Читать книгу Joe und die Carbon Connection - Martin Deggelmann - Страница 10
ОглавлениеIm Innern der Sonne
Obwohl das Universum eigentlich die Unordnung liebt, war meine Sonne ordentlich aufgebaut. Sie bestand aus mehreren Schalen, die wie bei einer Zwiebel einen inneren Kern umgaben.
Meine Kohlenstoff-Kumpel und ich befanden uns mit den Sauerstoffatomen in diesem inneren Kern, im Zentrum der Sonne. Hier gab es so gut wie keine Wasserstoffs und wir hatten unsere Ruhe vor den Quälgeistern. Um uns herum brannte in einer Schale das Helium. Dabei entstanden permanent neue Kohlenstoff- und auch ein paar Sauerstoffatome, die sich zu uns gesellten und den Kern vergrößerten. Die nächste Schale bestand aus Helium und diese wurde wiederum von einer Schale umgeben, in der der Wasserstoff brannte. Ganz außen war noch eine Schicht Wasserstoff. Diese Schicht bildete die äußere Hülle der Sonne.
Der Kern hatte, wie die gesamte Sonne, einen gasförmigen Zustand. Alle flogen umher und stießen mit anderen Teilchen zusammen und folgten einem wilden, unkontrollierten Zickzackkurs. Man diffundierte eben in der Gegend herum.
Diffusion ist eine ungerichtete Bewegung und nicht geeignet, um gezielt voranzukommen, bzw. größere Strecken zurückzulegen. Man bewegt sich ein kleines Stück, prallt dann mit einem anderen Teilchen zusammen und bewegt sich wieder ein kleines Stück, allerdings meist in entgegengesetzter Richtung. Im Inneren einer Sonne ist diese Wegstrecke besonders klein, weil so viele Teilchen auf so engem Raum zusammengepresst sind. Deshalb dauert es nicht sehr lange, bis man mit dem nächsten Teilchen zusammenstößt und seine Richtung erneut ändert.
Rein statistisch gesehen bleiben alle bei dieser Art von Bewegung am gleichen Ort und kommen kein Bisschen voran. Manchmal jedoch bewegt sich einer etwas länger in eine bestimmte Richtung, um dann, nach einer gewissen Zeit, zurückzukehren. So lernten wir, wenn genügend Zeit verging, mehr und mehr von unserer Umgebung kennen, auch wenn, wie gesagt, statistisch der Aufenthaltsort der gleiche blieb und nur die Wahrscheinlichkeit abnahm einen dort anzutreffen.
Da ich einige Millionen Jahre Zeit hatte, war die Umgebung, die ich kennenlernte, entsprechend groß und so kam es, dass ich eines Tages völlig zufällig den Bereich des Kerns verließ. Einige glückliche Zusammenstöße und entsprechende Impulse von andern Teilchen machten es möglich, dass ich durch die Schale, die Schicht, in der das Helium brannte, hindurch diffundierte.
In dieser Zone ging es etwas hektisch zu, vor allem weil es hier durch den Drei-Alpha-Prozess jede Menge Photonen gab. Diese sind im Grunde genommen auch nur Teilchen. Deshalb diffundierten auch sie im Zickzackkurs durch die Sonne. Ich hatte immer das Gefühl, dass sie einen Ausgang suchten. Doch bis ein Photon die Sonne verlassen konnte, verging eine große Zeitspanne. In dieser Zeit irrte es herum, stieß mit den anderen Teilchen zusammen und gab dabei auch immer etwas Energie an die Teilchen ab.
Die Gammas, so nannten wir die hochenergetische Photonen, gaben mir einen extra Kick. So gelangte ich auf die andere Seite der Helium-Brennzone, wo es wieder etwas ruhiger zuging. Der Druck war geringer und die Atome saßen nicht mehr so dicht aufeinander. Es gab vor allem Heliumatome und naiv wie sie waren, schienen sie nur darauf zu warten, von der brennenden Schale erfasst zu werden.
Hier begegnete ich zum ersten Mal den Wasserstoffs. Es handelte sich jedoch nicht um die arroganten Biester, von denen ich schon erzählt habe, sondern die meisten von ihnen waren ziemlich durcheinander. Sie stammten aus der Schicht, in der der Wasserstoff brannte und hatten an der nuklearen Reaktion teilgenommen, bei der am Ende das Helium entstand. Als Abfallprodukt wurden sie aus dem Kern katapultiert und standen noch ganz unter dem Eindruck der Kernverschmelzung. Das hatte sie komplett verwirrt und sie mussten sich erst wieder orientieren. Mit ihnen gab es nur wenig Streiterei. Sie wurden bald vom nuklearen Feuer erfasst und zu Helium verarbeitet.
