Читать книгу Joe und die Carbon Connection - Martin Deggelmann - Страница 8
ОглавлениеJoe und seine geliebte Sonne
Als ich das Licht der Welt erblickte, gab es jede Menge davon. Ich entstand tief im Innern meiner Sonne, einem Feuerball mit einem Durchmesser von einer Million Kilometern, der durch das Universum trudelte. Doch davon wusste ich noch nichts. Ich kannte nur das große Durcheinander, das aus einer Mischung aus Atomkernen, Elektronen und Elementarteilchen bestand. Die Mischung war durchaus explosiv, doch der hohe Druck, den die Gravitation verursachte, presste uns eng zusammen. Von der Gravitation wusste ich natürlich auch noch nichts. Wir feierten eine wilde Party. Kleinste Teilchen tanzten euphorisch umher und lebten in den Tag hinein. Die Zeit spielte keine Rolle. Man dachte nicht an Morgen und hatte, wenn überhaupt, nur die eine Sorge, nämlich, in eine nukleare Reaktion verwickelt und in ein anderes Teilchen verwandelt zu werden. Doch diese Sorge hielt sich in Grenzen und machte das Dasein vielleicht auch etwas spannender.
Im Innern meiner Sonne gab es Energie im Überfluss und auch für den Nachschub hatte das Universum gesorgt. Sie wurde von nuklearen Prozessen geliefert, die als Energielieferanten wie geschaffen schienen. Immer wenn zwei Atomkerne nur heftig genug zusammenstießen und zu einem neuen Atomkern verschmolzen, wurde ein kleiner Teil der Teilchenmasse einbehalten und in Energie umgewandelt. So war die Sonne ein riesiges Kraftwerk, das aus der Materie direkt Energie erzeugen konnte. Das sorgte dafür, dass es schön heiß blieb, die Atome bei Laune gehalten wurden und unsere Sonne, die mit der Energie nicht gerade sparsam umging, nicht abkühlte. Es herrschte ein perfektes Gleichgewicht, bei dem meine Sonne jede Menge Energie produzierte und diese großzügig im Universum verschleuderte.
Aufgrund der hohen Temperatur hatten wir unser Elektronenkleid meist komplett abgelegt und tanzten quasi nackt umher. Manchmal trugen wir ein oder zwei Elektronen auf den inneren Orbitalen, nur so als Feigenblätter.
Dauernd stieß man mit anderen Teilchen zusammen und traf auf neue Atome. Es herrschte ein wildes Treiben. Wir tanzten frei, jeder für sich, doch der hohe Druck hielt uns eng zusammen. Es gab viele Kontakte und jede Menge Licht, grelles, helles Licht, das uns blendete und um uns herum aufblitzte. Wir waren gut drauf. So hätte es an sich ewig weiter gehen können. Keiner wurde müde oder wollte eine Pause einlegen. Wir fühlten uns wie die Prinzen des Universums.
Um mich herum gab es vor allem Kohlenstoff- und Sauerstoffatome. Wir waren dicke Freunde und hatten gute Connections. Da es keine größeren und schwereren Atome als uns in der Sonne gab und wir am Ende der Reaktionskette standen, glaubten wir, dass das Universum die Sonne für uns erschaffen hatte. Darauf waren wir mächtig stolz, von wegen „Krone der Schöpfung“. Allerdings meldeten die Wasserstoffatome für sich den gleichen Anspruch an und gingen uns damit leider ein bisschen auf die Nerven.
