Читать книгу Josef in der Unterwelt - Martin Becker - Страница 5
Der Steinbruch
ОглавлениеEs war still im Wald. Vom vergangenen Sommer spürte man nur noch wenig Wärme. Der lautstarke Singsang der Vögel in den Ästen und Zweigen hatte sich verflüchtigt, und die kunstvoll bereiteten Nester, Bauwerke für eine Saison, waren verlassen. Verblasst war auch das üppige Grün der Blätter in den Bäumen, der Sträucher, Farne und Gräser. Seit einigen kühlen Nächten verfärbten sich die Bäume und hüllten sich ein in orangegelbe, rote und braune Gewänder. In den Senken der weichgeformten Hügel lagen weiße Nebelbänke, und aus den dunklen Tannen leuchteten weißgelbe, feingliedrige Birken hervor. Es roch nach Pilzen, nach Moos und nach feuchtem Holz.
Hinter den Hügeln stieg die Morgensonne auf und fasste mit schnellen, leuchtenden Strahlenarmen nach nassem, tauglitzerndem Gras und kaltem Gestein. Sie legte schräge, parallele Leuchtstreifen auf die Äste und Stämme und wärmte Lichtplätze und Fußwege am Waldrand. Auf den offenen Wiesen flossen niedrige Nebelschwaden, die im klaren Gegenlicht der aufsteigenden Sonne wie von selbst leuchteten.
Die Vögel waren bereits fortgezogen, und mit ihnen war auch das Lärmen und bunte Treiben in den Ästen verschwunden, wie das Lachen von Kindern im Haus, die erwachsen wurden. Nur hin und wieder piepste die Stimme von Nachzöglingen und überwinternden Vögeln, auf der Jagd nach einer fetten Beute.
Vom nahe gelegenen, steil abfallenden Hügel ertönte ein lang gezogener Hupton.
Plötzlich bebte die Erde und eine Explosion zerriss die Stille, wie das unerwartete Donnern eines nahen Blitzeinschlages. Steine und Staub schleuderten auf, und fielen prasselnd auf die dürren Zweige im Waldboden. Das Poltern des Steingerölls legte sich im kleinen Steinbruch, der mit seiner scharfen Schnittkante den schönen Waldhügel trennte, wie eine Schürfwunde. Maschinen heulten auf. Riesige Radlader vergruben mächtige Schaufeln in das schwere Gestein und räumten dröhnend den Geröllhaufen beiseite, bis zur nächsten Explosion.
Seit es den Steinbruch gab, wurde er nahezu halbkreisförmig in den Hügel eingegraben, und die sandsteinfarbenen, nackten Felsen waren weit vom Tal aus zu sehen. Jetzt im seitlichen Morgenlicht, zeichneten sich die Schatten des Felsens an der Wand in harten, bedrohlichen Konturen ab.
Wer vom nahe gelegenen Städtchen im Tal über die schmale Schotterstraße zum Steinbruch gelangen wollte, fuhr durch einen unwegsamen, von Lastwagenreifen tief zerfurchten Waldweg den Hügel hinauf, bis sich dort plötzlich der Blick über die bunten Herbstwälder öffnete. Für die Arbeiter im Bruch war das der schönste Arbeitsplatz der Welt. Der Weg führte ebenerdig in den schmalen Eingang des Steinbruchs, durch den die Baggerfahrer ihre schweren Maschinen mit besonderem Spaß überschnell durchjagten.
Am Rand der engen Straße vor dem Steinbruch stand eine hohe, verrostete Schottermühle mit Laufbändern und Sortieranlage, wie ein vorzeitliches, grünes Dinosaurier-Gerippe. Gut sortiert rieselte das gemahlene Gestein von den Sortierbändern auf verschiedene, pyramidenförmige Steinhügel. Ein alter, verbeulter Lastwagen, mit einer verwitterten Firmeninschrift an den Türen glotzte mit zwei hohlen, runden Lampen auf die Straßenzufahrt und markierte die Einfahrt zum Steinbruch. Die Achse seines fehlenden Vorderrads war mit Holzklötzen unterlegt und drohte jederzeit nach vornüber zu kippen. Das wuchernde Gestrüpp unter dem Wagen zeigte jedoch an, dass dieser schon lange hier stand.
