Читать книгу Tysja - Martina Meier - Страница 10

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Eine Freundin auf der Lampe

Hier stand sie nun, die kleine Hexe mit den roten Haaren, und hexte und fluchte leise vor sich hin, um ein wenig, wenigsten nur ein klein wenig Ordnung in das Chaos zu bringen – in das Haus in der Dümpelgasse 7 in Hexenhausen.

Sie hatte gerade die ersten Arbeiten erledigt, da fiel ihr ein: Sie hatte den Besen, ihren Hexenbesen vor der Tür vergessen. Und den braucht man ja bekanntlich, wenn man ein Haus so richtig in Ordnung bringen will.

Da das Hexen nicht geklappt hatte, musste Tysja kräftig zupacken. Einzig der Besen verrichtete seine Arbeit ohne jede weitere Hilfe alleine, denn natürlich hatte er – als echter Hexenbesen – auch magische Kräfte.

„Braver Besen“, hörte man Tysja dann auch öfter einmal murmeln, „wenn ich dich nicht hätte.“ Denn schließlich wollen auch echte Hexenbesen einmal gelobt werden.

Nicht dass die Arbeit einfach gewesen wäre, nein, das konnte Tysja wahrlich nicht behaupten. Die kleine Hexe und ihr Besen hatten eine Menge zu tun. Sie fegten hier, schüttelten dort, wischen hinten, wienerten vorne.

Doch irgendwann einmal war die Arbeit geschafft und Tysja schaute sich befriedigt um.

„Fertig“, sagte sie nicht ohne Stolz und setzte sich auf das Bett, das jetzt, wo es vom Schutz befreit war, gar nicht so übel ausschaute mit seinen vielen Verzierungen und Schnörkeleien.

„Das hier wird mein Zimmer“, überlegte Tysja laut. Ihr Blick ging zum Fenster, das nun – hübsch glänzend – die Augen in einen wunderschön verwilderten Garten einluden. Nur noch ein einziger kleiner schwarzer Fleck war zu sehen, der ließ sich beim besten Willen nicht abwischen.

„Du kommst später dran“, dachte die kleine Hexe. Sie war sehr glücklich über ihr neues Zuhause und hatte ein strahlendes Lächeln aufgesetzt.

Tysja betrachtete das Ölgemälde an der Wand, sah den Kerzenleuchter, der auf einer kleinen Anrichte stand.

Plötzlich hörte sie eine Stimme, die etwas verschlafen klang.

„Huch, was ist denn hier passiert!!“

Tysja schaute sich um, konnte aber nichts und niemanden entdecken. „Ich habe mich wohl verhört“, dachte sie, „ich hab vielleicht doch ein wenig zu viel gearbeitet.“

„Hier bin ich, du rothaariges Geschöpf“, hörte sie nach einer Weile die Stimme wieder. „Hier oben, hier auf der Lampe.“

Tysja hob den Kopf, legte ihn langsam auf die Seite, kniff ein Auge zu, genau so, wie sie es sonst immer tat, wenn ihr etwas nicht so ganz geheuer war.

„Wer bist du?“, fragte sie höflich. „Was machst du hier in meinem Haus?“

„Was für eine dumme Frage“, entgegnete das Wesen auf der Lampe ein wenig schnippisch. Bei genauerem Hinsehen entpuppte es sich nun als Spinne. „Ich wohne natürlich hier, was wohl sonst!!“

„Du wohnst hier?“, fragte Tysja erstaunt. Allerdings nicht darüber, dass die Spinne reden konnte, denn das war in einem Ort wie Hexenhausen ganz normal, sondern weil sie fest angenommen hatte, dass das Haus unbewohnt ist.

„Notar Rechtsprecher hat mir nichts von einer Mitbewohnerin erzählt“, sagte die kleine Hexe in Richtung Spinne.

