Читать книгу Gut oder Böse - wie überleben wir am besten? - Martina Kleinlein - Страница 7

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Der Grundstein unseres - Urteilsvermögens

Fangen wir mit dem beginnenden Dasein im Mutterleib an. Wir können uns nicht erinnern, aber es müsste ungefähr so gewesen sein:

Alles um uns herum ist dunkel. Wir sind blind, können noch nichts empfinden oder hören. Wir schweben im Fruchtwasser, aber das wissen wir noch nicht. Die Temperatur ist uns gegeben und wird uns vertraut, wenn wir unsere Sensoren dafür entwickeln. Die Hände fangen an zu tasten. Wir stellen fest, dass unser Ich mit einem Körper verbunden ist und wir beginnen an unserem Daumen zu lutschen und Wasser zu schlucken. Wir beginnen zu hören und nehmen ganz aus der Ferne Laute wahr, die wir noch nicht einordnen können, aber über die Hormone und das Essen der Mutter wirken bestimmte Stoffe auf uns ein, die uns wach oder müde werden lassen. Dann wird es immer enger.

Wir schwebten in einer Dimension, doch nun fühlen wir etwas um uns herum. Es wird immer enger und wir können uns nicht mehr frei bewegen, deswegen strampeln wir uns frei, drehen uns. Der Vergleich von vorher zu nachher löst eine Reaktion aus, aber wir wissen noch nicht, ob es gut oder böse ist.

Schopenhauer beschreibt sehr schön in seinem Buch „Die Welt als Wille und Vorstellung“, wie unsere Weltvorstellung nur durch uns selber zustande kommt.

„Aber wie mit dem Eintritt der Sonne die sichtbare Welt dasteht; so verwandelt der Verstand mit einem Schlage, durch seine einzige, einfache Funktion, die dumpfe, nichtssagende Empfindung in Anschauung. Was das Auge, das Ohr, die Hand empfindet, ist nicht die Anschauung: es sind bloße Data. Erst indem der Verstand von der Wirkung auf die Ursache übergeht, steht die Welt da, als Anschauung im Raume ausgebreitet, der Gestalt nach wechselnd, der Materie nach durch alle Zeit beharrend: denn er vereinigt Raum und Zeit in der Vorstellung Materie, d. i. Wirksamkeit. Diese Welt als Vorstellung ist, wie nur durch den Verstand, auch nur für den Verstand da.“4

Die ersten Erfahrungen beginnen mit dem Fühlen und Hören, später mit der Geburt kommen Sehen, Riechen und Schmecken zur Geltung. Das Kind nimmt plötzlich Reize wahr, die es vorher noch nicht kannte. Es beginnt z. B. ein Wohlgefallen beim ersten Trinken von Milch zu haben. Eine neue Erfahrung, die ruhig und zufrieden stimmt. Babys riechen die Milch, auch ihre Mutter, und beginnen zu sehen. Eine ungeheure Flut an Reizen strömt auf das Kind ein, die es erst einmal neutral annimmt und erst später, wenn es eine Vorliebe entwickelt und im Gedächtnis abgespeichert hat, erkennt es ebenfalls die unangenehme Seite. Dabei bildet es stetig zunehmende neuronale Schaltungen für automatisierte Vorgänge, die sein Überleben sichern sollen.

Gleichzeitig mit der Wahrnehmung, sich gut zu fühlen und sich unwohl zu fühlen, entwickelt der Säugling einen eigenen Willen, der zunächst intuitiv vom Gefühl mitbestimmt ist, sich aber immer weiter ausbildet bis zum selbständigen Urteilen. Erste Versuche dazu in der Ja-Nein-Phase. Das Kleinkind benutzt die Worte und guckt, was Mama und Papa dazu sagen. Aus der Reaktion lernt es den Umgang mit der Umwelt. Zum Überleben merkt es sich Gefahren und passt sich an, da es in hohem Grade abhängig ist.

Hier sehen wir schon, wie individuell in diesem Alter die Entwicklung sein kann. Tausende von Möglichkeiten, Vorgänge positiv oder negativ im Gedächtnis zu speichern, bilden den Wegweiser für die Zukunft. Die Eltern prägen ganz entscheidend den Weg des Kindes. Zudem spielen das Land und der Wohnort eine Rolle. Wie verhalten sich die Eltern: Nehmen sie Rücksicht auf andere oder sind sie eher skrupellos, gehen sie auf das Kind ein oder überlassen sie es sich selbst. Wie reagieren Freunde und Bekannte auf das Kleine: Gehen sie positiv darauf ein oder ist ihnen das Geschrei zu viel. Umsorgen Eltern ihre Nachkommen oder sehen sie weniger darauf. Alles wird vom Gehirn des Kindes verarbeitet und gespeichert, überprüft und irgendwann bewertet.

