Читать книгу In Liebe und Hass - Fioria Band 3 - Maron Fuchs - Страница 11
Renia
Оглавление„Es ist viel zu eng hier. Gehen wir raus, Mia! In den Wald“, rief Celeps aufgeregt und flog so schnell um mich herum, dass mir schwindlig wurde, als ich versuchte, ihm mit den Augen zu folgen. Der kleine grüne Waldgeist war so lebhaft und gut gelaunt wie immer, sehr erfrischend.
„Das geht nicht“, seufzte ich und lümmelte mich tiefer ins Sofa. „Weißt du doch. Wenn ich auch noch in den Wald laufen müsste, bevor ich dich rufe, könnte ich dich nicht lange in Fioria halten.“
„Verrückt, dass dich die Schwangerschaft so schwach macht“, jammerte er.
„Ich hätte auch lieber mehr Kraft, aber langsam gewöhne ich mich daran“, erzählte ich. „Hier drinnen wäre es sowieso zu eng, um alle 14 Geister und die 13 Dämonen zu rufen.“
„Das stimmt“, lachte Celeps und flatterte so schnell mit seinen durchsichtigen Flügeln, dass er wirkte, als würde er in der Luft stehen. „Was machst du heute Abend denn noch?“
„Lloyd und ich sind bei den Nachbarn zum Essen eingeladen. Und was hast du vor?“, erkundigte ich mich.
„Ich muss mich im Wald bei Brislingen um einige Bäume kümmern. Denen geht es nicht gut.“ Er flatterte wieder um mich herum. „Das ist schlimm!“
Als er mein Heimatdorf erwähnte, senkte ich den Blick. „Oh.“
„Ich grüße die Animalia im Wald von dir“, versprach er.
Ich streckte meine Hände nach ihm aus und drückte den kleinen Geist sanft an mich. „Danke.“
Da betrat Lloyd das Wohnzimmer. „Mia, bist du so weit? Elly und Burkhard warten bestimmt schon auf uns.“
Ich nickte. „Klar. Celeps, wir sehen uns.“
„Unbedingt!“
„Tschüss, Celeps“, verabschiedete sich auch Lloyd von ihm.
Der Waldgeist setzte sich kurz auf seine Schulter, bevor er mit einem hellen Lichtblitz verschwand.
Mein Freund reichte mir seine Hand. „Kommst du?“
Ich ließ mich von ihm auf die Beine ziehen. „Schon lustig, vorgestern haben wir noch darüber geredet, dass Elly vielleicht an unserer Tür klingelt, und dann lädt sie uns prompt für heute zum Essen ein.“
„Wir haben es verschrien“, lachte er. „Und zwei Stunden Theater schaffen wir schon.“
„Wir spielen jeden Tag stundenlang bei der Arbeit Theater“, merkte ich an.
Lloyd reichte mir meine Jacke und schlüpfte in seinen eigenen Mantel. Wir hatten uns ein wenig schick gemacht, wobei mich mein kugeliger Bauch ziemlich nervte. Ich fühlte mich wirklich fett. Und dass Elly immer so einen Wirbel um meine Schwangerschaft machte, nervte noch viel mehr. Aber gut, Augen zu und durch, um der guten Nachbarschaft willen. Immerhin hatte uns die Frau sehr dabei geholfen, uns in Renia zurechtzufinden.
„Sitzt meine Perücke richtig?“, fragte ich, als wir vor der Tür vom Nachbarhaus standen.
Lloyd nickte. „Perfekt.“
Ich klingelte, als uns die pummelige, schwarzhaarige Nachbarin auch schon öffnete. „Mia! Lloyd! Meine Lieben, kommt doch rein!“, rief sie und drückte uns der Reihe nach.
„Danke, Elly“, keuchte ich unter ihrem festen Druck.
„Oh nein, tue ich dir weh?“, fragte sie entsetzt und ließ mich los. „Ich will ja nicht, dass eurem süßen, kleinen Kind was passiert.“
„Alles okay“, beruhigte ich sie.
Sie strich ihr geblümtes Kleid zurecht und strahlte mich an. „Ein Glück. Dann ab ins Esszimmer, ihr kennt den Weg ja. Das Essen ist angerichtet.“
„Ist Lloyd da?“, rief eine kindliche Stimme, gefolgt von schnellen Schritten. Im nächsten Moment stand der zwölfjährige Junge auch schon bei uns. „Lloyd!“
„Hi, Quirin“, begrüßte mein Freund ihn und schlug bei ihm ein. „Alles klar bei dir?“
„Und ob! Ich hab morgen schulfrei“, erzählte der schlaksige Junge.
„Klingt sehr gut“, kommentierte Lloyd, während wir ins Esszimmer gingen.
„Hallo, Mia“, begrüßte mich Quirin nun ebenfalls. „Du bist dicker geworden.“
„Quirin, das sagt man nicht zu einer schwangeren Frau!“, ermahnte Elly ihn sofort und legte schnell einen Arm um mich. „Mia, du siehst hinreißend aus, wirklich! Du strahlst richtig!“
„Schon gut, ist alles in Ordnung“, wimmelte ich sie ab und zwang mich zu einem Lächeln. Als würde ich es einem Zwölfjährigen übel nehmen, wenn er ehrlich zu mir war. „Schön, dich zu sehen, Quirin.“ Der Junge grinste mich an, bevor er weiter mit Lloyd plauderte.
Als wir das Esszimmer betraten, erhob sich Ellys Mann Burkhard von seinem Stuhl, um uns die Hand zu reichen. „Guten Abend.“
„Ebenso“, antwortete Lloyd.
