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ZWEITER AKT

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Erste Szene

(Bühne. Es wird geprobt, RASÄC, OEMOR und die DRAWIS stellen die drei HEXEN dar. Sie sind in Anzügen wie Anwälte gekleidet und haben Handys in der Hand, in die sie sprechen.)

„Eine freie Stelle. Donner und Blitz. Drei HEXEN treten auf.

1. HEXE: Wann soll’n wir drei uns treffen wieder

Im Donner, Blitz, fällt Regen nieder?

2. HEXE: Wenn das Grau’n vorüber ist,

Wenn Ihr’s End’der Schlacht schon wisst.

3. HEXE: Das ist eh die Sonne grüßt.

1. HEXE: Welche Stell’?

2. HEXE: Den Berg hinan.

3. HEXE: Da treff’n wir mit Macbeth zusamm’n.

1. HEXE: Ich komm’, Graukätzchen!

2. HEXE: Kröte ruft.

3. HEXE: Gleich jetzt!

ALLE: Frisch ist faul, und faul ist frisch:

Schweben durch Nacht und Dunstenmisch.

(sie verschwinden im Nebel)“

AUSBLENDE

Zweite Szene

(Im Theater. Der Nebel lichtet sich, SHYLOCK tritt auf)

TELMAH: (tritt auf) Was wollen Sie hier?

SHYLOCK: Ich? Oh, äh, nur...

TELMAH: Sind Sie der neue Kritiker?

SHYLOCK: Nein, so schlimm ist es nicht. (zeigt seinen Ausweis) Shylock Holmes, Mordkommission.

TELMAH: Oh, Mordkommission?!

„Wär ich gestorben, eine Stunde nur,

Eh dies geschah, gesegnet war mein Dasein!

Von jetzt gibt es nichts Ernstes mehr im Leben:

Alles ist Tand, gestorben Ruhm und Gnade!

Der Lebenswein ist ausgeschenkt, nur Hefe

Blieb noch zu prahlen dem Gewölbe.“

SHYLOCK: ‘Macbeth’?

TELMAH: Zweiter Akt, zweite Szene.

SHYLOCK: Sie sind Herr Telmah?

TELMAH: Der bin ich.

SHYLOCK: Schauspieler, Regisseur... und immer bei der Arbeit. Ich sehe, Sie proben.

TELMAH: Ja. Finden Sie das ungewöhnlich?

SHYLOCK: Nun, das ist ein Theater, da erwartet man so was ja.

TELMAH: Da haben Sie Recht.

SHYLOCK: Oder meinen Sie, wegen des Mordes.

TELMAH: Ja, äh, wegen des Mordes. Es… Mir geht der Tod... der Mord an unserem Intendanten sehr nahe.

SHYLOCK: Natürlich. Er hat dieses Theater sehr geprägt.

TELMAH: Das hat er.

SHYLOCK: Was mag nun aus ihm werden?

TELMAH: Ich nehme an, man wird eine Autopsie an ihm vornehmen.

SHYLOCK: Ich meinte, aus dem Theater. Wer wird seine Rolle übernehmen?

TELMAH: Seine… bitte? Sie haben mich verwirrt.

SHYLOCK: Ja, das passiert hin und wieder. Er war ein eigenwilliger Intendant. Ich nehme an, Sie werden seinen Job übernehmen?!

TELMAH: Auf jeden Fall vorläufig.

SHYLOCK: Natürlich. (sieht sich um) Irgendwas war da noch...

TELMAH: Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann…

SHYLOCK: Ja, natürlich. Da sind immer irgendwelche Fragen, die man stellen muss, wenn so ein Mord passiert ist, kennen Sie wahrscheinlich aus dem Fernsehen.

TELMAH: Sicher. Sie wollen bestimmt fragen, wo ich gestern zur Tatzeit gewesen bin?

SHYLOCK: Ach, für sowas hab ich mein Personal. Das ist eine schöne Bühne. Sehr angenehm. Gute Akustik. Ich wollte auch mal... aber Sie wissen, wie das ist. Und dann bin ich auf die schiefe Bahn geraten... also zur Polizei gegangen. Traurig. Wo waren Sie zur Tatzeit?