Lange Zeit nutze ich die Diffusion und bewegte mich so durch die Sonne, bis plötzlich etwas Merkwürdiges geschah. Ich spürte, wie ich von einem großen Sog, einer Strömung erfasst wurde. In der Sonne gab es riesige Konvektionsrollen, große Ströme, die die Materie in eine bestimmte Richtung transportierten. Ich kam einer solchen Strömung zu nahe, wurde mitgerissen und nahm zum ersten Mal einen direkten Kurs in Richtung der Oberfläche meiner Sonne.
Die Temperatur nahm stetig ab. Dieser Temperaturunterschied zwischen der Oberfläche und dem Innern der Sonne war der Motor, der die Ströme antrieb. Heiße Materie ist leichter als kühle Materie und wird deshalb an die Oberfläche gedrückt. Sie schwimmt nach oben in Richtung Oberfläche und gibt hier die Wärme ab. Die Materie wird kühler und verdichtet sich. Dadurch wird sie schwerer und macht sich wieder auf den Weg in das Innere der Sonne.
Solche Konvektionsrollen bildeten sich von Zeit zu Zeit und sorgten für riesige Umwälzungen, die die verschiedenen Schichten in der Sonne durchmischten und so die Ordnung ganz schön durcheinander brachten. Manchmal gab es auch aufsteigende Konvektionszellen, die sich in einem Bereich formierten und wie Luftblasen im Wasser zur Oberfläche strebten.
An den Rändern dieser Bereiche war schwer was los. Es entstanden heftige Turbulenzen und Wirbel, die wiederum mächtige Schallwellen erzeugten, die wie Erdbeben durch die Sonne liefen.
Schallwellen sind periodische Verdichtungen der Materie. Ein kleines Volumensegment wird kurzzeitig verdichtet. Wenn du dich darin befindest, wird es plötzlich enger und alle Betroffenen stoßen häufiger zusammen. Doch die Teilchen wehren sich und versuchen, sich wieder Platz zu verschaffen. Das Volumensegment dehnt sich aus und verdichtet dadurch einen benachbarten Bereich. So läuft die Verdichtungszone durch die Materie. Meist sind es gleich mehrere Verdichtungen, die hintereinander her laufen und eine Welle bilden.
Die Schallwellen wurden an der Sonnenoberfläche reflektiert, liefen zurück ins Innere und wurden dort durch die zunehmende Dichte der Materie umgelenkt. Die Sonne wirkte wie ein riesiger Resonanzkörper, der die Schwingungen verstärkte. Dann spürte man, dass die ganze Sonne pulsierte, wie eine riesige Glocke, die angeschlagen wurde.
Die gewaltigen Ströme erzeugten ebenso gewaltige Magnetfelder, die ihrerseits die Konvektion hemmten bzw. beeinflussten. Irgendwie war alles in Wechselwirkung. Alle diese Phänomene versuchten sich gegenseitig zu beeinflussen.
Die Konvektionsrollen störten die Ordnung in der Sonne. Die Materieströme durchmischten die verschiedenen Schichten. Dadurch wurden auch die verschiedenen Atomsorten durchmischt, die eigentlich alle eine eigene Schicht beanspruchten.
Meine Kohlenstoff-Kumpel und ich protestierten jedes Mal, wenn es zu einer solchen Durchmischung kam. Schließlich wollten wir mit den Wasserstoffs in den äußeren Schichten nichts zu tun haben. Es dauerte manchmal Jahrhunderte, bis sich die alte Ordnung wieder herstellte.
In dieser Zeit gab es hauptsächlich eine Abwechslung, die uns Spaß machte. Wir spielten Wasserstoffschubsen. Umso näher wir der Oberfläche kamen, desto mehr Wasserstoffs gab es. In der äußeren Schicht waren sie sogar deutlich in der Überzahl und wir mussten uns in Acht nehmen, dass sie den Spieß nicht umdrehten und uns zum Spielball machten.
Trotz der Konvektion hatte ich es nie bis zur Sonnenoberfläche geschafft. Ich kannte die Oberfläche nur aus den Erzählungen der Wasserstoffs. Sie behaupteten, von dort aus den Weltraum sehen zu können. Die Sonne sei von einer Art dünnem Gas umgeben, das sie die Korona nannten. Sie sagten, dass sie jede Menge Spaß an der Oberfläche hatten.
Sie erzählten von eruptiven Protuberanzen. Das sollen Ausbrüche oder Explosionen an der Sonnenoberfläche sein, bei denen die Materie weit in den Weltraum geschleudert wird. Das Magnetfeld und natürlich die Gravitation der Sonne fangen die Materie wieder ein und es geht in einem gewaltigen Bogen zurück zur Oberfläche. Es soll auch Plasmaschleifen geben. Dabei treiben lokale Magnetfeldänderungen die Teilchen nach oben. Die fahren dann in einer großen Schleife Achterbahn. Das ganze wird durch das Magnetfeld der Sonne kontrolliert. Die wilde Achterbahnfahrt muss den Wasserstoffs einen riesen Spaß gemacht haben.