Ich nickte dem Mann nur zu. Ich fand den Oberschullehrer ehrlich gesagt sehr anstrengend und erschreckend ernst ‒ sogar äußerlich. Er trug immer Anzug und Krawatte, hatte ganz kurze Haare und eine Brille. Ich fragte mich oft, wie es seine Frau mit ihm aushielt.
„Bedient euch“, forderte Elly uns auf, nachdem wir uns hingesetzt hatten. „Es gibt vegetarisches Risotto mit Gemüse aus unserem eigenen Garten.“
„Wow, das sieht lecker aus“, freute ich mich. „Und vielen Dank, dass es extra was Vegetarisches gibt.“
„Nicht doch, meine Liebe, das mach ich gerne“, lachte sie.
„Mama sagt immer, wenn jemand schwanger ist, soll man Rücksicht nehmen“, äußerte sich Quirin.
Ich seufzte leise. Elly war lieb, aber diesbezüglich auch ein wenig eigen. „Sei still beim Essen, wenn dich niemand zum Reden auffordert“, verlangte Burkhard. „Und iss.“
„Ja, Papa“, murmelte der Kleine eingeschüchtert.
Lloyd und ich tauschten einen betrübten Blick. Es ging wieder los ...
„Setz dich gerade hin, Quirin“, fuhr der Lehrer fort.
„Ja, Papa“, wiederholte sein Sohn.
Elly räusperte sich. „Wie ... wie läuft es denn in der Arbeit, Mia?“
„Gut“, begann ich zu erzählen. „Es gibt immer was zu tun in der Praxis. Vor allem Frau Hana hat endlos viele Aufgaben für mich.“
„Dabei wollte sie dich erst gar nicht einstellen“, lachte meine Nachbarin. „Wie gut, dass sie ihre Meinung geändert hat.“
Lloyd lächelte. „Wenn man erst mal sieht, wie Mia mit Animalia umgeht, muss man sie einfach in einer Animaliaarztpraxis einstellen.“
„Das hat Frau Hana auch gesagt“, bestätigte ich. „Sie meinte, sie wollte nie eine Assistentin, aber ich wäre echt praktisch. Es war mein Glück, dass es gerade einen Notfall gab, als ich mich in der Praxis vorgestellt habe.“
„Was für einen Notfall?“, fragte Quirin.
„Hör auf zu zappeln“, ermahnte ihn sein Vater.
„Ja, Papa ...“
„Da war ein aggressives Nekota, das Herrn Hana verletzt hat“, erzählte ich und lächelte den Jungen aufmunternd an. „Ich konnte es beruhigen.“
Quirin grinste. „Ich hätte auch gern ein Nekota. Oder einen Feuerhund.“
„Hier gibt es keine Hausanimalia“, brummte Burkhard.
„Ja, Papa, ich weiß.“
„Kann ich dich nach dem Essen kurz mit Elly und Burkhard allein lassen?“, flüsterte Lloyd mir zu. „Ich würde gerne eine Runde mit Quirin spielen.“
„Mach das“, antwortete ich leise. „Der arme Kerl braucht dringend etwas Spaß ... Dafür halte ich die zwei in Schach.“
Lloyd spielte öfter mal mit Quirin, entweder draußen oder an der Spielkonsole. Der Junge unternahm wahnsinnig gerne etwas mit meinem Freund, was mich nicht wunderte, wenn ich mir anschaute, wie seine Eltern mit ihm umgingen.
„Und wie läuft es bei deinem Job, Lloyd?“, erkundigte sich Elly. „Es muss doch grässlich sein im Krankenhaus! Immer diese Verletzten!“
„Ähm, mir gefällt die Arbeit“, antwortete er. „Nur der Schichtdienst ist manchmal etwas blöd.“
„Falls du mal nicht zu Hause sein kannst, Mia aber Hilfe braucht, dürft ihr euch jederzeit bei mir melden“, bot sie an.
Ich nickte ihr zu. „Lieb von dir.“
„So, wer will Nachtisch? Ich habe Schokoladencreme gemacht.“
„Ich!“, rief Quirin.
„Rede leiser“, verlangte sein Vater.
„Ja, Papa ...“
Es dauerte nicht lange, bis Lloyd und Quirin zum Spielen ins Zimmer des Jungen gingen und ich mit dessen Eltern allein am Tisch zurückblieb.
„Kann ich dir noch eine Portion Schokoladencreme anbieten, Mia, meine Liebe?“
„Ja, gerne“, stimmte ich zu. „Für Süßigkeiten habe ich derzeit eine Schwäche.“
„Waren es letzte Woche nicht noch Chips?“, kicherte sie, als sie meine Schale auffüllte.
„Das ändert sich ständig“, gestand ich.
„So ging es mir auch. Aber das Schlimmste waren meine Launen“, erinnerte sich Elly.
„Das kannst du laut sagen“, meldete sich Burkhard zu Wort.
„Ich habe mich so oft entschuldigt, dass ich dir diesen Föhn an den Kopf geworfen habe, Schatz“, jammerte sie.
Ich musste mich wirklich zusammenreißen, um bei der Vorstellung nicht lauthals zu lachen. Ich fand, Elly dürfte Burkhard ruhig öfter mal was an den Kopf werfen, und wenn es nur Worte waren. Denn dieser Mann glaubte tatsächlich, er hätte die Weisheit mit Löffeln gefressen und dürfte sich darum alles erlauben. Neulich hatte er Lloyd sogar unterstellt, dumm zu sein. Ausgerechnet demjenigen, der sein Abitur schon mit 14 gemacht hatte. Mit 14! Lloyd war vieles, aber ganz bestimmt nicht dumm. Und mir hatte dieser Blödmann vorgeworfen, nicht rechnen zu können, weil ich mich im Datum geirrt hatte. Darüber könnte ich mich immer noch aufregen.
