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Kapitel 4
ОглавлениеErschüttert verließ Paul Flake die Polizeidirektion. Sie hatten ihn wie einen Schwerverbrecher aus dem Autohaus abgeführt und seinen Kopf hinuntergedrückt, damit er ihn sich beim Einsteigen in das Zivilfahrzeug nicht am Türrahmen stieß. Er hatte diese Praxis in unzähligen Krimis gesehen. Waren die Verdächtigen wirklich zu dämlich, allein einzusteigen? Und jetzt hatte es ihn auch noch selbst erwischt! Fast hatte er die alberne Prozedur entwürdigender gefunden als die anschließende Befragung. Sie hatten es Vernehmung genannt. Das war wirklich die Untertreibung des Jahres! Es war ein Verhör gewesen! Wütend dachte er noch mal an die Zeit im Vernehmungsraum nach.
„Wo waren Sie gestern Abend zwischen 13.00 und 17.00 Uhr?", hatte der Typ gefragt, nachdem er sich als leitender Ermittler Norbert Wenger vorgestellt hatte.
„Ich war bis 17.30 Uhr im Autohaus. Und danach bin ich gleich nach Hause gefahren. Der Arbeitstag war hektisch für einen Freitag. Ich hatte abends starke Kopfschmerzen.“
„Wann haben Sie Ludwig König zum letzten Mal lebend gesehen?"
„Am Nachmittag in der Firma. Er ist gegen 17.00 Uhr gegangen. Wir haben freitags normalerweise nur bis 16.00 Uhr geöffnet, aber an dem Tag war ungewöhnlich viel los. Ludwig wollte danach noch mit seiner Familie essen gehen, als Trost, dass er an einem Freitag so spät nach Hause kam. Ich habe ihn noch vom Firmengelände gehen sehen."
„Der Besitzer eines Autohauses verlässt das Firmengelände zu Fuß?“
Der blöde Oberbulle hatte das offenbar kaum glauben können. Trotzdem hatte Paul Flake beschlossen, ihm zu antworten. „Das tat er immer. Sein Zuhause ist nur knapp einen Kilometer entfernt. Die anderen Mitarbeiter und ich haben ihm im Scherz geschäftsschädigendes Verhalten vorgeworfen, weil er zu Fuß geht. Nur samstags ist er mit dem Auto gefahren. Er kam da immer erst mittags, weil er mit seiner Familie gefrühstückt hat. Er nahm dann das Auto, um schneller in der Firma zu sein.“
„Wie konnte Ludwig König ein Essen mit seiner Frau planen, wenn die doch freitags immer ihren Frauen-Yoga-Kurs hat?“
„Der geht doch nicht so lange. Nur bis sieben. Da kann man doch noch essen gehen.“
„Frau König war aber erst gegen einundzwanzig Uhr zu Hause.“
„Davon weiß ich nichts.“
„Wie war Ihr Verhältnis zu Ludwig König?"
„Wir waren Jugendfreunde. Wir hatten lange Zeit keinen Kontakt, aber dann sind wir uns vor sieben oder acht Jahren zufällig in der Stadt begegnet. Wir haben zusammen einen Kaffee getrunken und uns unterhalten. Ich war zu der Zeit in einer Firma für Unternehmensberatung tätig, wollte mich aber verändern. Da hat Ludwig mir einen Job als Geschäftsführer in seinem Autohaus in Lamme angeboten. Da er wesentlich besser zahlte, habe ich sofort zugesagt."
„Wann haben Sie Königs Frau kennengelernt?"
„Sofort, als ich anfing. Sie war gerade mit ihrem kleinen Sohn da, den sie zwei Wochen zuvor bekommen hatte. Wir haben uns begrüßt und waren uns sofort sympathisch."
„Und wann hat Ihre Affäre mit Sandra König angefangen?"
Hier war Paul Flake wütend aufgesprungen und hatte sich mit geballten Fäusten auf dem Tisch abgestützt, wobei er beinahe das Mikrophon umgestoßen hätte, dass vor ihm stand.
