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Das nukleare Feuer

Das mit dem nuklearen Feuer und dem Entstehen von schweren Elementen hört sich jetzt vielleicht sehr einfach an: Es ist sehr heiß. Der Druck ist hoch. Die Atomkerne stoßen kräftig zusammen und schwupp-die-wupp vereinigen sie sich, ja sie verschmelzen. Ein Neutrino saust davon und verschwindet auf Nimmerwiedersehen. Manchmal entsteht noch ein Positron, das aber gleich mit einem Elektron reagiert und einvernehmlich Paarvernichtung begeht. Das Gesamtprodukt ist etwas leichter als die Ausgangsstoffe und die Massendifferenz wird in Energie umgewandelt.

Doch ganz so einfach funktionierte das zum Glück nicht. Sonst würden solche nuklearen Reaktionen viel öfter stattfinden. Die Sonne würde viel schneller abbrennen und allen Kohlenstoff in Sauerstoff umwandeln oder vielleicht sogar explodieren, falls die Kontrolle verloren ginge. Doch meine Sonne war in einem stabilen Gleichgewicht und das hielt immerhin schon einige Milliarden Jahre, wenn man den Wasserstoffs glauben mochte. Die Sache hatte also einen Haken, der mir und meinen Kohlenstoff-Kumpel die Existenz sicherte.

Im Plasma haben die Atome ihre Elektronen abgelegt. Da alle Atomkerne positiv geladen sind, stoßen sie sich gegenseitig ab und das verhindert schon mal, dass sie sich zu nahe kommen. Durch diese elektrische Kraft spürt man einen anderen Atomkern schon wenn er auf einen zukommt und prallt nicht direkt mit ihm zusammen. Das führt zu einer frühzeitigen Ablenkung, dämpft die meisten Stöße und Kollisionen mit anderen Kernen und hält die Wasserstoffs auf Distanz, die einem sonst zu sehr auf die Pelle rücken würden.

Doch es gibt noch eine zweite Kraft, die mit der elektrischen Ladung des Atomkerns nichts zu tun hat. Diese Kraft ist viel stärker und wird deshalb auch die starke Kraft genannt. Sie hält den Kern zusammen und kann auch andere Kerne anziehen. Allerdings besitzt die starke Kraft nur eine sehr geringe Reichweite, so dass sie erst wirksam wird, wenn sich zwei Kerne extrem nahe kommen. Dann ist sie besonders stark, stärker als die Abstoßung aufgrund der elektrischen Ladung.

Vereinfacht kann man sagen, dass Atomkerne durch die elektrische Kraft eine Art Schutzschild haben, der verhindert, dass sich die Kerne im Plasma zu nahe kommen. Es ist ein Energieschild, der natürlich immer eingeschaltet ist und der bei der Kernverschmelzung überwunden werden muss. Ein anderer Atomkern braucht schon eine gehörige Menge an Energie, um diesen Schild zu durchdringen.

Tatsächlich war der Druck und die Temperatur in unserer Sonne nicht hoch genug und so besaßen die Atomkerne nicht genügend Energie, die Schutzschilde zu überwinden, damit die nuklearen Prozesse ablaufen konnten. Wenn sich mir ein Atomkern näherte, wurde er immer schon frühzeitig abgelenkt. Das Wasserstoffschubsen schien völlig ungefährlich und ich hatte keine Ahnung, wie der Wasserstoff dennoch brennen und uns mit Energie versorgen konnte.

Doch dann erzählten die Wasserstoffs, dass die Schutzschilde kleine Löcher hätten, kleine Tunnel, die durch die Energiebarriere führten. Ein Atomkern konnte den Schild eines anderen durchtunneln und so diesem Kern, mit dem er zusammenstieß, sehr nahe kommen. Man musste den Tunnel nur finden.

Die Sache gab mir schwer zu denken. Ein Energieschild der Löcher hatte? Wo sollten diese Löcher sein? Und wie groß waren sie? Der Energieschild allein war schon unsichtbar und die Löcher darin erst recht. Das machte eine Überprüfung dieser These sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Ich fand die Erklärung auch viel zu einfach und typisch für die Wasserstoffs. Sie reimten sich wie so oft etwas zusammen oder wollten uns wiedermal einen Bären aufbinden. Die Wirklichkeit sah anders aus.

