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III. Kriegsplanungen. Die Bildung des Kommandostabes Reichsführer-SS im Kontext der Vorbereitungen für den Feldzug gegen die Sowjetunion

1. Vorbereitungen auf den „Weltanschauungskrieg“

Im Sommer 1940 entschloß sich Hitler zum Krieg gegen die Sowjetunion.1 Während Massenverbrechen beim Feldzug Deutschlands gegen Frankreich sowie bei der Besetzung der Niederlande, Belgiens und Luxemburgs nur in geringem Umfang stattgefunden hatten, wurde der Krieg gegen die Sowjetunion in einer Weise geplant, die die Realisierung von Massenmord zu einem wichtigen Bestandteil des gesamten Kriegskonzepts erhob.2 Die Operationspläne der Wehrmacht sahen vor, den gesamten Feldzug als „Blitzkrieg“ zu führen. Dabei sollte das Heer mit motorisierten Verbänden in mehreren Stoßkeilen schnell über die deutschsowjetische Demarkationslinie nach Osten vordringen, das Gros der Roten Armee noch in den grenznahen Gebieten in gigantischen Kesselschlachten vernichtend schlagen und dadurch das gesamte „bolschewistische System“ innerhalb weniger Wochen zum Einsturz bringen.3 Die vorgesehene kurze Kriegsdauer war ein entscheidender Bestandteil der strategischen Planungen. Hitler war sich des Sieges immerhin so sicher, daß er bereits Ende 1940 anordnete, den Schwerpunkt der Rüstung noch vor dem Angriff auf die Sowjetunion auf die vermehrte Produktion von Flugzeugen und Schiffen für die anschließend projektierte Unterwerfung Englands und den erwarteten Krieg gegen die Vereinigten Staaten umzustellen.4

Untrennbar mit den militärischen Planungen verbunden waren die Vorbereitungen, die dem Krieg die ideologische Prägung einer „Auseinandersetzung zweier Weltanschauungen“ geben sollten. Schon in der Anfangsphase der Planungen entstanden Richtlinien, die auf die Anwendung brutalster Methoden gegenüber den Soldaten der Roten Armee, den sowjetischen Juden und der gesamten Zivilbevölkerung schließen ließen.5 Wie im Krieg gegen Polen hatte Himmler mit dem ihm unterstehenden SS- und Polizeiapparat eine Schlüsselrolle bei der Ideologisierung der Kriegsplanungen inne.6 Erste Gespräche zwischen Wehrmacht und SS fanden bereits Anfang 1941 statt. Ziel des Dialogs war es auch, die Differenzen zwischen Heeresführung und SS, wie sie punktuell 1939 im Krieg gegen Polen noch aufgetreten waren, von vornherein zu vermeiden.7 Hitler selbst formulierte Anfang März 1941 verbindliche Grundsätze, die in den vom Oberkommando der Wehrmacht am 13. März erarbeiteten „Richtlinien auf Sondergebieten zur Weisung Nr. 21“ ihren Niederschlag fanden. Für die SS waren darin umfangreiche Kompetenzen vorgesehen, einschränkend wurde lediglich festgehalten, daß die militärischen Operationen „nicht gestört“ werden sollten und nähere Vereinbarungen zwischen Wehrmacht und SS noch getroffen werden müßten.8 Als Ergebnis der Absprachen wurde eine schriftlich festgehaltene Vereinbarung zwischen Wehrmacht und SS geschlossen. Der „Regelung des Einsatzes der Sicherheitspolizei und des SD im Verbande des Heeres“ vom 28. April 1941 kam deshalb eine so große Bedeutung zu, weil damit faktisch die Grundlage für den Massenmord der Einsatzgruppen geschaffen worden war.9

