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PROLOG – Aldrians Zeugung

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Mit einem kaum unterdrückten Aufschrei fiel Hagen zurück auf das Lager. Märeth rollte vorsichtig von ihm herunter. Die Wunde an seiner rechten Seite war wieder aufgebrochen. Von der Mitte aus färbte ein zunehmend größer werdender Blutfleck die Bandagen.

Rasch erhob sich die junge Frau und holte Wasser, Moospolster und frische Binden. Während sie den Verband erneuerte, gingen ihr die Ereignisse der letzten Tage durch den Kopf.

Der prächtige Einzug der Niflungen in die Burg Susat und die freundliche Begrüßung durch König Attalo. Die emsigen Vorbereitungen für das Festmahl, die zunehmende Nervosität bei den Gästen und dazwischen die Königin, Grimhild, die ruhelos und auffallend bleich ständig auf Irung, Osid und andere Männer einredete. Danach das Gastmahl, das so fröhlich begann und in einem Blutbad enden sollte. Als Jungherr Aldrian von seiner Mutter direkt zu Hagen lief und ihm mit der Faust ins Gesicht schlug. Und wie Hagen daraufhin aufsprang, den Knaben mit der einen Hand an seinem Schopf festhielt und…

Märeth senkte den Kopf und versteckte die Tränen hinter ihren Haaren, während sie weiter die Wunde wusch. Die Erinnerung an den irren Gesichtsausdruck Grimhilds, ihr Weinen und Lachen, als sie die blutigen Hände an ihrem weißen Kleid abzuwischen versuchte – diese Erinnerung würde sie wohl ihr Leben lang verfolgen.

Damit begann ein zweitägiges Gemetzel, wie es Susat noch nicht erlebt hatte. In der Steingasse hinter dem ummauerten Burggarten floss das Blut buchstäblich in Strömen bergab. Der Blutgeruch hing nach wie vor über der Burg und der Nachhall der Schreie und das Klirren der Waffen klangen Märeth noch in den Ohren.

Am Ende waren alle Niflungen tot – alle bis auf einen: Hagen. Der lag jetzt schwer verletzt vor ihr auf dem Bett und die Schwertwunde an seiner rechten Flanke hörte nicht auf zu bluten!

Es war am Abend des zweiten Kampftages, als kein Gefechtslärm mehr in die Kammer drang, in die Märeth sich mit anderen Frauen geflüchtet hatte. Plötzlich hörten sie Schritte vor der Tür, es klopfte und Didrik, ihr Oheim, betrat den Raum. Er war erschöpft, bleich im Gesicht, gezeichnet von seinen Wunden und sein Gewand war zerschlissen und blutgetränkt.

„Märeth“, sagte er, „du verstehst doch etwas von Wundpflege. Ich brauche deine Hilfe!“ Ohne zu zögern, stand sie auf und folgte ihm. Auf dem Weg fragte sie:

„Seid ihr arg verletzt, Oheim?“ Didrik erwiderte ihr:

„Danke, dass du dich um mich sorgst, Märeth, aber es gilt nicht meine Wunden zu pflegen.“ Er blieb stehen, nahm sie bei der Hand und sah ihr fest in die Augen. „Du kennst Hagen?“ Sie nickte. „Er ist todwund“, fuhr der Oheim fort. „Wir waren Freunde fürs Leben und nur dieser leidige Zwist hat uns zu Feinden gemacht. Ich habe ihn in einem ehrenhaften Kampf niedergerungen. Aber jetzt ist er so stark verwundet – ich fürchte, er wird nicht mehr aufkommen.“

„Nun, ich will sehen, was ich für ihn tun kann“, erwiderte sie.

„Hagen hat einen letzten Wunsch geäußert“, fuhr Didrik fort. „Er will einer Frau beiliegen, bevor er stirbt, um sein Vermächtnis zu hinterlassen. Das ist sein gutes Recht, auch wenn sich dieses gegen meinen Herrn, Attalo, richtet. Also eilen wir“, sagte er und nahm seine Schritte wieder auf, „denn ich muss noch sehen, dass ich eine Frau finde, welche bereit ist, mit ihm die Nacht zu verbringen.“

Märeth hielt einen Augenblick inne, als sie dies hörte. Didrik blieb ebenfalls stehen und wandte sich zu ihr um.