Schnell schaufelte ich mir ein paar Löffel der Nachspeise in den Mund, um mich abzulenken. Es war wirklich schwierig, ein guter Nachbar für diese schräge Familie zu sein ...
„Hast du heute in den Nachrichten gesehen, was im Bezirk der Ranger los ist?“, wechselte Elly das Thema. „Wirklich erschreckend, nicht wahr?“
Unwillkürlich schluckte ich schwer. „Ähm, nein, das habe ich nicht verfolgt ... Ich will auch ehrlich gesagt nicht wissen, was da passiert.“
„Kein Wunder, nachdem du und Lloyd vor diesem Krieg geflohen seid. Eine gute Entscheidung“, lobte sie mich. „Im Bezirk der Ranger kann man doch keine Familie mehr gründen.“
„Die wirtschaftlichen Entwicklungen sind bedenklich“, äußerte sich Burkhard. „Es ist nicht mal absehbar, ob sich der Krieg vielleicht noch auf die äußeren Provinzen ausweitet. Wie konnte sich überhaupt diese Verbrecherorganisation unter dem Schutz der ach so tollen Ranger gründen?“
„Ja, wirklich!“, stimmte Elly ihm zu. „Ein Glück, dass es in Renia noch sicher ist. Sollen die Ranger doch machen, was sie wollen.“
Betrübt blickte ich auf den Esstisch. Ich wünschte, die Geschehnisse in meiner Heimat wären mir wirklich so egal, wie ich immer behauptete.
„Aber sag mal, hast du morgen nicht einen Arzttermin?“, fragte Elly.
Erstaunt über den abrupten Themenwechsel nickte ich. „Ja, Ultraschall und alles. Ich hab mir extra den Tag freigenommen und Lloyd hat seine Schicht getauscht, damit er dabei sein kann. Dafür muss er dann die Nachtschicht machen.“
„Ihr seid so ein schönes Paar“, seufzte die pummelige Frau. „Bestimmt werdet ihr gute Eltern. Und ihr könnt immer auf uns zählen.“
Ich lächelte gerührt. „Lieb von dir, Elly. Das wissen wir doch.“ Auch wenn wir unsere Nachbarn bezüglich unserer Identitäten belügen mussten, war es schön, ein paar Kontakte hier zu haben. Das schätzte ich wirklich.
„Mia, spielst du mit uns?“, rief plötzlich eine helle Stimme und Quirin rannte herbei. „Ich brauch deine Hilfe, um Lloyd zu besiegen!“
Ich schmunzelte und stand auf. „Na klar, zusammen machen wir ihn fertig!“
„Hör auf, zu rennen und zu schreien, Quirin“, ermahnte ihn Burkhard.
„Ja, Papa ...“
Als ich dem Ehepaar den Rücken kehrte, verdrehte ich die Augen. Der Junge tat mir wirklich leid. Gemeinsam mit Quirin ging ich in sein Zimmer, wo Lloyd an der Spielkonsole saß.
„Nicht mal mit Unterstützung kannst du gewinnen“, lachte mein Freund.
Quirin grinste breit. „Abwarten!“
„Genau, Lloyd, pass lieber auf“, warnte ich ihn.
Der Junge holte ein weiteres Kissen, damit ich mich ebenfalls direkt vor den Bildschirm setzen konnte. Lloyd stand sogar auf, um mir beim Hinsetzen zu helfen. Beherzt griff ich nach einem Gamepad. „Los geht’s!“
Erst nach über einer weiteren Stunde verabschiedeten wir uns von unseren Nachbarn. Elly hatte mir ein paar Essensreste mitgegeben, damit wir morgen nicht kochen mussten. Burkhard reichte uns mit ausdruckslosem Gesicht die Hand. Quirin sah aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen, weil wir gingen.
„Bitte versprich mir, dass wir niemals solche Eltern werden!“, schnaubte ich später im Bett und drehte mich zu Lloyd um.
„Also, sollte ich mit unserem Kind so schrecklich umgehen, wie Burkhard es mit Quirin macht, verpass mir bitte eine Ohrfeige“, brummte er und legte einen Arm um mich.
„Solange ich das nicht ignoriere, wie es Elly tut, wirst du eine Ohrfeige von mir bekommen“, versprach ich lachend und schmiegte mich an ihn.
Er strich mir durchs Haar. „Wir werden schon nicht so“, beruhigte er mich und griff an mir vorbei, um das Nachttischlicht auszumachen. „Erst recht nicht, nachdem wir unsere Nachbarn live erlebt haben.“
„Das hoffe ich doch“, seufzte ich und schloss die Augen. „Sag mal, kann ich dich was fragen?“
„Klar, was denn?“
„Ich wollte dich mit dem Thema eigentlich in Ruhe lassen, aber es geht mir nicht aus dem Kopf“, gestand ich.
„Muss ich mir Sorgen machen?“, entgegnete er.
„Nein, nein“, antwortete ich schnell. „Ich wollte nur wissen, warum du ... nicht schon früher gegen die Schattenbringer rebelliert hast, nachdem dich mein Vater in die Organisation gezwungen hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du nur brav seine Befehle befolgt hast.“ Das passte einfach nicht zu Lloyd.
Kurz blieb es still im dunklen Zimmer. „Hm. Schwer zu sagen“, flüsterte mein Freund dann. „Am Anfang war ich echt eingeschüchtert und hab mich nicht getraut, was zu unternehmen. Ich meine, ich war 14 und völlig überfordert mit der Situation. Danach bin ich sauer geworden und wollte mich wehren, aber Erik hat mir gedroht. Er wollte mir und meinen Eltern was antun, falls ich ihm nicht gehorchen sollte.“
„Aber Fiona und Nico sind doch seine Freunde!“, wandte ich entsetzt ein.
