Читать книгу Lizenz zum Schnüffeln - Martin Cordemann - Страница 5
Kapitel 1
Оглавление„...erfordert es, dass ich die Versetzung in eine andere Dienststelle antreten werde“, schloss Kronzucker seine Rede vor seiner ehemaligen Mannschaft, der Mordkommission. Lohmann hatte Tränen in den Augen, Schlüter wischte seine Brille, sogar die Fischer konnte sich ein Schniefen nicht verkneifen. Und da war auch dieses hinreißende Fräulein Rausch, das herzallerliebst in sein reizendes Taschentüchlein hineintrauerte. Sie sah zu mir herüber und lächelte traurig. Fast alle hier hatten Kronzucker gemocht. Oder sie hatten einfach mehr über diesen Prosser gehört als ich? Jedenfalls schienen sie geknickt, dass Kronzucker uns verließ.
Wir hoben die Sektgläser und stießen an. Schon wieder Alkohol im Dienst. Ich hatte mich gerade erst von meiner letzten Beschäftigung damit erholt. Wahrscheinlich würde bald ein anderer Wind wehen, und wenn sich meine Befürchtung bewahrheiten sollte, würde sich die laue Brise in einen kalten, scharfen Zug verwandeln.
Dies war der letzte Tag unseres alten Chefs, wenn nicht plötzlich jemand ermordet wurde, konnten wir den ganzen Tag feiern. Morgen würde schon der neue Mann kommen – und der neue Wind, wie zu befürchten war. Prosser? Prosser??? Warum klang das nur so unangenehm bekannt… wobei die Betonung auf unangenehm lag! Hmmm... Das Büro-ja-es-war-eins-im-Gegensatz-zu-meinem Kronzuckers war leer geräumt, seine Sachen befanden sich auf dem Weg zu seinem Bestimmungsort. Ein trostloser Job, der da auf ihn wartete. Ich fragte mich, warum man einen so fähigen Mann abgeschoben hatte. Auch der Polizeipräsident kam kurz vorbei, schüttelte Kronzucker die Hand und sagte, er hoffe, dass er auch in seiner neuen Position Erfolg haben werde. Mit einem Seitenblick zu mir meinte er, er wünsche ihm auch eine Mannschaft, die zu guter Polizeiarbeit fähig wäre – und zu mehr Disziplin! Dann ging er.
Wir machten früh Schluss an diesem Tag. Warum auch nicht? Es gab nichts zu tun und eigentlich nichts zu feiern. Die bedrückte Stimmung, die aufgekommen war als der Polizeipräsident erschien, hatte sich nicht abgebaut sondern verbreitet. Also machten wir den Laden dicht. Traurig sah Lohmann zu mir. Ich nickte. Es war eine Schande. Aber was sollte man dagegen machen? In Hamm brauchten sie jemanden, der beim Tag der Offenen Tür die Eröffnungsworte sprach!
Mein Finger löste sich vom Klingelknopf. Ich hörte leise Schritte auf dem Linoleumfußboden und dann öffnete sich die Tür. Kronzucker sah mich mit schiefem Lächeln an. „Sie haben sicher meine Tochter erwartet, was?“
Ich sah mich vorsichtig um. „Also doch eine Falle?“
Er lächelte. „Seien Sie beruhigt.“
Ich war es nicht, diesem Mann war alles zuzutrauen.
„Kommen Sie doch herein.“
Eins musste man Kronzuckers Tochter wirklich lassen: sie mochte mich! Aber sie war leider auch eine schreckliche Nervensäge. Sie konnte sich stundenlang mit jemandem unterhalten, ohne dabei irgendeine Regel des Dialogs zu verletzen. Außer der, dass normalerweise mehr als eine Person daran teilnahm! Hatte ich jedenfalls gehört, selbst getroffen hatte ich sie noch nie. Kronzucker sah mich von oben bis unten an. „Wo haben Sie denn den Smoking her?“
Ich hob die Schultern.
„Steht Ihnen überraschend gut. Wird meiner Tochter sicher auch gefallen...“
Sofort hatte ich meine Walther im Anschlag, oder ein intellektuelles Gegenstück.
„Seien Sie locker, Harry, es wird Ihnen schon nichts passieren.“
Er hatte leicht reden. Dafür reichte er mir wenigstens einen Scotch.