TELMAH: Zu Hause, ich lebe allein!

SHYLOCK: Das ist schade.

TELMAH: Man gewöhnt sich daran, allein zu leben.

SHYLOCK: Das meinte ich nicht, ich lebe auch allein, aber mit einem Alibi sieht es in einem solchen Fall leider sehr schlecht aus.

TELMAH: Ich kann Ihnen leider nichts anderes sagen. Ich würde Ihnen ja gerne ein Alibi vorweisen, aber wenn man nicht darauf eingestellt ist, eins zu brauchen, ist schlecht an eins zu kommen.

„Bezeugs der arme Stumpf, die Purpurschrift,

Bezeugs dies Antlitz, tief von Gram gefurcht,

Bezeugs der traur'ge Tag, die lange Nacht,

Bezeug es alles Weh: ich kenne dich“.

SHYLOCK: Ähm?

TELMAH: ‘Titus Andronicus’, Fünfter Akt, zweite Szene.

SHYLOCK: Was haben Sie nach der Vorstellung gemacht?

TELMAH: Ich bin direkt nach Hause gefahren.

SHYLOCK: Das war?

TELMAH: Das war so gegen elf, halb zwölf.

SHYLOCK: Hmmm, ich nehme an, Sie sind alle nach der Vorstellung gefahren, nicht wahr?

TELMAH: Alle? Sie meinen dieses geschrumpfte Ensemble? Keine Bühnentechniker, keine Schneider, keine Bühnenbildner, keine Musiker!

SHYLOCK: Keine Putzfrau.

TELMAH: Nun... außer Rael sind wir alle gefahren, ja.

SHYLOCK: Frau Nager auch?

TELMAH: Ja, die auch. Wieso?

SHYLOCK: Ich meine, sie hat doch mit Rael ein Verhältnis gehabt, oder?

TELMAH: Sie lesen die Klatschseiten?

SHYLOCK: Nein. Für sowas hab ich meine Leute. Also?

TELMAH: Ja, sie hatten ein Verhältnis.

SHYLOCK: Und sie ist immer nach der Vorstellung nach Hause gefahren und Rael ist noch hier geblieben?

TELMAH: Meistens sind sie zusammen gegangen, aber Rael wollte gestern noch ein paar organisatorische Fragen klären.

SHYLOCK: Die Frage, wer gehen und wer bleiben würde?

TELMAH: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber ich würde es nicht ausschließen!

SHYLOCK: Okay, vielen Dank. Hmmm, könnte Frau Nager zurückgekommen sein, um ihren Geliebten umzubringen?

TELMAH: Warum sollte sie das tun?

SHYLOCK: Es gibt vielfältige Gründe, warum Menschen töten.

TELMAH: Ich habe mir noch nicht die Frage gestellt, warum jemand Rael umbringen wollte... oder wer es gewesen sein könnte.

SHYLOCK: Das ist wohl auch meine Aufgabe. Wo kann ich Frau Nager finden?

TELMAH: Sie haben Glück, da kommt sie gerade. Wenn Sie mich entschuldigen würden. (ab)

NAGER: (tritt auf) „Da ist Vergißmeinicht, das ist zum Andenken; ich bitte Euch, liebes Herz, gedenkt meiner! und da ist Rosmarin, das ist für die Treue.“

SHYLOCK: Hmmm.

NAGER: Wer sind Sie?

SHYLOCK: Hamlet.

NAGER: Bitte?

SHYLOCK: Das war aus ‘Hamlet’.

NAGER: (nickt) Vierter Akt, fünfte Szene. (blickt ins Leere) Ich habe alle meine Rollen mit ihm geprobt.

SHYLOCK: Es tut mir leid. Shylock Holmes, von der Mor... von der Polizei.

NAGER: Bitte? Oh, ja... Verzeihung, ich weiß nicht, ob ich Ihnen eine große Hilfe sein kann... im Moment.

