Читать книгу Ein russisches Wintermärchen - Martin Scherbakov - Страница 7
2
ОглавлениеUm halb zwölf flogen sie schon hoch über Ingolstadt und um 4:00 nach Moskauer Zeit stand Paula bereits auf russischem Boden. Sie konnte während des etwa dreistündigen Fluges nur für kurze Zeit die Augen schließen, denn ihr Herz wollte einfach das schnelle Pochen nicht aufhören, sie war zugleich aufgeregt, beunruhigt und gespannt, gespannt darauf, was kommen würde. Als die beiden bei der Passkontrolle ankamen, blieb Petrov stehen und fing an, mit der Dame im Schalter etwas auf Russisch zu klären. Dies dauerte eine Weile. Bald kam noch eine Frau von der Passkontrolle angelaufen, dann noch eine dritte, kurz darauf fingen sie an, sich gegenseitig anzumotzen. Petrov entfernte sich dabei rasch und machte einen Anruf von seinem Mobiltelefon aus. Nach einer guten halben Stunde kam ein Mann im schwarzen Anzug mit schwarzen Haaren und einer schwarzen Uhr an und diskutierte eine Zeit lang mit Petrov. Danach entfernte er sich wieder eilig, jedoch mit Paulas Pass in der Hand. Erst um 7:30 kam der Mann in Schwarz zurück und nach letzten Kleinigkeiten bekam Paula ihren Pass zurück. Petrov sagte Paula, hätte die FSB nicht mitgeholfen, wäre sie bereits auf dem Weg in ihr Heimatland.
„Ich hatte doch eigentlich ein Visum, oder nicht?“ wunderte sich Paula.
„Ja“, murrte Petrov mit einer leicht gesunkenen Stimme „aber irgendeine Kurzaufenthalts-Schülergruppenvisa, gültig ab Übermorgen! Und das mit den Visa in Russland wird alles sehr ernst genommen! Weil du nicht als ein einfacher Toury nach Russland einreisen solltest, hast du ein Spezialvisum benötigt!“
„Und was ist eigentlich FSB?“ fragte Paula weiter neugierig.
„Hm… Könnte man mit FBI vergleichen“
Jetzt verstand Paula, wie ernst diese ganze Sache war. Sie nahmen ein Taxi, blieben aber schon bald im riesigen Morgenstau stehen. Paula schlummerte wieder ein. Als sie von Petrov geweckt wurde, stand auf ihrer Uhr 7:03, in Russland schon neun Uhr morgens. Das Gebäude, in das sie eintraten, sah nicht wie ein Hotel aus, sondern eher wie Haus aus einem Viertel mit nicht wirklich gut betuchten Menschen. Petrov sagte dazu:
„Das Haus hat eine gute Lage und es ist aus der Weltkriegszeit, also kannst du dich freuen!“
Nach solch einer Nacht war es für Paula keine leichte Sache sich zu freuen. Halb im Schlaf sah Paula in dem dunklen Gang ein Albert Einstein Bild hängen. Sie vermutete zumindest, es gesehen zu haben. Petrov kommentierte Paulas irritierten Blick mit einem knappen Bonmot:
„Kultur muss sein!“
Paula war’s egal wohin sie gingen, als sie ein Bett sah, warf sie sich darauf und schlief ein. Um elf nach der Moskau-Zeit weckte Petrov sie wieder auf und sagte:
„So du Faulpelz, jetzt geht die Sache erst so richtig los. Meine Kollegin hat eine frische Spur entdeckt.“
Auf dem Thermometer stand -10°C, recht warm für einen Februar in Moskau. Petrov fuhr ein Auto aus der Garage, welches man in Deutschland selbst auf einem Platz für Gebrauchtwägen nicht kaufen würde. In Russland galt es als „Rarität“.
Paula schaute Petrov mit einem Blick an, als gebe er ihr ein Stück verschimmelten Käse, in dem schon die Maden herumwühlten. Petrov sah dabei Paula an und meinte:
„Du verstehst gar nichts in Autos!“
Danach fuhren sie los. Sie stoppten bei einem Polizeigebäude, gingen in ein kleines Zimmerchen mit einem Blick auf die Moskauer Skyline. Paula stürzte sich auf ein Sofa und schaute mit auf den Bildschirm, wo verschiedene Fotos zu sehen waren.
„Ist Nuko dort?“ fragte Paula erwartungsvoll.
„Ne, ne das sind die Fotos vom Thailandurlaub 2013, hat mit Nuko nichts zu tun“, antwortete Petrov.
„Und Nuko ist vielleicht in Irkutsk, dort wurde einer aus der Bande, die womöglich Nuko entführte, wegen Rangelei verhaftet. Doch bis jetzt sind auf dem Konto dieser Gruppierung nur ein kleiner Diebstahl und Verkauf von Haschisch, also interessieren sie hier keinen!“
„Und wir brechen nach Irkutsk auf?“ fragte Paula dabei vom Sofa aufspringend.
