Читать книгу Shylock Holmes - Martin Cordemann - Страница 5
ERSTER AKT
ОглавлениеErste Szene
(Auerbachs Keller)
WIRT: (er hat ein Telefon in der Hand) Sind Sie Holmes?
SHYLOCK: Ja.
WIRT: Shylock Holmes?
SHYLOCK: Hm. (nickt)
WIRT: Seltsamer Name.
SHYLOCK: Meine Eltern waren Shakespeare Fans.
WIRT: Oh. Und Sie sind?
SHYLOCK: Bei der Polizei. Was blieb mir mit dem Namen anderes übrig? (denkt nach) Aber wie kommen Sie darauf, wie ich heiße?
WIRT: (erinnert sich, reicht das Telefon) Ihr Chef ist dran.
SHYLOCK: Sagen Sie ihm, ich bin in meinem Büro.
WIRT: Er sagt, er wäre in Ihrem Büro!
SHYLOCK: Tja... dann wird er darauf wohl nicht reinfallen. Wo bin ich hier?
WIRT: „Auerbachs Keller“.
SHYLOCK: Soll das n Scherz sein?
WIRT: Nein, eine Kneipe.
SHYLOCK: Das wird ihm nicht gefallen. Vielleicht kann ich ihm sagen, ich wäre an einem Tatort.
WIRT: Ich glaube, er weiß, wo Sie sind.
SHYLOCK: Ja? Wie kommen Sie darauf?
WIRT: Er hat hier angerufen!
SHYLOCK: Ist hier ein Verbrechen geschehen?
WIRT: Noch nicht.
SHYLOCK: Naja, der Tag ist noch jung.
WIRT: Wollen Sie Ärger?
SHYLOCK: Ich glaube, den hab ich schon.
WIRT: Warum hab ich es immer mit schwierigen Typen zu tun?
SHYLOCK: Da sind Sie nicht der einzige. Sie würden sich wundern, was für Leute ich ständig verhören muss.
WIRT: Viel schlimmer als einige von meinen Gästen können die nicht sein.
SHYLOCK: Oh, lieber Wirt, „ich kenne deren,
Die man deswegen bloß für Weise hält,
Weil sie nichts sagen; sprächen sie, sie brächten
Die Ohren, die sie hörten, in Verdammnis
Weil sie die Brüder Narren schelten würden.“
WIRT: Äh...
SHYLOCK: ‘Der Kaufmann von Venedig’, erster Akt, erste Szene.
WIRT Ich glaube, Ihr Chef hätte gerne eine Antwort. Was soll ich ihm sagen?
SHYLOCK: Sagen Sie ihm, ich bin dienstlich hier.
WIRT: (ins Telefon) Er ist dienstlich hier.
SHYLOCK: Danke. Was will er?
WIRT: Er fragt, was Sie mit dem Namen Rael verbinden?
SHYLOCK: Na, wenn er ihn sagt, offensichtlich Arbeit. Nun, da wären eine Figur aus „Raumschiff Enterprise“, ein Theaterintendant, eine Firma, die Waffen an Jugoslawien liefert, König Lear umgedreht, ein schnell wirkendes Reinigungs- oder Abführmittel... Also Rael ist mir ein Begriff, ist er tot oder was?
WIRT: Ist ihm ein Begriff. Ist er tot? (zu SHYLOCK) Könnte man so sagen.
SHYLOCK: Was soll das heißen, könnte man so sagen??? Könnte man oder kann man, ist er ein bisschen tot, röchelt er noch rum oder was?
WIRT: Er ist tot.
SHYLOCK: Aha. Gut. Ich meine schlecht. Unangenehm, unschön, Sie wissen schon. Gibt es genaueres?
WIRT: Worüber?
SHYLOCK: Über die Todesart! Oder hat er das nur aus dem Internet?
WIRT: Er wurde ermordet. Man hat ihn im Hinterhof seines Theaters gefunden – erschlagen.
SHYLOCK: Na das ist doch schon mal was. Gut. Wer hat ihn gefunden? Wer hat ihn ermordet?
WIRT: Das herauszufinden ist Ihre Aufgabe, sagt er.
SHYLOCK: Das war ja wieder klar.
WIRT: Er meint, das wäre Ihr Job bei der Mordkommission!
SHYLOCK: Sagen Sie ihm, ich kümmere mich darum.
