Читать книгу In Liebe und Hass - Fioria Band 3 - Maron Fuchs - Страница 13

Mit Blick nach vorne

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„Möchten Sie das Geschlecht des Kindes wissen, Frau Ito?“, fragte die freundlich lächelnde Ärztin. „Inzwischen kann man es erkennen.“

Mein Herz setzte beinahe einen Schlag aus, so aufgeregt war ich nach dieser Nachricht. „Wirklich?“

Die Blondine nickte. „Ja.“

„Wollen wir?“, fragte ich Lloyd, der neben mir stand, während ich auf der Liege den Ultraschall über mich ergehen ließ.

Er nickte. „Ich bin echt gespannt.“

„Na dann“, kicherte ich. „Was wird es denn?“

„Es wird ein Junge.“

Ein unbeschreibliches Glücksgefühl durchströmte mich. Lloyd und ich bekamen einen kleinen Jungen. „Wahnsinn“, flüsterte ich.

Mein Freund drückte meine Hand fest, Begeisterung stand in seinem Gesicht. „Ein Junge ...“

„Haben Sie sich schon einen Namen ausgedacht?“, erkundigte sich die Ärztin, als sie mir ein Tuch gab, um das Gel von meinem Bauch zu wischen.

„Noch nicht“, gestand ich. „Aber jetzt können wir langsam überlegen.“

„Viel Erfolg dabei und bis nächsten Monat“, verabschiedete sie sich.

Ich nickte ihr zu. „Danke, bis bald.“

Lloyd half mir beim Aufstehen und gemeinsam verließen wir die Praxis. Draußen empfing uns strahlender Sonnenschein. Perfektes Wetter für unser geplantes Picknick.

„Ich kann’s kaum glauben“, lachte ich auf dem Weg zum Park. „Es wird ein Junge! Wie nennen wir ihn bloß?“

„Oh Mann, ich freu mich so.“ Lloyd lächelte mich an. „Ich fasse es noch gar nicht so ganz. Fällt dir spontan ein Name ein?“

Lange überlegte ich, wir waren bereits im Park angekommen. „Ehrlich gesagt nicht. Dir?“ Er breitete unsere Decke auf einer der Wiesen aus, im Schatten eines hohen Baumes. Einige Leute gingen spazieren, teilweise mit ihren Feuerhunden, auch einige Kinder spielten hier.

„Hm, gerade nicht. Aber uns fällt schon noch was ein. Jetzt sollten wir erst mal unseren Jahrestag feiern, finde ich.“

Ich holte die Pappteller und die zwei Behälter mit Sandwiches und Obst aus dem Korb. Dann nahm ich die beiden Flaschen Saft und gab eine davon Lloyd, um mit ihm anzustoßen. „Auf unser erstes Jahr!“

Er hob die Flasche. „Unglaublich, dass schon so viel Zeit vergangen ist.“

„Viel unglaublicher ist, dass ich seitdem eine Tonne schwerer geworden bin“, entgegnete ich und grinste ihn an.

„Ach was, höchstens eine halbe.“ Er zwinkerte mir zu.

Ich verdrehte die Augen. „Na, vielen Dank, du bist so einfühlsam“, schnaubte ich sarkastisch und trank einen Schluck. „Am besten faste ich ein paar Tage.“

„Tust du nicht“, widersprach er und reichte mir ein Sandwich. „Dafür isst du derzeit zu gerne.“

Ich ließ den Kopf hängen. „Ertappt. Blödmann.“

Da lachte er. „Ist doch gut so“, beruhigte er mich. „Unser Kleiner soll doch groß und stark werden. Fasten täte ihm nicht gut.“

„Auch wieder wahr“, gab ich zu. „Wann musst du ins Krankenhaus?“

„Meine Schicht geht um halb sieben los, also noch gut zwei Stunden.“

„Dann haben wir ja Zeit. Guten Appetit!“, wünschte ich ihm.

Beim Essen ließ ich meinen Blick schweifen. Renia war wirklich eine schöne Gegend. Wir hatten uns ein gutes Dorf ausgesucht, nicht zu groß und nicht zu klein. Fionas Reiseführer hatte dabei sehr geholfen. Manchmal erinnerte mich diese friedliche Atmosphäre an Windfeld, was mich dann ein wenig wehmütig machte. Denn ich musste immer wieder an meine Arbeit als Ranger und meine lieben Kollegen denken. An all das, was ich hinter mir gelassen hatte.

„Takuto“, meldete sich Lloyd plötzlich zu Wort.

Ich wirbelte zu ihm herum, verdattert starrte ich ihn an. „Was?“

„Wie wäre es mit Takuto?“

Ich runzelte die Stirn. „Hä?“

„Für unseren Sohn.“ Er lächelte mich an. „Takuto würde doch zu ihm passen.“

Takuto! Der Name, den ich benutzt hatte, während ich als männlicher Ranger aufgetreten war, mein alter Deckname. Auf diese Idee konnte auch nur Lloyd kommen. Gerührt erwiderte ich sein Lächeln. „Dir würde der Name wirklich gefallen?“

Er nickte. „Ja. Schon allein, weil du ihn immer benutzt hast.“

„Aber als Ranger hast du mich doch gehasst“, wandte ich ein.

Er hob mein Kinn mit Daumen und Zeigefinger an. „Weil ich da noch nicht wusste, wer du wirklich bist.“

„Und weil ich dich unbedingt verhaften wollte“, kicherte ich und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen, woraufhin mich Lloyd näher an sich zog, um aus dieser sanften Geste eine leidenschaftliche zu machen.

Als wir uns voneinander lösten, lehnte er seine Stirn an meine. „Also, was sagst du dazu?“

„Mir würde der Name gefallen“, gab ich zu. „So heißt immerhin die Hauptfigur aus meinem Lieblingsbuch.“

„Dann wird er Takuto heißen.“

„Oh, Lloyd, ich freu mich so“, jubelte ich und umarmte ihn fest. Vor etwa vier Monaten hatte ich kaum daran geglaubt, wirklich glücklich werden zu können. Doch mit meinem Freund war ich es. Auch wenn unser Kind ungeplant gekommen war, ich freute mich riesig darauf.

„Ich mich auch“, flüsterte er, als er mich fest an sich drückte.

