Читать книгу In Liebe und Hass - Fioria Band 3 - Maron Fuchs - Страница 17
Langersehntes Wiedersehen
Оглавление„Mia, wir sollten schlafen“, flüsterte Lloyd.
„Ich kann nicht“, wisperte ich verzweifelt. „Ich hab solche Angst. Morgen früh kommen wir echt in Windfeld an.“
Obwohl es dunkel im Hotelzimmer war, sah ich, dass seine blauen Augen auf mir ruhten. „Ich verstehe ja, dass du aufgeregt bist“, räumte er ein. „Aber was bringt es, wenn du übermüdet in die Zweigstelle gehst?“
„Bist du denn gar nicht nervös?“, entgegnete ich und nahm seine Hände in meine. Wir lagen in einem Doppelbett, einander zugewandt, und redeten so leise wie möglich, um Takuto im Kinderbett nicht zu wecken. „Du triffst vielleicht auf deine alten Kollegen. Wir werden möglicherweise verhaftet, weil wir gesuchte Verbrecher sind.“
„Für manche Sachen hätte ich es verdient, ins Gefängnis zu kommen“, murmelte er und ballte seine Hände zu Fäusten, sodass er meine Finger ein wenig einquetschte.
„Was meinst du?“, wunderte ich mich.
Er wich meinem Blick aus. „Ich hab dir doch gesagt, dass ich mich auf Eriks Befehl hin strafbar gemacht hab.“
Beruhigend strich ich ihm über den Handrücken, sodass er seinen Griff wieder lockerte. „Aber du hast nie erzählt womit.“
„Willst du es denn wirklich wissen?“, fragte er. „Auch wenn es ... hässliche Sachen waren?“
„Ich wüsste es schon gerne“, gestand ich. „Wenn du es nicht erzählen willst, ist es okay, dann dränge ich dich nicht dazu. Aber wenn doch, würde ich dir jederzeit zuhören.“ Ich pustete mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Und es würde nichts an meinem Bild von dir ändern, das verspreche ich dir.“
Kurz zögerte er.
„Na gut. Angefangen hat’s damit, dass ich ihn bei krummen Geschäften beschützen sollte. Ich hab ja schon lange vor der Ausbildung zum Schattenbringer mit dem Kampfsport angefangen. Und ich will gar nicht zählen, wie viele Knochen ich bei diesen Deals gebrochen habe, selbst wenn Eriks Geschäftspartner bloß einen anderen Preis oder irgendwelche kleine Änderungen wollten ...“
„Verdammt“, flüsterte ich, wütend auf meinen Vater und seine Methoden.
„Bald musste ich selbst solche Geschäfte abschließen, irgendwie grenzte das schon an Erpressung, was ich tun sollte“, fuhr er fort. „Ich hab’s aber gemacht. Manche Typen hatten es nicht besser verdient, das waren selbst Kriminelle und trotzdem ...“ Er seufzte betrübt. „Manchmal sollte ich neue Mitglieder anwerben. Mir tut immer noch jeder Einzelne leid, den ich in die Organisation gelockt habe.“
Mir wurde übel, als ich hörte, was mein Vater alles von Lloyd verlangt hatte.
„Und letztendlich hatte ich die Aufgabe, eine andere Gruppe von Verbrechern zu sabotieren. Die sind Erik gewaltig auf die Nerven gegangen, also sollte ich ihre Anführer so verschrecken, dass wir keine Probleme mehr mit ihnen hätten. Natürlich war das einzige Mittel dazu rohe Gewalt. Aber ich will nicht weiter ins Detail gehen“, schloss er die Erzählung.
Ich drückte seine Hände. „Dass du so was erleben musstest, tut mir schrecklich leid. Zum Glück bist du aus der Organisation rausgekommen.“
„Schönes Gefühl, wenn man nicht verurteilt wird“, hauchte er leise und legte seine Stirn an meine.
„Du hast das ja nicht freiwillig gemacht“, schnaubte ich. „Aber nach allem, was du wegen der Schattenbringer durchstehen musstest, allein wie sie dich fertiggemacht haben, weil du mir geholfen hast ... Willst du wirklich zurück? Ich weiß nicht, ob ich mich das an deiner Stelle trauen würde.“
„Ich will nicht einfach weglaufen“, erklärte er. „Und wenn unsere Rückkehr dafür sorgt, dass die Schattenbringer niemandem mehr schaden können, ist es das doch wert.“
„Wir müssen diese Bande aufhalten“, wisperte ich.
„Das werden wir“, versicherte er mir und küsste mich.