„Ha, ha“, lachte diese plötzlich auf, „sag bloß der alte Rechtsverdreher lebt auch noch. Das gibt es doch nicht! Den hatte ich schon längst im ewigen Reich der alten Hexenmeister vermutet. Ne, ne, so was aber auch, der Rechtsprecher.“

Dann entstand eine kurze Pause zwischen Tysja und der Spinne, die erst wieder unterbrochen wurde, als das achtbeinige Wesen, das immer noch auf der Lampe saß, sagte: „Ach ja, wie unhöflich von mir, ich bin Amalia Wackerzahn.“

„Und ich bin Tysja, Tysja Fliegendreck“, antwortete die kleine Hexe. Seit dem Telefonat mit dem Notar hätte sie übrigens alles darum gegeben, auch den wundervollen Familiennamen Wackerzahn tragen zu dürfen wie die verstorbene Tante, von der sie bis dahin noch nie etwas gehört hatte. Aber sie hieß leider nur schlicht und einfach Fliegendreck, Tysja Fliegendreck, und war darüber mehr als unglücklich.

„Fliegendreck! Wie sich das schon anhörte. Wie Schmutzfink“, hatte die kleine Hexe oft gedacht und sich einen anderen Namen gewünscht.

Jetzt hatte sie also noch eine Vertreterin diesen ach so wundervollen Namens Wackerzahns vor sich. „Wackerzahn?“, fragte sie deshalb noch einmal nach.

„Jawoll“, antwortete die Spinne. „Wackerzahn, Amalia Wackerzahn.“

Und wo sie schon gerade einmal dabei waren, sich vorzustellen, da erzählte Tysja auch, dass sie das Haus von ihrer Großtante, der Tante ihres Vaters, der leider viel zu früh verstorben war, geerbt hatte.

Die Spinne hörte aufmerksam zu. „Och“, sagte sie, „dann bist du ja die Tochter vom kleinen Fritz. Den hab ich gut gekannt!“

Und in der Tat, so war es. Fritz, so hatten die Leute Tysjas Vater genannt, Fritz Fliegendreck. Es gab keinen Zweifel mehr, die Spinne kannte sich in Tysjas Familiengeschichte sehr gut aus.

Nun aber war es an der Zeit, das kleine Häuschen, das ordentlich gereinigt ein ganz besonderes Flair ausstrahlte, einzurichten.

Hexen ziehen natürlich nicht von einer Wohnung zu anderen um wie Familie Müller, Meier, Schulze oder Schmidt. Nein, wer das denkt, der täuscht sich mächtig.

Natürlich hatte Tysja all ihre Sachen schon dabei, da musste kein Möbelwagen vorfahren, da musste nun ein schwarzer alter Koffer ziemlich gute Dienste verrichten.

Den holte Tysja nun aus dem anderen Zimmer herbei, wuchtete das schwere Teil auf das Bett, öffnete ihn und holte diverse winzig kleine Gegenstände heraus, die sie sorgsam auf den Boden legte.

„Ja, wo ist er denn?“, fragte sie ganz in Gedanken versunken, steckte den Kopf ganz tief hinein in den Koffer, verblieb eine Weile in dieser ungewöhnlichen Position, die manchen Betrachter sicher zu mehr als einem Schmunzeln animiert hätte. Kroch dann – mehr oder weniger behäbig – wieder aus dem Koffer heraus und hielt ihren Zauberstab in der Hand, der, weil wohl einige Gegenstände im Koffer auf ihm gelegen hatten, ein wenig krumm ausschaute.

Jetzt auch fiel Tysja ein, dass sie genau diesen vorhin für ihre kleine Hexerei beim Aufräumen nicht benutzt hatte – und so hatte selbst beim richtigen Zauberspruch aus der ganzen Sache nichts werden können. Manchmal war die kleine Hexe eben ein bisschen vergesslich.

Jetzt aber, wo sie das gute Teil in Händen hielt, schwang sie ihn durch die Lüfte, dass es nur so zischte. Hielt aber noch einmal inne, richtete ihn ein wenig, denn krumme Zauberstäbe hexen bekanntlich nicht so gut, ging in den Flur, nahm ihren rot-schwarz gepunkteten Zauberhut vom Haken, den sie beim Betreten des Hauses hier abgelegt hatte, und setzte ihn auf. Nun konnte jeder sehen, dass der Hut so groß war, das Tysja darunter kaum noch zu erkennen war.

