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Fringeli, der Adonis

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Diesmal war es Frau Knopf, die mir aus der Verlegenheit helfen konnte. Unser Budget für Stelleninserate war schon längst überschritten. Das wusste auch Frau Knopf, weshalb sie sich selbst auf die Suche nach einem Packer und sich dadurch bleibende Verdienste um das Fortbestehen unseres Verlagsunternehmens machte.

Es war ein strahlender Sommermorgen, der trotz dem schattenspendenden Laub vor den Fenstern unseres Gärtnerhäuschens heiß, sehr heiß zu werden versprach. Als ich zur Arbeit kam – ich musste, um in mein Zimmer im oberen Stockwerk zu gelangen, durch das Büro von Frau Knopf –, saß auf ihrem Tisch mit untergezogenen Beinen eine schlanke Jünglingsgestalt mit lockigem, Haar und schwarzen Backenbärtchen, einem Halbgott der griechischen Sagenwelt an Ausdruck und Haltung nach unähnlich. Frau Knopf eilte auf mich zu, kaum dass sie die Tür sich öffnen sah, bereit, mich aufzufangen, falls das göttliche Bild mich derart in Verzückung versetzen sollte, dass ich vom Anblick überwältigt, zu taumeln beginnen würde. Das Götterbild lächelte mich kindlich unschuldig an, doch, obwohl sein Blick etwas naiv Umwerfendes an sich hatte, blieb ich aufrecht stehen.

„Darf ich Ihnen vorstellen? Herr Fringeli.“

Adonis Fringeli sprang leichten Fußes von seinem Götterthron herab, wechselte die Zigarette von der rechten in die linke Hand und streckte mir seine Nikotinfinger hin

„Herr Fringeli ist unser neuer Packer, falls Sei nichts dagegen haben.“

Nach den Erfahrungen, die ich bereits gemacht hatte, konnte ich nichts dagegen einwenden.

„Herr Fringeli wird allerdings nur aushilfsweise, bis wir einen anderen Packer gefunden haben…“, beeilte sich Frau Knopf, mir schonend beizubringen.

Also musste die Suche doch wieder anfangen.

„Herr Fringeli ist nämlich Fotograf.“

„Freischaffender Fotograf“, präzisierte der vom Olymp Herabgestiegene, um mir auf unaufdringliche Weise kund zu tun, warum er die freie Zeit aufbringe, sich ausnahms-, und aushilfsweise in diesem für ihn ungewohnten Métier umzusehen.

„Ich habe mir gedacht, dass Herr Fringeli stundenweise bei uns arbeitet und entsprechend bezahlt wird. Auf diese Weise kommt er uns trotz seinen künstlerischen Begabung nicht teurer als ein voll angestellter gewöhnlicher Packer.“

„Sie verstehen: Ich bin natürlich nicht Packer. Aber entgegenkommenderweise bin ich bereit, unter den für Fotografen üblichen Ansätzen zu arbeiten. Aus Freundschaft sozusagen, nicht wahr, Meli.“

Und Melanie Knopf nickte ihrem Schützling in zustimmendem Sinne zu. So war ich also der Sorge um einen neuen Packer vorläufig enthoben. Frau Knopf ebenfalls. Und zu ihrer Ehre muss gesagt sein, dass sie sich nie scheute, selber im Packraum Hand anzulegen und den Leiterwagen zum Bahnhof zu ziehen, wenn der leichtfüßige Jüngling mit seiner Fotoausrüstung um den Hals seiner ureigenen Betätigung nachging.

Sein größtes Verdienst erwarb sich der unwiderstehliche Glücksvogel aber dadurch, dass er das Fenster des Packraum und damit uns und unseren Lesern den unvergesslichen Blick zur Villa und ihrem herrlichen Garten öffnete.

Die Sonne stieg höher und höher, und da schon die Tage zuvor recht heiß gewesen waren und die Nächte nur wenig abgekühlt hatten, war es an diesem außergewöhnlichen Tag selbst im Schatten der Bäume und hinter den Mauern und kleinen Fenstern unseres Häuschens drückend heiß.