Vor der kleinen Wellblechbaracke gegenüber, dem Büro, Pausen- und Umkleideraum des Steinbruchs, unterhielten sich Franz, der dicke alte Vorarbeiter mit zwei Männern. Diese trugen weiße Bauhelme mit roter Aufschrift. Heute war wieder Sprengstofflieferung, wie jeden Monatsanfang. Franz nahm diese Lieferung wie immer besonders wichtig, zählte die Päckchen in der Blechkiste genau ab und quittierte sie auf den rosa Lieferscheinen, wobei er seine Unterschrift mit der Zunge auf den Lippen mitverfolgte. Er bedankte sich mit einem billigen Schnäpschen, gegen den sich die beiden Männer jeden Monatsanfang immer wieder erfolglos wehrten, wo ihnen doch ein Kaffee lieber wäre. Ihr Gespräch wurde unterbrochen, als ein großer, gelber Lader mit mannshohen Rädern an ihnen vorbeidröhnte. Das Ungetüm stieß dichten, schwarzen Ruß aus den beiden Auspuffrohren und grub seine riesige Schaufel ohne Mühe in das grobe, scharfkantige Gestein.
„Ja, dann wollen wir mal wieder“, sagte der Sprengstofflieferant zu seinem Kollegen und reichte dem Vorarbeiter das leere Schnapsglas zurück. Dieser verstand die Geste falsch und schenkte das Glas noch einmal voll.
„Halt, nein, nein!“ protestierte der Lieferant.
„Ach, was!“ brummte Franz unbeirrt, „ein Schnäpschen hat noch keinem geschadet.“
Von der letzten Kurve des Waldwegs her sah man einen jungen Mann auf dem Fahrrad, die letzte Steigung zum Steinbruch bezwingen. Mühelos erreichte er die Baracke und hielt mit staubenden Reifen vor den Männern an.
„Guten Morgen, zusammen“, grüßte er grinsend und stieg ab.
Er zeigte nicht die geringste Spur von Anstrengung und trug sein Geländefahrrad mit einer Leichtigkeit unter das kleine Vordach der Baracke, als wäre es ein Aktenkoffer. Auch die beiden Herren in den weißen Helmen lernten seine Kraft kennen, als er sie mit festem Blick und beherztem Handschlag begrüßte. Nach seinem Anstieg zum Steinbruch war die Feinmotorik seines Händedrucks für zarte Herren noch nicht abgestimmt.
Franz lachte. „Grüß Gott, Josef!“ sagte er und schaute auf die Uhr. „Ist wohl ein bisschen spät geworden, was?“
Der junge Mann überragte die Umstehenden um Kopfeslänge. Er strich mit der Hand durch sein schwarzes, zerzaustes Haar, das sich durch die wilden Locken schwer ordnen ließ und suchte nach einer schnellen Ausrede. Ihm fiel aber keine ein.
„Tja, äh“, stotterte er und grinste verlegen.
Als Sohn des Chefs wusste er zwar, dass seine Unpünktlichkeit nicht geahndet wurde, aber man erwartete von ihm, ein Vorbild gegenüber den Kollegen zu sein. Der Vorarbeiter verzog lachend seinen breiten Mund, in dessen Winkel ein Zigarrenstummel steckte und klatschte dem Jungen auf die Schulter.
„Da ist der feine Herr heut wohl nicht aus den Federn gekommen, was?“ und mit listigem Blick zu den beiden Sprengstofflieferanten sagte er geziert: „Aber als Sohn des Chefs kann man sich das wohl erlauben, oder?“
Franz, der Vorarbeiter, arbeitete bereits mit Josefs Großvater zusammen und kannte den Jungen schon als Kind. Natürlich wusste er, dass er zu ihm nicht streng sein musste. Die Jungs im Bruch arbeiteten alle gern und fleißig. Da konnte er schon manches durchgehen lassen. Und in zwei Jahren würde er in die wohlverdiente Rente gehen.
„Äh, ja. Wurde ein wenig spät, schätz ich“, murmelte Josef. Er dachte an Eva und bereute gar nichts. Sein muskulöser Hals und die etwas eng liegenden Augen verrieten ihn als einen körperbetonten Menschen. Die Augenbrauen zeichneten eine gerade Linie über der Nasenwurzel, und in den letzten Winkeln seines Mundes spielte ein leichtes, selbstzufriedenes, stolzes Lächeln, das er auch im größten Ärger nie verlor. Er hatte eines dieser Gesichter, die niemals einem anderen ähnlich sein konnten. Vielmehr sahen alle ähnlichen Gesichter höchstens nur ihm gleich.