„Hör mal her, Paula! Es kann gut sein, dass du dir vor lauter angeschauten Hollywood-Filmen eingebildet hast, wie richtige Detektivarbeit funktioniert. Sozusagen immer auf der heißen Spur zu sein, immer dem Täter hinterher, bis man den Übeltäter am Ende festnimmt! So geht das vielleicht auf der Leinwand oder in Deutschland, wo du in einer Stunde von Nord nach Süd das ganze Land durchqueren kannst. Aber gute Ermittlerarbeit ist es dabei natürlich noch längst nicht. Du kannst nicht einfach jedem hinterherrennen, bei dem du nur eine Vermutung hast. Allein 11 Zeitzonen gibt es in Russland, elf Mal wird Neujahr gefeiert, das muss du dir erstmal klarmachen! Der Beruf des Kriminalisten ist geordnet, strukturiert. Strategie spielt dabei eine wesentliche Rolle! Also setzt dich wieder, du machst mich hier noch nervös!“
Mit schon leicht feuchten Augen begann Paula sich wieder ganz langsam auf das etwas abgetragene schwarze Sofa zu setzten, ohne dabei nur ein Wort zu sagen. Sie legte ihr Gesicht auf ihre warmen Handflächen und versank ganz in sich, leicht schluchzend.
Bei der Fahrt zu Petrovs Wohnstätte munterte der Detektiv sie etwas wieder auf:
„Das Morgen mit dieser Frau Wolf…“ begann Petrov.
„Ja?“ antwortete Paula neugierig und etwas besorgt zugleich.
„Das habe ich ausfallen lassen!“
„Wie jetzt, ausfallen?“
„Ganz einfach! Ich habe vor kurzem deiner Mutter mitgeteilt, dass wir zu meinen Kollegen in die nördliche Hauptstadt fahren müssten, deshalb können wir uns nicht mit Frau Wolf treffen!“
„Wirklich?“
„Ja, natürlich! Sie war sogar einverstanden!“
„Das ist super!“ Paula wurde etwas rötlich im Gesicht.
Beim Betreten des grauen Palastes, so taufte Paula das Gebäude, wo sich Petrovs Wohnung befand, eine Art zweiter Wohnsitz, kam ihre schlechte Laune rasant zurück. Sie schaute sich nochmal das Einstein-Foto an. Sie blieb wieder für eine kurze Zeit vor dem Fotodruck stehen und betrachtete es:
„Wirklich der passendste Ort hier!“.
Der Ort war tatsächlich sehr passend: im Eingangsbereich roch es scharf nach Urin, die Wände waren dreckig und abgetragen. Dem Stuck an der Decke schien es dort einfach nicht zu gefallen. Auch einige Kaugummis konnte Paula an den Wänden im Treppenhaus nachzählen. Ebenso trugen die vielen, an die Wände geschmierten Sätze und Wörter zum authentischen Design des Treppenwerks bei. Paula glaubte sogar, irgendwo ein Hakenkreuz gesehen zu haben, dies konnte sie jedoch nicht genau wissen, da auch die Lampen im Treppenhaus ihr eigenes Spiel trieben. Es gab auch einen Aufzug, Paula und Petrov nahmen jedoch immer die Stufen. Der Aufzug war defekt. Anscheinend schon seit längerem…
Zum Mittag gab es Fischeier auf Butterbroten. Normalerweise sagte man Kaviar dazu, doch Paula sah in diesen roten, für sie total eklig schmeckenden Kügelchen nur kleine Fischeier. Petrov holte ein Flasche Stolichnaja heraus und Paula schenkte er Wasser ein. Sie prosteten sich, Petrov kommentierte:
„Auf einen gemeinsamen Erfolg!“
Zu Wodka und Wasser gab es Gurken aus einem echten Holzfass à la russe und Pferdesalami.
„Ich esse keine Pferde!“ sagte Paula mit einem strengen Unterton.
„Warum denn das?“
„Weil ich früher einmal dabei war, Reiten zu lernen!“
„Ja und?“
„Und mein Pferd hieß Sandra!“
„Und was wurde aus ihr?“
„Gar nichts!“
„Und wieso isst du jetzt nochmal keine Pferdesalami? Ich versteh irgendwie den Sinn nicht!“
„Ja, weil ich halt einfach keine Pferde essen will!“
„Das war keine Antwort! Komm, probier’ ein Stücken! Außerdem hast du schon bestimmt mal Pferd gegessen! In Lasagne zum Beispiel!“ Petrov grinste.
„Das ist nicht lustig!“
Paula blieb hart und nahm sich kein einziges Stückchen von der unglaublich aromatischen, fettigen Pferdesalami. Dazu holte sie aus ihrem Koffer eine Packung Peitschen, eine Art lange, schmale und luftgetrocknete Würste, heraus und begann diese die Eine nach der Anderen zu verschlingen. Die Frage bleibt jedoch offen, ob sich in diesen Peitschen nicht womöglich auch etwas Pferdefleisch befand.
Den ganzen Nachmittag saß Petrov an seinem Laptop und entwarf eine „Strategie“. Paula dagegen machte einen kleinen Kiezrundgang. Sie fragte an diesem Tag auf Englisch einen Mann über Vierzig beim Vorbeigehen:
„Entschuldigung, wissen Sie, wo ich hier ein Mini-Market vorfinden könnte?“
Zur Antwort hörte sie nur:
„Russian People are tse best!“
Als sie doch den Weg zum Mini-Market fand, wollte sie auf einmal ein Eis im Becher kaufen, es war ihr in dem Moment egal, dass es draußen -14°C hatte. Sie fragte vorsichtig die Verkäuferin:
„Skol’ko stoit?“ (Was kostet?)
Die muntere Kassiererin antwortete ohne groß nachzudenken:
„Sto!“ (Hundert)
Paula begann im Kopf nachzurechnen.