Sofort ging ich darauf ein, froh über diese süße Ablenkung in einer so finster erscheinenden Nacht. Lloyds Nähe tat so gut, sie ließ mich vergessen, was vor uns lag. Sie ließ mein Herz höher schlagen und die Nacht schneller vergehen. Ich umarmte ihn fester, wobei ich endlich zur Ruhe kam.
Ab morgen mussten wir stark sein.
Unablässig zupfte ich an meinem Pullover, während ich auf meine Jeans starrte. Seit wir das Ortsschild von Windfeld passiert hatten, wagte ich es nicht mehr, den Kopf zu heben und aus dem Fenster zu schauen.
„Glaubst du, du wirst sofort verhaftet, wenn du dich nicht zusammenkauerst?“, erkundigte sich Lloyd mit einem skeptischen Seitenblick auf mich.
„Ähm ... nein, die Sonne ist gerade erst aufgegangen. Ich bezweifle, dass die Ranger schon auf Patrouille sind“, antwortete ich. „Ich fühle mich nur so komisch hier.“
Er drückte meine Hand, als er an einer roten Ampel anhalten musste. „Du hast deine Freunde so vermisst. Freu dich doch auf sie.“
„Sagen wir einfach, ich hab gemischte Gefühle“, seufzte ich und sah ihn hilflos an. „Es ist so irreal, nach über einem Jahr zurückzukommen.“
„Du schaffst das.“ Er deutete durch die Windschutzscheibe nach vorn. „Schau mal, da ist die Zweigstelle schon.“
Geradezu wehmütig blickte ich das Gebäude mit dem kuppelförmigen Dach und der Glastür an. Hier hatte ich so viele Jahre gearbeitet ... und nun war ich tatsächlich zurück. Ich sah schon von Weitem, dass sich einige Gestalten darin bewegten. Die ersten Ranger traten zum Dienst an.
„Ich kann hier nirgends parken“, stellte mein Freund fest. „Ich lasse dich raus und komme mit Takuto nach, wenn ich einen Parkplatz habe, okay?“
Entsetzt starrte ich ihn an. „Ich soll allein reingehen?“
Er nickte. „Du kennst deine Kollegen doch am besten. Und so kannst du sie vorwarnen, dass ich auch komme. Ich bezweifle nämlich, dass sie einen ehemaligen Schattenbringer so herzlich begrüßen werden wie dich.“
Dass ich selbst nicht mit einer herzlichen Begrüßung von allen rechnete, verschwieg ich besser. „Okay, ich versuche es.“
Lloyd fuhr rechts ran, parkte in zweiter Reihe neben dem Dienstauto der Zweigstelle. „Raus mit dir.“
„Bis gleich“, flüsterte ich und küsste ihn.
Fest drückte er meine Hand. „Du schaffst das.“
„Danke.“ Ich schnallte mich ab und stieg aus. Nachdem ich die Tür geschlossen hatte, fuhr Lloyd weiter. Ich blieb kurz auf dem Gehweg stehen und musterte meinen alten Arbeitsplatz ausgiebig.
Ich war zurück. Mein Herz setzte bei diesem Gedanken einen Schlag aus, um daraufhin doppelt so schnell weiterzuschlagen. Nun musste ich mich meinen Kollegen stellen, die ich jahrelang belogen hatte. Und ich sah meine Freunde wieder, die mich jahrelang unterstützt hatten.
Halb glücklich, halb ängstlich näherte ich mich der Glastür. Sogar von außen konnte ich Melodia und Haru in ihren gelben Uniformen an den beiden Schreibtischen sitzen sehen. Ich erkannte den muskulösen, dunkelblonden Ulrich, der gerade die braune Jacke und das weiße Hemd seiner Ranger-Uniform richtete. Er sagte etwas, verteilte bestimmt die täglichen Aufgaben. Der schwarzhaarige Jakob lehnte an Melodias Schreibtisch, ebenso wie Mark, dessen aufstehende dunkelbraune Haare die Sicht auf Jakob etwas verdeckten. Außerdem befanden sich noch sieben andere Ranger im Raum. Lasse, Riku, Benjiro, Genta, Leo, James und Torben. Ich erkannte jeden von ihnen sofort.
Allerdings musste ich mich regelrecht dazu zwingen, die Zweigstelle zu betreten. Der letzte Schritt durch die Glastür kostete mich unendlich viel Überwindung, meine Beine fühlten sich tonnenschwer an. Doch ich biss die Zähne zusammen und ging hinein. Im ersten Moment bemerkte mich niemand. Alle hörten Ulrich zu, James suchte Blickkontakt zu Haru, diese drehte sich jedoch demonstrativ von ihm weg. Der dunkelhaarige Frauenheld wirkte deswegen ziemlich enttäuscht.