WIRT: Er kümmert sich darum. (legt auf) Kölsch?
SHYLOCK: Gerne. (seufzt)
Ich bin faul und faul bin ich:
Arbeiten werde ich darum heut’ nich!
(verschwindet im Dienst)
BLACK
Zweite Szene
(Im Theater)
THELLO: Inspektor Shylock Holmes? Sie hier? Ist es nicht ein bisschen früh für Sie?
SHYLOCK: Oh, Thello, glauben Sie wirklich, dass Sie es sich erlauben können, frech zu werden?
THELLO: Ähm... tut mir leid.
SHYLOCK: Etwas mehr Glaubwürdigkeit, bitte.
THELLO: Es tut mir leid.
SHYLOCK: Na also, geht doch. Gut, was ist hier passiert?
THELLO: Der Mann ist...
SHYLOCK: ...tot?! Ja, soviel weiß ich auch. Hintergrundinformationen wären nett.
THELLO: Äh... Ja, also, es handelt sich um einen gewissen Rael, den Intendanten des Theaters. Man hat ihn umgebracht.
SHYLOCK: Toll, dafür hat es sich wirklich gelohnt, dass ich selbst hierher gekommen bin, weil, das hätte man mir ja nicht am Telefon sagen können.
THELLO: Sarkasmus?
SHYLOCK: Worauf Sie Ihren Arsch verwetten können.
THELLO: Informationen?
SHYLOCK: Wenn Sie so freundlich wären?
THELLO: Man hat den Mann erschlagen.
SHYLOCK: Ich weiß. Tatwaffe?
THELLO: Ein fester Holzstock oder eine Eisenstange!
SHYLOCK: „Das wären denn zweierlei Waffen; doch weiter.“
THELLO: Häh?
SHYLOCK: ‘Hamlet’, fünfter Akt, zweite Szene! Sie vergessen, dass wir es hier mit der Leiche eines Theatermenschen zu tun haben und da ist es wohl das Mindeste, Shakespeare zu zitieren. Ist son Klischee, wird in Krimis immer gemacht. Gut, wer hat ihn umgebracht? Ich nehme mal an, dass für die Rolle noch niemand vorgesprochen hat?!
THELLO: Falls Sie darauf hinaus wollen, ob wir einen Verdächtigen haben: nein! Es hat sich bislang niemand gestellt und wir haben keine Ahnung, wer ein Interesse am Tod des Intendanten gehabt haben könnte.
SHYLOCK: Autoren, Schauspieler, Regisseure, da findet sich immer was.
THELLO: Kritiker?
SHYLOCK: Nee, die hätte er umgebracht.
THELLO: Das hier hat man bei dem Toten gefunden. Eine leere Brieftasche, ein seidenes Taschentuch, eine Armbanduhr und einen Schlüsselbund.
SHYLOCK: Aha. Würden Sie deshalb auf Raubmord schließen?
THELLO: Natürlich nicht!
SHYLOCK: Und... warum das nicht?
THELLO: Welcher gescheite Dieb würde seinem Opfer schon das Geld klauen, aber eine Uhr für fünftausend Euro da lassen?
SHYLOCK: Häh? Oh. Guter Punkt, Thello. Gut aufgepasst. Teure Uhr, guter Hinweis.
THELLO: Sie wussten es nicht, oder?
SHYLOCK: Kein Stück. Modezeugs ist nicht so mein Gebiet. Gut, das ist doch schon mal ne ganze Menge? Machen wir Schluss für heute?
THELLO: Ihre Arbeitseinstellung möchte ich haben.
SHYLOCK: Unwahrscheinlich! Was sollen wir denn Ihrer Meinung nach machen? Gibt es irgendwen, den wir verhören können?
THELLO: Den Hausmeister. Er wollte gerade den Müll raus bringen, da sah er die Leiche.
SHYLOCK: Könnte er es gewesen sein?
THELLO: Leider nicht. Er hat für die Tatzeit ein Alibi.
SHYLOCK: Tatzeit? Guter Hinweis. Wann war das so ungefähr?
THELLO: Der Arzt meint, es müsste heute Nacht gewesen sein, so etwa gegen 12 Uhr.
SHYLOCK: Bleibt die unausweichliche Frage: Wer war es? Oder: Warum? Oder: Was stelle ich mir hier für bescheuerte Fragen, die ich mir ohnehin nicht beantworten kann? Hmmmmmmm, wer, um einmal den großen Meister zu zitieren, könnte Nutzen aus dem Tode des Intendanten ziehen?
