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Kapitel 4

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Eine mittlere Schneeschicht bedeckte die Spuren, die Ron Schwert gefunden hatte. Teils waren es Fußabdrücke, teils schien die Person ihren ganzen Körper über den Boden gezogen zu haben, so, als könne sie nicht laufen. Handspuren, eine kriechende Person, wahrscheinlich verletzt. Bevor sich Ron an die Verfolgung der Fährte machte, stellte er ein paar Berechnungen an. Sie betrafen die Dicke des Schnees, der die Spuren unter sich begraben hatte. Er wusste nicht, wie oft es in dieser Region schneite und wie intensiv der Niederschlag war, aber er hatte doch eine grobe Vorstellung, wie alt die Spuren sein mussten. Und wenn man davon ausging, dass der Flüchtende ein Überlebender dessen war, was dem Kloster widerfahren war, dann ließ sich daraus schließen, wann in etwa es passiert war.

Das Ergebnis seiner Überlegungen machte Ron wenig Hoffnung. Wenn er richtig lag, war das Kloster nicht sehr viel später niedergebrannt, nachdem der Abt seine Nachrichtenmöwe an den König entsandt hatte. Möglicherweise zu genau dem Zeitpunkt, an dem Ron sich im fernen Kelldor auf den Weg gemacht hatte.

Was ihn wieder zu der Theorie brachte, was das Warum für die Zerstörung sein konnte. Der Mann, der von den Göttern gesprochen und der Schutz im Kloster gesucht hatte. Man hatte ihm offenbar nicht viel Zeit gelassen, seine unglaubliche Geschichte zu erzählen.

Das war die eine Seite. Die andere, die ihm viel weniger schmeckte, war, dass der Flüchtende wahrscheinlich verletzt war. Er konnte sich nicht schnell bewegen, das war klar, aber es war nicht die Gefahr, dass er bereits zu weit entfernt war, die Ron Sorgen bereitete, sondern die Gefahr, dass er inzwischen schon seit langem seinen Verletzungen erlegen war.

Im Nordosten donnerte es ein wenig. Wahrscheinlich ein Gewitter, dachte Ron. Er nahm sein Pferd am Zügel und folgte der Fährte unter dem Schnee.

„Ich nehm noch einen“, scholl es Anna Schwert schon an der Tür der Taverne entgegen. Doch bevor der Wirt dem Mann, der diese Worte gesprochen hatte, einen weiteren Krug Starkbier in die Hand drücken konnte, fing Anna den Krug ab, zog sich einen Stuhl heran und ließ sich neben dem Mann am Tisch nieder.

„Hatten wir nicht schon genug?“ fragte sie und nippte an dem Getränk.

„Wir, werte Schwert?“ meinte der Mann angetrunken. „Ihr seht so aus, als könntet ihr dringend einen vertragen.“

„Und Ihr seht so aus, als hättet Ihr schon mehr gehabt, als Ihr vertragen könnt.“

„Sollen wir…“ Der Mann dachte schneller als er sprach. Was nicht schwierig war, denn er sprach sehr langsam. Und mit belegter Zunge. Lallte wäre der Fachausdruck gewesen. Er hatte vorgehabt, der Dame des Schwertes ein Wetttrinken vorzuschlagen, doch noch während die Worte über seine Lippen kletterten oder vielmehr stolperten, erinnerte er sich daran, dass er das bereits einmal gemacht hatte. Er hatte drei Tage in einer schattigen Baracke verbringen müssen, während es ihr schon zur Mittagsglocke wieder so gut ging, dass sie ihn mit einem kräftigen Bärenbraten neckte, den sie verspeiste und der ihm den Magen in den Mund trieb.

„Solltet Ihr nicht einen klaren Kopf behalten, Lord Botschafter?“ fragte sie und stellte den Krug auf den hölzernen Tisch. Sie war eine Schwert, aber geboren war sie als Anna Schmiedtotta, wurde Anna Messer, Anna Degen, Anna Säbel und zeigte allen, dass sie mehr beherrschte als eine so leichte Klinge wie den Säbel, so dass sie schon bald Anna Schwert war.

