Читать книгу Genies in Schwarzweiß - Martin Breutigam - Страница 7

Оглавление

Wilhelm Steinitz

Der große Schachreformator

Seine letzten Tage verbrachte Wilhelm Steinitz in der psychiatrischen Anstalt auf Ward’s Island in New York City. Verwirrt und halb gelähmt notierte er noch ein paar autobiografische Zeilen, auch zu seiner finanziellen Lage: 250 Dollar habe er in den beiden zurückliegenden Jahren verdient, viel zu wenig, um sich und seine Familie zu ernähren. Und dass, „obwohl ich 28 Jahre lang Weltschachmeister war“.


Wilhelm Steinitz, um 1866

28 Jahre? Ja, so hatte es Steinitz zeit seines Lebens gesehen. Doch offiziell dauerte seine Ära als erster Weltmeister acht Jahre, von 1886 bis 1894. Arm endete das Leben dieses großartigen, nur etwa 1,50 Meter kleinen Mannes. Reich war das, was er der Schachwelt hinterließ. Steinitz gilt als Begründer des modernen Schachs. Mit seinen neuartigen Ideen revolutionierte er das Spiel, welches er selbst erst relativ spät erlernt hatte, mit zwölf Jahren.

Steinitz wurde am 14. Mai 1836 als neuntes Kind einer Schneiderfamilie im Prager Ghetto Josefstadt geboren. Er war der beste Schachspieler Prags, als er mit 21 Jahren aufbrach, um in Wien am Polytechnikum zu studieren. Häufiger sah man ihn jedoch in den Kaffeehäusern sitzen. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich mit Schachspielen, etwa im Café Rebhuhn. Es dauerte nicht lange, da galt der kleine, gehbehinderte Steinitz als der beste Spieler der Stadt. Die Wiener Meisterschaft 1861 gewann er souverän mit 30 Siegen, drei Remisen und bloß einer Niederlage.

Ins pulsierende Schachleben

Deswegen schickte ihn die Wiener Schachgesellschaft im Jahr 1862 zum großen Turnier nach London, wo er, immerhin, auf Anhieb Sechster wurde. Sein zeitgemäß taktisch geprägter Spielstil ähnelte zu jener Zeit noch denen anderer Meister. Zum Beispiel war Steinitz’ Angriffssieg gegen Mongredien für den romantischen Schachvirtuosen Adolf Anderssen „die mutigste und glänzendste Partie des gesamten Turniers“.

Steinitz verlegte seinen Wohnsitz nach England, angetan von Londons pulsierender Schachszene, den größeren Verdienstmöglichkeiten und dem herzlichen Empfang, der ihm dort bereitet worden war. Flott lernte er die Feinheiten der englischen Sprache, und auch sein Schachspiel wurde immer ausgefeilter. Nachdem er Anderssen, der bis Mitte des 19. Jahrhunderts der weltbeste Spieler gewesen war, in London 1866 in einem Wettkampf mit 8:6 bezwingen konnte, ernannte Steinitz sich selbst zum Weltmeister. Ihm blieb jedoch die allgemeine Anerkennung verwehrt, zumal der genialische Amerikaner Paul Morphy, der sich inzwischen völlig vom Schach zurückgezogen hatte, noch lebte. Morphy galt nach seiner eindrucksvollen Tour durch Europa 1858/59 als die inoffi zielle Nummer eins der Welt. Er hatte in verschiedenen Wettkämpfen die damaligen Schachgrößen – darunter auch Anderssen – klar besiegt.

Nachdem Steinitz sowohl in Paris 1867 als auch in Baden-Baden 1870 anderen den Turniersieg überlassen musste, unterzog er sein Spiel einer kritischen Prüfung. Aus den daraus gewonnenen Erkenntnissen entwickelten sich allmählich jene teilweise revolutionär anmutenden Thesen, die er später vor allem in der englischen Zeitschrift The Field veröffentlichte. Dort leitete er von 1873 bis 1882 eine gut honorierte, europaweit beachtete Schachrubrik. Steinitz verkündete beispielsweise, dass viele der berauschenden Opferangriffe seiner Zeitgenossen bei besserer Verteidigung nicht zum Erfolg hätten führen dürfen. Angreifen solle man in der Regel erst, wenn die eigenen Figuren entwickelt seien und die gegnerische Stellung bereits Schwächen aufweise. „Mein Sinnen war nun darauf gerichtet, eine einfache und sichere Methode zu finden, um diese Schwächen der feindlichen Stellung herbeizuführen“, schrieb Steinitz.

