Читать книгу Naturrituale zur Lebensbegleitung - Marlies Bader - Страница 8

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Dem Wanderer »zwischen den Welten« fällt ein besonderer Ort ins Auge. Er fühlt sich von ihm berührt und erhält dort die Antwort auf eine im Stillen gestellte Frage.

SYNCHRONE WELTEN

Während eines Rituals oder einer Zeremonie verschwinden die Barrieren zwischen dem einzelnen menschlichen Individuum und seiner Umwelt. Die Grenzen verwischen, und die Natur wird zum Spiegel der Seele. Da die Außenwelt nicht von der Innenwelt getrennt erlebt wird, hat alles, was uns während dieser Zeit im Außen begegnet, einen tiefen Sinn und möchte uns etwas mitteilen.

Aus diesem Grund achte ich während eines Rituals auf Synchronizitä- ten in der Natur, das heißt auf eine Gleichzeitigkeit und assoziative Verknüpfung von Phänomenen. Das Wort Synchronizität ist zusammengesetzt aus syn (»mit«, »gemeinsam«) und chronos (»Zeit«) und bedeutet »gleichzeitig« oder »zu einem Zeitpunkt in mehreren Räumen«. Für mich hat Synchronizi- tät etwas damit zu tun, die Zeichen der geistigen Welt zu lesen. Wie bereits erwähnt, wird in der Anderswelt häufig Synchronizität erlebt, da alles miteinander verbunden und verwoben ist und wir im Bewusstsein dieser anderen Welt ein klares Gewahrsein dafür haben. Das Leben in seiner perfekten Choreografie zeigt uns diese Allverbundenheit aber immer wieder auch im Alltäglichen auf.

Ein kleines Beispiel für eine Synchronizität im Alltag: Ich fuhr mit dem Auto eine Landstraße entlang und dachte, angeregt durch den frühen Tod eines Bekannten, über die Endlichkeit des Lebens nach. Da lief eine kleine Maus auf die Fahrbahn. Zum Glück war die Straße frei, und da ich langsam fuhr, war es mir möglich, ihr auszuweichen. Im Rückspiegel sah ich, dass die kleine Maus wohlauf war – im gleichen Moment stürzte sich ein Bussard auf die Straße, erwischte die Maus und flog mit ihr davon. In mir stieg der Satz auf: »Für die Maus war es Zeit zu sterben.« Eine wunderbare Choreografie im Raum der Gleichzeitigkeiten, mit einer tiefen Lehre über den Tod und das Leben.

Manchmal genügt es, einfach nur wach zu sein, und schon öffnet sich ein Tor, und die gesamte Mitwelt spricht mit uns. Letztlich ist es nur eine kleine Veränderung des Blickwinkels, aus dem heraus wir alles neu wahrnehmen. »It’s only a little shift«, wie Schamanen oft sagen, aber diese kleine Veränderung bewirkt viel, sie schafft Raum für Neues.

Synchronizitäten in der Natur

Grünes Dämmerlicht und Stille umfingen uns, während eine Freundin und ich im Wald spazieren gingen. Der Wald war dunkel, eine für die Gegend typische Fichtenmonokultur. Wir bogen von der Forststraße ab und folgten einem verwurzelten, wenig kultivierten Pfad, während wir uns intensiv unterhielten.

Meine Freundin befand sich gerade in einer Lebensphase der Umstrukturierung und erzählte mir dazu einen Traum, den sie in der vorangegangenen Nacht geträumt hatte. In diesem Moment sahen wir etwa drei Meter von uns entfernt ein Reh. Es war in einem umzäunten länglichen Streifen Wald gefangen, der etwa vier Meter breit und zwanzig Meter lang war. Waldarbeiter hatten junge Bäume zum Schutz vor Wildverbiss mit diesem Wildzaun umgeben. Der aber musste irgendwo eine undichte Stelle haben, durch den das Reh in die Absperrung hineingelangt war. Einmal in der Umzäunung, konnte es den Weg hinaus nicht mehr finden. Meine Freundin und ich verstummten und betrachteten es atemlos.