Laut Schopenhauer spielen zwei Faktoren bei der Wahrnehmung der Umwelt eine Rolle: der Raum und die Zeit. Nur so können Erfahrungen überhaupt gemacht werden. Ohne die Zeit stände der Raum still.

„Im bloßen Raum wäre die Welt starr und unbeweglich: kein Nacheinander, keine Veränderung, kein Wirken: eben mit dem Wirken ist aber auch die Vorstellung der Materie aufgehoben. In der bloßen Zeit wiederum wäre alles flüchtig: kein Beharren, kein Nebeneinander und daher kein Zugleich, folglich keine Dauer: also wieder auch keine Materie. Erst durch die Vereinigung von Zeit und Raum erwächst die Materie, d. i. die Möglichkeit des Zugleichseyns und dadurch der Dauer, durch diese wieder des Beharrens der Substanz, bei der Veränderung der Zustände.“5

Alle Wahrnehmung geschieht hintereinander, und so untersucht das Kind mit Eifer jeden Gegenstand, jede Nahrung und beobachtet jede Person. Welche Spielsachen erhält das Kind, welche Nahrungsmittel sind ihm zugänglich? Wenn das Kleinkind soweit ist, vergleicht es und bildet sich ein Urteil. Und dies kann ganz unabhängig von der Umwelt gefällt werden z. B. bei der Nahrung gibt es bei Säuglingen bereits Vorlieben zu bestimmten Gemüsesorten oder Gerichten.

So lernt das Kind dazu und beginnt, komplexer zu denken. Wer liebt als Kind schon Verbote, aber je älter das Kind wird und wenn es Geschwister hat, wird es erkennen, dass diese Verbote notwendig waren. So muss das Kind etwas als schlecht Empfundenes revidieren, weil es erkennt, dass die Verbote dazu da waren, um es zu schützen, damit es ihm gut geht.

Bei der Bandbreite unterschiedlicher Lebensweisen z. B. in Europa oder Afrika, wie vornehme Villa oder Ghetto, Privatschule oder staatliche Schule, scharf gewürzte oder milde Gerichte, Tradition oder Ritual, ist es nur logisch, dass ebenfalls die Meinungen über Gut und Böse auseinandergehen.

Manche Kinder werden in Familien hineingeboren, die ihren Nachwuchs im Taschendiebstahl schulen, und die Kinder sind dann stolz, wenn sie gelobt werden und empfinden keineswegs ihre Tat als kriminell. Aber lernt das Kind anhand der Umgebung, dass es dafür bestraft werden kann, dann könnte es sich gegen die Handlungsweise der Eltern entscheiden und könnte unter Umständen der Familie vom Taschendiebstahl abraten. Niemand kann nachvollziehen, wie viele unterschiedliche Situationen im Gehirn gespeichert werden und wie sie sich vernetzt zu einer Meinung herausbilden. Manchmal sind es kleine Momente, die ziemlich ins Gewicht fallen, manchmal tiefgreifende Erfahrungen. Also was ist denn nun Gut und Böse?

Nun könnte jeder kommen und für sich selber definieren, was Gut und Böse ist, er würde andere schelten und würde versuchen, die Umwelt so zu beeinflussen, dass nur sein Verständnis von Gut oder Böse gelebt werden sollte. Für ihn wäre es sehr bequem. Sicherlich würde er für sich alle Rechte in Anspruch nehmen und anderen wenig Rechte zugestehen. Dieses Problem ist bekannt und wird bereits im Kindergarten ausgetragen: Entweder der Stärkere gewinnt oder es gibt ein Miteinander.

Gewinnt immer nur einer, werden die anderen unzufrieden, schließen sich zusammen und nehmen sich ihr Recht raus. Im Kindergarten greift dann bei Rangeleien die pädagogische Kraft ein und vermittelt die Moral des Landes.

Bei Erwachsenen kann das Recht einfordern zur Selbstjustiz führen, eine vom Staat nicht kontrollierte Bestrafung, bei der niemand weiß, welche Strafe ihn erwartet. Im schlimmsten Fall bedeutet dies, dass jeder jeden bekämpft. Solche Beispiele hatten wir bereits in der Vergangenheit bei den amerikanischen Siedlern, die anfangs ohne Gesetz ihr Hab und Gut verteidigten und im Notfall ein Gewehr zur Hilfe nehmen mussten. Was bedeutet, zwei Leben standen sich gegenüber, bereit sich auszulöschen.