Lloyd drückte mich etwas fester an sich. „Seine Organisation ist und bleibt aber das Wichtigste für ihn. Ich war eine Gefahr, denn ich war nicht völlig loyal und hätte ihn jederzeit verraten können. Und damit ich das nicht tue, hat er meiner Familie gedroht und mich so tief in die Verbrechen der Schattenbringer hineingezogen, dass ich nicht mehr rauskam. Darum hat er mich zum zweiten Chef gemacht. Die Lage war echt ... vertrackt.“
Ich schluchzte laut auf. „Dieses verdammte Monster! Wenn ich ihn je wiedertreffen sollte, werde ich ihn ...“
„Ganz ruhig, Mia“, unterbrach er mich und legte mir seinen Zeigefinger auf die Lippen. „Reg dich nicht auf. Wir wollten das Thema doch sowieso ruhen lassen. Denk lieber an morgen.“
Ich lächelte schief. „Ja, morgen wird schön.“ Nach Ellys heutiger Bemerkung hatte ich mir allerdings ganz automatisch schon wieder Gedanken um die Ranger und Schattenbringer gemacht. Selbst mit so vielen Kilometern Abstand kam ich nicht völlig von meiner Heimat los. Aber je länger wir in Renia lebten, umso mehr würde die Vergangenheit in Vergessenheit geraten. Hoffentlich.
„Ich freue mich auch schon drauf“, bekannte Lloyd. „Spätes Frühstück, dann zum Arzt und in den Park. Jetzt sollten wir schlafen, sonst sind wir morgen völlig erschöpft. Und ich muss die Nachtschicht durchhalten.“
„Ja, stimmt“, flüsterte ich. „Gute Nacht.“ Ich streckte mich ein wenig, um Lloyd zu küssen. „Ich liebe dich.“
„Ich dich auch“, antwortete er und strich mir sanft über den Rücken. „Schlaf gut, Mia.“
Und während ich in seinen Armen lag, verdrängte ich langsam die Sorgen, die mich von Neuem ergriffen hatten, bis ich endlich einschlief.
„Habe ich schon mal erwähnt, dass ich deine Pfannkuchen liebe?“, lachte Lloyd und schob sich eine weitere Gabel davon in den Mund.
„Nur ungefähr zehnmal heute Morgen“, entgegnete ich amüsiert und griff zur Erdbeermarmelade, um meinen Pfannkuchen damit zu bestreichen.
„Ich sollte mehr üben“, grübelte er plötzlich. „In der Küche bin ich immer noch ziemlich mies ...“
„Deine Nudeln mit Soße sind aber hervorragend“, lobte ich ihn. „Und Pizza kriegst du inzwischen auch hin.“
Er grinste. „Besser als früher, ja. Das Spülen übernehme ich heute.“
„Oh, super!“, freute ich mich. „Dann kann ich Shadow rufen. Danke!“
„Ist doch das Mindeste für so ein gutes Essen“, meinte er und sammelte unsere inzwischen leeren Teller ein. „Viel Spaß mit Shadow.“
Ich stand auf und nickte. „Danke. Komm einfach ins Wohnzimmer, wenn du fertig bist.“
Ich setzte mich aufs Sofa und legte meine Hände über meinen dicken Bauch. Leise seufzte ich, bevor ich tief durchatmete und Shadows Melodie anstimmte. Das Lied von der tiefen Finsternis und dem kleinen, kaum merklichen Licht. Es dauerte nicht lange, bis ich mich schwach fühlte. Ich hatte das Lied nicht mal bis zum Ende gesungen, da erschien der Schattenkreis mitten im Raum. Das Dämonenoberhaupt schwebte heraus und fixierte mich mit seinen schwarz umrandeten weißen Augen. „Hallo Shadow!“
„Hallo Mia“, antwortete er und streckte einen seiner nebligen Arme nach mir aus. Sein ganzer Körper bestand aus Nebel, der um eine stabile Mitte waberte. Doch wenn man genauer hinsah, ließen sich seine Arme und sein Kopf recht gut erkennen. Als der Dämon seine Hand auf meine Schulter legte, wurde alles um mich herum schwarz. Shadow war eben der Herr über die Finsternis.
„Du freust dich“, stellte ich über unsere Verbindung fest. „Ist etwas passiert?“
„Ich habe neue Briefe für dich“, erzählte er und ließ mich los, sodass die Farben um mich herum zurückkehrten. „Einen aus Windfeld und einen aus Färnau.“
Augenblicklich strahlte ich übers ganze Gesicht. „Wirklich? Melodia und Fiona haben geschrieben?“
„So ist es“, bestätigte er und reichte mir zwei Umschläge. „Celeps holte die Briefe gestern ab und gab sie mir.“
„Wahnsinn!“, jubelte ich und sah die Kuverts begeistert an. Mithilfe der Fiorita hatten wir einen Weg gefunden, ohne das Wissen der Ranger miteinander zu kommunizieren. So konnten wir uns immerhin manchmal austauschen. „Mal sehen, was sie schreiben.“
Der Dämon grinste breit. „Ich dachte mir, dass es dir Freude bereiten würde. Wie geht es dir ansonsten?“
„Ich fühle mich fett“, lachte ich.
„Und du bist besorgt“, ergänzte er. „Du kannst es vor mir nicht verbergen.“
„Ich weiß“, flüsterte ich. Unsere Verbindung verriet mich jedes Mal.
„Wir würden dir erzählen, wenn es eine wichtige Entwicklung im Krieg gäbe“, versprach er. „Genieße im Moment den Abstand, den du dazu hast.“
„Ich kann nicht anders, als mich um meine Freunde zu sorgen. Und ich frage mich, wie es meiner Mutter geht“, gestand ich.