„Nett, dass Sie gekommen sind. Auch trotz der lauernden Gefahren.“
Das Essen verlief in ruhigen Bahnen und auch wenn Kronzucker es sich nicht nehmen ließ, mich das eine oder andere Mal zusammenzucken zu lassen, erschien seine Tochter nicht nur nicht überraschend sondern schlicht gar nicht. Als ich ging begleitete mich mein ehemaliger Chef zur Haustür, schüttelte mir noch einmal die Hand und meinte: „Lassen Sie sich nicht unterkriegen, Harry.“ Ich versprach, mich bei ihm zu melden und wir gingen auseinander. Immerhin wartete ein neuer Arbeitstag auf mich. Und ob er erfreulich werden würde war noch zu bezweifeln. Zum Glück war Sommer. Ich schwang mich auf mein Rad und fuhr, ohne Licht, nach Hause. Wenn im Sommer nicht alle durchdrehen, passiert nicht viel. Jedenfalls nicht in meinem Zuständigkeitsbereich. Hoffentlich blieb es so.
Wie üblich kam ich am nächsten Tag zu spät. Da ich nur Whisky und kein Bier getrunken hatte, war ich auch kaum verkatert. Aber ganz wohl fühlte ich mich auch nicht. Noch unwohler fühlte ich mich, als das reizende Fräulein Rausch in meine Sprechstunde kam, sie schwebte förmlich in mein Büro-das-diesen-Namen-weiß-Gott-nicht-verdiente-aber-durch-ihre-Anwesenheit-mehr-als-veredelt-wurde und sagte himmlisch, aber mit Unheil verkündendem Unterton: „Guten Morgen, Harry.“ Dann näherte sie sich meinem Schreibtisch, legte ein paar dünne Akten darauf und fügte hinzu: „Der Neue will Sie sehen.“
Das klang nicht gut.
„Das klingt nicht gut. Klingt es gut?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Haben Sie ihn gesehen?“ fragte ich und rieb mir die Stirn.
Sie nickte.
„Und?“
Sie hob die Schultern.
Das war alles sehr aufschlussreich. Sie entschwand, ich sah ihr nach, raffte mich auf und machte mich dann auf den Weg in die Höhle des Löwen. Auf dem Gang kam mir Lohmann entgegen. Sein Gesichtsausdruck war Unheil verkündend.
„Sind Sie auf dem Weg zu ihm?“ fragte er. Ich nickte.
„Seien Sie vorsichtig“, sagte er ohne zu lächeln. Dann ging er vorsichtig weiter.
Als ich den Vorraum betrat, legte die Sekretärin gerade den Hörer des Telefons auf die Gabel. „Guten Morgen“, sagte ich.
„Guten Morgen, Herr Rhode“, sagte sie und lächelte. Dann wurde ihr Gesicht dunkel. „Ich melde Sie.“ Sie drückte auf den Knopf der Sprechanlage und sagte: „Inspektor Rhode ist jetzt da.“
„Schicken Sie ihn rein!“ antwortete eine kalte, dunkle Stimme befehlsgewohnt, korrekt, sauber und fortstrebend. Sie nickte mir zu und ich ging durch die Tür in das Büro-das-eins-war-und-jetzt-einen-neuen-Herrscher-hatte. Der etwas altmodische Charme Kronzuckers hatte den Raum für immer verlassen. Statt seiner war kalte nüchterne karrierebewusste strebsame Geschäftigkeit eingezogen. Wo früher Bilder mit warmen Farben die Wände geschmückt hatten, zeigten jetzt schwarzweiße kalte Photographien Frank Prosser, verschiedenen Persönlichkeiten die Hände schüttelnd.
Hinter seinem Schreibtisch saß er in Fleisch und Blut, jedoch ebenfalls ohne die geringste Farbe. Er trug einen grauen Anzug, seine Stirn war kahl, sein Gesicht geschäftsmäßig. Und mir unangenehm bekannt. Er erhob sich nicht, als ich eintrat. Er blieb hinter seinem Schreibtisch, vor sich ein paar sauber geordnete Akten und blickte mich aus seinen brillenlosen kalten Augen an. Langsam trat ich näher. Er war mir spontan unsympathisch.