„Es war keine Affäre, Sie Vollpfosten! Wir haben uns geliebt! Ich habe versucht, sie dazu zu bringen, König zu verlassen, aber sie hat das abgelehnt, angeblich wegen des Kleinen. Heute ist mir klar, dass sie nur nicht auf seine Kohle verzichten wollte, und schon gar nicht auf diese protzige Villa. Zum Vögeln war ihr meine Wohnung gerade gut genug, aber zu mehr auch nicht."
„Sie sollten sich etwas mäßigen“, hatte Wenger ihm mit drohender Stimme gesagt, „wenn Sie kooperativ sind, werde ich Ihre beleidigende Äußerung vergessen.“
Es war Flake egal gewesen. Dann hatte sich auch noch der blonde Moppel eingemischt. „Das scheint ja auch von Frau König aus die ganz große Liebe gewesen zu sein.“
Wieder zog sein Magen sich vor Wut zusammen, als er an die Vernehmung dachte. Irgendwie war er wie erschlagen gewesen. Er hatte die Fragen schließlich beantwortet, nur um schnell rauszukommen. Nun ärgerte er sich darüber.
„Wie war Ihre Beziehung zu Ludwig König, nachdem Sie das Verhältnis mit seiner Frau begonnen hatten?"
„Ich hatte ein schlechtes Gewissen. Immerhin waren wir früher mal die dicksten Freunde. Und ich mochte ihn. Es war nicht einfach, ihn zu hintergehen, aber ich war Sandra völlig verfallen."
„Grund genug, um ihn loszuwerden, damit der Weg zu Ihrer Geliebten endlich frei ist?" Die Stimme von Wenger war an dieser Stelle laut und eindringlich geworden. Flake war wieder aufgesprungen und hatte gebrüllt. Es hatte ihm einfach gereicht. „Ich habe König nicht umgebracht!“
„Sie sind möglicherweise der Erzeuger der kleinen Valeska König.“ Hier hatte Wenger ihn prüfend angesehen.
„Das müssen Sie mir erst mal beweisen.“
„Kein Problem!“ Die wasserstoffblonde Schickse mit der Sauerkrautfrisur hatte ihm daraufhin ein langes Wattestäbchen in den Mund gesteckt und an der Innenseite seiner Wange herumgefuhrwerkt. Er hatte sich nicht wehren können, denn sie hatte ihm zuvor einen entsprechenden Gerichtsbeschluss unter die Nase gehalten. Den hatte sie noch per Handy während der Fahrt in die Polizeidirektion angefordert und etwas von Gefahr in Verzug gequatscht. Es sei für einen Vaterschaftstest, hatte sie erklärt. Den konnten sie sich sparen, hatte er gedacht, denn er wusste längst, dass er Valeskas Vater war. Auf einer Party bei den Königs hatte er das Mädchen unter einem Vorwand in den Garten gelockt. Irgendwie war es ihm gelungen, ihr ein paar Haare auszureißen. Sie hatte ihn erschrocken und verständnislos angesehen, und er hatte bemerkt, dass sie anfangen wollte, zu weinen. Zum Glück war ihm schnell ein plausible Entschuldigung eingefallen, und im nächsten Moment hatte das Kind den Vorfall schon wieder vergessen. Er hatte die Haare zusammen mit seiner eigenen DNA nach Holland geschickt, weil er keine Genehmigung von Sandra bekommen hätte und so der Test in Deutschland nicht durchgeführt worden wäre. Nach ein paar Tagen hatte er den Beweis in den Händen gehalten. Eigentlich hatte er Sandra damit konfrontieren wollen, aber was hätte das gebracht? Sie wäre nie zu ihm zurückgekommen, das wusste er. Die deutschen Wissenschaftler würden zu demselben Ergebnis kommen wie die niederländischen. Aber er hatte keine Lust, es der Polizei so einfach zu machen. Sollten sie doch den Test bezahlen und warten. Das würde ihm ein paar Tage Zeit geben, um nachzudenken.
