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DREI

Never, never, never, never

Never known a girl like you before

EDWYN COLLINS

Mehmet 5 hatte sich zum Telefonieren auf die andere Straßenseite in den großzügig gestalteten Hauseingang von Just Pizza begeben, über dem sich das Mondlicht in den fahlen, matten Fenstern eines Leihhauses vergeblich abmühte, etwas Glanz herbeizuzaubern. Er wollte den Albaner informieren, dass sie den Lehrer tatsächlich aufgespürt hatten, dass er Verstärkung brauchte und der Lehrer ein absoluter Vollprofi war. Mann, was hat der uns auflaufen lassen. Mehmet 5 konnte es nach wie vor nicht fassen.

Die anderen vier Bandenmitglieder hatten sich auf der ­anderen Seite direkt vor der Tür der Sportbar ­gruppiert. ­Mehmet 5­ hatte gerade seinen Bericht beendet, als die Kneipentür aufflog und eine Horde wild gewordener Engländer herausstürmte. Er schnappte Wortfetzen wie Fuck, Pussy und Queen auf, als auch schon die Fäuste flogen. Die verdutzten Osteuropäer hatten keine Chance und nach den ersten harten Treffern suchten sie schleunigst ihr Heil in der Flucht. Die Engländer setzten ihnen nur halbherzig in Richtung Hauptbahnhof nach und gingen dann grölend zur Sportbar zurück.

In dem Chaos hätte Mehmet 5 fast übersehen, wie sich der Lehrer aus der Sportbar stahl und schließlich den Steindamm hinunterrannte. »Scheiße, er haut ab, ich bleib dran«, zischte er noch in sein Handy, legte auf und nahm die Verfolgung auf.


Zwei Toreingänge weiter staunte Karl nicht schlecht, als er auf der anderen Straßenseite Joshua entlangrennen sah. Als dann auch noch ein anderer Mann direkt vor ihm vorbeilief, den Blick starr auf Joshua geheftet, dämmerte Karl, dass sein neuer Kumpel in ernsthaften Schwierigkeiten steckte. Heute ist wirklich eine außergewöhnliche Nacht, dachte Karl, als er im Schein einer Straßenlaterne den Tanz einiger Schneeflocken beobachtete, außergewöhnlich und so schön. Entschlossen folgte er den beiden.


Joshua musste sich konzentrieren. Während er den Steindamm hinuntergestürmt war, wäre er mit den glatten Sohlen seiner Business-Schuhe schon zweimal beinahe weggerutscht und hatte den Sturz nur durch wilde Ruderbewegungen mit den Armen verhindern können. Der Bürgersteig war leicht abschüssig und von einer feinen Schneeschicht überzuckert, die immer wieder von undefinierbarem Müll unterbrochen ­wurde.

Was ist das nur für eine irre Geschichte, in die ich da hineingeraten bin? Bin ich vielleicht gar nicht in Gefahr? Immerhin schien diese Jamaika zuerst ja auch ein wenig neben der Kappe zu sein. Fakt ist aber auch, dass die fünf Kerle mich zum Albaner bringen wollten, notfalls mit Gewalt. Von dem hat Jamaika auch gesprochen. Außerdem hat sie recht damit gehabt, dass die Kerle mir draußen auflauern würden. Joshua geriet wieder ins Schlittern. Ich muss von der Straße weg, dachte er, und dann aus irgendeinem Hinterhof in aller Ruhe die Polizei anrufen und um Hilfe ­bitten.

Versteck dich unter einer Mülltonne oder noch besser, in einer Mülltonne, hatte Jamaika gesagt.

Super Idee. Der Maßanzug hatte ein kleines Vermögen gekostet. Und wenn das ganze doch nur ein Schwindel war? Irgendein blödes Spielchen? ­Ich bin bestimmt nicht der erste Mann, der sich für eine so schöne Frau wie Jamaika zum Affen macht. ­Ist bestimmt so eine Masche ­von der.

Joshua hing noch seinen Gedanken nach und ­wollte gerade­ sein Tempo verlangsamen, doch dann hörte er es. ­Erst war er sich nicht sicher, aber dann tropfte die Erkenntnis lang­sam in sein Hirn, bis er sie nicht mehr leugnen konnte. Er hörte Schritte hinter sich, schnelle Schritte. Mal war das Klackern von Schuhen auf Asphalt zu hören, dann wieder das leicht ratschende Geräusch, wenn der Schuh durch die angefrorene Decke einer der vielen Schneeverwehungen brach. Und die Schritte kamen näher. Kein Zweifel, jemand rannte hinter ­ihm her.

Verdammt, ich werde tatsächlich verfolgt! Kein Spielchen! Scheiße! Joshua erhöhte sofort sein Tempo und hoffte, um Gottes willen nicht auszurutschen. Er wagte es nicht, sich umzuschauen.

Die Schritte wurden deutlicher. Klar, wenn die nur halbwegs vernünftige Schuhe haben, kann ich dieses Rennen nicht gewinnen – und jeder Schuh ist jetzt besser als meiner!