„Was ist? Warum zögerst du?“

„Ihr braucht nicht weiter zu suchen“, antwortete sie ihm. „Ich werde die Nacht bei ihm bleiben. So kann ich ihm auch helfen, wenn er meine heilkundige Hand benötigt.“

„Märeth, du hast mich nicht verstanden. Er will eine Frau zum Beischlaf, um einen Bluträcher zu zeugen.“

„Doch, das ist mir bewusst, Oheim Didrik.“

„Aber Hagen war es auch, der deinen Vater erschlagen hat, wie du ja vielleicht schon erfahren hast!“ Didrik rang nach Fassung, da er sich die Beweggründe der jungen Frau nicht erklären konnte.

Abermals zögerte Märeth kurz, dann schüttelte sie abwehrend den Kopf.

„Ein Bote hat mir das tatsächlich schon zugetragen. Jedoch hat er in ehrlichem Kampf gesiegt. Da gibt es nichts, was ich ihm vorwerfen müsste.“ Märeth hatte ihre Schritte wiederaufgenommen und Didrik folgte ihr.

„Aber eine Bedingung habe ich, Oheim“, fügte sie hinzu, an der Tür zur Kammer, in der Hagen lag, noch einmal innehaltend. „Ihr dürft niemandem auch nur ein Wort davon sagen. Das müsst ihr mir schwören. Wenn ihr damit einverstanden seid, werde ich heute Nacht mit Hagen das Lager teilen.“

„Wenn ihr darauf besteht: einen Eid auf mein Stillschweigen“ entgegnete ihr Didrik. Unvermittelt hatte er von der gewöhnlichen Anrede der deutlich Jüngeren zur ehrenvollen Bezeichnung gewechselt, als hätte er eine hohe Frau vor sich. Märeths Beweggründe blieben ihm allerdings ein Rätsel. Doch der Blick der jungen Frau hielt ihn davon ab, weiter in sie zu dringen.

Sie war achtzehn Jahre alt. Seit sie vierzehn Lenze zählte, wollte man sie immer wieder einem Mann zum Weib geben, wogegen sie sich stets heftig zur Wehr zu setzen verstand. Zweimal hatte ihr Vater, Irung, der Gefolgsmann der Königin, einen Brautlauf arrangiert und musste dann zähneknirschend den Brautpreis zurückzahlen, weil seine Tochter ausgerissen war und sich in Susats umliegenden Wäldern versteckt hielt. Dort fand sie Unterschlupf bei einer alleinlebenden kundigen Frau, Dankrun mit Namen, welche Märeth ihr Wissen weitergab. So befasste sie sich schon mehrere Jahre mit dem Erlernen von Kräuter- und Heilkunde und gab nichts auf das Gerede ihrer Umgebung, dass sie sich für keinen Mann gut genug sei. Und so kam Märeth unter die Vormundschaft Didriks, denn nachdem er das zweite Mal den Brautpreis zurückzahlen musste, sagte Irung sich von seiner Tochter los.

Märeth wusste, was dieses Vermächtnis, von dem Didrik gesprochen hatte, bedeutete. Der Blutrache einen Weg zu ebnen, war ein heiliger Akt. Es gab für einen Mann nichts Schlimmeres, als ungerächt zur Todesgöttin Hel zu fahren. Wenn sie ihm einen Bluträcher schenkte, könnte sie ihm seinen Frieden geben und gleichzeitig ihr Heil mehren. Aber Hagens Beweggründe allein waren nicht ausschlaggebend, dass sie sich dazu bereit erklärte. Was Didrik nicht wusste: Sie selbst wollte einen Rächer zeugen.