„Lloyd? Mia? Was macht ihr denn hier?“, rief eine bekannte Stimme.

Wir lösten uns voneinander, um aufzublicken. „Quirin! Hallo“, begrüßte mein Freund ihn. „Verbringst du deinen freien Tag wohl mit Freunden im Park?“

„Nein, meine Freunde machen heute einen Ausflug in die Stadt“, erzählte der Junge sichtlich deprimiert. Er spielte mit dem schmutzigen Ball in seiner Hand herum. „Papa hat mir nicht erlaubt mitzufahren ... Aber ich wollte nicht den ganzen Tag daheim sitzen.“

Ich verzog das Gesicht. „Verständlich. Hast du vielleicht Hunger? Wir haben noch ein Sandwich und etwas Obst.“

„Darf ich?“, fragte er begeistert.

„Klar, setz dich doch“, schlug ich vor.

„Ihr seid die Besten!“, jubelte er und schnappte sich das Sandwich, nachdem er auf der Decke Platz genommen hatte. „Spielt ihr nachher mit mir Fußball?“

„Äh, ich glaube nicht, dass Mia Fußball spielen sollte“, wandte Lloyd ein.

„Ein bisschen Bewegung schadet mir doch nicht“, entgegnete ich. „Ich muss ja nicht gleich Vollgas geben.“

„Super!“, freute sich Quirin. „Das wird toll!“

„Du kannst einfach nicht Nein sagen“, seufzte Lloyd.

„Jetzt gönn’s ihm doch“, flüsterte ich. „Er durfte nicht mal mit seinen Freunden wegfahren.“

„Ich gönn’s ihm, ich mach mir nur Sorgen um dich. Um euch.“

„Keine Panik.“ Ich drückte seine Hand. „Ist alles in Ordnung.“

Nachdem Quirin sein Sandwich aufgegessen hatte, flatterten ein paar Farbfalter um mich herum. Ich lächelte sie an, dann stand ich ein wenig umständlich auf.

„Los geht’s!“, rief der Junge. „Die beiden Bäume sind das Tor.“

Nach einer guten Stunde, von der ich keine halbe mitgespielt hatte, hörten wir auf. Lloyd musste sich auf den Weg zur Arbeit machen. „Wir sehen uns morgen Nachmittag. Ich hol dich von der Praxis ab“, verabschiedete er sich und umarmte mich.

Ich schmiegte mich an ihn. „Du wirst mir fehlen“, seufzte ich. „Bis morgen.“ Er würde erst nach Hause kommen, wenn ich schon in der Animaliaarztpraxis war. Also sahen wir uns frühestens nach meiner Arbeit.

Wir küssten uns, dann trennten sich unsere Wege. Ich ging mit Quirin zu den Reihenhäusern, die wir bewohnten, Lloyd marschierte zum Krankenhaus. „Willst du noch mit zu mir kommen, Mia?“, fragte der Junge unterwegs. „Mama würde sich bestimmt freuen. Vielleicht macht sie auch wieder einen Nachtisch.“

Ich schmunzelte. „Das ist lieb von dir. Aber ich kann doch nicht einfach ohne Einladung zu euch kommen.“ Außerdem hatte ich keine Lust auf zwei Abende mit Elly und Burkhard hintereinander ...

„Bitte“, quengelte Quirin. „Wir können Mama doch fragen. Sie hat bestimmt nichts dagegen.“

Ich strich mir über die blonde Perücke. „Ja ...“, seufzte ich. Vielleicht hatte Lloyd recht und ich konnte nicht Nein sagen. Quirin tat mir so leid.

Also blieb ich noch eine gute Stunde bei ihm daheim. Elly freute sich sehr über meinen Besuch, Burkhard war zum Glück nicht da, was die Atmosphäre sehr entspannte. Als es dunkel war, verabschiedete ich mich aber. Immerhin wollte ich noch zwei Briefe beantworten, außerdem die Perücke und die Kontaktlinsen loswerden.

Daheim angekommen legte ich meine Tarnung ab und duschte mich erst mal. Nachdem ich meine Haare geföhnt und meinen Schlafanzug angezogen hatte, setzte ich mich mit Stift und Papier an den Esstisch. Zuerst antwortete ich Fiona und Nico, berichtete vom Ergebnis des heutigen Ultraschalls. Danach schrieb ich Melodia und meinen anderen Freunden aus Windfeld. Ein paar tröstende Worte für Jakob und Haru, ansonsten nur allgemeiner Smalltalk.

Wie immer. Bisher hatten Melodia und ich kein Wort über die Ereignisse zwischen Rangern und Schattenbringern gewechselt. Aber seit Elly gestern Abend erwähnt hatte, was für schlimme Dinge passierten, war ich doch ein wenig neugierig.

Heftig schüttelte ich den Kopf. Dieses Leben lag hinter mir! Ich war kein Ranger mehr. Ich wollte nichts mit diesem Krieg zu tun haben. Meine Entscheidung stand fest. Um nicht nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen zu fragen, packte ich die beiden Briefe schnell in Umschläge.

Ich holte mir ein Glas Apfelschorle, dann lief ich die Treppen hoch ins Schlafzimmer. Es war spät geworden und morgen musste ich früh aufstehen. Doch als ich im Bett lag, konnte ich nicht einschlafen. Ich drehte mich von einer Seite zur anderen, fand aber keine Ruhe. Ich fühlte mich ... einsam. Wie immer, wenn Lloyd nicht da war.

Seufzend setzte ich mich auf und machte das Nachttischlicht an. Wenn ich sowieso wach war, gab es keinen Grund, nicht mit den Fiorita zu reden. Und ich wusste genau, mit wem ich ein wenig plaudern wollte. Ich schloss die Augen und sang das wohl komplizierteste Lied, das ich kannte. Lunas Lied in der Sprache der Geister. Es war eine besondere Sprache, die kein Mensch kannte oder verstand. Ich verstand sie intuitiv, die Fiorita benutzten sie immer, wenn sie mit mir redeten.

Mit dem hellsten aller Lichtblitze erschien Luna vor mir. Der dreifarbige Geist des Lichts richtete seine dunkelbraunen Augen direkt auf mich. „Hallo Mia“, erklang ihre glockenhelle Stimme.

