Читать книгу Naturrituale zur Lebensbegleitung - Marlies Bader - Страница 7
ОглавлениеDie transformierende Kraft des Feuers kann bei Ritualen in der Natur verwendet werden.
RITUALE
Was ist ein Ritual?
Da sich meine persönliche Verwendung der Begriffe »Ritual« und »Zeremonie« von den landläufigen begrifflichen Verwendungen unterscheidet, möchte ich zu Beginn dieses Buches die Bedeutung der Worte, wie ich sie verwende, erläutern. Wenn man in der Internet-Enzyklopädie Wikipedia nachsieht, heißt es über Rituale: »Ein Ritual ist eine nach vorgegebenen Regeln ablaufende, meist formelle und oft feierlich-festliche Handlung mit hohem Symbolgehalt. Sie wird häufig von bestimmten Wortformeln und festgelegten Gesten begleitet und kann religiöser oder weltlicher Art sein. Ein festgelegtes Zeremoniell (Ordnung) von Ritualen oder rituellen Handlungen bezeichnet man als Ritus.«
In diesem Buch werden die Worte »Ritual«, »Ritus« und »Zeremonie« hingegen weniger als festgelegte, formelle Handlungen verstanden als vielmehr in einen lebendigen spirituellen und lebensbegleitenden Kontext gestellt. So wie ich Rituale empfinde, sind sie dafür da, uns an das Wesentliche zu erinnern und uns mit unserer ureigenen Spiritualität zu verbinden. In diesem Sinne sind die hier beschriebenen Rituale und Zeremonien dazu gedacht, Menschen auf ihren individuellen Lebenswegen zu begleiten und zu unterstützen.
In der westlich geprägten Welt leben wir heute sehr individualisiert und erfahren uns häufig getrennt vom großen Ganzen. Doch jeder von uns hat zugleich das Bedürfnis, in seine Umwelt eingebettet zu sein. Wir sehnen uns danach, die Zusammenhänge zu verstehen, und wollen Aufgaben, die größer als unsere alltägliche Wirklichkeit sind. Rituale und Zeremonien können dabei helfen, dieses Größere zu erleben und einen stimmigen Platz darin einzunehmen.
Im therapeutischen Kontext können Lebensthemen und persönliche Anliegen durch das Werkzeug Ritual sichtbar dargestellt und symbolisch zu einer Lösung gebracht werden. Meiner Erfahrung nach wird durch diese sichtbar gemachte symbolische Lösung während des Rituals die persönliche Sichtweise erweitert und verändert. Dies bewirkt eine Integration von zuvor nicht Bemerktem und dadurch Heilung.
Rituale wirken
Immer wieder berührt mich die spirituelle und lebensverändernde Kraft, die von einem Ritual ausgeht. Diese Kraft wirkt in unseren Alltag hinein und kann diesen verändern. Die Frage ist: Warum wirken Rituale und Zeremonien auf diese tief greifende Art?
Die Ahnung einer Antwort auf diese Frage können Sie bekommen, wenn Sie sich in Erinnerung rufen, dass unsere alltägliche verstandesorientierte und materielle Welt nur eine kleine Insel in der Unendlichkeit des spirituellen Daseins ist. Die geistige Welt, ich nenne sie hier die »nichtalltägliche Wirklichkeit«, nimmt nicht nur in meiner Vorstellung den weitaus größeren Raum ein als die fassbare und messbare Welt. In der geistigen Welt, in der Leere, wohnt der Keim allen Ursprungs. All das Ungeborene, alles vor der Existenz und nach der Existenz, ist als Möglichkeit dort vorhanden. Archetypen, Träume, geistige Wesen, Ideen, Visionen, Ur-Erfahrungen und Erinnerungen, Wissen und Weisheiten haben dort ihre Wurzel. Diesen an sich leeren Raum könnten wir auch »Raum der Möglichkeit« nennen. Wir Menschen gehören, wie alles, zur stofflichen und zur geistigen Welt. Beide Welten sind nicht voneinander zu trennen, sie existieren gleichzeitig und sind miteinander und ineinander verwoben. Genau genommen entspringt die stoffliche Welt aus diesem spirituellen Raum der Möglichkeiten.