Als Märeth dreizehn Jahre alt war – wenige Monate nach ihrer Ankunft in Susat, in Grimhilds Gefolge zusammen mit ihren Eltern – lag sie eines Tages im Stroh des Reitstalles der Burg. Sie hatte den Wurf einer Katze entdeckt und mit den kleinen Fellknäueln gespielt, bis das Muttertier fand, dass es genug sei, ihre Jungen eines nach dem anderen in die Tiefen des Strohgebirges trug und dem Mädchen mit einem Fauchen zu verstehen gab, dass es dort nicht willkommen sei.

Sie hätte auf die Katze hören und den Stall verlassen sollen. Aber das Heu duftete und die Wärme der Tiere lullte Märeth ein.

Als sie aufwachte, stand ein Mann über ihr – es war Attalo, der König. Von einem Ausritt zurückgekehrt, fand er das schlafende Mädchen im Stroh. Den Stallknecht hatte er daraufhin mit einem fadenscheinigen Vorwand fortgeschickt und war soeben dabei, seinen Gürtel zu lösen. Sein Beinkleid fiel zu Boden und er kniete sich über Märeth. Sie wollte schreien, aber eine Hand bedeckte ihren Mund und die andere umfasste die Gurgel des Mädchens. So groß war die Pranke des riesigen Mannes, dass sie den zarten Hals fast ganz umschloss:

„Wenn du leben willst, dann schweigst du jetzt und für immer. Hast du verstanden?“

Was konnte das Mädchen, fast noch ein Kind, gegen den Hünen ausrichten; also nickte sie. Die nächsten Augenblicke wollten nicht enden und sie biss sich in die Hand, um den Schmerz der Entjungferung nicht hinauszuschreien. Als der König von ihr abließ, sagte er beiläufig, während er sich wieder gürtete:

„Vergiss nicht, wenn du leben willst – zu niemanden ein Wort darüber!“ Dann stieg er über das weinend im Stroh liegende Mädchen hinweg und stapfte aus dem Stall. Die unmittelbar danebenstehende Stute, die daraufhin mit ihren samtweichen Nüstern Märeths Gesicht berührte, war der einzige Trost, den das Mädchen nach dieser Qual erhielt.

Das also war der Grund, warum sie sich der Vermählung durch ihren Vater widersetzt hatte. Es wäre nicht mehr zu verheimlichen gewesen, dass sie ihr Magdtum schon verloren hatte. Das wiederum hätte nicht nur Schmach und Schande über ihre Familie gebracht, sondern sie auch das Leben kosten können.

Märeth hatte es nie vergessen. Sie hasste Attalo aus tiefstem Herzen. Aber sie war eine Frau und zur Rache nicht berechtigt. Wenn jedoch Hagen einen Bluträcher zeugen wollte, dann trug sie gerne das Ihre dazu bei.

Als sie mit Didrik die Kammer betrat, lag dort Hagen noch bleicher als sonst auf der Bettstatt. Sein schwarzes Lederwams war völlig zerfetzt und blutverschmiert und in einem noch verheerenderen Zustand wie das Didriks. Auch er zeigte zahlreiche Wunden, aber am bedrohlichsten schien der große Blutfleck auf dem Laken unter seiner rechten Flanke zu sein.

Märeth sah sich den Recken genauer an. Sie kannte ihn schon aus ihren Kindertagen in Vernica und hier in Susat hatte sie ihn wieder beim Umzug der Niflungen durch die Stadt und danach beim Festmahl erblickt. Da sah sie ihn zum ersten Mal mit den Augen einer Frau. Er war nicht schön anzusehen, wenngleich er stattlich und gut gewachsen war und etwas Faszinierendes, fast Magisches in seinem Ausdruck hatte. Von der lauernden Wildheit seines Blickes aus dem einzelnen, linken Auge fühlte sich Märeth auf eine eigenartige Weise gleichzeitig angezogen und eingeschüchtert.