In der guten alten Zeit, als man es sich noch leisten konnte, einen eigenen Gärtner zu halten, hatte das kleine Haus zur Beherbergung des Privatgärtners und seiner Familie gedient. Ob schon der Gärtner die Fenster mit undurchsichtigen Vorhängen versperren musste, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich auf jeden Fall war sofort nach meinem Eintritt in die Firma von Frau Knopf auf höheres Geheiß darauf aufmerksam gemacht worden, dass keine Rosen abgebrochen oder abgeschnitten werden dürften, nicht einmal von den Heckenrosen, die zum Toilettenfenster hereinwuchsen, und dass unter gar keinen Umständen ein Fenster gegen den herrschaftlichen Garten hin geöffnet werden dürfe. Herr Fringeli wurde selbstverständlich von Frau Knopf ebenso rasch und gründlich und zudem sicherheitshalber noch von mir persönlich instruiert.

Nun hatte aber der Packraum zwei unterschiedlich zu behandelnde Fensterchen; eines gegen Süden, das zur Not noch geöffnete werden durfte, außer an ganz heißen Tagen, wenn die Hausherrin im Schatten der Trauerweiden Kühle und Erholung suchte. Stand also schon am Morgen der Liegestuhl zwischen Rhododendren und Trauerweiden, dann musste das Fenster unter allen umständen geschlossen bleiben, damit weder der Auftritt noch der Abgang der Kühlung suchenden Dame beobachtet werden konnte. Das Fenster gegen Westen zu öffnen jedoch war selbst bei tropischer Hitze unter keinen, aber auch wirklich ausnahmslos keinen Umständen gestattet.

An diesem hochsommerlichen Tag, da die Luft vor den Fenstern schon am Morgen zitterte, stand der Liegestuhl bereits auf dem Rasen, als wir zur Arbeit kamen. Natürlich musste das Fenster einen Spalt breit geöffnet werden, damit man dies überhaupt sehen konnte. Obwohl der Liegestuhl nicht besetzt war, musste ihm wie weiland dem Gesslerhut zu Altdorf Reverenz erwiesen werden, sozusagen in entgegengesetzter Weise, dadurch nämlich, dass er nicht beachtet wurde. Wurde er nicht beachtet, so war dies der Beweis dafür, dass er rechtzeitig eben doch gebührend beachtet worden war.

Unser Musensohn muss sich an diesem Morgen in über-mutigem Vertrauen des Goethewortes erinnert haben: „Alles geben die Götter, die unendlichen, ihren Lieblingen ganz.“ Aber Lieblinge der Götter brauchen Luft zum Atmen. Selbst himmlische Wesen, lassen sich nicht in einen engen, dunklen Raum einsperren. Fotografen haben zudem ein ganz besonderes Auge für malerische Sujets. Als der junge Held, die Gebote souverän verachtend, das kleine Flügelchen im Fenster – und an welchem Fenster gar? An jenem gen Westen nämlich, das unter allen Umständen tabu war – öffnete, bot sich seinem Blick eine zauberhafte Welt dar. Im Rahmen des Fensters erschien ein Bild von unbeschreiblicher Schönheit. Die Zweige der Rosensträucher, die an der Wand unseres Häuschens emporrankten, brachen die harten Konturen des Fensterkreuzes, und zwei, drei zartrosafarbene, voll aufgebrochene Rosen bildeten den lieblichen Vordergrund. Rechts zogen sich die Perspektiven einer Laube hin, die das Gärtnerhäuschen und die Villa verband. Vor der Laube breitete sich der grüne, ebene Teppich des gepflegten Rasens aus. Die Bäume standen hier nicht so dicht. Von den Stämmen rückte keiner bis ins Blickfeld hinein. Nur die Schatten und die oben ins Bild hereinhängenden Äste deuteten auf altehrwürdige Koniferen hin. Den Hintergrund bildete die bis dahin von keinem fremden Auge entweihte jungfräuliche Fassade der alten Villa. Eine Tür zum Garten stand weit offen. Tür und Fenster aber waren ausgefüllt von schwarzen, für menschliche Blicke undurchdringlichen Schatten. Vor der Fassade, im Winkel zwischen Villa und Laube, waren ein großer Gartentisch und Stühle aufgeschlagen. Ein dienstbarer Geist hatte den Tisch mit Tellern und Gläsern bedeckt. Von einem Ast über dem Sitzplatz hing ein Seil herunter, das irgendwo im Geäst befestigt sein musste. Als ob alles für eine Henkersmahlzeit bereit wäre. Dazu aber passte der friedliche Rahmen nicht.