Die Wasserstoffs galten als die kleinsten Atome in der Sonne. Weil sie so klein und leicht waren, bewegten sie sich sehr schnell, so dass man ihnen kaum folgen konnte. Sie wuselten wild umher, was eine Konversation fast unmöglich machte. Allein deshalb hatten sie den Ruf, echte Nervensägen zu sein. Dazu kam noch, dass sie jede Gelegenheit nutzten, sich wichtigzumachen. Die kleinen Angeber erzählten unglaubliche Geschichten, in denen sie selbst immer besonders gut wegkamen. Sie berichteten von einem großen Knall, von einer großen Explosion, bei der das Universum entstanden war und dass es nach diesem Knall nur Wasserstoffatome gegeben hätte. Das Universum sei zu Beginn ein fast leerer Raum gewesen, kalt und unwirklich, in dem nur sie einige Milliarden Jahre lang herumgeflogen seien. Eines Tages sollen ausgerechnet sie auf die Idee gekommen sein, Sonnen zu bilden. Dumm nur, dass sie dabei nicht an das nukleare Feuer gedacht hatten, dem sie dann in den Sonnen zum Opfer fielen.
Sie sagten, dass unsere Sonne schon sehr alt sei, dass sie bereits einige Milliarden Jahre brennen würde und dass es bald mit ihr zu Ende ginge. Unsere Sonne soll zu Beginn nur aus Wasserstoff bestanden haben und aus einer riesigen Wasserstoffwolke hervorgegangen sein. Diese Wichtigtuer erzählten, dass das Universum riesig groß und unsere Sonne nicht die einzige ihrer Art sei und schon gar nicht im Zentrum stehen würde.
Aus ihrer Sicht gehörten sie selbst zu den ursprünglichen Dingen, zur Grundausstattung des Universums, zu den Bausteinen der Materie, die direkt beim großen Knall entstanden waren. Das Universum selbst hatte sie erschaffen und damit hielten sich diese von sich eingenommenen Möchtegerns für die wichtigste Atomsorte überhaupt. Uns andere Atome bezeichneten sie als Abkömmlinge. Wir sollten ihnen aufgrund ihres Alters und ihrer Weisheit mit Respekt begegneten und uns irgendwie unterordnen.
Natürlich glaubten wir den Wasserstoffs kein Wort. Das lag vor allem daran, wie sie die Geschichten erzählten. Sie übertrieben maßlos und stellten sich in den Mittelpunkt. Warum sollte bei diesem großen Knall nur Wasserstoff entstanden sein? Wir glaubten auf keinen Fall, dass sie ein so hohes Alter besaßen. Und dass sie die Sonne erschaffen hatten, das schien uns einfach lächerlich. Sie waren doch die Kleinsten unter uns.
Von den anderen Elementen konnte sich keiner an einen großen Knall erinnern. Auch die Entstehung der Sonne war keinem geläufig und was ein leerer Raum sein sollte, das konnte sich schon gar niemand vorstellen. Tatsächlich wussten die meisten von uns auch gar nicht, was sie mit all dem Quatsch meinten. Schließlich kannten wir nur das Innere unserer Sonne.
Das Thema führte zu ewigen Streitereien und sorgte dafür, dass sich die Wasserstoffschnösel bei allen anderen Atomen nicht sehr beliebt machten. Ok, vielleicht hatten sie tatsächlich ein so hohes Alter, doch das durfte kein Grund dafür sein, die restlichen Atome wie kleine, unwissende Kinder zu behandeln, zumal wir alle viel größer als sie waren. Sie mussten immer die Besserwisser spielen und das sind sie heute noch.
Um uns die Zeit zu vertreiben, spielten wir am liebsten Wasserstoffschubsen. Wenn sich einer dieser Knirpse zu uns verirrt hatte, schubsten wir ihn hin und her, bis er uns irgendwann wieder entkam. Das war ein Riesenspaß.
Viel später dämmerte mir, dass doch etwas an den Geschichten der Wasserstoffs dran sein könnte. Sie waren tatsächlich der Hauptbrennstoff meiner Sonne, aus dem diese die anderen Atome erbrütete. Die Zwerge leisteten damit den größten Beitrag zur Energieerzeugung und stellten wohl oder übel den Baustoff, aus dem wir schwerere Atome erschaffen wurden. Darüber redeten wir nicht gerne. Wir freuten uns lediglich, dass es diesen Prozess gab und dass dabei die Anzahl der Wasserstoffs kontinuierlich abnahm.