Joshua dachte fieberhaft über einen Ausweg nach und er war schon fast an dem mit Graffiti beschmierten, fünfstöckigen Mietshaus vorbei, als er begriff, warum das Gebäude ­länger als nötig seine Aufmerksamkeit blockierte: Die Haustür war nur angelehnt.

Er versuchte, bei vollem Tempo die Richtung zu wechseln, rutschte diesmal jedoch wirklich weg, landete mit den Knien im Schnee, rappelte sich notdürftig auf und warf sich gegen die Tür.

Der Hausflur war stockdunkel. Nur ganz am Ende warf die Außenbeleuchtung einen schwachen Schein durch ein kleines, mit zwei massiven Stangen vergittertes Fenster. Das muss ein Fenster in der Tür zum Hinterhof sein, schoss es Joshua durch den Kopf.

Vielleicht habe ich ja Glück und die ist auch offen. Ohne Rücksicht auf Verluste – und sein aufgeschlagenes Knie – sprintete er auf das dünne Licht am Ende des Ganges zu.

Er hoffte noch, dass er sich abfangen könnte, als er über irgendwelches Gerümpel stolperte, das jemand im Hausflur hatte liegen lassen, aber es gelang ihm nicht. Seine linke Schulter schrammte schmerzhaft an dem Geländer entlang, das zur Kellertreppe führte, und schon knallte er der Länge nach auf den kalten Fliesenboden. Einen Moment lang blieb ihm die Luft weg. Dann sprang er auf und ging nun deutlich vorsichtiger die letzten Meter auf das Fenster zu. Bingo, das Fenster gehört tatsächlich zur Tür zum Hinterhof!

Von der Straße her hörte er, wie sich die Schritte verlangsamten. Hatten seine Verfolger mitbekommen, dass er in das Haus geflüchtet war? Endlich hatte er den Türgriff gefunden, drückte ihn runter und stellte erleichtert fest, dass die Tür nicht abgeschlossen war. Schnell schob er sich in den Hinterhof und schloss die Tür vorsichtig hinter sich. Der Hof wurde von drei Laternen, die entlang der Häuserzeile standen, in schwaches Licht getaucht. Ein feinmaschiger, aber stabiler Maschendrahtzaun umschloss den kompletten Hinterhof. Der ist bestimmt dreieinhalb Meter hoch, da komme ich nicht rüber, dachte Joshua, und erkannte, dass er in einer Sackgasse gelandet war. Fieberhaft blickte er sich um: An der Hauswand lehnten zwei alte, vor sich hin rostende Fahrräder. Sonst stand hier und da nutzloses Gerümpel herum, sogar ein ausrangiertes Sofa schien hier seine letzte Ruhestätte gefunden zu haben. Dann entdeckte Joshua hinten an der Hauswand drei Müllcontainer.

Wenn es mir gelänge, einen der Container zum Zaun zu ziehen, könnte ich da raufklettern und dann über den Zaun verschwinden, überlegte er, als er zu den Containern eilte. Er packte den Griff und zog den Container in seine Richtung. Nach einem knappen halben Meter gab es einen Ruck und der Container rührte sich nicht mehr. Ungläubig musste Joshua feststellen, dass die Container mit einer Metallkette an der Hauswand gesichert waren. Welcher Wahnsinnige sichert seine Müllcontainer gegen Diebstahl?, fragte er sich. Als er den Hinterhof gerade nach einer Art Werkzeug absuchen wollte, flammte hinter der Hoftür das Licht im Hausflur auf. War’s das jetzt? Haben sie mich gefunden? Nach so kurzer Zeit? Ohne lange nachzudenken, schob er den Deckel des ersten Containers zurück und schwang sich über den Rand. Der Gestank von Fäulnis und verrottetem Gemüse schlug ihm entgehen. Mist, Biotonne. Aber zum Zögern war keine Zeit. Mit Jamaikas Worten im Ohr landete er in der Tonne und versank tief bis über die Knöchel in dem Gemisch aus modrigem Obst und Gemüse.

Schnell schloss er den Deckel und Dunkelheit umfing ihn. Er versuchte, seinen Atem zu beruhigen, kniete sich hin und begann, den Müll nach irgendetwas, das er als Waffe benutzen konnte, zu durchwühlen. Seine Finger schlossen sich gerade um etwas halbwegs Hartes in dem Matsch, als der Deckel mit einem Ruck aufflog.

Joshua schrie auf, riss die Hand hoch und wirbelte zur Öffnung herum.

Das verblüffte Gesicht, das über ihm erschien, gehörte keinem der Kerle aus der Sportbar. Es war viel mehr das bärtige, ungewaschene Gesicht eines der vielen Obdachlosen, die sich in St. Georg herumtrieben.