Nun kann aber auch das Auge eines Fotografen nicht unendlich lange im Sucher seiner wenn auch nur imaginären Spiegelreflexkamera verweilen. Der Ausschnitt war gut, die Idylle vollkommen. Das Bild hatte sich, über die Netzhaut, tief in die Seele eingeprägt. Die Arbeit am Packtisch konnte weitergehen. Plötzlich schreckte ein silberhelles Glöckchen, wie es auf den Alpweiden die Ziegen um den Hals tragen, unser fröhlich vor sich hin pfeifendes Sonntagskind von der Arbeit auf. Mit einem Satz sprang Fringeli ans Fenster. Die Szenerie hatte sich geändert. Zwei Stühle waren besetzt. Rechts vom Tisch saß Herr Direktor Ledergerber; links unter dem Seil, das noch ein wenig hin und her baumelte, saß steif und aufrecht die hagere Gestalt der Frau Gemahlin. Aus der Tür trat soeben ein dienstbarer Geist in den Garten heraus und trug auf einem großen Tablett zwei auf diese Distanz nicht zu definierende Früchte. Nach einem flüchtigen Blick kehrte Adonis an den Bindfadenabroller zurück, um das angefangene Paket zu schnüren. Aber wiederum rief ihn ein nervöses Gebimmel ans Guckloch zurück. Die Früchte waren verschwunden. Die unscheinbar dienende Fee brachte auf dem Tablett eine Karaffe und eine Schüssel. Beim dritten Bimmeln wurde wahrscheinlich Käse herausgetragen, und nach dem vierten, energischen Läuten wurde abserviert. Und dann war der ganze Spuk vorüber.