„Für was, mein liebes Schwert?“ seufzte Hannes Gesandter, der vor Jahren vom König zum Lord Botschafter geadelt worden war, einer der wenigen Titel, die das Land zu bieten hatte. Vielleicht auch nur, um es den Vertretern anderer Länder einfacher zu machen, mit seinem Namen umzugehen, was manchmal Verwirrung auszulösen schien. Da er jedoch stets betrunken und nicht gerade diplomatisch war, ging in einigen Kreisen das Gerücht, der König habe ihn nur deswegen geadelt, um dafür zu sorgen, dass ein anderes Land wegen seines Betragens einen Krieg mit Kelldor beginnen würde, einen Krieg, der alten Ruhm und Reichtum wieder herstellen würde, denn nie war Kelldor so rühmlich und reichlich gewesen wie während der Zeiten des Krieges. Zudem stellte ein Titel nicht zwingend eine Ehrung da, denn der so genannte Lordsiegelbewahrer war ein unfähiger Mann, der in einem Verließ des Schlosses vor einer Glastruhe mit Siegeln hockte und verhindern sollte, dass die Dinger abhauten.

Gesandter deutete in die Richtung, die er für in etwa Osten hielt und wo er Savaan vermutete. „Ich würde ja wieder nach Savaan reisen, um über Handelseinbahrungen… Handelsverwahrungen…vereinbarungen zu verhandeln, aber Ihr stundet doch aufrecht an meiner Seite, als wir dort vor gar nicht allzu langweiliger Zeit hinübergesegelt sind. Man wollte uns nichtmal an Land lassen. Was für ein gastfreundliches Volk“, zischte er ironisch.

„Habt Ihr inzwischen erfahren, warum man uns nicht empfangen wollte?“ fragte die Dame des Schwertes, deren Aufgabe es seit längerem war, den Lord Botschafter zu begleiten und zu bewachen, manchmal, so wie heute, auch vor sich selbst.

„Ach, irgendwas mit dem König. Krank wahrscheinlich, tot vermutlich, schlecht gelaunt mit Sicherheit.“ Hannes winkte ab. Es war doch immer dasselbe mit diesen Landesfürsten. Entweder sie lebten oder sie starben. Und wenn sie starben, kam ein neuer, der wieder lebte, und andere starben. Oft irgendwelche Untertanen.

„Und deswegen müsst Ihr Euch betrinken?“

„So könnt Ihr mir wenigstens nicht vorwerfen, ich würde es ohne Grund tun.“

Sie griff sich den Krug und leerte ihn in einem Zug.

Hannes sah ihr beeindruckt dabei zu.

Anna knallte Krug auf den Tisch.

„Gutes Bier“, sagte sie und wischte sich den Mund ab.

„Freut mich, dass Ihr das auch so seht.“

„Wir sollten aufbrechen“, sagte sie und erhob sich.

„Es ist noch früh – und heiß!“

„Es kann sein, dass es bald noch früher wird. Und noch heißer.“

Hannes sah die Kriegerin verwirrt an.

„Gut, das stimmt so nicht“, gab sie zu. „Aber wir haben eine Depesche vom König erhalten. Merkwürdige Dinge scheinen sich zu ereignen und wir sollen uns für die Abreise bereithalten.“

„Die Abreise… wohin?“

Anna zuckte die Schultern. „Ungewiss. Möglicherweise nach Savaan.“

Der Lord Botschafter seufzte.

„Möglicherweise nach Kapstadt.“

Der Lord Botschafter seufzte wieder. Das war nur minimal besser, wenn überhaupt. Er war dort erst vor Monaten gewesen und hatte mehrere Tage gebraucht, bis er eine gute Taverne gefunden hatte. Und selbst die war, wenn man ehrlich mit sich war, nur mittelmäßig. In diesen wärmeren Breiten von Kelldor hatte man das Herstellen von Alkohol noch nicht so sehr entwickelt, wie es sich Gesandter wünschen würde.