„Oheim Didrik“, sagte sie, „helft mir, ihn aus der Rüstung zu bringen“. Zu zweit richteten sie den Verwundeten auf und schälten ihn aus den Resten des ledernen Harnischs. Dies bedurfte all ihrer Aufmerksamkeit, damit sie sich selbst nicht an den schartig gehauenen Metallteilen verletzten. Hagen zerquetschte einen Fluch zwischen den Zähnen, aber die Schmerzen brachten wieder etwas Farbe in sein Gesicht. Er öffnete das Auge und sah Märeth vor sich, die ihm gerade die Lederriemen aufknotete. Mit einem durchdringenden Blick musterte er die junge Frau.

Nachdem sie ihn zu zweit seiner Kleider entledigt und vollständig nackt ausgezogen hatten, begutachtete Märeth die zahlreichen Wunden. Unzählige sah sie über den geschundenen Körper verteilt. Viele davon so schwer, dass sie jeden anderen auf der Stelle kampfunfähig gemacht hätten. Wie der große Lappen aus Haut und Muskeln an seinem linken Schenkel, von Hagen selbst provisorisch im Kampf verbunden.

Unter all den Verletzungen fand sich aber am rechten Rippenbogen der klingenbreite Stich von Ekkisax, Didriks Schwert, aus der ununterbrochen das Blut floss. ‚Hier rinnt das Leben aus dem Körper‘, dachte Märeth. Sie presste einen Stofflappen auf die Wunde und sagte zu Didrik:

„Drückt dies fest an, Oheim. Ich hole Verbandzeug.“ Damit eilte sie aus dem Zimmer.

Didrik saß neben Hagen auf der Bettkante, der wieder mit geschlossenem Auge in seinen Laken lag und schaute ihm in das blasse Gesicht.

„Mein Freund, du weißt, dass wir unserer Bestimmung folgten. Du musstest für die Sache deines Königs kämpfen und ich war meinem verpflichtet. Wie es aussieht, habe ich dir den Weg zur Hel bereitet. Aber mit Bestimmtheit hättest du im umgekehrten Fall ebenso gehandelt. Wir sind nun einmal Krieger und das ist unser Handwerk. Dafür brauchen wir einer dem anderen keinen Vorwurf machen. Märeth – sie ist die Tochter Irungs – wird dir deinen letzten Wunsch erfüllen und das Lager heute Nacht mit dir teilen. Ehre sie! Sie ist eine Frau mit besonderen Fähigkeiten und sie wird alles daransetzen, dein Vermächtnis weiterzugeben.“

Hagen öffnete das Auge, als Didrik geendet hatte, und ein Grinsen erhellte sein von Schmerzen angespanntes Gesicht:

„Mach nicht so viele Worte um die paar Scharten. Was war das für ein vortrefflicher Kampf. Ich ärgere mich nicht darüber, dass du mich geschlagen hast. Nur schade, dass zahlreiche ausgezeichnete Männer wegen Grimhilds Zorn zur Hel fahren mussten.

Aber was das Mädchen betrifft: Da hast du gut gewählt, mein Freund!“

„Du irrst dich,“ entgegnete ihm Didrik. „Nicht ich habe sie ausgesucht, sondern sie dich!“

Bevor Hagen nachfragen konnte, wie sein Gegenüber das gemeint hätte, betrat Märeth wieder die Kammer. Die beiden unterbrachen ihr Gespräch, um der Frau nicht zu zeigen, dass sich die Unterhaltung um sie gedreht hatte.

Sie trug einen Krug mit heißem Wasser und eine kleine Truhe mit sich, die sie auf einem niedrigen Schemel neben dem Bett absetzte. Märeth öffnete sie und entnahm ihr getrocknete Moospolster und Baumflechten, einen Beutel mit fein gemahlenem Pulver der Blutwurz, einen Tiegel mit Harz und lange Stoffstreifen. Nachdem sie alle Verletzungen mit Wasser gereinigt und mit einem sauberen Tuch abgetrocknet hatte, streute sie die blutstillende Arznei auf die frischen Wunden, wobei sie nicht vergaß, die notwendigen Segenssprüche zu flüstern. Die meisten Blessuren hörten damit fast unmittelbar auf zu bluten. Sogar die Blutung aus der Flanke kam zum Stillstand, aber Märeth wusste, dass der Schwertstich tief reichte und das Pulver innen keine Wirkung tun konnte. Die größeren Wunden deckte sie mit Moospolstern, und zerzupften Rindenflechten zu, die älteren und die oberflächlichen Kratzer bestrich sie mit Harz aus dem Tiegel. Zuletzt fixierte sie die Wundauflagen mit Binden und versah die geharzten Wunden ebenso.