SHYLOCK: Frau Nager, es tut mir leid, aber... Haben Sie eine Idee, wer Ihren Mann umbringen wollte?

NAGER: Er... war nicht mein Mann. Oh, nicht einmal mein Mann ist er gewesen, nicht einmal das...

„So waschen sie die Wunden ihm mit Tränen?

Ich spare meine für ein bängres Sehnen.

Nimm diese Seile auf. - Ach, armer Strick:

Getäuscht wie ich! wer bringt ihn uns zurück?

Zum Steg der Liebe knüpft er deine Bande,

Ich aber starb als Braut im Witwenstande.“ (ab)

DRAWIS: (tritt auf) ‘Romeo und Julia’, dritter Akt, zweite Szene.

SHYLOCK: Klar. Sie sind... Frau Drawis, hab ich Recht?

DRAWIS: Ja. Die kaputte Lampe hängt über dem Spiegel!

SHYLOCK: Bitte?

DRAWIS: Naja, eigentlich sind fast alle Lampen über dem Spiegel kaputt. Und im Flur. Da haben Sie eine Menge zu tun.

SHYLOCK: Das habe ich in der Tat. Aber leider bin ich nicht hier, um Licht ins Dunkel Ihrer Garderobe zu bringen.

DRAWIS: In welches Dunkel wollen Sie dann Licht bringen?

SHYLOCK: In das eines Verbrechens. (zeigt seinen Ausweis) Shylock Holmes, ich komme von der Mordkommission!

DRAWIS: Ihr Name ist Shylock Holmes?

SHYLOCK: Finden Sie nicht, dass der Name diesem Fall mehr als angemessen ist?

DRAWIS: Absolut. Wurden Sie in der Schule viel gehänselt?

SHYLOCK: Nein.

DRAWIS: Warum nicht?

SHYLOCK: Weil Kleinkinder keinen Shakespeare lesen!

DRAWIS: Gut gekontert. Sie untersuchen den Tod von Rael?

SHYLOCK: Den Mord an ihm!

DRAWIS: Mord?! Ja, wenn man umgebracht wird, wird es wohl Mord sein.

SHYLOCK: Das erscheint logisch.

DRAWIS: Haben Sie einen Verdacht?

SHYLOCK: Ja.

DRAWIS: Einer von uns? Das bedeutet wohl, dass ich potentiell verdächtig bin?!

SHYLOCK: Das sind Sie alle. Erstmal.

DRAWIS: Welchen Grund sollte ich haben, Rael zu ermorden?

SHYLOCK: Eben das möchte ich von Ihnen hören!

DRAWIS: „Es ist in mein Gedächtnis fest verschlossen,

Und Ihr sollt selbst dazu den Schlüssel führen.“

Schwebt Ihnen sowas vor?

SHYLOCK: Hmmm...

DRAWIS: Strengen Sie Ihr Gedächtnis nicht übermäßig an, es war ‘Hamlet’, erster Akt, dritte Szene!

SHYLOCK: Fangen wir also mit dem Theater an.

DRAWIS: Sehen Sie sich doch hier um. Es war mal ein großes, berühmtes, tolles Theater... Was ist daraus geworden? Eine Bruchbude, und ich bin nicht einmal mehr die Diva, die ich vor ein paar Jahren noch war. Aber es ist ja auch das Vorrecht des Intendanten, mit den jüngeren Kolleginnen zu schlafen.

SHYLOCK: Er hatte also ein Verhältnis mit Frau Nager!

DRAWIS: Lesen Sie nie die Klatschspalte? Ja, das große Liebespaar der Saison. Als sie hier anfing hatte ich noch ihre Garderobe, aber die Zeiten ändern sich. Ja, ich hätte wohl allen Grund gehabt, Rael umzubringen – vor ein paar Jahren!

SHYLOCK: Es gibt Gerüchte, dass man das Ensemble verkleinern wollte.

