Читать книгу Skelett des Grauens - Martin Willi - Страница 11

5) Freitag

Оглавление

Das ist hier ja wirklich wie am Ende der Welt, ich hab’s ja schon immer gesagt, nach mir die Sintflut, dachte sich Petra als sie am heutigen Septembermorgen von Laufenburg ins Mettauertal fuhr, in die alte Heimat von Ulrich. Dorthin wo er als kleiner Junge eine unbekümmerte Kindheit erlebte, wie er ihr mal erzählt hatte. Als sie vom Kaistenberg herkommend rechts den Wald von Laufenburg erblickte, so dachte sie zurück an den Fall von Sabrina Eckert, die hier tot aufgefunden wurde. Was für ein dubioser Fall. Bis heute weiss man immer noch nicht, wer diesen Pedro Alvare damals auf so bestialische Art und Weise umgebracht hat. Ob es wirklich seine Tochter Maria-Dolores war? Maria-Dolores, was machst du wohl? Ach egal, ich muss mich auf heute konzentrieren. Das Opfer, das am Montag in Hirschthal gefunden wurde, ist ja auch ziemlich furchtbar ums Leben gekommen.

Ihr Navigationsgerät führte sie auf direktem Weg zum Bauernhof, wo einst dieser spurlos verschwundene Christian Gautschi gelebt hatte. Wie sie mittlerweile herausfand, verstarben Gautschis Eltern schon früh und auch sein einziger Bruder Robert kam bei einem Unfall mit seinem Mofa ums Leben. Gautschi lebte alleine und zurückgezogen auf diesem Bauernhof mit seinen Tieren. Er galt offenbar als ruhiger, freundlicher und hilfsbereiter Mann.

Wie kann man hier bloss wohnen, dachte sich Petra als sie ihr Fahrzeug anhielt, den Motor abstellte und ausstieg. Das erinnert mich alles sehr an den Kriminalroman «Tannöd» der deutschen Autorin Andrea Maria Schenkel. Genauso verlassen habe ich mir den Hof der Familie Danner damals vorgestellt als ich das Buch las. Das Buch erschien im Januar 2006 und wurde drei Jahre später unter gleichem Titel verfilmt. Und auch der Film vermochte Petra gleichermassen zu begeistern wie das Buch. «Scheisse», als erstes trat sie schon mal in eine dreckige Pfütze. Sie reinigte ihre Schuhe so gut es ging auf einer Wiese. Dann schritt sie zur Eingangstüre und suchte nach einer Klingel, die es hier jedoch ganz offenbar nicht gab. Deshalb versuchte sie sich mit Klopfen an die Türe bemerkbar zu machen, jedoch vergeblich. Sie drückte langsam die Klinke nach unten, die Türe liess sich ohne weiteres öffnen. «Hallo, ist hier jemand?» Schon wollte sie eintreten, doch dann hielt sie inne, ihre Ohren vernahmen ein Traktorengeräusch, das sich langsam dem Hof näherte. Sie zog die Türe wieder zu und trat zurück zu ihrem Auto, dabei musste sie gut aufpassen, dass sie nicht wieder in eine Pfütze oder etwas Schlimmeres trat, das den Namen Scheisse noch besser verdient hätte. Beim Auto angekommen spähte sie in die Richtung, aus der das knatternde Geräusch zu hören war.

Da sah sie ihn kommen, oder besser gesagt, sie sah Petra kommen, eine Frau steuerte den roten Traktor Marke New Holland TL 80 A aus dem Jahre 1999 auf den Platz vor dem Bauernhof.

Marlene Meyer zog ihr Kopftuch, das sie zum Schutz ihrer Haare trug, nach hinten und blickte verwundert zur fremden Frau, die sich auf ihrem Grundstück befand. Besuch war sie sich hier in der Einsamkeit nicht gewohnt. «Guten Tag», sie stieg aus der Fahrerkabine und trat näher, «wollen Sie zu mir, oder haben Sie sich etwa verfahren? Das ist hier in dieser Gegend durchaus möglich. Kann ich Ihnen vielleicht helfen?»

«Guten Tag, mein Name ist Petra Neuhaus, ich komme von der Kriminalpolizei des Kantons Aargau.»

