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Das Gastmahl zu Bern
ОглавлениеEs war früh im Jahreskreis und die Sonne hatte eben erst die letzten Flecken Schnee aus den schattigen Niederungen schmelzen lassen, als ein Bote in die Burg Vernica kam. Rasch begaben sich der Häuptling und sein Truchsess in die Halle, um zu hören, welche Nachricht jener bringen sollte.
Gunter hatte im Hochstuhl Platz genommen und Hagen stand, wie er es sich angewöhnt hatte, zur rechten Hand hinter ihm. Der Bote, von den Wachen eingelassen, trat an den Thron und grüßte ehrerbietig:
„Heil, König Gunter und auch Euch, Hagen von Trovia, entbiete ich den Gruß meines Herrn. Euer Nachbar, König Didrik von Aumlunga, der in Verona residiert, welches wir Bern nennen und den man deshalb auch ‚den Berner‘ nennt, sendet Euch diese Nachricht: Er lädt König Gunter und Hagen von Trovia zu sich, um mit Euch und anderen Gefährten zum Einzug des Frühlings ein großes Fest zu feiern. Dazu bittet er Euch, die Reise zu ihm nicht zu scheuen und zum nächsten Vollmond nach Bern zu kommen.“
Gunter warf einen erfreuten Seitenblick auf Hagen und antwortete:
„Berichtet eurem Herrn, König Didrik, dass wir ihm aufrichtig für die Einladung danken und den Tag unserer Zusammenkunft mit Ungeduld herbeisehnen. Euch selbst sei gedankt für die Übermittlung dieser guten Botschaft. Ihr werdet heute Gast in unserer Burg sein. Esst und trinkt, so viel ihr wollt. Ihr sollt ein bequemes Lager für die Nacht erhalten und morgen meine Antwort nach Bern überbringen.“ Damit entließ er den Boten.
„Das nenne ich eine freudige Nachricht“. Gunter sprang auf, als das Tor der Halle sich hinter dem Kurier geschlossen hatte. „Es ist schon so lange her, dass wir Didrik gesehen haben. Als wir ihn zuletzt trafen, war er noch nicht einmal mannbar, geschweige denn … König. Nennt er sich jetzt tatsächlich König? Oder habe ich mich da verhört?“
„Nein, du hast dich nicht verhört und er hat auch dich König genannt! Soll zuletzt weit verbreitet sein, dass sich die Häuptlinge neuerdings mit ‚König‘ anreden lassen. Aber an die Art, wie man sich standesgemäß unterhalten und Nachrichten zukommen lassen muss, werde ich mich nicht gewöhnen. Früher haben wir uns zugerufen »Komm, reiten wir aus« und jetzt sitzt er auf einem erhöhten Stuhl und es heißt »Er bittet euch, die Reise zu ihm nicht zu scheuen«. Warum können Männer, wenn sie eine gehobene Position eingenommen haben, nicht mehr normal reden“, knurrte Hagen.
„Vielleicht sollte ich mich ab nun auch König rufen lassen, wenn mich Didrik schon so bezeichnet.“ Gunter schien durchaus Gefallen an der bedeutsameren Titulierung zu finden.
„Didrik war immer schon ein wenig überheblich. Sein krankhafter Ehrgeiz niemanden über sich zu dulden, dürfte ihn zu dieser Beförderung seiner selbst verleitet haben“. Hagen konnte sich den sarkastischen Unterton nicht verkneifen.
„Da hast du Recht, aber ich mag ihn dennoch. Wenn er König sein will, wollen wir uns auf die Reise machen und unseren Nachbarn ‚den König‘ besuchen.“
„Ich habe auch nichts gegen diese Fahrt einzuwenden“, gestand Hagen. „Der Winter war lang und finster. Es wird uns guttun, unsere Knochen bei einem schönen Ritt und einem Fest mit Freunden auszulüften.“
Als sie sich auf den Weg machten, schien die Sonne bereits mit der Kraft des Frühlings von einem strahlend blauen Himmel. Da es zwar ein offizieller Besuch, aber einer unter Freunden war, ritten Gunter und Hagen nur mit je einem Diener und einem Waffenknecht, denn die Zeiten waren ausnahmsweise einmal eher ruhig. Sie alle genossen die Schönheit und Kraft der sich vor ihnen entfaltenden Natur und waren guter Laune; sogar Hagen, der für derlei Eindrücke sonst weniger empfänglich war. Gunter nutzte dies aus.