„Und was entscheidet das?“

„Das weiß ich nicht“, gestand Anna. Ihr war jede Luftveränderung recht. So sehr sie die Pyramidenstadt auch mochte, so langweilig war sie ihr auch. Es gab einen Hafen, von dem Schiffe nach Savaan auslaufen sollten, wenn man denn Handelsverbindungen hätte aufbauen können, hätte man den Gesandten, der sie erhandeln sollte, denn an Land gelassen. Natürlich gab es hin und wieder mal ein Schiff von oder nach Savaan und ab und an fanden sich Savaaner in ihrer Stadt, aber der blühende Handel, den man sich wünschte, war bislang ausgeblieben. Der Austausch zwischen den beiden Ländern war so karg wie die Wüste, die sie umgab, bis hin zu den Eisernen Bergen. Doch im Moment sah es so aus, als würde sich nichts daran ändern.

„Und was machen wir bis dahin?“ wollte Hannes wissen.

„Wir genießen die Abendluft.“

„Das“, murmelte Lord Botschafter, „klingt auch unerquicklich!“

Es dauerte weniger lange als Ron befürchtet hatte, aber eigentlich war das mehr als logisch. Der Überlebende war verletzt, angeschlagen, langsam. Er wollte zwar so schnell wie möglich fort von diesem Ort, an dem er vermutlich schreckliches erlebt hatte, aber wenn er so stark verletzt war, wie Ron annahm, dann würde ihm das schwer zu schaffen machen. Und wie Ron feststellte, hatte es das auch.

Die Spuren verliefen sich in einem kleinen Tal. Ein Bergbächlein plätscherte durch das Unterholz, die Bäume ächzten unter ihrer Schneedecke und wenn es hier einheimische Tiere gab, dann hatten die sich wahrscheinlich schon lange zum Winterschlaf begeben. Es gab eine kleine Höhle – und vor ihr endeten die Spuren.

Ron sah sich um. Schnee, Bach, Eis. Das waren schlechte Bedingungen für trockenes Holz. Und genau das könnte er jetzt brauchen, um sich eine Fackel zu bauen, mit der er die kleine Höhle ausleuchten konnte. Wenn es denn eine kleine Höhle war. Vorsichtig steckte er den Kopf hinein. Es war dunkel dort herinnen, modrig und feucht. Kein Luftzug, nur der Geruch von… Tod!

Schwert nahm einen dicken, feuchten Ast, wickelte ein Stück seiner Kleidung darum und zündete es an. Dann kroch er in die kleine Höhle. Kein Atem war zu hören, keine Bewegung zu sehen, nur die schnell dahin huschenden Schatten, die das Flackern seiner Fackel gebar. Er fand sehr schnell, was er suchte. Den Leichnam eines Mannes. Dem Rest, was von seiner verbrannten Kutte noch übrig war nach zu schließen, einer der Mönche. Aber nicht nur seine Kutte war verbrannt, sein Körper war es auch zu großen Teilen. Er musste unendliche Qualen erlitten haben, bevor ihn ein gnädiger Tod endlich zu sich genommen hatte. Von ihm würde er nichts mehr erfahren, dachte Ron, doch dann sah er, dass er sich geirrt hatte. Der flackernde Schein des Feuers gab das Geheimnis des Mönchs nur zögerlich frei. Ron rieb sich die Augen. Wieder und wieder. Langsam fuhr er mit der Fackel an der Wand entlang. Der sterbende Mönch hatte dort etwas hinterlassen. Er musste seine letzte Kraft aufgewendet haben, um diese Worte an die Felsen zu schreiben, Worte, die Ron Schwert kannte. Sie stammten fast alle aus der Ersten Schriftrolle, aus dem Text über die Vertreibung der Götter. Fast alle, bis auf die letzten. Die letzten stammten offensichtlich von dem Mönch selbst – und sie waren es, die Ron Angst machten.

An der Wand stand, in der krakeligen, von Schmerzen verunstalteten Schrift des Mönchs:

DHER GHOTT DHES VEUERS SPIEH VLAMMEN AUHS SEIHNEN HÄNDEN UNDT STHEIN SCHMOHLZ, ALS WÄHRE EHS BUTTHER IN DHER SONNE – es ist wahr, ich habe es gesehen!

DIE REICHE VON ITHOR

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