In der Alltagswelt befinden wir uns in der Kausalität, erleben Ursache und Wirkung. Kausale, also ursächliche Ereignisse, haben dort eine feste zeitliche Richtung, von der Ursache ausgehend hin zur darauf folgenden Wirkung. Wenn wir aus der stofflichen Welt heraus in die geistige Welt sehen, spiegeln wir uns in dieser und erleben häufig Synchronizitäten, also die Gleichzeitigkeit von Ereignissen und unseren persönlichen Assoziationen und Bezugsketten.
Durch bestimmte Tätigkeiten wie zum Beispiel Meditation, Gebet, Trance, künstlerisches Gestalten und Rituale oder Zeremonien verschwindet die scheinbare Grenze zwischen der alltäglichen und der nichtalltäglichen Wirklichkeit. Es öffnet sich ein Tor in die Anderswelt und wir können aus der geistigen Welt schöpfen, wir können ordnen und gestalten. Neue Verbindungen der Synapsen in unserem Gehirn werden angeregt. Durch diese Interaktion zwischen beiden Welten erkennen wir, dass wir in einen größeren Kontext eingebunden sind, und empfinden dadurch Lebenssinn. Dieser zutiefst kreative Akt hat dann natürlich auch Auswirkung auf unseren Alltag.
Es ist somit nachvollziehbar, dass Kunst, Gebet, Zeremonien und Riten ein Urbedürfnis der Menschheit sind. Schon seit Urzeiten vollziehen die Völker der Erde religiöse oder soziale Riten und Zeremonien und stellen künstlerische Artefakte her. Riten begleiten den Menschen auf seinem Lebensweg und verdeutlichen ihm die Lebensabschnitte. Sie zeigen das Wachstum eines individuellen Menschen oder einer Menschengruppe an und unterstützen es feierlich. In unserem Kulturkreis sind das Feste wie Taufrituale, Hochzeitsrituale, Einschulungs- und Abschlussfeiern, Todes- und Gedenkfeiern.
In der zunehmend globalisierten Welt nehmen die alten gesellschaftlichen und religiösen Riten bei vielen Menschen keinen großen Platz mehr in ihrem Leben ein. Riten und Zeremonien sind dann häufig nur noch Brauchtum, dessen Sinn und Ursprung unbekannt ist. Der frühere Sinn hinter den Zeremonien, das Tor vom Profanen ins Heilige zu öffnen, mit anderen Worten: von der alltäglichen Wirklichkeit in die nichtalltägliche Wirklichkeit zu sehen, um zu reifen, ist oft vergessen und wurde sinnentleerten Handlungen geopfert.
Vom Kult zum Brauchtum
Häufig entstand dort ein Brauch, wo es ursprünglich einen Bezug zu einer spirituellen Dimension gab, aus dem eine kultische Handlung entstanden war, deren Tiefe aber vergessen wurde. Um zu erläutern, was ich damit meine, möchte ich das Beispiel des Ritualgebindes »Kräuterbuschen« nehmen. Im süddeutschen Raum wird zu Mariá Himmelfahrt (15. August) von den Bäuerinnen ein Kräuterbuschen aus verschiedenen Heilkräutern gebunden. Traditionell werden in den Buschen sieben oder neun Kräuter hineingegeben. Wenn man die Frauen heute fragt, warum keine acht oder fünf Pflanzen, sondern sieben oder neun, ist ihre Antwort für gewöhnlich: »Weil man es immer schon so gemacht hat.« Dass man eine bestimmte Anzahl an Heilkräutern in den Buschen bindet, ist also ein Brauch geworden. Er stammt kulturhistorisch aber aus einer bestimmten Tradition und Weltanschauung. In der mittelalterlichen Weltsicht kannte man sieben Planeten. Diesen Planeten wurden (wie heute noch in der Astrologie) bestimmte Kräfte zugeordnet, die man auch in den Pflanzen wiedererkannte. Daraus entstand die astrologische Signaturenlehre. Um die in den Pflanzen wirkenden Planetenkräfte zu ehren und die Heilkräfte der Pflanzen zu potenzieren, mischten die Menschen in der damaligen Kräuterkunde Heilpflanzen in Siebenerzahlen – wie im Buschen.