En passant

Unter Spionageverdacht

Steinitz’ Lehrbuch The Modern Chess Instructor erschien im Frühjahr 1890. Als Tschigorin es zu Gesicht bekam, wies er darauf hin, dass zwei der darin vorgeschlagenen Varianten seiner Ansicht nach nichts taugten, eine aus dem Evans-Gambit (1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 4.b4), die andere aus dem Zweispringerspiel im Nachzug (1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Sf6). Steinitz blieb natürlich anderer Meinung. Um die strittigen Fragen zu klären, verabredeten sie sich zu einem Wettkampf, bei dem die Züge alle zwei Tage per Telegramm übermittelt werden sollten. Steinitz spielte in New York, Tschigorin in Havanna. Die beiden Partien dauerten vom 23. Oktober 1890 bis zum 22. April 1891. Der Einsatz betrug 750 Dollar.

Für Steinitz wurde es ein großes Verlustgeschäft: Er verlor beide Partien, seinen Einsatz, und er musste seine Telegrafiegebühren tragen. Außerdem saß er einen Tag im Gefängnis, weil ahnungslose Mitarbeiter des New Yorker Postamtes die telegrafisch übermittelten Schachnotationen für einen Geheimcode hielten und Steinitz der Spionage verdächtigten.

War die damalige Art, Schach zu spielen, wirklich nur ein zwar schöner, in Wirklichkeit aber fauler Zauber, der einer genauen Analyse nicht standhielt? Kein Wunder, dass dieser vergleichsweise nüchternen Philosophie zunächst wenige folgen wollten. Während Steinitz die Kunst der Verteidigung demonstrierte und in manchen Partien seine Figuren auf damals unbegreifliche Weise zurückzog, um im eigenen Lager ja keine Schwächen zuzulassen, verspotteten andere die neuen Ideen, etwa Henry Bird, der Steinitz schon 1866 mit 7,5:9,5 unterlegen war: „Lege die Schachfiguren in einen Hut, dann gut schütteln, die Steine aus zwei Fuß Höhe über dem Schachbrett abwerfen, und schon hast du Steinitz’ Stil.“

Angesichts solcher Opposition kämpfte Steinitz fortan in seinen Partien nicht nur um den Sieg, sondern auch um die Würdigung seiner neuen Ideen. Diese haben indes fast alle ihre Gültigkeit behalten, etwa die Bedeutung der Zentrumskontrolle, des Läuferpaars oder der Bauernmehrheit am Damenflügel. Intensiv befasste er sich auch mit den strategischen Besonderheiten verschiedener Bauernstrukturen und deren etwaigen Felderschwächen. Überhaupt wurden Begriffe wie „schwache Felder“ oder „Gleichgewicht der Stellung“ erst durch Steinitz Allgemeingut.

Zugleich bereicherte er viele Eröffnungen mit neuen Spielideen; nach ihm benannt sind unter anderem die Steinitz-Verteidigung (1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 d6) in der spanischen Partie und das Steinitz-Gambit in der Wiener Partie (1.e4 e5 2.Sc3 Sc6 3.f4 exf4 4.d4 Dh4+ 5.Ke2). Das Eröffnungskonzept der Wiener Partie (1.e4 e5 2.Sc3 nebst 3.f4) hatte schon Mitte des 19. Jahrhunderts jemand anderes ausgefeilt, nämlich Carl Hamppe, ein in der Schweiz geborener, lange Zeit in Wien lebender und heute fast vergessener Schachmeister. Steinitz hatte ihm nach eigenen Worten viel zu verdanken: „Mein Lehrmeister im Schach war Hamppe.“