„Sie sind also Inspektor Harry Rhode.“
„Korrekt“, sagte ich und lehnte mich gegen den Besuchersessel.
„Ich habe Sie eben nicht in Ihrem Büro“-vgl-vorherige-Bände „erreichen können. Haben Sie dafür eine Erklärung?“
„Ich war nicht da!“
„Das bedeutet, dass Sie zu spät gekommen sind“, stellte er kalt und mit bestechender Logik fest. Ich sollte mir wie ein Schuljunge vorkommen, der zu spät zum Unterricht gekommen war. Und auf sowas konnte ich überhaupt nicht! Wenn ich nur wüsste, woher mir dieser Typ so bekannt vorkam...
„Ich habe mir Ihre Akte angesehen. Was Sie geleistet haben gefällt mir.“
„Danke. Darf ich Ihre Akte auch sehen?“
Er verstand keinen Humor, er hatte auch keinen. Für ihn, das war ziemlich offensichtlich, zählte Leistung. Ich konnte nur hoffen, dass er bald wegbefördert würde.
„Mir scheint, dass mir an Ihnen nur Ihre Erfolge gefallen“, sagte er kalt. Einen solchen Satz hatte ich nicht von ihm erwartet, die Aussage schon, aber die Satzkonstruktion überraschte mich. „Ich weiß nicht, ob Sie das verstanden haben, aber ich bin jetzt Ihr Vorgesetzter!“ Noch immer war keine Wärme in seinen Augen... aber dieser Spruch kam mir seltsam bekannt vor. „Ich bin Ihr Vorgesetzter!“ Das war... Oh nein! Das... Ich hatte halb angenommen, dass das nur ein Traum gewesen war... aber vielleicht war es auch nur halb ein Traum gewesen! Jedenfalls wusste ich jetzt wieder, woher ich Prosser kannte.
„Hmmm“, murmelte ich und ließ mich auf der Lehne des Besuchersessels nieder.
„Ich habe Ihnen nicht angeboten, Platz zu nehmen.“
„Das habe ich auch nicht getan. Aber höflich wäre es trotzdem von Ihnen gewesen.“
„Sie tragen keine Krawatte“, stellte er fest.
„Dafür trage ich einen Bart“, antwortete ich und grinste leicht, weil ich wusste, dass ihn das störte.
„Das ist mir auch aufgefallen. Ihr Äußeres ist sehr ungepflegt und entspricht nicht meinen Vorstellungen.“
„Danke.“
„Ich denke doch, dass sich das bald ändern wird.“
„Worauf begründen Sie das?“
Sein Blick war eisig, desgleichen seine Stimme: „Sie sind im Begriff, sich unbeliebt zu machen.“
„Das Kompliment kann ich zurückgeben“, erwiderte ich ohne seinem Blick auszuweichen. Sein Bemühen, sich Feinde zu machen, stand dem meinen in nichts nach.
Dann begann er, mir seine Ideologie klarzumachen: „Das einzige, was ich von Ihnen erwarte, ist Leistung! Und gepflegtes Aussehen! Die Polizei steht im Blick der Öffentlichkeit. Ich erwarte, dass Sie Ihre Arbeit gut tun und stets den klaren geraden Weg gehen. Ich erwarte Ergebnisse von Ihnen. Verstehen Sie, was ich meine?“
„Hmm, denk schon.“
„Es ist wichtig, Ergebnisse zu haben.“
„Sie meinen: einen Schuldigen.“
„Das ist Polizeiarbeit.“
„Einen Sündenbock zu suchen ist Drecksarbeit.“
„Man erwartet von uns Lösungen.“
„Man erwartet von uns gute Arbeit. Und es ist unmöglich, überall den Schuldigen zu finden. Das kann keiner. Das erwartet auch keiner.“
„Kein Wunder, dass Sie es nie zu etwas gebracht haben“, sagte Prosser. „Wie Sie wissen, habe ich dafür gesorgt, dass Sie einen Vermerk in Ihrer Akte bekommen haben.“
„Ja, das weiß ich noch sehr genau.“ Oder sagen wir, es war mir eben endlich wieder eingefallen!