Das Reh war durch unsere Anwesenheit in Panik geraten und versuchte verzweifelt und mit aller Macht, durch den Zaun zu brechen. Immer wieder nahm es Anlauf und rannte gegen den Maschendraht, wobei es sich mit den Beinen im Zaun verfing. Es strampelte sich aus den Drahtschlingen, um dann erneut gegen den Zaun zu rennen. Interessanterweise kam es nicht auf die Idee, einfach zum unteren Ende der Umzäunung zu laufen, was ja durchaus einige Meter Abstand zu uns gebracht hätte. Genauso, wie das Reh nicht weiter nach unten lief, war auch in uns kein Impuls da, Abstand zu ihm zu schaffen. Wir standen da, ohne zu denken, ohne Emotionen, nur in wacher Aufmerksamkeit das Reh beobachtend. Kein Gedanke, der sagte: »Das arme Reh, wir müssen ihm helfen, wir müssen uns von ihm entfernen, ihm ein Loch in den Zaun machen … «

Plötzlich blieb das Reh stehen, es sah uns an, und ein Beben ging durch seinen Körper. Mit einem Satz aus dem Stand sprang es über die hohe Absperrung in die Freiheit. In mir war augenblicklich der Satz da: »Manchmal braucht es einen Engpass, damit sich die Energie bündeln kann, die den Sprung in die Freiheit ermöglicht.«

Mir und meiner Freundin war klar, dass das Erlebnis mit dem Reh ein Geschenk des Kosmos war. Im Erlebten sah sie sich wie in einem Spiegel. Sie erzählte mir, dass sie vor Jahren von einer guten Bekannten einen selbst gebastelten Traumfänger mit der Zeichnung eines Rehs geschenkt bekommen hatte. Rehe waren ihr immer sehr nahe gewesen, und der Traumfänger hatte lange Zeit über ihrem Bett gehangen. Vor einiger Zeit hatte sie ihn aber abgenommen, und erst gestern wieder an ihn gedacht und ihn erneut über ihrem Bett aufgehängt.

Die Lehre des Rehs vom Engpass und der daraus resultierenden Kraft zur Befreiung zeigte deutlich den inneren Prozess meiner Freundin auf. Durch die Umstrukturierung in ihrem Leben gelangte sie nach einer Phase der Erschöpfung wieder zu persönlicher Freiheit und ihrem inneren Kraftpotenzial.

Tiertotem und Krafttiere

Viele archaische Völker haben Tier- und/oder Pflanzentotems. Diese Totems sind Verbündete der Menschen, sie geben ihnen Kraft, sie sind »Ahnen« des Volkes und lehren den Einzelnen in bestimmten Lebenssituationen. Der archaische Mensch wird in seinen Clan und damit in sein Totem hineingeboren.

Krafttiere lassen sich auch durch bestimmte Riten, eine Trommelreise oder eine Visionssuche herbeirufen, oder sie zeigen sich in einer außergewöhnlichen Situation von selbst. Sie können nicht nur den archaisch verwurzelten Menschen ein Leben lang oder zumindest über bestimmte Lebensphasen hinweg begleiten. Für mich ist vor allem interessant, wie auch wir diese Kräfte in unser persönliches Leben in unserer modernen Zeit integrieren können.

Ein Krafttier, das beispielsweise durch eine Trommelreise zu uns gekommen ist, können wir um Unterstützung bitten, wir können mit seiner Hilfe die spezifischen Tierkräfte in uns selbst hervorholen, um bestimmte Lebenssituationen besser zu meistern.

Besonders berührend empfinde ich es, wenn sich das Tier, das uns eine Botschaft vermittelt, direkt in der Natur zeigt. Nach meinem Erleben geschieht das meist dann, wenn wir es nicht erwarten, in völliger Absichtslosigkeit. Wir sind mit einem Thema beschäftigt, sind draußen in der Natur – und plötzlich passiert eine Begegnung zwischen Mensch und Tier, wie am geschilderten Beispiel mit dem Reh. Während der Begegnung sind wir ohne Gedanken, ohne spezielle Gefühle, wir beobachten, schauen und sind in der Präsenz eins mit dem Tier. Erst nach der Begebenheit setzen Assoziationen und Gedanken ein. Wir wissen unmittelbar, dass dieses Geschenk der Begegnung für uns selbst bestimmt war. Aus dem Verhalten des Tieres oder einfach nur seinem Erscheinen zeigen sich assoziative Lösungen zum Thema.

Die Begegnung mit einem Tier kann über dazu auftauchende Assoziationen die Antwort auf eine persönliche Frage geben.