»Sind sie verrückt? Sie haben mich zu Tode erschreckt«, begann Joshua, während er sich in der Öffnung aufrichtete. »Ich verrückt, also ehrlich, Meister?« erwiderte sein Gegenüber sichtlich verblüfft. »Sag ma ehrlich, was bist du denn für’n Vogel? Sitzt Mitten in der Nacht in einem was- weiß-ich wie teuren Designer-Anzug im Kompost und bedrohst mich mit einer fauligen Salatgurke, aber ich soll hier der Verrückte sein, also ehrlich?«

Joshua betrachtete seine Hand. Der etwas härtere Gegenstand, den er ertastet hatte, war tatsächlich das noch feste Ende einer ansonsten stark verfaulten Salatgurke. Er schloss kurz die Augen und ließ die Gurke zurück in den Müll fallen.

»Hören Sie, ich werde von einer Gruppe Albaner verfolgt. Die verwechseln mich mit einem Lehrer. Ach Quatsch, mit einem Auftragskiller.«

»Ach so, verstehe. Und du bist wirklich sicher, dass du nicht verrückt bist?«

»Vor einer viertel Stunde hätte ich noch ganz sicher gesagt, aber so langsam kriege ich meine Zweifel.«

»Also ehrlich, nun beruhige dich erst mal. Hier ist doch niemand. Du Vogel hast mich vorhin geweckt, als du über mich gestolpert bist.«

Oh, er war also das Gerümpel im Hausflur ...

»Als ich dann sah, wie du in den Hinterhof gingst, bin ich aufgestanden, hab das Licht angemacht und wollte nachschauen, was für’n komischer Vogel sich hier nachts herumtreibt. Außer mir war niemand im Flur, ehrlich!«, endete der Penner mit Nachdruck.

Joshuas Hirn arbeitete unter Hochdruck. Vielleicht haben meine Verfolger doch nicht mitbekommen, dass ich in dem Hauseingang verschwunden bin! Vielleicht sind ihre Schritte nur langsamer geworden, weil sie mich nicht mehr sehen konnten und aufgegeben haben! Joshua atmete erleichtert auf. Dann kann ich ja jetzt endlich die Polizei rufen. Seine Linke glitt in die ­Jackentasche. Leer. Auf der anderen Seite ertastete er nur ­seine Zigaretten und das Feuerzeug.

Eine Sekunde später kniete er wieder im Biomüll und durchwühlte ihn verzweifelt. »Was soll das denn schon wieder? Also ehrlich! Nun komm doch da raus. Das kann man nicht mehr essen! Ich hab noch etwas Weißbrot und eine halbe Flasche Racke Rauchzart zum Runterspülen ...«

»Mein Handy. Ich suche mein verfluchtes Handy«, schrie Joshua den verblüfften Penner an. Aber seine Bemühungen blieben erfolglos. Scheinbar hatte er sein Handy schon vor dem Sprung in den Biomüll verloren. Schließlich kletterte er frustriert aus der Tonne und klopfte sich notdürftig den Dreck vom Anzug.

»Sie haben nicht zufällig ein Mobiltelefon«, wandte er sich plötzlich hoffnungsvoll an den Obdachlosen.

»Nenn mich ruhig Rolf und mal ehrlich, seh ich aus wie einer, der ein Handy hat?«, erwiderte er zwinkernd.

Joshua schüttelte resigniert den Kopf. »Joshua. Joshua Frankel«, stellte er sich vor und reichte Rolf die Hand. Dass er gerade einem Penner freiwillig die Hand gegeben hatte, registrierte er dabei kaum.

»Ja, und ich bin wie gesagt Rolf, Beutel-Rolf.«

»Vielleicht hab ich es verloren, als ich über dich gestolpert bin«, dachte Joshua laut.

»Dann lass uns nachsehen«, schlug Rolf vor und die beiden gingen langsam, den Boden mit Blicken absuchend, zurück zur Hoftür.

Als sie die Tür erreichten, hielt Joshua Rolf am Arm zurück.

»Das Licht!« Er deutete nach vorne auf das kleine Fenster.

»Es ist wieder aus.«

»Ja klar«, brummte Rolf, »das ist die Automatik.«

Die beiden betraten den Flur und Rolf ertastete zielsicher den Lichtschalter. Als das Licht anging, sahen sie ihn fast gleichzeitig: Auf der Türschwelle der Eingangstür lag ein Körper. Nach der Blutlache zwischen seinen Beinen zu urteilen, ein toter Körper. Die beiden sahen sich entsetzt an. Langsam, jeder hätte dem anderen gerne den Vortritt gelassen, näherten sie sich der Leiche.

Joshua musste zweimal würgen. Beinahe hätte er in den Hausflur gekotzt.

Der Körper lag bis zur Taille im Haus. Der Oberkörper und die ausgebreiteten Arme ragten nach draußen. Der Kopf war über die kleine Stufe vor der Eingangstür weit nach hinten gereckt. Der Genitalbereich des Mannes war praktisch nicht mehr existent. Wo der Penis sein sollte, waren nur noch ein blutiger Stumpf und eine etwas hervorstehende, schlauchartige Öffnung. Seine Harnröhre, durchzuckte es Joshua. Der Hodensack lag wie die leere Hülle eines Heißluftballons auf den Fliesen zwischen den Beinen des Toten.