DRAWIS: Selbst einem Mann wie Rael muss klar gewesen sein, dass er mit vier Schauspielern nicht mehr viele große Produktionen auf die Bühne bringen kann. Früher, vor seiner Zeit, haben wir hier viele Boulevardkomödien gespielt. Als sich die Leute noch für Theater interessiert haben. Als es noch nicht tausend Programme gab.

SHYLOCK: Und doch hing das Schwert des Entlassenwerdens drohend über Ihnen allen.

DRAWIS: Sie meinen, er wollte die alte Diva streichen, die er schon in den untersten Keller verbannt hatte? Wahrscheinlich haben Sie sogar Recht. Junger Mann, ich habe früher Rollen gespielt, von denen man heute nur noch träumen kann. Sie können es sich sicher nicht vorstellen, aber ich war eine bezaubernde Julia!

SHYLOCK: Sie waren auch eine überzeugende Lady Macbeth!

DRAWIS: Das dürfte wohl vor Ihrer Zeit gewesen sein.

SHYLOCK: Ich meinte nicht die Uraufführung.

DRAWIS: Sehr charmant, junger Mann. Ja, Shakespeare hat ein paar sehr schöne Stücke geschrieben. Sowas findet man heute nicht mehr.

SHYLOCK: Hätten Sie die Güte, mir zu sagen, wo Sie gestern Abend zwischen elf und ein Uhr waren?

DRAWIS: Zusammen mit meinem Liebhaber! In einer netten kleinen Kneipe namens „Auerbachs Keller“. Man kennt uns dort, fragen Sie ruhig nach.

SHYLOCK: Werd ich machen. Sie waren dort also mit Ihrem Liebhaber!

DRAWIS: Tun Sie doch nicht so. Als Polizist werden Sie inzwischen herausgefunden haben, dass Monty Oemor und ich ein Verhältnis haben. Seit vielen Jahren! Sie wollten mich fragen, ob ich Rael ermordet habe! Ich bin eine alte Schauspielerin, die sich nicht vormacht, noch immer die jugendliche Liebhaberin zu spielen. Aber ich bin nicht so abgebrüht, einen Intendanten, mag er auch noch so unfähig sein, zu ermorden.

SHYLOCK: Vielleicht nicht. Aber wie gesagt, Sie waren eine überzeugende Lady Macbeth!

DRAWIS: Und Sie meinen, ich bin es noch immer? Darf ich Ihnen eine Frage stellen?

SHYLOCK: Natürlich.

DRAWIS: Denken Sie wirklich, dass ich es war?

SHYLOCK: „Sein oder Nichtsein,“ ich stell hier die Fragen!

Dies elende Gefrag’ nach Mord und Totschlag

In dieser grausen Welt zu führen, oder,

Bewaffnet wie zum Weltkrieg jagen,

Die Schuldlosen und Schuldigen?

OEMOR: (tritt auf) ‘Hamlet’ würde sich im Grabe umdrehen!

DRAWIS: Dritter Akt, erste Szene. Dieser charmante Mensch ist übrigens mein Liebhaber. Ich darf vorstellen: Herr... Shylock Holmes von der Mordkommission, Herr Monty Oemor.

OEMOR: Shylock Holmes?

DRAWIS: Das habe ich ihn auch schon gefragt.

SHYLOCK: Mein Vater war Kaufmann in Venedig.

OEMOR: Sie sind nicht auf die Zunge gefallen.

SHYLOCK: Und auch nicht auf den Kopf.

OEMOR: Das ist ein ungewöhnlicher Name.

SHYLOCK: Das ist ein ungewöhnlicher Fall.

OEMOR: Ich möchte meinen, Sie wurden geboren, ihn zu lösen.

DRAWIS: Der junge Mann möchte mit dir sprechen, Monty. Er hält dich offensichtlich für den Mörder!

OEMOR: Hast du ihm denn nicht gestanden, dass du es warst?

DRAWIS: Du darfst nicht alles verraten. Er ist ein guter Schauspieler, aber er wäre ein beschissener Autor!

