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Danni war endlich alt genug, um auch mal eine Weile allein zu bleiben. Außerdem gab es noch die Prickertz im Haus nebenan, zu denen sie immer gehen konnte, wenn etwas nicht in Ordnung sein sollte. Fred freute sich schon lange auf die Geburtstagsfeier von Sven. Caro und er hatten sich ein wenig schick gemacht. Bei Sven war alles immer eine Spur reicher und edler. Er war ein gefragter Architekt, und weil er das nun mal wirklich konnte, hatte er auch das eigene Haus entworfen. Es beeindruckte weniger durch seine nicht geringe Größe als vielmehr durch ein weißes und kühles Design vom Türknauf bis zu den gläsernen Dachaufbauten. Er öffnete ihnen selbst die Tür als sie eintrafen. Es waren bereits zahlreiche Gäste da. Sven wirkte schon etwas gelockert, ein Sektglas in der Hand und das weiße Hemd zwei Knöpfe offen. Irgendwie hatten Sven, er selbst und Tom sich im Laufe der Jahre kaum verändert, abgesehen von ein wenig bindegwebsschwachem Bauchansatz und einigen Falten im Gesicht, aber die knapp untergewichtige Statur und die immer noch vergleichsweisen vollen Haare in einer undefinierbaren Straßenkötertönung waren geblieben. Einzig Tom hatte vielleicht ein paar Kilo mehr zugelegt, aber gewachsen war er auch nicht mehr.

Fred breitete die Arme aus. „Willkommen im Club! Komm an meine Brust und lass dich drücken.“ Er umschlang seinen Freund herzlich, küsst ihn auf die Wange und sprach verschiedene Glückwünsche aus. Caro trug das Päckchen, in dem sich vier ausgesprochen kostbare Weingläser befanden. Nicht das alleroriginellste Geschenk für den Weinfreund, aber er hatte sie sich gewünscht, ausdrücklich von Fred, was er natürlich gerne hatte erledigen lassen – von Caro. Aber er hatte es sich auch nicht nehmen lassen, für Sven, gewissermaßen aus alter Tradition, eine CD zusammenzustellen. Die Auswahl würde ihn erfreuen, da war er sich ganz sicher. Aber er wusste auch, dass er diese Art der Zusammenstellung zunehmend als anachronistisch empfand. Er hörte seine Musik nur noch vom Computer, MP3-Player und IPhone. Das Konzept eines Albums war ihm dabei etwas abhanden gekommen und so würde er auch diese CD mit dem amateurhaften Cover fleddern und ihre Besonderheiten dem großen Musikkollektiv hinzufügen – Widerstand ist zwecklos.

Sven freute sich erkennbar, und auch Caro begrüßte er herzlich mit einer langen Umarmung. Sie lachte und wünschte ihm alles Gute. Fred wusste genau, dass Caro ihn nie so sehr gemocht hatte, wie Fred sich das vielleicht einmal gewünscht hatte. Aber das spielte heute und hier keine Rolle. Es stand nur die Feier auf dem Programm. Drinnen lief gerade unverkennbar etwas aus diesem großen Musikfundus, den Fred ziemlich genau kannte, und fühlte sich sogleich zuhause. Er nickte und lachte den Leuten zu, die aus der Tiefe des Wohnraumes seine und Caros Ankunft beobachtet hatten und ihm verschiedentlich schon die Gläser entgegenhielten, während sie ablegten. Natürlich waren er und Fred nicht mehr jeden Nachmittag zusammen, wie zu Schulzeiten, aber ihre Treffen waren regelmäßig genug, um den größten Teil des jeweiligen Umfeldes zu kennen und so sah Fred zwischen den vielleicht zwanzig Personen, die er gerade beim Hereinkommen überblickte nur zwei oder drei gänzlich unbekannte Gesichter.

Nach kurzer Zeit hatten sie bereits ihre ersten Gesprächspartner gefunden. Es wurde freundlicher Smalltalk geführt, wie ihn Leute führten, die keinen Smalltalk mochten. Die Themen waren nicht ganz belanglos, betrafen die Alltagsbewältigung, Kindererziehung und das Zuviel an Arbeit allenthalben. Kopfnickerthemen, deren Verlauf feststand.