Auch für uns war jetzt Mittagszeit. Hochsommerliche, beinahe sonntägliche Mittagsruhe hatte sich über dem vereinsamten Gartenplatz ausgebreitet und war wie eine Katze lautlos in die hintersten schattigen Ecken gekrochen. Das Gärtnerhäuschen stand verlassen im Mittag. Erst nach zwei Uhr, als Frau Knopf die Tür wieder aufschloss und eintrat, gingt ein angenehmer Luftzug durch den Korridor und den Packraum und schmetterte den Fensterflügel mit einem lauten Knall zu. Die sich unbeobachtet wähnende Dame auf dem Liegestuhl im Schatten der Weiden fuhr aus ihren Träumen hoch, blickte zum Gärtnerhäuschen und trat prüfend näher. Als sie nichts Verdächtiges entdecken konnte, trat sie auf die Zehenspitzen und versuchte das Fenster auf der Südseite aufzustoßen. Es blieb zu. Also musste der laute Schlag von der Westseite gekommen sein. Sie ging um die Ecke und versuchte es beim anderen Fenster. Nun aber war gerade unter diesem Fenster ein ummauertes Loch, durch das ein wenig Licht in den Keller eindringen konnte. Die Dame musste sich also über das Loch hinüberneigen. Der ganze Fensterflügel, auf den ihre rechte Hand zustrebte, bestand aus sechs Teilen. Als ihre Hand auf der Scheibe Mitte rechts auftrat, gab diese nasch, und obwohl die kluge Frau Direktor in ihrer schrecklichen Ahnung darauf vorbereitet war, verlor sie das Gleichgewicht, so dass sie mit der linken Hand rasch eine Abstützung an der Wand suchen musste. Die Wand, auf die sie stieß, war aber nicht die Wand, sondern die Fensterscheibe unten links, die zum Glück nicht sogleich zersprang, sondern sich ganz aus ihrer Fassung löste und erst auf dem Packtisch klirrend in Stücke ging. Nochmals aus dem schon wieder beinahe zurückgewonnenen Gleichgewicht geworfen, blieb der verzweifelt nach Halt suchenden Dame nichts anderes übrig, als ihr Knie hochzuziehen und es gegen die raue Wand zu stemmen. In dieser beschämenden Stellung musste die Bedauernswerte einige bange Augenblicke verweilen, bis sie die rechte Hand aus dem Quadrat Mitte rechts, die linke Hand vom Quadrat unten links zurückgezogen hatte und sich mit einigem Gegendruck wieder in die Senkrechte zurückstoßen konnte. Der Verputz aber hatte kleine rote Pünktchen in ihre Handflächen und vor allem auf ihre zarte Kniescheibe gedrückt, die zu betrachten ich drei Minuten später Gelegenheit bekam; denn wer glaubt, die Gedemütigte hätte zugleich mit ihrer aufgerichteten Stellung auch Haltung und Gleichgewicht zurückgekommen, der täuscht sich. Den kaum mehr spürbaren Schmerz, nicht aber den Zorn verbeißend, kurvte sie um das Häuschen herum, schloss das Gartentor auf, blieb beinahe an der Deichsel unseres Leiterwagens hängen und stürzte sich, ohne erst zu läuten, in unseren Packraum. Dort standen bereits unser Fotograf, Frau Knopf und ich, die wir dem Geklirr der Fensterscheibe nachgegangen waren. Der strahlende Apoll warf all seinen Charme in die Waagschale, um den glühenden Zorn zu besänftigen, der da personifiziert in der Mitte unseres Packraums stand und behauptete, es sei im Mietvertrag festgelegt, dass dieses Fenster zu allen Jahreszeiten geschlossen zu bleiben habe. Nur die überzeugende Beteuerung, der verantwortungslose Packer sei erst seit ein paar Stunden in unserm Dienst und unsere Aufklärung habe versehentlich noch nicht eingesetzt, rettete uns vor der Kündigung. Ich schaffte unverzüglich den Mietvertrag herbei, und der Umstand, dass das Fenster im Mietvertrag überhaupt nicht erwähnt war und die von uns nochmals leidenschaftlich erwähnte, sich bei der Frau Direktor zu beruhigenden Gewissheit verdichtende Tatsache, dass der Jüngling wirklich unschuldig sei, da er seit heute Vormittag in unsern Diensten stehe und das Fenster demzufolge in den letzten fünfundzwanzig Jahren nie geöffnet worden sei und auch in den nächsten fünfundzwanzig Jahren ganz sicher nie mehr geöffnet werde, hielten die kaum zu Besänftigende davon ab, von uns die fristlose Entlassung des ruchlosen Voyeurs zu verlangen. Frau Knopf hatte inzwischen die Hausapotheke aus einer Schublade ihres Pultes hervorgeholt, um das *blutüberströmte, starrkrampfverdächtige“ Knie zu behandeln. Aber die tapfere Dame wies unsere unsachgemäße Hilfe ab und verlangte stattdessen, das ganze Haus inspizieren zu dürfen. Jedes Fenster, jeder Vorhang wurde auf seine Undurchschaubarkeit kontrolliert, und noch einmal und endgültig wurde festgelegt, welche Fenster zu gewissen Jahreszeiten und unter gewissen Umständen geöffnet werden durften und welche in ausnahmslos jedem Fall geschlossen bleiben mussten.

Es war etwa zehn Tage nach diesem Vorfall, als Frau Knopf mich bat, einen Augenblick zu ihrem Schützling in den Packraum herunterzukommen. Auf dem Tisch saß die edle Gestalt, das rechte Bein am Boden, das linke angewinkelt auf dem Tisch. Im markanten Gesicht ein überlegenes Lächeln und ein Zigarette.

„Ich habe meinen Beruf aufgegeben“, erklärte mir kurz und bündig der junge Mann.

„Ja“, bekräftigte er seine Aussage. „Ja“, und dabei ging sein vielversprechender Blick von mir auf Melanie Knopf und von dieser keck wieder auf mich zurück.

„Sie wollen uns also schon wieder verlassen?“, fragte ich überrascht.