„Hagen, kannst du mir etwas über die Herkunft Didriks erzählen. Wir haben uns zwar schon über die Jahre öfter gesehen und miteinander gespielt und gerungen. Aber wir waren Kinder, da interessiert man sich nicht dafür woher der Spielgefährte kommt. Als Häuptling sollte ich aber, wie ich finde, um die Verhältnisse im Nachbarreich Bescheid wissen. Was weißt du über Didriks Sippe und sein Land?“
„Ein löblicher Vorsatz – aber vergiss nicht, dass du durch Didriks Gnaden jetzt zum König aufgerückt bist.“ Für Hagens Sarkasmus war des Berners Neigung zur Großspurigkeit ein ständiger Quell für ätzende Bemerkungen. Aber es freute ihn, dass sein jüngerer Halbbruder es anerkannte, dass er, der Bastard, den größeren Weitblick hatte. Nicht zuletzt, weil Hagen durch die Unterweisung am Hofe Attalos seinen Horizont stärker erweitern hatte können, als der Häuptlingssohn, der kaum aus Vernica herausgekommen war.
„Die Sippe Didriks sind die Aumlungen. Du solltest sie nicht mit der Ostgotensippe der Amaler, die auch Amelungen genannt werden, verwechseln. Deren augenblicklicher König heißt interessanterweise auch Theoderich, was nur eine andere Form der Aussprache von Didrik ist. Aber die Gelegenheit für peinliche Verwechslungen wirst du nicht haben, denn Didrik kennst du und Theoderich wirst du vermutlich nie kennen lernen – es sei denn, du reist nach Italia. Dort verwaltet er in Ravenna für den Kaiser in Konstantinopel das, was vom weströmischen Reich noch übriggeblieben ist.
Didriks Vater war Thetmar und sein Großvater Samson – beides gewaltige Recken ihrer Zeit. Samson stammte aus Hespanga und war, fast gleichzeitig wie unser Vater Aldrian nach Sonnenaufgang gezogen, um neues Land zu erobern.“ Hagen war es mittlerweile, trotz der seinerzeitigen ausdrücklichen Ablehnung durch den Stiefvater, zur Gewohnheit geworden, sich als ‚Aldrians Sohn‘ zu bezeichnen, selbst gegenüber seiner Verwandtschaft, die ja wohl wusste, dass dies nicht der Wahrheit entsprach.
„Thetmar, Didriks Vater, hatte Bern und Aumlunga geerbt und sein Vaterbruder Ermenrik schließlich Treviri, die Kaiserstadt an der Mosella, die sie auch das zweite Rom nennen. Auch deren Umland eroberte er.
Didrik selbst brauche ich dir nicht vorzustellen. Auch seinen Ehrgeiz, niemanden über sich zu dulden, kennst du. Aber einen hast du bisher kaum wahrgenommen, denn er hält sich immer bescheiden im Hintergrund: Seinen Waffenmeister Hillebrand, den er wie einen Vater liebt.“
„Doch“, entgegnete ihm Gunter, „den kenne ich. Er hat blondgelocktes Haar und ebensolchen Bart und ist von kräftiger Statur. Aber wie du sagst, er steht zurückhaltend hinter Didrik und tut sich nie hervor.“
„Ja, das ist Hillebrand. Und Bescheidenheit ist eine seiner größten Tugenden. Geboren als Sohn des Grafen Ragbald von Venedi ging er im Alter von dreißig Jahren nach Bern, um Didriks Vater Thetmar zu dienen. Didrik, damals sechs Lenze alt, schloss ihn sofort ins Herz und so wurde Hillebrand sein Lehr- und als er mit zwölf Jahren mannbar wurde, sein Waffenmeister. Im Grunde ist er ein sanftmütiger Mann, aber wenn es zum Kampf kommt, nahezu unbezwingbar. Zusätzlich zeichnet ihn ein hoher Sinn für Gerechtigkeit und ein großes Verhandlungsgeschick aus. Und er ist ehrlich und aufrichtig bis zur Unbequemlichkeit. Wenn man einen Mann einen ‚Freund‘ nennen kann, dann ist Hillebrand ein solcher für den Berner. Und jeder sollte Didrik darum beneiden!“
Mit derlei Gesprächen vertrieben sie sich die Zeit bis sie nach Bern kamen. Unter großen Freudenrufen wurden sie dort von Didrik empfangen und der Gastgeber machte seine Gäste untereinander bekannt.
