Читать книгу Going Underground - Martin Murpott - Страница 10

8

Оглавление

Konträr zu Roberts ersten Eindrücken gab es durchaus eine nicht unbeachtliche Anzahl an herkömmlichen Straßenbahnen, in die man ganz normal einstieg, um dann beim Fahrer Fahrscheine zu kaufen. Der Fahrer von Linie 666-4 war, so wie die Straßenbahnzieher in der Herrengasse, ganz in schwarz gekleidet. Die freien Hautpartien hatte er mit schwarzer Farbe bemalt. Esther legte zwei Kronen hin und ließ sich dafür zwei Tickets geben.

>>Ich muss schon sagen, interessante Dienstuniform. Was hat es damit auf sich?<<>>Die Öffentlichen hier befinden sich in hundertprozentigem Besitz des AMS, deswegen bekommen sie auch von dort ihr Personal zugewiesen.<<

>>Im Besitz des Arbeitsmarktservices?<<

>>Da kennt sich wohl wer mit Abkürzungen aus<<, sagte Esther und zwinkerte Robert zu. >>Wenn man selbst keinen Job findet, bleibt einem auch hier der Gang zum Arbeitsamt nicht erspart. Der hiesige Langzeitchef hat ein Faible für ironisch-komische Arbeitsmarktpolitik, deswegen vermittelt er in den Nahverkehr hauptsächlich ehemalige Schwarzfahrer und verpasst ihnen einen lächerlichen Aufzug. Früher mussten die Angestellten auch noch gekräuselte Schwarzhaarperücken tragen, aber die Liga der toten Grazer Austroafrikaner empfand das als äußerst rassistisch.<<

>>Und warum wurde die eine Bim in der Herrengasse gezogen?<<

>>Nennen wir es Strafdienst. Gewisse Bedienstete nehmen es mit der richtigen Behandlung von Fahrgästen nicht ganz so genau.<<Die Bim der Linie 666-4 setzte sich in Bewegung. Ursprünglich fuhr nach Graz-Lend keine Straßenbahnlinie, aber im Jenseits war die Streckenführung scheinbar erweitert worden. Die Straßenbahn fuhr von der Herrengasse in Richtung Schloßbergplatz, dann noch einmal zehn Stationen weiter, bis sie schließlich bei der Keplerbrücke nach links einbog, um über die Mur zum Lendplatz zu rattern. Desto weiter sich die Straßenbahn von der Herrengasse und dem am Anfang selbiger gelegenen Hauptplatz entfernte, umso ansehnlicher wurden die zum Teil zwanzigstöckigen Gebäude - auch wenn diese abseits der Innenstadt immer noch nicht unbedingt als das zu bezeichnen waren, was unter die Kategorie "schöner Wohnen" fiel. Für die Innenstadt Rund um den Hauptplatz, den Jakominiplatz, aber auch dem Glockenspielplatz galt das Verbot von Autos und Kutschen. Spätestens jedoch auf Höhe des Schloßbergplatzes tauchte man in ein Geschwür von allen möglichen Privatfahrzeugen ein, welches so ziemlich alles zu bieten hatte, was in den letzten 200 Jahren zur Fortbewegung genutzt wurde. Ampeln gab es nicht, es herrschte das Recht des stärkeren Verkehrsteilnehmers. Dies begünstigte die Straßenbahn enorm, ließ jedoch Radfahrer, Kleinwägen, einachsige Kutschen oder Mopedautos extrem ins Hintertreffen geraten. Offiziell nannte die Stadt dieses Konzept "Sozialdarwinistisches Verkehrsmanagement", im Volksmund wurde der herrschende Zustand jedoch gemeinhin als "Drecksverkehrschaos" bezeichnet.

Inzwischen ging es nur mehr äußerst schleppend voran. Dass die nicht unwesentlich dafür verantwortlichen Kutschen auch im Jenseits von stinknormalen und handelsüblichen Nutztieren gezogen wurden, war genaugenommen zwar nicht weiter verwunderlich, warf bei Robert aber trotzdem neue Fragen auf.

>>Glauben Pferde leicht auch an ein Leben danach?<<

>>So ziemlich alle Viecher, die eine Art Selbstbewusstsein haben, enden hier halt im Regelfall wieder als das, was sie schon im Diesseits waren - nämlich als Nutztiere. Das hat den Vorteil, dass man auch hier ab und zu eine brauchbare Schnitzelsemmel bekommt.<<

>>Das ist doch total beschissenen. Ich meine, da verbringt man sein schweinisches Leben in irgendeiner Nutztierzucht und landet dann im Jenseits gleich noch einmal im Frittierfett. Weißt du, ich frage mich, wo denn da die Sterbegerechtigkeit ist?<<