„Hi Luna“, antwortete ich und streichelte über das weiche hellrosa Fell an ihrem Kopf. Am Schweif erstrahlte es so gelb wie das ihres Bruders Sol, am Körper hellblau.

Die Anführerin der Geister schmiegte sich an meine Hand. „Du machst dir schon wieder so viele Sorgen.“

„Ich wollte hinter mir lassen, dass ich jemals Ranger war“, flüsterte ich. „Aber sobald ich allein bin, denke ich ständig daran. Ich hab Angst um meine Freunde und Kollegen. Ich will, dass mein Vater hinter Gitter kommt ...“

„Das betrifft dich nicht mehr, wie du es wolltest. Du bist so weit weg“, redete sie auf mich ein.

„Manchmal frage ich mich, ob ich das wirklich hinter mir lassen kann.“ Ich drückte Luna an mich. „Aber egal. Darum geht’s gar nicht. Das Schlimmste ist gerade eigentlich, dass ich mich etwas einsam fühle. Ich hab mich wohl schon zu sehr daran gewöhnt, dass Lloyd immer bei mir ist.“

Sie lächelte milde. „Dann schlafe doch ein, solange du mich noch auf Fioria halten kannst“, schlug sie vor.

Ich erwiderte ihr Lächeln und machte das Licht aus. „Gute Idee“, flüsterte ich und kuschelte mich an sie. „Ich muss für die Arbeit morgen fit sein.“

„Genau, morgen geht der Alltag wieder los. Und dann hast du bestimmt so viel zu tun, dass du gar nicht mehr an die Ranger und Schattenbringer denken kannst“, vermutete sie. „Und denk erst an die Geburt eures Takuto. Der hält euch bestimmt auf Trab!“

Ich kicherte. „Da hast du recht. Kindererziehung ist eine Herausforderung, darauf wette ich.“

Luna nickte. „Es ist ja schon anstrengend, auf meinen Bruder aufzupassen, diesen Kindskopf. Aber deine Ermahnung hat ihm zu denken gegeben.“

„Immerhin“, murmelte ich im Halbschlaf. Ich wurde immer müder, auch vor Erschöpfung, weil ich ein so mächtiges Fiorita bei mir hatte.

Das Letzte, was ich noch hörte, war Lunas Flüstern: „Schlaf gut, Mia. Und mach dir keine Sorgen mehr. Denk nur an das Hier und Jetzt.“

Und genau dieser Rat war es, der mir durch die nächsten Monate half.

Laut klopfte Lloyd von draußen an die Tür des Schlafzimmers. „Mia, bitte, komm doch endlich raus!“

„Nein!“, schrie ich. „Lass mich in Ruhe!“

„Jetzt lass uns doch reden“, flehte er.

„Ich will nicht!“, weigerte ich mich und presste mir beide Hände auf die Ohren, während ich mich sitzend auf dem Bett zusammenkauerte, soweit es mein dicker Bauch zuließ.

„Du hast mich völlig falsch verstanden“, drang Lloyds Stimme gedämpft zu mir vor. „Hör mir doch zu!“

„Da gab es nichts falsch zu verstehen!“, tobte ich. „Ich hab genau gehört, wie du zu Elly gesagt hast, dass du nach der Geburt nicht mit Takuto zu Hause bleiben würdest. Ist ja auch Frauensache, was? Ich soll das Heimchen am Herd spielen, schon klar!“

„Eben nicht! Meine Güte, Mia, seit du im siebten Monat bist, werden deine Launen immer schlimmer“, schnaubte er.

Vor lauter Wut krallte ich meine Finger in das Bettlaken unter mir. „Klar, schieb es auf die Hormone, damit du dich besser fühlst!“, brüllte ich.

„Ich hab nur gesagt, dass wir noch nicht genau wissen, wie es nach der Geburt weitergeht“, entgegnete er. „Und dass ich wahrscheinlich wieder arbeite. Wir müssen doch die Miete zahlen.“

„Und dafür ist dein Gehalt natürlich besser als meins!“

„Du hast doch längst Mutterurlaub beantragt, oder nicht?“

„Aber du bist ja nicht mal dazu bereit, dich um unser Kind zu kümmern!“

„Nein, Mia.“ Plötzlich klang Lloyds Stimme schwach. „Ich hab nur Angst, dass ich ... dass ich ... ach, vergiss es.“

„Dass du was?“, rief ich in Richtung der Tür.

„So rede ich nicht mit dir. Entweder du machst auf oder ich gehe runter ins Wohnzimmer.“ Gerade als ich antworten wollte, dass er heute Nacht genau dort auf dem Sofa schlafen würde, verrauchte meine Wut so schnell, wie sie gekommen war. Mein Gesicht fühlte sich nicht mehr so heiß an, mein Herz hörte auf zu rasen. Ich fühlte mich nur ausgelaugt. Vielleicht hatte ich ihn wirklich falsch verstanden.

„Warte“, flüsterte ich und stand ungelenk auf, um zur Zimmertür zu gehen. Nur zögerlich drehte ich den Schlüssel im Schloss.

Lloyd öffnete langsam die Tür, er sah mir direkt in die Augen und seufzte. Er wirkte ein wenig verzweifelt, seine dunkelbraunen Strähnen lagen wirr übereinander, als hätte er sich unablässig das Haar gerauft. Mit dem Handrücken strich er mir die übrigen Tränen aus dem Gesicht. „Können wir jetzt in Ruhe reden?“

„Na gut“, schniefte ich.

Als wir uns nebeneinander auf die Bettkante setzten, zeigte der Wecker schon Mitternacht an. Wir hatten den ganzen Abend gestritten ...

„Mia, ich meinte wirklich nicht, dass ich von dir erwarte, dass du dich allein um Takuto kümmerst“, begann er das Gespräch. „Und wenn du darauf bestehst, kann ich mir auch freinehmen und du gehst wieder arbeiten. Aber in den ersten Wochen ist Takuto doch auf dich angewiesen. Du bist doch diejenige, die ihn stillen wird.“

„Ja ...“, murmelte ich. Ich kam mir so dumm vor. Derartige Überreaktionen traten immer öfter auf. „Aber was wolltest du mir vorhin sagen? Wovor hast du Angst?“

Er vergrub das Gesicht in seinen Händen. „Es ist nur, dass ... also, ich ...“

Besorgt musterte ich ihn. „Was denn?“, hakte ich nach und strich ihm über den Rücken. Doch er reagierte lange nicht.