„Und du gehst mit mir auf Patrouille durch die Innenstadt, Jakob“, beendete Ulrich seine kurze Rede. „Alles verstanden?“
„Ähm, entschuldigt“, meldete ich mich zaghaft zu Wort. „Habt ihr kurz Zeit, bevor ihr an die Arbeit geht?“
Erschrocken drehten sich die meisten Ranger und die beiden Technikerinnen zu mir um. Torben und James, die nicht sehr lange mit mir zusammengearbeitet hatten, musterten mich fragend. Lasse, Riku und Benjiro starrten mich an, als hätten sie ein Gespenst gesehen. Genta und Leo klappte der Mund auf. Und meine lieben Freunde versteinerten regelrecht.
Ich bemühte mich um ein Lächeln. „Hallo, zusammen. Ich bin wieder da.“
Lange Zeit wurde ich nur angestarrt, fassungslos, skeptisch, überrascht. Es dauerte eine Ewigkeit, bis sich endlich jemand regte und die unheimliche Stille brach. „Mia!“, rief Melodia und stürmte blitzschnell auf mich zu. Sie schlang ihre Arme um mich. „Du bist es wirklich! Du bist blond, aber du bist Mia!“
„Es ist so schön, euch wiederzusehen“, wisperte ich erstickt und erwiderte die feste Umarmung. „Hallo Melodia. Du siehst wirklich gut aus.“
Ihre strahlend grünen Augen fixierten meine, Tränen bildeten sich darin. „Ich fasse es nicht! Du bist hier!“
Auch Haru riss sich endlich aus ihrer Trance, stand vom Schreibtisch auf und lief zu uns, um sich an der Umarmung zu beteiligen. „Du hast mir so gefehlt!“, schluchzte sie.
Allmählich fiel es mir schwer, nicht ebenfalls in Tränen auszubrechen ... Ich drückte meine blonde Grundschulfreundin und die dunkelhaarige Haru so fest wie möglich an mich. „Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie sehr ich euch vermisst habe!“
„Das ... das kann doch gar nicht ...“, stammelte Ulrich. „Bist du es wirklich?“
Vorsichtig löste ich mich von meinen Freundinnen, um mir die Perücke vom Kopf zu ziehen. Ich legte sie auf einen der Schreibtische und strich mir durchs offene orange-braune Haar. Dann lächelte ich den Stationsleiter an. „Klar. Wer wäre sonst so verrückt, trotz der Fahndung direkt zu den Rangern zu kommen?“
„Verdammt, Mia, du hast uns echt lange warten lassen“, murrte er und schloss mich gleich darauf in seine Arme. „Es ist so gut, dich wohlauf zu sehen!“
Leise schniefte ich und erwiderte seine Umarmung. „Danke.“
„Boah, Mia, du bist den Rangern echt gut entgangen“, lachte Mark. „Respekt, niemand hatte auch nur eine Spur von dir!“
Auch ihn umarmte ich. „Lloyd und ich haben uns auch Mühe gegeben. Wir sind unter falschem Namen in den äußeren Provinzen untergetaucht.“
„Clever“, lobte er mich. „Wie lebt es sich da?“
„Ganz gut, etwas langweilig“, gab ich zu.
„Fast eineinhalb Jahre!“, tobte plötzlich eine bekannte Stimme. „Was fällt dir eigentlich ein? Warum hast du so selten geschrieben? Wo warst du überhaupt?!“
Mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen drehte ich mich zu Jakob um. „Du hast mir auch sehr gefehlt“, antwortete ich. Ich kannte seine Ausbrüche, die stets von Sorge geleitet waren, nur zu gut.
Da drückte er mich fest an sich. „Wie geht’s dir?“, flüsterte er.
Verunsichert sah ich ihn an. „Schwer zu sagen ... gemischt.“
„Musstest du auf der Flucht oft umziehen?“, erkundigte er sich.
„Nein, Lloyd und ich haben ein neues Zuhause gefunden. Aber ich hab mir Sorgen um euch gemacht“, gestand ich. „Als ich von Viktor gehört habe, musste ich sofort herkommen ...“
Traurig sah Ulrich mich an. „Verstehe. Die Beerdigung ist übermorgen. Wenn du willst, kannst du mitkommen. Wir finden schon einen Weg, dich unauffällig einzuschleusen.“
Zögerlich nickte ich. „Werde ich“, flüsterte ich und atmete tief durch. „Lloyd wird auch gleich hier sein. Bitte, nehmt ihn nicht sofort fest.“
„Habe ich nicht vor“, beruhigte Ulrich mich. „Aber warum seid ihr hier?“
„Nach dem Bericht über Viktors Tod konnten wir uns nicht länger verstecken“, erzählte ich. „Wir müssen etwas gegen diesen Krieg unternehmen. Es reicht!“
Haru nickte. „Wir haben alle genug davon.“
„Und die Fiorita meinten, ich könnte etwas bewirken. Ich weiß nur noch nicht was“, merkte ich an.