Das Schlimmste aber war sein Gesicht.

Kleine Schneeflocken landeten auf den starren Augäpfeln. Sie schmolzen sofort und flossen dann als kleine Tropfen seitlich aus den Augen. Totentränen, dachte Joshua.

Das Bizarrste war jedoch der Mund des Ermordeten. Der Mörder hatte den abgetrennten Penis des Mannes tief in ­dessen Mund geschoben, sodass die Penisspitze jetzt grotesk, aber doch auch irgendwie keck und neugierig in den Nachhimmel von Hamburg guckte.

»Ich kann dir versichern«, räusperte sich Rolf, »dass der vor fünf Minuten noch nicht hier lag, ehrlich.«

»Und ich kann dir versichern«, antwortete Joshua mit belegter Stimme, »dass das einer der Typen ist, die hinter mir her sind.«

»Ich weiß zwar immer noch nicht, was ich von deiner ­Geschichte halten soll, Joshua, aber irgendwas geht hier vor.

Ich bringe dich jetzt erst mal weg von hier.«

Rolf trat über die Leiche hinweg auf den Steindamm. Auf der anderen Straßenseite blinkte alle fünfzig Meter die mehr oder weniger intakte, bläuliche Beleuchtung der World of Sex- Läden. Rolf blickte den Steindamm hinunter und konnte im Laternenlicht die düstere Silhouette zweier heruntergekommener Bürohäuser aus den späten sechziger oder frühen siebziger Jahren erkennen. Ein kalter Schauer lief Rolf über den Rücken. Auf St. Georg schien ein Bann zu liegen, der alles schneller altern und verfallen ließ. Nicht nur die Menschen, auch die Häuser. Er hob den Blick noch einmal zu den Gebäuden. In anderen Stadtteilen der Hansestadt wirkten Bürohäuser oft lebendig und einladend. Nicht hier. Tot und abweisend, wäre noch geschmeichelt, philosophierte er weiter und ließ seinen Blick zurück in die andere Richtung wandern. Als er niemanden sah, winkte er Joshua und weckte ihn so aus seiner Schockstarre. Benommen folgte Joshua Rolf in die Nacht. Rolf zog ihn über das Kopfsteinpflaster und bog schließlich in die Stralsunder Straße mit ihren vielen indischen Ramschläden ein, die direkt zum Hansaplatz führte.


Keine dreißig Sekunden später erreichte die von Mehmet 5 angeforderte Verstärkung das schäbige Mietshaus und bildete einen betretenen Kreis um dessen Leiche.


»Wo willst du denn mit mir hin?«, fragte Joshua, als er langsam wieder klarer denken konnte.

»Ich bring dich zu Lotta und hör mich dann mal auf dem Kiez um«, war Rolfs knappe Antwort.

»Wer ist Lotta?«, hakte Joshua nach.

»Lotta, Lotta ist eine Blume in diesem Sumpf. Lotta ist das Mädchen, das ich retten würde, wenn von mir mehr übrig geblieben wäre, als diese Hülle aus Dreck, Selbstmitleid und Verachtung, ehrlich«, kam es bitter von Rolf. Und dann begann er zu erzählen.


Lottas Geschichte

Lotta wurde vor zwölf Jahren in einer feineren Gegend, in Poppenbüttel, geboren. Ihr Vater hatte bei einem großen Energieversorger einen guten Posten als Elektroingenieur. Ihre Mutter hatte eine Lehre zur Zahnarzthelferin gemacht, übte den Beruf aber nicht aus, sondern kümmerte sich mit Leib und Seele um den Haushalt, den kleinen Garten hinter ihrem Reihenhaus und natürlich um die kleine Charlotta. Die drei lebten sehr zurückgezogen. Wenig Kontakt zu den Nachbarn, kaum Freunde. Sie waren sich in ihrer kleinen Welt selbst genug.

Doch das kleine Glück zerbrach, als Lottas Vater bei der Reparatur einer Hochspannungsleitung einen tödlichen Stromschlag erlitt. Auf sich gestellt und ohne nähere Verwandtschaft war bald klar, dass die schmale Witwenrente, die Lottas Mutter erhielt, nie reichen würde, um das Reihenhaus zu halten. Und so zog Lotta mit ihrer Mutter in eine kleine Mietwohnung in Poppenbüttel.

Lottas Mutter versuchte, wieder einen Job als Zahnarzt­helferin zu finden, aber zum einen war sie bereits seit einigen Jahren raus aus dem Job und zum anderen gab es mehr als ­genug junge Mädchen, die den Job für weniger Geld und ohne zeitliche Einschränkung durch ein Kind ausführen konnten. Kurz bevor Lotta mit sechs Jahren eingeschult werden sollte, zog ihre Mutter mit ihr nach St. Georg in eine noch kleinere, noch günstigere Mietwohnung.

