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4. Kapitel (1951-1960)

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1951 schrieb ich meine Diplom-Arbeit und bestand erfolgreich meine Diplom-Prüfungen mit der Gesamtnote „Sehr gut“. Sofort schrieb ich einen Brief an meine Eltern, um ihnen die freudige Nachricht mitzuteilen. Jetzt hatten sie einen richtigen Akademiker als Sohn, auf den sie stolz sein konnten. Endlich hatte ich es geschafft, obwohl ich nur aus kleinen Verhältnissen kam und der unsägliche Krieg anfänglich mein Studium verhindert hatte. Der größte Wunsch meiner Mutter war jahrelang, dass ich mal ein studierter Mann werde. Um dem ganzen noch eine Krone aufzusetzen, plante ich später mal eine Doktorarbeit zu schreiben. So ein Doktor-Titel würde die Leute noch mehr beeindrucken, da war ich mir ziemlich sicher.

Meine Professoren hielten ihr Wort und schickten mich mit den besten Empfehlungen zu einem Vorstellungsgespräch bei der AEG AG. In der Münchner Personalabteilung, bot man mir wegen meiner sehr guten Noten sofort eine fürstlich bezahlte Stelle an. Die AEG-Leute gestatteten mir sogar, während der Arbeitszeit meine Doktorarbeit anfertigen zu dürfen. Damals mussten die Firmen noch um junge Ingenieure und Physiker kämpfen, später war diese Vorgehensweise nicht mehr üblich. Allerdings gab es auch einen Haken bei dem Job, weil der Arbeitsplatz leider in West-Berlin im Weddinger AEG-Werk Brunnenstraße war. Wenn ich mich für den Job entscheiden würde, müsste ich von München nach Berlin umziehen.

Elisabeth und ich feierten in München mit Freunden meinen glanzvollen Uni-Abschluss. Sie freute sich über meinen Erfolg, aber war, als sie von meinem Jobangebot hörte, etwas betrübt, weil sie ihr geliebtes München verlassen müsste, wenn ich das Angebot annehmen würde. Außerdem würde sie ihren Job in der Textilfirma verlieren. „Lass uns nach Berlin gehen“, sagte sie überraschenderweise während der Feier. „Ist das dein Ernst?“ fragte ich. „Ja, ich will mit dir ein Kind haben, damit wir dann eine richtige Familie sind“, sagte sie. „Gut, dann werde ich den Job in Berlin annehmen“, antwortete ich. Wir teilten unseren Freunden die Neuigkeit mit und feierten weiter bis in die Morgenstunden. An diesem Abend war ich ziemlich betrunken, dagegen trank Elisabeth wie immer äußerst wenig, weil sie wegen des Alkohols schnell Kopfschmerzen bekam.

Nachdem Elisabeth ihren Job gekündigt hatte, zogen wir Anfang 1952 von München nach Berlin. Der Kunstprofessor und seine Familie waren sichtbar traurig, weil wir bei ihnen auszogen. Der Abschied war wie unter guten Freunden richtig herzlich. Wir versprachen sie zu besuchen, wenn wir mal wieder in München sein sollten. Unser Umzugswagen nach Berlin war sehr bescheiden, da wir nur wenig Möbel und Sachen hatten. Beim Transport fuhren wir im Laster mit, um die Bahnkosten zu sparen. Zuvor hatten wir bei einem Berlin-Besuch in der Boelckestraße im Bezirk Tempelhof eine kleine Wohnung angemietet, die sich in einem großen, funktionellen Miethauskomplex aus den 30-ziger Jahren befand. Die kleinen Zimmer hatten winzige Fenster. Erstaunlicherweise gab es eine moderne Zentralheizung und einen Balkon. Mit dem Umzugslaster passierten wir bei Hof den innerdeutschen Grenzübergang Hirschberg und wurden von den Grenzsoldaten der DDR gründlich kontrolliert. Anschließend fuhren wir auf einer völlig kaputten Autobahn weiter durch die sowjetische Besatzungszone. Der Laster drohte auseinander zu fallen und fuhr deswegen häufig nur noch maximal 10 Stundenkilometer. Schließlich erreichten wir den Grenzübergang Dreilinden und wurden von DDR-Grenzern erneut kontrolliert. Nach einer ewig langen Reise waren wir endlich in West-Berlin angekommen und fuhren über Zehlendorf bis nach Tempelhof zu unserer neuen Wohnung.