OEMOR: Können Sie sich vorstellen, dass sie schon seit 20 Jahren so ist? Sie wollten mich fragen, wo ich zur Tatzeit war. Ich habe gehört, er wurde so gegen Mitternacht umgebracht, da war ich... da waren wir in „Auerbachs Keller“.

SHYLOCK: Zwei Alibis zum Preis von einem. Wäre ich ein misstrauischer Mensch, ich würde das für verdächtig halten.

OEMOR: Sind Sie ein misstrauischer Mensch?

SHYLOCK: Sonst könnte ich meinen Job nicht machen. Haben Sie ihn umgebracht?

OEMOR: „Die blanken Schwerter fort! Sie möchten rosten!

Das Alter hilft Euch besser, guter Herr,

Als Euer Degen.“

‘Othello’,...

DRAWIS: ...erster Akt...

OEMOR: ...zweite Szene!

SHYLOCK: Das beantwortet alles.

DRAWIS: Wirklich?

SHYLOCK: Nein!

OEMOR: Falls Sie noch Fragen haben...

DRAWIS: ...oder einen Beweis...

OEMOR: ...dann stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. (beide ab)

THELLO: (tritt auf) Haben Sie schon was herausgefunden?

SHYLOCK: Hm? Oh, Thello!

THELLO: Inspektor Thello, wie Sie wissen hat man mich inzwischen auch zum Inspektor befördert!

SHYLOCK: Das ist keine Auszeichnung.

THELLO: Einen Beweis!

SHYLOCK: Sehen Sie mich an!

THELLO: Sie haben mich überzeugt!

SHYLOCK: Wollen Sie wissen, wer Rael ermordet hat?

THELLO: Ja!

SHYLOCK: (reicht ihm einen Zettel) Gehen Sie in „Auerbachs Keller“ und finden Sie heraus, ob Frau Drawis und Herr Oemor sich gestern zwischen elf und eins dort aufgehalten haben.

THELLO: Sie schicken mich in eine Kneipe?

SHYLOCK: Was ist daran so ungewöhnlich?

THELLO: Ich hätte nie gedacht, dass Sie sich die Gelegenheit entgehen lassen, während der Dienstzeit und quasi völlig legal in eine Kneipe zu gehen.

SHYLOCK: Geben Sie den Zettel her, Thello, ich werde mich selbst darum kümmern! (reißt THELLO den Zettel aus der Hand)

THELLO: Holmes, Mensch!

SHYLOCK: Ich wusste nicht, dass wir uns menschen!

THELLO: Gut, das Mensch nehm ich zurück. Haben Sie denn nicht eine einzige kleine Information über diesen Fall, die ich dem Chef geben kann? Mich schreit er nämlich an, nicht Sie!

SHYLOCK: Er schreit Sie an? Mich hat er nie angeschrieen. Wahrscheinlich weil er weiß, dass er bei mir damit nicht weiterkommt.

THELLO: Ich versuche ihm ja auch zu zeigen, dass er bei mir damit nicht weiterkommt.

SHYLOCK: Scheint ja super zu funktionieren! Aber wenn er mich schon nicht anschreien kann, muss er Sie ja anschreien können. Als Chef braucht man wohl dieses Training. Haben Sie den Bericht der Spurensicherung?

THELLO: Ja. Den wollte ich Ihnen bringen.

SHYLOCK: Damit kommen Sie erst jetzt raus? Ich hätte Ihnen hier den Mörder auf dem Silbertablett präsentieren können... Also... ‘Urlaubsfotos vom Baggersee’? Geben Sie mir die richtige Mappe!

THELLO: Hier.

SHYLOCK: Hmmmm... Kennt der Chef die Berichte?

THELLO: Ich glaube nicht.

SHYLOCK: Ist ja typisch. Keine Fingerabdrücke auf der Tatwaffe. Diese Mörder könnten ja auch mal ein bisschen kooperativer sein. Tja, das hilft uns auch nicht weiter.

RASÄC: (tritt auf) „O großer Cäsar! liegst du so im Staube?

Sind alle deine Siege, Herrlichkeiten,

Triumphe, Beuten eingesunken nun

In diesen kleinen Raum? - Gehab dich wohl! -“

THELLO: Wer ist das?