Hausverbot für Steinitz

Die neuen Ideen bewährten sich in der Praxis durchaus. Schon 1872, von Steinitz selbst als das Wendejahr seines Denkens bezeichnet, siegte er bei einem Turnier in London mit sieben Punkten aus sieben Partien; kurz danach schlug er Johannes Hermann Zukertort, dem er 14 Jahre später im ersten offiziellen WM-Kampf gegenübersitzen sollte, klar mit 9:3 Punkten. Auch beim großen Turnier in Wien 1873 siegte Steinitz, vor Joseph Henry Blackburne, den er drei Jahre später in einem Wettkampf mit 7:0 Punkten deklassierte.

Danach spielte Steinitz fast sechs Jahre lang keine einzige Turnierpartie. Er publizierte jedoch eifrig weiter, bis er sich mit dem Herausgeber von The Field überwarf und dieser die Schachrubrik kurzerhand aus dem Blatt nahm. (Später führten der Schachpublizist Leopold Hoffer und Zukertort die Rubrik weiter, was Steinitz’ feindseliges Verhältnis zu ihnen erklären mag.) Erst 1882 spielte Steinitz wieder ein Turnier: In Wien teilte er sich mit Simon Winawer den Gesamtsieg.

Steinitz galt als streitbar und starrköpfig. In verschiedenen Londoner Schachklubs hatte er Hausverbot, auch die Räume des berühmten Simpson’s Divan blieben für ihn zeitweise verschlossen. Andererseits gab er sich gegenüber Gegnern und Vertrauten durchaus warmherzig. Und er war, obwohl er sich dem Spiel und seiner Erforschung mit Leidenschaft und wissenschaftlichem Eifer hingab, keinesfalls allein aufs Schach fixiert. Steinitz lebte vegetarisch, zeigte Sympathien für die aufkommende Frauenbewegung, schätzte Kneippkuren und die Musik von Richard Wagner. (Als dieser allerdings davon hörte, ließ er ausrichten, Steinitz verstünde von der Musik wohl ebenso viel wie er, Wagner, vom Schachspiel.) Und nicht zuletzt war er Vater: Im Jahr 1866 hatte seine 18-jährige Ehefrau eine gemeinsame Tochter namens Flora zur Welt gebracht.

Der erste offizielle WM-Kampf

Mit seiner Schachspalte in The Field hatte Steinitz 1883 eine wichtige Einnahmequelle und sein Sprachrohr verloren. Versuche, bei anderen Zeitschriften Fuß zu fassen, scheiterten. Also zeichnete sich schon vor dem Turnier in London 1883, das Zukertort dominieren und mit drei Punkten Vorsprung vor Steinitz gewinnen sollte, ein Bruch in seinem Leben ab. Er sah für sich keine Zukunft mehr in England. Im September des gleichen Jahres siedelte er schließlich in die USA über und schlug sich dort mithilfe neuer Förderer durch. Von 1885 an gab er eine eigene Schachzeitschrift heraus, das International Chess Magazine.

Erst 1886 – der legendäre Paul Morphy war seit anderthalb Jahren tot – sollte es in New York, St. Louis und New Orleans zu dem ersten offiziellen Wettkampf um die Weltmeisterschaft kommen. Steinitz und Johannes Hermann Zukertort, ein in London lebender polnisch-deutscher Weltklassespieler, einigten sich darauf, dass der Sieger den offiziellen Titel „Weltschachmeister“ bekomme.

Eigentlich mochten sie sich nicht. Schon jahrelang hatten sie über ihre jeweiligen Zeitschriften miteinander gestritten, besonders Zukertorts Partner Leopold Hoffer polemisierte in Chess Monthly auf teilweise bösartige Weise gegen Steinitz. Auch Zukertort selbst schimpfte zuweilen auf den Rivalen in Übersee, nannte ihn einen „Feigling“, weil sich Steinitz vor einem WM-Kampf mit ihm drücke. Doch Steinitz stand Zukertort in dieser Hinsicht nicht nach, beispielsweise bezeichnete er ihn als „den größten Lügner“. Es war nicht allein persönliche Antipathie, sondern auch ein Konflikt in Sachen Schachphilosophie. Zukertort war ein „Romantiker“, ein Schüler Anderssens, mit dem er Tausende von Partien ausgetragen haben soll.