Mehrere Tage waren wir mit dem Einrichten der neuen Wohnung beschäftigt. Da wir nicht genug Möbel hatten, kauften wir noch einige Sachen dazu. An meinem ersten Arbeitstag fuhr ich im Anzug inklusive Krawatte mit der U-Bahn das erste Mal in die Brunnenstraße zur AEG. Ich wurde freundlich von den AEG-Leuten empfangen. Ein zukünftiger Vorgesetzter führte mich durch alle Bürogebäude und Fabrikhallen. Die Turbinenhalle mit ihren gigantischen Dimensionen hatte mich damals sehr beeindruckt. Nach dem Rundgang brachte er mich zu einem mir zugeteilten, modern eingerichteten Büro mit Telefon. Zuerst stellte ich meine Aktentasche auf den Schreibtisch und baute akribisch meine Büroutensilien auf, wie ich es bei der Kriegsmarine gelernt hatte. Meine Fachbücher stellte ich in ein Regal, damit jeder von meinem Wissen beeindruckt war. Im Laufe des Tages stellten sich mehrere, neue Kollegen bei mir vor, mit denen ich angeregte Fachgespräche führte. Natürlich gab ich dabei mein Bestes. Meines Erachtens kochten hier die Ingenieure und Physiker auch nur mit Wasser. Allerdings war es mir extrem wichtig, dass ich bei meinen Gesprächspartnern einen sehr guten Eindruck hinterlassen hatte. Bei der Arbeit war ich kein Mensch, der sich scheu in die Ecke setzte, sondern der sich temperamentvoll jedem Konflikt stellte. Wegen meiner lautstarken Auseinandersetzungen war ich später bei der AEG sehr berüchtigt.

Als ich mein Tagessoll an Stunden erreicht hatte, fuhr ich zurück nach Tempelhof und erzählte Elisabeth ausführlich von meinen Erlebnissen. „Mein erster Arbeitstag war ausgesprochen interessant. Ich habe bestimmt einen guten Eindruck bei den Kollegen hinterlassen“, sagte ich beim Abendessen. „Schön, dass es dir gefallen hat“, antwortete sie. Elisabeth war betrübt, dass sie nun keine Arbeit mehr hatte. Außerdem vermisste sie ihre ehemaligen Kollegen. Sie war gezwungen sich in die neue Situation einzufügen, denn ich verdiente bei der AEG für damalige Verhältnisse sehr viel Geld. „Wenn du ein Kind hättest, würdest du auf andere Gedanken kommen“, sagte ich. „Da hast du Recht! Außerdem haben wir jetzt genügend Geld, um ein Kind finanzieren zu können“, antwortete sie.

1953 begann ich bei der AEG meine Doktorarbeit zu schreiben. Wie versprochen waren meine Vorgesetzten damit einverstanden, dass ich während der Arbeitszeit daran arbeitete. In Absprache mit meinem Doktorvater an der physikalischen Fakultät in München wählte ich das Thema Hochspannungsgleichrichter. Bald konnte ich meiner Mutter mitteilen, dass sie nun einen Sohn mit Doktortitel hat. Ich entwickelte die Pläne für einen 5000 Volt-Quecksilberdampfgleichrichter, der damals revolutionär war. Gleichzeitig schrieb ich über das gleiche Thema meine für Fachleute sicherlich spannende Doktorarbeit. Zusammen mit AEG-Ingenieuren baute ich nach meinen Plänen den ersten Prototyp, der wegen seiner Größe fast eine Turnhalle gefüllt hätte. Als der Gleichrichter das erste Mal in Betrieb gesetzt wurde, funktionierte alles nach meinen Vorstellungen. Später bekam ich sogar ein Patent auf meine Erfindung, die mir zusätzlich eine Menge Geld einbrachte.