Als Lotta sieben wurde, musste ihre Mutter endgültig Hartz IV beantragen. Für Lottas Mutter gab es – außer Lotta – keinen Sinn mehr im Leben. Daher freute sie sich umso mehr, als Lotta sich als gute, lernbegierige Schülerin entpuppte. Als Lotta acht Jahre alt war, lernte ihre Mutter schließlich Erwin Krüger kennen. Sie wollte wohl einfach an eine zweite Chance glauben und weigerte sich, das Offensichtliche zu sehen. Erwin Krüger war ein Schwein.

Er nutzte sie von dem Moment, wo er bei ihr eingezogen war, gnadenlos aus. Und Erwin Krüger war es auch, der Lottas Mutter erst auf harte Drogen und dann auf den Strich brachte. Umso unbegreiflicher, dass sie diesen Mann trotzdem heiratete.

In den folgenden zwei Jahren ging es mit Lottas Mutter ständig weiter bergab. Dann vor gut einem Jahr, Lottas Mutter hatte sich gerade mal wieder Krügers Willen gebeugt und Lotta an der Hauptschule St. Georg angemeldet und nicht – wie alle ihre Lehrer es forderten – am Gymnasium, schlug das Schicksal noch härter zu. Lottas Mutter erwischte eine verunreinigte Dosis Crack und starb eingepisst und vollgeschissen in dem kleinen Parkbereich südlich des Hauptbahnhofs.

Das Jugendamt sprach das Sorgerecht für Lotta Krüger zu, da ja offiziell nichts gegen ihn vorlag. Circa zwei Wochen ­später begannen die sexuellen Übergriffe. Er prügelte so lange auf sie ein – immer nur auf den Körper, damit in der Schule nichts auffiel – bis sie nachgab und Oralverkehr mit ihm ­hatte. Vergewaltigt, oder besser gesagt noch mehr vergewaltigt, hatte er sie bisher noch nicht, aber das war sicherlich nur eine Frage der Zeit oder ihrer körperlichen Entwicklung.

Aber Lotta ist zäh. Viel zäher als ihre Mutter und sie will überleben. Sie will hier raus.

Schnell entwickelte sie ihre eigenen Überlebensstrategien und schon zwei Monate später konnte sie allein an dem Geräusch, wie Krüger die Haustür aufschloss und die Wohnung betrat, abschätzen, ob er so voll war, dass er wieder was von ihr wollte oder ob er sie in Ruhe lassen würde. Auf einem brachliegenden Grundstück in der Lindenstraße hatte sie ­einen überwucherten alten Bauwagen entdeckt. Sie entmüllte den Wagen, besorgte sich ein Vorhängeschloss und versuchte, die undichten Stellen im Dach so gut wie eben möglich abzudichten. Dann schleppte sie ihren Schlafsack, Decken und Kissen in den Bauwagen und legte sich einen kleinen Vorrat an Keksen und Wasser an. Wenn es jetzt bei Krüger wieder so weit war, musste sie nur warten, bis er in die Küche ging, um sich sein Blase-Bier zu holen und sich schnell aus der Wohnung schleichen, um die Nacht in ihrem Bauwagen zu verbringen.

Vor einem halben Jahr hatte sie auf einem ihrer nächtlichen Ausflüge dann Rolf getroffen. Über viele Wochen hatten sie sich vorsichtig angefreundet, vielleicht weil in ihrer beider Leben nichts rund lief. Vor drei Wochen schließlich – Dominique begann gerade, Deutschland in ihren eisigen Klammergriff zu nehmen – hatte sie ihm den Bauwagen gezeigt und sie hatten die ganze Nacht geredet.

In jener Nacht erfuhr Rolf nicht nur Lottas Lebensgeschichte, sondern auch, dass sie immer noch glänzende Schulnoten hatte und später gerne studieren würde. Aber der Krüger wollte sie mit dreizehn auf den Strich schicken. Laut Krüger, so drückte es Lotta aus, gäbe es genug reiche Geschäftsleute, die für ein bisschen Ficki-Ficki mit einer Dreizehnjährigen eine ordentliche Stange Geld hinlegen würden.


»Ich hoffe, nein, ich bete, dass es für Lotta ein Später geben wird«, beendete Rolf seinen Bericht. »Ich hab sie heute schon gegen Mitternacht in Richtung Bauwagen marschieren ­sehen«, fügte er hinzu, während sich die beiden ihren Weg durch das Gestrüpp auf dem brachliegenden Grundstück zum Bauwagen bahnten.

»Lotta, ich bin‘s, Rolf.« Keine Reaktion. Rolf trat näher an die Wagen heran und wiederholte etwas lauter: »Lotta, ich bin‘s, Rolf.« Wieder keine Reaktion.

Die Kleine schläft tief und fest, dachte Joshua, als Rolf begann, gegen die Tür zu klopfen.

»Was ist denn los?«, murmelte eine kindliche, verschlafene Stimme aus dem Bauwagen.