Eine noch ältere Zahlenmystik in Bezug zur Pflanzenwelt basiert auf der Neun. In der Frühzeit wurde im Alpenraum die große Göttin in dreifacher Gestalt verehrt: als jungfräuliche Göttin in Weiß, als mütterliche in Rot und als weise Alte in Schwarz. Eine Erinnerung an diese Zeit sind die vielen Sagen und Mythen über die drei wilden Fräulein, die in den Bergen wohnen. In alten Kirchen finden wir sie in ihrer christlichen Version als die drei heiligen Madeln: Margarethe, Katharina und Barbara. Im ganzen Alpenraum gibt es immer wieder romanische Kapellen und Kirchen, in denen diese weibliche Dreiheit als Fresko an der Wand dargestellt ist. Diese dreifache Göttin repräsentierte das Leben in seinen Zyklen.
Als männliches Gegenüber der weiblichen Dreiheit gab es den »Wilden Mann«, eine ursprüngliche, kraftvolle und wilde Vegetationsgottheit, auch »Grüner Junker« genannt. Zu ihm gehört die »grüne Neune«. Wild und unge- zähmt ist der »wilde Grüne«, der Herr der Pflanzen und Tiere. Woher diese Gestalt in der Volkmythologie kommt und woher der Bezug zur Zahl Neun stammt, ist ungeklärt. Vielleicht war er eine Erinnerung an Cerunnos, den gehörnten keltischen Waldgott? Die Neun als dreimal drei (die göttliche Zahl), aber auch als vier plus fünf (vier Himmelsrichtungen plus die Fünf, die Zeit und Raum erfasst) hatte bei den Kelten Absolutheitscharakter und war eine der symbolisch höchsten Zahlen. Als letzte einstellige Zahl steht sie unter anderem für die Vollendung.
Oder ist der Grüne Junker eine Erinnerung an den nordischen Urscha- manen Odin? Er hing neun Tage am Weltenbaum und ersann dabei die Runen. Neun Welten konnte der germanische Schamane auf seiner Innenschau durchreisen. So finden wir auch hier wieder den Bezug zu dieser Zahl.
Bis in die frühe christliche Zeit hinein wirkte der volkstümliche Grüne Junker oder der Wilde Mann jedenfalls in den Vorstellungen und Herzen der Menschen. Wir finden ihn in unzähligen Sagen, Mythen und Bildnissen wieder. An Kirchenpfeilern und Portalen romanischer und gotischer Zeit kann man vereinzelt sein in Stein gehauenes, grimmig blickendes Gesicht erkennen. In den Darstellungen wachsen oft Efeu und Eichenblätter aus seinem langen Bart und Haupthaar.