Endlich blickte er wieder auf und nahm meine Hände in seine. „Ich hab wirklich Angst, dass ich kein guter Vater werde.“

Mir klappte der Mund auf. Diese Worte hörte ich zum ersten Mal. Von diesen Zweifeln hatte ich nichts gewusst. Doch ich hätte es merken müssen. Ich hätte merken müssen, dass nicht nur ich mir Sorgen um die Zukunft machte. Dass nicht nur ich mit Selbstzweifeln kämpfte. Schlagartig musste ich weinen. „Es tut mir so leid“, schluchzte ich.

„W...w...was?“, stammelte Lloyd. „Was tut dir denn leid?“

Ich schniefte laut. „Dass ... ich nichts gemerkt habe! Dabei bin ich doch fast immer bei dir. Aber ich wusste gar nicht, dass du dir auch solche Sorgen machst!“

„Auch?“, wiederholte er und legte mir einen Arm um die Schultern.

Wortlos nickte ich, während es mich schüttelte. Ich sah nicht zu meinem Freund, ich fixierte die Wand direkt vor mir. Ich brachte es nicht über mich, ihm in die Augen zu schauen. Ich schämte mich so.

„Ganz ruhig“, flüsterte er und schloss mich sanft in seine Arme. Er ließ mich etwas weinen, bis ich ruhiger wurde. „Also hast du auch Angst davor?“

„Ich hab totale Panik“, gestand ich und klammerte mich an ihn, das Gesicht in seiner Halsbeuge vergraben. „Ich hab solche Panik, als Mutter zu versagen. Ich habe schon als Ranger versagt, als Mädchen aus der Legende, meinetwegen mussten wir nach Renia fliehen ... Wie soll ich mich da um ein Kind kümmern?“, wimmerte ich.

„Mia, du hast nicht versagt!“, widersprach er. „Du konntest nichts dafür, dass sich die Ereignisse damals so überschlagen haben.“

„Wage es nicht, dich als schlechte Auserwählte zu bezeichnen!“, knurrte eine tiefe Stimme in meinem Kopf. Eindeutig Shadow. „Du hast deine Aufgabe bisher großartig gemacht. Du hast uns Dämonen aus der grässlichen Schattenwelt befreit. Wir sind froh, dass wir dich haben.“

Laut schluchzte ich auf, bevor ich das Dämonenoberhaupt meinen Dank spüren ließ. „Ich hab einfach Angst ...“

Mein Freund strich mir beruhigend über den Rücken. „Versteh ich gut. Wir sind eben noch ... ziemlich jung. Aber wir können doch immer auf meine Eltern zählen, wenn wir Hilfe brauchen. Und auf unsere Nachbarin, so verrückt sie manchmal ist.“ Vorsichtig legte ich eine Hand auf meinen Bauch.

„Ich will nur, dass Takuto glücklich aufwächst ...“

„Wir schaffen das schon“, ermutigte er mich. „Zusammen bekommen wir das sicher auf die Reihe.“

„Meinst du?“

Er ließ mich los, um mein Gesicht in seine Hände zu nehmen und mir tief in die Augen zu sehen. „Versprochen.“

Bei diesem Blick schmolz meine Unsicherheit augenblicklich. Ich musste sogar lächeln. „Wenn du das sagst, vertraue ich dir.“

„Zu zweit sind wir doch unschlagbar“, lachte er. „Wir haben schon so viel geschafft. Und zusammen können wir uns auch um Takuto kümmern. Ich lasse dich nicht allein, Mia.“

Vor Rührung stiegen mir wieder Tränen in die Augen, ich umarmte ihn stürmisch. „Danke!“ Ich könnte gar nicht beschreiben, wie viel stärker er mich machte. Er zeigte mir, dass ich nicht alles allein schaffen musste. Dass er für mich da war.

Er ließ sich mit mir auf den Rücken fallen. „Schon in Ordnung“, flüsterte er. „Wir kriegen das hin.“

„Du wirst ein wundervoller Vater, das weiß ich genau“, wisperte ich und schmiegte mich an ihn.

„Tut gut, das zu hören“, antwortete er leise. „Danke.“

Ich lächelte ihn an. „Nur die Wahrheit.“

„Ich liebe dich“, flüsterte er mir ins Ohr, während er durch mein offenes Haar strich.

Ich umarmte ihn fest. „Ich dich auch. Bitte entschuldige, dass ich derzeit so schwierig bin.“

„Schon gut“, beruhigte er mich. „Das halte ich aus.“

Und nur kurz darauf schliefen wir eng aneinandergekuschelt ein. Ohne Sorgen, ohne Zweifel und ohne das Licht auszuschalten.

„Es ist so warm“, jammerte ich. „Ich kann nicht mehr.“

Sanft nahm Lloyd meine Hand in seine. „Aber du hast es geschafft. Mia, du hast es geschafft!“

Ich lächelte ihn müde an. „Willst du ihn nehmen?“

„Unbedingt“, antwortete er sofort und nahm mir das Kind aus den Armen, das in helle Tücher gewickelt war. „Hallo Takuto. Hallo, mein Kleiner.“ Er strahlte übers ganze Gesicht. „Unglaublich ...“

Erschöpft ließ ich mich aufs Kopfkissen des Krankenhausbettes fallen. Der Sommer stand in voller Blüte. Obwohl es schon fast zehn Uhr abends war, erhellte die Sonne Fioria noch immer. Luna ließ sie besonders kräftig leuchten, um die Geburt von Takuto auf ihre Art zu feiern. Die Freude der Dämonen und Geister strömte auf mich ein, zusätzlich zu meinem eigenen Glücksgefühl, Lloyds Begeisterung und der großen Müdigkeit. Endlich war Takuto auf der Welt, eine knappe Woche später als gedacht, aber kerngesund. Und nachdem er einige Minuten geschrien hatte, war er sogleich eingeschlafen. Ehrlich gesagt wollte ich es ihm gleichtun. Jetzt brauchte ich eine Pause, bei der Geburt wäre ich beinahe ohnmächtig geworden. Nur gut, dass ich für ein paar Wochen nicht arbeiten musste, weil ich Mutterurlaub beantragt hatte.

