Читать книгу Von Jerusalem bis Rom - Martin Renold - Страница 6
4. Kapitel
ОглавлениеSaul hatte sein Versprechen gehalten. Ich verlor allerdings meine Stellung als Hauptmann, aber ich sollte sein militärischer Berater werden. Die Soldaten, die ihm zur Verfügung gestellt wurden, standen unter seinem Befehl.
Vom Hohenpriester hatte Saul die Vollmacht erhalten, gegen die Anhänger der Sekte rücksichtslos vorzugehen und sie vor Gericht zu bringen. Wo wir sie fanden, drangen wir in die Häuser ein, nahmen sie, wenn nötig mit Gewalt, gefangen und führten sie vor die Richter.
Gerne hätte Saul auch die Apostel gefangen genommen. Aber Gamaliel, den Saul hoch achtete, hatte ihn gewarnt. Man habe die Apostel auf seinen Rat hin laufen lassen, und er wolle nicht, dass man ihm Wortbruch vorwerfen könne. Wie er ihm bereits erklärt habe, regle sich die Sache nach einiger Zeit von selbst.
Saul respektierte das, obwohl er meinte, man müsse das Übel mitsamt den Wurzeln ausreißen, und die Wurzeln seien schließlich die Apostel.
Umso leidenschaftlicher ging Saul gegen die andern vor, und ich tat es ihm gleich. Wir wussten, dass viele dem Tod überantwortet wurden.
Als die meisten geflohen waren und wir kaum mehr jemand gefangen nehmen konnten, gingen wir zum Hohenpriester.
»Wir haben unsere Arbeit in Jerusalem getan, so gut wir konnten«, sagte Saul. »Aber viele sind geflohen. Wir wissen nicht, wohin sie gegangen sind. Es scheint, dass die meisten nach Norden gezogen sind. Wir nehmen an, dass sie unser Land verlassen haben.«
Saul glaubte nicht, dass sie sich in Samaria oder Galiläa aufhielten. So weit reichte nämlich die jüdische Gerichtsbarkeit.
»In Damaskus gibt es eine große jüdische Gemeinde«, fuhr Saul fort. »Es ist wahrscheinlich, dass sie dort Zuflucht suchen. Ich bitte darum, dass Ihr mir Briefe an die Synagogen mitgebt, in denen Ihr bittet, Männer und Frauen, die der neuen, verderblichen Lehre anhangen, nicht aufzunehmen, sondern mir zu übergeben, damit ich sie gefesselt nach Jerusalem zurückbringen kann, wo sie dann abgeurteilt werden können.«
Der Hohenpriester war einverstanden, ließ Briefe an die Vorsteher der Synagogen in Damaskus aufsetzen und überreichte sie Saul.
Wir rüsteten uns für den weiten Weg. Außer Saul und mir waren noch fünf berittene Soldaten, die Ketten und Seile mitführten, um die Gefangenen sicher nach Jerusalem zurückschleppen zu können. Wir zogen in Betracht, in Damaskus Wagen zu kaufen, auf denen wir sie dann anketten würden. So verließen wir Jerusalem und zogen hinab gegen Jericho. Von dort ging es weiter im Jordantal hinauf zum See Genezareth.
An der Grenze zu Syrien wurden wir kurz aufgehalten. Syrische Zöllner und römische Grenzwächter kontrollierten uns. Da Saul von seinen Vorfahren her römischer Bürger war und weil die uns begleitenden Soldaten nicht als solche zu erkennen waren, gab es keine Schwierigkeiten.
Wir ritten durch enge Täler, in denen die Hitze manchmal fast unerträglich war. Auch die Pferde schwitzten. Wir waren froh, als wir die Berge hinter uns hatten, zur Linken den gewaltigen Hermon, und vor uns bereits die Stadtmauern von Damaskus sahen.
Zwei unserer Begleiter ritten ein Stück vor uns, die drei andern hinter uns.
Saul hatte mir unterwegs einiges aus seinem Leben erzählt, wie er im Elternhaus mit seinen Schwestern aufgewachsen sei und einen Beruf erlernt habe. In Jerusalem habe er sich zum Rabbi ausbilden lassen. Als Pharisäer habe er mit scharfen Augen beobachtet, was dieser Jesus gelehrt und an Wundern getan habe. Als er gekreuzigt worden sei, habe er geglaubt, nun sei die Gefahr, dass sich diese Irrlehre weiterverbreite, vorbei. Als es aber hieß, er sei auferstanden und behaupte, der Messias zu sein, und als diese Sekte entstand und immer größer geworden sei, habe er nicht länger zusehen können. Als gesetzestreuer Jude könne er nicht zulassen, dass die Thora derart missachtet werde.