1954 wurde unser Sohn Wolf geboren, sowohl Elisabeth als auch der Säugling waren wohlauf. Den Namen hatte ich mir einfallen lassen, denn „Wolf“ war im zweiten Weltkrieg eine Schnellbootklasse bei der deutschen Kriegsmarine. Jetzt hatte Elisabeth eine ausfüllende Beschäftigung. Ich war stolz einen Jungen zu haben, denn die waren mir wesentlich lieber als Mädchen. Elisabeth war eine gute Mutter, die sich intensiv um den Nachwuchs kümmerte. Allerdings war sie dem Kind gegenüber etwas gefühlskalt, was sich beim normalen Körperkontakt zwischen Mutter und Kind zeigte. Jedenfalls betrachtete ich die neu entstandenen Verpflichtungen vollkommen als ihre Angelegenheit.

Als in unserm Kiez eine moderne Wohnanlage bezugsfertig war, beschlossen wir dort hinzuziehen. Wir bekamen im Wolffring eine 2,5 Zimmer-Wohnung im dritten Stock. Der Wohnkomplex lag an einem Parkgebiet und war ideal für spielende Kinder. Für den Umzug haben wir ein professionelles Unternehmen beauftragt, da ich bei der AEG genug Geld verdiente. Außerdem war ich kein proletarischer Malocher, sondern ein denkender Akademiker.

Nachdem wir in der neuen Wohnung eingezogen waren, lernten wir unsere netten, neuen Nachbarn kennen. Das Ehepaar hatte 2 Kinder, die Tochter war 14 Jahre alt und der Sohn 7. Der Ehemann, Herr H., war ein gescheiterter Schauspieler, der zu seinem Leidwesen in einem Kino arbeiten musste. Die Ehefrau, Frau H., kam aus einem sehr guten Elternhaus und war deswegen hochgebildet. Von der ersten Minute an war ich von ihr sehr beeindruckt, denn ich liebe gebildete Menschen. Ihre Tochter, M., war bildhübsch und gut entwickelt, sodass ich mich allein schon wegen ihres Anblicks stark zusammenreißen musste. Ihr Sohn, T., war freundlich, nachdenklich und sehr schüchtern. Mit Frau H. redete ich häufig über wissenschaftliche und politische Themen. Manchmal stritten wir auch, da wir unterschiedlicher Auffassung waren. Mit Herrn H. kommunizierte ich äußerst wenig, da er ein extrem ruhiger Typ war, der ursprünglich aus Oldenburg kam. M. machte ich nette Komplimente über ihr Aussehen, die gut bei ihr ankamen. Mit dem Sohn redete ich nur wenig. Elisabeth freundete sich ebenfalls mit der Familie an und sprach häufig mit Frau H., die auch Hausfrau war und dementsprechend relativ viel Zeit hatte. Unser Sohn Wolf war auch oft bei den Nachbarn und wurde dort hauptsächlich von M. betreut.

Häufig wurde bei den Nachbarn gefeiert, da sich jeder über den Frieden freute und die Entbehrungen endlich vorbei waren. Ich liebte diese Partys und war für jeden Spaß zu haben. Die Menschen wollten auf Teufel komm raus schnell den Krieg vergessen. Alkoholische Getränke und Zigaretten gehörten natürlich immer dazu, wie das Weihwasser in die Kirche. Bis auf die Kinder rauchten alle, ohne auf möglicherweise vergilbte Wände und ihre Gesundheit zu achten. Ich war sehr talentiert die Leute zu unterhalten und flirtete mit den Frauen wie Casanova. Mein häufig auch niveauloses Repertoire an Komplimenten war quasi unerschöpflich. Elisabeth fand mein Verhalten abstoßend, weil sie extrem eifersüchtig war.

Vermehrt fanden auch bei der AEG Betriebsfeste statt, die allerdings ohne Ehefrauen abliefen. Dort konnte ich unbeobachtet von Elisabeth meine Leidenschaft ausleben, indem ich äußerst charmant mit attraktiven Mitarbeiterinnen über ihre umwerfende Schönheit redete. Wenn es eine Tanzfläche gab, hatte ich meine Tanzkünste geschickt eingesetzt, um die Frauen zu beeindrucken. Wenn ich betrunken war, verschwand ich auch das eine oder andere Mal mit einer Kollegin in der Damentoilette, um Liebe zu machen. Aber ich war unter den männlichen Kollegen bestimmt nicht der einzige Schürzenjäger. Schnell hatte ich in der Firma den Ruf eines Schürzenjägers, der jede ins Bett bekam. Auch wegen meiner cholerischen Anfälle war ich berüchtigt. Zum Glück erfuhr Elisabeth nichts von meinen Eskapaden. Allerdings sah sie mich von solchen Betriebsfeiern jedes mal betrunken nach Hause kommen. Vielleicht ahnte sie etwas, wollte aber sicherlich nicht den Ehefrieden gefährden.