„100 Rubel geteilt durch 50 … 2 Euro.“
Sie wunderte sich erstmal etwas, dass das Eis hier genauso viel kostete, wie in Deutschland, gab der Verkäuferin jedoch bewusst einen 100-Rubel Schein. Die Frau lächelte kurz und sagte dann:
„Da poschutila ja!“ (Das war ein Witz!) und gab Paula 80 Rubel zurück. Sie war etwas verblüfft, wieso das Eis plötzlich nur noch 30 Cent kostete, nahm aber das Wechselgeld mit einem irritierten Blick an.
Später dachte sie über diese seltsamen Vorfälle nach und entschied, sie sollte mal endlich einen Deutsch-Russischen Sprachführer kaufen, denn die die Englischkenntnisse vieler Russen entsprachen der Null und mit auswendiggelernten Gedichten von Puschkin und Lermontow kam sie auf der Straße auch nicht sonderlich weiter. Als sie am Abend wieder mit Petrov an einem Tisch saß, erzählte Paula von ihrem ersten Tag in Moskau und Petrov über seine Strategie:
„Wir müssen noch abwarten, bis sich die Sache mit diesem Randal und seiner Zugehörigkeit zur Bande klärt, deshalb könnten wir morgen den Kreml besichtigen. Und wisse, EU-Mädchen zahlen hier zweimal mehr als Russische, also wenn dich mal jemand nach deiner Nationalität oder dergleichen fragt, antwortest du nur stur mit: „Schto?“
Hast du es verstanden?“
„Schto?“ (=Was?) wiederholte Paula.
„Perfekt!“
Langsam verstand Paula, dass ihr Opa hier überflüssig sein würde. Sie teilte ihm, wie versprochen, ein Datum und einen Ort mit, wählte das erstere jedoch so, damit es für Alfred so gut, wie ausgeschlossen wäre, rechtzeitig zu kommen. Sie schrieb ihm also eine kurze SMS:
„Morgen um 12:00 vor dem Kreml, danach fliegen wir nach Sibirien!“
Paula fühlte bereits, dass sie morgen wahrscheinlich schon wieder einen seltsamen Tag in der russischen Hauptstadt verbringen würde. Besonders nachdem Petrov sagte:
„Morgen sehen wir die Lenin-Mumie!“
Vor dem Schlaf dachte sie noch einmal an Petrovs Satz:
„Russland ist anders!“
Morgens um 9 rief Petrov sie zum Frühstück. Es gab Grießbrei.
„In Russland heißt es „Manka“ und auf jeden Fall gehört hier Heidelbeermarmelade hinein, selbstgekauft!“ schmunzelte Petrov.
„Also Ma-, Manka“, wiederholte Paula.
„Exakt!“
„Ich brauch ab heute unbedingt einen Sprachführer!“ fügte Paula hinzu.
„Du lernst doch Russisch in der Schule, oder nicht?“
„Ja, aber…“ sprach Paula unsicher bis Petrov sie unterbrach:
„Aber lernen tust du dort nicht sonderlich viel, nicht wahr?“
„Doch, ich kann einigermaßen die Zukunftsformen!“ sagte Paula stolz.
„Wenn du die ganze Zeit in der Zukunftsform reden wirst, bringt dich das nicht sonderlich weiter!“
„Du hast eigentlich immer noch nicht meine Frage beantwortet!“ Paula wollte Petrov wieder auf ihre Bitte hin aufmerksam machen.
„Ja, irgendwas hätte ich da für dich!“ Petrov erhob sich langsam und bewegte sich schlendernd zu dem in dem Wohnzimmer stehenden Wandschrank. Nachdem Paula zum ersten Mal diesen Wandschrank sah, dachte sie sich gleich:
„Der muss wohl aus dem vorletzten Jahrhundert stammen!“
Durchaus hatte dieser Schrank schon vieles erlebt, darüber erzählte Petrov seiner einzigen Zuhörerin am Vorabend:
„Dieser Schrank wurde noch im 19. Jahrhundert gebaut, erstklassige Arbeit eines wahren Schreinermeisters. Diesen Schrank besaß noch meine Uroma, danach meine Oma, meine Mutter und jetzt steht er hier! Er erlebte schon den Sturz der russischen Monarchie, die beiden Weltkriege, den Zerfall der Sowjetunion! Dieser Schrank ist, in der Tat, wirklich großartig!“
Gewissermaßen sah man den eigentlichen Schrank gar nicht: Zahlreiche alte Bücher, von denen Paula Angst hatte, einen Asthmaanfall zu bekommen, Bildbände aus früheren Zeiten, irgendwelche Boxen und zentimeterdicke Schichten Staub taten alles, um den aus Eichenholz gefertigten Schrank von den neugierigen Augen ausländischer Touristen zu verbergen. Petrov näherte sich also diesem Schrank und hatte sich vorgenommen, das unmögliche zu vollbringen: Einen Deutsch-Russischen Sprachführer zu finden, der sich irgendwo in den Tiefen der Kommode befand. Petrov begann, richtige Ausgrabungsarbeiten durchzuführen. Er fand schließlich, vielleicht unter dem Schrank, eine Gasmaske, wahrscheinlich aus dem zweiten Weltkrieg, die er zu seinem Schuss vor den Unmengen an Staub anzog. Paula jedoch nieste pausenlos, ohne einen einzigen Atemzug machen zu können.
„Du niest wie eine Katze von einem Schrottplatz!“ meinte Petrov zu den Geräuschen, die von Paula kamen.
