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ОглавлениеEmanuel Lasker
Kosmopolit und
Rekordweltmeister
Emanuel Lasker war bereits ein Jahr lang Schachweltmeister, als er anno 1895 sein erstes Buch veröffentlichte. Es trug den Titel Common Sense in Chess (dt. Titel: Gesunder Menschenverstand im Schach). Der deutsche Weltmeister hatte darin anhand praktischer Beispiele einige allgemeine, teilweise neuartige Grundsätze des Schachs formuliert. Laskers Thesen wurden zu jener Zeit aber noch ebenso skeptisch beäugt wie die Frage, ob er wirklich der weltbeste Spieler sei. Er war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung erst 26 Jahre alt. Doch Emanuel Lasker sollte – was sich damals gewiss niemand vorzustellen vermochte – den WMTitel weitere 26 Jahre behalten. Anders ausgedrückt: Insgesamt währte seine Herrschaft auf den 64 Feldern von 1894 bis 1921. Ein Rekord für die Ewigkeit.
Emanuel Lasker, 1895
Rückblickend betrachtete Lasker seinen Common Sense als einen „Protest gegen den herrschenden Schachstil jener Zeit, der tiefsinnig sein wollte, aber nur gekünstelt, geschraubt und verschroben war“. Lasker war ein Pragmatiker. Für ihn war Schach vor allem Kampf. Er suchte nicht in jedem Fall nach dem objektiv stärksten Zug, mitunter reichte es ihm, einen für den Gegner unangenehmen Zug gefunden zu haben. Damit stand er in Opposition zu manchem Zeitgenossen, insbesondere zu seinem Landsmann Dr. Siegbert Tarrasch, der als Rivale am Brett einmal auch menschlich zu ihm auf Distanz ging: „Ihnen, Herr Lasker, habe ich nur drei Worte zu sagen: Schach und Matt.“
Von Berlinchen nach Berlin
Laskers beeindruckendes Leben begann im verschlafenen pommerschen Berlinchen (heute Barlinek, Polen), wo er am Heiligabend des Jahres 1868 geboren wurde. Das mathematische Talent des kleinen Emanuel offenbarte sich früh. Der Lasker-Biograf Jacques Hannak hat berichtet, wie schon der fünfjährige Emanuel seinen Mathelehrer verblüffte, indem er mühelos und blitzschnell Aufgaben „wie 7 mal 53 oder 18 mal 96“ gelöst habe.
Mit elf Jahren schickte ihn sein Vater, ein jüdischer Kantor, ins große Berlin zu Emanuels acht Jahre älterem Bruder Berthold, der als Medizinstudent in der Familie eines Schneiders untergekommen war. In Berlin lebte auch der bekannte Reichstagsabgeordnete Eduard Lasker, ein Onkel der beiden Brüder. Für Emanuel folgten prägende Jahre mit materiellen Entbehrungen und einigen Schul- und Wohnungswechseln.
Das Schachspielen lernte Lasker als Zwölfjähriger von seinem Bruder, der bereits ein starker Spieler und offenbar auch ein Vorbild war. Um sich in die Materie zu vertiefen, blieb Emanuel mit 14 ein Jahr lang der Schule fern. Bereits in dieser Zeit verdiente er sich seinen Lebensunterhalt mit Schach: Oft spielte er bis spätabends in den Tee- und Spielsalons der Stadt. Eigentlich habe Lasker schon frühzeitig ein Leben als Mathematiker und Philosoph im Sinn gehabt, weniger eines als Schachspieler, behauptet Hannak. Schachspielen habe er damals müssen, um sich etwas zu essen kaufen zu können. „Nicht aus Leidenschaft kam er zum Schach, sondern aus Not.“
Emanuels Lebenswandel missfiel dem Vater. Er holte seinen 16-jährigen Sohn aus Berlin heraus und schickte ihn aufs Realgymnasium in Landsberg an der Warthe (heute Gorzów Wielkopolski/Polen), unweit Emanuels Geburtsstadt Berlinchen gelegen. Mit 19 bestand er sein Abitur. Emanuels Schachleidenschaft erlosch in Landsberg aber keineswegs.