Shadow zögerte kurz. „Über deine Freunde hat dir Melodia sicher in ihrem Brief berichtet. Bei Cassandra gibt es keine Veränderung.“
„Also isoliert sich Mama immer noch?“, murmelte ich.
Der Dämon nickte. „Sie hat den Schock noch nicht überwunden. Dein Vater versucht täglich, mit ihr zu reden, doch sie weigert sich.“
„Immerhin das ist vernünftig“, brummte ich. „Mit Papa würde ich auch nichts zu tun haben wollen.“ Um mich nicht in Rage zu reden, öffnete ich den Brief von Melodia. „Gibt es bei euch Fiorita was Neues?“
„Nur das Übliche. Luna ist ein wenig gestresst“, fiel ihm ein. „Ihr Bruder Sol streikt und kümmert sich nicht mehr um das Sonnenlicht, darum muss sie mal wieder Mond und Sonne lenken.“
Ich schloss die Augen. „Sol, reiß dich zusammen“, dachte ich. „Und ärgere deine Schwester nicht so.“
„Ja, ja, ich überleg’s mir“, ertönte die Stimme des flauschigen gelben Geistes in meinem Kopf. „Vielleicht.“
„Na, immerhin“, dachte ich und öffnete die Augen wieder, um Shadow anzusehen. „Mal sehen, ob das was bringt.“
„Luna wird es dir danken“, lachte der Dämon. „Und was schreibt deine beste Freundin? Neuigkeiten aus der Zweigstelle Windfeld?“
Ich las den Brief durch, wobei mir der Mund aufklappte. „Wahnsinn! Es ist echt viel passiert. Ulrich arbeitet ohne Ende, Jakob hat sich den Korb seines Lebens von einer Technikerin aus dem Hauptquartier geholt und Haru hat nach einer Feier aus Versehen mit James geschlafen und bereut es jetzt zutiefst. Ich glaub es nicht! Haru und James! Dabei wollte sie nie was mit diesem Frauenheld zu tun haben!“ Fassungslos schüttelte ich den Kopf. „Das wird bei der Arbeit ab jetzt bestimmt unangenehm ...“
„Wahrscheinlich wird James so bald keinen Innendienst mehr machen, um ihr aus dem Weg zu gehen“, vermutete Shadow.
„Ich glaube eher, Haru wird alles tun, um ihm aus dem Weg zu gehen. Nicht umgekehrt.“ Ich fuhr mir durchs orange-braune Haar. „Die Arme. Bestimmt hat sie zu viel getrunken. Aber bei Melodia und Mark läuft es super, immerhin. Am besten schreibe ich gleich heute Abend zurück, schon allein um Haru ein wenig aufzumuntern.“
„Sie freut sich bestimmt über jede Ablenkung.“ Shadow schwebte ein wenig durchs Wohnzimmer, bevor er wieder vor mir stehen blieb. „Gib deinen fertigen Brief Celeps, er liefert ihn dann ab, wenn sich eine gute Gelegenheit ergibt.“
Ich lächelte ihn an. „Ich wüsste nicht, was ich ohne euch tun sollte. Dank euch habe ich noch Kontakt zu den anderen in der Zweigstelle. Und dank euch können wir mit Fiona und Nico schreiben.“
„Wir helfen dir doch gerne“, entgegnete er.
Langsam wurde mir schwindlig. „Oh, Shadow, ich fürchte ...“
„Ich spüre es gerade. Deine Kräfte lassen nach. Am besten verlasse ich Fioria“, beschloss er. „Wir sehen uns bald wieder.“
„Es tut mir leid, dass ich euch nur so kurz zu mir rufen kann“, wisperte ich, wobei mir Tränen in die Augen stiegen. „Es tut mir so leid!“
„Du musst deswegen doch nicht weinen“, rief der Dämon und legte mir beide Hände auf die Schultern. „Ich bin dir nicht böse, keins der Fiorita ist es. Wir verstehen es doch. Und wir wissen, dass du uns wieder öfter und länger rufen wirst, wenn dein Kind zur Welt gekommen ist.“
Da ich um mich herum nur Finsternis sah, schreckte ich zusammen, als mich plötzlich noch jemand berührte. Ich spürte zwei Arme, die mich einhüllten, und erkannte sofort den Geruch. „Lloyd?“, murmelte ich.
„Was hast du denn?“, fragte er besorgt.
„Es ... es ist nichts“, stammelte ich.
Shadow ließ mich wieder los. „Ich lasse euch allein. Mach dir keine Sorgen, Mia, ja?“
„Okay“, schniefte ich. Daraufhin verschwand der Dämon mitsamt seinem Schattenkreis und ließ mich mit Lloyd allein. Sofort fühlte ich mich kräftiger, der Schwindel hörte auf.
„Warum weinst du?“, wollte mein Freund wissen. Prüfend ruhten seine blauen Augen auf mir. „Stimmt was nicht?“
Wahrscheinlich sorgte er sich so sehr, weil ich mich anfangs in Renia jede Nacht in den Schlaf geweint hatte. Der Neuanfang war mir schwergefallen. Aber darum ging es gerade nicht. „Ich bin nur ... traurig, weil ich die Fiorita nicht lange bei mir halten kann.“
„Ach so, die Hormone mal wieder“, lachte er und drückte mich fest. „Okay, ich dachte, es wäre was Schlimmes.“
„Es ist schlimm, dass ich die Dämonen und Geister immer so schnell wegschicken muss“, widersprach ich schluchzend. „Du verstehst das einfach nicht!“
„Ich bin ja auch nicht mit den Fiorita verbunden“, antwortete er ruhig. „Aber ich glaube dir, dass es schwer für dich ist. Noch knapp fünf Monate, dann ist alles beim Alten. Oder nicht?“
Ich schniefte leise. „Ja ...“
Sein Blick fiel auf die Briefe. „Oh, Nachrichten aus Windfeld?“
„Und aus Färnau“, ergänzte ich mit rauer Stimme. „Von deinen Eltern.“
„Was schreiben sie denn?“, fragte er und griff nach dem Umschlag.