Esther musste lachen. >>Sterbegerechtigkeit ist gut, nur ist der Tod nun einmal nicht fair. Aber prinzipiell hast du recht.<<Robert erfuhr, dass die Allmächtige scheinbar so eine Art amorphe Verbindung zwischen Leben, Tod, Imagen und universellem Ausgleich darstellte. Die wenigsten bekamen sie je zu Gesicht, und die es taten, konnten sie danach auch nicht wirklich beschreiben. Obwohl sie sich dezent im Hintergrund hielt und relativ selten in die Belange der Gestorbenen sowie Lebenden eingriff, erfüllte sie zumindest die meisten jener Vorstellungen, welche die Menschheit an einen personifizierten Gott hatte. Die Allmächtige war in ihrer unglaublichen Weisheit der Meinung, dass sich die Menschen auch im Reich der Toten im Wesentlichen um sich selbst kümmern konnten. Wenn es nicht um eklatante Regelverletzungen ging, fügte sich ohnehin alles irgendwie zusammen. Was das Ableben von Nutztieren betraf, griff sie insoweit ein, als dass diese wiedergeboren wurden, sobald sie im Jenseits erneut geschlachtet wurden. >>Kühe zum Beispiel<<, fügte Esther an, >>werden hier genauso zu Steak verarbeitet wie anderswo. Allerdings kommen sie danach in Indien wieder auf die Welt, wo sie ungeniert auf die Straße scheißen dürfen, und dafür noch angebetet werden.<<

Die Bim hatte inzwischen die Mur überquert. Diese war hier kein Fluss mehr, sondern glich viel eher einem Strom in Breite des Nils oder anderer adäquater Gewässer. Danach legte die Straßenbahn noch einen knappen Kilometer auf gerader Spur zurück und hielt schließlich an der Station Dead Lend, die am etwas überdimensionierten Grazer Lendplatz gelegen war. Esther zog Robert an der Lederjacke.

>>Wir müssen hier raus, die Wache liegt gleich auf der anderen Straßenseite.<< Esther drängte sich aus dem gut gefüllten Wagon ins Freie und überquerte wie ein Feldhase auf der Flucht im Zickzack die fünfspurige Straße, um sich an den quer in der Gegend stehenden und im Stau steckenden Fahrzeugen vorbei zu bewegen. Robert blickte kurz nach links, wollte es ihr gleich tun und wäre fast von einem rechtskommenden Puch 500, Baujahr 1957, angefahren worden. Letztendlich schaffte er es aber doch, ohne Verletzungen zu Esther aufzuschließen.

>>Scheiße, hier war doch immer nur eine Fahrtrichtung!<<

"Hier" war natürlich noch nie bloß Verkehr in eine Fahrtrichtung gewesen, aber Robert hatte immer noch Probleme damit zu akzeptieren, dass im toten Graz die Uhren etwas anders liefen, als im lebendigen. Im Falle der Uhren war das sogar durchaus wörtlich zu verstehen, da sich die Zeiger der Uhren im toten Graz nach links drehten. Allerding war das nicht immer so gewesen, sondern ging auf den sogenannten Uhrenerlass des legendären Grazer Leibhaftigen Hannes "Henker" Henlein von 1847 zurück. Aufgrund seines Akzeptanzproblems war Robert auch nicht unerstaunt darüber, dass er zwar einen durchwegs orientalisch geprägten Lendplatz vorfand, sowohl was den Baustill der Gebäude, wie auch den Kleidungsstil vieler Passanten betraf, er aber trotzdem keinen einzigen Kebab-Laden erblicken konnte. Esther, die scheinbar seine Gedanken zu lesen vermochte, gab bereitwillig Auskunft. >>Effes und Döner wirst du nur selten wo zu Gesicht und in weiterer Folge in den Magen bekommen. Liegt wohl daran, dass die meisten türkischen und kurdischen Kleinunternehmer eine recht hohe Lebenserwartung haben, aber ich schätze mal in spätestens fünf bis zehn Jahren dürften auch hier die ersten Geschäfte aufmachen.<<

Inmitten der ganzen in hellen Rot- und Gelbtönen gehaltenen Reihenbauten mit ihren Türmchen und Kuppeln, die optisch eine große Affinität zu arabischen Moscheen aufwiesen, stach ein im Gegensatz dazu schlicht gehaltener grauer Steinziegelklotz besonders hervor. Er war nicht viel breiter als das hölzerne Doppeltor, das als Eingang diente. Über dem Tor prangte ein steinernes Wappenschild, das bereits kleine Risse aufwies. Es zeigte zwei gekreuzte Schlagstöcke, die von dem in altdeutscher Schrift gehaltenem Wort "Polizei-Wachkorps" geschmückt wurden. >>Dann lass uns mal reingehen<<, sagte Esther und öffnete eine kleinere, in das Holztor eingelassene und mit Metall beschlagene Türe.

Going Underground

Подняться наверх