Außer den Niflungen-Brüdern, Gunter und Hagen, hatte Didrik noch zahlreiche andere Gefährten eingeladen, welche er seit seiner Mannbarwerdung, vier Jahre zuvor, als Freunde oder Vasallen gewonnen hatte. Einer dieser Gefährten war Heim, der Suebe. Ein kleiner, vierschrötiger und streitsüchtiger Bursche mit einem jähzornigen Charakter, dessen größte Lust es war, sich im Zweikampf zu messen. Er hatte mehrere Zöpfe in seinen Bart geflochten und ebenso wie seine Haare, welche er nach alter, fast aus der Mode gekommener Suebenart am rechten Scheitel geknotet trug, war dieser von rotblonder Farbe. Seine lebhaften Augen suchten immer die Umgebung ab, ob es etwas zu erleben gäbe. Heims Vater bewirtschaftete ein Waldgestüt in Svava und zog dort die edelsten Pferde, die weit und breit zu haben waren. Eines dieser Rosse gehörte Heim selbst und wurde ‚Rispa‘ gerufen. Und er besaß ein berühmtes Schwert, welches ‚Blutgang‘ hieß. Mit diesem grimmigen Namen machte es dem Beinamen seines Trägers alle Ehre, denn der vierschrötige Suebe wurde auch ‚der Grimme‘ genannt.
Als Heim siebzehn Lenze zählte, hörte er von Didrik, der soeben mannbar geworden war und dessen Ruf damals schon begann über die Lande zu dringen. Er teilte seinem Vater mit, dass er sich mit Didrik messen wolle, und ritt nach Bern. Der Zweikampf ging zu Didriks Gunsten aus und Heim musste ihm den Treueeid schwören. Er war der erste Vasall des Berners. Nachdem er ihm den Schwur geleistet hatte, schenkte Heim König Didrik das Ross ‚Falke‘. Es war der Bruder Rispas und wurde Didriks Ross für viele Jahre.
Noch zahlreiche andere Helden aus dieser Zeit, die sich einen Namen gemacht hatten, waren eingetroffen: Graf Hornboge und sein Sohn Amlung, Sintram und Fasold, Detzlef der Däne und Wildefer.
Ein Recke namens Wideke befand sich ebenfalls unter den Gesellen. Er war der Sohn des weithin berühmten Schmieds Weland. Von seinem Vater hatte er das Schwert ‚Mimung‘ erhalten. Dieser hatte von dessen Lehrmeister Mime eine geheime Technik gelernt, wie man besonders scharfe Klingen schmieden konnte. Und Weland hatte diese Kunst nochmals verbessert. So gab es keine zweite Waffe, wie dieses, denn sie durchdrang jede Brünne, spaltete jeden Helm und machte jeden Schild zu Kleinholz.
Didrik war mächtig stolz auf diese hochkarätige Kampfgemeinschaft. Der Tag der Ankunft der Männer verging wie im Flug mit Geschichten und Gelächter und manche Freundschaft wurde besiegelt. Als die Sonne sich dem Horizont näherte, klatschte Didrik in die Hände:
„Freunde! Auf in die Halle! Was die Keller und Vorratskammern von Bern hergeben, wird heute aufgetragen. Esst und trinkt, so viel ihr wollt und könnt. Aber wenn euer Bauch zu platzen droht und ihr Raum für mehr schaffen wollt, dann tut das bitte nicht in der Halle, sondern übergebt euch hinter dem Haus. Jetzt kommt und lasst uns feiern!“
Tatsächlich hatte der junge König nicht übertrieben und die Tische bogen sich unter dem Gewicht der vollen Schüsseln, Platten und Krüge, die auf ihnen standen. Es war offensichtlich ein Ausdruck seiner Großspurigkeit, dass man mit der Menge drei- oder sogar fünfmal so viele Menschen mehr als satt bekommen hätte. Niemals könnten die Anwesenden das alles allein bewältigen. Die Sklaven und Diener würden am späteren Abend ebenfalls zu einem üppigen Festschmaus kommen, wenn sie die Reste abservierten.
