Читать книгу Drachenfels - Martina Raub - Страница 4
Prolog
ОглавлениеMärz Anno Domini 1559
Aus dem Journal des Dombaumeisters
Die Arbeiten gehen jeden Tag schleppender voran. Immer öfter verstehe ich nun die alten Pharaonen, die ihre Bauarbeiter mit der Peitsche angetrieben haben. Die Gelder für die Fortführung dieses prächtigen Baus, dieser in Stein errichteten aufrichtigen Anrufung des Höchsten im Himmel, sind vom Domkapitel gestoppt worden. Jeder Mann, jeder Knabe, der hier beschäftigt ist und damit vielleicht eine Familie von zehn Personen oder mehr durchfüttert, wird binnen Jahresfrist mittellos auf der Straße stehen. Ausgeliefert dann nur noch der Gnade des Allmächtigen und seiner Diener auf Erden, die ihn mit Almosen versorgen werden, die kaum weniger sein können, als das Wenige, was sie den Arbeitern für ihre Knochenarbeit jetzt gewähren.
Und als wäre diese drückende Last nicht schon genug, prüft uns Gott mit den beständigen Heimsuchungen, die über die Sorgen um das tägliche Brot hinausgehen. Heute haben sie schon wieder den Teil eines armen Teufels aus den Steinbrüchen vom monte dracu gefunden. Zwischen den Steinen, unbemerkt von den Leibeigenen, die in den Brüchen schuften, gelangen seit dem großen Regen immer wieder Gliedmaßen von Unbekannten auf die Bauplätze am Dom. Niemand kann sich vorstellen, von wem sie stammen oder was es damit auf sich hat. Beim ersten Mal kamen meine Arbeiter ganz aufgeregt zu mir, denn sie vermuteten den Satan dahinter. Abgerissen war der Arm, der uns mit dem Steinmaterial zusammen erreicht hatte. Wie von einer gewalttätigen Macht, die die Seele hatte strafen wollen, die in diesem so zerschundenen Körper gestorben sein musste. Wir haben den Arm damals verbrannt, die Asche aufgesammelt, mit Weihwasser besprengt und dann in die Nordseite des rechten Turmes eingebaut. Hieraus wird kein Wiedergänger hervorspringen können.
Es blieb nicht der einzige Fund dieser Art. Der heutige ist der neunte in dieser schrecklichen Reihe und es fühlte sich schon beinahe alltäglich an, dass mir die Botschaft einer weiteren Entdeckung überbracht wurde. Diesmal war es nurmehr ein Knochen. Der Bader, der zufällig vorbeigekommen ist, hat über dem Knochen gesessen und festgestellt, dass es der Oberschenkelknochen eines Menschen gewesen sein muss. Eines jungen Mädchens, wie er behauptet. Wir haben den Knochen mit in eines der Gräber der Hochherrschaftlichen gelegt. Niemand wird bemerken, dass wir das Grab des Grafen geöffnet haben, denn meine Handwerker verstehen sich auf ihre Kunst, und sie haben die Ruhestätte wieder so verschlossen, dass sie wie gerade erst errichtet aussieht. Auch das Gitter über dem Sarkophag haben sie wieder aufgesetzt. Möge diese prachtvolle Bettung ein wenig Genugtuung für die arme Unglückliche aus den Steinbrüchen sein, nachdem ihr in dieser Welt so viel Übel widerfahren ist. Und mögen die Dienste, die wir den unbekannten Toten in den letzten Monaten immer wieder erwiesen haben, auch unseren Seelen zu unsterblichem Heil verhelfen, wenn wir irgendwann einmal vor unserem Richter stehen werden.