»Lotta, Rolf hier. Ich habe einen Freund dabei, der ehrlich in Schwierigkeiten steckt.«

Joshua hörte, wie ein Türriegel im Wagen aufgeschoben wurde. Dann schwang die Tür auf und Lotta stand mit einer Taschenlampe in der Hand vor ihnen. Sie zögerte einen Moment, dann bat sie die beiden mit einem Nicken in den Bauwagen. Drinnen zündete sie ein paar Kerzen an, die den Wagen in ein warmes Licht tauchten. Sie nahmen auf alten Orangenkisten Platz und Joshua konnte das kleine Mädchen und den Obdachlosen im Kerzenlicht genauer in Augenschein nehmen.

Joshua schätzte Lotta auf gut einsfünfzig, wobei er nicht wusste, ob das für eine Zwölfjährige groß oder klein war. Sie trug blonde Zöpfe, die ihr ein ganzes Stückchen über die Schulter reichten.

Ihre Figur konnte man als schlaksig bezeichnen, soweit man das in dem verbeulten, viel zu großen Jogginganzug, den sie trug, beurteilen konnte. Was man zweifelsohne erkennen konnte, war, dass ihre Brüste bereits kräftig am knospen ­waren.

Darf ich so was überhaupt wahrnehmen – gerade vor Lottas Hintergrund?, ging es Joshua durch den Kopf, bevor er sich ihrem Gesicht zuwandte. Es war länglich mit einer dazu passenden, an der Spitze frech nach oben gebogenen Nase. Sieht irgendwie neugierig aus, empfand er. Lottas Lippen waren eher schmal und ihr Mund hatte einen harten Zug angenommen, für den sie eigentlich noch viel zu jung war. Am faszinierendsten waren aber ihre großen blauen Augen. Augen voller Gier nach Leben; Augen, die die ganze Welt sehen und in sich aufsaugen wollten. Nein, dachte Joshua, dieses Mädchen ist noch lange nicht gebrochen.

Anders verhielt es sich bei Rolf. Der Mittfünfziger war definitiv am Leben gescheitert. Ja, wie man so schön sagte, eine gescheiterte Existenz. Seine fast schwarzen Augen wirkten stumpf und tot. Nur wenn er Lotta ansah, schien ein klein wenig Lebensfeuer in ihnen aufzuleuchten. Er hatte eine fleischige Nase, aber das mit Abstand Auffälligste an ihm war das struppige, schulterlange Haar und der grauschwarze Vollbart, der ihm bis zum Brustbein ging. Das Grau überwog ­dabei deutlich. Er trug einen räudigen Wollmantel, dessen linke Tasche fast ganz abgerissen war. Seine braune Cordhose, die wie die ganze Gestalt vor Dreck starrte, hatte er in zwei abgetragene Winterstiefel gestopft. An den Händen trug er zudem Schneiderhandschuhe, die seine schmutzigen Fingernägel sogar noch hervorhoben. Trotzdem war ihm der Kerl nicht unsympathisch, erkannte Joshua.

Nach einem weiteren Moment des Schweigens holte Joshua schließlich tief Luft und stellte sich Lotta vor. Dann sprudelte es aus ihm heraus: Er erzählte von der Sportbar, von Jamaika, erwähnte die Episode mit der Zahnfee – beide mussten grinsen – berichtete von seiner Verwechslung mit dem Lehrer und schließlich von seiner Flucht über den Steindamm und den Ereignissen in dem Mietshaus, in dem Rolf sein Nachtlager aufgeschlagen hatte. Lediglich die Beschreibung der Leiche ersparte er sich und Lotta.

»Ja, und jetzt bin ich«, Joshua blickte auf seine Uhr, 2:25 Uhr.

»In einer halben Stunde bin ich mit Jamaika vor der ­Normannen-Schenke verabredet«, endete er schließlich.

»Wahnsinn«, flüsterte Lotta.

»Wahnsinn, aber nicht unmöglich«, fügte Rolf hinzu.

»Dass es auf den Kiez brodelt, habe ich auch schon mit­bekommen.«

Joshua kramte den Zettel von Jamaika mit der Adresse der Bar aus seiner Anzugtasche. Wie bei einem Déjà-vu kam ihm wieder die Diebels-Alt-Werbung in den Kopf und er verspürte ein merkwürdiges Ziehen in der Magengegend. Ein paar ­Ziffern hingekritzelt auf ein Stück Papier, ich verstand die Botschaft und sie führte mich zu dir.

»Also ehrlich«, räusperte sich Rolf und schreckte damit ­Joshua aus seinen Gedanken auf, »hier sind wir schon in dem Bereich von St. Georg, der vom alten Don regiert wird. Ich würde vorschlagen, dass ich mal ne viertel Stunde rüber in den Flaming Star gehe, um mich umzuhören, was hier vorgeht. Ihr wartet hier, ich werde rechtzeitig zurück sein, damit Joshua sein Date an der Normannen-Schenke einhalten kann.«

»Okay«, zuckte Joshua mit den Schultern, merkte aber, dass Lotta die Stirn runzelte.