Dazu ein weiteres Beispiel: Es ist schon eine Ewigkeit her, ich war damals in einer Phase der Orientierungslosigkeit. Ich wusste nicht, in was für eine Richtung ich mich beruflich begeben sollte. Das Alte (Theater und Bildhauerei) war für mich endgültig vorbei, das Neue noch nicht gefunden. Die ersten Erfahrungen in Bezug zum Schamanismus hatte ich schon gemacht, und daher entschloss ich mich, auf einer kleinen Visionssuche Hinweise für die neue Ausrichtung zu suchen. Während der Zeit, als ich in der Natur sitzend auf Hinweise oder Visionen wartete, passierte weder innerlich noch äußerlich etwas. Nach einigen Stunden brach ich das Ritual ungeduldig ab, packte meine Sachen zusammen und ging Richtung Auto zurück. Plötzlich brach ein großer Dachs vor mir aus dem Gebüsch. Da ich in seinem Windschatten war, bemerkte er mich nicht. Er lief gut fünfhundert Meter vor mir her. Ich folgte ihm im Abstand von ein paar Metern. Währenddessen konnte ich gut sein mächtiges Hinterteil, sein schwarz-weißes Fell, den drolligen bärenartigen Gang und seine immer mit Schnüffeln beschäftigte Schnauze beobachten. Kurz bevor wir am Parkplatz ankamen, schnüffelte er ausgiebig unter einem Strauch. Er fing mit seinen Vordertatzen an zu graben und riss mit seinem Maul ein Stück Wurzel aus dem Erdreich. Er befreite sie mit heftigem Kopfschütteln von Steinchen und Erde, bevor er sie genüsslich verspeiste. Anschließend verschwand er lautlos im Wald.

Atemlos hatte ich ihn beobachtet. Mir war klar, dass dies die so sehnlich erwartete Botschaft war. Erst als ich sie nicht mehr erwartet hatte und frei von jeder Vorstellung war, hatte sie den Raum gefunden, zu mir zu kommen. Zu Hause las ich über den Dachs als Krafttier in einem Buch nach. Dort stand unter anderem, dass der Dachs ein Meister der Pflanzenheilkunde, der Heilkraft und des Wurzelwissens sei. Für mich war das eine klare Antwort auf meine Frage, da mich die Pflanzenheilkunde schon seit langer Zeit begleitete und interessierte. Nun war klar, in welche Richtung mein weiterer Weg mich führen würde.


Ein Krafttier rufen

Ein Krafttier ist ein wundervoller Verbündeter für alle Herausforderungen im Leben und auch für Naturrituale, bei denen es Sie begleiten kann. Es gibt eine Vielzahl von Techniken, ein Krafttier zu rufen. Eine weit verbreitete und einfache Technik ist die Trommelreise. Dafür brauchen Sie etwa eine Stunde Zeit, einen ungestörten Raum (drinnen oder draußen), eine Decke, eine zweite Person und eine Rahmentrommel mit Schlägel (oder eine CD mit Schamanentrommelmusik, dann können Sie auch allein reisen), vielleicht noch etwas Räucherwerk.


Trommelreise zum Rufen eines Krafttiers

Öffnen Sie den heiligen Raum, indem Sie Ihre Absicht kundtun, um Unterstützung und um Wohlwollen der geistigen Welten und Ihres Krafttieres bitten. Sie können den Raum, sich selbst und die zweite Person mit Salbei und Beifuß abräuchern.

Legen Sie sich auf den Rücken auf eine Decke und schließen Sie die Augen. Im Sinn behalten Sie Ihre Absicht, eine schamanische Reise zu unternehmen, um Ihr Krafttier zu treffen.


Die zweite Person schlägt auf der Rahmentrommel einen monoton gleichmäßigen, schnellen Rhythmus (oder Sie starten den CD-Spieler mit der schamanischen Trommelmusik).

Stellen Sie sich nun einen großen kräftigen Baum vor. An dessen Wurzeln befindet sich eine kleine Höhle, die ins Erdinnere führt. Tunnelförmig geht ein Weg immer tiefer in die Erde hinein. Sie wissen: Dort unten wird Ihnen Ihr Krafttier begegnen. Sie überlassen sich ganz Ihrer inneren Bilderwelt und dem Rhythmus der Trommel und gehen auf die Suche nach Ihrem Krafttier. Sie werden es erkennen, wenn Sie ihm begegnen. Ihm können Sie Fragen stellen und es bitten, Sie auch im Alltag zu begleiten.

Auch andere spirituelle Wesen können Ihnen während der Reise begegnen, spirituelle Begleiter, beispielsweise Archetypen wie die Alte, der Weise, die Schamanin … Nutzen Sie die Gelegenheit und fragen Sie sie nach Ihrem Krafttier oder nach weiteren Botschaften.

Mit der Person, die trommelt, ist ein Zeitfenster ausgemacht, beispielsweise fünfzehn oder dreißig Minuten. Ist diese Zeit abgelaufen, trommelt sie in einem schnelleren Rhythmus. Das ist dann das Zeichen, dass Sie sich bei Ihrem Krafttier bedanken, sich verabschieden und auf den Rückweg durch die Höhle und zum Baum machen sollten.

Anschließend bedanken Sie sich bei den Kräften und beschließen das Ritual. Es ist gut, sich noch ein paar Notizen zum Erlebten zu machen.