Ich versprach Saul, ihm, so lange er es wünsche, zur Seite zu stehen und ihm bei der Vernichtung dieser schädlichen Lehre und ihrer Anhänger zu helfen
Jetzt, im Anblick der Mauern von Damaskus, besprachen wir noch einmal unser Vorgehen.
»Diese Sektierer werden sich wundern«, sagte er gerade noch, als auf einmal vor uns ein helles Licht aufleuchtete. Es schien mir im ersten Augenblick, als ob ein Blitzstrahl direkt vor Sauls Pferd niedegehe. Doch es konnte kein Blitz sein, denn es folgte kein Donner. Und das helle Licht verschwand nicht, sondern blieb und schien wie eine leuchtende Wolke vor uns zu schweben. Sauls Pferd hatte sich aufgebäumt, meines hatte erschrocken einen Sprung nach link getan, so dass ich mich nur mit Mühe auf ihm halten konnte. Als ich mein Pferd beruhigt hatte und es wenden konnte, sah ich, dass Saul am Boden lag. Sofort sprang ich von meinem Hengst, ging hin und neigte mich über ihn. Die beiden Reiter hinter uns hatten aufgeschlossen und hielten an. Alle kümmerten sich sofort um unsere Pferde. Meins ließ sich von einem der Soldaten am Zügel halten. Sauls Pferd hatte die Flucht ergriffen, war dann aber weit draußen auf einer Weide stehen geblieben und ließ sich von den zwei anderen Begleitern nach einigem Zureden zu uns zurückführen. Jene zwei Reiter, die recht weit vorausritten, merkten vorerst noch nichts. Erst als sie das Getrappel unserer Pferde eine Weile nicht mehr gehört hatten, schauten sie sich um. Da sie über uns diesen hellen Glanz erblickten, blieben sie stehen, wendeten ihre Pferde und ritten nun langsam zu uns zurück.
Das Licht war so hell, dass wir den Blick zu Boden wandten.
Wir alle waren sehr erschrocken.
Saul lag immer noch am Boden und rührte sich nicht. Doch er fragte: »Wer bist du, Herr?«
Wir schauten uns um, um zu sehen, mit wem er spreche, doch wir konnten niemanden sehen.
Saul schien auf eine Stimme zu hören, die wir aber nicht vernahmen. Nach einer Weile fragte er: »Was soll ich tun?«
Wir schauten uns verlegen an, denn wir wussten nicht, richtete er diese Frage an uns oder an jemand, den wir nicht sehen konnten. Da war niemand, weit und breit niemand.
Als mich das Licht geblendet hatte, war ich erschrocken. Ich hatte gar nicht mehr nach Saul geschaut, ob er etwas gebrochen hatte. Doch nun neigte ich mich wieder über ihn. Er griff mit dem Arm in die Höhe, als ob er eine Hand suche, die ihm aufzustehen helfen könnte. Ich ergriff seine Hand und zog ihn in die Höhe, während er sich noch mit der andern Hand am Boden abstützte.
Er blickte seltsam drein und sagte: »Geht zurück nach Jerusalem, eure Aufgabe hat sich erledigt. Ich werde allein in die Stadt gehen.«
Dabei schaute er uns gar nicht an.
»Jonas«, sagte er nach einer Weile. »Bleib du hier und führe mich in die Stadt hinein.«
Ich gab den Soldaten ein Zeichen, sie sollten aufsitzen und zurückreiten. Als sie weggeritten waren, fragte Saul: »Sind sie alle weg?«
Da wurde mir klar, dass Saul sein Augenlicht verloren hatte.
Ich nahm unsere beiden Pferde, band sie zusammen und führte sie und Saul, in die Stadt.
»Bring mich in die Gerade Straße«, bat mich Saul, »und frag dort nach einem Mann namens Judas. Er wird uns aufnehmen.«
Ich zögerte, denn das war nicht der Mann, zu dem wir gehen wollten. Dieser Judas war in unserem Plan nicht vorgesehen.