Da wären wir bei der Gesetzgebung, die zum Schutze eines jeden Bürgers beschlossen wurde. In Deutschland gab es in früheren Zeiten Leibeigene und Fronarbeit, d.h. wenig Rechte für die Arbeitenden, die völlig abhängig vom Adel waren. Die Demokratie ist ein Weg, die meisten Bewohner zufrieden zu stellen.

Gesetzesbücher stehen für das Gute und bestrafen das Schlechte. Endlich Ruhe im Land? Aber nein! Es werden Lücken im Gesetz gefunden, weil es wieder unterschiedliche Auslegungen von Gut und Böse gibt. Der einfache Bürger ist derjenige, der darunter zu leiden hat. Und weltweit gesehen gab es wahrscheinlich noch nie Zeiten, in denen es keine Kriege gab, denn jedes Land hat seine eigenen Vorstellungen.

Manche brechen das Gesetz, um sich am Leben zu erhalten, weil die Gesetzgebung in bestimmten Ländern arme Menschen nicht berücksichtigt, andere nutzen Gesetzeslücken, um ihre nie endende Gier nach Macht und Geld zu stillen. Eine Demokratie liefert eine gute Basis, damit jeder zu seinem Recht kommt und die Allgemeinheit bestimmt mit der Wahl, in welche Richtung die Gesetzgebung und das Leben im Land fortgeführt werden. Bei einer Diktatur oder Monarchie sieht das schon wieder anders aus: Gut ist, was von oben bestimmt wird. Doch gibt es viele Mischformen, bei denen ein Volk mitbestimmen kann.

Sichtweise und Lebensweise einer Familie, Stadt, Nation oder der Welt können sich über die Zeit ändern und was gestern in war, kann morgen schon tabu sein. Ich wuchs mit Telefon und Post auf, heute gibt es Internet und E-Mail. Damals wurde ab und zu telefoniert, heute schreibt man sich fast täglich auf verschiedenen Portalen.

Doch in einem sind sich alle einig: Jeder möchte so gut wie möglich leben und möchte all seine Bedürfnisse erfüllt sehen. Aber was die Interpretation von Bedürfnissen angeht, ist dies schon wieder unterschiedlich. Einer ist mit einer kleinen Wohnung zufrieden, ein anderer möchte eine Luxusvilla und kann ohne nicht glücklich sein. Alles andere wäre für diese Person zwar nicht böse, aber schlecht und langweilig.

Wovon machen wir uns abhängig, wie definieren wir Glück? Ist Glück wirklich Glück oder wandelt es sich zum Unglück? In den alten Schriften wie der Bhagavad-Gītā finden wir dazu einen Vers:

„Das, was am Anfang wie Gift sein kann, doch am Ende wie Nektar ist und einen zur Selbsterkenntnis erweckt, gilt als Glück in der Erscheinungsweise der Tugend. Jenes Glück, das aus dem Kontakt der Sinne mit ihren Objekten entsteht und das am Anfang wie Nektar erscheint, doch am Ende wie Gift ist, gilt als Glück in der Erscheinungsweise der Leidenschaft. Und jenes Glück, das der Selbsterkenntnis gegenüber blind ist, das von Anfang bis Ende Täuschung ist und aus Schlaf, Trägheit und Illusion entsteht, gilt als Glück in der Erscheinungsweise der Unwissenheit.“6

Jeder weiß, wie mühselig es ist, zu lernen und weiterzukommen. Am Ende macht es sich bezahlt und es wird davon profitiert. Doch wenn jemand danach geht, was sein Körper möchte, und ohne Verstand z. B. Fettes und Süßes in sich hineinstopft, der muss mit negativen Folgen für die Gesundheit rechnen. Und wer nur herumlungert und nichts tun will, dem bleibt am Ende nur das Glück der Straße übrig.