„Ich hab noch nicht reingeschaut. Machst du ihn auf?“, bat ich.
„Klar“, stimmte er zu und holte das Schreiben raus. „Bei ihnen ist alles gut, Fionas heiliger Vorgarten blüht, aber sie vermissen uns.“
„Kein Wunder, wir haben uns seit Monaten nicht gesehen.“ Ich warf einen Blick auf den Brief. „Hoffentlich treffen wir uns mal wieder.“
„Vielleicht können wir meine Eltern nach der Geburt hierher einladen“, grübelte Lloyd. „Wenn du sie mit Visunerm teleportieren kannst.“
Ich nickte. „Das wäre echt super! Der Geist des Raumes hilft uns bestimmt und so gibt es keinen schriftlichen Hinweis auf unseren Aufenthaltsort.“
„Und meine Eltern sehen ihr Enkelkind.“
„Das müssen sie!“ Immerhin waren Fiona und Nico zwei der wenigen Leute, die alles wussten und trotzdem hinter uns standen. Wobei mich ihre Reaktion, als wir ihnen alles gebeichtet hatten, wirklich überrascht hatte.
***
„Mia! Lloyd! Ich wusste gar nicht, dass ihr heute kommen wolltet“, begrüßte uns Fiona. Sie winkte uns ins Haus. „Kommt rein, es ist kalt draußen!“ Die etwa 45-jährige Frau schien gerade aus der Dusche zu kommen, jedenfalls waren ihre langen roten Haare nass, außerdem trug sie einen Schlafanzug.
„Entschuldige die späte Störung, Mama“, entgegnete Lloyd.
„Ist doch kein Problem. Ihr seht schrecklich fertig aus. Stimmt was nicht?“, erkundigte sie sich, als sie hinter uns die Tür schloss.
Lloyd blieb auf dem Gang mit den unzähligen Türen stehen. Ich kannte mich in diesem Haus immer noch nicht richtig aus. Es gab zu viele Zimmer. „Wir müssen mit dir und Papa reden. Dringend.“
Beunruhigt sah Fiona uns an. „Habt ihr was angestellt?“
„Hat meine Mutter dich noch nicht angerufen?“, erkundigte ich mich.
Sie schüttelte den Kopf. „Von Cassandra hab ich seit ein paar Tagen nichts gehört. Was ist denn los?“
„Hol Papa, wir setzen uns für das Gespräch besser ins Wohnzimmer“, schlug Lloyd vor.
„Ja, ist gut“, murmelte sie und lief über den Gang in eins der Zimmer.
Lloyd stellte seinen Rucksack an der Garderobe ab, ich tat es ihm gleich. Dann nahm er meine Hand. „Komm.“
„Das wird unschön“, murmelte ich.
„Wahrscheinlich ... Ich wette, Fiona verpasst mir eine Ohrfeige“, seufzte er und zog mich hinter sich her zum Wohnzimmer.
Der Raum wirkte einladend, geflutet von orangem Licht und herrlich warm. Ganz anders als die winterliche Nacht draußen. Wir setzten uns auf eins der beiden Sofas, die von einem Couchtisch getrennt wurden. Es lag eine Tüte Chips auf dem Tisch, direkt neben einer offenen Packung Kekse und einer Fernbedienung.
„Meinst du wirklich?“, fragte ich meinen Freund. „Ich glaube eher, dass sie völlig schockiert sein wird.“
„Oh Mann, ich weiß echt nicht, wie ich meinen Eltern das alles beibringen soll ...“
„Was willst du uns denn beibringen?“, meldete sich Fiona plötzlich zu Wort.
Ertappt drehten wir uns zur Zimmertür um. Fiona und der braunhaarige Nico, der ebenfalls einen Schlafanzug trug, kamen herein. Beide wirkten skeptisch.
„Setzt euch doch“, forderte Lloyd sie auf.
Ich drückte seine Hand fest. „Wir schaffen das schon.“
Er lächelte mich an. „Danke, Mia.“
Fiona und Nico nahmen uns gegenüber auf dem zweiten Sofa Platz. „Was ist hier los?“, wiederholte Fiona ihre vorherige Frage.
„Mama, Papa, passt mal auf“, begann Lloyd zögerlich. „Es ist echt viel passiert. Wo fange ich denn an ... äh ... ich hab euch angelogen, ziemlich lange. Was meine Arbeit angeht.“
„Wovon redest du?“, wunderte sich Nico. „Bist du etwa kein Ranger?“
„Nein, nicht ganz. Der einzige Ranger im Raum ist Mia“, gestand er.
„Na ja, ich bin inzwischen gefeuert worden und auf der Flucht“, wandte ich ein.
„Was?!“, riefen seine Eltern wie aus einem Mund.
„Also, noch mal von vorne“, murmelte er und sah mich lange an.
Unbehaglich schluckte ich. „Packen wir aus, Lloyd.“
Es dauerte lange, seinen Eltern alles zu erzählen. Wir berichteten von unserer früheren Arbeit, von den Rangern und Schattenbringern, von dem wahren Job meines Vaters, von Cassandras Reaktion und meiner Identität als Mädchen aus der Legende. Wir ließen nichts aus, obwohl die Gesichter der beiden immer entsetzter aussahen.
„Du hast in einer Verbrecherorganisation gearbeitet? In einer Organisation, die Erik gegründet hat und leitet?“, keuchte Nico. Lloyd nickte.