„Warte mal!“, rief Lasse lautstark. „Bist du wirklich Takuto? Bist du wirklich das Mädchen aus der Legende? Ich glaub das alles nicht!“
Schuldbewusst sah ich den blonden, normalerweise stets fröhlichen Mann an. „Ja, nur dass ich nicht wirklich Takuto heiße. Eigentlich heiße ich Mia Sato. Und es tut mir unendlich leid, dass ich euch anlügen musste. Als Frau hätte ich niemals bei den Rangern arbeiten können. Außerdem musste ich die Fiorita schützen, darum habe ich meine Fähigkeiten verschwiegen.“
„Du hast uns jahrelang getäuscht!“, warf mir der braunhaarige Benjiro vor. Er zappelte ein wenig, trat von einem Fuß auf den anderen. „Was sollte das?“
„Mir blieb doch nichts anderes übrig“, erklärte ich verzweifelt. „Wie hätte ich sonst die Fiorita schützen sollen, wenn nicht als Ranger?“
„Haben wir das Thema nicht schon lange geklärt?“, brummte Jakob.
„Klar haben wir das, aber du wusstest viel länger davon, wer Takuto wirklich war“, entgegnete Lasse aufgebracht. „Du konntest viel leichter verstehen, was vor knapp eineinhalb Jahren passiert ist.“
„Wir, äh, wurden völlig davon, äh, überrascht“, murmelte Genta. „Und das, äh, finde ich, äh, unfair!“
Ich schlang vor lauter Unbehagen meine Arme um mich selbst. „Es tut mir wirklich leid. Bitte verzeiht mir.“
Lasse sah mich lange an. „Du warst wirklich einer meiner liebsten Kollegen ...“
„Und das wäre ich gerne geblieben“, flüsterte ich. „Aber die Schattenbringer haben mich in die Ecke gedrängt. Ich musste meine Fähigkeiten nutzen und habe mich vor dem Vorsitzenden und etlichen Stationsleitern enttarnt.“
„Du bist echt die Tochter von Erik Sato, oder?“, erkundigte sich Benjiro.
„Rein biologisch vielleicht“, zischte ich. „Mein Vater ist das größte Monster, das mir je untergekommen ist! Ich weiß selbst nicht, wie ich so lange nicht merken konnte, dass er ein Verbrecherboss ist.“
Melodia strich mir über den Arm. „Ganz ruhig.“
Ich nickte ihr dankbar zu, bevor ich wieder zu den anderen Rangern blickte. „Könnt ihr mir ... verzeihen?“, bat ich.
Der etwas pummelige Leo lächelte mich milde an und nickte. Benjiro zuckte ratlos mit den Schultern. Genta kaute auf seiner Unterlippe herum, nickte aber ebenfalls. Riku seufzte, dann nickte auch er. „Ehrlich gesagt haben wir es dir nie wirklich übel genommen“, gab Lasse zu.
Erstaunt musterte ich ihn. „Was?“
„Du bist ein Ranger und unser Kollege, wie auch immer du eigentlich heißt“, erklärte er. „Du hast mit uns für Fioria gekämpft. Nur das zählt.“
Stürmisch umarmte ich den etwa 30-jährigen Mann. „Danke!“
„Schon okay“, winkte er ab und tätschelte meinen Rücken.
„Was hat Viktor immer gesagt? In meinem Alter weiß ich, wer gut und wer böse ist. Und Takuto gehörte schon immer zu den Guten, egal, wer er wirklich ist. Er ist einer von uns“, zitierte Riku. „So oder so ähnlich.“
Gerührt lächelte ich. Diese Worte meines verstorbenen Kollegen bedeuteten mir viel. Ich wünschte mir nur, ich hätte sie aus seinem Mund hören können. Doch das ging nicht. Viktor war tot. „Ich danke euch“, murmelte ich ergriffen.
„Als könnte man lange sauer auf dich sein“, lachte Ulrich und legte mir einen Arm um die Schultern. „Wir sind froh, dass du zurück bist und uns im Kampf gegen die Schattenbringer helfen willst.“
„Lloyd und ich werden alles tun, was in unserer Macht steht“, versprach ich.