Die letzten Monate waren besonders anstrengend gewesen. Mein Rücken hatte Tag für Tag mehr geschmerzt, meine Ess- und Schlafgewohnheiten waren immer seltsamer geworden. Ich war schrecklich dick geworden, hatte keinen Tag mehr ohne Schokolade ertragen und mit meinen Launen gekämpft, die nicht nur mir, sondern auch Lloyd das Leben schwergemacht hatten. Aber zum Glück hatte er viel Verständnis für mich gehabt.

Vor allem die Fiorita hatten mich immer wieder beruhigt. Es tat richtig gut, dass sie mich meist ohne Worte verstanden.

Und von nun an konnte ich sie öfter und länger sehen, weil ich nicht mehr mit Takuto schwanger war.

„Er ist so winzig“, flüsterte Lloyd.

„Vor allem seine Finger“, stimmte ich zu.

Die Ärztin und die beiden Krankenschwestern, die während der Geburt bei uns gewesen waren, hatten vor ein paar Minuten das Zimmer verlassen, um uns etwas Privatsphäre zu gönnen. Dieser Moment gehörte Lloyd und mir. Und natürlich unserem Sohn.

„Ich befürchte, ich muss ein paar Tage im Krankenhaus bleiben, um mich auszuruhen“, murmelte ich. „Das wird nervig mit den Kontaktlinsen und der Perücke ...“

„Solange du dich erholst und dann wieder auf den Beinen bist, ist es das wert“, entgegnete Lloyd, der neben mir auf der Bettkante saß. Im Gegensatz zu meinem Hemdchen waren weder seine Shorts noch sein T-Shirt verschwitzt.

„Eine Geburt ist anstrengender, als ich dachte“, lachte ich schwach. „Nimmst du dir dann die nächsten paar Tage frei?“

„Natürlich“, bestätigte er. „Ich will doch bei euch sein.“

Ich schmunzelte. „Na ja, wenn du arbeitest, bist du auch im Krankenhaus.“

„Das ist doch was anderes“, schnaubte er.

„Weiß ich doch“, kicherte ich. „Gibst du mir Takuto wieder?“ Ich wollte den Kleinen unbedingt noch mal in die Arme nehmen, bevor ich einschlief.

„Vorsicht“, murmelte er und reichte mir unseren Sohn, wobei er dessen schwaches Genick stützte. „Meine Eltern werden vor Freude ausflippen, wenn wir ihnen die ersten Bilder schicken.“

„Nicht bei diesem schrecklichen Bild, das du vorhin gemacht hast“, brummte ich. „Da sehen wir viel zu fertig aus.“

„Ist halt eine authentische Aufnahme“, entgegnete er. „Ich war noch nie so aufgeregt wie in den letzten zwei Stunden.“

Ich lächelte schwach. „Ich auch nicht. Gleich kippe ich vor Erschöpfung um, das sage ich dir!“

„Bloß nicht!“, protestierte er und strich mir über die Wange. „Aber du solltest dich jetzt wirklich ausruhen. Brauchst du noch was zu essen oder zu trinken?“

Ich schüttelte den Kopf. „Gerade nicht. Ich brauche nur euch“, flüsterte ich.

„Dann sollten wir hoffen, dass Elly uns erst morgen besucht“, lachte er.

„Heute Abend packe ich wirklich keinen Besuch“, murmelte ich und schloss die Augen. „Nicht vor morgen.“

Lloyd nahm unseren Sohn aus meinen Armen. „Dann schlaf gut“, hauchte er mir ins Ohr. „Du hast es dir redlich verdient.“

„Lloyd?“, fragte ich schläfrig.

„Ja?“

„Ich liebe dich.“

Er drückte meine Hand fest. „Ich dich auch, Mia. Ich dich auch.“

Mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen schlief ich ein. Und mir war, als hätte ich noch einen Kuss auf der Stirn gespürt.

„Lloyd, Mia! Oh, ihr habt mir so gefehlt! Lasst euch drücken!“, rief Fiona, während sie uns in ihrem viel zu kräftigen Griff halb zerquetschte. „Ein ganzes Jahr ist es her. Ein ganzes Jahr, seit ihr abgehauen seid.“

„Schön, dich zu sehen, Mama“, keuchte mein Freund.

Endlich ließ sie uns los. „Ihr seht schrecklich aus“, stellte sie besorgt fest. „Geht es euch nicht gut?“

„Zu wenig Schlaf“, murmelte ich. „Takuto schreit die halbe Nacht.“

„Und er ist nur still, wenn Mia ihm ungefähr ’ne Stunde Lieder vorsingt“, ergänzte Lloyd und seufzte laut. „Das ist wirklich anstrengend. Und es macht meinen Schichtdienst nicht einfacher.“

„Man könnte fast meinen, du wärst heute 41 geworden, nicht 21“, äußerte sich sein Vater. „Alles Gute zum Geburtstag, mein Junge.“

„Danke, Papa“, antwortete Lloyd und umarmte Nico.

Auch mich drückte der braunhaarige Mann fest. „Na, Mia, wie fühlst du dich so mit 19? Du hattest ja auch erst im Herbst Geburtstag.“

„Ich fühle mich wie 90“, lachte ich und legte eine Hand an die Stange des Kinderwagens. „Aber abgesehen vom Schlafmangel kann ich mich über nichts beschweren. Wie geht es euch denn?“

„Jetzt gerade? Rundum gut!“, seufzte Fiona und beugte sich über den Wagen, in dem Takuto schlief. „Er ist ja ein kleiner Schatz.“

Ich hob die Augenbrauen. „Ja, und es wäre noch schöner, wenn er nachts mal schlafen würde ...“

„Ach, du hast ja keine Ahnung, wie anstrengend Lloyd war“, kicherte sie. „Er hat uns wirklich auf Trab gehalten.“

Mein Freund grinste. „Und ihr habt mich trotzdem ertragen.“

„Uns blieb ja keine Wahl, damals gab es nicht so viele Kinderklappen, um anstrengende Babys abzugeben“, neckte sie ihn.

„Mama!“, rief er entsetzt.

Ich musste lachen. Fionas offene, humorvolle Art amüsierte mich immer wieder. Sie grinste ihren Sohn an, während er die Augen verdrehte.