„Jetzt wird’ s wohl funktionieren mit der Zauberei“, sagte sie, nachdem sie in ihr Zimmer zurückgekehrt war mit einem Blick zur Lampe, auf der noch immer Amalia saß und der Dinge harrte, die da passieren sollten.

„Probier’s doch mal mit Abrakadabra“, empfahl sie Tysja.

Doch die schüttelte nur den Kopf. „Ne, ne“, antwortete sie, „ich hab da meinen ganz eigenen Spruch.“ Sprach es, drehte sich dreimal im Kreise und hauchte dann leise vor sich hin: „Schlubber, Bubber, Erdbeergrubber!“

Dabei schwang sie wieder den Zauberstab durch die Luft, der noch immer ein ganz klein wenig krumm aussah, und verteilte ein wenig Sternenstaub aus einem Streuer, den sie mit der linken Hand aus der linken Hosentasche gezogen hatte – und der wie ein ganz normaler Salzstreuer aussah.

„So“, sagte sie, „das soll’s gewesen sein.“

Sie hatte den Satz noch nicht ganz ausgesprochen, da standen vor ihr die einst winzig kleinen Gegenstände, die sie aus dem alten Koffer geholt und auf dem Boden ordentlich aufgebaut hatte, in voller Größe vor ihr.

Die Spinne oben auf der Lampe staunte nicht schlecht. Auch wenn sie mit allerlei Hexerei vertraut war, hatte sie doch noch nie gesehen, wie eine echte Hexe umzieht. So was kommt nämlich tatsächlich nur sehr sehr selten vor. Denn fühlt sich eine Hexe an einem Ort so richtig sauwohl, dann verlässt sie ihn kaum jemals freiwillig.

In dem kleinen Zimmer bauten sich nun nach und nach zwei Stühle, ein Tisch, Bettdecke und -kissen, drei Tassen, vier Becher, sieben Gabeln, zwei Messer, vier Teller, zwei kleine und zwei große für Suppe oder Brei, und ein Regenschirmständer auf.

„Mehr brauche ich zum Leben nicht“, strahlte Tysja nach getaner Arbeit und lud zugleich Amalia ein, an ihrem Tisch, den sie inzwischen fein säuberlich gedeckt hatte, Platz zu nehmen.

Aus ihrem schwarzen Koffer, in den sie noch einmal ziemlich tief hineinkriechen musste, holte Tysja nach und nach ein Brot, einen Käse und eine Flasche Holunderbeersaft hervor. Dann ließen es sich Hexe und Spinne schmecken.

„Hmmm, dein Käse, ein Gedicht“, bemerkte Amalia, die natürlich immer nur ganz wenige kleine Krümel zu sich nehmen konnte. „Einfach köstlich. So etwas Gutes habe ich schon seit vielen Jahren nicht mehr gegessen.“

Die beiden so unterschiedlichen Zeitgenossen hatten binnen kürzester Zeit Freundschaft geschlossen. Es war, als würden sie sich bereits seit langer Zeit kennen.

Mit einem kleinen Rülpserchen beendete die kleine Hexe das abendliche Mahl, denn längst war es draußen dunkel geworden.

„Jetzt will ich erst einmal zu Bett gehen“, sagte sie, „es war schon ein ziemlich anstrengender Tag. Morgen werden wir dann sehen, was wir hier noch erledigen müssen.“

Sie gähnte laut, kratzte sich hinterm Ohr und schlich zu dem Bett, das am Morgen noch mit einer dicken Staubschicht bedeckt gewesen war, jetzt aber himmlische Träume versprach.

„Gute Nacht“, rief sie Amalia zu und war keine zwei Minuten später eingeschlafen.

Auch Amalia, die Spinne, die schon viele Jahre in diesem Haus lebte, zog sich an ihren Lieblingsort zurück.

Dass beide an diesem Abend vergaßen, die Zähne zu putzen, ist hier wahrscheinlich weniger von Belang. In dieser Nacht träumte Tysja von Spinnen und Hexenbesen, von Notaren, alten Decken und einem wunderbaren Leben, das vor ihr lag.

Tysja

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