Von seinem 21. Lebensjahr an stellten sich erste beachtliche Erfolge ein: Lasker gewann in Breslau 1889 das Hauptturnier und wurde „Meister des Deutschen Schachbundes“. Im gleichen Jahr schlug er Jacques Mieses in einem Wettkampf mit 8,5:3,5 Punkten. Im Jahr 1892 – Lasker lebte inzwischen in London, wo es für Schachspieler viel bessere Verdienstmöglichkeiten gab – gewann er auch einen Wettkampf gegen den britischen Altmeister Henry Edward Bird mit 8:2 Punkten. Der Nürnberger Arzt Siegbert Tarrasch, der damals als chancenreicher WM-Anwärter galt, lehnte hingegen Laskers Vorschlag, einen Wettkampf zu spielen, mit dem Hinweis ab, sein junger Landsmann solle erst einmal ein bedeutendes Turnier gewinnen.
Anders als in Deutschland würdigte man Laskers frühe Erfolge im Ausland. In The Field schrieb Steinitz’ Erzfeind Leopold Hoffer: „Ein aufgehender Stern aus Berlin zeigt beachtliches Talent. Es sieht danach aus, dass er der kommende Meister wird.“
Lasker nahm in der Folge Einladungen nach New York und Havanna an, wo er in kleineren Turnieren und Matches imposante Erfolge erzielte und verschiedene Simultanvorstellungen gab. Im Sommer 1893 forderte er scheinbar kühn Weltmeister Steinitz heraus. Im Frühjahr 1894 sollte es schließlich zu dem Duell kommen, beide hatten jeweils 2.250 Dollar Einsatz aufgetrieben.
„Dreimal Hurra!“
Gespielt wurde in New York, Philadelphia und Montreal. Steinitz galt als Favorit, gleichwohl er seinen Leistungszenit sicherlich überschritten hatte. Zunächst gestaltete sich der Wettkampf ausgeglichen, bis Lasker beim Stand von 3:3 unentschieden fünf Partien in Folge gewinnen konnte. Am Ende siegte er mit 10:5 Punkten und war neuer Weltmeister. Lasker schrieb später: „Als Steinitz die letzte Partie seines Matches gegen mich verloren sah, erhob er sich und rief: ‚Dreimal Hurra für den neuen Weltmeister!' Diese Worte haben mich gerührt.“
Ob er aber tatsächlich der beste Spieler der Welt war, sollte er vielen Zeitgenossen erst noch beweisen. Beim äußerst stark besetzten Turnier in Hastings 1895 bekam er erstmals Gelegenheit dazu. An der Tabellenspitze liegend, baute er am Ende des 21-rundigen Turniers etwas ab, kassierte zwei Niederlagen und musste sich mit dem dritten Platz begnügen, einen Punkt hinter dem amerikanischen Überraschungssieger Harry Nelson Pillsbury und einen halben hinter Tschigorin, aber vor Tarrasch und Steinitz.