»Nun«, begann Rolf von neuem, »mir fehlt das nötige Kleingeld, damit die mich reinlassen. Ein vorrübergehender Engpass, ehrlich«, murmelte er und schaute, um Lottas Blicken zu entgehen, beschämt zu Boden. Joshua zögerte nicht einen Augenblick. »Danke, Rolf«. Er zückte sein Portemonnaie und drückte Rolf einen Fünfziger in die Hand.

»So viel, ehrlich?« Rolf guckte Joshua entgeistert an.

»Du bist in zwanzig Minuten wieder hier, okay?« verlangte Joshua mit Nachdruck und fügte hinzu: »Der Rest ist für dich«.

»Danke, bis gleich«, murmelte Rolf. Den Augenkontakt mit Lotta und Joshua weiter vermeidend, öffnete er die Tür und verschwand in der Nacht.

Ein wenig unsicher, wie er sich jetzt mit der Zwölfjährigen unterhalten sollte, durchbrach Joshua schließlich die Stille:

»Ist schon ein netter Kerl, der Herr Beutel«.

Lotta lachte laut auf: »Der wer?«

Joshua deutete irritiert auf die Tür. »Na er, Herr Beutel, Rolf«

»Der heißt nicht Herr Beutel«, erklärte Lotta schmunzelnd.

»Er wird nur von allen auf dem Kiez Beutel-Rolf genannt, weil er tagein, tagaus mit zwei großen Penny-Plastiktüten bewaffnet die Mülleimer von St. Georg nach Pfandflaschen und Dosen durchsucht.«

»Aha«, erwiderte Joshua verlegen. Nicht zum ersten Mal in dieser Nacht wurde ihm bewusst, wie weit seine Welt und das Leben in St. Georg auseinanderlagen.

»Aber es stimmt«, holte Lotta ihn aus seinen Gedanken,

»Rolf ist nett, aber leider nicht ganz.«

»Nicht ganz?«, hob Joshua fragend die Augenbrauen.

»Ja«, zuckte Lotta die Schulter. »Er ist wie ein kaputtes Spielzeug. Oder wie ein Puzzle, dem einige Teile fehlen.«

Nach einer kurzen Pause hob Joshua den Kopf: »Mhm, ich glaub, ich versteh dich, Lotta. Weißt du mehr über ihn?«

Lotta nickte ihm mit einem traurigen Blick zu und begann, Rolfs Lebensgeschichte zusammenzufassen.


Rolfs Geschichte – Teil 1

Rolf war in den späten Fünfzigern und wie die meisten Leute war er nicht als Penner geboren worden. In der Tat war er ein angesehener Anwalt in einer kleinen Hamburger Kanzlei gewesen. Damals war Rolf verheiratet, wobei die Ehe kinderlos geblieben war.

Eines Tages merkte Rolf, dass sein Chef, der Besitzer der Kanzlei, in illegale Absprachen und die damit einhergehenden Schmiergeldzahlungen verstrickt war. Rolf, der sich den Idealismus der Jugend bewahrt hatte, stellte ihn unverzüglich zur Rede. Zunächst bestritt sein Chef alles, doch als Rolf die lückenlosen Beweise auf den Tisch legte, suchte er erst nach Ausreden und gestand dann alles. Als Rechtfertigung ­nannte­ er Rolf eine angebliche finanzielle Schieflage der Kanzlei. Er versprach Rolf, die krummen Touren so schnell wie eben möglich zu beenden und sich auch nie wieder auf so was ­einzulassen.

Rolf war unbedarft genug, um ihm zu glauben. Sein Chef dagegen war zwar ein mieses Schwein, aber kein dummes. Der Gedanke, dass Rolf etwas gegen ihn in der Hand hatte, war ihm unerträglich. Während des nächsten halben Jahres vernichtete er nach und nach alle Beweise und verwischte ­seine Spuren. Ja, er ging sogar einen Schritt weiter und bildete seinerseits eine gefälschte Beweiskette, die Rolf als Schuldigen auswies.

Dann zeigte er Rolf an.

Rolf und seine Frau fielen aus allen Wolken, als eines Morgens die Polizei in Begleitung der Staatsanwaltschaft vor ihrer Tür stand und Rolf festnahm. Als er vor Gericht die Wahrheit sagte und die Verfehlungen seines Chefs beschrieb, bewer­tete das Gericht seine Aussage nur als peinlich. Ein blama­bler, haltloser Versuch, den Mann, der ihn zu Recht angezeigt hatte, in ein schlechtes Licht zu rücken. Außerdem fragte das Gericht, warum denn gerade er als Anwalt seinen Chef nicht vor einem halben Jahr angezeigt hätte. Eine befriedigende Antwort konnte Rolf darauf nicht geben und den uner­schütterlichen Glauben an das Gute im Menschen wollte der Richter nicht gelten lassen.

Am Ende des Prozesses wurde Rolf wegen Bestechlichkeit und Betrugs zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Selbstverständlich flog er aus der Anwaltskammer und seine Zulassung wurde ihm natürlich auch entzogen.