Er entdeckte die vollen Schnapsgläser in den Händen der verlegenen Sprengstofflieferanten, die genau wussten, dass ihnen das Glas nachgeschenkt wurde, sobald sie es leerten. Franz wartete bereits mit dem Korken in der Hand.
„Komm, Sepp“, bestimmte der Alte. „Jetzt holst du dir auch mal ein Glas.“
„Es ist immer dasselbe, Franz“, lachte Josef, und holte zwei Gläser aus der Teeküche der Baracke. „Dieses Mal aber kommst du uns nicht davon. Du trinkst jetzt auch einen.“
„Aber du weißt doch, ich trinke nie. Mein Magen!“
„Keine Widerrede. Hier. Jetzt sagen wir Prost.“ Josef schenkte die Gläser voll und stieß sein Glas an das der anderen.
Die vier hoben die Gläser und stürzten das scharfe Zeug mit Verachtung die Kehlen hinab.
„Aah, pfui Deibel!“ ächzte Franz und spuckte den Mundinhalt hinter sich aus. „Was ist denn das?“
Die Lieferanten lächelten höflich aber verschmitzt.
„Am besten schmeckt dieses künstliche Aprikosen-Aroma.“ sagte Josef, verzog seinen Mund und klopfte sich hustend auf die Brust. „Vor allem bei Zimmertemperatur.“
„Igitt. Und davon habe ich noch zwei Flaschen.“ Franz leerte den Rest der Flasche verächtlich auf die Erde.
„Also, dann wollen wir mal“, die Sprengstofflieferanten bedankten sich freundlich, verabschiedeten sich und gingen zurück zu ihrem Fahrzeug.
„Bäh“, sagte Franz. „Ich brauche jetzt einen Kaffee, um den Nachgeschmack wegzukriegen. Willst du auch einen?“
„Nee, Franz. Dein Kaffee ist noch schlimmer.“
Josef lebte noch bei seinen Eltern, am Fuße des Waldwegs im Tal. Sein Großvater begann nach dem Krieg mit dem Steinbruch und belieferte die Eisenbahn mit Schottersteinen. In den alten Familienfotos sah man Großvaters ersten LKW, derselbe, der heute völlig verrostet den Eingang bewachte. Sein Sohn Karl erweiterte später das Geschäft und errichtete im Tal ein Bitumenwerk für den Straßenbau.
Eva hatte den schönsten Streichelkörper der Welt, und ihre rehbraunen Augen und ihr strahlendes Lächeln sagten „Ich liebe Dich“, ohne dass sie ein Wort dazu sagen musste. Eigentlich wäre Josef ja schon früher aufgestanden, aber sie ließ ihn nicht weg. Und er blieb gern, ließ sich von ihr wieder zurückziehen, in ihre Arme, an ihren weichen Körper.
„Bleib heute hier.“ hat sie ihm ins Ohr gehaucht. Er aber lachte sanft. Die Disziplin hatte er von seiner Mutter geerbt, aber auch das weiche Herz seines Vaters. Natürlich konnte er nicht einfach bleiben, aber er könnte ja daheim fragen, ob er für heute frei haben könnte, oder zumindest früher Schluss machen.
Josef zog sich seinen blauen Bauhelm über, der an einem Nagel an der Baracke hing. Er besprach sich kurz mit dem Vorarbeiter.
„Heute Mittag mache ich früher Schluss“, sagte er. „Eva und ich fahren in die Stadt.“
„Hast du das mit deiner Mutter abgeklärt?“ fragte Franz und paffte an seinem kurzen Zigarrenstummel.