Didrik stand daneben und schaute ihr bewundernd zu, mit welcher Ruhe und Sicherheit sie die Verletzungen versorgte. Nach verrichteter Arbeit räumte sie alles wieder in die Truhe, erhob sich und sagte zu Didrik, jedoch den Blick fest auf Hagen gerichtet: „Ich habe getan, was ihr, Oheim, von mir verlangt habt. Ich tat es, so gut ich es vermochte. Aber euer Freund wird an dieser Wunde sterben. Das weiß er selbst, so sicher wie ihr und ich. Auch den zweiten Wunsch werde ich erfüllen und die Nacht hier bei ihm bleiben. Geht nun bitte und lasst uns allein.“

„Ich lasse euch noch Kräuterwein und etwas zu essen bringen“, sagte Didrik. „Lebt wohl“. Sich vor dem Verwundeten und Märeth verneigend, verließ er die Kammer.

„Du weißt, dass ich Irung, deinen Vater, im Kampf tötete“ fragte Hagen, als sie allein waren, und schaute Märeth forschend ins Gesicht.

„Ich weiß“, antwortete die junge Frau ruhig. „Erstens ist es kein Unrecht aus einem ehrenhaften Kampf als Sieger hervorzugehen und zweitens werde ich meinen Vater nicht vermissen. Er hat sich schon lange mehr um Grimhild gekümmert, als um Mutter und mich.“

„Du bist eine schöne Frau. Und du bist kundig und stark“, fuhr er fort. „Was hat dich bewogen, meinem Wunsch aus freien Stücken nachzugeben?“

„Ja, Hagen“, erwiderte Märeth. „Gegen meinen Willen würde ich nicht hier stehen. Aber ihr seid ein bedeutender Krieger. Sollte diese Nacht nicht folgenlos bleiben, so trage ich ein Kind von edelmütigem Blut, mit einer großen Aufgabe. Denn ich habe ebenfalls einen Auftrag für ihn: Er soll der Vollstrecker auch meiner Rache sein.“

Hagen schaute verwundert auf:

„Was hast du zu vergelten?“

„Attalo hat mich als Kind vergewaltigt“, antwortete sie leise mit gesenktem Kopf.

Hagen pfiff überrascht durch seine gespitzten Lippen und schaute sie durchdringend an.

„Das also hat dich bewogen. Du spielst ein gewagtes Spiel, Frau.“

„Das weiß ich“, entgegnete Märeth wieder erhobenen Hauptes, „aber du hast es schon selbst gesagt: Ich bin kundig und stark“, ergänzte sie mit einem stolzen Lächeln. Wie selbstverständlich hatte sie auf das vertraute ‚Du‘ gewechselt, nachdem sie ihm so tiefen Einblick in ihr Gemüt erlaubt hatte.

„Uns beide hat unser Schicksal widerstandsfähig gemacht“, pflichtete ihr Hagen bei. „Ich bin der Spross aus einer Vergewaltigung und du eine Vergewaltigte! Ich denke, wir sollten in der Lage sein einen würdigen Bluträcher zu zeugen!“

Es klopfte. Ein Bursche mit einer Fackel in der Hand erschien und eine Magd folgte ihm, ein Servierbrett tragend. Auf diesem fanden sich Brotfladen, Kornbrei, Fleisch und eine kleine Schale mit frischen Walderdbeeren, wohl die ersten des Jahres. Ein Krug mit Kräuterwein, einer mit Wasser und zwei Becher waren auch darauf angerichtet.