Es soll auch Möglichkeiten gegeben haben, die Sonne zu verlassen. Die Wasserstoffs erzählten von koronalen Löchern, durch die die Teilchen einfach in den Weltraum verschwanden, ohne Vorwarnung. Die Krönung waren koronale Massenauswürfe. Wenn ich das richtig verstanden habe entstanden diese, wenn sich die Plasmaschleife bei der Achterbahnfahrt verdrehte und die Magnetlinien sich kreuzten. Dann wurde die äußere Schleife, die sich zu einem Ring geschlossen hatte, abgetrennt und in den Weltraum geschleudert. Für die Teilchen in der Schleife gab es kein Entrinnen.
Die Wasserstoffs sagten auch, dass es einen Wind gab, der die kleineren Teilchen von der Sonne wegblies. Sie ließen sich einfach von diesem Sonnenwind in den Weltraum treiben.
Zu dieser Zeit konnte ich mit den Berichten der Wasserstoffs nichts anfangen. Ich hatte auch keine Ahnung wovon sie sprachen. Tatsächlich hasste ich solche Horrorgeschichten und Mythen, die sich um ihre Erzählungen rankten. Sie wurden von den Wasserstoffs sicher nur erfunden und verbreitet, um meine Kohlenstoff-Kumpel und mich zu ärgern. Wir liebten unsere Sonne und fühlten uns in ihrem Inneren geborgen. Niemand wollte sie verlassen, einen solchen Gedanken fanden wir völlig abwegig.
Natürlich glaubten wir den Wasserstoffs kein Wort. Unter uns galten sie als kleine, arrogante Stinker, die uns Angst machen wollten. Doch sie hatten damit keine Chance. Die meiste Zeit verbrachten meine Kohlenstoff-Kumpel und ich mit den Sauerstoffteilchen im inneren Kern der Sonne, wo es kaum Wasserstoffs gab. Hier hatten wir unsere Ruhe von den Biestern und die Zeit verging sehr langsam. Die Dinge änderten sich nur wenig und diejenigen von euch, die Konstanz im Leben der Veränderung vorziehen, hätten ihre wahre Freude gehabt.
Nach ein paar Millionen Jahren war es dann doch soweit. Es kam zu einer entscheidenden Veränderung. Meine Sonne kam ins Stottern.
Das Brennen in der Heliumschale, die unseren Kern umgab, wurde sehr unregelmäßig. Irgendetwas änderte sich an Ihrem Verhalten, denn sie reagierte plötzlich anders auf Temperaturschwankungen. Normalerweise stieg der Druck in der Sonne, wenn die Temperatur zunahm. Dann dehnte sich die Materie etwas aus und dadurch wurde das nukleare Feuer kontrolliert. Dieser Mechanismus sorgte für ein Gleichgewicht.
Doch jetzt reagierte der Druck nicht mehr auf die Temperaturerhöhung. Die Temperatur nahm zu und heizte das nukleare Feuer weiter an. Es kam jedoch nicht zu einer Druckänderung und die Materie dehnte sich auch nicht aus. So wurde es heißer und heißer, bis der Druck dann urplötzlich doch auf die Temperaturerhöhung reagierte. Keine Ahnung was da los war.
Immer dann, wenn der Druck spontan reagierte und anstieg, kam es zu einer Explosion, einer Art Blitz, weil sich die Schicht, in der das Helium brannte, aufgrund der plötzlichen Druckerhöhung abrupt ausdehnte. Die Sache war so gewaltig, dass die ganze Sonne durchgeschüttelt wurde. Wenn man den Berichten einzelner Wasserstoffs Glauben schenkte, wurde bei jedem Blitz ein Teil der äußeren Schicht der Sonne abgesprengt und in den Weltraum geschleudert.
Den Wasserstoffs machte das einen wahnsinnigen Spaß und viele von ihnen nutzten die Gelegenheit, um die Sonne zu verlassen. Auch die Heliumteilchen blieben der Sonne nicht besonders treu und machten sich ebenfalls aus dem Staub.
Das ganze endete in einer letzten Explosion, die den inneren Kern, in dem ich mich mit meinen Kohlenstoff-Kumpel und den Sauerstoffatomen wohl fühlte, von der Hülle aus den restlichen Helium- und Wasserstoffatomen befreite.
So, jetzt waren wir die Wasserstoffs weitgehend los und meine Sonne bestand hauptsächlich aus Kohlenstoff und Sauerstoff. Die wenigen Wasserstoffs reichten gerade so, um Wasserstoffschubsen zu spielen. Jetzt, da sich die Stinker in der Minderheit befanden, hatten sie die Hosen voll und hielten sich mit ihren Sprüchen zurück.