„Ja, ja. Sie war einverstanden.“
„Aber wie ich sie kenne, gab es erst einmal große Diskussionen, stimmt’s?“
„Ja. Sie will, dass ich Verantwortung lerne, bis ich mal das Geschäft übernehme.“
„Hör mal, mein Junge“, sagte der Alte und nahm Josef beiseite. „Du bist jetzt bald fünfundzwanzig. Was denkst du, wann du das Geschäft übernehmen wirst?“
„Ich?“ fragte Josef und sah ihn betrübt an. „In frühestens zwanzig Jahren, schätz ich.“
„Und freust du dich schon darauf?“
„Freuen? Ich sage dir, Franz. Ich habe jede Nacht Alpträume davon.“
„Das habe ich mir gedacht. Deine Eltern wollen dich schon so langsam einwickeln, stimmt’s?“
„Mmmmh. Ich soll den Fuhrpark übernehmen.“
„Du weißt, ich mag deine Mutter sehr, und dein Vater ist wie ein Sohn für mich“, sagte der Alte so geheimnisvoll, als würde er schlecht über andere Leute reden. „Aber noch viel lieber mag ich dich. Weißt du, ich sehe das, wie du leidest. Dafür kenne ich dich zu gut.“
„Leiden ist kein Ausdruck. Und ich weiß nicht, wie ich das meinen Leuten sagen soll.“
„Ich muss dir eins sagen. Aber wehe, du erzählst das deinen Eltern, was ich dir jetzt erzähle! Glaube mir, das Geschäftsleben ist nichts für dich. Du solltest deinem Vater sagen, dass er sich einen anderen Nachfolger suchen soll. Irgendeinen Manager aus der Stadt.“
Josef lachte erschreckt auf. „Nein! Das kann ich doch nicht meinem Vater sagen. Das bringt ihn um.“
„Willst du tatsächlich auf Warteposten gehen, bis du für deinen Vater Türklinken putzt für jeden Auftrag und für deine Mutter die Buchhaltung machst und Quittungen abheftest? Nein, mein Junge. Das ist doch nichts für dich. Da gehst du ein, wie ein Primelchen. Schau dich doch an! Was willst du auf einem Bürostuhl. Du solltest dich bald nach einem Job umschauen, der dir Spaß macht und dich eine Weile von deinen Eltern wegbringt.“
„Die haben aber keinen anderen Nachfolger, als mich. Und einen Fremden werden sie niemals nehmen.“
„Ich beobachte dich schon lange, mein Junge. Ich sage dir das deshalb, Sepp, weil ich meinen Sohn verloren habe. Der will nichts mehr von uns wissen.“
„Du hast einen Sohn?“
„Weißt du, es gibt ein Naturgesetz und das heißt: `Die Natur holt sich immer ihr Recht zurück`. Man kann keine Kinder gegen ihre Natur aufziehen. Als Erwachsene werden sie das nachholen, was sie als Kind vermissten. Da, wo du die Entwicklung deiner Kinder heute unterdrückst, da brechen sie später einmal aus. Wir haben zu viele Erwartungen in unseren Sohn gesteckt. Er sollte studieren und es einmal besser haben. Und dann hatte er die Schule abgebrochen, weil wir ihn so gezwungen haben. Er ist ausgebrochen und wollte nichts mehr von uns wissen. Jetzt kennen wir nicht einmal unsere Enkelkinder. Es ist nicht gut, dass deine Eltern dich schon so früh zu ihrem Nachfolger erziehen. Das ist sogar schlecht fürs Geschäft, denn du wirst ein schlechter Geschäftsmann sein. Du bist nicht fürs Büro geschaffen. Sie sollten dich deinen eigenen Weg gehen lassen. Wenigstens für ein paar Jahre. Zurückkommen kannst du ja immer noch in zwanzig Jahren. Denk mal darüber nach.“
„Ich danke dir, Franz“, sagte Josef und legte die rechte Hand auf seine Schulter. „Es stimmt, was du sagst.“
„So, und jetzt brich nicht gleich in Tränen aus, schau zu, dass du endlich das Arbeiten anfängst.“
Beide lachten und Josef machte sich auf.
Er drehte sich noch mal um. „Ich weiß trotzdem nicht. Ich könnte nie mit meinem Vater reden.“
„Überleg dir das, mein Junge. Nimm dir Zeit dafür.“ sagte der Alte und rief dann: „Nimm heute den Blauen und zerkleinere die Steine da drüben.“
Josef stieg in ein blaues Kettenfahrzeug, mit dem Schlagbohr-Eisen am Ausleger, so stark wie ein Oberarm. Er ließ den Motor an, der das Gefährt zunächst in eine schwarze Rußwolke hüllte. Grinsend steuerte der junge Mann seinen Bagger mit wippendem Ausleger und jammernden Motor an der Baracke vorbei in den Steinbruch. Franz nahm die Zigarre vom Mund und schaute sie sich an. Der Diesel hatte ihm den Geschmack verdorben.