Souverän gewann Steinitz den ersten offiziellen WM-Kampf 1886.

Trotz alledem einigten sich die ersten WM-Duellanten auf die Spielbedingungen: Beide mussten einen Einsatz von 2.000 US-Dollar aufbringen sowie ein Reuegeld von 250 Dollar. Zukertort bekam als Entschädigung für seine Reisekosten von den Ausrichtern 500 Dollar in Aussicht gestellt, für den Fall einer Gesamtniederlage 750 Dollar. Jeder erhielt für 15 Züge eine Stunde Bedenkzeit, die mit mechanisch verbundenen Stoppuhren gemessen wurde. In New York sollte so lange gespielt werden, bis einer von beiden vier Partien gewonnen hatte. Danach eine zweiwöchige Pause und Umzug nach St. Louis, wo man bleiben wollte, bis wiederum einer von beiden vier Partien gewonnen hatte. Und schließlich New Orleans, wo so lange gespielt werden sollte, bis einer insgesamt zehn Gewinne erreichte. Beim Stand von 9:9, so war es ursprünglich geplant, sollte der Wettkampf unentschieden gewertet werden.

New York, 11. Januar 1886: Das öffentliche Interesse an den beiden Schachgenies war riesig. Endlich war es so weit: In Cartier’s Academy schob Zukertort seinen Damenbauern nach d4 – der erste Zug der WM-Geschichte! Im Vergleich zu seinem gerne länger grübelnden Gegner spielte Zukertort meistens etwas zügiger. Sein Gesicht war, wie eine New Yorker Tageszeitung beobachtete, „von schwerer Geistesarbeit tief durchfurcht“, während Steinitz gedrungen dasaß, „mit halb kahlem Kopf, vollem rötlich-braunen, fast mähnenartigen Backenbart, lebhaften, sprechenden Augen“.

Steinitz gewann die erste Partie, verlor aber die vier folgenden und lag mit 1:4 Punkten zurück. Also brach man schon nach der fünften Partie zum zweiten Spielort auf, beide fuhren gemeinsam mit dem Zug nach St. Louis. Dort gelang Steinitz die Wende, mit einer 5:4-Führung konnte er sich in New Orleans ans Brett setzen. Am Ende gewann er souverän mit 10:5 Punkten. Offenbar war der herzkranke Zukertort den 77 Tage andauernden Belastungen nicht gewachsen. Zwei Jahre später starb Zukertort an einem Schlaganfall.

Die ersten Herausforderer

In den folgenden drei WM-Kämpfen wehrte Steinitz die Angriffe seiner Herausforderer ab: In den Jahren 1889 und 1892 besiegte er jeweils in Havanna den von ihm hochgeschätzten Russen Michail Tschigorin, was Steinitz selbst so kommentierte: „Ein alter Meister der neuen Schule gewann gegen einen jungen Meister der alten Schule.“

Dass Steinitz ausgerechnet Tschigorin als Gegner akzeptiert hatte, wurde ihm hoch angerechnet. Tschigorin, in späteren Epochen oft als Vater der russischen Schachschule bezeichnet, galt damals als der stärkste von allen russischen Meistern, darunter Petrow oder Jänisch. Tschigorin konnte Steinitz durchaus gefährlich werden; schon beim Turnier in London 1883 hatte er ihn zweimal geschlagen. Doch im WM-Kampf von 1889 unterlag Tschigorin klar, nach 16 von 20 geplanten Partien stand es 10:6 für Steinitz, der mit dem einzigen Remis in der 17. Partie seinen Titel verteidigte.

