Читать книгу ZU ZWEIT DURCH DIE ZEIT - Martin Cordemann & Lucien Deprijck - Страница 4

2

Оглавление

„Jetzt sitzen wir ganz schön in der Tinte“, sagte Feder.

Beide hatten sich in Teers Arbeitszimmer auf der Schreibtischplatte niedergelassen.

„Scheiße! Du und deine altmodischen Tintenfässer! Das Ding ist ausgelaufen!“

Er betrachtete seine pechschwarzen Handflächen. „Und außerdem sind wir, wie gesagt, in ernsten Schwierigkeiten.“

„Warum eigentlich?“ fragte Teer. „Wir leben doch. Wenn diese blöde Zeitreise-Formel gar nicht entsteht, dann leben wir doch einfach weiter.“

„Eben nicht! Wenn wir die Möglichkeit der Zeitreise nicht finden, dann reisen wir morgen auch nicht. Dann sind wir also gar nicht hier. Ich meine: werden nicht hier sein … werden nicht hier gewesen sein. Du verstehst schon.“

„Aber wir sind doch hier. Diese Tatsache beweist doch, daß wir es irgendwie schaffen.“

„Ja, stimmt. Wir sind hier. Und das gleich zweimal. Wenn wir jetzt hier weiterleben, dann wird die Welt von morgen, aus der wir gestartet sind, gar nicht existieren. Dann ändern sich die Dinge.“

„Du meinst, eine Parallelwelt ist entstanden?“

„Vielmehr eine Alternativwelt“, sagte Feder gewichtig. „Was wir in den vergangenen 20 Stunden erlebt haben, existiert gar nicht. Hat nie existiert. Wird nie existieren. Das Frühstück, morgen früh … wird niemals stattfinden.“

Das schien ihn arg zu betrüben.

Teer ging hinaus, ins Bad, um sich die Hände zu waschen. Feder folgte ihm.

„Aber wir haben das Frühstück doch im Magen. Und verdauen es gerade.“

„Trotzdem wird es so nie stattfinden. So Gott will, werde ich zwar morgen früh frühstücken. Ich werde auch vermutlich wieder Rührei in die Pfanne hauen. Aber werde ich auch dieselben Eier aus der Schachtel nehmen? Unwahrscheinlich. Ich greife da immer wahllos hinein. Es wird also ein anderes Frühstück sein.“

„Noch schlimmer“, sagte Teer, der im stillen darüber nachdachte, wie Feder es fertigbrachte, trotz seiner ständigen Freßgelüste nicht dick zu sein wie eine Tonne. „Dein Abziehbild wird dir morgen früh die Eier vor der Nase wegschnappen. Nicht du wirst die Eier verputzen, sondern er. Der übrigens in Kürze hier erscheinen wird.“

„Das gefällt mir nicht!“ sagte Feder.

„Daß er deine Rühreier bekommt?“

„Daß es uns zweimal gibt. Oder daß wir uns möglicherweise morgen in nichts auflösen. Entweder hören wir auf zu existieren, oder wir werden hier weiterleben, in Welt x1. Und dann gibt es uns zweimal. Und das kann kompliziert werden.“

Sie waren wieder im Arbeitszimmer angelangt, mit nur leidlich sauberen Händen. Die Tinte ging nicht ganz ab. Eine schöne Sauerei: Tinte an den Fingern, die verschmierte Tinte auf dem Schreibtisch, Teer 2 bewußtlos am Boden.

Teer 1 löste stöhnend seine Krawatte und schmiß das Ding wütend zu Boden. Schöner Schlamassel!

„Da fällt mir was ein“, sagte er dann. „Diese Formel: Weißt du sie noch?“

Feder überlegte. Wo bekam er jetzt etwas zu essen her?

„Warte mal …“ Teer schloß die Augen. Öffnete sie wieder, ging zur Tafel und schrieb eine Gleichung aus Buchstaben und Zahlen. „Ich glaube, so war das doch.“

Feder trat hinzu und musterte das Geschriebene mit kritischem Blick.