»Am dritten Tag seiner Haftstrafe machte ihn ein ehemaliger Preisboxer zu seinem Liebchen und in jener Nacht tropften Tränen aus seinen Augen und Sperma aus seinem Arsch auf die Gefängnisbettwäsche«, sagte Lotta mit bedeutungsschwerer Miene, als Joshua sie unterbrach.

»Was?«, rief er irritiert.

Lotta zuckte die Schultern. »Ich wollte es lyrisch sagen.«

»WAS?«

Lotta verdrehte die Augen: »Dass er in den Arsch gefickt worden ist, was denn sonst. In welcher Welt lebst du denn?«

Wenn du wüsstest wie viel Wahrheit, oder besser gesagt philosophische Erkenntnis in dieser Frage steckt, ging es Joshua durch den Kopf. »Okay, verstanden, gut. Oder nicht gut, aber entschuldige, dass meine Knasterfahrungen rein theoretischer Natur sind. Erzähl bitte weiter.«

Lotta grinste ihn an und nahm den Faden wieder auf.


Rolfs Geschichte – Teil 2


Nach einem Jahr und acht Monaten wurde Rolf wegen guter Führung vorzeitig entlassen. Als sich die Gefängnistore hinter ihm schlossen, stand er eine ganze Weile ratlos davor.Wohin sollte er gehen? Ein Zuhause gab es nicht mehr. Seine Frau hatte unmittelbar nach seiner Verurteilung die Scheidung eingereicht und lebte jetzt mit ihrem neuen Lover in Süddeutschland. Als Anwalt konnte er selbstverständlich nicht mehr arbeiten und zu allem anderen fehlte ihm der Antrieb. Und ohne Antrieb lässt man sich treiben.

Zu dieser Zeit lernte Rolf einen Freund kennen. Er hieß Racke Rauchzart, stellte keine Ansprüche und keine unangenehmen Fragen und war immer für ihn da, wenn Rolf die Flasche aufdrehte. Schon bald verbrachten sie jede freie Minute miteinander und davon hatte Rolf ohne Job und ohne Familie jede Menge.

Schließlich rissen auch Rolfs letzte Verbindungs­schnüre zum sogenannten zivilisierten Leben. Um nicht auch noch seinen Freund Racke zu verlieren, musste Rolf Pfandflaschen und Dosen sammeln. Und so hörte Rolf auf zu existieren. ­­Wie eine Kerze, die einfach abgebrannt war. Auf dem Boden­satz der Gesellschaft vegetiert er seither als Beutel-Rolf vor sich hin.


»Manchmal, wenn wir uns unterhalten, spürt man – wenn man aufpasst – noch ein ganz kleines bisschen vom alten Rolf«, endete Lottas Bericht.

Die beiden schwiegen einen Moment lang. Dann fasste sich Joshua: »Traurig, einfach nur traurig«, murmelte er vor sich hin. Lotta nickte nur langsam, aber man sah die Traurigkeit in ihren Augen.

»Lotta«, wechselte Joshua das Thema, »kannst du mir mal ein bisschen was über den Albaner, Don Georg und diese ganze Geschichte erzählen. Ich meine, das ist doch alles Wahnsinn. In was bin ich da nur reingeraten?« Lotta überlegte kurz, wo sie anfangen sollte, und begann dann damit, wie der Stadtteil St. Georg immer weiter vor die Hunde ging. Sie berichtete von der Ohnmacht der Behörden und der Polizei, von dem üblichen Spiel, dass Zivilfahnder eine Prostituierte oder einen ­Dealer festnahmen, sie zur Wache brachten, wo ihre Personalien aufgenommen wurden und sie dann eine knappe Stunde später an derselben Stelle wie zuvor ihrem Geschäft nachgingen. Sie erzählte von den Banden Don Georgs und des Albaners, erzählte, wie die Feindseligkeiten zwischen beiden Gruppen im Laufe des vergangenen Jahres immer weiter angewachsen waren und wie sich das Blatt im Kampf um die Vorherrschaft im Drogenhandel und der Prostitution langsam aber stetig zu Ungunsten Don Georgs gewendet hatte.

Jetzt, so schloss Lotta, sei St. Georg ein einziges Pulverfass und nur ein einziger Funken würde ausreichen, um die Lunte zu entzünden und den Stadtteil in einen offenen Bandenkrieg zu stürzen.

Irrsinn, absoluter Irrsinn, dachte Joshua und zuckte zusammen. Seine Uhr zeigte 02:46 Uhr an. Rolf war bereits einundzwanzig Minuten weg. Er wollte Lotta gerade sagen, dass er jetzt los musste, zur Normannen-Schenke, und dass sie mit Rolf nachkommen sollte, als die Bauwagentür krachend nach innen zersplitterte.

Einen Augenblick später erschien ein unbekannter Mann im Türrahmen. Nein, nicht unbekannt, wurde es Joshua bewusst. In der Tür stand Elvis Presley und richtete eine Schusswaffe genau auf Joshua Herz.

Durch die Nacht

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