Als sie schon eine Weile zusammengesessen und sich an Speis und Trank reichlich gelabt hatten, ließ sich Didrik eine große Trinkschale gefüllt mit dem besten Wein, den seine Burg hergab, bringen. Die Schale in der Hand stand er auf und rief:
„Freunde! Ich trinke auf euch und diese meine Kämpferschar. Auf dass der Friede in unserer Gemeinschaft immer währt.“
Daraufhin erhoben sie sich alle. Didrik nahm einen Schluck und reichte das Gefäß weiter an Hillebrand. Auch der nahm einen kräftigen Zug, nachdem er mit dem Ruf
„Auf Heil und Frieden!“, die Schale zum Gruß hebend, der Runde seine Ehrenbezeichnung erwiesen hatte. Das Schwurtrinken setzte sich fort, bis der letzte der Gemeinschaft eingeschworen und der Kelch wieder beim Berner gelandet war. Alle Anwesenden waren sich der Größe des Augenblickes bewusst – als eine im wahrsten Sinn des Wortes verschworene Schar, war ab nun jeder dem anderen auf Leben und Tod verpflichtet.
Didrik, dem der Wein schon etwas zu Kopf gestiegen war, setzte das Loblied auf sich selbst, nachdem die Trinkschale die Runde gegangen war, fort:
„Wir sind wohl die weithin einzige unbesiegbare Kampfgemeinschaft, von der ich weiß. Ich denke, keiner, der nur ein bisschen Verstand hat, würde es wagen, uns zum Kampf zu fordern.“ Beifälliges Murmeln von den jungen Männern vergewisserte ihn des Umstandes, dass sie das ebenso einschätzten.
Jetzt sah sich Hillebrand aber doch in der Pflicht, das hochfliegende Eigenlob seines Königs etwas zu bremsen:
„Ich weiß von einem Häuptling, Isung mit Namen, der wohnt viele Tagesreisen nach Mitternacht in einem Land, welches Bertanga genannt wird. Dieser hat elf Söhne und sie sind noch nie besiegt worden. Seit einigen Monden wird Isungs Kampfgemeinschaft noch verstärkt durch einen nahezu unbesiegbaren Helden, der Sigfrid heißt. Es geht das Gerücht, er habe einen Drachen getötet und sei unverwundbar. Der ist jetzt deren Bannerträger. Du siehst, mein König, es gibt deiner durchaus ebenbürtige Heldenrunden und es mindert nicht deine Ehre dies anzuerkennen.“
Didrik gefiel diese Art der Zurechtweisung gar nicht. Während er jedoch noch überlegte, wie er Hillebrand auf die Ungebührlichkeit seiner Wortwahl hinweisen sollte, ohne es dem Älteren gegenüber an Respekt fehlen zu lassen, hob Heim der Suebe den Kopf aus seinem Bierhumpen und murrte, mit auch schon recht schwerer Zunge:
„Isung und seine Söhne kenne ich nicht, aber Sigfrid ist mir vor Jahren über den Weg gelaufen. Eine gereizte Viper war ein Kinderspielzeug gegen diesen Knaben. Dabei war er damals gerade in dem Alter, in dem unsereins mannbar wird.“
„Du willst doch nicht sagen, dass du dich vor einem Knaben gefürchtet hast“, neckte ihn Wideke.
Ohne die Frage zu beantworten redete der Grimme in seinen Bierkrug starrend weiter, wie um etwas loszuwerden:
„Ich lebte damals, das ist schon einige Winter her, auf dem Gestüt Seegard meiner Base Brunhild. Sie ist die Tochter des ehemaligen Häuptlings von Svava, und mein Vater war nach dem Tod ihrer Eltern als ihr Mutterbruder ihr Vormund. Ihre Leidenschaft ist die Pferdezucht und die Tiere aus Seegard sind weit über die Grenzen ihres Landes berühmt. Ich reite selbst ein Pferd aus diesem Gestüt und König Didrik auch.“
Heim nahm einen Schluck aus seinem Krug und fuhr fort:
„Eines Tages kam wie aus dem Nichts ein Knabe vor die Tore des Hofes. Er machte einen fast lächerlichen Eindruck, denn er trug ein Kettenhemd, das ihm noch deutlich zu groß war. Es war ihm auch sichtlich warm von der Schlepperei und mit knallrotem Kopf und verschwitztem Haar begehrte er eher unwirsch Einlass und wollte die Herrin sprechen. Die Torwachen, zugegeben nur dazu eingesetzte Stallknechte und keine Kämpen, erheiterten sich über den komischen Knaben und gaben ihm den Rat, er solle sich davonmachen. Während noch der eine mit dem anderen über den Burschen lachte, verfinsterte sich dessen Miene und er wurde noch röter, als er schon war. Und plötzlich legte er los in einer derartigen Raserei, dass die beiden Wachen zwar noch einen Warnruf ausstoßen konnten, aber zu einer effektiven Gegenwehr gar nicht mehr kamen. Zuerst stieß er dem einen mit der Schildkante gegen die Gurgel. Um den zweiten lief er herum und hieb ihm mit der Spatha von hinten auf die Unterschenkel, sodass dieser, seiner Sehnen beraubt, vor ihm auf die Knie fiel. Abermals vor dem ersten angelangt rammte er ihm, welcher sich röchelnd den Hals hielt, die Schwertspitze in den Mund, dass sie zum Nacken wieder hinausfuhr. Noch während der Körper leblos zusammensackte, setzte er den Fuß auf dessen Brust und zog das Schwert heraus. Die Zähne des Unglückseligen erzeugten auf der Klinge ein weithin hörbares hässliches Kreischen. Zuletzt flog die Schneide dem auf den Knien liegenden Wächter an den Hals, dass sein Geschrei augenblicklich verstummte, als der Kopf fast abgetrennt zur Seite kippte.