Schon zur Jahreswende 1895/96 folgte das nächste Topturnier. In St. Petersburg versammelten sich vier der fünf weltbesten Spieler: Lasker, Pillsbury, Tschigorin und Steinitz (Tarrasch hatte aus beruflichen Gründen abgesagt). Sechsmal jeder gegen jeden. Zur Halbzeit lag wiederum Pillsbury vorn, allein gegen Weltmeister Lasker hatte er 2,5 Punkte aus drei Partien geholt. Dann folgt das spektakuläre vierte Duell der beiden:
Pillsbury – Lasker
Sankt Petersburg 1895/96
Damengambit
1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sc3 Sf6 4.Sf3 c5 5.Lg5 cxd4 6.Dxd4 Sc6 7.Dh4 Le7 8.0-0-0 Da5 9.e3 Ld7 10.Kb1 h6 11.cxd5 exd5 12.Sd4 0-0 13.Lxf6 Lxf6 14.Dh5 Sxd4 15.exd4 Le6 16.f4 Tac8 17.f5 Txc3 18.fxe6 Ta3! 19.exf7+ Txf7 20.bxa3 Db6+ 21.Lb5 Dxb5+ 22.Ka1 Tc7 23.Td2 Tc4 24.Thd1 Tc3 25.Df5 Dc4 26.Kb2
Nach einem faszinierenden, wenngleich nicht ganz fehlerfreien Kampf steht die Partie vor dem Kulminationspunkt. Lasker hat bereits acht Züge zuvor spektakulär einen Turm auf dem Feld a3 geopfert, nun folgt ein erstaunliches Déjà-vu-Opfer: 26…Txa3! 27.De6+ Kh7?! Garri Kasparow machte darauf aufmerksam, dass nur 27…Kh8! zum Sieg hätte führen dürfen, z.B. 28.Kb1 Lxd4 29.De8+ Kh7 30.De2 Db4+ 31.Tb2 Lxb2. 28.Kxa3? Hier hielt 28.Df5+! womöglich das Gleichgewicht, z.B. 28…Kh8 29.Kb1! Txa2! (nicht 29…Lxd4?? 30.Df8+ Kh7 31.Dxa3) 30.Txa2 Db3+ 31.Kc1 Lg5+ 32.Tad2 Dc3+ 33.Dc2 Da1+ 34.Db1 Dc3+. Nach dieser vergebenen Rettungschance endet die Partie allerdings in einem würdigen Finale. 28…Dc3+ 29.Ka4 b5+! 30.Kxb5 Dc4+ 31.Ka5 Ld8+ 32.Db6 Lxb6 matt. 0:1.
Nach dieser Schlüsselpartie wendete sich das Blatt. Lasker übernahm bald die Tabellenführung, während Pillsbury in der zweiten Turnierhälfte einbrach. Er soll sich, so steht es in einem fast ein Jahrhundert später erschienenen Turnierbuch, während des Turniers in St. Petersburg mit Syphilis angesteckt haben – jener Krankheit, der Pillsbury zehn Jahre später erlag. Am Ende siegte Lasker mit zwei Punkten Vorsprung vor Steinitz.
Gewaltige Kampfkraft
Auch das Turnier in Nürnberg 1896 gewann Lasker, so dass er zwei Jahre nach seinem Titelgewinn auch die letzten Zweifler davon überzeugte, wer der weltbeste Spieler war. Schon hier kamen Laskers Stärken, die in den nächsten Jahrzehnten den Unterschied zu seinen Konkurrenten ausmachen sollten, zum Vorschein: Er war in allen Partiephasen hellwach, so dass er sich selbst aus strategisch misslichen Lagen oftmals befreien konnte, mit gewaltiger Kampfkraft, Originalität und taktischem Geschick.
Ende 1896 ließ er Steinitz beim Revanchekampf in Moskau keine Chance: Lasker gewann 10:2. Vier weitere Male sollte er seinen Titel im kommenden Vierteljahrhundert erfolgreich verteidigen. Bis zum nächsten Titelkampf verstrich indes mehr als eine Dekade. Es gab ja noch keinen Weltverband, somit waren die als WM-Anwärter in Frage kommenden Gegner auch auf die Bereitschaft des Weltmeisters angewiesen.
Mathematiker und Philosoph
Lasker machte in jener Zeit erstmals eine längere Turnierpause und kümmerte sich um sein Mathematikstudium. Er spielte aber sowohl in den USA als auch in Europa Simultan und gewann auch noch die bedeutenden Turniere in London 1899 und Paris 1900 mit großem Vorsprung. Ebenfalls 1900 promovierte er im Fach Mathematik zum Dr. phil. In der Folge bemühte er sich intensiv um eine Professur, zeitweise lehrte er auch an englischen und amerikanischen Universitäten Mathematik, ohne irgendwo dauerhaft Fuß fassen zu können. Im Jahr 1905 – Lasker lebte mittlerweile in New York – veröffentlichte er Zur Theorie der Moduln und Ideale.
