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1. Alter und Rekrutierung

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Bei einer Gesamtzahl von 1698 ehemaligen Angehörigen der 1. SS-Brigade war in den Aussageprotokollen das Alter vermerkt worden. Nach ihrem Geburtsjahr geordnet, wurden die Männer sechs verschiedenen Gruppen zugeordnet, die einen Eindruck von der altersmäßigen Verteilung bei Mannschaften und Unterführern der Brigade vermitteln.


Tabelle 1: Altersgruppen von Mannschaften und Unterführern der 1. SS-Brigade

Zur sogenannten Kriegsgeneration, also zu potentiellen Teilnehmern des Ersten Weltkriegs als dem prägenden generationellen Erfahrungshorizont, zählte nur ein Teil der Altersgruppe 1 der Geburtsjahre 1896 bis 1903. Das Fronterlebnis und die anschließende deutsche Niederlage bildete damit für eine Personengruppe von nicht einmal 2,8 Prozent der Mannschaftsangehörigen die einschneidende Lebenserfahrung in ihrem jungen Erwachsenenalter. Für die Geburtsjahrgänge der drei nachfolgenden Altersgruppen schuf die Weimarer Republik den Hintergrund für die eigene politische Sozialisation. Die Männer dieser umfangreichen Altersgruppen erlebten eine große Bandbreite unterschiedlicher Gesellschaftsbedingungen. Die älteren von ihnen wuchsen in den politisch und ökonomisch unsicheren ersten Jahren der Weimarer Demokratie heran. Für sie bildeten der als Schmach empfundene Versailler Frieden, die weitgehende Ablehnung der neuen politischen Ordnung, Kämpfe zwischen Kommunisten und Freikorps sowie die Weltwirtschaftskrise die politisch prägenden Erlebnisse. Die zur Altersgruppe drei gehörenden Geburtsjahrgänge um 1910 erlebten eher den wirtschaftlichen Aufschwung und die kurze Blütezeit der Republik als eigene Sozialisationserfahrung, während die um 1914 bis 1918 geborenen Männer zur Zeit der späten Krisenjahre mit hoher Arbeitslosigkeit und zunehmender politischer Destabilisierung heranwuchsen. Mit den Altersgruppen fünf und sechs bildete schließlich fast die Hälfte der späteren Soldaten der 1. SS-Brigade ihre politische Überzeugung erst in der nationalsozialistischen Gesellschaft ab 1933 aus. Für sie gehörten die NS-Erziehungsinstitutionen, die sich bessernde wirtschaftliche Lage, aber auch die beständige antisemitische Propaganda sowie die staatlichen Maßnahmen gegen Juden und andere „Volksfeinde“ zu den prägenden Erfahrungen.3

Bei der quantitativen Verteilung der Männer überrascht nach einem nachvollziehbar erscheinenden Anstieg der Zahlen innerhalb der drei ersten Altersgruppen der deutliche Rückgang in der Altersgruppe 4 der Jahrgänge 1914 bis 1918. Zweifellos wird der Geburtenrückgang während der Weltkriegsjahre einen Einfluß auf das Ergebnis dieser Altersgruppe gehabt haben.4 Daneben ist dieser Einbruch aber auch auf die Rekrutierungspraxis der SS zurückzuführen. Seit Kriegsbeginn wurden den verstärkten Totenkopfstandarten im Zuge des rasanten Wachstums der bewaffneten SS bevorzugt ältere Rekruten bis einschließlich des Jahrgangs 1912 zugewiesen. Die jüngeren Soldaten blieben dagegen vorerst den Fronttruppen der Waffen-SS, also der Verfügungstruppe, der Leibstandarte und der Totenkopf-Division, vorbehalten.5

1942 wiesen Unterführer und Mannschaften der Brigade ein Durchschnittsalter von 26,1 Jahren auf. Dagegen lag das Alter der Mannschaften der SS-Kavallerie zur Anfangszeit ihres Bestehens noch wesentlich höher. Beispielsweise hatten die Männer der 3. Schwadron der 1. SS-Totenkopf-Reiterstandarte im April 1940 einen Altersdurchschnitt von 29,4 Jahren.6 Deren höheres Alter ergab sich aus der bevorzugten Rekrutierung junger Reiter für die Kavalleriedivisionen des Heeres und dem daraus resultierenden Personalmangel der SS für den Aufbau eigener berittener Verbände. Wiederholt wurde im Rahmen der Berichterstattung der SS-Reitereinheiten kritisch festgestellt, daß das Gros der Mannschaften älter als 30 Jahre sei.7 Viele dieser SS-Männer hatten bei ihrer Rekrutierung offenbar auch nur mit einer begrenzten Dienstzeit gerechnet und wurden angesichts ihrer anhaltenden Verwendung im besetzten Polen zusehends unzufriedener, weil die erwartete Entlassung in die Heimat weiter auf sich warten ließ. Die 5. Schwadron des 2. Reiterregiments meldete im Herbst 1940, es sei „zunächst eine gewisse Stimmungskrise zu überwinden [gewesen], deren Tiefpunkt aber inzwischen bereits überschritten ist. Die Mehrzahl hat sich schon mit dem weiteren Dienen abgefunden, obwohl noch immer eine große Zahl mit einer möglichen Entlassung rechnet“.8