1956 war meine Doktorarbeit fertig, die mir nach meiner Einschätzung sehr gut gelungen war. Ich schickte die Arbeit zur physikalischen Fakultät zu meinem Doktorvater nach München, um sie dort prüfen zu lassen. Mein Professor war begeistert von der Arbeit und gab mir dafür die Note „Sehr gut“. Wenig später musste ich in München vor der Prüfungskommission aus mehreren Professoren erscheinen. Natürlich schaffte ich ohne Schwierigkeiten auch diese Hürde, sodass es bei der Gesamtnote „Sehr gut“ blieb. Einige Tage später bekam ich mein Promotion-Zeugnis nach Berlin zugesandt. Nun hatte ich es tatsächlich geschafft einen Doktortitel zu erlangen. Stolz telefonierte ich mit meinen Eltern und teilte ihnen meinen Erfolg mit. Bestimmt hatte ich meine ehemaligen adligen Mitschüler weit abgehängt, wenn sie nicht im Krieg gefallen waren. Als Schüler hatte es mich immer geärgert, wenn sie von den Lehrern allein wegen ihrer Herkunft bevorzugt behandelt worden waren.

Auch in der AEG war man mit mir sehr zufrieden, denn die Vorsetzten witterten weltweite gute Verkaufschancen meiner 5.000 Volt-Quecksilberdampfgleichrichter. Aus diesem Grund wurden umgehend die Produktion und der Verkauf angeschoben. Ich war ausschließlich nur noch für die Qualitätskontrolle zuständig und beaufsichtigte ein ganzes Heer an Ingenieuren. Die Verkaufszahlen der Gleichrichter waren anfänglich überschaubar, entwickelten sich aber schnell zum echten Verkaufsschlager. Die Gewinnspanne war für die AEG enorm, deswegen hatte ich in der Firma zu dieser Zeit absolute Narrenfreiheit. Meine Vorgesetzten verziehen mir sogar meine aufbrausende Art und meine Weibergeschichten. Häufig hatte ich mich mit ihnen bei Besprechungen angelegt, entweder verließ ich danach wutentbrannt das jeweilige Konferenzzimmer oder ich hatte sie einfach aus meinem Büro geworfen. Trotz solcher Vorfälle hatten sie mich nicht entlassen, weil ich ihnen eine Menge Geld brachte. So einfach war das.

Wegen meiner beruflichen Erfolge stellten meine Vorgesetzten mir eine fesche Sekretärin zur Seite, mit der ich innerhalb kurzer Zeit ein Verhältnis hatte. Vermutlich war ihre Absicht mich Goldjungen bei Laune zu halten, damit ich nicht zum Konkurrenten ´Siemens´ wechselte. Jedermann in der AEG wusste von meiner Liaison, aber natürlich nicht Elisabeth. Häufig hatte ich mich abends mit der Sekretärin in ihrer Wohnung getroffen, um Liebe zu machen. Sie war sehr leidenschaftlich im Bett und verstand es bestens ihre weiblichen Reize geschickt einzusetzen. Ich konnte ihr nicht widerstehen, denn sie war der Traum eines jeden Mannes. Wenn ich nach solchen Liebesabenden nach Hause zu Elisabeth und meinem Sohn kam, plagte mich kurzzeitig ein schlechtes Gewissen, aber damit konnte ich eigentlich gut leben.