„Danke, sehr nett von…!“ und schon musste Paula wieder fünfmal hintereinander niesen.
Nach einer guten halben Stunde war es endlich geschafft. Mittlerweile war der Detektiv umgeben von Türmen an Fotoalben, Bergen an Taschenbüchern und Mauern von Bildbändern.
„Ich hab es!“ jubilierte Petrov.
Mit einem triumphierenden Gesichtsausdruck überreichte Petrov seinem „Schrottplatzkätzchen“ den Sprachführer.
„Der ist aber Russisch-Deutsch und nicht Deutsch-Russisch!“ erwiderte Paula.
„Was Anderes habe ich nicht!“ Petrov wirkte etwas unglücklich nachdem Paula das von ihm lang gesuchte Werk ablehnte.
Petrov trank noch seinen, mittlerweile kalt gewordenen Tee und Paula inspizierte den Sprachführer:
„1978! Sehr interessant! Und dabei fehlen noch die letzten 30 Seiten! Nicht so tragisch! Dort wurde eh nur die Speisekarte erklärt! Den Mäusen hat es wahrscheinlich ziemlich gut geschmeckt!“ nuschelte Paula vor sich hin.
Ihr fiel kurz darauf der Sprachführer aus Versehen auf den Boden, als sie ihn jedoch versuchte aufzuheben, gelang ihr dies nicht ganz: Der Sprachführer zerfiel einfach in zwei Hälften, davon blieb eine am Boden liegen.
„Ehm, ich habe hier ein kleines Problemchen!“ flüsterte Paula Petrov zu.
In diesem Moment atmete der Detektiv schwer aus, klappte sein Notebook zu, an dem er in dieser Zeit arbeitete und sagte bloß:
„Lass uns hier verschwinden!“
Petrov fuhr aus seiner Garage wieder seine alte „Kopejka“ heraus, doch noch bevor Paula einstieg, hörten beide ein stumpfes „Bumm“ und als Petrov die Vorderhaube öffnete, sah er den daraus steigenden Dampf und Rauch und rief:
„So, das Auto ist im Arsch! Fahren wir mit der Metro!“ Petrov rieb seine Handflächen an seinem Gesicht ab.
„Verdammt!“ schrie Petrov zum Schluss und fügte noch etwas auf Russisch bei, das besser nicht übersetzt werden sollte. Paula sagte lieber gar nichts. Sie blieb in einer Stockstarre stehen und konnte sich nicht vom Fleck bewegen. Erst nachdem Petrov an ihr rüttelte und ihr ausdrücklich ins Ohr schrie, dass sie immer noch eindeutig am Leben seien und das eigentlich gar nichts passierte, begann Paula allmählich wieder aufzutauen. Wie nach einem schweren Autounfall bewegten sich die zwei Überlebenden zur Metrostation. Zur der jedoch war es ein weiter Weg: Zuerst fuhren sie einige Stationen mit dem Trolleybus, es war ein Samstag, deshalb konnten sie sogar zwei von den heißbegehrten Sitzplätzen erwischen. Die Tickets erhielt man an Bord, jedoch nicht beim Busfahrer, sondern bei einer speziellen Person, die durch den Bus in einer roten Warnweste immer hin und her hastete, um jedem einzelnen Fahrgast die allgegenwärtigen Fahrkarten zu bescheren. Das System war gut ausgelegt, dachte sich Paula, es könnte dabei eigentlich keine Schwarzfahrer geben.
An der Metrostation angelangt, mussten sich die beiden unglücklichen Autofahrer neue Tickets besorgen, da die alten nur für eine Fahrt mit dem Trolleybus galten. Dieses System gefiel Paula schon weniger, dagegen war sie von den langen Rolltreppen beeindruckt.
„Und das nennst du lang?“, Petrov lachte kurz auf.
„Du warst noch nicht in Sankt-Petersburg! Dort gibt es nämlich die längste Rolltreppe der Welt! Man braucht ganze vier Minuten, um an die Oberfläche zu gelangen!“
„Macht bestimmt Spaß!“ meinte Paula.
„Nicht, wenn du dich beeilen musst!“ Petrov lächelte.
Im Zentrum angekommen, begaben sich die beiden auf Entdeckungstour. An der Kasse zum Kreml sah Paula einen Souvenirmünzenpressautomaten. Sofort wollte sie eine Münze pressen, denn sie besaß schon eine bemerkenswerte Kollektion solcher gepressten Münzen aus allen möglichen Ecken Deutschland und auch aus einigen großen Hauptstädten Europas. Paula warf erwartungsvoll die benötigten Münzen in die dazu vorgesehenen Schlitze und begann an der Kurbel zu drehen. Doch diese drehte sich nur durch. Paula lief sofort zu ihrem Schutzpatron, um sich zu beklagen, in welch auswegloser Situation sie stecke. Petrov agierte sofort, rief jemanden von dem Servicepersonal bei und fragte ihn, wieso die Maschine nicht arbeite.
„Ja, die Maschine, die arbeitet schon seit, seit Oktober nicht mehr, glaub ich!“ antwortete der Mann mit Lächeln.
Als Petrov fragte, ob die Maschine noch überhaupt irgendwann arbeiten wird, antwortete der Mann etwas grob:
„Da kher yego znayet! (~ was weiß der Teufel!) und ging wieder fort.
„Was heißt das auf Deutsch?“ fragte Paula interessiert.