Doch schon seit geraumer Zeit hatte er sich wieder vermehrt auf andere Dinge konzentriert, auf die Philosophie und aufs Schach. In Cambridge Springs teilte er sich 1904 den zweiten Platz mit David Janowski, hinter Frank Marshall. Diesen beiden sollte er ein paar Jahre später auch WM-Herausforderungen gewähren. Zehn lange Jahre hatte es überhaupt keinen WM-Kampf gegeben, nun folgten sie Schlag auf Schlag. Doch zunächst wurde ihm niemand gefährlich: Lasker schlug 1907 Marshall in den USA mit 8:0 Punkten (die sieben Remisen nicht mitgezählt). Als Nächster hatte endlich auch Dr. Siegbert Tarrasch seinen Landsmann herausfordern dürfen: Bis zu 2.000 Zuschauer verfolgten im Spätsommer 1908 die Partien in Düsseldorf und München. Lasker ging nach fünf Partien mit 4:1 Punkten in Führung und ließ sich den Sieg nicht mehr nehmen. Endstand: 8:3. (Im Jahr 1909 schlug er auch Janowski deutlich mit 8:2 Punkten. Bei diesem Wettkampf ging es aber nicht um die Weltmeisterschaft.)
Emanuel Lasker (links) mit seinem Bruder Berthold im Jahr 1907
Vor diesen WM-Kämpfen hatte Lasker Kampf veröffentlicht (engl. Titel: Struggle), sein erstes philosophisches Werk. Später sollten weitere folgen: Das Begreifen der Welt (1913) und Philosophie des Unvollendbar (1919). Lasker suchte auch fernab der 64 Felder Anerkennung. Als Mathematiker fand er sie, als Philosoph offenbar weniger. Selbst sein Freund Albert Einstein ließ neben Hochachtung und Sympathie auch Skepsis durchblicken, nämlich im Hinblick auf Laskers philosophische Schriften. Der große Physiker mutmaßte im Geleitwort zu Hannaks Lasker-Biografie, es könne wohl kein Schachmeister seinen Geist vollkommen frei und unbeschwert lassen, weil ihn das Spiel „in seinen Banden hält, den Geist fesselt und in gewisser Weise formt, so dass die innere Freiheit und Unbefangenheit auch des Stärksten darunter leiden muss. Dies fühlte ich in unseren Gesprächen und beim Lesen seiner [Laskers] philosophischen Bücher immer durch.“
Beinahe entthront
Laskers enorm dichte Schaffensperiode hielt an. Zu Beginn des Jahres 1910 kam es in Wien und Berlin zu einem WM-Kampf mit dem Wiener Meister Carl Schlechter. Gespielt wurden nur zehn Partien. Erst vier Remisen. Dann ein Sieg für Schlechter. „Wie kann man jemanden schlagen, der Gewinnmöglichkeiten und starken Angriffsdrohungen mit der gleichen Gelassenheit begegnet“, rätselte Lasker. Vor der letzten Partie schien er bereits verloren, er lag mit 4:5 Punkten hinten. Ein Sieg musste her, denn ein 5:5-Unentschieden hätte zur Titelverteidigung genügt. Doch danach sah es zunächst überhaupt nicht aus:
Lasker – Schlechter
10. WM-Partie, Berlin 1910
Damengambit