1956 kaufte ich mein erstes gebrauchtes Auto, einen Ford 12 M mit einer Weltkugel an der Front. Stolz wie Bolle fuhr mit Elisabeth und Wolf durch die Stadt. Wir passierten sogar das Brandenburger Tor und gelangten nach Ost-Berlin. Wir genossen den Fahrtwind, der uns um die Ohren wirbelte. Ich betrachtete mich als Gewinner der Zeit, der es trotz des unsäglichen Krieges geschafft hatte, aufzusteigen. Auch meine Zukunft sah ich durchgehend rosig, denn ich hatte eine bombensichere Arbeit, die mir noch viel Geld bringen wird. Ich war davon überzeugt, dass West-Deutschland und West-Berlin wirtschaftlich goldenen Zeiten entgegen gehen werden, aber die DDR mit ihrem fürchterlichen Sozialismus jämmerlich scheitern wird. Ich war hundertprozentig von meiner Theorie überzeugt, dass es für eine Wirtschaft sehr gut ist, wenn erst einmal ein totaler Krieg Häuser, Infrastruktur und Industrieanlagen komplett zerstört, damit die Menschen danach alles wieder emsig aufbauen können. Nach dem Wiederaufbau müsste es einen neuen Krieg geben, damit danach die Menschen erneut Arbeit haben.

Mit dem Ford fuhren wir nach Nordhessen, um meine Eltern zu besuchen. Natürlich mussten wir die DDR passieren mit Grenzkontrollen in Dreilinden und Helmstedt. Diese Schikanen durch diese unsäglichen DDR-Grenzer empfand ich schlicht als Freiheitsberaubung. Meine Einstellung brachte dem Gesindel gegenüber respektlos zum Ausdruck. Meine Eltern staunten nicht schlecht, als wir mit dem Auto in Sielen vorgefahren kamen, denn dort hatte bislang kaum einer ein eigenes Gefährt. Sie freuten sich über unseren Besuch. Außerdem waren sie immer noch beeindruckt von meinem Doktortitel. Von meinen Eskapaden mit anderen Frauen und den damit einhergehenden Eheproblemen hatten sie keine Ahnung. Sie veranstalteten ein kleines Fest und luden einige Freunde ein. Unter den Gästen war auch die neue Grundschullehrerin des Dorfes, mit der ich, bevor ich 1947 nach München gezogen war, ein Techtelmechtel hatte. Als Wolf im Bett war, wurde mit den Gästen vermehrt Bier und Wein getrunken, sodass sich die Stimmung schnell verbesserte. Elisabeth hielt sich wie immer beim Alkoholkonsum zurück, weil sie die bösen Folgen am nächsten Tag fürchtete. Ich redete lange mit der Lehrerin und machte ihr natürlich Komplimente, weil sie sich zu einer attraktiven Frau entwickelt hatte. Als sie zur Toilette ging, folgte ich ihr angetrunken und wartete im Flur vor der Tür auf sie. Nachdem sie die Tür geöffnet hatte, stürzte ich mich auf sie, sodass wir gemeinsam auf den Boden fielen. Dann küsste ich sie wie ein Verrückter und riss ihr gleichzeitig die Kleider vom Leib. Natürlich kreischte sie dabei entsetzt, wie eine Henne, die geschlachtet wurde. Meine Eltern, Elisabeth und einige andere Gäste hörten im Wohnzimmer das Geschrei, betraten den Flur und starrten mich völlig fassungslos an. „Ich bin gestürzt und auf sie drauf gefallen“, erklärte ich lallend. Meine Eltern vergaßen den Vorfall schnell, dagegen hatte mir Elisabeth diese Geschichte jahrelang vorgehalten. Seitdem betrachtete sie mich als einen Sex-Besessenen, dem nicht mehr zu helfen war.

1957 wurde unser zweiter Sohn geboren, den wir Martin nannten. Der kerngesunde Säugling hatte jedoch ein beachtliches Geburtsgewicht. Elisabeth hatte jetzt mit zwei Kindern noch mehr zu tun, aber sie machte ihre Sache als Mutter ganz gut. Allerdings ahnte sie etwas von meinem Verhältnis mit der Sekretärin, denn Frauen haben für so etwas bekanntermaßen einen siebten Sinn. Elisabeth fand in meinem Jackett eine Hotelrechnung für 2 Personen im Doppelzimmer mit Frühstück. Natürlich lag sie mit ihrem Verdacht richtig, denn ich hatte tatsächlich mit meiner Sekretärin auf einer Dienstreise gemeinsam im Hotel genächtigt. „Ich habe kein Verhältnis mit meiner Sekretärin“, log ich. „Ich glaube dir nicht“, war ihre erzürnte Antwort.