Wünsche und Erwartungshaltung tragen viel zum Verständnis von Glück und Unglück bei. Wer nie zufrieden sein kann, weil er immer noch mehr will, verbreitet diese Unzufriedenheit auf andere und ich frage mich, ob solche Menschen jemals glücklich sein können. Vielleicht für den Moment einer Neuanschaffung, bis diese nicht mehr gut genug ist. Dazu gibt es einen Vers, den ich hier zitieren möchte:

„Nur wer durch die unaufhörliche Flut von Wünschen nicht gestört ist - die wie Flüsse in den Ozean münden, der ständig gefüllt wird, doch immer ausgeglichen bleibt -, kann Frieden erlangen, und nicht derjenige, der danach trachtet, solche Wünsche zu befriedigen.‘7

Je nach Ansicht wird das Leben nach Wünschen ausgerichtet: beruflich, familiär, privat usw. Oftmals entstehen diese Wünsche, weil man sich eine Verbesserung dadurch erhofft. Etwas, was das Leben schöner, entspannter oder einfacher gestaltet. Haushaltsgegenstände, die Zeit einsparen, Mittel zur Entspannung und für die Gesundheit, etwas, was Vergnügen bereitet und uns die negativen Seiten des Lebens vergessen lässt usw. Wir müssen unser Leben damit erträglicher gestalten, weil uns sonst die Schwierigkeiten über den Kopf wachsen.

Somit entsteht eine gewisse Abhängigkeit vom Glück des Einzelnen und der Wunscherfüllung. Tagelang drehen sich die Gedanken um den ersehnten Gegenstand, wann er nun endlich da ist, aber ist er geliefert worden, dann dauert das Glück nur eine kurze Zeit, wird sozusagen Routine. Danach wird etwas anderes gefunden, was als Manko empfunden wird. Und wieder drehen sich die Gedanken um das zukünftige Glück.

Und was ist mit dem Hier und Jetzt? Denken wir an Negatives, versperren wir uns in diesem Moment dem Schönen, und tun wir das permanent, dann dringt wahrscheinlich nichts Schönes mehr zu uns vor.

Nehmen wir einmal an, wir hätten all unsere Wünsche nicht mehr oder nur so, dass wir auch ohne sie auskommen könnten - es wäre uns einfach egal - dann würden unsere Gedanken nicht darum kreisen und wir wären offen für all die kleinen Geschenke, die dieses Leben zu bieten hat wie z. B. der Duft einer Blume, dem Lied eines Vogels, einem Kinderlachen oder der Umarmung eines Freundes. Was auch immer es ist, jeden Tag könnten wir etliche Situationen finden, die sich positiv auf unser Gemüt ausüben, wenn wir unsere Erwartungen einfach herunterschrauben und nicht immer nur das allerbeste vom Leben einfordern würden. Dann hätten wir eine innere Zufriedenheit, einen inneren Frieden.

Eine andere Art des Glücks ist die der Liebe: Liebe zu geben und zu empfangen. Dafür braucht man meist kein Geld und es ist situationsunabhängig, kann völlig spontan entstehen. Egoismus entzweit, denkt nur an sich selber, Liebe verbindet, sucht die Gemeinsamkeit.

Oftmals hat ein Egoist ein Manko an glücklichen Momenten, so muss er sich mühselig von Wunsch zu Wunsch hangeln, um wenigsten dort für kurze Zeit Glück empfinden zu können. Deswegen möchte er meistens auch den Vorrang haben, während der Liebende jedem ein gleiches Recht zugesteht.

Somit bilden sich zwei Pole heraus: Liebe als Verbindung zu anderen und Egoismus als Trennung des Selbst von der Allgemeinheit, also Verbindung und Trennung als eine Art Anziehung und Abstoßung, plus und minus, positiv und negativ. Doch ist der Egoismus in gewisser Weise überlebenswichtig, bildet den Charakter heraus als Gegensatz zu anderen, während das Eins sein mit anderen auch bedeuten kann, dass man den eigenen Willen verliert und Mitläufer wird, nicht mehr erkennt, was für die eigene Person gut und schlecht ist. Auf das richtige Maß kommt es an, seinen eigenen Weg nicht aus den Augen zu verlieren, auch wenn man sich in einer Gruppe befindet, die anders denkt. Letztendlich ist jeder für sich selbst verantwortlich.

4 Artur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Anaconda Verlag GmbH 2009, S.33 Erstes Buch, § 4

5 Artur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Anaconda Verlag GmbH 2009, S.31 Erstes Buch, § 4

6 A.C.Bhaktivedanta Swami Prabhupada, Bhagavad-Gītā Wie sie ist, The Bhaktivedanta Book Trust 1987, Kapitel 18 Vers 37 - 39

7 A.C.Bhaktivedanta Swami Prabhupada, Bhagavad-Gītā Wie sie ist, The Bhaktivedanta Book Trust 1987, Kapitel 2 Vers 70

Gut oder Böse - wie überleben wir am besten?

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