Josef bewegte seine Maschine zu besonders großen Steinbrocken, um sie für den Abtransport zu zerkleinern. Mit tuckernden Schlägen bohrte sich die Lanze der Raupe in den gewaltigen Stein, bis dieser zersprang. Die gelben Riesen besorgten den Rest. Die Steinbrucharbeit war hart und gefährlich und in den Fahrerkabinen war es heiß.
Ein Fahrer im blauen Helm stoppte seinen Bagger und winkte Josef zu sich herüber. Beide stiegen auf die monströsen Räder und öffneten die Motorhaube. Irgendwie lief der Motor nicht rund. Vielleicht ließ sich der Schaden schnell beheben. Josef kletterte wieder hinab und lief zur Hütte, um den Werkzeugkasten zu holen. Um den Weg abzukürzen, nahm er aber den Weg direkt auf dem Geröll der riesigen Steinbrocken, an der frisch gesprengten Wand vorbei.
Plötzlich schrien die Kollegen. Von oben lösten sich einige späte Felsbrocken und donnerten splitternd den Felsen hinab. Josef schaute hoch und sprang schnell zur Seite. Dabei stolperte er, verlor das Gleichgewicht und fiel mit dem Gesicht voran zwischen das Gestein.
Einige große Steine stürzten dicht neben Josef ein, zersprangen und rollten über ihn hinweg. Er lag geschützt in einem Spalt zwischen zwei großen Felsbrocken und legte seinen freien Arm schützend über den Kopf. Ein Stein rollte über die beiden Felsbrocken, die Hauptlast links und rechts verteilt, wie eine Lock auf Schienen, berührte Josefs Brustkorb und drückte ihn tiefer in den Spalt ein, ohne ihn zu verletzen. Der Junge keuchte unter dem schweren Brocken und konnte nicht mehr atmen.
Plötzlich spürte er ein Würgen am Hals. Es war wie ein Klammergriff zweier starker Hände an seiner Gurgel. Eine tiefe Stimme raunte ihm zu:“ Du kommst jetzt mit.“
Noch ehe er dieses Gefühl beachten konnte, rollte der schwere Felsen wieder von ihm ab und kullerte weiter. Es folgte ein prasselnder Regen von Steinbrocken und Staub. Josef blieb regungslos liegen. Er atmete einige Male tief durch. Das Würgegefühl am Hals ließ nach.
Der Steinschlag war zu Ende. Die Arbeiter liefen schnell herbei, um Josef zu bergen.
„Sepp!“ riefen sie und zogen ihn aus dem Spalt hervor.
Der Junge war benommen und völlig eingestaubt. Er öffnete die Augen, bewegte seinen Arm, sein Bein. Er fühlte keinen Schmerz. Langsam begriff er, was geschehen war und schaute auf sich herab. Ihm war nichts passiert. Keine Knochenbrüche, keine Wunden. Glück gehabt. Sein Helm lag einige Meter von ihm entfernt, völlig zertrümmert.
„Mensch, Sepp!“ riefen sie.
„Glück gehabt“, lachte Josef, räusperte sich und fasste sich an den Hals. „Es ist nichts passiert.“
Die Kollegen begleiteten Josef zur Baracke. Der alte Vorarbeiter lief ihnen entgegen.
„Sepp! Ist dir was passiert?“
„Nein, nein, Franz. Glück gehabt“, sagte Josef mit dünner Stimme. Seine Knie waren etwas weich vom Schreck.
„Junge, verflixt! Wie konntest du nur so unvorsichtig sein!“
„Das nächste Mal passe ich besser auf“, lächelte Josef.
„Willst du dich ausruhen?“ fragte Franz besorgt.
„Na, klar!“ lachte er und wandte sich den anderen Kollegen zu. „Ist doch Frühstückspause, oder nicht?“
Die Arbeit im Steinbruch ging bald wieder wie gewohnt weiter. Josef behielt aber den steilen Fels respektvoll im Auge. Seinen zerstörten Helm wollte er sich daheim im Zimmer ins Regal stellen.