Elisabeth war enttäuscht und weinte fürchterlich. Sie drohte mit Scheidung, die ich ihr aber nicht abnahm, denn wo sollte sie mit 2 kleinen Kindern hin. Als Familien-Ernährer war ich meiner Sache ziemlich sicher. Sie regte sich so dermaßen auf, dass sie Herzrhythmusstörungen bekam. Wegen dieser Symptome ging zu ihrem Hausarzt, der ihr empfahl ein Medikament zu nehmen. Allerdings dürfte sie danach den Säugling nicht mehr stillen, weil das Mittel die Muttermilch beeinflusste. Erwartungsgemäß entschied sie sich fürs Medikament, deswegen bekam Martin eine Woche nach seiner Geburt statt der Brust die Flasche. Für ein stärkeres Immunsystem hätte er die Muttermilch dringend gebraucht.

Mit meiner Sekretärin hatte ich weiterhin ein Verhältnis, obwohl Elisabeth wie ein Hund gelitten hatte. Ich brauchte den Sex mit dieser scharfen Frau, der wie ein Lebenselixier für mich war. Erwartungsgemäß bestrafte mich Elisabeth mit Sex-Entzug, sodass mir gar keine andere Wahl blieb. Wie ich es vermutet hatte, ließ sie sich aber nicht von mir scheiden. Ich war mir bewusst, dass mir solche Fehler, wie mit der Hotelrechnung, nicht mehr passieren durften.

1959 starb mein Vater in Sielen an einem Magendurchbruch. Auf der Couch war er friedlich eingeschlafen ohne nochmal aufzuwachen. Jahrelang hatte er Bullrichsalz vertilgt, um sein Sodbrennen zu bekämpfen. Nach der Todesnachricht quälte mich eine Depression, die ich versuchte mit Alkohol zu vertreiben. Zur Beerdigung war ich ohne meine Familie hingefahren. Als meine Mutter und ich mit den Trauergästen am Grab standen, litt ich wie ein Hund, denn ich konnte mit solchen Dingen überhaupt nicht umgehen. Als ich wieder in Berlin war stürzte ich mich sofort intensiv in meine Arbeit, um meinen Schmerz schnell zu vergessen. Auch mich plagten seit langem Magenschmerzen, die ich vermutlich von meinem Vater geerbt hatte. Wenn ich die Symptome hatte, nahm ich wie mein Vater Bullrichsalz und war für mein Umfeld wegen meiner schlechten Laune kaum zu ertragen.

1960 stiegen nach wie vor die Verkaufszahlen der Quecksilberdampfgleichrichter. Die Geschichte war mittlerweile ein Selbstläufer geworden, sodass sich mein Arbeitsaufwand deutlich verringerte. Häufig war ich auf Dienstreisen und hielt Vorträge vor Fachleuten, damit die Verkaufszahlen weiter stiegen. Manchmal musste ich auch bei Kunden Vorort einen defekten Gleichrichter im In- und Ausland reparieren. Dabei halfen mir meistens Ingenieure des Auftraggebers. Ein erfreulicher Nebeneffekt bei den Auslandseinsätzen war, dass ich auf diese Weise viele Länder kennengelernt hatte. Elisabeth war nur äußerst selten bei den Dienstreisen dabei, weil sie sich um die Kinder kümmern musste. Einmal passten ihre Zerbster Eltern auf die Kinder in unserer West-Berliner Wohnung auf, sodass sie mich auf einer Kurzreise begleiten konnte. Elisabeth beneidete mich wegen meiner interessanten Arbeit und war mit ihrer Situation als Mutter ziemlich unzufrieden.

1960 kaufte ich mir einen nagelneuen Ford 17 M. Ich war von der amerikanisch aussehenden Limousine mit Heckflossen absolut begeistert. Die Nachbarn im Kiez und die AEG-Kollegen staunten nicht schlecht, als sie den teuren Wagen sahen.

Die verlorene Generation

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