„König Didrik schickt euch dies“, sagte das Mädchen, indem sie das Brett abstellte. Der Sklave entzündete mit seiner Fackel eine zweite, welche in einem Halter an der Wand steckte und noch eine in einem weiteren Ringhaken. Dann schürte er das Feuer und legte Scheite nach. Bald prasselte es erneut und erwärmte zumindest diese Ecke des Raumes. Zwar war es ein lauer Spätfrühlingsabend, aber die Steinbauten Susats brauchten lange, bis sie die Winterkälte zur Gänze ausgeatmet hatten. Nach einer Verbeugung entfernten sich die beiden wieder unauffällig mit gesenkten Köpfen.

Märeth schenkte Kräuterwein in einen Becher, betrachtete nachdenklich den Inhalt im Schein des Fackellichtes und sagte zu Hagen: „Ich habe einen Trank in meiner Truhe, der könnte dir das Leiden nehmen. Wenn ich diesen in deinen Wein mische, hast du keine Schmerzen mehr. Du wirst müde werden und bald einschlafen – und vermutlich nicht mehr aufwachen, bis du vor Hel stehst.“

Hagen schüttelte den Kopf:

„Nein“, sagte er entschieden. „Solange meine Wunden schmerzen, weiß ich, dass ich noch lebe! Ich bin noch nicht fertig. Es gibt noch etwas zu erledigen.“ Er versuchte, sich aufzusetzen, um bequemer essen zu können, und verzog dabei sofort wieder das Gesicht. Märeth kam ihm zu Hilfe und stützte ihm den Rücken mit einer Deckenrolle. Eine Weile aßen und tranken sie schweigend. Nur einmal sagte Hagen, als er Märeth zuprostete:

„Auf Hel, die mich bald empfangen wird!“

Sobald sie fertig waren mit dem Mahl – beide hatten sie nicht viel gegessen – räumte die Frau das Brett zur Seite und bettete Hagen um. Der Wein und ihre Pflege hatten ihm gutgetan, er bekam wieder etwas Farbe im Gesicht und sein Herzschlag wurde ruhiger.

Sie stand vor seinem Lager, auf dem er auf Fellen und Decken ausgestreckt und mit geschlossenem Auge lag. Langsam griff sie sich ins Haar und holte die Spangen und Bänder heraus, die die Frisur zusammenhielten. Ihre vollen Locken fielen über Schultern und Rücken bis zu ihren Hüften. Sie nahm den Gürtel ab, der die beiden Hälften des Peplos verband. Zuletzt griff sie zu den zwei Fibeln an den Schultern und öffnete sie. Die Stoffbahnen glitten zusammen mit dem Unterkleid zu Boden. Das Fackellicht umschmeichelte ihren nackten Körper und verlieh der Haut einen seidigen Glanz.

Hagen hatte das Rascheln des fallenden Stoffes vernommen und öffnete das Auge. Was er sah, ließ sein Herz augenblicklich wieder schneller schlagen. Die Fackeln konnten den Hintergrund des Raumes nicht ausleuchten. So sah er Märeth vor einem dunklen Nichts fast schwebend, in ihrer, durch unruhiges Licht konturenbetonten Nacktheit, vor sich stehen.

„So wund kann ein Mann nicht sein“, flüsterte Hagen, „dass sich bei diesem Anblick nicht Leben in ihm regt“. Er streckte seine Hand der Frau entgegen, schlug mit der anderen die Bettdecke zurück und lud sie damit ein, sich zu ihm zu legen. Nicht nur die freundliche Geste, auch die Kälte des Raumes scheuchte Märeth unter die Decke.

Eine Weile lag sie seitlich ruhig in Hagens Arm, lediglich ihre Hand lag auf seiner Brust. Dort fing sie an, ihn zu liebkosen, denn es war, geschützt durch das Lederwams, der Teil seines Körpers mit den wenigsten Wunden.

Hagen wurde unruhig und wollte sich ächzend auf sie wälzen, aber Märeth verwehrte ihm dies.