Zeitgleich entstanden auf höchster Ebene eine ganze Reihe ‚verbrecherischer Befehle‘, die noch vor Angriffsbeginn den Charakter des Krieges klar erkennen ließen. Mit dem „Kriegsgerichtsbarkeitserlaß“ setzte Hitler am 13. Mai 1941 völkerrechtlich verbindliche Konventionen bezüglich der Behandlung der Zivilbevölkerung außer Kraft und ordnete Vergeltungsmaßnahmen ausdrücklich an. Kriegsverbrechen wurden dadurch sanktioniert, daß der Verfolgungszwang für Straftaten, die Wehrmachtssoldaten gegenüber der Zivilbevölkerung begingen, im voraus aufgehoben wurde.10 In den am 19. Mai 1941 ausgearbeiteten „Richtlinien über das Verhalten der Truppe in Rußland“ wurde ein Klima allgegenwärtiger Bedrohung halluziniert, mit dem die deutschen Truppen in der Sowjetunion konfrontiert seien. Unter anderem ordneten die Richtlinien „rücksichtsloses und energisches Durchgreifen gegen bolschewistische Hetzer, Freischärler, Saboteure, Juden und restlose Beseitigung jedes aktiven oder passiven Widerstandes“ an.11 Schließlich waren es noch die auf Wunsch Hitlers seitens des Oberkommandos der Wehrmacht ausgearbeiteten und am 6. Juni fertiggestellten „Richtlinien zur Behandlung politischer Kommissare“ der Roten Armee, die ein zusätzliches Feindbild schufen und die zukünftige Kriegsführung mitbestimmten.12 Widerstandslos hatte die Wehrmachtsführung mit der Herausgabe eines Teils der ‚verbrecherischen Befehle‘ den Direktiven Hitlers und den Forderungen der SS entsprochen. Damit hatte der „Krieg der Weltanschauungen“ bereits im Vorfeld äußerst brutale und von der nationalsozialistischen Ideologie geprägte Züge angenommen.

Die Vorbereitungen der SS gingen weit über Konzepte für die Verwendung der Einsatzgruppen und über allgemeine Rahmenbedingungen für die anstehende Kriegsführung hinaus. Wie bereits im Reich und im besetzten Polen sollten auch in der Sowjetunion Höhere SS- und Polizeiführer als direkte Stellvertreter Himmlers fungieren.13 In den eingegliederten Gebieten der Gaue Danzig-Westpreußen und Wartheland sowie im Generalgouvernement hatten sie seit 1939 entscheidenden Anteil an der Durchsetzung der verbrecherischen deutschen Besatzungspolitik gehabt. Nicht zuletzt dadurch war die große Bedeutung dieser Befehlsebene im nationalsozialistischen Machtapparat offenkundig geworden. Nun zeichnete sich ab, daß die SS-Führer in der Sowjetunion eine ähnliche Bedeutung innehaben würden.

Konkrete Planungen zur Einsetzung von insgesamt vier Höheren SS- und Polizeiführern für die zu besetzenden Gebiete existierten spätestens seit Anfang April 1941. Mit SS-Gruppenführer Hans-Adolf Prützmann empfing Himmler am 9. April den späteren Amtsinhaber im Baltikum und in Nordrußland.14 Am gleichen Tag wurde der in gleicher Funktion für den Kaukasus-Raum vorgesehene Gerret Korsemann zur Weiterbildung für die in Aussicht gestellte Position zum SD-Hauptamt befohlen.15 Tags darauf erschien Erich von dem Bach-Zelewski bei Himmler und wird bei dieser Gelegenheit über die bevorstehenden Aufgaben auf dem ihm zugedachten Posten als Höherer SS- und Polizeiführer in Moskau in Kenntnis gesetzt worden sein.16 Schließlich war für den entsprechenden Posten in der Ukraine Friedrich Jeckeln vorgesehen, der dazu am 23. April 1941 an einen Vertrauten schrieb: „Ich selbst werde, wie ich unter der Hand erfahren habe, im Rahmen der grossen Ereignisse, die zu erwarten sind, und die Du ja als im Osten tätiger SS-Führer sicher ebenfalls kennst, eingesetzt werden. Ich freue mich sehr, […] eine Aufgabe zu kriegen, in der kämpferische und große Probleme zu lösen sind.“17

Die Wehrmacht akzeptierte die Präsenz der Höheren SS- und Polizeiführer in ihrem Operationsgebiet spätestens während einer Besprechung mit der SS-Führung am 16. April 1941 in Graz. Himmler setzte sich bei dieser Gelegenheit gegenüber Generalquartiermeister Wagner außerdem mit der Forderung durch, seinen Statthaltern umfangreiche Truppen beizuordnen.18 Dem Grazer Treffen folgte ein Entwurf über die Aufgaben der Höheren SS- und Polizeiführer in der Sowjetunion, der fünf Tage später von der SS ausformuliert vorlag und nach genau einen Monat fast wortgleich übernommen wurde.19 Mit dem am 21. Mai 1941 in Kraft getretenen Erlaß setzte Himmler im „Einvernehmen mit dem Oberbefehlshaber des Heeres“ für die zu besetzenden Gebiete der Sowjetunion die Höheren SS- und Polizeiführer ein. Sie sollten während des Vormarsches den jeweiligen Befehlshabern der rückwärtigen Heeresgebiete beigeordnet sein. Dieser Bereich war innerhalb des militärischen Operationsgebiets hinter der eigentlichen Front sowie den rückwärtigen Armeegebieten und unmittelbar vor den Zivilverwaltungsgebieten vorgesehen.20 Die Wehrmachtsbefehlshaber waren gegenüber den SS-Führern lediglich zur „Vermeidung von Störungen der Operationen und Aufgaben des Heeres“ weisungsberechtigt; im übrigen hatten Himmlers Repräsentanten nur die von ihm „unmittelbar gegebenen Aufgaben“ auszuführen. Zusätzlich zu den Kommandos des Reichssicherheitshauptamtes sollten ihnen dazu Truppen der Ordnungspolizei und der Waffen-SS zur Verfügung gestellt werden. Über die Verwendung dieser Verbände war festgehalten worden, daß sie mit Einverständnis der Höheren SS- und Polizeiführer von der Wehrmacht bei Bedarf auch zu militärischen Aufgaben herangezogen werden könnten. Davon abgesehen sollten die Einheiten die grundsätzlichen Weisungen direkt von Himmler erhalten.21