Saul musste meine Gedanken erraten haben, denn er sagte: »Es ist schon gut so. Führ mich zu ihm!«
Ich war zum ersten Mal in Damaskus und musste mich durchfragen. In der Geraden Straße kam uns ein Mann entgegen. Er blieb einen Moment stehen und kam dann geradewegs auf uns zu.
»Saul?«, sagte er in fragendem Ton. »Ja, du bist es. Komm in mein Haus.«
Saul schien ihn an seiner Stimme zu erkennen.
»Bist du es, Judas?«, fragte er. »Zu dir wollte ich kommen. Der Herr hat mich geschickt.«
»Von welchem Herrn sprichst du?«, fragte Judas.
»Das erkläre ich dir später«, antwortete Saul.
»Ich bin Jonas, sein Begleiter«, sagte ich zu Judas. »Saul ist erblindet. Er kann dich nicht sehen.«
Judas führte uns beide in sein Haus und wollte uns bewirten. Doch Saul sagte: »Gib Jonas etwas zu essen und zu trinken. Wir haben eine lange, beschwerliche Reise hinter uns. Ich aber mag nichts zu mir nehmen.«
Während ich aß, fragte Judas: »Was ist geschehen?«
Saul erzählte, ein helles Licht habe ihn auf einmal umstrahlt und ihn so geblendet, dass er vom Pferd gestürzt sei. Dann habe er die Stimme von Jesus gehört.
»›Saul, Saul, warum verfolgst du mich?‹, fragte er mich. Ich fragte ihn: ›Wer bist du, Herr?‹ Er sagte: ›Ich bin Jesus, den du verfolgst. Doch steh auf, denn ich bin dir erschienen, dich zu meinem Diener zu erwählen und zum Zeugen meiner Erscheinung hier und anderer Erscheinungen, die dir widerfahren werden. Ich erwähle dich, um dich zu den Völkern zu senden und ihnen die Augen zu öffnen, dass sie sich von der Finsternis abwenden zum Licht.‹
Er sprach noch weiter zu mir. Dann fragte ich ihn: ›Herr, was soll ich tun?‹ Er schickte mich zu dir, um hier zu warten, bis ich weiter erfahren werde, was ich zu tun habe.«
»Ja, wir alle, ich und die vier, die uns begleiteten, haben das Licht gesehen und gehört, wie Saul mit jemand gesprochen hat, aber wir haben niemanden gesehen«, bestätigte ich.
»Wie konnte jener Jesus zu dir sprechen? Ich habe gehört, dass du die Anhänger dieses Jesus verfolgt und ins Gefängnis geworfen, ja sie sogar dem Tod ausgeliefert hast.«
»Das war ein Irrtum. Jetzt weiß ich, dass Jesus der Christus ist. Er hat sich mir offenbart, und ich werde ihm nachfolgen.«
Judas schaute mich ungläubig an. Er war ein strenger Jude, der die Gesetze hielt wie Saul.
»Zeig mir, wo ich mich ausruhen kann«, bat Saul.
Judas führte ihn in einen Schlafraum.
Judas und ich saßen noch zusammen, und ich musste ihm berichten, wie ich Sauls Sturz vom Pferd erlebt hatte und warum wir überhaupt nach Damaskus gekommen waren.
Ich war noch selbst überwältigt von dem, was geschehen war. Mir war bewusst, dass Saul nach diesem Erlebnis die Anhänger Jesu nicht mehr verfolgen würde. Und auch ich fasste den Entschluss, es nicht mehr zu tun. Wenn die Stimme, die Saul gehört hatte, tatsächlich die Stimme des gekreuzigten Christus war, und für mich stand dies außer Zweifel, dann war das, was ich zusammen mit Saul getan hatte, die schlimmste Sünde meines Lebens. Wie konnte ich das je sühnen?
Christus hatte sich Saul offenbart, damit er mit den Verfolgungen aufhöre. Aber was nun? Ich dachte: Welche Strafe würde über uns kommen? Saul hatte sein Augenlicht verloren. Was stand mir bevor? Ich hatte große Angst. Ich wusste ja damals noch nicht, was der Herr mit Saul vorhatte und dass ich an seinem späteren Wirken teilhaben durfte.