„Lass gut sein“, sagte sie, „bleib einfach ruhig liegen und tue gar nichts.“ Hagen sah sie fragend an, aber da hatte sie sich schon rittlings auf ihn gesetzt und begann mit sanften Schaukelbewegungen ihres Unterleibs ihn zu erregen. Dem Haudegen war diese Art fremd. Im Allgemeinen hatte er sich auf die Frauen geworfen und nicht lange gefackelt. Aber jetzt empfand er es durchaus als entspannend, sich nicht anstrengen zu müssen. Der Genuss steigerte sich sogar zur Erregung, die ihn seine Schmerzen völlig vergessen ließ.

Auch Märeth genoss die Wogen der Lust sichtbar; ihr Atem ging rasch und die rosigen Knospen ihrer Brüste waren aufgerichtet. Als sie Hagen schließlich in sich eindringen ließ, konnte er ihre Erregung spüren – er glitt gleichsam in ein warmes feuchtes Kissen. Märeth änderte die Hin-und-her-Bewegung ihres Beckens in ein Auf-und-ab, welches beide rasch zum Höhepunkt kommen ließ. Zuletzt bäumte sich Hagen keuchend auf und presste sein Gesicht zwischen Märeths Brüste, die sie ihm, ebenfalls sich aufbäumend, entgegenstreckte.

Schweißgebadet sank Hagen ächzend zurück und Märeth glitt von ihm herunter. Als sie ihn mit ihrem Arm umfasste, griff sie in frisches Blut, welches aus dem Verband an seiner Flanke hervordrang. Erneut machte sie sich daran, die Wunde zu verbinden. Hagen ließ es ruhig geschehen und schien diesmal kaum Schmerzen zu haben. Die Erregung, die durch seinen Körper pulsierte, hatte jede Pein betäubt. Als Märeth fertig war, deckte sie Hagen sorgfältig zu. Dabei bemerkte sie, dass sie immer noch nackt war und fror. Sie nahm eine Decke, rollte sich in sie ein, schürte das Feuer und legte nach. Dann setzte sie sich zu Hagens Füßen auf sein Lager, da sie dort näher zu den wärmenden Flammen saß.

„Wäre doch schade gewesen“, sagte Hagen mit einem Lächeln auf den Lippen, „wenn du mich mit deinem Trank betäubt hättest.“ Plötzlich fixierte er die junge Frau mit seinem einzelnen Auge. Sein Blick durchbohrte sie geradezu. Er atmete tief und die Stimme wechselte, wurde rauer, als er sagte:

„Diese Nacht ist unser Brautlauf und ich schenke dir meiner Braut drei Dinge. Das Erste hast du eben erhalten. Wenn du in der Zeit einen Sohn gebären wirst, sollst du ihn Aldrian nennen. Hörst du! Aldrian soll er heißen“, betonte Hagen eindringlich.

„Ich will tun, was du sagst“, antwortete Märeth. Dann sah sie ihr Gegenüber nur fragend an; sich nach den anderen Geschenken zu erkundigen verbot ihr der Anstand.

„Des Weiteren erhältst du von mir noch eine Geschichte und einen Schlüssel“, sagte Hagen. „Genauer gesagt: meine Geschichte. Sie ist sowohl für dich, damit du weißt, wer dein Gatte war, als auch für Aldrian, der, falls er geboren werden sollte, seinen Vater nie zu Gesicht bekommen wird. Durch die Saga, die du ihm erzählen sollst, wird er wissen, wessen Blut in ihm fließt – und was er zu rächen hat.“

Er legte sich zurück in die Kissen und halb sitzend, halb liegend, machte er es sich so bequem, wie es ihm seine Wunden und Verbände erlaubten.

Und während draußen die Stadt von den Ereignissen der letzten Tage summte wie ein aufgescheuchter Bienenstock, saßen in der Kammer Hagen und Märeth beisammen. Nur der flackernde Schein des Kaminfeuers warf durch das Fenster einen schmalen Pfad des Lichts in die auf der Rückseite von Didriks Haus ruhig sich ausbreitende Dunkelheit.

Was hier in Susat in den letzten zwei Tagen zum tragischen Höhepunkt gekommen war, das hatte schon etwa vierzig Jahre vorher seinen Anfang genommen, als ein kleiner Knabe von seiner Herkunft erfuhr.

Saat der Rache

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