Unzählige sehr alte Heilpflanzenrezepte werden in Neunerrhythmen gemischt, da heißt es beispielsweise: »Geh zur neunten Stunde …«, »… brocke neun Teile und rühre neunmal …«. Die »grüne Neun« war die Kraft der Natur schlechthin. Im Laufe der Jahrhunderte und der Christianisierung wurde diese ungebändigte Vegetationskraft verdammt, und der ursprüngliche grüne Segen wandelte sich in den Schreckensruf: »Ach, du grüne Neune!«
Mit diesem Hintergrundwissen erkennen wir, dass die Tradition, Heilkräuter in Neuner- und Siebenerzahlen in Ritualgebinde zu fassen, seine Wurzel in einer alten Weltanschauung und religiösen Bezogenheit hat. Das damit verbundene Wissen ging über die Jahrhunderte verloren, die Handlung selbst jedoch hat als Brauch überlebt. Ein schöner Brauch, der aus altem Wissen entstand, kann sich durch den Schatten der Angst und Engstirnigkeit aber auch leicht zum Aberglauben verzerren. Das sähe dann so aus: »Wenn du deinen Kräuterbuschen nicht mit sieben oder neun Kräutern bindest, dann bringt das dir und deiner Familie Unglück!« So schnell kann Aberglauben mit all seinen Drohungen und Schrecken entstehen. Für mich ist interessant, den Weg auf eine neue Art zurückzugehen und den spirituellen Sinn alter Bräuche und Riten wieder zu entdecken und zu erleben. Genau dazu lade ich Sie in diesem Buch ein.
Erste persönliche Erfahrungen
Da ich im ländlichen süddeutschen Raum aufgewachsen bin, sind mir volkstümliche Riten und Bräuche schon von Kindesbeinen an vertraut. Meine Familie lebte in einer starken Naturbezogenheit, die sich nachhaltig auf mich auswirkte. Im Vordergrund des zeremoniellen Lebens in Bayern standen die Feste im Jahresrad. Diese waren in der ländlichen Bevölkerung fest mit der katholischen Kirche verbunden – und sind es bis heute. So wird der erwähnte Kräuterbuschen zu Mariá Himmelfahrt geweiht, Eier, Fleisch, Salz und Brot weiht man in der Ostermesse, die Pferde zu Leonhardi, die Felder und Häuser zu Fronleichnam, an Allerseelen wird der Toten gedacht, zu Heilig Drei König wird das Haus geräuchert und gesegnet, um nur einige religiöse Riten und Feste zu nennen.
Die meisten dieser Feierlichkeiten und kultischen Handlungen sind aus dem Vorchristlichen übernommen und ins Christliche integriert worden. Hinzu kommt, dass in der bayrischen Volksseele ein tiefer Glaube an die Macht des Höheren verankert ist. So war zum Beispiel mein Großvater sein Leben lang misstrauisch gegenüber der Kunst der Ärzte. Er ging bei einer Krankheit zum Abbeter und Handaufleger. Wenn man ihn fragte, warum er nicht zum Arzt gehe, war seine Antwort: »Wenn du zum Arzt gehst, kommst du krank wieder nach Hause.« Auch mich nahmen meine Großeltern bei Krankheiten oft mit zum Heiler, oder sie heilten mich selbst. Dabei erlebte ich mit kindlich staunenden Augen, wie stark »heilende Handlungen« wirken können. In diesem Zusammenhang möchte ich folgende Begebenheit aus meiner Kindheit erzählen und Ihnen die daraus resultierende Erfahrung über die Kraft eines Rituals nahebringen.
Ich war Erstklässlerin und ging gern in die Schule. Da gab es nur ein Problem: An meinem Knie hatte sich eine große »Warzenfamilie« angesiedelt. Da gab es zwei große dicke Warzen, die waren für mich die Warzeneltern, eine etwas kleinere, sie war die Warzentante, und eine Menge kleiner Warzenkinder. Da die Röcke in den 1970er-Jahren sehr kurz getragen wurden und die Warzen mein Knie überdeckten, war die ganze Warzenfamilie für meine Mitschüler deutlich sichtbar. So wurde ich in der Pause gern gehänselt, was mein Verhältnis zu meiner Warzenfamilie deutlich trübte. Ich wollte sie loswerden.