SHYLOCK: ‘Julius Cäsar’, dritter Akt, erste Szene.

THELLO: Und der Schauspieler?

SHYLOCK: Julius Rasäc.

THELLO: Häh?

SHYLOCK: Ja, es klingt merkwürdig, das geb ich zu.

RASÄC: Sie sind von der Polizei?

SHYLOCK: Ja.

RASÄC: Dann nehme ich an, möchten Sie mit mir sprechen!

SHYLOCK: (deutet auf THELLO) Er nicht.

THELLO: (geht ab)

RASÄC: Ich habe diesen Mann nicht getötet, Inspektor...

SHYLOCK: Holmes, Shylock Holmes!

RASÄC: Ich habe es nicht getan, aber ich würde alles dafür tun, den Mörder zu bestrafen. Rael hat mir, als mich niemand wollte, eine Chance gegeben und dafür bin ich ihm dankbar. Was hier geschehen ist, ist Unrecht, Herr Inspektor!

„Der Feige stirbt schon viermal, eh er stirbt,

Die Tapfern kosten e i n m a l nur den Tod.

Von allen Wundern, die ich je gehört,

Scheint mir das größte, dass sich Menschen fürchten,

Da sie doch sehn: der Tod, das Schicksal aller,

Kommt, wann er kommen soll.“

‘Julius Cäsar’, zweiter Akt, zweite Szene.

SHYLOCK: Was haben Sie gestern Abend zwischen elf und ein Uhr nachts gemacht?

RASÄC: Ich war im Senat!

SHYLOCK: Mein Cäsar, das klingt selbst für meine Ohren ein wenig unglaubwürdig.

RASÄC: Ich war mit meiner Frau bei Freunden, die eine kleine Party gegeben haben. In einer Kneipe namens „Senat“.

SHYLOCK: Ich bin sicher, die können das bestätigen?!

RASÄC: Natürlich. Meine Frau ist mit ihnen gefahren. Ich bin... nachgekommen.

SHYLOCK: Wir werden das überprüfen.

RASÄC: Wir?

SHYLOCK: Ähm... ein Kollege. Warum sind Sie nicht mit Ihrer Frau und Ihren Freunden gefahren?

RASÄC: Ich war mit dem Fahrrad unterwegs. Sie wissen, wie das hier mit den Verkehrsbetrieben ist. Da ist man mit dem Rad schneller.

SHYLOCK: Das stimmt.

RASÄC: Die anderen haben ein Taxi genommen und ich bin mit dem Rad gefahren. Auch in meinem Alter eine gute Übung.

SHYLOCK: Auch in Ihrem Alter kein gutes Alibi.

RASÄC: Meinen Sie, ich kann einen Mord begehen und dann mit dem Rad durch die Stadt rasen, ohne außer Puste anzukommen? So fit bin ich leider nicht mehr.

SHYLOCK: Das deutet an, dass Sie einmal so fit waren.

RASÄC: Als ich jung war.

SHYLOCK: Da waren Sie also fit genug, einen Mord zu begehen und anschließend mit dem Rad durch die Stadt zu fahren. Klingt fast so, als hätten Sie da Erfahrungen.

RASÄC: Ich kann Ihnen versichern, die habe ich nicht.

SHYLOCK: Wir werden sehen.

RASÄC: Inspektor, ich hoffe, Sie finden den Mörder und er wird nicht von der Justiz verschont wie die meisten Verbrecher!

SHYLOCK: (deutet raus) „Tragt diese Leiche weg.“

(zu RASÄC) „Vernehmt mein Wort!

Wenn Gnade Mörder schont, verübt sie Mord!“

RASÄC: ‘Romeo und Julia’.

SHYLOCK: Dritter Akt, erste Szene.

RASÄC: Machen Sie weiter so. (ab)

NAGER: (tritt auf) Herr... Polizist, ich habe leider Ihren Namen vergessen! Sie sind doch von der Polizei?!