„Ja, es bedeutet etwa, dass sie in ungefähr einem Monat die Maschine zum Laufen bringen werden!“ antwortete Petrov ohne Nachzudenken. Petrov bemühte sich darum, dass bei Paula nur gute Erinnerungen an ihren Russlandurlaub blieben.
„Klang irgendwie bisschen anders!“ Paula war verunsichert.
„Das ist so ein spezieller Moskauer Slang!“
„Und was ist mit den 50 Rubeln, die ich in die Maschine hineingeworfen habe? Sie werden doch erstattet, oder?“
„Wurden sie bereits!“ Petrov öffnete in dem Moment in seiner Manteltasche seine Geldbörse und griff ohne hinzuschauen nach einer 50 Rubel Münze.
„Hier sind deine 50 Rubel!“
Paula atmete erleichtert aus.
Während ihrer Tour durch das Innere des Kremls sahen Petrov und Paula auch die „Zarenglocke“.
„Interessant, wie die wohl geklungen haben mag!“
„Paula, schau mal da hin, siehst du da denn Riss? Es war damals unmöglich, eine Glocke solcher Dimensionen zu gießen! Deshalb zerbrach die Zarenglocke direkt danach und hat somit nie geläutet!“
„Hätte ich mir fast denken können!“ antwortete Paula.
Die nächste Station bei ihrem Kreml Rundgang war die „Zarenkanone“.
„Was schätzt du, wie weit konnte diese fünf Meter lange Kanone mal schießen?“ fragte Petrov seine Zuhörerin.
„Ich schätze mal so einen guten Kilometer weit?“
„Gar nicht!“
„Wie jetzt?“
„Hätte man aus einer Kanone solcher Dimensionen jemals eine Kugel abgefeuert, würde die Kanone bei dem allerersten Schuss explodieren! Wir sehen sie aber heute immer noch, und das bedeutet…?“
„…Dass aus ihr noch nie geschossen wurde!“ meinte Paula.
„100 Punkte!“
„Wieso hat man dann eigentlich eine solche Kanone, die nicht mal dazu fähig war, zu schießen, gegossen?“ wollte Paula wissen.
„Ja, das ist die Frage!“
Anschließend, bei einem Spaziergang durch Moskaus Zentralbezirk, bemerkte Paula ein seltsames Banner, bestimmt in Billboardgröße, aufgespannt auf einer Häuserwand. Darauf abgebildet war ein Soldat mit Helm und einer Waffe in der Hand, daneben stand in großen roten Lettern:
23. ФЕВРАЛЯ – ДЕНЬ ЗАЩИТНИКА ОТЕЧЕСТВА
„Was ist das für ein merkwürdiger Feiertag, für den ein Soldat mit einer Waffe auf einem Werbeschild wirbt?“ wunderte sich Paula.
„23. Februar – das ist doch der Tag des Verteidigers des Vaterlandes!“ antwortete ihr Petrov prompt.
„Verteidiger des Vaterlandes? Ein Feiertag für die Armee?“
„Was wundert dich denn so daran, Paula? Gefeiert werden an diesem Tag alle Männer, egal ob sie in der Armee sind oder nicht. Ein Paar Socken sind dabei ein Klassiker unter den Geschenken. Und dafür feiern am 8. März die Frauen und bekommen Blumen!“
„Kann ich mir in Deutschland nicht vorstellen! Tag der Bundeswehr – bundesweiter deutscher Feiertag!“ spottete Paula.
„Ihr habt doch den Muttertag, der übrigens in der NS-Zeit eingeführt worden ist, und den Vatertag, das ist doch schlussendlich ein und dasselbe! Der 23. Februar ist schließlich nicht der 9. Mai!“
„9. Mai? Auch ein Feiertag?“ Paula begann nachzudenken, während Petrov sogar stehenblieb und seinen Kopf langsam zu Paula drehte, bevor er ihn verurteilend hin und her bewegte.
„Wann war denn das Ende des Zweiten Weltkrieges, liebe Paula?“
„Ehm, 1945?“
„Und das soll eine Frage sein? Natürlich 1945, und zwar am 8. Mai mit der bedingungslosen Kapitulation des Dritten Reiches! Und deshalb feiert man in Russland am 9. Mai…“ Petrov wollte, dass Paula seinen Satz zuendeführte.