„Wollen wir uns vielleicht setzen?“, schlug ich vor und deutete auf das große, gut gefüllte Café, vor dem wir standen. Meine Fingerspitzen fühlten sich ein wenig taub an. „Draußen ist es langsam echt kalt, es schneit bestimmt gleich wieder. Nicht, dass Takuto krank wird.“

„Sicher, ein Kaffee ist jetzt genau das Richtige“, antwortete Fiona. „Der Teleport hierher war ... ungewöhnlich. Mir ist immer noch etwas schwindlig.“

„Aber hätte Mia euch nicht mit dem Geist des Raums hergebracht, hätten wir uns nicht treffen können“, merkte Lloyd an und hielt uns die Tür des Cafés auf.

„Jedenfalls wäre ein Treffen zu riskant gewesen“, ergänzte ich und schob Takutos Kinderwagen in den angenehm warmen Raum. „Visunerm kann kein Ranger und kein Schattenbringer verfolgen. Ein Auto schon.“

„Es war schon das Beste so“, pflichtete Nico bei. „Wir kriegen regelmäßig Besuch von den Rangern und einigen dubiosen Gestalten.“

„Suchen sie nach mir?“, erkundigte sich Lloyd, als wir zu viert an einem freien Tisch Platz nahmen.

Fiona, die neben mir saß, nickte. „Natürlich, was sonst? Aber wir haben immer behauptet, wir wüssten von nichts. Dann sind sie gegangen.“ Er hängte seinen blauen Mantel über den Stuhl mir gegenüber, während auch ich meine orange Jacke auszog. Erleichtert lächelte er seine Mutter an. „Gut.“

„Es wird ziemlich intensiv nach euch beiden gefahndet.“ Sie musterte erst Lloyd, dann mich. „Eure Fotos werden oft in den Nachrichten gezeigt. Aber die Perücke ist eine gute Tarnung, Mia. Mit blonden Haaren siehst du ganz anders aus.“

„Ich hab mich immer noch nicht daran gewöhnt“, gestand ich. „Nur gut, dass in der Berichterstattung hier noch nichts von der Fahndung nach uns erwähnt worden ist.“

„Renia ist ja auch unabhängig von den Rangern und die Presse interessiert sich daher nicht so sehr für sie“, entgegnete Lloyd.

„Das ist euer Glück. Wie seid ihr eigentlich hergekommen?“, wollte Nico wissen. „Auch mit den Fiorita?“

Ich schüttelte den Kopf. „Das wäre für Takuto zu gefährlich gewesen. Wir sind mit dem Auto da. Also, mit eurem Auto. Noch mal vielen Dank dafür, es ist eine riesige Hilfe! Ich hätte zu viel Angst, Takuto in seinem Alter auf einem Flugvogel zu transportieren.“

„Schön, wenn es euch hilft“, freute sich Fiona. „Aber warum treffen wir uns in der Hauptstadt von Renia und nicht bei euch? Oder wohnt ihr hier?“

„Nein, viel zu teuer“, winkte ich ab. „Wir wohnen in einem der Dörfer.“ Damit uns niemand finden konnte, verrieten wir unseren genauen Wohnort nicht mal Lloyds Eltern. Es war sicherer so.

„Aber in so einer großen Stadt fallen wir nicht auf“, erklärte er. „Außerdem wollte Mia unbedingt mal hierher.“

„Es ist ja auch schön hier“, schwärmte ich. „Wir waren schon eine Stunde in der Fußgängerzone und haben uns umgesehen.“

„Hier kann man echt besser einkaufen als in unserem Dorf.“

„Was wollt ihr denn trinken?“, fragte ich und stand auf. „Hier herrscht Selbstbedienung, ich stelle mich gleich an.“

Fiona betrachtete mich von oben bis unten. „Du siehst wirklich gut aus, Mia! So schlank!“

„Sie hat im letzten halben Jahr strenge Diät gemacht und verbissen trainiert“, lachte Lloyd. „Ist also kein ...“

„Ich hab es einfach nicht ausgehalten, so außer Form zu sein“, fiel ich ihm ins Wort. „Darum hab ich wieder mit dem Kampfsport angefangen.“

„Und sämtliche ungesunde Lebensmittel aus dem Haus verbannt“, brummte mein Freund. „Wenn ich mal Chips oder Nachtisch will, muss ich das woanders essen.“

„Hey, inzwischen nicht mehr“, verteidigte ich mich. „Das war nur in den ersten paar Monaten. Seit einer Weile nasche ich doch selbst hin und wieder.“ Er stand ebenfalls auf, um mir durchs Haar zu wuscheln.

„Zum Glück.“

Nico schmunzelte. „Und wie läuft’s beim Kampfsport?“

„Ganz gut“, erzählte ich. „Ich bin echt wieder fit, Lloyd und ich machen sogar manchmal Übungskämpfe.“

„Geht aber meistens unentschieden aus“, ergänzte Lloyd. „Ich bin zwar stärker, aber meine Technik ist nicht ganz perfekt.“

„Klingt ja so, als würde euch nicht langweilig werden“, stellte Fiona fest.

„Nein, wir sind echt gut beschäftigt. Kindererziehung, Arbeit, Training“, zählte ich auf. „Nicht zu vergessen die Treffen mit unseren neuen Bekannten in Renia. Es ist echt immer was los.“

Sie lächelte mich an. „Arbeitest du auch schon wieder, Mia?“

„Ja, aber nur halbtags. Lloyd und ich koordinieren die Arbeit so, dass immer einer bei Takuto sein kann.“

Mein Freund schob den Kinderwagen am Kopf des Tisches ein wenig vor und zurück, damit Takuto nicht aufwachte. Der Kleine blieb am ruhigsten, wenn er in Bewegung war.

„Gute Organisation“, lobte uns Fiona. „Und bevor du den ganzen Tag hier herumstehen musst, ich hätte gern einen Milchkaffee.“

„Ich nehme einen schwarzen Kaffee“, bestellte Lloyd.

„Auch schwarz“, meldete sich Nico zu Wort. „Aber ich helfe dir tragen.“

Ich lächelte. „Lieb von dir.“ Gemeinsam gingen wir zur Theke und reihten uns in die lange Schlange ein. „Gut voll hier“, merkte er an.