„Sie stehen im Verdacht, Ludwig König ermordet zu haben.“
„Bla bla bla! Einen Dreck! Ich habe alles verloren, die Frau, die ich liebe, und nicht zuletzt meinen guten alten Freund! Von mir aus buchten Sie mich doch ein! Das kann mein Leben nicht mehr schlimmer machen.“
Bei dem Gedanken an die Vergangenheit bildete sich ein Kloß in seinem Hals, der bedenklich an Größe zunahm. Was hatten sie nicht zusammen für Mist gebaut, Ludwig und er! Okay, das mit Sandra war nicht in Ordnung, aber was hätte er tun sollen? Er war ihr verfallen. Wer weiß, vielleicht war der Mord an Ludwig ein Wink des Schicksals. Am Ende hatten sie ihn laufen lassen, ihm aber untersagt, aus der Gegend zu verschwinden. Natürlich hatten sie es höflicher ausgedrückt. Er solle sich zu ihrer Verfügung halten. Paul sah da keinen Unterschied.
Seine Gedanken kreisten in seinem Kopf und schienen sich immer schneller und unkontrolliert drehen zu wollen, während er in Richtung Straßenbahnhaltestelle lief. Er würde die 3 zum Rathaus nehmen. Von dort die Buslinie 411 nach Lamme, wo sein weinroter Nissan Qashqai auf dem Parkplatz des Autohauses stand. Es würde schon geschlossen sein, wenn er ankäme. Der Juniabend war lau, und Paul freute sich auf den Spaziergang durch die Lammer Wiesen, die zwischen der Bushaltestelle und dem Autohaus lagen. Das würde ihm helfen, seine Gedanken zu sortieren. Vielleicht würde er nach dem ganzen Theater noch auf ein Bier in seine Wolfenbütteler Stammkneipe Thilo‘s Altstadteck gehen, die gegenüber dem geschlossenen Karstadt-Kaufhaus lag. Bald würden sie diesen nutzlosen Schandfleck endlich abreißen! Als Kind hatte er schon in Wolfenbüttel gewohnt und mit angesehen, wie das Kaufhaus gebaut wurde. Dann war er mit seinen Eltern nach Braunschweig gezogen. Seine Mutter, die zuvor Lehrerin am Anna-Vorwerk-Gymnasium gewesen war, hatte sich mit ihrer Chefin überworfen und sich nach Braunschweig versetzen lassen. Er hatte ihr das nie verziehen, denn dadurch waren plötzlich alle seine Freunde weg gewesen, und es hatte ewig gedauert, bis er neue gefunden hatte.
Paul Flake stieg in die Straßenbahn. Er war immer noch aufgebracht und musste aufpassen, dass er rechtzeitig rauskam, um den richtigen Bus zu erreichen. Die Computerstimme sagte den nächsten Stopp an, und er drückte den Halteknopf. Dann stieg er aus und lief zur Bushaltestelle. Er musste nicht lange warten.