Die Idee, zu einem Arzt zu gehen und die Warzen wegschneiden zu lassen, gab es in meiner Familie nicht. Meine Großmutter, eine Kräuterkundige, träufelte mir tagelang den Saft des in unserem Garten wachsenden Schöllkrauts auf die Warzen. Was zur Folge hatte, dass das ganze Knie durch den gelben Saft des Krauts ebenfalls gelb wurde und schon von Weitem leuchtete. Dies spornte meine hänselnden Klassenkameraden zu spöttlerischen Hochleistungen an. Durch den Saft des Krauts schrumpften und vertrockneten die Warzen aber nach einiger Zeit, bis sie schließlich ganz abfielen. Leider hielt die warzenfreie Zeit nie sehr lange an, denn nachdem sie abgefallen waren und folglich auch kein Schöllkrautsaft mehr aufgetragen wurde, wuchsen sie in neuer Anordnung wieder nach. Ich hatte schon längst aufgegeben, ihnen Namen zu geben, ich hasste sie aus tiefstem Herzen. Auch meine Großmutter verließ langsam die Geduld, und sie entschied sich, auf ihr magisches Repertoire zurückzugreifen.
Sie rief mich und teilte mir mit, dass wir bei dem nächsten Vollmond die Warzen wegbeten würden. Der Vollmond sei in drei Tagen, ich solle bis dahin die größte Nacktschnecke mitbringen, die ich finden könne. Also verbrachte ich die nächsten drei Nachmittage damit, Nacktschnecken zu sammeln, Größenvergleiche zu machen, die kleineren wieder laufen zu lassen und die großen, damit sie noch größer wurden, mit Salatblättern zu füttern. Dann kam endlich der ersehnte magische Zeitpunkt. Vollmond! Mit der dicksten Schnecke im Einweckglas in der Hand rannte ich meiner Oma hinterher, die außerhalb des Dorfes einen Hügel erstieg. Immer wieder trieb sie mich zur Eile an, wir mussten vor dem Mondaufgang den Hügel erklommen haben. Wir erreichten die Hügelkuppe rechtzeitig. Von dort aus hatte man eine wunderbare Sicht auf den Mondauf- und den Sonnenuntergang. Oben angekommen, forderte mich meine Großmutter auf, die »dicke Anna« (wie ich die Schnecke getauft hatte) aus dem Glas zu holen und mir aufs Knie zu legen. Die Schnecke sollte während des Mondaufganges erst von unten nach oben über meine Warzen kriechen und dann in Kreuzform von links nach rechts. Dabei sollte sie unbedingt eine schöne Schleimspur hinterlassen. Die Schnecke kroch also mit meiner tatkräftigen Unterstützung los. Wenn sie zu wenig Schleim produzierte, wurde die Ärmste von mir etwas gedrückt und vorwärtsgeschoben. Währenddessen murmelte meine Großmutter leise Gebete oder Sprüche. Von dem, was sie murmelte, verstand ich kein Wort, aber es hörte sich sehr geheimnisvoll an. Immer wieder warf sie dabei prüfende Blicke Richtung Schnecke und Richtung Mond. Endlich waren wir am Ende des Rituals angekommen. Der Schneckenschleim glitzerte kreuzförmig über meinem Warzenknie, der große, runde Vollmond stand am Abendhimmel und verblasste von Gelb zu Weiß.
In dieser Nacht, ich durfte das Kreuz aus Schneckenschleim nicht abwaschen, träumte ich von einer riesigen Schnecke, die voller Warzen war und Löcher in den Vollmond fraß. Am nächsten Morgen ging mein erster Blick zum Knie. Welch Wunder: Die Warzen waren verschwunden! Als ob nie welche da gewesen waren, die Haut war fein und glatt. Sie kamen auch nie wieder, bis heute nicht.
Aus meiner Geschichte heraus hegte ich nie Zweifel am Sinn und an der Wirkung von Riten und Zeremonien. Auf meinem Lebensweg lernte ich Rituale und spirituelle Praktiken aus unterschiedlichsten Richtungen kennen. Vor allem der Buddhismus und indianische Naturreligionen zogen mich sehr in ihren Bann und begleiteten mich ein gutes Stück meines Lebens. Heute vereint sich vieles in mir und unterstützt mich bei meiner spirituell-therapeutischen Arbeit mit Menschen und Orten. All dies theoretisch und vor allem praktisch auch ein wenig kennenzulernen, dazu soll Ihnen dieses Buch dienen.