Bei uns Teilchen dreht sich eigentlich alles um die Energie. Wenn es genügend davon gibt, eröffnen sich tausend Möglichkeiten. Die Sonne war ein perfekter Ort, denn hier gab es diesen wertvollen Stoff im Überfluss. Gibt es zu wenig davon, scheitern wir kleinen Teilchen an vielen Energiebarrieren, die von uns nicht überwunden werden können. Doch ganz so schlimm ist es nicht, denn auf atomarer Ebene gibt es einen Ausweg, nämlich die Möglichkeit, sich etwas Energie vom Universum auszuleihen. Für einen bestimmten Zeitraum besteht die Freiheit, mit dem Ausgeborgten etwas zu unternehmen. Zum Beispiel können damit solche Energieschilde durchdrungen werden und ein Atomkern kann einem anderen Kern sehr sehr nahe kommen. Das Ausgeliehene lässt sich auch für etwas anderes benutzen, es muss nur rechtzeitig zurückgeben werden, denn man bekommt es nur für einen kurzen Moment. Umso mehr Energie geliehen wird, desto kürzer ist die Ausleihzeit.

Das Wasserstoffschubsen machte mir keinen Spaß mehr. Eine ganze Zeit lang hatte ich Angst, dass mir ein Wasserstoffkern zu nahe kommen könnte und es zu einer Kernreaktion kam. Besonders fürchtete ich mich vor den Heliumkernen. Eines Tages würde sich ein solcher einen kurzfristigen Energiekredit nehmen, meinen Schutzschild überwinden und mich in ein Sauerstoffteilchen verwandeln. Und diese Kerne flogen überall herum. Ich wollte mich aber nicht in ein Sauerstoffteilchen verwandeln. Das beschäftigte mich sehr, denn ich hatte keine Lust, meine Existenz aufzugeben. Die Sauerstoffatome waren unsere Freunde und ich fand sie ganz nett. Doch diese Umwandlung, die Verschmelzung mit einem Heliumkern, schien mir suspekt.

Bei der Vereinigung mit einem Heliumkern bleibt die Materie weitgehend erhalten, doch es entsteht ein neuer Kern und die Historie der beiden ursprünglichen Kerne geht verloren. Das Gedächtnis geht flöten und danach handelt es sich um ein anderes Teilchen, ein anderes Element, mit anderen Eigenschaften und einer neuen Identität.

Es ist so, wie wenn man bei einem Computer den Speicher zurücksetzt und damit alle Erinnerungen verloren gehen. Die Sauerstoffatome konnten sich nicht an ihre Zeit als Kohlenstoffatome erinnern und auch mir ist unbekannt, was die drei Heliumatome angestellt hatten, bevor sie zusammenstießen und ich entstanden war. Das machte mir Angst, denn ich wollte meine Erinnerungen behalten.

Tatsächlich gab es später einige kritische Zusammenstöße. Ein paar Mal hatten es Heliumkerne beinahe geschafft mir so nahe zu gekommen, dass wir uns quasi berührten. In einem solchen Moment geht die Post ab und die beiden Beteiligten tanzen wie wild umeinander herum. Erst wenn sie sich berühren und die Reaktionsenergie abgegeben haben, ist es definitiv passiert und ein neues Teilchen ist entstanden. Der Tanz ist allerdings so wild und die Reaktionsenergie so schwer loszuwerden, dass die Tänzer oft einfach nur wieder auseinanderfliegen. So hatte ich immer Glück und wurde die Angreifer wieder los.

Glücklicherweise nimmt die Stärke des Energieschildes mit der Teilchengröße, bzw. mit der Ladung immer mehr zu. Kohlenstoff besitzt schon sechs Ladungen, Sauerstoff sogar Acht. In unserer Sonne war es für eine massenhafte Reaktion von Kohlenstoff mit Helium nicht heiß genug. Nicht einmal, wenn sich die Reaktionspartner einen Energiekredit nahmen. Die Heliumkerne besaßen zu wenig Energie, um uns Kohlenstoffteilchen einfach die Tür einzurennen. Das hat mich und viele meiner Kohlenstoff-Kumpel gerettet. Ein paar mussten dennoch dran glauben. Für die Sauerstoffkollegen blieb es kühl genug, so dass der Sauerstoff in unserer Sonne gar nicht brannte.

Auch bei der Entstehung von Kohlenstoff gibt es einige Probleme. So war meine Geburt keine leichte Sache, sondern mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Man konnte das in der Sonne gut beobachten, denn es wurden ja andauernd neue Kohlenstoffkerne erzeugt.