Wenn der Wasserstoff brannte, entstand Helium. Es handelte sich um einen mehrstufigen Prozess, bei dem zunächst zwei Wasserstoffs miteinander verschmolzen und dabei ein Deuterium-Kern entstand. Dieser ist ein Isotop des Wasserstoffs. Er ist zwar doppelt so groß, dem Wasserstoff aber noch sehr ähnlich, weil er die gleiche Ladung hat. Wenn sich dann ein weiteres Wasserstoffatom anlagerte, bildete sich ein Heliumisotop, das dem Helium ähnlich ist, weil es jetzt zwei Ladungen trägt. Als weiterer Schritt mussten dann zwei dieser Heliumisotope zusammenprallen und verschmelzen, damit ein Heliumatom entstehen konnte.
Da der Heliumkern aber kleiner als die Summe der beiden Heliumisotope ist, wurden beim letzten Schritt zwei Wasserstoffs aus dem neuen Kern hinausgeschmissen. Die beiden Ausgestoßenen verhielten sich total benommen und schauten meist ziemlich belämmert aus der Wäsche. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich wieder erholt hatten. Wenn sie in diesem Zustand dämmerten, machte das Wasserstoffschubsen besonders viel Spaß.
Das Helium erfreute sich meist nur eines kurzen Daseins in unserer Sonne, weil es ebenfalls brannte und dabei weitere, noch schwerere Atomkerne entstanden. Bevor sich die Heliumatome überhaupt in der Sonne zurechtfinden konnten, verschmolzen sie schon zu neuen, noch größeren Atomen. Die meisten von ihnen hatten keine Ahnung was abging, sie waren alle viel zu jung und unerfahren.
Als Kohlenstoffatom bin ich übrigens ein direkter Nachkomme von nicht nur zwei, sondern gleich drei Heliumatomen. Doch dazu später mehr.
Packt man zum Kohlenstoffkern noch einen Heliumkern dazu, entsteht Sauerstoff. Hier endete dann auch schon die Reaktionskette in meiner Sonne. So entstanden hauptsächlich Kohlenstoff und Sauerstoff. Meine Sonne war ein riesiger Brutkasten für diese beiden Elemente.
Die Sauerstoffatome fand ich eigentlich schwer in Ordnung, dennoch hatte ich immer etwas Angst, doch noch in so ein Ding umgewandelt zu werden. Den anderen Kohlenstoff-Kumpel ging es ähnlich. So spielten wir das Schubsspiel immer nur mit den Wasserstoffs und nie mit den Heliumkernen, obwohl uns unsere Sauerstoff-Freunde immer wieder Heliumkerne zuspielten.
Außer den Atomen gab es in der Sonne noch weitere Teilchen, die in dem großen Durcheinander herumsausten. Ihr Aufbau unterschied sich von dem der Atome und man konnte sich mit ihnen auch nicht unterhalten. Es handelte sich um Elementarteilchen, die noch kleiner als wir waren. Manche von ihnen würdet ihr vielleicht gar nicht als Teilchen bezeichnen. Die wichtigsten will ich euch kurz vorstellen.
Es wimmelte nur so von Elektronen, die eigentlich zu den Atomen gehören. Wenn es sehr heiß ist, also um die Zehntausend Grad, neigen wir Atome dazu, unsere Elektronen abzulegen. Trotzdem bleiben sie bei uns, weil ihre negative Ladung von unserem positiven Kern angezogen wird. Sie fliegen frei um uns herum und wir haben sie sozusagen an der langen Leine. Diesen Zustand der Materie nennt man Plasma.
Die Elektronen sind sehr klein. Sie bilden zur positiven Ladung der Atomkerne einen Gegenpol und neutralisieren deren Ladung und damit auch das Plasma. Sie trieben um uns herum wie eine Art See, in dem wir Atomkerne badeten. Erst später merkte ich, dass genau sechs von ihnen zu mir gehörten und meine positive Ladungen ausglichen.