Zwischen den beiden Kämpfen mit Tschigorin, zur Jahreswende 1890/91, verteidigte Steinitz seinen Titel gegen den in London lebenden gebürtigen Ungarn Isidor Gunsberg, obwohl er auch hier zwischenzeitlich in Rückstand geraten war wie in all seinen WM-Kämpfen. Wesentlich enger ging es im Revanchekampf mit Tschigorin zu. Nach 22 Partien stand es, die Remisen nicht mitgezählt, 9:8 für Steinitz, der sich in der 23. Partie allerdings in eine nahezu verlorene Stellung manövriert hatte:


Tschigorin – Steinitz 23. WM-Partie, Havanna 1892

(Stellung nach dem 31. Zug von Schwarz)

In der Hitze Havannas, die Tschigorin anscheinend mehr zu schaffen machte als seinem älteren Gegner, ging das Duell in die entscheidende Phase. Fast 2.000 Zuschauer waren an diesem Tag gekommen. Das obige Diagramm zeigt die Stellung nach dem 31. Zug, als plötzlich das Unfassbare geschah: Anstatt mit 32.Txb7! (Idee: 32…Txd5? 33.Sf4) dem Gewinn und dem 9:9-Ausgleich einen großen Schritt näher zu kommen, zog Tschigorin … 32.Lb4?? … und soll sich nach … 32…Txh2+ … an die Stirn gefasst haben. Das Matt nach 33.Kg1 Tdg2 hatte er völlig außer Acht gelassen. Er gab auf. 0:1.

Tragödien und Niederlagen

Steinitz hatte es wieder einmal geschafft, er blieb Weltmeister. Trotz Hitze, trotz Rückstands, trotz seines Alters. Und trotz schwieriger Lebensumstände: Im Jahr 1888 war seine Tochter verstorben. Vor dem Wettkampf gegen Tschigorin musste Steinitz sein verlustträchtiges International Chess Magazine einstellen. Und nach dem Wettkampf, im Mai 1892, starb auch seine Frau, an Hepatitis.

Steinitz heiratete bald darauf zum zweiten Mal, die 28 Jahre jüngere Elisabeth, mit der er noch zwei Kinder zeugte. Doch er hatte schon so viel erforscht, so viel erreicht und so viel erlitten, dass er im Jahr 1894 seinem jungen Herausforderer Emanuel Lasker offenbar nicht mehr gewachsen war. Der 5:10-Niederlage folgte 1896 im Revanchekampf in Moskau ein noch schmerzlicheres 2:10. Dies verschlechterte sein seelisches Befinden derart, dass er kurz danach in Moskaus psychiatrische Anstalt eingeliefert wurde, wo er einen Monat lang blieb, offenbar gegen seinen Willen.

Steinitz litt in seinen letzten Jahren unter Depressionen, seine geistige Verwirrung nahm mitunter groteske Formen an. Er bildete sich ein, ohne Telefon telefonieren zu können. Er behauptete, mit elektrischen Wellen, die sein Gehirn ausstrahle, Kontakt zu anderen aufzunehmen. Auch zu Gott, den er zu einer Partie Schach herausfordern und dem er dabei einen Bauern sowie einen Zug vorgeben wollte. An einen Wiener Freund schrieb er aus der Heilanstalt: „Wie alle Narren bin ich davon überzeugt, dass die Ärzte verdrehter sind als ich.“ Am 12. August 1900 starb Wilhelm Steinitz.

En passant

Ein Juwel

In seiner vielleicht berühmtesten Partie, die Steinitz im Alter von 59 Jahren gegen Curt von Bardeleben gewann, spiegeln sich neben der brillanten Kombination beiläufig auch Motive der Steinitz’schen Lehre wider:

Steinitz – von Bardeleben

Hastings 1895

Italienisch

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 4.c3 Sf6 5.d4 exd4 6.cxd4 Lb4+ 7.Sc3 d5? 8.exd5 Sxd5 9.0-0 Le6 10.Lg5 Le7 11.Lxd5 Lxd5 12.Sxd5 Dxd5 13.Lxe7 Sxe7 14.Te1 f6 15.De2 Dd7 16.Tac1 c6