In den drei im Operationsgebiet jeder einzelnen Heeresgruppe geplanten rückwärtigen Gebieten zeichnete sich damit eine zweifache Aufgabenstellung ab. Auf den Rollbahnen und Eisenbahnstrecken würde vorrangig durch Wehrmachtsverbände der ungehinderte Nachschub für die Front sichergestellt werden, gleichzeitig sollte die SS vor Ort mit der sogenannten politischen Befriedung, also der Bekämpfung der vermeintlichen Gegner des Nationalsozialismus, beschäftigt sein. Von der Wehrmacht waren für jedes der rückwärtigen Heeresgebiete jeweils nur drei Sicherungsdivisionen vorgesehen. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben hatten die Verbände von Anfang an ein brutales Verhalten an den Tag zu legen. In einer Anordnung war dazu festgelegt worden: „Aktiver oder passiver Widerstand der Zivilbevölkerung ist mit scharfen Strafmaßnahmen im Keime zu ersticken. Selbstbewußtes und rücksichtsloses Auftreten gegenüber den deutschfeindlichen Elementen wird ein wirksames Vorbeugungsmittel sein.“22 Über die Sicherung der Nachschubwege hinaus zeigte die Wehrmacht kein Interesse an einer wirklich flächendeckenden militärischen Besetzung der rückwärtigen Gebiete. Dazu wären auch weit mehr Truppen erforderlich gewesen, die die Wehrmacht wegen der damit einhergehenden Schwächung ihrer Frontverbände nicht bereitstellen wollte. Entsprechend erklärte der Vertreter des Generalquartiermeisters Mitte Mai 1941 bei einer Einweisung der vorgesehenen Sicherungsdivisionen, die Wehrmachtsverbände würden lediglich „perlschnurartig“ entlang der wichtigsten Verkehrswege eingesetzt werden. Abseits dieser Routen sollten vorrangig SS-Einheiten zum Einsatz kommen.23

Durch den Verzicht des Oberkommandos des Heeres auf eine stärkere Truppenpräsenz in den rückwärtigen Gebieten waren die dortigen Wehrmachtsbefehlshaber auf ein gutes Verhältnis mit den Höheren SS- und Polizeiführern angewiesen, da die SS mit ihren eigenen Verbänden abseits der Nachschubwege ja durchaus Aufgaben von militärischem Interesse übernehmen würde. Damit war ein Abhängigkeitsverhältnis geschaffen, das der SS in diesem Bereich eine machtvolle Ausgangssituation bescherte und absehbar zu einem folgenreichen Verschwimmen der Grenzen zwischen militärischen Sicherheitsbelangen und dem ideologisch motivierten Vernichtungsprogramm führen mußte. Zusätzliche Bedeutung bekamen die sich abzeichnenden Aktivitäten der SS im Operationsgebiet des Heeres noch durch den Umstand, daß sich Himmler mit seinen Wünschen nach weitreichenden Kompetenzen für die „politische Befriedung“ in den geplanten Zivilverwaltungsgebieten gegen seinen Konkurrenten Alfred Rosenberg vorerst nicht durchsetzen konnte. Dieser war von Hitler am 20. April 1941 zum „Beauftragten für die zentrale Planung der Fragen des osteuropäischen Raumes“ ernannt worden. Eine damit erforderlich gewordene enge Zusammenarbeit Himmlers mit dem verhaßten Rosenberg würde absehbar erheblichen Konfliktstoff bergen. Im Vergleich dazu mußten die Interventionsmöglichkeiten der SS in den rückwärtigen Heeresgebieten um so attraktiver erschienen sein.24

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