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ROSWITHA (HROTSVITHA) VON GANDERSHEIM

* um 935 in Sachsen

† 975 in Sachsen

Erste deutsche Dichterin

»Wenn Sappho wegen ihres süßen Gesangs die zehnte der Musen ist, so ist Hrotsvitha die elfte.«

(WILLIBALD PIRCKHEIMER)

Das literarische Werk der Hrotsvitha (Roswitha) von Gandersheim stellt das umfangreichste erhaltene Oeuvre des 10. Jahrhunderts dar. Dabei weiß man über diese Frau recht wenig. Man vermutet, dass sie aus einem sächsischen Adelsgeschlecht stammt. Als sehr junges Mädchen wurde sie zur Erziehung in das braunschweigsche Kanonissenstift Gandersheim gebracht. Gerberga, eine Nichte Kaiser Ottos I. und spätere Äbtissin, nahm sich des Mädchens liebevoll an, und sie wurde deren gelehrige Schülerin. Das große Damenstift war eine reiche geistliche Anstalt, deren Äbtissin über ausreichende Mittel verfügte, um Baumaßnahmen durchzuführen und die Herstellung von Kunstwerken oder kostbaren Handschriften für die Bibliothek in Auftrag zu geben.

Im Gandersheimer Stift hielt sich auch Theophano gerne auf, jene gebildete byzantinische Prinzessin, die Otto II. im Jahr 972 geheiratet hatte, ein Jahr bevor er seinem Vater als Kaiser auf den Thron nachfolgte. In Gandersheim wurden auch Theophanos beide Töchter Adelheid und Mathilde erzogen, die 977 und 979 geborenen Schwestern des jungen und unglücklichen Kaisers Otto III. Adelheid war von 1039 bis 1043 sogar Äbtissin von Gandersheim. Zu Hrotsvithas Zeiten war der angesehenste Mittler zwischen dem Stift Gandersheim und dem Hof jedoch zweifellos der Bruder des Königs, Brun Herzog von Lothringen, Erzbischof von Köln und damit auch Kanzler des Reichs.

In Gandersheim lebten die Frauen nach der Benediktinerregel, allerdings in einem »gemischten System«. Neben den eigentlichen Nonnen gab es die so genannten »ancillae dei canonicae« oder »sanctimoniales«, das heißt Kanonissen, die zu einer weniger strikten Befolgung der Regel verpflichtet waren. Mit einiger Sicherheit gehörte auch Hrotsvitha zu ihnen. Hrotsvitha begann alsbald, die Legenden der Heiligen als Tischlektüre für ihr Kloster in Verse zu setzen. Hrotsvitha hat ihr Werk selbst in drei Bücher eingeteilt. Das Legendenbuch, entstanden in den 50er und 60er Jahren des 10. Jahrhunderts und an ihre Äbtissin Gerberga gewidmet, enthält acht Heiligenlegenden – mit Ausnahme von Gongolf – in leoninischen Hexametern: Maria, Ascensio, Gongolf (Hl. Gangolf), Pelagius, Theophilus (eine Teufelspakt-Legende), Basilius, Dionysius und Agnes. Das Dramenbuch, entstanden um 965, wollte eine christliche Alternative zu Terenz bieten. An die Stelle schlüpfriger Liebesgeschichten sollte die Darstellung der Keuschheit frommer Jungfrauen treten. Es sind dies sechs Dramen in Reimprosa, zum Beispiel »Dulcitus« und »Abraham« – Stücke, die allerdings weniger Dramen als »Dialoglegenden« sind. Dazu kommt noch eine mittelalterliche Fassung des Fauststoffes mit 455 Hexametern.

Die Kanonisse interessierte sich auch für Politik und Geschichte, besonders für die Geschichte der Päpste. Es entstand eine historische Dichtung in leoninischen Hexametern mit dem Titel »Carmen de gestis Oddonis I. imperatoris« (»Die Taten Ottos des Großen«) in 1500 Versen. Darin schilderte sie ausführlich auch Leben und Charakter der ottonischen Königinnen.