Eine Räucherschale und persönliche Dinge wie ein geschnitztes Figürchen aus Eibenholz liegen als rituelle Gegenstände auf dem Altar bereit.
Ritualgegenstände
Um wirkungsvolle Rituale zu gestalten, wird nicht unbedingt viel an Material und Ausrüstung gebraucht. Dinge, die in Ritualen verwendet werden, sind in vielen Kulturen besondere Zeremonialgegenstände. Sie werden ausschließlich für die Ritualarbeit genutzt und erlangen dadurch immer mehr an Kraft. Das heißt, sie werden von Mal zu Mal, bei jedem Ritual, stärker mit Energie aufgeladen. Diese rituellen Gegenstände entwickeln sich zu sogenannten Kraftgegenständen. Bei vielen Naturvölkern darf sie ausschließlich der Zeremonienmeister, Priester oder Schamane berühren. Der Kontakt mit einer profanen Person würde dem Kraftgegenstand Energie nehmen.
Diese Dinge haben sogar Behausungen, zum Beispiel sind sie in ein Tuch eingeschlagen oder wohnen in einer Schachtel oder Ähnlichem. Sie werden häufig rituell hergestellt, gepflegt und im Laufe ihres Daseins immer wieder mithilfe des Räucherns oder im Wasser gereinigt. Der Schamane sieht sie als lebendige helfende Kräfte an und kommuniziert mit ihnen. Wenn diese Gegenstände alt werden oder kaputtgehen und dadurch an Kraft verlieren, werden sie verbrannt oder beerdigt und damit »entlassen«.
Beispiele für rituell genutzte Gegenstände sind Rasseln, Trommeln, Räucherfedern, Amulette, Kelche, Zeremonienmesser. Praktischerweise ist es uns heute auch möglich, alltägliche Dinge für die Zeit des Rituals als Ritualgegenstände zu nutzen. So kann eine Kerze, eine Blumenvase oder Teetasse symbolisch für die Mutter, den Vater, die Zukunft, die Vergangenheit oder was auch immer auf den Altar beziehungsweise in das rituelle Feld gestellt werden. Nach dem Ritual werden sie wieder entlassen, also ihrer alten profanen Bestimmung übergeben. Eine gesprochene Formel unterstützt das: »Du bist entlassen, bist jetzt wieder ein Stuhl, eine Kerze, ein Stein, ein Kissen, eine Schnur, eine Schere.«
Ich finde das Verwenden von Alltagsgegenständen im Ritual sehr angenehm. So brauche ich nie viele Ritualgegenstände mitzuführen. Für ein Ritual in der Natur nehme ich meist nur ein Geschenk für die Natur mit (zum Beispiel etwas Melasse für die Pflanzen oder ein Stück Brot für die Tiere, etwas heiliges Räucherwerk für den Ort oder Ähnliches). Wenn ich mit anderen Menschen oder mit Häusern arbeite, reicht meist eine Kerze, Streichhölzer, meine Rassel, Räucherschale, Räucherkohle, Kräuter und meine Räucherfeder. Alles andere findet sich.
Manchmal denke ich, dass der Ritualgegenstand den Menschen aussucht und nicht umgekehrt. Wenn ein Ritualgegenstand für eine Person wichtig ist, so findet er seinen Weg zu ihr. Sei es, dass sie ihn zeremoniell überreicht oder von Freunden geschenkt bekommt, ihn findet oder in der heutigen Zeit in einem Geschäft entdeckt. Eine schöne Geschichte, die mein Herz immer wieder erfreut, ist, wie meine Räucherfeder vor einigen Jahren zu mir gekommen ist.