„Noch nicht. Das hier ist doch nicht mein Beruf. Nein, ich meine meinen wirklichen Beruf, der zwar auch kein wirklicher Beruf war, wissen Sie, so ein Beruf mit Berufung. Ich habe meine ganze Fotoausrüstung verkauft. Von heute an bin ich Maler.“

Mit einer stolzen, weitausholenden Gebärde zeigte er auf den Packtisch. Dort lag ein Paket, kein Bücherpaket, sondern ein in Zeitungspapier gewickeltes und mit einem dicken, schon mehrfach gebrauchten Bindfaden umschnürtes Etwas. Liebevoll griff er nach dem Paket und wickelte eine ungerahmte Leinwand aus.

„Gefällt es Ihnen?“, fragte er, und sein Gesicht verriet mir, dass er meiner positiven Antwort im Voraus sicher war.

„Ich finde es gut“, sagte Frau Knopf, während ich noch zögerte.

„Was halten Sie davon?“, fragte sie mich.

Ich betrachtete es mit Kennerblick. Das Bild stellte zweifellos einen Fisch dar. Aber er war auf so geniale Weise abstrakt sein wollend gemalt, dass man mit dem besten Willen und auch bei längerem Hinsehen nichts als einen Fisch in ihm erkennen konnte.

„Nur nicht sagen, dass du einen Fisch siehst“, dachte ich mir, „sonst hast du ausgespielt, und du bist zum Ignoranten gestempelt.“

„Sie müssen bei der Betrachtung von zwei Seiten ausgehen“, half mir der neue Picasso bei meiner Urteilsfindung, „einmal von der Darstellung aus und dann von der Idee. Es wird Ihnen allerdings nicht leichtfallen, die Darstellung zu erkennen. Sie ist ebenfalls so hintergründig wie die Idee. Das ist bei jedem genialen Kunstwerk so.“

„Ich halte das Werk für den fast vollendeten Versuch einer ungegenständlichen Landschaftsdarstellung“, begann ich zögernd. Der Künstler schien von dieser ersten Deutung befriedigt.

„Hab ich nicht gesagt“, wandte er sich an Meli, „die Abstraktion ist vollkommen.“ Und dann wieder zu mir: „Sie irren jedoch. Es handelt sich nicht um eine Landschaft.“

„Ich muss mich genauer ausdrücken“, entgegnete ich mit einer gewissen Bestimmtheit und Überzeugung, die das Objekt meiner Betrachtung langsam einkreisen sollte. „Selbstverständlich dachte ich an eine Seelenlandschaft.“

Fringeli schien entzückt. „Das kommt der Wirklichkeit schon näher.“ Damit bekräftigte er meine Ahnung.

„Ich würde sogar sagen, dass sich die Abstraktion der Seele in der Gestalt eines Tieres konkretisiert“, tastete ich mich weiter voran.

Fringeli stellte das Bild an die Wand und trat ein paar Schritte zurück. „Ich habe tatsächlich ein Tier darstellen wollen.“

„Wollen? Sie sind zu bescheiden, Herr Fringeli. Ich wage zu behaupten, dass es Ihnen vollkommen gelungen ist. Noch nie habe ich ein Elefantenbildnis von solcher Ausdruckskraft gesehen.“

„Das Grau der Mittelpartie könnte allerdings auf einen Elefanten schließen lassen. Aber ich dachte nicht an einen Elefanten, sondern…“

„Ein Nilpferd“, fiel ich ihm ins Wort.

Fringeli strahlte. „Sie kommen der Wirklichkeit immer näher. Es ist in der Tat ein Tier, das sich im Wasser bewegt. Vielleicht kommen Sie darauf, wenn wir von der Idee ausgehen. Sehr oft wird behauptet, bei der modernen Kunst komme es gar nicht darauf an, was oben und was unten, was links oder rechts sei. Das wird von allen Künstlern energisch in Abrede gestellt. Ich aber wollte mit meinem Werk den neuartigen Beweis antreten, dass selbst ein gegenständliches Bild – um ein solches handelt es sich nämlich trotz aller Abstraktion – so oder so aufgehängt werden kann.“

Er drehte das Bild um, und tatsächlich, der Fisch blieb ein Fisch, nur dass er jetzt nicht mehr von links nach rechts, sondern rechts nach links schwamm.