„… den Tag der Trauer und Erinnerung an die vielen Gefallenen?“
„Ach Paula, ich frag mich immer wieder aufs Neue, was ihr da eigentlich lernt, bei euch im Russischunterricht! Es geht doch nicht nur um die Sprache, es geht doch auch um die Kultur! – Petrov fasst sich an sein Nasenbein – 9. Mai ist natürlich der Tag des Sieges!“
„Aber es gibt da doch nichts zu feiern, denn dieser Sieg kostete Millionen Menschen ihr Leben!“
„Die Russen ticken da einfach etwas anders! Für sie war es, wenn auch ein sehr hart erkämpfter, Sieg über den Feind! Und darauf beruht die ganze hiesige Erinnerungskultur!“
„Aber wie soll man sowas bloß feiern?“
„Noch nie was von der Militärparade gehört? – Mittlerweile gingen die beiden über den Roten Platz – Am 9. Mai rollen hier vor dem Kreml die Panzer, darüber fliegen mit Donner die Luftstreitkräfte, der Himmel ist immer wolkenlos, da Wolken vorher weggesprüht werden. Veteranen tragen ihre Medaillen, oft sieht man dadurch nicht einmal ihre Kleidung und sogar Menschen in deinem Alter gehen zu diesen Menschen hin und bedanken sich bei denen!“
„Für was?“
„Für den Sieg natürlich! Es gibt zahlreiche Aufkleber mit der Aufschrift ‚Dank an Opa für den Sieg!‘ und Menschen singen auf der Straße Kriegslieder, auch im Radio sind sie zu hören! – Petrov legte eine kurze Pause ein – Aber jetzt ist genug gesprochen worden über die russischen Feiertage, lass uns jetzt die Mumie sehen!“
„Vom ägyptischen Pharao? Habe ich schon! Bei der Tutanchamun-Austellung!“
„Nein! Die Mumie von Onkel Lenin!“
„Ach die! Die Mumie, die niemals in Ägypten war?“
„Ja, genau die!“
„Wer war Lenin eigentlich?“
„Euer Geschichtslehrer ist auch nicht wirklich der beste der Welt!“
„In der Tat nicht! Aber wer war jetzt Lenin, ich habe den Namen schon oft gehört, weiß aber immer noch nicht, wer es ist!“
Petrov atmete schwer aus und sprach:
„Er war ein Kommunist, ein Andersdenkender!“
„Und weshalb ist er so berühmt?“
„Er gilt als der Gründungsvater der Sowjetunion! Und wegen ihm wurden alle Familienmitglieder des russischen Zaren und er selbst erschossen!“
„Das ist ja grausam!“ Paula hielt für einen kurzen Moment inne.
„Und wieso liegt ein Verbrecher wie er eigentlich im Mausoleum?“
„Nicht nur das! Während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bildeten sich tagtäglich wahnsinnige Warteschlangen auf dem Roten Platz. Tausende Menschen nahmen die manchmal über den ganzen Tag andauernden Wartezeiten in Kauf, um bloß einen kurzen Blick auf den großen Lenin zu erhaschen. Man könnte sagen, man verehrte ihn wie einen Gott, es war eine Art Kult!“
„Kann ich mir in Deutschland kaum vorstellen! Wäre Hitlers Leib nicht am 30. April 1945 verbrannt, würde man sicherlich kein Mausoleum zu seinen Ehren errichten und noch wahrscheinlicher würde keiner kommen, um den großen Gründungsvater des Dritten Reiches zu verehren!“
„In Deutschland wechselte nach 1945 die Macht, in der Sowjetunion nach Lenins Tod nicht!“ fügte Petrov abschließend hinzu. In Stille umrundeten sie die erst vor kurzem restaurierte Mumie des großen und „immer lebenden“ Lenins und begaben sich wieder nach draußen, immer noch schweigend.
Im Inneren des Mausoleums war es düster und sobald Paula und Petrov das rote Gebäude wieder verließen, blendeten sie für kurze Zeit die grellen Sonnenstrahlen. Nach ein paar Sekunden konnte Paula wieder normal den Roten Platz und die umliegenden Gebäude sehen. Als erstes sah sie das direkt ihr gegenüberliegenden GUM, das russische Pendant zu der Galerie Lafayette, danach richtete sich ihr Blick auf die Basilius Kathedrale mit ihren vielen, bunten Kuppeln und schließlich auf den Spasskaya Turm, den bekanntesten unter den Kremltürmen. Sie wollte sich schon fast umdrehen und Petrov folgen, der gerade in die Richtung des russischen Nationalmuseums ging, doch da sah sie eine Person, die sie glaubte irgendwoher zu kennen. Sie schaute genauer hin. Das Gesicht ihrer Zielperson wurde von einem großen, aufgeklappten Zeitungsblatt überdeckt.
„Diesen Pelzmantel kenn ich doch!“ dachte sich Paula
„Das ist doch Opas!“
In dem Moment begann sie sich langsam an die Kurznachricht zu erinnern, die sie an Alfred am Vorabend abschickte. Da blickte sie flüchtig auf ihre Uhr – beide Zeiger waren auf der Zahl 12. Vor kurzem erst schlugen die Kreml Glocken zwölf! Paula schmiss im nächsten Moment alle ihre Fantasien über Alfreds Dasein in Moskau zur Seite und drehte sich sogar um, sie wollte schon losrennen, um ihren Guide durch die russische Hauptstadt einzuholen, doch da siegte die Neugier in ihr. Sie drehte sich wieder um und näherte sich mit großen Schritten dem Mann mit der Zeitung. Je näher Paula an die Person im Pelzmantel kam, desto mehr und mehr ähnelten die Figur und der Mantel ihrem Opa. Sie näherte sich der Person schon auf fast fünf Schritte, da ließ diese die Zeitung runter und Paula konnte das Gesicht nun erblicken.
„Paula! Du bist nicht pünktlich. Es ist schon drei nach zwölf. Ich steh hier schon drei Minuten und warte auf dich! Wohin ist deine deutsche Pünktlichkeit?“ schimpfte, tatsächlich Paulas Opa, spaßhaft.
Schon zum zweiten Mal am Tag wuchs das bayerische Mädel mit dem russischen Boden fest zusammen. Sie konnte sich nicht vom Fleck bewegen und blickte Alfred nur mit solchen Augen an, sodass man Angst bekam, sie würden gleich aus Paulas Kopf herausfallen.