Caro redete mit ihrem Ex Steve, wie immer bei diesen Gelegenheiten, Fred registrierte es mit routinierter Toleranz. Mehr war leider nicht drin, nachdem Steve Caro zu lange und zu oft mit der Verweigerung von Unterhaltszahlungen genervt hatte. Das wusste Fred eigentlich nur von Caros Erzählungen, denn als Fred mit ihr zusammengezogen war, kamen sie sehr gut aus, sodass er Steves Weigerung zu weiteren Zahlungen fortan hatte verstehen können.

Fred ließ sich von einer Runde alter Freunde und Bekannter zur nächsten treiben. Ja, die Praxis lief gut, leider zu wenig Freizeit, aber ja, natürlich träume ich auch von Neuseeland, wollt ich schon Jahre hin, aber die Ökobilanz ist mit so einem Flug natürlich hin. Gladbach-Bayern? Die beiden Tore kurz vor Schluss? Wahnsinn! Und während er mit den seichten Gesprächswellen schwamm, behielt er Tom und Sven im Auge und freute sich schon darauf, zu späterer Stunde mit ihnen zusammenzuhocken. Sven konnte hier nicht weg und er hoffte, dass auch Tom lange genug Ausgang hatte, denn er wollte unbedingt seinen kleinen, feinen Plan mit ihnen bereden.

Nachdem die Gesellschaft sich in beste Partystimmung gebracht hatte und an manchen Stellen die Frauen schon ein wenig das Tanzbein schwangen, suchte Fred den geeigneten Absprung bei seinem Kommilitonen Karlo, dessen Bericht über eine von der Industrie gesponserte Fortbildung in Monacco eine Spur zu lang geriet. Onkologe müsste man sein.

„Die Jachten dort im Hafen sind fan-tas-tisch. Im Vergleich dazu ist meine eine Nussschale!“ Er schüttelte den Kopf und war gleichzeitig voller Bewunderung für soviel Protzerei. „Aber es war schön, das alles mal im Kreis der Kollegen zu genießen. Man sieht sich auf den ganzen Fortbildungen immer wieder. Wir sind schon ein richtig kleines Klübchen geworden. Man trifft sich irgendwo in der Welt, und nach den Veranstaltungen erkunden wir dann auf eigene Faust das Nachtleben, wenn du weißt, was ich meine. Ich finde, das haben wir uns auch verdient.“

Fred wurde ein bisschen übel.

„Das freut mich für dich, vor allem weil wir mit unseren Kassenbeiträgen eure schönen Reisen unterstützen. Soll noch jemand sagen, in unserer Gesellschaft gäb es keine Solidarität…“

Carlo schaute ein wenig irritiert. Offenbar hatte er etwas mehr getrunken, als er gedacht hatte. Seine Zunge entzog sich etwas seiner Kontrolle.

„Ich glaub, ich muss mal zur Toilette“, sagte er, was aber nur zur Hälfte eine Flucht war, denn irgendetwas wollte bei ihm oben oder unten raus.

Es blieb beim Wasser, doch weil er den Alkohol stärker als gewünscht spürte, nahm er sich etwas Alkoholfreies und machte einen kleinen Spaziergang durch den Garten, dem nur wenig fehlte, um als Park durchzugehen.

Caro ließ sich immer noch von Steve zutexten. Wahrscheinlich wieder Liebeskummer und die ewigen Geschichten von Frauen, die ihn nicht verstanden. Das würde noch endlos so weitergehen, war sich Fred sicher, und irgendwann würden dann die Frauen, die ihn nicht verstanden, einfach ihre Hörgeräte ausstellen.

Freds Kopf wurde in der abendlichen Frühsommerluft etwas klarer. Als er wieder hineinging, sucht er gleich nach Sven, der gerade eine neue Flasche Wein öffnete und fachmännisch verkostete.

„Na, macht`s Spaß?“

„Ja, ist prima. Willst du mal den `04-er probieren. Ein Fuligni Brunello di Montalcino, 95 Parker-Punkte!“ Sven hielt sein Glas noch einmal schräg gegen das Licht.

„Nein, vielen Dank, brauch´ grad´ `ne kleine Pause.“

„Würd´ ich Dir bei diesen spitzen Kirchenfenstern auch empfehlen.“ Er schaute immer noch auf den Rotwein in seinem Glas, bis er endlich langsam und genussvoll trank.

„Wie läuft`s denn so bei dir?“, fragte er dann.