Nach einer Weile erreichte der Bus Lamme. Paul Flake stieg aus und ging in Richtung des breiten Spazierweges, der durch die Wiesen führte. Er genoss den beginnenden Sonnenuntergang, der den Himmel im Westen in ein lilafarbenes Licht tauchte. Es waren den ganzen Tag über angenehme dreiundzwanzig Grad gewesen. Paul Flake mochte warmes Wetter. Um ihn herum zirpten die Grillen und die üppige Blütenpracht auf der Wiese, die den hellgrau belegten Kiesweg rechts und links begrenzte, verströmte einen wunderbaren frühsommerlichen Duft. Genussvoll sog er ihn ein. So langsam legte sich seine Wut, und er entspannte sich. Plötzlich hörte er hinter sich ein Brummen, das langsam näher kam. Bis jetzt war er vollkommen allein auf dem Spazierweg gewesen. Er drehte sich in die Richtung, aus der das Geräusch kam, und sah einen silbernen XTrail, der langsam auf ihn zukam. Er sah den Fahrer an. Er kannte ihn und winkte ihm zu, doch dieser reagierte nicht. Paul Flake zuckte verwundert die Schultern und wollte dem Wagen gerade Platz machen. Doch der XTrail war schneller geworden. Zu spät wurde ihm bewusst, dass der Geländewagen genau auf ihn zuhielt. Er hörte noch den Aufprall und spürte, wie sich der metallene Kuhfänger in seine Beine wühlte, die krachend brachen. Wie ein nasser Sack fiel er rücklings auf den Boden. Er merkte, wie sein Gesicht von dem scharfkantigen Unterboden des Fahrzeugs zerrissen wurde, als es über ihn hinwegfuhr. Er schrie auf vor Schmerz. Verzweifelt versuchte er, dem tonnenschweren Ungetüm zu entkommen, indem er sich mit letzter Kraft wegrollte. Doch der Wagen wendete in Windeseile und kam zurück. Flake lag nun quer auf dem Weg. Mit Entsetzen sah er das silberne Monster auf sich zu rasen. Der Fahrer hielt noch einmal an, als wolle er sich an der Hilflosigkeit seines blutüberströmten Opfers ergötzen. Dann hörte Paul Flake, wie der Motor laut aufheulte. Das letzte, was er in seinem Leben spürte, war das Brechen seiner Rippen.
Langsam öffnete er die Autotür und stieg aus. Er ging um seinen Wagen herum in Richtung Heck, wo Flake auf dem Spazierweg lag. Er vergewisserte sich noch einmal, dass er nicht beobachtet wurde, und fühlte Flakes Puls. Da war nichts. Er packte Flakes Handgelenke und zog ihn zu seinem Kofferraum. Sein jahrelanges Krafttraining machte sich nun bezahlt, denn ohne regelmäßige Besuche im Fitnessstudio hätte er sein Projekt nicht zu Ende führen können. Er packte Flake unter den Armen und hievte den toten Körper ins Auto. Er blickte sich noch einmal um, konnte aber nicht erkennen, dass er etwas vergessen oder verloren hatte. Er musste aufpassen. Jede Unachtsamkeit konnte das vorschnelle Ende seines Projekts bedeuten. Er stieg wieder ein und startete den Motor. Niemand hatte etwas bemerkt. Nummer Zwei, dachte er triumphierend. Aus dem Augenwinkel sah er draußen am Wegesrand etwas aufblitzen. Wahrscheinlich ein Stück Alufolie oder ein Coladosenring. Dass die Leute ihren Müll nicht zu Hause entsorgen konnten! Er gab Gas. Bald würde er den toten Flake zu dem Platz im Prinzenpark bringen, den er für ihn ausgesucht hatte.
Nach der Vernehmung von Paul Flake traf sich das gesamte Team zum Vergleichen der ersten Ermittlungsergebnisse im Besprechungsraum. Norbert Wenger war von seinem Chef Dieter Frankenstein zum Leiter der neuen MoKo Nissan ernannt worden, wie die Ermittlungsgruppe sich fortan nannte. Gleich danach hatte Frankenstein zu einer Fortbildung fahren wollen, obwohl bei Mordermittlungen so etwas wie eine Reisesperre bestand. Doch der Chef folgte nur seinen eigenen Regeln, was ihn im FK1 nicht eben beliebt machte. Auch sonst war Frankenstein ein rücksichtsloser, egoistischer Typ, der auch nicht davor zurückschreckte, den einen oder anderen Kollegen vor versammelter Mannschaft herunterzuputzen. Norbert und sein Team machten sich über den Namen oft lustig, zumal der Chef mit der literarischen Figur eine unübersehbare Ähnlichkeit hatte. Nur dass er viel kleiner war.
Norbert hatte die Fotos des Mordopfers Ludwig König im lebendigen und toten Zustand sowie der beiden Verdächtigen Sandra König und Paul Flake an den Flipchart geheftet und mit einem schwarzen Edding Verbindungslinien und Kommentare aufgezeichnet. Er blickte in die Runde und wartete, bis er die volle Aufmerksamkeit aller Kollegen hatte.