SHYLOCK: Ja, Holmes mein Name, Shylock Holmes.

NAGER: Wirklich?

SHYLOCK: Wirklich!

NAGER: Tut mir leid, ich war wohl eben... ein bisschen weggetreten.

SHYLOCK: Das ist schon verständlich.

NAGER: Der Tod... der Mord hat mich sehr mitgenommen... Ich... Sie wissen sicher, er war ein Geliebter.

SHYLOCK: Mord wirft die Menschen immer aus der Bahn. Und es wäre traurig, wenn es nicht so wäre. Sie waren also mit ihm zusammen?

NAGER: Ja, das stimmt.

SHYLOCK: Auch gestern Abend zwischen elf und ein Uhr?

NAGER: Sie meinen nach der Vorstellung? Nein, da habe ich ihn verlassen.

SHYLOCK: Aha.

NAGER: Ich, er... Er wollte noch hier bleiben und ein paar organisatorische Dinge klären.

SHYLOCK: Und Sie haben ihn verlassen.

NAGER: Ich bin weggefahren.

SHYLOCK: Wohin?

NAGER: Zu... nach Hause.

SHYLOCK: Aha. Wer wusste davon, ich meine, dass er hier bleiben wollte?

NAGER: Alle, wieso?

SHYLOCK: Ich nehme an, Sie waren allein?! Als Sie... zu Hause waren.

NAGER: Ja. Ich habe es... erst heute Morgen erfahren.

SHYLOCK: Mit anderen Worten: kein Alibi. Hat Rael mit Ihnen über diese theaterinternen Angelegenheiten gesprochen?

NAGER: Sie meinen die Streichung der Zuschüsse? Ja. Es ist eine schlechte Zeit für die Kultur. Und für das Theater. Eine schlechte Zeit.

SHYLOCK: Hat er gesagt, wen er streichen wollte?

NAGER: Er wusste es noch nicht genau. Er wusste es nicht...

SHYLOCK: Wer von Ihren Kollegen könnte ein Motiv gehabt haben, ihn zu töten?

NAGER: Wie kommen Sie darauf, dass es einer von uns war?

SHYLOCK: Es spricht einiges dafür! Es ist... Polizeiarbeit, Sie verstehen. Wer könnte es gewesen sein? Ich kenne mich in der Theaterszene nicht aus...

„Wollt Anleitung mir geben, wie ich hier

Mich muss betragen; meiner Bitten erste,

Zuletzt gesagt, ist diese: schönes Wunder,

Seid Ihr ein Mädchen oder nicht?“

NAGER: „Kein Wunder,

Doch sicherlich ein Mädchen.“

SHYLOCK: „M e i n e Sprache! Himmel!“

NAGER: Sie kennen Shakespeare?

SHYLOCK: Bei meinem Namen sollte ich das wohl!

NAGER: Das war aus ‘Der Sturm’!

SHYLOCK: Erster Akt, zweite Szene. Hat er sich vielleicht mit irgendjemandem aus dem Ensemble gestritten?

NAGER: Nicht dass ich wüsste.

SHYLOCK: Hat er sich abends nie über einen Ihrer Kollegen aufgeregt?

NAGER: Immer verschieden, mal über diesen, mal über jenen. Sie wissen ja, als Regisseur hat man sich mit allen irgendwann mal in den Haaren.

SHYLOCK: Das hilft mir nicht weiter. Und... Ihr Verlust tut mir leid.

NAGER: „Sehn wir den Größern tragen unsern Schmerz,

Kaum rührt das eigne Leid noch unser Herz.

Wer einsam duldet, fühlt die tiefste Pein,

Fern jeder Lust, trägt er den Schmerz allein:

Doch kann das Herz viel Leiden überwinden,

Wenn sich zur Qual und Not Genossen finden.“

SHYLOCK: ‘König Lear’, dritter Akt, sechste Szene.

NAGER: Ich hatte Rael geliebt. Ich habe ihn nicht getötet. (ab)

SHYLOCK: Aber irgendwer hat!

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Shylock Holmes

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