Wie meine Kondorfeder zu mir kam
Vorweg möchte ich anmerken, dass ich sehr viel mit dem Verräuchern von Kräutern arbeite. Ich räuchere Menschen ab und reinige energetisch Häuser und Räume mit dem duftenden Rauch von Harzen und Kräutern. Dies ist eine alte abendländische Tradition, in die ich persönlich auch einige indianische Werkzeuge, wie beispielsweise die Räucherfeder zum Verteilen des Rauchs, mit einbringe.
Als meine Tochter vier Jahre alt war, waren wir als Familienausflug im Zoo und kamen an den Vogelgehegen vorbei. Da mir diese Könige der Lüfte in den engen Käfigen immer sehr leidtun, wollte ich erst gar nicht dorthin. Mein Blick streifte dann doch eines der Gehege, in dem zwei große Vögel saßen. Mit ihren rötlichen Köpfen machten sie mich neugierig, und ich ging näher heran, um sie zu betrachten und das Schild zu lesen. Es war ein südamerikanisches Kondorpärchen. Ich wollte mich schon abwenden, da drehte einer von ihnen den Kopf und sah mich durchdringend an. Ich hatte das Gefühl, dass er in mein Innerstes sah, mich geradezu durchleuchtete. Dann wandte er seinen Kopf zur Seite und schüttelte sein Gefieder. Eine einzelne große Feder aus einem seiner Flügel segelte gemächlich auf den Käfigboden. Dort lag sie dann inmitten des Käfigs, etwa vierzig Zentimeter lang und schwarz-weiß gezeichnet.
»Das ist die ideale Räucherfeder«, schoss es mir durch den Kopf. Aber sie war mitten im Käfig, für mich unerreichbar. In diesem Moment ging an der hinteren gemauerten und weiß getünchten Käfigwand eine Tür auf und ein Tierpfleger kam mit einem Eimer Futter in den Kondorkäfig. Erfreut sprach ich ihn an und bat um die Feder, die deutlich sichtbar am Boden lag. Der Wärter meinte, dass es verboten sei, Federn an Besucher weiterzugeben, und er sie mir deshalb leider nicht geben könne. Meine kleine Tochter, die bis dahin ganz still und eher desinteressiert zugesehen hatte, fing in diesem Moment laut zu weinen an und rief: »Mama, ich will die Feder, bitte, bitte!«
Der Tierpfleger stutzte einen Augenblick, hob kurz entschlossen die Feder vom Boden auf und reichte sie durch die Gitterstäbe an das Kind weiter. Ich konnte gerade noch Danke sagen, da war er schon durch die Tür verschwunden. Meine Tochter drehte sich freudestrahlend zu mir um, streckt ihr Ärmchen aus und sagte: »Da, Mama, für dich!« Dann drehte sie sich um und rannte davon, um die Eisbären zu suchen.
Diese Feder begleitet mich nun schon seit einigen Jahren. Sie ist neben den Kräutern mein wichtigstes Werkzeug, wenn ich in alte Häuser mit vielen tragischen Geschichten aus früheren Zeiten gerufen werde, um dort die Atmosphäre zu reinigen und die Vergangenheit zu heilen. Ich durfte viel von ihr lernen. So merkte ich bald, dass ich die Kraft des Kondors rufen kann, wenn in einem Gebäude noch besonders viel vergangenes menschliches Leid zu spüren ist (wer mehr über Hausräucherungen erfahren möchte, sei auf mein Buch Wohnen in guter Energie, herausgegeben im Kösel-Verlag, hingewiesen). Der Kondor als Aasfresser »frisst« das, was an alter Emotion in der Atmosphäre des Raumes zu spüren ist, auf.
Meine Feder hat vier Bewegungsarten. Eine kreisende Bewegung, wenn sie »Altes frisst«, eine schlagende Bewegung, wenn das Chi, der Fluss der Lebensenergie, im Raum gestockt ist. Dazu eine sehr sanfte streichende Bewegung, wenn ich im Feld der aktuell dort lebenden Personen arbeite (am Schlafplatz oder an häufig genutzten Stammplätzen der Familienmitglieder), und ein Nach-unten-Klappen wie das Zuklappen der Flügel, wenn nichts mehr getan werden muss.