„Und d...d...du bist das Mädchen aus der Legende?“, stammelte Fiona. „Du warst illegal als Ranger tätig?“ Jetzt war ich dran, zu nicken.
„Und jetzt seid ihr beide auf der Flucht?“, vergewisserte sich Nico.
„Wir sind beide gesuchte Verbrecher“, flüsterte ich. „Die Schattenbringer haben den Rangern den Krieg erklärt. Wir müssen weg. Es ist genug.“
„Ich fass es nicht!“ Fiona raufte sich das inzwischen trockene Haar. „Lloyd, du ... ich hätte nie gedacht, dass ...“
Er starrte zu Boden. „Es tut mir leid, Mama. Wirklich. Ich konnte nichts sagen. Erik hat mich bedroht.“
„Das hätte ich nie von ihm gedacht“, äußerte sich Nico. „Er hat doch immer behauptet, er würde als Schreiner arbeiten.“
„Aber er hat gelogen“, schluchzte ich. „Er hat nur gelogen, jahrelang hat dieser Mistkerl nichts anderes getan!“
„Ganz ruhig“, redete Lloyd auf mich ein und umarmte mich fest. „Bald sind wir hier weg.“
„Wohin wollt ihr überhaupt fliehen?“, flüsterte Fiona. „Was habt ihr vor?“
„Wir müssen den Bezirk der Ranger verlassen“, erklärte Lloyd. „Wenn wir hierbleiben, werden wir irgendwann geschnappt. Die Ranger sind hinter Mia her, weil sie das Mädchen aus der Legende ist. Die Schattenbringer wollen sich an mir rächen. Vor allem will Erik mich von Mia trennen.“
„Ihr geht in die äußeren Provinzen?“, rief Nico.
Ich nickte. „In eine der friedlichen, ja. Nur da, wo die Ranger keinen Einfluss haben, sind wir in Sicherheit.“
„Ihr könnt wirklich nicht hierbleiben?“ Fiona sah uns besorgt an. „Wenn ihr vielleicht öfter mal umzieht, finden euch diese Organisationen bestimmt nicht. Ich will nicht, dass ihr verschwindet! Cassandra will das auch nicht, oder, Mia?“
Ich presste die Lippen zusammen. „Doch, das will sie. Sie will nichts mehr mit mir zu tun haben, seit sie alles erfahren hat.“ Meine Stimme versagte.
„Sie ist ausgeflippt“, erzählte Lloyd an meiner statt weiter. „Sie hat die ganze Geschichte nicht so gut verkraftet.“
„Kein Wunder“, murmelte Nico. „Dass Erik so etwas tut ...“
„Außerdem können wir nicht ständig umziehen“, wechselte ich das Thema. „Es wäre zu teuer und zu anstrengend. Und nicht gut für ...“
„Für wen?“, hakte Fiona nach, als ich verstummte.
Lloyd legte mir eine Hand auf den Bauch. „Für unser Kind.“
Seinem Vater klappte der Unterkiefer runter und Fionas Augen weiteten sich. Keiner der beiden brachte einen Ton heraus.
„Ich bin schwanger“, wisperte ich. „Darum müssen wir hier weg. Weg vom Krieg, weg von dem Chaos, einfach weg und neu anfangen.“
„Wir wollten nur, dass ihr das alles von uns erfahrt. Bevor euch die Ranger befragen oder Cassandra euch davon erzählt, während sie noch so ... hysterisch ist“, erklärte Lloyd. „Aber, bitte, verratet niemandem, dass wir heute hier waren. Und behaltet für euch, was wir euch gesagt haben.“
Fiona und Nico sahen sich lange an. Plötzlich stand Fiona auf und lief aus dem Zimmer. Verwirrt starrten wir ihr hinterher, doch da kam sie schon zurück und drückte Lloyd einen Schlüssel in die Hand. „Nimm. Das wird euch helfen.“
Er erhob sich vom Sofa. „Dein Auto? Wirklich?“
Tränen stiegen ihr in die Augen, doch sie nickte. „Bringt euch in Sicherheit. Ich will, dass es euch gut geht. Euch dreien. Aber meldet euch bei uns!“
„Danke!“, rief Lloyd und umarmte sie fest. „Danke, Mama!“
„Wenn uns die Ranger befragen, wissen wir von nichts“, äußerte sich Nico und stand ebenfalls auf, um seine Frau und seinen Sohn in die Arme zu schließen.
„Ihr seid die Besten“, flüsterte Lloyd.
Wehmütig betrachtete ich die drei. Wie sehr wünschte ich mir, meine Mutter hätte genauso reagiert ... So verständnisvoll, so liebevoll, so unterstützend.
„Komm, Mia“, forderte Fiona mich auf. Sie winkte mich zu sich. Verunsichert stand ich auf und ging einen Schritt auf Lloyds Familie zu. Da griff die Frau nach meiner Hand und zog mich in die Umarmung. „Pass gut auf dich auf, Liebes“, bat sie. „Wenn du etwas brauchst, kannst du dich jederzeit bei uns melden. Ob es jetzt Tipps zur Schwangerschaft, ein offenes Ohr oder irgendwelche Kleinigkeiten sind. Ganz egal!“
Nun bekam ich feuchte Augen. „Danke“, schluchzte ich.
„Ach was. Du gehörst zur Familie, das weißt du doch“, entgegnete sie.
„Wollt ihr heute Nacht hierbleiben?“, fragte Nico.