Durch den Lärm alarmiert kamen weitere fünf Knechte gelaufen. Aber als der tobende Eindringling den Hof durchschritten hatte, stand keiner mehr von ihnen. In diesem Moment trat die junge Herrin aus dem Haus, aufrecht und furchtlos, wie sie sich auch den Hengsten gegenüber immer zeigte. Sie fragte ihn nach seinem Begehr und wisst ihr, was der Knabe antwortete…?“ Hier machte Heim eine Kunstpause – er tat dies gerne, um die Zuhörerschaft neuerlich in seinen Bann zu ziehen. Das aber war bei dieser Geschichte nicht notwendig, denn die ganze Tafelrunde hing dem Sueben voll Interesse und Aufmerksamkeit an den Lippen.
„»Ich bin Sigfrid, Mimes Sohn, und hole das Pferd Grane, das mein Vater mir versprach«, sagte er! Ein Pferd! Sieben zumindest kampfunfähige Männer für einen Gaul! Er hätte ja auch ein zweites Mal fragen können. Aber nein, lieber schlägt er sieben zur Hel, als noch einmal den Mund aufzutun.“ Nach einem neuerlichen Schluck aus dem Krug fuhr Heim fort:
„Brunhild entgegnete ihm: »Wenn du den Hengst Grane fangen kannst, gehört er dir«. Dieser war nämlich unter den Pferden ein ebensolcher Tollkopf wie Sigfrid. Sie rief mich und befahl mir, das Tier in die Koppel zu führen. Das war leichter gesagt als getan; Grane ließ sich nicht führen, geschweige denn reiten. So trieben wir zu sechst das Ross in den Pferch. Dann kam der Junge hinzu, der zwischenzeitlich ruhig und fast freundschaftlich mit der Herrin geredet hatte. Er setzte sich auf die Umzäunung und sah das Tier nur an. Zunächst tänzelte Grane nervös, beruhigte sich aber zusehends. Nur seine Ohren bewegten sich in alle Richtungen. Der Junge stieg sodann in die Koppel und ging, ständig leise murmelnd, langsam auf das Tier zu. Wieder schnaubte Grane angespannt und begann neuerlich zu tänzeln, aber da war Sigfrid schon bei ihm und legte behutsam dem Hengst die Hand auf die Nüstern. Immer noch beruhigend auf ihn einredend streichelte er ihm den Kopf, kraulte ihm die Mähne und tätschelte dem Tier Hals und Flanken. Alsdann legte er seine Hand auf Granes Widerrist und begann vorwärtszugehen und … das Pferd ging mit ihm! Was soll ich euch sagen, Gefährten? Es dauerte kaum länger, als ich euch davon erzählt habe, und der Knabe saß auf dem Rücken des Rosses, das niemand jemals geritten hatte. Und das ohne Zaumzeug und Sattel. Das machte sogar in Seegard Eindruck und die verstehen dort etwas von Pferden!“
„Nach dieser Darbietung ritt er fort“, ergänzte Heim seine Schilderung, „aber er kam noch oft vorbei, denn er und Brunhild wurden gute Freunde. Sie erzählte mir eines Tages auch die Geschichte seiner Abstammung und was ihn an diesem Tag nach Seegard geführt hatte.“
„Erzähl sie uns“ – „Los mach den Mund auf“ – „Lass dich nicht so lange bitten“; alle waren gespannt auf die Fortführung der Schilderung Heims.