„Scheint ein echt beliebtes Café zu sein“, stimmte ich zu. „Sag mal, habt ihr unseretwegen großen Stress mit den Rangern gehabt?“

Er zuckte mit den Schultern. „Na ja, es ging. Sie haben uns erzählt, dass Lloyd einer Verbrecherorganisation angehört, wir haben entsetzt reagiert und versprochen, uns zu melden, sollte er wieder nach Hause kommen.“

„Warum besuchen euch die Ranger denn dann immer wieder?“, wunderte ich mich und ging mit der Warteschlange einen Schritt weiter.

„Wahrscheinlich kaufen sie uns nicht ganz ab, dass wir nichts wissen“, vermutete er und raufte sich das dunkelbraune Haar. „Sie waren außerdem skeptisch, weil unser Auto nicht auf dem Grundstück stand. Dazu haben wir nur gesagt, dass wir mit unserem Auto machen können, was wir wollen.“

„Verdammt ... Es tut mir leid, dass wir euch in diese Lage gebracht haben“, entschuldigte ich mich betrübt.

Er klopfte mir auf die Schulter. „Ach was!“, lachte er. „Wir sind froh, dass es euch und unserem Enkel gut geht. Und dass ihr jetzt in einer friedlichen Gegend lebt. Die Unruhen werden immer schlimmer.“

Besorgt sah ich ihn an. „Gibt es richtige Kämpfe zwischen den Organisationen? Oder wie haben die Schattenbringer ihre Kriegserklärung umgesetzt?“ Ich wusste, dass ich das nicht fragen sollte, weil ich mich sonst noch verantwortlich für das Geschehen im Bezirk der Ranger fühlte. Doch die Neugier überwog.

„Manchmal gibt es Kämpfe, überwiegend ist es Sabotage“, erzählte er. „Die Schattenbringer halten die Ranger mit ihren Verbrechen auf Trab. Außerdem versuchen sie, die Bürger zu verängstigen und das Vertrauen in die Ranger zu erschüttern.“

Ich sog scharf die Luft ein. „Klappt das etwa?“

Zögerlich nickte er. „Etwas ... Die Ranger gehen auch ziemlich radikal vor, sie verdächtigen Unschuldige, zu den Verbrechern zu gehören, und verhaften sie teilweise ohne Beweise. Nachts gibt es sogar eine Ausgangssperre.“

Mein Herz setzte einen Schlag aus. Oh nein. Fassungslos fixierte ich die Spitzen meiner Winterstiefel. Das klang gar nicht gut. Mein Vater und der Vorsitzende hatten endgültig den Verstand verloren. Wie sollte das nur enden?

„Ihre Bestellung, bitte“, riss mich die tiefe Stimme des Kellners aus meinen trüben Gedanken.

„Ähm, einen Milchkaffee, zwei schwarze Kaffees und eine heiße Schokolade, bitte“, antwortete ich. Auf diesen Schock brauchte ich etwas Süßes.

„Mach dir keine Sorgen“, flüsterte Nico mir zu, während der Mann die Getränke zubereitete. „Das wird schon. Außerdem seid ihr weit weg von allem. In Renia ist es sicher.“

Ich bemühte mich um ein Lächeln. „Eben.“ Ich sollte nicht daran denken. Es zählte nur das Hier und Jetzt, wie Luna es mir gesagt hatte. Selbst wenn ich mich um meine lieben Freunde und Kollegen in Windfeld sorgte.

Gemeinsam trugen Nico und ich die Getränke zu unserem Tisch. Lloyd und Fiona, die inzwischen Takuto auf dem Arm hielt, unterhielten sich dort. „Er ist so ein süßer Fratz! Und er hat so schöne bernsteinfarbene Augen“, schwärmte sie und streichelte über seine Wange. „Fast wie Mias, nur ohne das Orange.“

„Oh, ist er aufgewacht?“, fragte ich, als ich Fionas und meine Tasse abstellte.

„Ja, gerade eben“, antwortete Lloyd und nahm von seinem Vater den Kaffee entgegen. „Aber er fremdelt auch bei Mama.“

Kurz musterte ich den Kleinen, der nicht wirklich glücklich aussah, während Fiona ihn liebevoll in den Armen hielt. „Immerhin weint er nicht. Das ist schon viel besser als bei jedem anderen. Bei unserer Nachbarin hat er neulich einen Schreikrampf gekriegt, als sie ihn aus dem Kinderwagen genommen hat.“

„Er mag mich“, seufzte sie hingerissen.

„Wir sind wirklich Großeltern“, murmelte Nico mit bebender Stimme. Er ging neben Fionas Stuhl in die Hocke und streichelte über Takutos Mütze, die seinen kleinen Kopf warmhalten sollte. Da strampelte der Kleine allerdings und jaulte auf. Dieses Verhalten kannte ich gut.

„Er weint gleich“, prophezeite ich. „Gibst du ihn mir?“

Behutsam reichte Fiona ihn an mich weiter. „Wie schade. Er fremdelt ganz ordentlich, was?“

Ich nahm Takuto in die Arme und strich über seinen Rücken. „Seit ein paar Tagen ist es besonders schlimm“, erzählte ich.

Zum Glück beruhigte er sich schnell. Er döste ein, sodass ich ihn vorsichtig in den Kinderwagen legen und einen Schluck trinken konnte.

„Hoffentlich vergeht das bald.“ Lloyd grinste schief. „Das macht es nämlich unmöglich, hin und wieder einen Babysitter zu engagieren.“

„Du hast das zum Glück kaum gemacht“, lachte seine Mutter und löffelte etwas Milchschaum aus ihrer Tasse.

„Keine Babygeschichten über mich“, brummte er.

Ich kicherte. „Doch, bitte.“

Beleidigt sah er mich an. „Hey, auf wessen Seite stehst du?“

Ich nahm über die Tischplatte hinweg seine Hand. „Immer da, wo ich lustige Geschichten über dich höre.“

„Pfff“, schnaubte er beleidigt, strich mir aber mit dem Daumen über meinen Handrücken. „Ach, ich muss dir noch was erzählen, Mia“, fiel Fiona ein. Sie klang plötzlich ernst, es wirkte beinahe, als fühlte sie sich unwohl. „Das wollte ich dir persönlich sagen, nicht per Post.“

„Was denn?“, fragte ich alarmiert.