Dann gab es auch noch die Neutrinos, die ich unbedingt erwähnen muss. Ich meine nicht die Neutronen, von denen ich selbst sechs Stück in meinem Kern habe. Nein, die Neutrinos waren völlig andere Teilchen, die geisterhaft durch unsere Sonne flogen. Da sie keine elektrische Ladung und keine Masse besaßen, gab es kaum eine Möglichkeit mit ihnen in irgendeine Wechselwirkung zu treten. Man konnte nicht einmal mit ihnen zusammenstoßen. Wie Geister flogen sie einfach durch alles hindurch. Sie entstanden in großer Zahl bei den nuklearen Prozessen und verließen schnurstracks auf direktem Weg die Sonne, ohne auch nur das geringste Interesse an den anderen Teilchen zu zeigen. Dabei bewegten sich die Neutrinos mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit. So schnell wie diese Kerle konnte keiner das Sonneninnere verlassen. Sie geisterten überall herum und wenn man sie bemerkte, dauerte es nur einen Moment und schon hatten sie sich wieder aus dem Staub gemacht.
Außerdem existierten in der Sonne jede Menge Lichtteilchen, die Photonen. Genaugenommen waren es gar keine Teilchen, sondern elektromagnetische Wellen. Sie hatten auch keine Masse, dennoch verhielten sie sich oft wie Teilchen. Man konnte richtig mit ihnen zusammenstoßen und bekam auch einen fühlbaren Schubser. Keine Ahnung, wie sie das schafften, wo sie doch keine Masse hatten. Jede dieser Wellen bestand aus einem reinen Energiepaket. In der Sonne gab es Photonen mit sehr großen Energiepaketen, die nicht so harmlos waren, wie das Licht das ihr von eurer Sonne kennt. Das Licht, das uns umgab, kam aus den nuklearen Prozessen und bestand aus Röntgen- und Gammastrahlen und die konnten einem einen ordentlichen Stoß verpassen.
Durch den Zusammenstoß mit einem Photon fühlte man sich manchmal wie elektrisiert. Hatte sein Energiepaket einen bestimmten Wert, ließ sich das Photon nicht umlenken, sondern musste aufgenommen bzw. absorbiert werden. Dabei ging das Photon kaputt und der eigene Atomkern wechselte in einen angeregten Zustand. Der Kern begann zu schwingen. Man drehte voll auf und es kribbelte furchtbar. Es gab nur einen Gedanken, nämlich die Energie gleich wieder abzuschütteln. Dazu musste ein neues Photon erzeugt werden, was zum Glück von ganz allein geschah. Wenn es davonsauste, wurde man die Energie wieder los und konnte sich beruhigen. Ich hatte oft das Gefühl, ich müsste platzen, weil es so sehr kitzelte.
Die Photonen bewegten sich auch sehr schnell. Doch im Gegensatz zu den Neutrinos stießen sie mit uns Atomen zusammen, wurden abgelenkt oder absorbiert und konnten dadurch keine langen Strecken zurücklegen. Man könnte auch sagen, dass die Materie in der Sonne für die Photonen nicht transparent war und so konnten sie, im Gegensatz zu den Neutrinos, die Sonne nur schwer verlassen.
Die Sonne schien wie ein großes Durcheinander, in dem die Unordnung regierte und es oft sehr chaotisch zuging. Ich liebte dieses Durcheinander, in dem man laufend auf Atome traf, die man zuvor noch nie gesehen hatte. Das war meine Welt und ich fühlte mich in ihr geborgen. Ich genoss die Hitze und den Überfluss an Energie. Der Wasserstoff brannte und die Sonne brütete fleißig neue Kohlenstoff-Kumpel aus, denen ich das Wasserstoffschubsen beibringen konnte.