THELLO: Welchen großen Meister?
SHYLOCK: Mich, ist doch egal, beantworten Sie meine Frage!
THELLO: Ich weiß nicht.
SHYLOCK: War der Mann verheiratet?
THELLO: Ich weiß nicht!
SHYLOCK: Eine Ehefrau ist eine potentielle Verdächtige, es sei denn, sie ist tot.
THELLO: Sie ist tot.
SHYLOCK: Verdammt!
THELLO: Was ist mit dem Hausmeister?
SHYLOCK: Der war es nicht.
THELLO: Aha. Und warum?
SHYLOCK: Weil der Hausmeister oder theatralisch gesprochen der Pförtner zwar eine nette kleine, aber keine Hauptrolle ist. Und die bringen meist niemanden um. Und, wer weiß, vielleicht hat man seine Rolle sogar ganz gestrichen, weil sie zu klein war.
THELLO: Kann es sein, dass Sie da ein paar ganz merkwürdige Methoden der Ermittlung anwenden?
SHYLOCK: Möglich. Also gut, er war es nicht. Hatten Sie doch selbst gesagt, Alibi und so.
THELLO: Stimmt ja.
SHYLOCK: Bleiben wohl noch ein gutes Dutzend andere.
THELLO: Sie meinen das Ensemble?!
SHYLOCK: Richtig. Wo finden sich die Hauptrollen, wenn nicht im Ensemble?
THELLO: Warten Sie mal! Wenn Ihre Theorie richtig wäre – was sehr zu bezweifeln ist – dass es hier irgendwie nach Shakespearemotiven zugeht, warum wurde Rael dann nicht nach einem solchen Beispiel ermordet?
SHYLOCK: Sie meinen Schierling im Ohr? Mit einer vergifteten Klinge anritzen? Kopf abschlagen. Wär alles n bisschen übertrieben, oder? Ich kann es Ihnen noch nicht sagen, aber warten Sie nur ab, wenn es erstmal ans Zitieren geht, werden wir schon sehen, wer der Mörder ist! War hier gestern Abend ne Vorstellung?
THELLO: Ja.
SHYLOCK: Wer vom Ensemble spielt dabei mit?
THELLO: Alle! Claus Telmah, Julietta Nager, die beiden Stars, Monty Oemor, Nora Drawis und Julius Rasäc.
SHYLOCK: Merkwürdige Namen, oder?
THELLO: Ich finde hier vieles merkwürdig. Julietta Nager... die kenn ich gar nicht.
SHYLOCK: „Schließt sich der Tanz, so nah ich ihr: ein Drücken
Der zarten Hand soll meine Hand beglücken.
Liebt ich wohl je? Nein, schwör es ab, Gesicht:
Du sahst bis jetzt noch wahre Schönheit nicht!“
THELLO: Häh?
SHYLOCK: ‘Romeo und Julia’, erster Akt, fünfte Szene.
THELLO: Und was wollen Sie damit sagen?
SHYLOCK: Dass sie ausgesprochen attraktiv ist!
THELLO: Warum kenn ich sie dann nicht aus dem Fernsehen?
SHYLOCK: Weil sie außerdem Talent hat?
THELLO: Wollen Sie damit sagen, dass im Fernsehen nur Leute ohne Talent landen.
SHYLOCK: Das überlass ich Ihrer Phantasie. Hmm, ziemlich kleines Ensemble. Was haben sie gespielt?
THELLO: Irgendwas von Ionesco.
SHYLOCK: Irgendwas, ‘Der König stirbt’ haben sie gespielt. Finden Sie nicht, dass ein solches Stück einen gewissen Schatten vorauswirft? Der König ist inzwischen tot, soviel steht fest. Vielleicht bricht ja gerade jetzt das Theater auseinander... Hmmm, gut, also kommen wir zum springenden Punkt: Wer von den fünfen war es?
THELLO: Warum muss es denn einer von den fünfen gewesen sein?
SHYLOCK: Weil... wir sonst zuviel zu tun hätten, die ganze Stadt verhören und so. Schränken wir den Kreis der Verdächtigen also einfach mal ein. Wir wissen, es war jemand, der die Sache wie einen Raubmord aussehen lassen wollte! Gut, was wissen Sie über die Schauspieler?