Sie atmete tief durch. „Wo fange ich an ... genau. Vor zwei Wochen hat sich Cassandra bei uns gemeldet.“

„Mama?“ Meine Augen weiteten sich. Ich spürte, dass Lloyd meine Hand etwas fester drückte. „Wie ... wie geht es ihr?“

„Wir haben nur telefoniert, aber sie klang okay“, erinnerte sie sich. „Sie hat viel geredet, sie hat auch geweint, weil ...“ Sie zögerte, wahrscheinlich suchte sie nach den richtigen Worten.

„Weil sie immer noch so wütend auf meinen Vater und mich ist?“, riet ich, wobei ich hörte, wie heiser ich klang.

Fiona schüttelte heftig den Kopf, sodass ihr Zopf hin und her flog. „Nein, im Gegenteil. Sie hat mir erst erzählt, was passiert ist. Dann hat sie gefragt, ob ich wüsste, wo du bist. Oder ob Lloyd es vielleicht wüsste.“ Fragend sah ich sie an. „Sie möchte mit dir reden. Sie sucht dich, weil du spurlos verschwunden bist.“

„Was?“, keuchte ich. Das haute mich um. Das hätte ich nach ihrem Ausraster vor einem Jahr nicht erwartet.

Die rothaarige Frau nahm meine freie Hand in ihre beiden. Eindringlich sah sie mich an. „Cassandra will sich für ihre Reaktion entschuldigen. Ich hab ihr nichts gesagt, nur dass Lloyd auch verschwunden ist und ihr vermutlich zusammen weggelaufen seid. Aber ich dachte, das solltest du wissen.“

„Warum?“, flüsterte ich. „Warum will sie plötzlich wieder Kontakt? Sie hat mir gesagt, ich wäre nicht mehr ihre Tochter. Sie hat mich angeschrien und meine alte Handynummer gesperrt!“

„Weil sie schockiert war“, meldete sich Nico zu Wort. „Inzwischen hatte sie Zeit, um sich zu beruhigen und die ganze Sache klarer zu sehen.“

„Deshalb hat sie sich wohl auch wieder mit Erik versöhnt“, merkte seine Frau an. „Obwohl es schrecklich ist, was er tut.“

Mir klappte der Mund auf. „Sie hat Papa verziehen?!“

„Im Ernst?“, hakte Lloyd nach. „Sie war doch so wütend. Dann haben die Ranger sie auch wieder im Visier.“

„Ja, sie wird von den Rangern überwacht, aber sie hat sich nichts zuschulden kommen lassen“, erklärte Fiona. „Darum können sie ihr wohl nichts tun. Soweit ich weiß, hat sie nur telefonischen Kontakt zu Erik.“

„Die Ranger werden sie sowieso nicht festnehmen“, murmelte ich. „Sie ist ein zu guter Köder. Sie warten, bis sich mein Vater mit ihr trifft.“

„Kann ich mir gut vorstellen“, stimmte mein Freund zu. „Außerdem hat Erik mit Sicherheit ein paar Schattenbringer zu ihrem Schutz abgestellt.“

Ich starrte in meine beinahe leere Tasse. „Ich hätte nie erwartet, dass Mama ihm verzeiht.“

„Sie liebt ihn eben“, flüsterte Fiona. „Genau wie dich.“

Ich löste meine Hände aus ihrem und Lloyds Griff, um sie gegen meine Schläfen zu pressen. Das Murmeln der anderen Gäste im Café erschien mir schlagartig lauter als zuvor. Mein Kopf tat weh. „Mir egal“, zischte ich. „Ich hab keinen Nerv für dieses Theater! Ich wollte mich mit ihr vertragen, sie hat mich weggestoßen. Da gehe ich bestimmt nicht wieder auf sie zu.“

„Willst du es wirklich nicht?“, erkundigte sich Lloyd und stand auf. Er ging um den Tisch herum zu mir. „Du könntest mit ihr reden.“

„Nein!“, rief ich. Ich ertrug nicht mal den Gedanken, wieder mit meiner Mutter oder gar meinem Vater zu sprechen. Er setzte mich unter Druck, überforderte mich ebenso wie meine verwirrenden Gefühle meinen Eltern gegenüber. „Sie hat mir deutlich zu verstehen gegeben, dass ich für sie gestorben bin.“

Nico und Fiona musterten mich besorgt, doch sie sagten nichts. Lloyd griff nach meinen Händen und zog mich sanft vom Stuhl, sodass ich ihm gegenüberstand. Er schloss mich in seine Arme. „Aber Cassandra ist deine Mutter. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass dir deine Familie völlig egal ist.“

Nur mühsam kämpfte ich gegen die Tränen an. „Meine Familie sind nur die Menschen an diesem Tisch und die Fiorita!“ Da schluchzte ich auf. „Es reicht! Ich will von dem Thema nichts mehr hören!“ Innerlich machte ich den Fiorita größte Vorwürfe, dass sie mir nichts davon erzählt hatten, obwohl sie meine Mutter für mich im Auge behielten. Sie sollten mich informieren, sobald sich die Lage änderte, aber das hatten sie nicht.

„Genau darum haben wir nichts gesagt“, ertönte Shadows Stimme in meinem Kopf. „Wir wussten, dass es dich schockieren würde.“

Ich verstand es und ich war ihnen dankbar für ihre Rücksicht, aber das hätten sie mir erzählen müssen. Shadow entschuldigte sich. Ich zögerte, nahm die Entschuldigung aber an. Ich konnte den Fiorita sowieso nicht lange böse sein. Lloyd drückte mich fest an sich. „Ist ja gut“, redete er auf mich ein, während er mir über die Perücke strich. „Es ist deine Entscheidung. Du musst nicht, wenn du nicht willst. Und du musst auch nicht sofort mit ihr reden. Lass dir Zeit. Wir genießen erst mal diesen Tag, okay?“

Ich schniefte leise, nickte aber und erwiderte seine Umarmung. „Okay.“

Allerdings wollte ich meine Entscheidung nicht ändern. Ich hatte nichts mehr mit meinen Eltern oder meinem alten Beruf zu tun. Was auch immer im Bezirk der Ranger geschah, ich wollte es gar nicht hören. Es betraf mich nicht mehr. Mein Leben spielte sich ausschließlich in Renia ab.

In Liebe und Hass - Fioria Band 3

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