1.d4 d5 2.c4 c6 3.Sf3 Sf6 4.e3 g6 5.Sc3 Lg7 6.Ld3 0-0 7.Dc2 Sa6 8.a3 dxc4 9.Lxc4 b5 10.Ld3 b4 11.Sa4 bxa3 12.bxa3 Lb7 13.Tb1 Dc7 14.Se5 Sh5 15.g4 Lxe5 16.gxh5 Lg7 17.hxg6 hxg6 18.Dc4 Lc8 19.Tg1 Da5+ 20.Ld2 Dd5 21.Tc1 Lb7 22.Dc2 Dh5 23.Lxg6 Dxh2 24.Tf1 fxg6 25.Db3+ Tf7 26.Dxb7 Taf8 27.Db3 Kh8 28.f4 g5 29.Dd3 gxf4 30.exf4 Dh4+ 31.Ke2 Dh2+ 32.Tf2 Dh5+ 33.Tf3 Sc7 34.Txc6 Sb5 35.Tc4 Txf4 36.Lxf4 Txf4 37.Tc8+ Lf8 38.Kf2 Dh2+ 39.Ke1
Manchmal entscheiden Kleinigkeiten über große Geschichten. Hätte Schlechter hier das schon seinerzeit von Georg Marco vorgeschlagene 39…Dh4+! gefunden, wäre er als dritter Weltmeister in die Schachgeschichte eingegangen. Denn Weiß müsste nach 39…Dh4+ den Doppelangriff auf seinen König und den ungedeckten Turm c8 im Auge behalten, z.B. 40.Kf1 Dh1+ 41.Kf2 Dh2+ 42.Ke1 Dh4+ 43.Kd2 Dh2+, mit ewigem Schach. Oder 40.Tg3? Dh1+ 41.Kd2 Tf2+ und Schwarz gewinnt; ebenso im Fall von 40.Kd1? Dh1+ 41.Ke2 Txf3 42.Dxf3 Sxd4+. Auch der Gewinnversuch 40.Kd2 Dh2+ 41.Ke3?! taugte nicht viel, wegen 41…Txf3+ 42.Kxf3 Dh3+ 43.Ke2 Dxc8 44.Dxb5 Dg4+ 45.Kd3 Dd1+ 46.Ke4 Dh1+. Vielleicht hätte sich Schlechter in der folgenden Partiephase noch hier und da zäher verteidigen können. Doch nachdem er diese klare Chance verpasst hatte, gelang Lasker nach großem Kampf der Sieg. 39…Dh1+? 40.Tf1 Dh4+ 41.Kd2 Txf1 42.Dxf1 Dxd4+ 43.Dd3 Df2+ 44.Kd1 Sd6 45.Tc5 Lh6 46.Td5 Kg8 47.Sc5 Dg1+ 48.Kc2 Df2+ 49.Kb3 Lg7 50.Se6 Db2+ 51.Ka4 Kf7 52.Sxg7 Dxg7 53.Db3 Ke8 54.Db8+ Kf7 55.Dxa7 Dg4+ 56.Dd4 Dd7+ 57.Kb3 Db7+ 58.Ka2 Dc6 59.Dd3 Ke6 60.Tg5 Kd7 61.Te5 Dg2+ 62.Te2 Dg4 63.Td2 Da4 64.Df5+ Kc7 65.Dc2+ Dxc2+ 66.Txc2+ Kb7 67.Te2 Sc8 68.Kb3 Kc6 69.Tc2+ Kb7 70.Kb4 Sa7 71.Kc5 1:0.
Im letzten Moment hatte Lasker doch noch den Ausgleich geschafft und seinen Titel verteidigt. Am Ende des gleichen Jahres bereitete ihm Janowski wesentlich weniger Schwierigkeiten: Lasker siegte in Berlin mit 8:0 Punkten, Janowski erreichte nur drei Remisen.
Wieder in Deutschland
Danach entschloss sich Lasker, wieder in Deutschland zu leben. Der Weltbürger verkehrte oft mit anderen Intellektuellen. Im Jahr 1911 heiratete er die seinerzeit populäre Schriftstellerin Martha Bamberger. (Eine biografische Parallele zu seinem Bruder Berthold, der zuvor neun Jahre lang mit Else Lasker-Schüler liiert war.) Lasker war bereits 42 Jahre alt. In dieser Zeit wuchs vor allem ein Gegner zu einer echten Gefahr für ihn heran: Akiba Rubinstein. Der Pole hatte zwischen 1907 und 1912 einige bedeutende Turniere gewonnen, doch zu einem WM-Kampf sollte es nicht kommen. Manche behaupteten, Lasker habe sich davor gedrückt. Andererseits hatte Rubinstein Lasker nie offiziell zu einem solchen Kampf herausgefordert. Wie dem auch sei, beim großen Turnier in St. Petersburg 1914 ließ Lasker wiederum die gesamte Konkurrenz hinter sich, woraufhin sogar Tarrasch voll des Lobes über den ewigen Rivalen war (in seinem Turnierbuch über St. Petersburg 1914).