Damit Kohlenstoff entsteht, müssen drei Dinge zusammenkommen. Drei Heliumkerne oder Alphateilchen müssen gleichzeitig die Energiebarriere überwinden und zusammenstoßen. Doch gleichzeitig gibt es bei drei Kernen praktisch nicht. Einer kommt immer etwas zu spät.

Also, zuerst kollidieren zwei Heliumkerne und es entsteht ein Berylliumkern. Der ist jedoch so instabil, dass er sofort wieder zerfällt. Schafft es der dritte Heliumkern nicht rechtzeitig dazuzukommen - und rechtzeitig heißt eigentlich gleichzeitig - ist alles umsonst. Die zwei ersten Heliumkerne verabschieden sich und die Sache hat sich erledigt. Das macht die Geburt eines Kohlenstoff-Kumpel schon mal extrem unwahrscheinlich. Außerdem gibt es ein Problem mit der Reaktionsenergie, die frei wird und den neuen Kern zum Schwingen bringt. Kann sie nicht abgegeben werden, ist die Vereinigung ebenfalls zum Scheitern verurteilt.

Doch glücklicherweise hatte sich das Universum etwas ausgedacht. Wir Teilchen können die Energie, die bei der Reaktion entsteht, erst aufnehmen, um sie dann später in Ruhe abzugeben. Allerdings kann man als atomares Teilchen nicht jeden beliebigen Energiebetrag aufnehmen, sondern nur bestimmte Energiemengen, sogenannte Energiequanten. Dabei wechselt man von einem bestimmten in einen anderen bestimmten Zustand. Bis auf den Grundzustand heißen diese Zustände angeregte Zustände und tatsächlich ist eine Art von Erregung zu spüren.

Eine dieser Zustandsänderungen bei uns Kohlenstoffkernen entspricht genau der Reaktionsenergie, die bei der Verschmelzung von einem Beryllium- und einem Heliumkern frei wird. Der Berylliumkern hat ebenfalls eine Zustandsänderung, die genau der Reaktionsenergie entspricht, die frei wird, wenn zwei Heliumkerne verschmelzen. Die Kerne können die Energie also aufnehmen und später in Form von Photonen abgeben.

Was für ein Zufall, denn die Tatsache, dass die freiwerdende Energie vom Kohlenstoffkern aufgenommen werden kann, stabilisiert den Prozess enorm. Die jungen Kohlenstöffchen können damit ihre Erregung bei ihrer Entstehung besser kontrollieren und platzen nicht gleich vor Aufregung. Gelingt es ihnen dann, das Photon abzugeben, werden die Kerne cool, stabilisieren sich und haben die Geburt überstanden. Ohne diese Resonanz würde nur sehr wenig Kohlenstoff im Universum vorkommen. Die Menge würde wahrscheinlich nicht mal für einen von euch Menschen ausreichen.

Die Sache ist bei euch unter dem Namen Beryllium-Barriere bekannt. Damit könnt ihr auf der nächsten Party euren Freunden imponieren. Einige werden das schon kennen, denn es ist ein entscheidender Umstand, von dem eure Existenz abhängt. Manche von euch glauben, dass das kein Zufall sein kann, sondern der Wille einer bestimmten ‚Person‘ ist. Ich denke, dass das Universum hier seine Finger im Spiel hatte.

Nichtsdestotrotz ist die Geburt eines Kohlenstoffkerns sehr unwahrscheinlich. Nur weil die Sonne so groß und heiß war und so viele Alphateilchen dauernd zusammenstießen, entstand jede Menge Kohlenstoff.

Das gleiche Problem gibt es bei der Entstehung von Sauerstoff. Wieder muss die Reaktionsenergie irgendwo hin abgeleitet werden. Doch der Sauerstoffkern besitzt keinen Zustand, der die Reaktionsenergie aufnehmen könnte. Für die Sauerstoffkerne ist es also noch viel schwieriger, die Erregung nach dem Zusammenprall unter Kontrolle zu bekommen. Das macht die Reaktion unwahrscheinlich und hat viele Kohlenstoff-Kumpel gerettet. Sonst wäre viel mehr Kohlenstoff zu Sauerstoff verbrannt worden.

Keine Ahnung, was das Universum sonst noch mit uns Kohlenstoffteilchen vorhatte, doch offensichtlich hatte es uns lieb und sorgte schon damals dafür, dass es genügend von uns gab und wir auch immer mehr wurden.

Joe und die Carbon Connection

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