„Paulachen, meine liebe Enkelin, sprich doch mit mir!“
Paula konnte nicht einmal an das Reden denken, ihr Hals verwandelte sich in eine Wüste. Sie schaffte es nicht mal, ein einziges Wort aus sich herauszupressen, von einem zusammenhängenden und einen Sinn ergebenden Satz konnte in diesem Augenblick also absolut keine Rede sein. Erst nachdem sie sich gesammelt hatte und den sich in ihrem Mund angesammelten Speichel schluckte, konnte sie Alfred fragen:
„Opa! Wie hast du es geschafft?“ Womöglich traute Paula in dem Moment ihren Augen immer noch nicht, deshalb schloss sie für kurze Zeit ihre Augen und schüttelte ihren Kopf hin und her. Alfred stand danach jedoch immer noch vor ihr.
„Ganz einfach! In Stockholm stieg ich in die Boeing nach Moskau anstatt in den Airbus nach Stuttgart!“
Ehe Paula ihrem Opa noch weitere Fragen stellen konnte, eilte auch schon Petrov nach, der schon aus der Ferne die aus den zahlreichen Erzählungen Paulas ihm gut bekannte Persönlichkeit identifizieren konnte:
„Einen guten Tag Herr…?“ begrüßte Petrov Paulas Großvater und gab ihm seine Hand.
„Alfred Herbstschnitzler! Und Sie sind?“
„Herr Herbstschnitzel! Ich freue mich sehr, sie endlich kennenlernen zu dürfen! Paula hat mir schon viel über Sie erzählt! Und von ihrer einmaligen Nordamerika-Rundreise! Ich bin Detektiv Petrov, Paulas persönlicher Kriminalist!“
„Herr Herbstschnitzler bitte!“ Alfreds Gesichtsausdruck wurde etwas strenger.
„Entschuldigen sie mich bitte, Herr“, Petrov holte tief Luft, „Herbstschnitzler! An meiner Aussprache muss ich noch ein wenig feilen! Und gibt es einen bestimmten Grund, wieso sie Moskau besuchen? Wollten sie vielleicht ihre Enkelin sehen? Oder ist es nur ein spontaner Kurzstädtetrip?“
„Natürlich kein spontaner Kurztrip! – Alfred spielte, als wäre er empört – Ich bin hier um Paula zu helfen, ihre große Liebe zu finden!“
„Opa! – Paula gefiel Alfreds letzte Replik anscheinend nicht – Er ist nur mein guter Freund!“
„Ja, ja, – grinste Alfred – dann halt nur Freund!“
„War es ihre persönliche Initiative, ihre Enkelin zu unterstützen? Eine große Tat in ihrem Alter!“ Petrovs Stimme klang verwundert.
„Nein, nein, ganz im Gegenteil! – Alfred klopfte Paula an den Rücken – Paulienchen bat mich darum!“
„Opa!“ Paula klang sehr streng.
„Ja, ja, ich weiß, ich soll dich nicht so nennen! Aber der Spitzname ist so schön!“
In diesem Moment blickte Petrov Paula verurteilend an, sein Kopf bewegte sich hin und her. Er teilte ihr so mit, sie hätte einen großen Fehler begangen.
„Und haben sie schon einen Plan?“ Petrov blieb optimistisch.
„Ja klar, ich war vorhin im Gewährladen, und dort habe ich für uns eine gute Flinte reserviert!“
„Eine Flinte? – auch Petrov begrub nun seinen Optimismus – Aber wofür?“
„Ist doch selbstverständlich! Um Banditen abzuknallen, die Niko entführten!“
„Er heißt Nuko!“ sprach Paula genervt.
„Niko, Nuko, ist doch fast alles dasselbe!“ Alfred blieb in seinem Repertoire.
Petrov wollte den absurden Dialog schnellstmöglich beenden, deshalb setzte er seinen Joker ein:
„Herr Herbstschnitzler! Solche Gespräche lassen sich viel besser mit einem Glas russischen Nationalgetränkes in der Hand führen!“
Alfred verstand sofort, was Petrov damit meinte.
„Eine gute Idee!“ sprach Paulas Großvater, und der Trupp begab sich auf den Weg zur Metro.
Komischerweise war auch um halb eins am Samstag die Moskauer U-Bahn ziemlich voll, sodass nur Alfred einen Sitzplatz bekam. Petrov stand etwas weiter weg, Paula hingegen direkt vor ihrem Opa. Sie musste ziemlich nah an sein Ohr herankommen, da sie einerseits nicht zu laut reden durfte, sonst könnte es ja Petrov hören, andererseits musste sie laut genug sprechen, um den viel zu hohen Geräuschpegel im Waggon zu übertreffen.
„Seit wann heißt du eigentlich Herbstschnitzel irgendwas? Du hießt doch immer Hofer!“
„Ich wollte diesen komischen Russen nur ein kleines bisschen ärgern!“
„Nicht lustig!“ erwiderte Paula
„Und du bist über 70, Opa, und willst Banditen abknallen?“
„Endlich mal ein bisschen Spaß!“ antwortete Alfred.
Paula stellte sich in dem Moment ihren Großvater in einem Schwarzenegger Film vor, wie er mit einer Kalaschnikow den einen Gauner nach dem Anderen abknalle und schließlich Nuko befreie. Sie musste kurz lächeln, wurde aber auch gleichzeitig traurig, denn sie musste wieder an Nuko denken. Emotionen überfluteten sofort ihre Gedanken, sie begann sich auszumalen, was in dem Moment jetzt mit Nuko sein könnte. Die dramatischste Szene, die sie in dem Moment als eine Art Kopfkino sah, war ein schwarzer Granitgrabstein mit der Aufschrift:
Nuko
* 01.02.1999
† 05.02.2017
Schnell wachte sie darauf aus ihrem Trance auf und schüttelte nur den Kopf, wie ihr so etwas überhaupt einfallen konnte.