„Wie immer. Zu viel Arbeit, wie ein Hamster. Ich komm da nicht `raus. Manchmal, wenn ich durch die Patientenzimmer hetze, frage ich mich, ob ich irgendwann dabei einfach tot umfalle. Herzinfarkt. Dann lieg´ich da, keiner holt den Krankenwagen, und die letzten wartenden Patienten fallen über meine Leiche her und klauen mir die Tablettenpackungen aus dem Kittel.“

„Ich seh´ schon die Schlagzeile: Arzt zu Tode gehetzt – Patienten verlangen Entschädigung!“ Mit der freien Hand zeichnete er einen Balken in die Luft.

„Jetzt haben sie wieder den Punktwert gesenkt, und Caro hat immer neue Ideen, was wir „unbedingt brauchen“ und „was sie sich schon immer gewünscht hat“. Unglaublich, wie man so viele Wünsche generieren kann. Frauen scheinen da über spezielle Windungen zu verfügen.“

„Ich find´ meine Windungen ausreichend.“

Wie gerufen kam David Byrne durch die Lautsprecher, was Neues, etwas gefälliger als früher, aber nicht schlecht.

„Wenn ich diese Stimme höre, denk ich an „Remain in lights“, sagte Fred.

„Ganz großes Kino…“, sprach´s und nahm noch einen Schluck von dem offenbar edlen Tropfen.

Jetzt war der richtige Moment.

„Erinnerst du dich an unseren Schatz?“

„Steffi?“

„Nein, keine Frau…“

„Ach, du meinst Freeland? Klar, manchmal… Sag mal, hast Du oder hat Tom die Karte?“

„Oder Du?“

„Ich!?“

„Ja, warum nicht Du!?“

Sven schaute kurz in sein Glas.

„Ich bin nicht so ordentlich wie Du.“ Klang anerkennend. Lange genug hatte er sich damit rumschlagen müssen, es gerne etwas sauberer und ordentlicher zu haben als die meisten anderen, was in der Jugend nicht immer leicht war. Wie viele Flecken hatte er angestrengt ignoriert, wie viele unter den Schuhen knirschende Krümel toleriert und wie oft in der Schule der Versuchung widerstanden, seine Stifte auf der Schulbank nach Größe, Farbe oder Geschmack zu ordnen!? Das hätte ihm niemand, der sein Hemd aus der Hose tragen durfte, durchgehen lassen.

„Ja, stimmt. Ich hab ihn.“

„Sag ich doch…“ Wieder das kleine Schmunzeln um den Mund herum. Nur nicht drau eingehen.

„Ich finde, wir sollten den Schatz langsam mal bergen, hm?“

„Klar, unbedingt!“, aber das sagte er nur so daher. Sven wusste noch nicht, dass Fred es ernst meinte. „Ich frag mich, in was sich das Zeug inzwischen verwandelt hat. Aber wahrscheinlich steht inzwischen sowieso ein Hotel drauf. – Warte, ich geh nur kurz die beiden verabschieden.“

Sven stellte sein Glas neben Fred ab. Ein sicheres Zeichen dafür, dass er vorhatte zurückzukommen. Fred schaute ihm nach. Sven begleitete einen der wenigen, die Fred nicht kannte, und eine Frau zur Tür, wahrscheinlich ein Architektenkollege. Babysitter auslösen, tippte Fred, und ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es deutlich auf Mitternacht zuging, was seine Hypothese stützte. Es wurde noch kurz gekichert, eine Hand gedrückt, ein Küsschen verteilt und weg waren sie.

Sven kam direkt zurück.

„Ich meine es ernst“, sagte Fred zu Sven, als er wieder mit dem Glas in der Hand neben ihm stand. „Lass uns noch mal nach Freeland fahren!“

Sven starrte stumm in sein Glas.

„Ich bin froh, dass Du nicht übereilt antwortest“, sagte Fred.

„Etwa mit dem Fahrrad!?“ Sven sah nicht glücklich aus.

Fred zuckte mit den Achseln. „Ich weiß nicht. Vielleicht auch mit dem Auto. Erst Amsterdam und dann hoch zur Insel. Noch mal ganz `raus kommen aus allem! Nur ein paar Tage...“

„Amsterdam!“ Svens Züge hellten sich merklich auf. Ein kurzes Blitzen ging von seinen Augen aus.