Als Judas am nächsten Morgen Saul ein Frühstück bringen wollte, schickte der ihn wieder hinaus, ohne zu essen und zu trinken. Drei Tage lag er in dem Zimmer ohne Nahrung. Er wollte nur in Ruhe gelassen werden.
Manchmal hörten wir seine Stimme. Wir wussten nicht, betete er oder sprach er mit jemandem. Aber es war ja kein Mensch bei ihm.
Am dritten Tag klopfte ein Mann an die Tür. Als Judas ihm aufmachte, sagte er, er sei Ananias, ein Jünger Jesu, und er möchte zu Saul.
»Woher weißt du, dass Saul in meinem Haus ist?«, fragte Judas misstrauisch.
»Der Herr hat mich gesandt«, sagte Ananias.
»Wer ist dein Herr?«, fragte Judas.
»Jesus Christus«, antwortete der Mann.
Wir ließen ihn ein, wussten aber nicht, was er vorhatte. Er konnte doch nicht wissen, was mit Saul geschehen war. Er musste doch glauben, dass er immer noch der unerbittliche Verfolger seiner Glaubensbrüder war. Wollte er sie rächen?
Judas machte mir ein Zeichen, ihm zu folgen, als er den Fremden zu Saul führte.
Er klopfte an die Tür. Als Saul sich bemerkbar machte, öffnete Judas die Tür einen Spalt und sagte: »Ein Fremder ist hier, Ananias.«
»Lass ihn herein«, bat Saul. »Ich habe auf ihn gewartet.«
Das erstaunte uns. Wie konnte Saul wissen, dass dieser Fremde kommen würde?
Saul gab uns ein Zeichen, dass wir ihn allein mit Ananias lassen sollten. Doch wir ließen vorsichtshalber die Tür offen. Da hörten wir, wie Ananias zu Saul sprach: »Im Traum ist mir der Herr erschienen. Er hat mir gesagt, ich solle in die Gerade Straße zum Haus des Judas gehen und nach einem Mann namens Saul aus Tarsus fragen. Bist du dieser Saul?«
»Ich bin es«, antwortete Saul. »Und ich weiß auch wer du bist. Denn auch mir ist heute Nacht im Traum der Herr erschienen. Er hat mir angekündigt, dass du kommen wirst, um mir deine Hände aufzulegen, damit ich wieder sehend werde.«
Da wir erkannten, dass für Saul keine Gefahr bestand, zogen wir uns zurück. Saul aber redete noch den ganzen Tag mit Ananias. Als dieser ging, begleitete ihn Saul zur Tür. Wir sahen nun, dass die Blindheit von ihm gewichen war.
Wir saßen noch den ganzen Abend und bis tief in die Nacht beisammen. Und Saul sprach nur von Jesus, und dies mit einer solchen Überzeugung, dass wir meinten, er hätte ihn selber gekannt.
Am nächsten Tag suchten wir alle drei Ananias in seiner Gemeinde auf. Der hatte sie vorbereitet. Die meisten waren anfänglich skeptisch. Das konnte doch nicht sein, dass der ärgste Verfolger sich bekehrt hatte. War das vielleicht eine List, um sie alle da, wo sie sich sicher gefühlt hatten, zu finden und sie nach Jerusalem zurückzuführen?
Doch als Saul selber auch ihnen berichtete, wie Christus ihm erschienen war, fingen sie an, ihm zu glauben, und dies erst recht, als wir, Saul, Judas und ich, uns von Ananias taufen ließen.
Wir blieben noch ein paar Tage in Damaskus im Haus des Judas. Saul und ich gingen jeden Tag in die Gemeinde und sprachen mit Ananias und den anderen, die uns ihre Brüder nannten.
Hier hörte ich viel von Jesus, vom Reich Gottes und von der Vergebung der Sünden durch den Glauben an Jesus Christus. Ananias erzählte, was Jesus einmal auf einem Berg in Galiläa gepredigt hatte, dass jene selig seien, die sanftmütig seien und Frieden stiften, und vieles mehr.
Ich fragte Ananias, ob Gott auch mir verzeihen werde, da ich doch jene verfolgt habe, die an Jesus als den Messias glauben.
»Glaube an das Wort Gottes, das Jesus verkündet hat, dann wird auch dir vergeben werden, und du wirst einmal in das Reich des Herrn eingehen«, antwortete er mir.