Im Juli 1914 reiste Lasker nach Mannheim zum 19. Deutschen Schachkongress, der in die Geschichte einging, weil am 1. August die parallel zum Kongress laufenden Turniere wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges abgebrochen wurden. Lasker war nicht gekommen, um selbst zu spielen, sondern hatte eine andere Mission: Der Weltmeister wollte gemeinsam mit Funktionären des Deutschen Schachbundes, des Allrussischen Schachverbandes und anderen Spielern einen internationalen Schachbund gründen. Mit Sponsorengeldern sollte, so die Unterzeichner, ein Fond für in Not geratene, verdienstvolle Schachmeister eingerichtet werden.
Lasker galt zeitlebens als ein harter Verhandlungspartner, doch wenn er um bessere Konditionen kämpfte, tat er dies keineswegs immer nur für sich allein, sondern auch für die Schachkunst an sich. Er hatte stets die Professionalisierung des Schachs vor Augen – und auch das Schicksal seines Vorgängers Steinitz sowie anderer Koryphäen. Ihm graute vor Altersarmut. Welch Tragik, dass auch sein Leben eines Tages genau darin enden sollte!
En passant
Spielte Lasker psychologisch?
Gilt Wilhelm Steinitz bis heute als Vater des positionellen Spiels, so wird Lasker zugeschrieben, die Thesen des von ihm geschätzten Steinitz weiterentwickelt und die Psychologie ins Turnierschach eingeführt zu haben. Letzteres hält Großmeister Dr. Robert Hübner allerdings für eine Legende, die er in verschiedenen Aufsätzen zu widerlegen versuchte. Die von jeher bekannte Behauptung, Lasker habe mitunter absichtlich schwächere Züge gewählt, um seine Gegner zu verwirren, ist laut Hübner absurd. Und die Tatsache, dass Lasker manchmal, etwa bei der Wahl der Eröffnung, die Stärken und Schwächen des jeweiligen Gegners berücksichtigte, sei nicht psychologischer, sondern schachtechnischer Natur.
Tatsächlich haben wohl eher Laskers Bewunderer und Gegner mit der Legende von der „psychologischen Spielweise“ seine gewaltigen Erfolge zu erklären versucht. In Laskers eigenen Schriften finden sich kaum derartige Hinweise. Doch er selbst erklärte interessanterweise den Stil seines Vorgängers Steinitz „psychologisch“, und zwar im Lehrbuch des Schachspiels: „Er [Steinitz] wollte, dass seine Gegner auf Gewinn spielten, also gab er ihnen einen Vorwand dazu, eine Ausrede dafür, zumindest einen Anreiz dazu, indem er sein Streben, von vornherein nicht auf Gewinn zu spielen, allzu deutlich machte und sich öfter zu bizarren Zügen hinreißen ließ. Dieser Vorgang war sicherlich im Bezirk des Unterbewussten, auch lag dafür keine logische Notwendigkeit vor, aber wirkte sich psychologisch bei Steinitz so aus.“
Schachpsychologie hin oder her – der Einfluss des Zeitgenossen Sigmund Freud ist unverkennbar.
Lasker ist besiegt
Im Sommer 1920 verzichtete Lasker in einer offiziellen Erklärung auf seinen WM-Titel zugunsten des Kubaners José Raoul Capablanca. Dieser hatte ihn neun Jahre zuvor herausgefordert. Doch ein Wettkampf war nicht zustande gekommen. Zunächst hatte man sich nicht auf die Bedingungen einigen können, dann war der Krieg dazwischengekommen. Und als man sich 1920 wieder zusammensetzte und endlich einigte, war die Finanzierung ungewiss. Laskers Verzicht stieß allerdings auf allgemeine Ablehnung. Kurz darauf wurden doch noch genügend Sponsoren gefunden. Havannas ruhmreicher Schachklub sprang ein, so dass Laskers Honorarforderung (11.000 Dollar) akzeptiert werden konnte und sich beide im März 1921 gegenübersaßen.