„Wir sollten sofort fahren“, lehnte Lloyd ab. „Die Ranger haben sicher längst gemerkt, dass Mia aus dem Gefängnis ausgebrochen ist. Sie werden bald darauf kommen, dass sie hier sein könnte. Und wenn wir heute Nacht durchfahren, sind wir morgen früh in Renia.“
„Renia?“, wiederholte Fiona. „Davon haben wir doch einen Reiseführer. Wir waren letztes Jahr dort, als wir unsere Weltreise gemacht haben. Es ist wirklich eine schöne, ruhige Provinz. Zwei große Städte, ansonsten nur Dörfer.“
Nico ließ uns los. „Ich hole den Reiseführer, vielleicht hilft er euch.“
„Danke, Papa.“
„Bist du gar nicht wütend, Fiona?“, erkundigte ich mich zaghaft.
„Ich bin schockiert“, entgegnete sie. „Ich bin wirklich schockiert. Aber ihr seid und bleibt meine lieben Kinder, alle beide. Und darum will ich, dass es euch gut geht. Euch und eurer kleinen Familie.“ Sie lächelte milde. „Ich werde euch unterstützen, so gut ich kann. Okay?“
„Wow, Mama, du ... du bist der Wahnsinn“, lachte Lloyd und drückte sie fest.
„Danke, Fiona“, schluchzte ich. „Danke!“
Sie reichte mir ein Taschentuch. „Nicht doch, Mia. Das ist selbstverständlich.“
Das sah meine eigene Mutter wohl anders ...
„Hier ist er“, riss Nico mich aus meinen trüben Gedanken. Er gab Lloyd den Reiseführer. „Für euch.“
Mein Freund blätterte das Büchlein auf, als ihm einige Geldscheine entgegenfielen. „Papa, was ...“
Nico lächelte schief. „Das ist auch für euch. Ihr werdet Geld brauchen, oder nicht? Essen, Benzin, Miete ...“
„Aber das ist zu viel!“, protestierte Lloyd.
„Nimm es schon“, motzte Fiona ihn an. „Ihr werdet es brauchen.“
„Danke, wirklich. Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, murmelte er.
„Etwas zu essen könnt ihr auch noch mitnehmen“, fiel seiner Mutter ein. „Ich hole schnell was.“
Lloyd und ich tauschten ein kleines Lächeln. Es tat gut, so viel Unterstützung zu erfahren. „Wenn wir das Auto nehmen, kannst du unterwegs ein wenig schlafen“, schlug mein Freund vor. „Du siehst echt müde aus.“
„Bin ich auch“, gestand ich. „Aber ist es echt in Ordnung, wenn du die ganze Nacht fährst?“
„Ja, ich bin fit genug. Und da du keinen Führerschein hast, muss ich so oder so fahren“, lachte er.
„Mich bringen die Fiorita überallhin ... Darum musste ich nie lernen, Auto zu fahren“, entgegnete ich.
„Der Tank ist voll, damit solltet ihr ein gutes Stück weit kommen“, vermutete Nico. „Braucht ihr sonst noch was?“
Lloyd schüttelte den Kopf. „Nein, Papa, ihr habt uns mehr als genug gegeben.“
„Wir wollen euch nicht noch tiefer in die ganze Sache hineinziehen“, flüsterte ich und umarmte Halt suchend meinen Freund.
Er strich mir über den Rücken. „Ja, das wäre besser.“
Fiona brachte uns eine große Tasche mit Lebensmitteln. „Hier, nehmt die mit. Es sind auch zwei Flaschen Wasser drin. Das reicht für die Fahrt.“ Lloyd schwang sich die Tasche über die Schultern.
„Wir machen das wieder gut“, versprach ich. „Irgendwann machen wir das wieder gut.“
„Das müsst ihr nicht“, winkte sie ab. „Passt nur gut auf unser zukünftiges Enkelkind auf, ja?“
Ich schlang mir die Arme um den Bauch. „Fest versprochen. Und wir finden einen Weg, uns bei euch zu melden.“
„Irgendwann wollen wir euren Nachwuchs aber kennenlernen. Wann werdet ihr zurückkommen?“, fragte Nico.
„Das können wir noch nicht sagen“, antwortete Lloyd. „Kommt ganz darauf an, wie es zwischen den Rangern und Schattenbringern weitergeht.“
„Aber vielleicht lässt sich irgendwann mal ein Treffen arrangieren“, merkte ich an. „Es wäre nur besser, wenn ihr unsere neue Adresse nicht kennt.“
„Damit ihr nicht noch mehr für uns lügen müsst“, murmelte Lloyd.
„Verstehe“, seufzte Fiona. „Hauptsache, wir hören von euch.“
„Das werdet ihr!“, versicherte ich ihr.
Sie umarmte uns so fest, dass es beinahe wehtat. „Ich wünsche euch alles Glück der Welt!“
Auch Nico drückte uns. „Dann seid vorsichtig und haut schon ab! Lasst euch nicht erwischen! Und bis bald.“
„Danke für alles“, wisperte ich.
„Ihr seid die Besten“, ergänzte Lloyd. „Ich hab euch lieb.“
„Und wir dich erst“, wisperte Fiona.
Die beiden begleiteten uns zu dem silbernen Wagen, dessen Schlüssel wir soeben bekommen hatten. Wir verstauten unsere Rucksäcke im Kofferraum, die Tasche mit den Lebensmitteln stellte ich in den Fußraum des Beifahrersitzes. Nach einer letzten Umarmung und einem schweren Abschied stiegen wir letztendlich ein.
Wir winkten Fiona und Nico zu, sie winkten zurück. Dann startete Lloyd den Motor und fuhr los, weg aus dem Bezirk der Ranger in Richtung der äußeren Provinzen. In unsere neue Heimat und unser neues Leben. Und obwohl mir eine Träne über die Wange kullerte, lächelte ich. Denn ich wusste, dass einige wundervolle Menschen hinter Lloyd und mir standen, egal, was passierte.