„Wo bleibt er denn?“, wunderte sich Haru.
„Er sucht einen Parkplatz“, erklärte ich.
„Und wir nehmen einen gesuchten Schattenbringer echt nicht fest?“, meldete sich James ungläubig zu Wort. „Bei Mia verstehe ich es irgendwie, aber ...“
„Du hältst die Klappe, du hast sowieso keine Ahnung“, zischte Haru.
„Na, na“, ermahnte Ulrich sie. „Nein, James, wir nehmen ihn nicht fest, denn er hat uns schon oft geholfen. Er steht nicht auf Eriks Seite.“
„Er wollte nie ein Schattenbringer sein“, flüsterte ich. „Und er ist längst aus der Organisation ausgestiegen.“
„Ein Insider auf unserer Seite ist doch was Gutes“, äußerte sich Lasse.
„Vielleicht erfahren wir von ihm, wo das Hauptquartier dieser Mistkerle liegt“, hoffte Mark.
Ich runzelte die Stirn. „Wisst ihr das noch nicht?“
Melodia schüttelte den Kopf. „Die verstecken sich gut ...“
„Ach so“, murmelte ich. „Lloyd müsste es wissen. Er wollte sowieso mit seinen Freunden in der Organisation reden, um Neuigkeiten zu erfahren.“
„Na, ist das Grund genug, ihn nicht zu verhaften?“, provozierte Haru James.
Er verdrehte die Augen. „Ja, ja. Zicke ... Neulich nachts hast du dich nicht so aufgeführt ...“
„Kein Wort mehr von dieser Nacht!“, verlangte sie wütend. „Du Idiot hast nur ausgenutzt, dass ich betrunken war!“
„Ich hab dich zweimal gefragt, ob du das wirklich willst“, verteidigte er sich.
Vernichtend musterte sie ihn. „Weil Betrunkene ja so klar im Kopf sind, dass sie das entscheiden können!“
„Genug davon“, unterbrach Ulrich den Streit. „Ich habe euch gesagt, ihr sollt dieses Problem in den Griff kriegen. Mir völlig egal, wie ihr das macht, Hauptsache, ihr gefährdet nicht mehr unsere Arbeit durch euren Streit. Als Ranger ist Teamwork unerlässlich!“
James fuhr sich durchs dunkle Haar und schnaubte. „Ja, ja ...“
Haru fixierte den Boden, sichtlich wütend und beschämt zugleich. Ich drückte sie fest an mich. „Du Arme“, flüsterte ich. „Geht das schon seit der Feier so?“
Sie legte ihre Stirn auf meiner Schulter ab. „Der nervt ohne Ende. Dabei hasse ich den Kerl! Ich will nichts von ihm hören!“
„Das ist alles etwas kompliziert“, merkte Melodia an.
„Entschuldige die Verspätung, ich musste ziemlich weit weg parken“, ertönte da eine bekannte Stimme vom Eingang.
Abrupt wirbelten wir alle zu Lloyd herum. Er hatte seinen blauen Mantel angezogen und die Kindertrage umgeschnallt, Takuto hing an seinem Rücken. Von so vielen Rangern ins Visier genommen zu werden, bereitete meinem Freund offensichtlich Unbehagen. Er spannte sich an und beobachtete meine ehemaligen Kollegen genau.
„Alles okay“, beruhigte ich ihn. „Sie nehmen uns nicht fest.“
Zögerlich kam er ein paar Schritte näher. „Gut ...“
„Lange nicht gesehen, Lloyd“, begrüßte Ulrich ihn.
Mein Freund nickte ihm zu. „Hallo.“
„Du willst uns also im Kampf gegen die Schattenbringer helfen?“, fragte James hörbar feindselig.
Lloyd musterte ihn kurz. „Nee, mit der Einstellung überlege ich’s mir noch mal.“ Er wandte sich an mich. „Wer ist der unsympathische Idiot?“
Haru prustete los, als James der Unterkiefer runterklappte. „Gut so, lass dir von dem Kerl nichts bieten“, lachte sie. „Das ist nur James.“
„Geht’s noch?“, rief der Verspottete gekränkt. „Ich kann dich jederzeit hinter Gitter bringen, vergiss das nicht!“
„Hört auf damit!“, verlangte Ulrich.
„Er hat doch ange...“ James wurde von lautem Geschrei unterbrochen. Der Lärm in der Zweigstelle hatte natürlich Takuto geweckt.