Des Weiteren verfasste sie eine Geschichte der Gründung und Anfangszeiten des ottonischen Stifts Gandersheim von 846 bis 919. In ihren Legenden und Dramen steht das Lob der Keuschheit im Mittelpunkt einer Welt der göttlichen Wunder, die an Märtyrern und Heiligen offenbar werden. Die Dramen sind die ältesten dramatischen Versuche des Mittelalters.

Die »Ottonische Renaissance« kannte die heiteren Komödien des römischen Lustspieldichters Terenz. Hrotsvitha orientierte sich an diesem Dichter, verfolgte aber ausdrücklich das Ziel, den oft heidnischen und frivolen Geist durch tugendreiche Darstellung in ihren Arbeiten zu ersetzen. Ihr dichterisches Schaffen lässt sich für den Zeitraum von 960 bis 973 datieren.

Die wichtigste Handschrift ihrer Werke, die alle Texte außer den Primordia enthält, ist der Codex Bayerische Staatsbibliothek Clm 14485, ein von mehreren Händen in Gandersheim, Ende des 10. oder Anfang des 11. Jahrhunderts geschriebenes Werk. Es wurde von dem Humanisten Conrad Celtis 1491 im Regensburger Kloster St. Emmeram entdeckt und der editio princeps in Nürnberg 1501 (illustriert von Albrecht Dürer) zugrunde gelegt. Hrotsvithas Wahrnehmung war seit der Wiederentdeckung ihres Werks durch Conrad Celtis vom Geschichts- und Frauenverständnis der Zeit abhängig. Dies begann bereits mit Celtis selbst, der auf Hrotsvitha seine Vorstellung einer zeitgemäßen Frauenbildung projektierte: Hrotsvitha wurde zur Verkörperung humanistischer Bildungsideale. Celtis schrieb ihr daher Griechischkenntnisse zu, die nicht belegt sind, aber zum humanistischen Ideal klassischer Zweisprachigkeit gehörten, und übertrieb ihre Kenntnisse in den Fächern des Quadriviums und in der Philosophie. Die einzige kritische Anmerkung zu seiner Darstellung kam von der gebildeten Äbtissin des Klarissenkloster St. Klara Nürnberg, Caritas Pirckheimer. Diese sah in Hrotsvitha einen Beweis für die von Gott gegebene gleiche Begabung von Mann und Frau und nahm Hrotsvithas Motivation zu schreiben nicht als eine humanistische Selbstbetrachtung wahr, sondern sah darin ihren Wunsch, ihre Frauengemeinschaft zu unterrichten und zu erziehen.

Im Jahr 1930 veranstaltete die Stadt Gandersheim einen Rundfunktag kulturschaffender Frauen. Bereits vier Jahre zuvor hatte die Stadt Hrotsvitha zum Mittelpunkt eines historischen Festumzugs gemacht. Dabei wurde Hrotsvitha auf die Gestae Ottonis reduziert. 1952 feierte Gandersheim sein 1100–jähriges Bestehen, unter anderem mit einem Hrotsvitha gewidmeten Dichterinnentreffen, zu dem etwa Luise Rinser geladen wurde. Im Andenken an das Werk Hrotsvithas finden seit 1959 vor der romanischen Stiftskirche die Gandersheimer Domfestspiele statt. Das angenommene tausendste Todesjahr 1973 brachte eine neue breite Wahrnehmung: Bundespräsident Dr. Gustav Heinemann besuchte Gandersheim anlässlich der Vorstellung einer Briefmarke mit einem Motiv zu Hrotsvitha. Die Stadt Bad Gandersheim verlieh zudem erstmals den nach Hrotsvitha benannten Roswitha-Preis an Schriftstellerinnen. 1975 verlieh die Stadt als weitere nach der Dichterin benannte Ehrung den Roswitha-Ring an die beste Künstlerin aus dem jeweiligen Ensemble der Domfestspiele.

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