THELLO: (blättert in seinen Notizen) Fangen wir mit dem Star an: Claus Telmah, Schauspieler, hat beachtliche Erfolge auf der Bühne nachzuweisen, wird von der Kritik geliebt. Äh, für Julietta Nager gilt das gleiche.
SHYLOCK: Das weiß ich selbst. Was ich wissen will ist Klatsch, Tratsch, unbewiesene Behauptungen, Vorurteile, eben das, woraus man seine Anschuldigungen ziehen kann!
THELLO: Oh, äh, die Nager hat, scheint’s, ein Verhältnis mit dem Intendanten.
SHYLOCK: Gehabt! Damit ist sie potentiell verdächtig!
THELLO: Ich dachte, alle fünf sind potentiell verdächtig?
SHYLOCK: Machen Sie Ihre Arbeit und ich mache meine, okay? Also weiter!
THELLO: Oemor und die Drawis leben seit einigen Jahren zusammen.
SHYLOCK: Und Rasäc?
THELLO: Ist erst seit kurzem beim Ensemble, kommt aus Jugoslawien. Mehr weiß ich über ihn nicht.
SHYLOCK: Gut. Motiv für den Mord: Eifersucht? Aber wer war auf wen eifersüchtig? Einer der Männer, weil Rael ein Verhältnis mit der Nager hatte? Oder die Drawis aus demselben Grund? Oder die Nager, weil sie eins mit einem anderen haben wollte? Warum müssen es unbedingt fünf Verdächtige sein, hätte einer nicht gereicht? Hmmm, wer profitiert von seinem Tod, indem er die Intendantenstelle bekommt? Das sind so die Fragen, die ich bis zum Ende dieses Aktes geklärt haben möchte, am besten gleich in der nächsten Szene.
THELLO: (liest etwas) „...können wir aufgrund einer weiteren Kürzung des Kulturetats das Theater nicht weiter mit Subventionen unterstützen und müssen deshalb...“
SHYLOCK: Was haben Sie denn da?
THELLO: Lag bei der Leiche. Man sagt ihm, er kriegt keine Subventionen mehr. Und das bedeutet, wie er hier hingekritzelt hat, dass er das Theater nur dann weiter betreiben kann, wenn er eine weitere Stelle streicht.
SHYLOCK: Das heißt in Alltagsdeutsch?
THELLO: Er kriegt keine Kohle vom Staat mehr.
SHYLOCK: Soviel hatte ich bereits verstanden.
THELLO: Weniger Kohle heißt: nicht genug Geld für alle.
SHYLOCK: Also muss er…
THELLO: …einen der Schauspieler rausschmeißen.
SHYLOCK: Oder eine.
THELLO: Genau.
SHYLOCK: Ich würde sagen: das ist es!
THELLO: Das ist es?
SHYLOCK: Ja. Wir müssen jetzt nur noch herausfinden, welche Stelle er streichen wollte, damit wir wissen, welche Stelle ihn gestrichen und das Problem damit aus der Welt geschafft hat. Ganz einfach!
THELLO: Einfach?
SHYLOCK: Naja, nicht unbedingt! Aber wie ist das mit dem Nachfolger?
THELLO: Ich weiß nicht.
SHYLOCK: Finden Sie heraus, wer hier den Posten des Intendanten übernehmen wird und was es mit dieser Streichung der Subventionen und dem Weiterbestehen des Theaters auf sich hat.
THELLO: Und was machen Sie?
SHYLOCK: Ich beschäftige mich in stiller Einzelarbeit? Nein?
THELLO: Nein!
SHYLOCK: War nur so ein Gedanke. Gut, ich spreche mit dem Ensemble.
THELLO: Oder was davon noch übrig ist.
SHYLOCK: Ja. Was wollten die wohl aufführen, wenn die noch n paar Leute rauschmeißen? Bleibt ja fast nur noch ‘Der Kontrabaß’ von Süskind. Hey, vielleicht ist der es gewesen, um sie zu zwingen, wieder sein Einpersonenstück aufzuführen. Sie sehen, wenn man genau nachdenkt und Schlussfolgerungen zieht, kann man sehr gut auf die Tatverdächtigen schließen.
THELLO: Ich kümmere mich um die Subventionsgeschichte. Und Sie?
SHYLOCK: Ich kümmere mich um den leichten Teil: Ich finde heraus, wer der Täter war!
BLACK