„Oh nein“, seufzte ich und schlug mir eine Hand vors Gesicht.
„Kannst du ihn nehmen?“, bat Lloyd. „Ich komme nicht dran.“
Ich schmunzelte. „Genau darum schnalle ich mir die Trage immer vor die Brust, nicht auf den Rücken.“
„Ja, ja“, murrte er.
Unter den fragenden Blicken der anderen ging ich um Lloyd herum und nahm Takuto auf den Arm. „Ganz ruhig“, redete ich auf ihn ein. „Es ist alles gut, mein Schatz. Alles gut.“ Da schrie er nur noch lauter. Ich strich über seinen kleinen Rücken und ging in der Zweigstelle auf und ab. „Keine Panik.“
„Dabei hat er endlich geschlafen“, jammerte Lloyd.
„Es war einfach zu laut hier. Könnt ihr euch nicht etwas leiser anschreien?“, fragte ich und sah wieder zu den Rangern.
Erst als mich zwölf entsetzte, schockierte, fassungslose Augenpaare anstarrten, fiel mir ein, dass niemand von unserem Sohn wusste. Ich verzog das Gesicht. Hoppla ...
„W...w...was ... w...wie ...“, stammelte Melodia.
„Ist das etwa ...“ Haru rieb sich die Augen. „Ist das etwa ...“
Mark schüttelte den Kopf. „Nicht im Ernst, oder?“
„Richtig, das hab ich ganz vergessen.“ Verlegen lächelte ich. „Das ist Takuto, unser Sohn.“
Außer Takuto, der aus vollem Halse schrie, gab niemand einen Laut von sich. Meine Freunde und Kollegen starrten mich nur an. Sie wirkten mehr als überrumpelt, konnten gar nicht fassen, was sie sahen und hörten.
„Ihr habt ... ein Kind?“, brach Jakob endlich die Stille.
Lloyd nickte. „Seht ihr doch. Oder glaubt ihr, wir haben einfach mal eins entführt, um uns einen Spaß zu machen?“
Ich musste schmunzeln. Die feindselige Einstellung gegenüber Rangern hatte Lloyd wohl immer noch nicht ganz überwinden. „Takuto ist jetzt neun Monate alt. Ich ... ich war schon schwanger, als die Schattenbringer das Ranger-Hauptquartier angegriffen haben. Das war einer der Gründe, warum ich in die äußeren Provinzen fliehen wollte.“
„Du hast nichts gesagt!“, warf Melodia mir vor. „Du hast auch in keinem Brief etwas erwähnt.“
Ich wiegte den aufgebrachten Takuto in meinen Armen. „Es hat sich irgendwie nicht ergeben.“ Entschuldigend sah ich meine Grundschulfreundin an. „Tut mir leid.“
„Ich hab dir alles geschrieben, was hier los war“, beschwerte sie sich. „Und so eine riesige Neuigkeit verschweigst du uns?“
„Ich fand es total unpassend, das in einem Brief zu schreiben ... Eigentlich wollte ich es euch sagen, bevor ich ins Hauptquartier zitiert wurde. Ich wollte dich und Haru um euren Rat bitten, aber dazu kam ich nicht mehr.“ Ich senkte den Blick. „Und nachdem wir den Bezirk der Ranger verlassen hatten, wusste ich nicht mehr, wie ich euch von unserem Sohn erzählen sollte.“
Haru trat einen Schritt näher und beäugte den Kleinen, der in eine Latzhose und ein langärmliges Shirt gekleidet war. „Ist der niedlich“, kicherte sie. „Und so klein!“ Sie blickte zu mir. „Aber geplant war er nicht, oder?“
Ich lächelte schief, froh darüber, dass sie mir keine Vorwürfe machte. „Nein, eigentlich nicht. Aber es ist alles gut gegangen. Unsere neue Nachbarin hat mir viele Tipps zur Kindererziehung gegeben.“
„Darf ich ihn mal nehmen?“, bat meine Freundin.
„Klar, aber pass auf, er fremdelt ziemlich“, warnte ich sie und gab ihr Takuto auf den Arm.
Obwohl der Kleine strampelte und eindeutig nicht von den vielen Unbekannten festgehalten werden wollte, baten meine Freunde darum, ihn auch einmal nehmen zu dürfen. Sogar Ulrich war ganz fasziniert von ihm. Jakob schien auf den ersten Blick vernarrt zu sein, Mark lachte ungläubig und Melodia war hin und weg. Sie wollte ihn mir beinahe nicht zurückgeben.