Erst im Lauf des Sommers 1940 wurde im Zuge einer allgemeinen Verjüngung der Waffen-SS damit begonnen, Reservisten mit einem Alter von mehr als 29 Jahren aus den Totenkopfstandarten zu entlassen. Um die Einsatzbereitschaft der diversen Einheiten nicht zu gefährden, wurde möglichst darauf geachtet, zur Auffüllung der Verbände ausreichend jüngere SS-Soldaten zur Verfügung zu haben. Aus diesem Grund wurden im Sommer 1940 die 12., 13. und 16. Totenkopfstandarte aufgelöst und die jüngeren Mannschaften beider Verbände auf die 4., 6., 7., 8., 10. und 11. Standarte verteilt.9 Wegen der Entlassung älterer Jahrgänge entstand allein beim 1. SS-Totenkopf-Reiterregiment ein personeller Ausfall von 2043 Mann, der erst einmal ausgeglichen werden mußte.10 Frühestens im Verlauf des Jahres 1941 konnten die Verbände dann eine Altersstruktur vorweisen, die sich mit derjenigen der SS-Divisionen vergleichen lassen konnte. Entsprechend lag das Durchschnittsalter von Unterführern und Mannschaften der 1. Schwadron des SS-Kavallerieregiments 2 im April 1941 bei nur mehr 24,3 Jahren.11 Die 5. Schwadron des gleichen Regiments wies im gleichen Monat einen Durchschnitt von 22,9 Jahren auf.12

Im Sommer 1942 veränderte sich die personelle Zusammensetzung der SS-Kavallerie nochmals deutlich. Während die 1. SS-Brigade weiterhin im Einsatz in der Sowjetunion stand, wurde die Kavalleriebrigade im Generalgouvernement zur Division erweitert und personell stark aufgefrischt. Ein Teil der erfahreneren Mannschaften des bisherigen Brigadeverbandes wurde als Stamm zu dem in Aufstellung befindlichen 3. Reiterregiment versetzt. Sämtliche Einheiten bekamen gleichzeitig junge, meist ungarische Volksdeutsche zugeteilt.13 Das Durchschnittsalter der SS-Reiter blieb dementsprechend niedrig. Während Männer und Unterführer der 5. Schwadron des 2. Regiments im Juli 1942 einen Durchschnitt von 23,1 Jahren aufwiesen, lag das Alter von Unterführern und Mannschaften der 1. SS-Brigade zur gleichen Zeit faktisch unverändert wie zwei Jahre zuvor bei durchschnittlich 26,1 Jahren.14

Da für die Ermittlungsbehörden die Frage des Zeitraums der Zugehörigkeit zur Waffen-SS im Hinblick auf die einzelnen Tatvorwürfe von großem Interesse war, wurden Zeugen und Beschuldigten diesbezüglich meist konkrete Fragen gestellt. Von 1641 vernommenen Personen liegen deshalb recht genaue Antworten vor. Eine Auswertung der Angaben erlaubt einen Überblick über die Schwerpunkte der Rekrutierung des Personals der SS-Brigade.


Tabelle 2: Zeitraum des Eintritts von Männern der 1. SS-Brigade in die Waffen-SS

Der geringe Anteil von Männern, die sich bereits vor September 1939 zur Verfügungstruppe oder den ersten Totenkopfverbänden gemeldet hatten, wurde im Verlauf der folgenden Jahre zum 8. oder 10. SS-Regiment oder zum späteren Brigadestab versetzt. Dort führten die Männer in den meisten Fällen als Unteroffiziere einzelne Gruppen beziehungsweise Züge oder sie bekleideten verschiedenste Stabs- oder Verwaltungsfunktionen. Die erste, aufgrund der Notdienstverordnung von 1938 vorgenommene Rekrutierungswelle für die spätere Brigade begann nach dem deutschen Angriff auf Polen im September 1939. Sie schlug sich in der Verbandsstruktur der 8. und 10. SS-Totenkopfstandarte deutlich nieder. Von den im Zeitraum zwischen September 1939 und Juni 1941 dort eingegliederten 1091 Männern kamen immerhin 37,7 Prozent bereits im Zuge dieser Rekrutierungen zwischen Herbst 1939 und Frühsommer 1940 zu den gerade aufgestellten Standarten. Ein geringerer Anteil von 28,8 Prozent wurde den Teileinheiten nach der Entscheidung zur strategischen Wendung gegen die Sowjetunion bis zum Sommer 1941 zugeteilt. Fast die Hälfte der Rekruten wurden in dieser Phase im unmittelbaren Vorfeld des Feldzugs im Mai und Juni 1941 zur Brigade versetzt. Die nächste umfassende Rekrutierung organisierte das Ergänzungsamt der Waffen-SS im Frühjahr 1942. Allein 75 Prozent der Soldaten, die in diesem Jahr zur 1. SS-Brigade kamen, wurden dem Verband in den drei Monaten zwischen Anfang März und Ende Mai 1942 zugewiesen. Zuvor waren ab März insgesamt 6000 volksdeutsche Freiwillige aus Ungarn und Jugoslawien auf dem Truppenübungsplatz Debica im Generalgouvernement eingetroffen. Von den Rekruten versetzte das SS-Führungshauptamt mit insgesamt 2300 Männern mehr als ein Drittel im Anschluß an eine erste kurze Grundausbildung zur 1. SS-Brigade nach Weißrußland, wo der Verband in einem eigens dafür errichteten sogenannten Feldrekrutendepot die weitere Ausbildung der Männer übernahm.15

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