„Okay, Leute, lasst uns überlegen, was wir bisher wissen. Das Mordopfer ist zum Zeitpunkt seines Todes dreiundfünfzig Jahre alt. Der Todeszeitpunkt ist von Zutschke bei der Obduktion auf circa siebzehn bis achtzehn Uhr festgelegt worden. Todesursächlich sind eine Rippe, die sich beim Überrollen ins Herz gebohrt hat, und eine, die die Aorta durchtrennt hat. Außerdem hat das Opfer massive Prellungen und Quetschungen am Oberkörper, die inneren Organe sind allesamt gerissen oder geplatzt. Zutschke sagt, selbst ihm sei bei dem Anblick schlecht geworden."
Er zeigte mit dem Edding auf die Fotografien aus dem Rechtsmedizinischen Institut. Danach tippte er mit dem dicken schwarzen Filzstift auf Sandra König.
„Die Ehefrau des Opfers ist seine ehemalige Sekretärin. König war verheiratet, als sie bei ihm anfing. Seine Ex-Ehefrau Juliane ist Baujahr 1968, sein Sohn Steffen aus erster Ehe ist inzwischen dreiundzwanzig. Als König und seine jetzige Frau sich kennen lernten, war sie zweiundzwanzig, heute ist sie zweiunddreißig. Sie haben einen gemeinsamen achtjährigen Sohn, Jonas. Die fünfjährige Tochter Valeska ist mutmaßlich das Kind von Paul Flake, mit dem Sandra König vor sechs Jahren ein Verhältnis hatte. Das Ergebnis des Vaterschaftstests steht noch aus. Paul Flake ist der Geschäftsführer im Stammhaus der Nissan König GmbH in Lamme. Er ist heute noch dort tätig, Ludwig König hat laut Aussage der Witwe nichts von der Affäre gewusst. Sandra König ist eine geborene Wilhelm, die Eltern passen häufig auf die Kinder auf. Sie wohnen am Schwarzen Berge 29 d. Sandra König hat für die Tatzeit ein Alibi, sie war im Elexina beim Frauen-Yoga, danach am Bohlweg im Taviano, das hat Max nachgeprüft."
„Die hat doch genug Kohle, um einen Auftragsmörder zu engagieren." Der schlaue Rolf klang frustriert und verärgert. „Für mich ist die trotzdem verdächtig."
„Habt ihr ihre Eltern schon befragt?"
Norbert blickte zu Klaus Lorenz. Im FK1 wurde er wegen seiner Blasenschwäche nur Klorenz genannt. Er nahm das klaglos hin, und Norbert hatte manchmal den Eindruck, dass der Spitzname ihm gefiel. Klorenz war Ende Fünfzig, und danach sah er auch aus, denn er machte sich nicht das Geringste aus modischen Outfits. Seinen grauen Bürstenhaarschnitt ergänzte ein kurzer, grauer Kinnbart. Er trug graue Klamotten, dunkelgraues Oberhemd, darüber eine hellgraue Strickweste, graue Cordhosen, die wegen seiner Leibesfülle von grauen Hosenträgern gehalten werden mussten, graue Lederschuhe mit Kreppsohlen an den grau kariert besockten Füßen. Nur seine Augen. Die waren blau. Ein strahlendes Blau. Wie das Blau im Eintracht-Logo. Klorenz war glühender Fan des Vereins und versäumte kein Heimspiel. Armer Klorenz! Trotz seiner Augenfarbe hatte die Eintracht den Einzug in die erste Bundesliga verpasst. Obendrein gegen den Erzrivalen aus Wolfsburg! Seitdem schien Klorenz noch grauer geworden zu sein.
„Nein. Aber da sind wir dran." Gaby hatte Klorenz‘ Frage beantwortet. Norbert hatte sich so sehr seinen Gedanken über den grauen Kollegen hingegeben, dass er vergessen hatte, zu reagieren. Verwirrt sah er zu Erkan Yildiz hinüber, der sich nun zu Wort meldete.