„Also, das ist wirklich die größte Überraschung“, merkte Jakob an. „Jedenfalls überraschender als deine Rückkehr.“
Ich hob den jammernden Takuto auf meine Arme. „Tja, ich erstaune euch eben immer wieder gerne“, lachte ich.
„Dass er Takuto heißt, passt total gut“, stellte Melodia fest.
„Stimmt, so hat Mia sich ja früher genannt“, merkte Lasse an. „Ich fass es nicht! Du bist nicht nur eine Frau, sondern auch Mutter. Dass wir nie was gemerkt haben ... unglaublich.“
„Wäre schlecht für mich gewesen, wenn ihr meine Tarnung durchschaut hättet, nicht?“, wandte ich ein und lächelte schief.
„Trotzdem, es ist echt verrückt“, äußerte sich Riku, der wie üblich lispelte.
Ulrich räusperte sich. „Nun, Mia, Lloyd, ihr seid ja nicht nur aus Spaß hier. Wir sollten das weitere Vorgehen besprechen.“
Ich nickte. Unser Wiedersehen hatte mich so eingenommen, dass ich den Grund für unsere Rückkehr verdrängt hatte. „Das ist das Wichtigste.“
„Gut, alle Mann an die Arbeit!“, befahl der Stationsleiter. „Wir dürfen Windfeld nicht vernachlässigen. Heute Abend erzähle ich euch, was wir besprochen haben.“
„Und diesmal werden wir wirklich von Anfang an eingeweiht?“, vergewisserte sich Lasse. „Ohne Geheimnisse?“
„Ohne Geheimnisse“, versprach Ulrich. „Aber ich erwarte äußerste Diskretion von jedem hier! Ausschließlich die Windfeld-Ranger werden informiert. Kein Wort darf zum Vorsitzenden vordringen.“
„Wir werden nichts verraten“, versprach Benjiro.
Nach und nach leerte sich die Zweigstelle. Ich winkte meinen ehemaligen Kollegen hinterher, dann setzte ich mich mit dem unruhigen Takuto im Arm an Harus Schreibtisch. „Du bleibst hier, Jakob?“
Der Schwarzhaarige lächelte schief. „Klar, ich sollte mit Ulrich auf Patrouille. Da er hierbleibt, bleibe ich auch. Hast du die Regeln schon vergessen?“
„Stimmt, Ranger sind normalerweise zu zweit unterwegs“, lachte ich.
Ulrich und Melodia brachten aus dem Nebenzimmer Stühle, damit wir uns alle setzen konnten. Ich erkannte die Sitzmöbel sofort, sie gehörten zum Esstisch. In der Zweigstelle wurde immer ein gemeinsames Frühstück und Abendessen eingenommen, darum kümmerten sich die Technikerinnen. Nun saßen wir also um Harus Schreibtisch herum, ich zwischen Lloyd und meiner Grundschulfreundin Melodia.
Ulrich, mir direkt gegenüber, stützte seine Ellbogen auf dem Tisch ab. „Was genau habt ihr beide vor?“
„Zuerst wollen wir uns gründlich informieren, wir haben vom Krieg nicht so viel mitbekommen“, erläuterte ich. „Wir wollen alles von den Rangern und den Schattenbringern wissen.“
„Darum sind wir direkt hierhergekommen“, ergänzte Lloyd. „Später versuche ich, alte Freunde bei den Schattenbringern zu kontaktieren. Und erst wenn wir ein klares Bild von der Situation haben, sehen wir weiter.“
„Dann werden wir uns auch noch mal mit den Dämonen und Geistern beraten. Sie haben bestimmt was dazu zu sagen“, vermutete ich.
Der Stationsleiter nickte. „Ich verstehe. Alle Neuigkeiten der Ranger ... wo fange ich bloß an?“ Er zögerte ein wenig. „Es sieht düster aus.“
„Schon wieder Tomatensuppe?“, jammerte Mark beim Abendessen.
„Mehr können wir uns nicht leisten“, fuhr Melodia ihn an, während sie der Reihe nach alle Teller füllte. „Die Lebensmittel sind teuer geworden.“
„Morgen gibt es wahrscheinlich nur trockenen Reis“, kündigte Haru an, woraufhin frustriertes Stöhnen zu vernehmen war.
Die zwölf Windfeld-Ranger, die Technikerinnen, Lloyd und ich saßen in der Zweigstelle. Ich folgte dem Gespräch kaum, konnte auch nicht wirklich ans Essen denken. Und das lag nicht daran, dass mich Mika, Eduard und Jonas entsetzt anstarrten. Die drei Ranger, die sich zur Nachtschicht gemeldet hatten, waren noch immer überrascht davon, dass ich zurückgekehrt war. Takuto schlummerte friedlich in seinem Kinderwagen, der neben dem Tisch stand.
