Die Lage war sehr gut, zentral, aber trotzdem ruhig und am Wasser. Nur zu den nächsten Läden war es relativ weit, und man konnte nicht mal eben um zwei Ecken, um noch etwas einzukaufen.
Sie ketteten ihre Fahrräder gut an und brachten die Taschen in die Wohnung auf der zweiten Etage. Am Abend würden sie die Räder noch in einem vergitterten Verschlag einsperren, denn Fahrräder waren im Amsterdam immer begehrt.
Erschöpft und froh, endlich angekommen zu sein, ließen sie ihre Taschen irgendwo am Eingang stehen und fielen in die einladenden Sofas und Sessel. Der Blick durch die riesigen Fensterscheiben ging über Hafengebiete und ein Stück ins Zentrum der Stadt. Man konnte von einer Stelle aus sogar die Spitze des Obelisken am Dam sehen. Sven ließ die Arme rechts und links des Ledersessels herabhängen und hob dann mit einer Hand ein Buch und mit der anderen eine Zeitung hoch.
„Cool!“, sagte er anerkennend.
„Hier sieht’s doch aus wie bei unseren Alten“, sagte Tom, „Ziemlich spießig irgendwie“.
Fred hätte die Einrichtung und damit seinen Onkel gerne verteidigt, doch hatte Tom Recht – eigentlich sah es aus wie bei ihren Eltern.
„Und dann die dicken Teppiche überall…!“ Tom brachte sich in Nörgelstimmung. Fred kannte das schon, das konnte sich dann stundenlang so dranhalten. Fred musste nur dafür sorgen, dass das ganze nicht aus der Bahn lief und Tom anfing, die Wohnung zu sabotieren oder zu versauen.
„Aber sonst ist es doch super!“, versuchte Fred es, „Wir haben hier alles, was wir brauchen und einen schönen Ausblick dazu.“
„Wir haben hier viel mehr, als wir brauchen.“
„Scheiße, ich wollt´ doch nicht ins Hotel! Hier können wir uns doch kaum bewegen. Wahrscheinlich ist alles superteurer Firlefanz, Bonzenwerk! Hier können wir wohl nicht mal rauchen!“
„Klar können wir hier rauchen“, sagte Fred entschieden, „Der raucht doch selbst hier drin, riecht man doch.“
„Aber er trägt dabei einen güldenen Aschenbecher mit sich herum.“ Tom vollführte eine übertrieben tuntige Geste mit einer imaginären Zigarettenspitze. Sven lachte.
„Wir müssen uns eben einfach ein bisschen benehmen. Dafür haben wir es hier gut und sparen dazu noch Geld.“
„Ich weiß nicht“, quengelte Tom weiter, „vielleicht sollten wir doch auf einen Zeltplatz fahren. Was meint ihr?“
Sven hatte sich eine Zigarette gedreht und angezündet, wie um sich hier einzurichten und sein Revier abzustecken. Deshalb war Fred die Antwort auch schon klar, bevor er sie gab.
„Nein, ich find´s ok hier. Ist vielleicht was spießig. So werden die Leute eben, wenn sie Geld in die Finger bekommen. Aber es ist auch sehr bequem, und zelten werden wir ja noch lange genug.“
Zwei zu eins für`s Bleiben. Das funktionierte, hatte es die vergangenen zwei Jahre immer. Sie hatten sich auf der Geburtstagsfeier eines gemeinsamen Freundes kennen gelernt, das heißt, Fred und Sven waren schon vorher etwas befreundet, zumindest um Tom immer das Gefühl zu geben, irgendwie das fünfte Rad am Wagen zu sein. Trotzdem verbrachten sie die meiste Zeit zu dritt, und Viele sich als unhaltbare Situation vorstellten, funktionierte für sie sehr gut. Ihre Gesinnung war „demokratisch“ genug, um das scheinbare Problem, dass immer einer das Nachsehen hatte, in einen Vorteil zu verwandeln: Sie kamen immer zu einer Lösung. Voraussetzung dafür war natürlich, dass man sich untereinander mochte und Entscheidungen nicht von Zu- oder Abneigungen untereinander abhingen, sondern nur von der Meinung zur Sache. Regelungen für „Vetos“ hatten sie keine getroffen, aber sie waren auch nicht im Weltsicherheitsrat.
„Außerdem sind wir ja nicht wegen der Wohnung in der Stadt“, beendete Fred die Diskussion.
„Ja, stimmt eigentlich“, sagte Tom, der sich schon mit der Entscheidung arrangiert hatte, „außerdem können wir dann spät vielleicht noch einen Film gucken. Die Holländer haben doch Privatfernsehen. Da kommt doch immer was.“
„Hat schon mal jemand in den Kühlschrank geguckt?“, fragte Sven, „Vielleicht müssen wir noch einkaufen, wenn wir kochen wollen.“
Fred schaute nach. Viel war nicht drin. Offenbar hatte Lothar alles Verderbliche entsorgt oder gegessen. „Nein, da ist nichts. Entweder kaufen wir noch was ein oder wir essen unterwegs noch `ne Fritten oder so.“
„Ich bin für unterwegs“, sagte Tom, „Es ist nicht mehr ganz früh und wir wollten doch noch was unternehmen, oder? Zum Beispiel in dieses Melkweg und was zu Rauchen besorgen.“
„Ich bin für Toms Vorschlag“, sagte Fred, „Lasst uns gleich los. Mir knurrt schon der Magen.“
„Und mir die Lunge!“, sagte Sven und hielt sich hechelnd die Hand auf die Brust.