„Sie hatten im Dienst getrunken!“
„Es war Silvester!“
„Machen Sie sich mit einem vertraut: Von jetzt an werden Sie tun, was ich Ihnen sage! Ich bin der Boss. Ich gebe hier die Befehle. Sie werden sich danach richten.“
„Das bleibt abzuwarten!“ Ich erhob mich und schlenderte auf die Tür zu. Dieser Mann war mir von Grund auf unsympathisch.
„Ich bin noch nicht fertig“, schnitt seine kalte Stimme durch den Raum.
„Ich schon.“
„Sie werden sich mit mir als Vorgesetztem abfinden müssen.“ Ich war da nicht so sicher. „Rasieren Sie sich und kleiden Sie sich ordentlich. Und erscheinen Sie pünktlich.“
„Wiedersehen.“ Bevor er irgendetwas sagen konnte war ich durch die Tür und hatte sie hinter mir geschlossen. Die Sekretärin, die das schwere Los gezogen hatte, ihm untergeben zu sein, sah mich fragend an. Ich schüttelte den Kopf und verzog den Mund. „Nicht mein Typ.“ Sie nickte zustimmend.
In meinem Büro-das-zwar-keins-war-aber-anheimelnder-als-eine-Welt-in-der-Frank-Prosser-zu-den-halbwegs-sympathischen-zählte erwarteten mich ein paar belanglose Akten. Ein paar kleine Gangster hatten das Land verlassen, ein paar größere investierten in Öl und die schlimmsten saßen im Chefzimmer. Nachdem ich die Routinearbeit erledigt hatte, schlenderte ich rüber in die Computerabteilung zu Emil Schlüter. Als ich den neuen Chef erwähnte sah er ziemlich bedrückt aus. Ich sagte ihm, ich bräuchte eine Information.
„Zeigen Sie mir alles, was Sie über einen Mann namens Frank Prosser da drin haben.“ Ich deutete auf den Computer. Er sah erschrocken auf.
„Das meinen Sie doch nicht im Ernst?“
„Er hat sich auch meine Akte angesehen.“ Ich hob unschuldig die Schultern. „Eine Routine-Sicherheitsanfrage. Ich meine, wir müssen doch auch sichergehen, dass er der ist, der er zu sein vorgibt, oder?“
„Wenn Sie meinen...“ Er gab alles ein.
„Naja, dann werden Sie mich wohl alleine lassen müssen.“ Ich deutete auf den Bildschirm. „Streng geheim!“
Er verschwand und ich las mir alles durch, was es über den Karrieristen ein paar Etagen über mir zu lesen gab. Es war weder interessant noch berauschend. Es sagte nur aus, dass er ein Faible für große Aktionen hatte. Mit großen Aktionen konnte man viel Ruhm ernten. Sie waren sicher für ihn. Wenn was schief ging, fand sich schnell ein Sündenbock, wenn es klappte, war er der Held. Ich hasste das.
Später am Tag erfuhr ich, dass es auch Dinge gab, die er hasste, mal abgesehen von meinem Erscheinungsbild. Wutschnaubend kam er in mein Büro-das-wie-wir-ja-alle-wissen-diesen-Namen-durchaus-nicht-verdiente-aber-dennoch-sympathischer-war-als-Prosser gestürmt und schrie: „Was bilden Sie sich eigentlich ein?“
Das war eine Frage, auf die eine komplexe Antwort von Nöten gewesen wäre, aber ich war ziemlich sicher, dass es nicht das war, was er hören wollte.
„Sie haben in meiner Akte geschnüffelt!“
„Ja.“
„Sie haben nicht das Recht...“
„Doch, das habe ich.“ Aufgebracht näherte er sich meinem Schreibtisch, setzte sich aber nicht auf die Lehne meines Besuchersessels. „Ich bin sogar verpflichtet dazu. Es hätte ja sein können, dass man Frank Prosser umgebracht hat und Sie ein Betrüger sind.“
„Und? Hat man?“
Zu meinem Bedauern hatte man nicht.