Skeptisch und voller Argwohn betrachtete Marlene mit ihren braunen Rehaugen zunächst den Ausweis, dann die Frau, die ganz offensichtlich etwas von ihr wollte, denn sonst wäre sie ja wohl nicht hierhergekommen. Und sie würde nicht mit diesem forschenden, fordernden Blick vor ihr stehen. Mit den Worten «Was kann ich für Sie tun?» reichte sie ihr den Ausweis zurück.

«Vor über zehn Jahren lebte doch ein gewisser Christian Gautschi hier auf diesem Hof, nicht wahr?»

Einen kurzen Moment herrschte Ruhe, nur das Rufen der kreisenden schwarzen Krähen am Himmel war zu vernehmen. Marlene setzte ihre rundliche, aber durchaus nicht unattraktive Figur in Bewegung und trat Richtung Eingangstüre. «Möchten Sie nicht reinkommen?»

Wenige Minuten später sassen sich die beiden Frauen am Tisch der spärlich eingerichteten Bauernküche gegenüber und tranken ein Glas Zitronenwasser, das Marlene frisch zubereitet hatte.

Frisches Zitronenwasser, das hat meine Mutter auch immer gemacht als ich noch ein kleines Mädchen war, erinnerte sich Petra etwas wehmütig, bevor sie sich wieder an Marlene wandte. «Wohnen Sie alleine hier?»

«Ja und nein, meine Tochter Caroline hat noch ein Zimmer hier, aber sie lebt eigentlich in Basel in einer WG. Sie studiert Jura und in ihrer Freizeit jobbt sie in einer Bar, daher ist sie nur selten bis gar nie hier. Können Sie mir jetzt bitte erzählen, worum es geht, warum Sie hier sind?»

Petras Nachforschungen hatten ergeben, dass auf dem ehemaligen Hof des verschwundenen Christian Gautschi nun dessen Schwägerin wohnte. «Vor zehn Jahren verschwand doch Ihr Schwager Christian Gautschi, nicht wahr?»

«Ja, das stimmt, aber …» Marlene atmete tief durch, hielt einen Augenblick inne: «Ist er wieder aufgetaucht?»

Petra entging nicht, dass Marlene zusehends von Sekunde zu Sekunde nervöser wurde. Wie sich ihre von der körperlichen Arbeit gekräftigten Hände zitternd um das Glas mit dem Zitronenwasser klammerten. Wenn sie noch stärker drückt, so bricht das Glas entzwei und ihr Blut vermischt sich mit dem Zitronenwasser. «Warum meinen Sie, dass er wieder aufgetaucht sein könnte?»

Mit belegter flatternder Stimme sprach Marlene Meyer weiter, ihr Blick war stur auf den Küchentisch gerichtet. «Sonst wären Sie doch nicht da. Ich meine, es muss doch einen Grund geben, warum Sie hier sind.»

«Natürlich, es geschieht nichts ohne Grund. Sie kennen doch Monika Oeschger, nicht wahr, Frau Meyer? Monika wohnte ebenfalls bis vor etwa zehn Jahren hier im Dorf.»

«Die Monika, ja aber natürlich, also jetzt verstehe ich gar nichts mehr.»

Nun war es an der Zeit, dass Petra Neuhaus sich erklärte. Sie berichtete vom Skelett, das in Hirschthal aufgefunden wurde. Sprach davon, dass ihr Freund Ulrich von Monika erzählte, und diese wiederum sprach von einem Landwirt, der zu jener Zeit verschwunden war. «Wir gehen davon aus, dass es sich bei dem aufgefundenen Skelett tatsächlich um die Knochen von Ihrem Schwager handeln kann. Was uns fehlt ist eine sichere DNA-Analyse. Gibt es vielleicht hier auf dem Bauernhof noch irgendetwas von Ihrem Schwager?»

Marlene stand auf, die Zeit verrann und eigentlich müsste sie in den Stall, um die Rinder zu füttern, die sich bereits laut muhend bemerkbar gemacht hatten. «Nach so langer Zeit, ich weiss nicht, kann man da denn noch was feststellen?»

Auch Petra Neuhaus war nun aufgestanden und meinte nur: «Ja das geht mit Bestimmtheit, Sie können sich gar nicht vorstellen, was heute alles möglich ist. Oder hatte Ihr Schwager vielleicht mal einen Knochenbruch oder ein anderes Merkmal, woran man ihn identifizieren kann?»