Der heilige Raum
Das Öffnen eines heiligen Raumes ist eine Möglichkeit, alltägliche und nichtalltägliche Welt bewusst miteinander zu verbinden und aktiv die persönliche Aufmerksamkeit auf die Anderswelt zu lenken. Ich empfinde es als unterstützend und wichtig, ein Ritual oder eine Zeremonie innerhalb eines solchen heiligen Raumes zu vollziehen. Dieser Raum ist für mich keiner im herkömmlichen Sinn, sondern ein metaphorischer Raum. Durch ihn wird das Ritual aus der Alltagswelt herausgehoben und zeitlich wie räumlich von ihr abgegrenzt.
Das Öffnen dieses Raumes markiert einen klaren Beginn. Damit wird das Tor zur geistigen Welt bewusst geöffnet, und es wird um spirituelle Unterstützung gebeten. Nach Beendigung des Rituals bedankt man sich bei all den unterstützenden spirituellen Kräften und schließt dieses Tor wieder. Der heilige Raum wird aufgehoben.
Der »heilige Raum« ist kein Raum im herkömmlichen Sinn, sondern ein metaphorischer Raum. Durch das Öffnen des »heiligen Raumes« wird die alltägliche Welt mit der spirituellen Welt bewusst verbunden.
Das Öffnen des »äußeren« heiligen Raumes unterstützt die eigene Zentrierung und Ausrichtung, wir sind in dieser Zeit sehr aufmerksam und zentriert. Die daraus entstehende bewusste Anbindung zur spirituellen Welt bringt uns in den eigenen »inneren« heiligen Raum, wo wir ganz sind, heil und vollkommen. Es ist eine Schwingungsannäherung an die feinstoffliche Dimension. Diese geistige Ebene ist immer da, wir sind nie von dieser Dimension getrennt, denn wir sind Teil von ihr und sie ist Teil von uns.
Rituale und heiliger Raum
Für jedes Ritual suchen Sie sich zunächst einen dafür stimmigen Ort. Das kann ein Platz in der Natur sein oder ein Zimmer in Ihrer Wohnung. Oftmals ist es wichtig, dass der Ort geschützt ist und Sie sich dadurch ganz dem Ritual hingeben können.
Ihren Ort können Sie nun zu Beginn der Zeremonie mit duftenden Kräutern räuchern (siehe ab Seite 39). Sie können einen Altar mit einer Kerze und persönlichen Kraftgegenständen gestalten, was immer Sie benötigen, um in sich ein Bewusstsein für das Heilige, das Spirituelle zu erwecken. Dies sind alles Hilfestellungen, um in die innere Ausrichtung zu kommen.
In der Natur werden Sie vielleicht nicht so viel dafür benötigen, sondern nur die klare innere Ausrichtung nutzen und Ihre Absicht für das Ritual formulieren. Dazu sprechen Sie die Bitte an die Natur aus, Sie mit Wohlwollen und Unterstützung zu begleiten.
Mit all dem eröffnen Sie bereits den heiligen Raum. Es gibt eine Vielzahl an weiteren Möglichkeiten dafür. Wie es im Einzelnen aussieht, kann ganz unterschiedlich sein: ein inneres Gebet, ein Lied, die Anrufung der Himmelsrichtungskräfte, das Bitten um Unterstützung durch die spirituellen Kräfte, das Ziehen eines Schutzkreises, eine Meditation, Singen, Rasseln, eine Räucherung … Tun Sie, was Ihnen nahe und vertraut ist. Jeder kann den ganz persönlichen Schlüssel zum Öffnen seines heiligen Raumes wählen. Dadurch wird es leicht, die Anbindung an das Höhere zu erleben und den Raum für eine heilende innere Seelenbewegung entstehen zu lassen.
Nach diesen Vorbereitungen beginnt das eigentliche Ritual. Sie finden im Buch dafür noch zahlreiche Anregungen.