„Dann bin ich ja beruhigt, dass Sie zufrieden sind.“
„So kann man das eigentlich nicht nennen. Ach, wo Sie schon mal hier sind: Planen Sie zufällig etwas für die nächsten Tage? Eine größere Aktion vielleicht?“
„Woher wissen Sie...?“
„Sie machen sowas gerne. Habe ich mir sagen lassen. Sagen wir, es steht in Ihrer Akte. Außerdem ist ja wohl eine Aktion fällig, mit der Sie uns und der Öffentlichkeit Ihre Präsenz beweisen wollen. Die Bösewichter werden davon bestimmt überwältigt sein.“
„Tun Sie einfach Ihre Arbeit, Sie Witzbold. Überlassen Sie das Denken mir.“
„Dabei wird nicht viel herauskommen. Bedenken Sie Ihren eigenen Denkfehler: Es ist mein Job zu denken!“
„Mischen Sie sich nicht in meine Angelegenheiten.“ Er drehte sich um und marschierte auf die Tür zu.
Als er sie geöffnet hatte, sagte ich: „Wollen Sie sich nicht setzen?“
Wir mochten uns nicht, soviel stand fest. Und ich hatte das untrügliche Gefühl, dass das erst ein kleiner Vorgeschmack war, nur ein Schlückchen der versalzenen Suppe, die man mit einem kleinen Löffel probiert.
Das reizende Fräulein Rausch kam herein. „Haben Sie Probleme mit ihm?“ fragte sie.
„Er liebt mich, aber ich habe ihm gesagt, dass ich mich nicht mit Leuten einlasse, mit denen ich beruflich zu tun habe.“
Sie lächelte ein Lächeln, das einen einen solchen Grundsatz schnell vergessen lassen konnte. „Wenn ich nur die geringsten Chancen bei Ihnen hätte, würde ich es ja versuchen“, sagte ich. „Aber so ist nun mal das Leben. Falls Sie interessiert sind, rufen Sie mich doch mal an, wenn ich hier rausgeschmissen werde.“ Ich hob eine Braue und sie ging lächelnd raus.
„Ich würde Sie vermissen“, sagte sie und schloss die Tür. Vielleicht war der Tag doch nicht so schlecht. Er begann mir zu gefallen. Doch das sollte sich nach dem Mittagsessen ändern!
Als ich nach dem Mittagessen, das ich leider ohne das ausgesprochen reizende Fräulein Rausch einnahm, zurück in mein Büro-das-immernoch-mehr-Ausstrahlung-hatte-als-Prosser kam, fand ich dort eine Notiz vor, die mich anwies, um Punkt 14.00 Uhr im Chefbüro-das-in-diesem-Fall-diesen-Namen-genausowenig-verdiente-wie-das-meinige zu erscheinen, also vor genau 4 Minuten. Für meine Verhältnisse war ich noch gut in der Zeit. Es stellte sich jedoch heraus, dass jemand anderer anderer Ansicht war. Wütend blickte mich Frank Prosser an, als ich endlich durch seine Tür spazierte. Und das ohne größeren Grund, immerhin war ich der erste der erschien – immer vorausgesetzt, dass die anderen aus meiner Abteilung nicht schon wieder weg waren. Die waren nämlich zu dieser Audienz bei seiner Exzellenz auch eingeladen.
„Mahlzeit“, sagte ich und trat näher. Wieder hatte Prosser seine J. Edgar Hoover-Stellung direkt hinter dem Schreibtisch eingenommen und fixierte mich mit seinen kalten geschäftlichen Augen. Er hatte wieder Fassung gewonnen, war ruhig geworden und wartete ab.
„Bin ich der erste?“ fragte ich scheinheilig, immerhin war ich auf eine derartige Geste der Höflichkeit von ihm nicht gefasst gewesen.
„Wieder zum Scherzen aufgelegt?“
„Kann nicht klagen.“ Was gelogen war. Ich konnte, ich tat es nur nicht. Also machte ich es mir gemütlich und wartete. Weder die Atmosphäre noch mein Gegenüber waren für ein heiteres Gespräch geeignet.
Bald erschienen Lohmann, Schlüter, Sauer, die Fischer, Petermann, Karl Fenting, Gerd Stollner, Alfred Tomberg und Rudolf Cornelius, die anderen Kollegen von der Mordkommission. In zwei Tagen war dies schon die zweite Versammlung, auf der wir alle versammelt waren, es kam nicht oft vor, dass wir uns trafen. Das lag nicht etwa daran, dass wir uns alle nicht leiden konnten, es hing vielmehr damit zusammen, dass es selten derlei Anlässe gab und meistens der eine oder andere irgendwo unterwegs war.