Im Eingang des märchenhaften Blockhauses blieb Alfred, sich dabei demonstrativ die Nase zuhaltend, vor dem Einstein Plakat stehen:
„So eins hätte ich auch gern!“ kommentierte er.
Als sich nun endlich alle um den Esstisch in der Küche von Petrovs Wohnung versammelten hatten, Petrov eine Flasche „Parlament“ aus dem Gefrierschrank holte, Alfred und sich selber das Dickflüssige aus der Flasche eingeschenkte, sie bereits anstoßen und die Gläser umkippten, begann Petrov zu erzählen, dabei schmackhaft in eine Fassgurke beißend:
„Also, die Gauner verbergen sich auf einem Floß und befinden sich gerade irgendwo auf dem Fluss Ob. Ihre Aufgabe, Herr Herbstschnitzel ist, sie aufzusuchen. Wir fliegen morgen nach Novosibirsk, dort setzten wir Sie auf ein Fahrzeug und sie begeben sich auf die Suche!“ Petrov griff gleich nach der nächsten Fassgurke.
„Erstens, immer noch Herbstschnitzler und zweitens, was unternehmt ihr?“ fragte Alfred sehr erstaunt.
In diesem Augenblick blinzelte Petrov Paula an, sie verstand jedoch nicht wirklich, was er damit sagen wollte, entschied jedoch zu schweigen und keine Zwischenfragen zu stellen.
„Wir suchen erstmals in der Stadt und kommen nach!“
Nun sagte Petrov, er wolle was zusammen mit Paula einkaufen gehen. Alfred wollte zwar auch mitkommen, Petrov sagte jedoch, sie wollen eine kleine Überraschung vorbereiten.
Gleich nachdem sich die Wohnungstür schloss, schoss Paula mit ihren zahlreichen Fragen los:
„Was soll der ganze Kram nur werden? Sind die Gauner wirklich auf einem Floß? Ist Nuko dort? Wieso erfahr ich es erst jetzt?“
„Beruhig dich erstmal. Atme ein und aus, und ein und aus. Also, alles ist unter Kontrolle! Ich habe schon drei Flugtickets bis Novosibirsk besorgt und von dort aus fliegen wir weiter nach Irkutsk und dein Opa reist mit meinem Freund auf dem Ob. Der sagte, er wolle einen exotischen Reisebegleiter. Alfred verbringt schön seine Zeit und wir fragen den einen Randalen aus der Bande persönlich, wo sich die Anderen befinden und natürlich, Nuko, denn die dort in Irkutsk sind zu nichts fähig!“
„Und der ganze Quatsch mit dem Floß?“
„Das habe ich mir ausgedacht!“
„Wie nochmal, das mit dem Floß hast du dir ausgedacht? Und wie wollen dann mein Opa mit deinem Freund auf dem Ob reisen?“
„Bei wieviel Grad friert Wasser ein?“, stellte Petrov die Frage.
„Ja… Bei 0°C eigentlich?!“
„Eben, und im Februar ist es dort -25°C kalt. Der Ganze Fluss friert einfach ein! Dort bildet sich eine richtige „Eisautobahn“. Dein Großvater reist ganz einfach mit einem Geländewagen! Mein Fehler, dass ich es deinem Opa nicht gleich gesagt habe!“
„Wieso machst du das eigentlich für meinen Großvater? Sollten wir ihn nicht besser wieder nach Deutschland schicken?“ Paula kümmerte sich um ihren allerliebsten Opi.
„Paula, das mit meinem Freund und dem exotischen Reisebegleiter, das meine ich wirklich ernst. Mein Freund, Ivan, wollte schon mal mit einem alten Chinesen, der mindestens genauso abgefahren, wie dein Opa sein muss, irgendwo im Altai-Gebirge einen Marathon laufen! Ivan ist ein wirklicher Freak! Ich kenn ihn noch seit der Uni!“
„Und ist’s mit dem Marathon alles gut gelaufen?“ wollte Paula wissen.
„Ich glaube eher nicht! Der alte Chinese kratzte kurze Zeit später, nachdem er Ivans Angebot annahm, ab! RIP Freund!“
„Starb!“ Paula hütete die Menschenwürde.
„Ja, ich entschuldige mich, der alte Chinese starb!“
Bei der Überraschung für Alfred dachte er wahrscheinlich an eine neue Wodka Flasche, zum Beispiel an eine 50 Euro teure Beluga, doch Paula und Petrov konnten ihn tatsächlich überraschen.
„Ein T-Shirt mit dem russischen Präsidenten? So etwas hätte ich wirklich nicht erwartet!“ meinte Alfred.
„Tragen Sie das Teil überall, dann werden sie auch sofort mehr respektiert und fühlen sich mehr in die russische Gesellschaft integriert!“
Alfred freute sich und fragte gleichzeitig:
„Wieso tragen sie eigentlich keines, Herr Detektiv?“
„Sie sahen mich bisher auch nur in meiner Dienstkleidung!“ parierte Petrov.
Am nächsten Morgen fuhren sie zu dritt zum Moskauer Scheremetjewo-Flughafen und stiegen in die Flugmaschine nach Novosibirsk.