Kurz griff ich in meine rechte Hosentasche, um das Handy zu erfühlen, das Ulrich Lloyd und mir gegeben hatte. Im Gegensatz zu den Arbeitsgeräten der Ranger war es nicht mit einem Peilsender ausgestattet. Denn uns sollte ja niemand dadurch orten. Aber wir mussten irgendwie Kontakt zu meinen ehemaligen Kollegen halten können. Meine Gedanken hingen an dem, was Ulrich und Jakob uns heute erzählt hatten. Die Lage schien aussichtslos, jedenfalls im Moment.
„Ähm, Taku... Mia, kannst du mir mal das Salz geben?“, bat Leo.
Ich brauchte eine Sekunde, um zu reagieren. Ich hatte gar nicht realisiert, dass er mich angesprochen hatte.
Schnell reichte ich ihm den gläsernen Streuer. „Na klar, hier.“
„Danke“, antwortete er und würzte seine Suppe nach.
„Ihr beide wollt die Schattenbringer wirklich aufhalten?“, fragte Mika, der jüngste Ranger der Zweigstelle. Er war gerade erst 17 geworden. „Wie denn?“
„Wir haben noch keinen genauen Plan“, gestand Lloyd. „Jetzt wissen wir erst mal, wie es bei den Rangern aussieht. Wir müssen noch herausfinden, was bei den Schattenbringern los ist.“
Ja, wir kannten die hässliche Lage, in der sich die Ranger befanden. Die Bürger hatten kaum noch Respekt, teilweise fürchteten sie sich vor ihnen, teilweise beschimpften sie die Beschützer Fiorias. Die Schattenbringer gewannen immer mehr Mitglieder, sie hetzten gegen die Ranger, gaben ihnen die Schuld an der aktuellen Situation. Sie nutzten ihren wirtschaftlichen Einfluss, um die Ranger von der Grundversorgung abzuschneiden. Wasser, Lebensmittel, Strom, die Ranger kamen nur noch zu horrenden Preisen an die Waren.
Die meisten Konzerne ignorierten längst die Reglementierungen der Ranger, bauten zu viele Rohstoffe ab, verschmutzten die Luft mit ihren Fabriken und produzierten Waren von schlechter Qualität, weshalb die Natur wie auch die Animalia und Menschen litten. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sich auch illegale Feuerwaffen verbreiteten. Die friedliebende Organisation der Ranger hatte sie verbannt und viele andere Gesetze zum Schutz der Umwelt sowie der Fiorita erlassen, doch die Regeln der Ranger waren inzwischen nichtig.
Viele quittierten wegen der Schwierigkeiten und Gefahren den Dienst. Außerdem bedrohten die Schattenbringer etliche Stationsleiter, um sie zum Rücktritt zu zwingen, damit die einzelnen 150 Zweigstellen im Chaos versanken. Wer sich weigerte, wurde angegriffen. Wie etwa Ulrich.
Die beiden Organisationen arbeiteten mit aller Macht gegeneinander. Doch trotz der Widrigkeiten kämpfte Windfeld weiter. Die Ranger hier wollten die Schattenbringer zerschlagen und den Krieg beenden. Und dieser eiserne Wille war der einzige Funken Hoffnung, den ich momentan sah. Denn der Vorsitzende schien die Kontrolle zu verlieren. Er verbarrikadierte sich die meiste Zeit über in seinem Büro, hatte eine nächtliche Ausgangssperre verhängt, befahl grundlose Verhaftungen und tat vor der Presse so, als hätten die Ranger alles im Griff. Fehlte nur noch, dass er die Schattenbringer wie schon früher einmal als „unbedeutende Schwierigkeit“ bezeichnete ...
„Mia, alles okay?“, flüsterte Lloyd mir zu. Er legte mir eine Hand auf die Schulter. „Du wirkst so ... abwesend.“
„Entschuldige“, antwortete ich leise. „Ich mache mir nur Sorgen.“
„Die Lage sieht für die Ranger echt übel aus. Aber wir finden einen Weg, das zu verbessern. Vielleicht geht es den Schattenbringern ja auch nicht so gut“, gab er zu bedenken.
„Die Schattenbringer haben jede Menge Unterstützung“, schnaubte ich.
„Anscheinend. Noch wissen wir es nicht genau“, wandte er ein.
Ich raufte mir das Haar, wobei ich eine orange-braun gemusterte Strähne zwischen meinen Fingern einklemmte. „Mir gefällt das alles nicht.“