„Meine Dame, meine Herren“, begann Prosser als alle anwesend waren, „Sie scheinen in Bezug auf Ihre Arbeitszeiten unter meinem Vorgänger eine Einstellung gewonnen zu haben, die ich unter keinen Umständen billigen kann.“
Cornelius warf mir einen Blick zu und verdrehte die Augen. Sie alle wussten, was das bedeutete. Prosser war ein Bürohengst, ein Schreibtischstratege, ein Politiker, der selten, wenn überhaupt, einen Tatort besuchte, sich die Nachmittage in Leichenschauhäusern vertrieb oder nächtelang jemanden observierte. Die Beamten der Mordkommission dagegen wussten es. Wie oft hatten wir an unseren freien Tagen Leichen angesehen und Spuren verfolgt? An Tagen, an denen sich Prosser seiner Familie widmete.
„Wie ich es jedem einzelnen von Ihnen bereits mitgeteilt habe, stehen wir, die Polizei, im Blick der Öffentlichkeit. Aus diesem Grund habe ich mich entschlossen, der Öffentlichkeit zu beweisen, dass sie die Steuern nicht nutzlos bezahlt, sondern dass sie Vertrauen in uns setzen kann.“
Fenting wandte sich ab, um sein Grinsen zu verbergen, Cornelius begann zu husten und auch ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Prosser fuhr fort: „Ich habe also den Entschluss gefasst, etwas zu tun, was man gemeinhin als ‘gründlich aufräumen’ bezeichnet.“ Ich unterdrückte ein Seufzen. „Ich hoffe, ich kann auf Ihre Zusammenarbeit zählen?!“ Er musterte uns der Reihe nach. „Zusammenarbeit ist in diesem Beruf das wichtigste.“
„Ich dachte, das wichtigste wäre Leistung“, warf ich ein, ungeachtet der Tatsache, dass Prosser zum ersten Mal etwas Vernünftiges gesagt hatte.
„Völlig richtig. Und damit kommen wir zum Punkt: Wir werden einen Schlag gegen die Unterwelt führen, den sie nicht so schnell vergessen wird. Wie ich aus den Akten ersehen habe, gibt es im Hafengebiet ein Lagerhaus, in dem wahrscheinlich Drogen umgeschlagen werden. Wir werden dieses Lagerhaus unter Bewachung stellen und im richtigen Moment zuschlagen.“ Seine Faust fuhr in die flache Hand.
„Gibt es dabei nicht ein paar Haken?“ wandte ich ein.
„Sie werden uns sicher über Ihre Einwände aufklären, Inspektor Rhode“, er spie meinen Namen förmlich aus.
„Naja, Rauschgift ist und bleibt nun mal eine Sache des Rauschgiftdezernats, von dem Sie ja bekanntermaßen zu uns rübergewechselt sind. Da konnte man mit großen Aktionen Eindruck schinden, aber wir sind hier bei der Mordkommission und da sehe ich nicht, wie Sie hier eine Ihrer Aktionen durchführen wollen, ich meine, alle Mörder auf einen Schlag festnehmen oder so. Ähm, normalerweise arbeiten wir so, dass wir warten, bis ein Mord geschieht und dann finden wir heraus, wer es war. Anders ist es schwerlich möglich. Es sei denn natürlich, Sie gedenken, alle mutmaßlichen Mörder einzusperren... aber das wären dann eine ganze Menge.“
Die anderen unterstützten mich.
„Dann werden Sie sicher einen besseren Vorschlag haben, Inspektor Rhode.“
„Ja: Lernen Sie erstmal, wie wir arbeiten!“
Sein Blick hätte selbst den absoluten Nullpunkt noch in Erfrierungen versetzt; aus einer anfänglichen Apathie gegen mich wurde langsam aber sicher zielgerichteter Hass.