Wäre hier Schwarz am Zug, hätte er kaum Grund zu klagen; nach …Kf7 nebst …Sd5 würde der Springer das Feld d5 vor dem Isolani kontrollieren, dabei handelt es sich, wie man seit Steinitz weiß, prinzipiell um ein „schwaches Feld“. Es ist allerdings Weiß am Zug, was das Stellungsurteil erheblich verändert. Und auch hier ist es hilfreich, an Steinitz’ Grundsätze zu erinnern: Weiß hat im Gegensatz zu Schwarz seine Entwicklung vollendet, alle auf dem Brett verbliebenen Figuren sind im Spiel. Der schwarze König steht hingegen noch in der Mitte, außerdem ist das Feld e6 im schwarzen Lager bereits geschwächt. Reichen diese positionellen Vorteile schon aus, um einen Angriff zu rechtfertigen? 17.d5! Ja, Steinitz öffnet im rechten Augenblick eine weitere Angriffslinie. 17…cxd5 Zäher wäre vielleicht 17…Kf7 18.dxc6 gewesen; Weiß bliebe aber ebenfalls klar im Vorteil, z.B. 18…bxc6 19.Sd4 oder 19.Ted1 De6 20.Dxe6+ Kxe6 21.Sd4+ Kf7 22.Sxc6. 18.Sd4 Die Pointe. Während die Fesselung in der e-Linie bestehen bleibt, peilt der Springer das „Loch“ auf e6 an. 18…Kf7 19.Se6 Nun soll der bereit stehende Turm auf c7 eindringen. 19…Thc8?! Danach kommt es zu einem furiosen Finale, das Geschichte machen wird. Die Alternative 19…Tac8? sah aus schwarzer Sicht nicht erfreulicher aus, wegen 20.Dg4 g6 21.Sg5+ Ke8 22.Txc8+ und gewinnt. Etwas hartnäckiger war 19…Sc6!? 20.Sc5 Dd6 21.Sxb7 Dd7 22.Sc5 Dd6, allerdings stünde Weiß auch in diesem Fall klar besser: 23.Dh5+ g6 24.Dh3. 20.Dg4! g6 21.Sg5+ Ke8 Dies ist erzwungen, schließlich musste die Dame geschützt werden. Doch nun holt Steinitz zu einem gewaltigen Schlag aus: 22.Txe7+!


22…Kf8! Huch! Was nun? Plötzlich droht Matt auf dem Feld c1, und zugleich hängt die Dame auf g4. Schwächer wären sowohl 22…Dxe7 23.Txc8+ Txc8 24.Dxc8+ gewesen als auch 22…Kxe7 23.Te1+ Kd6 24.Db4+ Tc5 (oder 24…Kc7 25.Se6+ Kb8 26.Df4+ Tc7 27.Sxc7 Dxc7 28.Te8 matt) 25.Te6+ und gewinnt. 23.Tf7+! Aber nicht 23.Dxd7?? Txc1+. Ungenau wäre 23.Txc8+? – weshalb, wird in der letzten Anmerkung deutlich. 23…Kg8! Schlicht gewänne Weiß im Fall von 23…Dxf7 24.Txc8+ Txc8 25.Dxc8+ De8 26.Sxh7+. 24.Tg7+! Der verrückte Turm will den König unbedingt auf die siebte Reihe locken, damit die Dame d7 mit Schachgebot fällt, aber … 24…Kh8 Oder 24…Kf8? 25.Sxh7+ Kxg7 26.Dxd7+ und gewinnt. 25.Txh7+! Nach diesem Zug verließ von Bardeleben wortlos den Turniersaal. Statt aufzugeben, ließ er unfair die Bedenkzeit ablaufen. Seine Stellung war verloren: 25…Kg8 26.Tg7+! Kh8 (oder 26…Kf8 27.Sh7+!) 27.Dh4+! Kxg7 28.Dh7+ Kf8 29.Dh8+! Ke7 30.Dg7+ Ke8 (Oder 30…Kd6 31.Dxf6+ nebst Matt. Hier wird klar, wie klug es war, die Türme im 23. Zug auf dem Brett zu lassen.) 31.Dg8+ Ke7 32.Df7+ Kd8 33.Df8+ De8 34.Sf7+ Kd7 35.Dd6 matt. 1:0.

Genies in Schwarzweiß

Подняться наверх