„Das war anders“, sagte er und wischte einen Teil wieder aus. „So. So war das.“

„Ja“, murmelte Teer, „könnte sein. Aber diese Potenz ist falsch. So!“

Er hatte eine Zahl ausgewischt und eine andere hingeschrieben.

Sie standen beide vor der Tafel, in einträchtiger Stille.

„Könnte hinkommen“, sagte Feder.

„Wir können ja nochmal in Ruhe …“, setzte Teer an. Aber in diesem Moment hörten sie Teer aufstöhnen – den Teer, der am Boden lag. Er kam zu sich.

„Verdammt!“ sagte Feder. „Du … ich meine: er wacht auf.“

Gleichzeitig hörten sie die altmodische Glocke der Haustür.

„Das bist du!“ sagte Teer.

„Ich? Ich bin doch hier!“

„Der andere Feder. Feder 2. Er ist eingetroffen. Der Butler wird ihn hereinlassen – er kann jeden Augenblick hier eintreten. Jetzt schnell!“

In der Eile blieb ihnen keine andere Möglichkeit, als hinter dem Schreibtisch abzutauchen.

Teer war zu sich gekommen. Er blickte auf. Er hatte gerade einen Weg gefunden, wie alle Menschen friedlich miteinander leben konnten, jeder genügend zu essen hatte und es allen gut ging. Dann war er aufgewacht. Mist! Und war er nicht auch kurz davor gewesen, das Problem der Zeitreise zu lösen? Doch dann … war er wohl eingeschlafen.

Feder kam ins Zimmer, wie üblich ohne anzuklopfen.

„Wie sieht’s denn hier aus?“ sagte er. „Alles mit Tinte verschmiert!“

Teer 2 an der Tafel drehte sich erschrocken um, verstrickte sich in die von Teer 1 hingepfefferte Krawatte, die sich am Kaminrost verfangen hatte, und knallte mit dem Kopf so brachial gegen eine gußeiserne Löwenfigur am Kamin, daß er sofort tot war. Es kam so plötzlich und so entsetzlich, daß Teer und Feder 1 reflexiv hinter dem Schreibtisch in die Höhe fuhren. Feder 2, bleich, starrte entgeistert auf seinen toten Kollegen, dann, noch bleicher, auf Teer und Feder 1, griff sich ans Herz, röchelte und fiel um.

Dann war es totenstill. Im Sinne des Wortes.

„Na toll!“ sagte Feder. „Das haben wir ja sauber hingekriegt!“

Teer ging hinüber, bückte sich, wagte aber nicht, die am Boden Liegenden anzufassen. Sich selbst den Puls fühlen? Und dann keinen finden? Er erschauerte.

„Genickbruch“, konstatierte er. „Und Herzinfarkt. Das hast du jetzt von deinen andauernden Bagels und Donuts und diesem ganzen fetten Zeug!“

Feder beschloß, von nun an allen Arten fettigen Gebäcks abzuschwören.

„Und jetzt?“

Feder nahm sich einen Hocker und setzte sich. Der Anblick seiner Leiche war ihm doch in die Glieder gefahren.

„Eigentlich ist doch alles in Ordnung“, sagte er.

„Na, wenn du meinst …“

„Überleg doch mal! Wir müssen jetzt nur noch ihre Plätze einnehmen. Die Leichen müssen wir natürlich verschwinden lassen. Aber dann ist doch alles bestens: Ich baue die Zeitmaschine nach der Formel …“

„… wenn die stimmt!“

„… und dann unternehmen wir schon morgen unsere erste Expedition.“

Teer kratzte sich verwirrt das Kinn. „Die Zeitmaschine hätte eigentlich er bauen sollen.“ Er zeigte auf den mausetoten Feder 2. „Und er hat sie doch auch gebaut. Oder nicht?“