„Wer ist denn die attraktive Blondine in unserer Mitte?", fragte er neugierig. Dabei stützte er seine Ellbogen auf dem Tisch ab, faltete die Hände und legte seinen Kopf darauf, um gleichzeitig kokett mit den Augen in Richtung Gaby Grothewohl zu klimpern. Norbert lachte.
„Unser Quotentürke muss mal wieder flirten.“
Yildiz sah ihn an und grinste.
„Mein osmanischer Charme ist eben unwiderstehlich.“
Er blickte wieder zu Gaby und wartete.
Sie lächelte und neigte den Kopf leicht zur Seite.
„Gaby. Gaby Grothewohl.“
„Grotewohl. Wie der Otto?“
Sie sah Yildiz unsicher an.
„Otto?“
Yildiz schüttelte den Kopf.
„Egal. Bemerkenswerter Name jedenfalls.“
Gaby schlug sich gegen die Stirn.
„Ach du meinst Otto Grotewohl! Nein, der schrieb sich nur mit t. Mein Name wird mit th geschrieben.“
Norbert sah, dass der Anflug von Verlegenheit aus Gabys Gesicht wich und sie sich wieder Yildiz zuwandte.
„Meine Freunde nennen mich Geegee. Geegee wie Bee Gees, die Popgruppe. Ich habe bis jetzt als Hauptkommissarin bei der Sitte in Hannover gearbeitet, aber das war mir zu langweilig. Ich brauche Totschlag und Tragödien. Und ich brauche meine Heimatstadt. Ich hoffe, wir werden gut zusammenarbeiten."
„Na dann, hoś geldiniz! Heißt übrigens herzlich willkommen. Das ist alles, was ich auf Türkisch sagen kann.“ Yildiz hob entschuldigend die Schultern.
„Aber du bist doch Türke. Warum kannst du dann kein Türkisch?“ Gaby war verwirrt.
„Ich bin kein Türke. Ich bin Deutscher. Von Geburt an. Auch meine Eltern sind hier geboren, beides waschechte Braunschweiger. Ich habe nur türkische Vorfahren. Deshalb nennen mich hier alle den Quotentürken.“
Er sah Norbert an, lachte kurz und wandte sich dann wieder Gaby zu. „Wir sind hier in der Polizeidirektion sehr international. Sogar unser Chef ist aus der Fremde zu uns gekommen, aus dem Regierungsbezirk Schwaben. Das liegt im tiefsten Bayern! Aber im Gegensatz zu mir beherrscht Norbert die Sprache seiner Ahnen perfekt.“
Norbert warf Yildiz einen säuerlichen Blick zu, stimmte dann aber in das Gelächter der Kollegen ein.
Max Kaltofen holte die MoKo schließlich zurück in die Ermittlungsarbeit. „Wie sieht es mit den Nachbarn aus? Vielleicht haben die etwas von dem Verhältnis von Flake und Sandra König mitbekommen. Ich finde, der Mann hat eindeutig das stärkste Mordmotiv, das man nur haben kann. Kohle und Sex. Wir sollten in dieser Hinsicht auf jeden Fall am Ball bleiben."
„Die Nachbarn werden wir gleich morgen als erstes befragen. Du hast recht, Flake ist noch nicht raus aus der Nummer. Deshalb hatte seine Vernehmung heute oberste Priorität. Du warst ja dabei, als wir ihn auseinander genommen haben. Der ist Geschäftsführer, der weiß, wie man die Leute belabert. Deshalb haben wir bis jetzt noch nichts aus ihm herausbekommen, was ihn verdächtig macht, aber ich bin sicher, wir finden was. Für heute haben wir erstmal alles zusammengetragen, was wir wissen. Ich schlage vor, wir fahren jetzt alle nach Hause. Es war ein langer Tag."
Norbert nahm alle Aufzeichnungen, klopfte sie zusammen und erhob sich. Die übrigen Mitglieder der MoKo Nissan taten es ihm gleich und verließen mit ihm das Besprechungszimmer.