«Ja, Robert mein Mann, hat mir mal davon erzählt. Als Kind ist Christian beim Kirschenpflücken von der Leiter gefallen und hat sich das rechte Bein gebrochen. Es war offenbar ein ziemlich komplizierter Bruch, der nicht in Laufenburg, sondern im Kantonsspital in Aarau operiert und behandelt wurde.»

Petra fiel ein Stein vom Herzen. Damit wird es möglich sein die Identifizierung vorzunehmen, sobald denn alle Skelettteile geborgen waren. Sie war sich sicher, dass es sich beim «Skelett des Grauens» um Christian Gautschi handelte.

«Was mich noch interessiert, Frau Meyer, ist, weshalb sie nun den Hof hier bewirtschaften.»

Marlene trat hinaus auf die Veranda, wohin Petra ihr folgte. Der Tag neigte sich dem Ende entgegen und es kam ihr ein kühler Herbstwind entgegen, der sie kurz erzittern liess.

«Tja, das hat sich so ergeben», meinte Marlene. «Vor drei Jahren wurde Christian Gautschi für tot erklärt und ich war zusammen mit meiner Tochter seine einzige Verwandte, daher erbte ich den Hof. Zu jener Zeit war hier alles total verwahrlost, denn seit Christians Verschwinden stand alles leer und still. Genau zu dieser Zeit machte mein Arbeitgeber Konkurs und ich stand buchstäblich auf der Strasse. Ja, und da habe ich mich entschieden, hier alles wieder in Betrieb zu nehmen. Meine Tochter war vollkommen dagegen, sie wehrte sich mit Händen und Füssen. Ich weiss nicht weshalb, sie hatte früher ein gutes Verhältnis zu ihrem Onkel und sie war als kleines Mädchen auch oft hier, wenn ich am Arbeiten war.»

Noch auf der Fahrt zurück nach Aarau bekam sie von Erwin eine WhatsApp-Nachricht mit dem Text «Alle Knochen geborgen, Skelett des Grauens komplett.» Super, dann werden wir wohl bald Klarheit haben. Und schon wählte sie die Nummer von Joseph Heidenreich, der sich aber erst nach geraumer Zeit am Telefon meldete. «Wenn man mit Toten zu tun hat, so hat man Zeit, unendlich viel Zeit», meinte er diesbezüglich einst zu Petra. Ach nimm doch schon ab, Heidenreich.

Petra arbeitete schon viele Jahre mit dem Pathologen zusammen und sie schätzte ihn, besonders sein kompetentes Fachwissen. Er war etwas über 50 Jahre alt und Petra kam es oft so vor, als würde er schon ewig in der Pathologie arbeiten. Seine grauen Haare, sein blasses Gesicht, bewirkten bei Petra, dass sie glaubte, Heidenreich hätte sich bei den vielen Toten angesteckt, mit denen er zu tun hatte.

«Heidenreich, guten Tag Frau Kommissarin, womit kann ich Ihnen dienen? Haben Sie vielleicht wieder einen schönen Toten für mich, oder noch besser, gleich mehrere? Das wäre entzückend, das würde mein Wochenende enorm bereichern.»

Na endlich, du weisst doch ganz genau, womit du mir dienen kannst.«Guten Tag Herr Heidenreich, wie ich gehört habe, liegt nun das ganze Skelett des Grauens auf Ihrem Tisch. Können Sie mir sagen, ob der Mann zu Lebzeiten sein rechtes Bein gebrochen hatte?»

«Nur mit der Ruhe liebe Frau Neuhaus, so schnell geht das nicht. Auch ich kann nicht zaubern, auch wenn ich das noch so gerne möchte. Ich muss erst mal alle Knochen richtig zusammen fügen. Ausserdem ist ja schon Freitag, ich kann Ihnen da vor Montagmorgen keine genauen Angaben machen.»

«Okay, aber rufen Sie mich bitte umgehend an, sobald Sie meine Frage betreffend des gebrochenen Beines beantworten können.»

«Natürlich Frau Neuhaus, das mache ich sofort oder noch schneller. Sie können sich auf mich verlassen, so wie immer.»

Skelett des Grauens

Подняться наверх