„Ja, das hat er. Vielmehr: ich. Sonst hätten wir ja nicht mit der Maschine verreisen können.“

„Aber jetzt ist er tot und kann sie überhaupt nicht mehr bauen.“

„Dafür baue ich sie ja. Bzw. habe ich sie schon gebaut. Muß sie aber jetzt nochmal bauen. Und da ich’s schon mal gemacht habe, wird’s mir umso leichter fallen.“

Teer hatte einen stieren Blick. Ihm war das alles zu hoch. Feder auch. Aber er tat wenigstens so, als ob er das alles durchblickte.

„Wie kannst du sie gebaut haben und doch noch nicht gebaut haben?“

„Das sind die Tücken der Zeitreise“, sagte Feder. Er blickte auf die Standuhr neben der Tür. 17 Uhr fünf. „Am besten, man denkt nicht drüber nach. Sonst wird man verrückt. Und jetzt laß uns erst einmal beten, daß die Formel stimmt!“

„Und wenn nicht?“

In diesem Moment materialisierte sich ein Bagel mit rosa Überzug direkt vor ihnen auf dem Tisch. Teer und Feder blickten sich an, dann wieder den Bagel.

„Da siehst du’s“, sagte Feder. „Die Antwort auf unsere Frage. Die Formel stimmt. Ganz offenbar habe ich die Zeitmaschine ein zweites Mal gebaut und damit diesen Bagel in die Vergangenheit geschickt – und zwar exakt so, daß wir ihn sehen müssen. Er ist sozusagen eine Botschaft. Der Beweis. Jetzt kann ich ruhig an die Arbeit gehen!“

Er wollte den Bagel ergreifen, aber da verschwand dieser ebenso plötzlich, wie er aufgetaucht war. Feder fluchte. „Offenbar werde ich die glorreiche Idee haben, ihn gleich wieder zurückzuholen!“

Feder machte sich unverzüglich ans Werk. Er baute die Zeitmaschine, schickte damit den Bagel um die entsprechende Anzahl von Stunden in die Vergangenheit – holte ihn aber schnell zurück, bevor sein Ich des vorigen Tages ihm das Ding wegschnappen konnte. Er holte ihn zurück und verspeiste ihn. Dabei lachte er sich kaputt, als er an sein eigenes enttäuschtes Gesicht von gestern dachte. Seinen Schwur, sich fortan gesund zu ernähren, hatte er ganz offenbar schon wieder vergessen.

„Schön, schön“, sagte Teer. „Aber: Sind wir jetzt eigentlich noch wir?“

„Wie belieben?“

„Wir haben uns selbst in die Vergangenheit geschickt, aber das, was wir gestern waren, ist unter tragischen Umständen zu Tode gekommen. Sind wir noch wir selbst? Oder nur eine Art Klon? Was sind wir?“

Feder gähnte. „Müde“, sagte er. „Und hungrig. Aber das Schwerste haben wir noch vor uns!“

Es war mitten in der Nacht, als Teer und Feder die in Plastiksäcke verpackten Leichen ihrer Pendants an einer unbeleuchteten Stelle des alten Hafens bemüht waren, in den Fluß zu wuchten.

„Gleich ist alles überstanden“, ächzte Feder. „Jetzt nur noch ins Wasser mit den beiden. Und dann schlafen. Und dann in Ruhe nachdenken, welches erste Ziel wir mit der Zeitmaschine ansteuern!“

Sie waren gerade dabei, Teer 2 an die Kante des Piers zu rollen, als plötzlich das Licht einer Taschenlampe aufflammte und ihnen grell ins Gesicht schien.

„Das nächste Ziel ist, glaube ich, das Kittchen!“ sagte ein als Wachmann erkennbarer stämmiger Bursche. „Dann laßt doch mal sehen, was ihr da so hübsch verpackt habt!“

ZU ZWEIT DURCH DIE ZEIT

Подняться наверх