„Mein Vorschlag wäre, einfach weiterhin zu versuchen, die begangenen Morde aufzuklären. Und möglichst keine neuen zu begehen. Damit sind wir bisher ganz gut vorangekommen.“
„Sie wollen mir also nicht helfen, meine Herren.“ Wer wollte ihm schon helfen, auf anderer Leute Kosten Polizeipräsident zu werden? Wir wussten doch genau was er vorhatte. Wer hätte damit rechnen können, dass er schon am ersten Tag seiner neuen Stellung gleich seine Karten auf den Tisch legen würde? Er war anscheinend dümmer als er selber glaubte – das sowieso, aber er war sogar dümmer als er glaubte dass andere von ihm denken würden er wäre es.
„Das wäre es für’s erste“, sagte er und entließ uns. Seine Idee vom großen Coup hatte sich für’s erste zerschlagen. Dachten wir.
Ein paar Tage später, es war noch immer Sommer und es war noch immer nichts passiert, außer ein paar Autounfällen mit Fahrerflucht, marschierte Prosser durch die Büros-von-denen-das-eine-oder-andere-diesen-Namen-sogar-mehr-verdiente-als-Prosser-überhaupt-einen und legte jedem einen Stapel Akten auf den Tisch. Ich starrte gerade in Gedanken versunken aus dem Fenster, als er in mein Büro-das-selbst-in-seiner-ausgesprochen-unangenehmen-Farbwahl-ansprechender-und-wärmer-wirkte-als-Prosser stürmte und mich anwies, meine Beine vom Schreibtisch zu nehmen. Dann legte er lächelnd auf eben denselben die Akten und sagte: „Da Sie ja anscheinend nichts zu tun haben: ich habe etwas für Sie zu tun. Hier habe ich einen Stapel mit Mordfällen, die nicht geklärt wurden. Klären Sie sie.“ Dann trabte er wieder hinaus. Er machte es einem wirklich nicht leicht, ihn ausstehen zu können. Kurz nach ihm kam Sauer, der gerade einen Fall von Selbstmord bearbeitete, zu mir rüber und reichte mir die Zeitung. Auch er hatte einen Stapel Akten bekommen. Die Zeitung gab Auskunft warum.
„NEUER LEITER DER MORD-KOMMISSION LEGT VERBRECHERN DAS HANDWERK!“,
lautete eine fettgedruckte, übertriebene und ausgesprochen dumme Überschrift. Der Begleittext war nicht weniger dumm:
„Der neue Leiter der Mordkommission, Frank Prosser, erklärt, dass er dem Verbrechen ein Ende setzen will. ‘Der Steuerzahler kann auf die Polizei zählen’, sagt Prosser, der damit begonnen hat, bisher unaufgeklärte Fälle unter die Lupe zu nehmen. ‘Wir werden Schluss machen mit dem Laufen lassen von Mördern’, so der Leiter der Mordkommission.
Ekelhaft, das war meine Meinung zu diesem Artikel.
„Prosser wird der Artikel nicht gefallen“, sagte ich.
„Wieso?“
„Sein Name wird nicht in der Überschrift genannt!“
„Harry“, meinte Sauer. „Mir vergeht langsam der Spaß an dieser Sache. Ich meine, ich bin vom Drogendezernat zu euch rübergewechselt, bevor er kam, aber jetzt... ich glaube, ich sollte mir einen Ort suchen, wo ich besser surfen kann.“ Er seufzte.
Ich nickte. „Ja, ich versteh, was du meinst.“
Prosser, der Mediengott persönlich, erschien durch die offene Tür in meinem Büro-das-mit-Sicherheit-mehr-Polizeierfahrung-hatte-als-Prosser. „Ich sehe, Sie haben es gelesen, meine Herren. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie mir Ergebnisse bringen. Ich will Leistung sehen.“
Dann trabte er wieder ab. Was für ein Idiot. Setzte uns über die Presse davon in Kenntnis, dass wir für ihn arbeiteten.
„Na gut, sehen wir uns diese beschissenen Akten an. Vielleicht hat irgendjemand was übersehen.“
Selbst wenn jemand etwas übersehen hatte, in vielen Fällen war es zu spät, den Fehler zu korrigieren. Prosser war damit nicht eben glücklich, im Gegenteil. Er konnte damit nichts anfangen, er konnte lediglich beweisen, dass Fehler passierten – aber das hätten wir ihm auch vorher sagen können. Er war eben schlicht ein Idiot.