„Sie haben mich vollkommen von Ihrer Idee überzeugt, Herr Fringeli. Darf ich annehmen, dass es sich bei der Darstellung um einen Fisch handelt?“

Frau Knopf sonnte sich augenfällig in der Anerkennung, die ich ihrem neuentdeckten Genie zuteil werden ließ.

„Nichts wäre mir lieber“, erklärte der begnadete Künstler, „als mein Opus Nummer eins in den Händen eines so kunstverständigen Mäzens zu wissen, wie Sie es sind. Da ich Ihnen gerne eine Freude machen will, verlange ich von Ihnen nur die Hälfte des Preises. Nehmen Sie es für zweihundertfünfzig Franken. Durch dieses Geschenk begebe ich mich allerdings der Möglichkeit, schon von heute an nur noch meiner Kunst zu leben, der ich mich verschworen habe. So werde ich Ihnen nochmals mindestens zwei Wochen dienen zu müssen.“

Die Aussicht, dass mir die Verdienste des jungen Genius noch eine kurze Weile erhalten bleiben würden, ließ mich nach der Brieftasche greifen, der ich blutenden Herzens fünf Fünfzigfrankenscheine entnahm. Das überwältigende Werk meines Amateurpackers hängte ich, nachdem der erfolgreiche Kunstjünger die Einrahmung gegen entsprechenden Aufpreis übernommen hatte, im Blickfeld der Frau Melanie Knopf an die Wand, um ihr meine Dankbarkeit für die mir zuteil gewordene Verschonung vor professionellen Packern auszudrücken.

Vierzehn Tage später saß ich nach Feierabend an einem kleinen, runden Tisch eines Boulevardcafés in der nahen Stadt. Der Abend war warm, und der Durstigen waren viele. Deshalb und weil mich ein in einem großen Topf eingepflanzter Strauch halbwegs verbarg, beachtete mich der Urheber des Ölgemäldes, dessen glücklicher Besitzer ich geworden war, nicht, als er mit einem Kollegen, der nach seinem Bart zu schließen der gleichen Gilde wie er angehörte, an einem Tischchen schräg vor mir Platz nahm. Beide bestellten ein Bier und musterten die vorübergehenden Leute. Offenbar galt aber ihre ganze Aufmerksamkeit gewissen Automobilisten. Da die Gasse hier verhältnismäßig eng war, konnten die meisten nur langsam vorbeifahren.

„Achtung, Mercedes“, hörte ich Fringeli seinem Kollegen zuflüstern.

„Zu jung“, gab dieser zur Antwort. „Aber da, der große Amerikaner, schreib die Nummer auf.“

„Fringeli notierte in einem Notizblock, den er vor sich bereitgelegt hatte, die Nummer.

„Das ist er!“, rief Fringeli plötzlich aus, als ein großer, blauer Pontiac am Straßenrand anhielt. Ein älterer, distinguierter Herr stieg aus.

„So eine Dicksau“, hörte ich einen der beiden Musensöhne, die mir den Rücken kehrten, in seiner gewählten Ausdrucksweise dem andern zuflüstern.

„Genau das, was wir suchen.“

„Industrieller.“

„Börsenmakler.“

„Ich tippe eher auf Fabrikbesitzer.“

„Auf jeden Fall Villa.“

„Banause.“

„Zehn Zimmer ohne Gemälde.“

„Versteht überhaupt nichts von Kunst.“

„Dafür schwerreich.“

„Betrügt seine Frau.“

„Muss sie mit Geschenken täuschen.“

„Pelzmäntel und Auto besitzt sie schon.“

„Blumen und Pralinen genügen nicht mehr.“

„Schmuck ist nicht mehr originell.“

„Notier rasch die Nummer!“

Fringeli erhob sich, trat vor den blauen Pontiac und notierte sich dann am Tisch die Nummer des Wagens.

„Achtung, da kommt das alte Schwein zurück.“

Der ältere Herr öffnete die Wagentür, stieg ein und fuhr weg.

„Auf Wiedersehen, Herr Mäzen.“

„Wenn dieser Dummkopf nicht seine Wände mit unseren Bildern zu tapezieren beginnt, fresse ich einen Besen.“

Ich zahlte und ging. Wie sagte schon Schiller? „Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst.“

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