„Ich dachte, vielleicht so eine Woche…“

„Zelt?“

Fred zuckte mit den Schultern. „Meinetwegen…“.

„Und Tom?“

„Den hab´ ich noch nicht gefragt.“

Sven lehnte sich an die Wand, starrte in sein Glas und lächelte still. Ihm gefiel die Idee.

„Wir bekommen nie alle unter einen Hut. Außerdem kann ich nicht einfach so `mal ne Woche weg. Du doch auch nicht, denk ich, und Tom bekommt bestimmt keinen Ausgang.“

Gut, sie hatten schon das nächste Stadium erreicht: die Planung. Was alles nicht ging und vor allem, was doch ging, würde sich zeigen.

Das war gut gelaufen. Sven hatte die Angewohnheit, einen Vorschlag oder eine Idee ganz unvorhersehbar mit einer gnadenlosen Herablassung abzubürsten. Früher hatte Fred mehr als einmal Probleme damit gehabt, besonders wenn eine solche Bissigkeit ihm selbst galt. Bekamen andere es zu spüren, waren es meist Riesenlacher auf Kosten anderer, aber das schweißte zusammen. Und nur weil Sven sich auch immer wieder mit ihm treffen wollte, hatte er nach und nach gelernt, es nicht persönlich zu nehmen. Er tat ihm deswegen auch ein wenig leid. Manche Sprüche kamen so gnadenlos, dass es keinen Spielraum mehr für eine Auseinandersetzung und ein mögliches Umdenken gab. Das machte manchmal einsam. So etwas wie „Ach, Du willst deinen verlorenen Jugendträumen hinterherradeln!?“ oder „Das ist so interessant wie aufgewärmter Kaffee!“ hätte Freds Pläne gleich zunichte gemacht. Nach so einem Verriss konnte man nicht mehr zurückrudern.

„Da vorne ist er ja“, sagte Sven und winkte Tom heran. Es war schon beinahe wieder ein Jahr her, dass sie sich zuletzt zu Dritt gesehen hatten, ebenfalls auf einer Feier, allerdings von Petra und Ingo, einem Paar aus gemeinsamen Freakzeiten mit zahllosen Joints auf gefühlten 100 Konzerten, die ihre Silberhochzeit gefeiert hatten. Zum Zeitpunkt der Hochzeit waren sie schon vier Jahre zusammen gewesen und damit schon damals Spitzenreiter der Treueparade. An ihnen waren Vorwürfe der Spießigkeit stets hart abgeprallt. Ihr Zusammensein war mehr ein Naturgesetz. Man beschimpfte ja auch nicht den Mond, weil er sich nicht von der Erde trennen konnte.

„Tom, wir müssen mit dir reden“, sagte Fred ein wenig feierlich und nahm ihn zwischen sich und Sven. „Wir haben uns überlegt, da es jetzt mehr oder weniger 30 Jahre her ist, dass wir zusammen auf Freeland waren, wäre es an der Zeit, die Tour zu wiederholen und unseren Schatz zu heben. Was hältst du davon?“

Als Tom in Freds Arm ein wenig sprachlos wirkte, klopfte Sven ihm auf die Schulter und holte ein neues Weinglas für ihn.

„Wir denken, das könnte ganz lustig werden“. ergänzte Sven und hielt die geöffnete Weinflasche über das Glas, jedoch ohne einzuschütten. Tom wirkte im besten Fall bedrängt und zweifellos überrumpelt.

„Nun sag schon zu“, sagte Fred und Sven hielt immer noch die Flasche bereit.

„Naja,…“ stammelte Tom ein wenig hilflos, „Lust hätte ich ja schon. Ich müsste wohl zuerst mit Anke reden und… Wie lange denn? Und wann überhaupt?“

„Das werden wir noch besprechen“, sagte Sven und hatte damit bereits Freds Rolle übernommen und seine eigene an Tom abgegeben. Der antwortete dann auch prompt, dass er sich kaum vorstellen könne, dass alle drei mit ihren Familien und Jobs unter einen Hut zu bekommen wären. Sven und Fred prusteten los und Sven verschüttete beim Befüllen von Toms Glas eine nicht unbeträchtliche Menge auf dem guten grauen Schieferboden. Doch es fand noch genügend Wein seinen Weg, um auf das gemeinsame Vorhaben anzustoßen.

Freeland

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