Dem 52-jährigen Lasker machte die tropische Hitze in Kuba offenbar mehr zu schaffen als seinem 20 Jahre jüngeren Gegner: Nach 14 der eigentlich angesetzten 24 Partien gab Lasker auf. Vier Partien hatte er verloren, zehn remisiert, keine gewonnen. Die Frage, ob Lasker an einem anderen Ort besser ausgesehen hätte, ist durchaus berechtigt.
Die Karriere mochte sich dem Ende zuneigen, sein vielleicht größtes Turnierresultat stand jedoch noch bevor. Beim Weltklasseturnier in New York 1924 ließ der fast 56-Jährige noch einmal alle hinter sich. Lasker gewann mit formidablen 16 Punkten aus 20 Partien, vor Weltmeister Capablanca (14,5) und Alexander Aljechin (12). Auch in Moskau 1925 landet Lasker als Zweiter (hinter dem Sieger Efim Bogoljubow) vor Capablanca. Er war nicht nur 27 Jahre lang Weltmeister gewesen, sondern auch drei Jahrzehnte lang der weltbeste Turnierspieler.
Danach zog sich Lasker für längere Zeit vom Turnierschach zurück. In seiner Wohnung in Berlin-Wilmersdorf und in seinem Sommerhaus in Thyrow bei Berlin fand er nun Zeit für seine anderen Leidenschaften, etwa für die Spiele Go und Bridge. Lasker erfand auch ein eigenes Spiel, das er Lasca nannte. Und er publizierte weiterhin: Mitte der 1920er Jahre waren Gesunder Menschenverstand im Schach, die deutsche Ausgabe von Common Sense in Chess, sowie Vom Menschen die Geschichte erschienen, ein zusammen mit seinem Bruder Berthold verfasstes Drama. Das Lehrbuch des Schachspiels kam 1926 heraus. Welch pralles Leben! Lasker der Weltmeister. Lasker der Mathematiker, der Philosoph, der Schriftsteller, der Dramatiker.
In Wilmersdorf wohnte Lasker in der Aschaffenburger Straße 6a, zweiter Stock. Wer heute seinen Spuren folgt, bekommt eine Ahnung davon, welch vielfältiges kulturelles Leben aus Berlin verschwand. Bevor die Nazis 1933 an die Macht kamen, lag hier ein Kiez des Geistes; nur eine Straße weiter wohnte Albert Einstein. Und 20 Fußminuten entfernt befand sich das Romanische Café, dort war Lasker Stammgast, ebenso Bertolt Brecht, Otto Dix, Erich Kästner und viele andere, auch jüdische Künstler und Intellektuelle. Am Ort des Romanischen Cafés steht heute das Europa-Center. Auch das Haus in der Aschaffenburger Straße 6a wurde im Krieg zerstört.
Emanuel Lasker im Alter von 60 Jahren
Als die Nazis die Macht übernahmen, sahen Lasker und seine Frau Martha für sich in Deutschland keine Zukunft mehr. Sie mussten ihr gesamtes Hab und Gut zurücklassen. Harte Jahre der Emigration standen bevor. Zunächst flohen sie in die Niederlande. Ein Jahr danach zogen sie weiter nach London und später nach Moskau. Der materiellen Not gehorchend, nahm Lasker wieder an Turnieren teil – mit erstaunlichen Erfolgen wie etwa beim großen Turnier in Moskau 1935: Im Alter von 66 Jahren wurde er Dritter, hinter Salo Flohr und Michail Botwinnik, aber vor Capablanca. Schließlich kehrte Lasker auch der Sowjetunion den Rücken und ließ sich von 1938 an wieder in New York nieder, wo er am 11. Januar 1941 in ärmlichen Verhältnissen starb. Seine letzten Worte waren laut Martha Bamberger: „König des Schachs.“