Ein Altar, der zu Ehren der Tierkräfte gestaltet wurde. Die Trommel liegt bereit, um auf ihren »Klangschwingen« in die Anderswelt zu einem Krafttier zu reisen.

In manchen Traditionen, aber auch in unserer modernen Welt begleiten die so gefundenen Krafttiere die Menschen ein Leben lang, manchmal jedoch auch nur für eine bestimmte Zeit oder zu einem speziellen Thema. Dann treten sie wieder in den Hintergrund. Wenn Ihnen ein Krafttier nahe ist und es Sie stärkt, dann können Sie diese Helferkraft zu Beginn einer Zeremonie um Unterstützung bitten. Aber auch im Alltag kann Sie diese hilfreiche Tierkraft begleiten und führen, indem Sie sich von seiner Energie durchfließen lassen.

Die kleine Visionssuche oder der Schwellengang

Eine Visionssuche ist ursprünglich eine indianische Zeremonie, die mit einer Phase des Fastens beginnt und bei der man mehrere Tage in festgelegtem Rahmen allein in der Natur verbringt. Im Folgenden möchte ich Ihnen eine kleine Visionssuche, den sogenannten Schwellengang, beschreiben, für den auch ein viel beschäftigter, moderner Mensch Zeit finden kann.

Sie brauchen einfach nur einen freien Tag in der Natur. Der Schwellengang kann Ihnen Fragen beantworten und die Ausrichtung Ihrer Seelenbewegung unterstützen, sodass Ihnen Entscheidungen leichter fallen werden.


Der Schwellengang

Wählen Sie einen Ausgangspunkt in der Natur, einen Parkplatz im Wald oder gleich den Weg vor Ihrer Haustür. Wenn Sie dort angekommen sind, halten Sie inne und formulieren Sie klar und deutlich Ihre Absicht für diesen Schwellengang, Ihre Frage oder Ihr Anliegen. Bitten Sie um Unterstützung durch die spirituelle Welt, um klare Führung und um deutliche, für Sie verständliche Antworten. Das kann so lauten: »Ich bin hier, um mehr Klarheit über … zu erlangen. Ich bitte um Führung und um deutliche Antworten der geistigen Welt, die sie mir über meine Begegnungen in der Natur gibt.«

Dann spüren Sie nach, in welche Richtung es Sie zieht, und folgen ihr querfeldein. Wenn Ihre Aufmerksamkeit an etwas hängen bleibt, setzen Sie es in Bezug zu Ihrem Thema. Schauen Sie, ob es Ihnen Aspekte zu Ihrer Frage zeigt oder Ihnen etwas bestätigt. Nehmen Sie diese Aspekte in sich auf und lassen Sie sie wirken, wenn Sie weiterwandern.

All das, was Ihnen begegnet, erzählt Ihnen etwas über Sie und Ihr Anliegen, es geht in Resonanz mit Ihnen. Innen und Außen sind nicht getrennt, es geht nur darum, aufmerksam und wach zu sein. Für manche braucht es etwas Übung, die Zeichen zu lesen. Merken Sie sich, was Ihnen auf Ihrer Wanderung auffällt. Was Ihnen ins Auge sticht, möchte Ihnen etwas über Sie und Ihr Anliegen erzählen. Horchen Sie in sich hinein, meist ist die Botschaft einfach und nahe liegend.

Sind Sie irgendwann wieder an Ihrem Ausgangsort, bedanken Sie sich bei der Natur, den Pflanzen, den Tieren und der geistigen, spirituellen Welt und beenden Ihren Schwellengang, indem Sie sich ein paar Notizen zum Erlebten machen.

Im »Schwellengang« verbinden sich innere und äußere Pfade zu einem spirituellen Weg.

Häufig sind es keine großen Dinge, die bei einem Schwellengang mit uns in Resonanz gehen. Es kann ein Blatt im Bach sein, das sich im Kehrwasser immer im Kreise dreht (»Ja, mit diesem Thema drehe ich mich im Kreis«), oder Eichhörnchen, die Nüsse sammeln (»Es ist für mich wichtig, die guten, nahrhaften Dinge zum Thema zu sammeln, damit ich dann wohl gerüstet durch die kalte und dunkle Zeit komme«).

So können durch Rituale und insbesondere durch die dabei erweiterte Aufmerksamkeit Antworten und Botschaften für unseren Alltag gefunden werden. Unser Blick wird auf die Synchronizitäten in der Welt gelenkt, was wiederum unseren Alltag bereichert und nicht zuletzt die Übernahme von Verantwortung erleichtert und Verwandlung möglich macht.

Naturrituale zur Lebensbegleitung

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