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Die abgeschminkte Schriftstellerin

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Sie läutete eines Tages an unserer Wohnungstür in Küsnacht. Meine Frau öffnete ihr. Wir hatten sie erwartet. Sie hielt meine Gattin für das Dienstmädchen. Als sie erkannte, dass sie sich getäuscht hatte, errötete sie über das ganze Gesicht und entschuldigte sich.

Hedy W. Dühring hatte mir ein Manuskript geschickt, das mir sehr gefiel. Ich war bereit, es in meinem kleinen Eirene-Verlag zu veröffentlichen. Sie war glücklich und nahm meine Einladung zu einem Mittsagessen und zur Besprechung und Unterzeichnung des Verlagsvertrags bei mir zu Hause an.

Sie war eine vollschlanke Dame. Ich hatte sie mir eigentlich anders vorgestellt. Aus der Stimme am Telefon und die Art, wie sie sprach, hatte ich auf eine etwas extravagante Frau geschlossen mit triefend geschminkten Lippen und kräftigen Lidschatten, mit knallroten Fingernägeln, einem tief dekolletierten Kleid, mit goldenen Ketten um Hals und Armgelenke und auffälligen Ringen an den Fingern. Doch nichts von alledem. Sie trug einen hoch geschlossenen Rock, der ihr bis unter die Knie reichte. Ihr Gesicht aber war nicht nur nicht geschminkt, bei näherem Zusehen sah es eher aus wie abgeschminkt. Reste von rotem Lack hafteten noch an ihren Fingernägeln. Sie hatte gewusst, dass ich neben meinem eigenen kleinen Verlag auch noch den Verlag leitete, in dem die Werke des berühmten Theologen Karl Barth herauskamen. Auf Grund dieses Umstandes habe sie erwartet, einem alten, verknöcherten, frommen Verleger gegenüberzutreten, den sie keines falls durch ihr Auftreten habe schockieren wollen. Es habe sie schon erstaunt, dass ich in einem Wohnblock wohne und nicht in einem großen Haus mit mindestens einem Dienstmädchen. Dass sie in mir einem jungen Verleger begegnete – ich war damals achtundzwanzig Jahre alt und meine Frau sechs Jahre jünger –, versetzte sie zuerst in ein großes Erstaunen, das schließlich, als ich ihr andeutete, dass ich an ihr all das erwartet hätte, was sie aus Angst vor meinem Missfallen abgelegt hatte, in ein allseitig lautes Gelächter überging. Ich glaube, ich habe mit keinem anderen Autor je einen so lustigen und fröhlichen Tag verbracht.

Nachdem nun alle Missverständnisse aufgeklärt und beseitigt waren, wunderte es uns nicht mehr, dass sie meine junge Frau für das Dienstmädchen gehalten hatte, wofür sie sich nochmals entschuldigte.

Wir sind uns später nie mehr begegnet. In der Erinnerung aber lebt sie nicht als jene abgetakelte Frau weiter, wie sie uns damals erschienen war, sondern als die leicht übertrieben aufgeputzte Dame, die ich erwartet hatte und die sie, wie sie selber zugab, auch war.

Das Buch kam unter dem Titel „Matschuba“ und dem Untertitel „Ein arabisches Mädchen“ heraus, mit zarten Federzeichnungen von Hanny Fries illustriert. Die Kritik nahm es gut auf, außer dem einen Kritiker, der es nur flüchtige gelesen haben dürfte, denn die Geschichte, so schrieb er, sei für ein Märchen, denn als solches weise es der Untertitel aus, was er überhaupt nicht verstehen könne, doch allzu realistisch.

Die Großen und die Kleinen

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