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4. Brief

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An Frau Sa­ville, Lon­don

5. Au­gust 17..

Et­was sehr Merk­wür­di­ges hat sich er­eig­net und ich muss es Dir be­rich­ten, wenn ich auch wahr­schein­lich eher bei Dir bin, als die­se Zei­len Dich er­rei­chen.

Letz­ten Mon­tag (31. Juli) wa­ren wir fast ganz von Eis ein­ge­schlos­sen, so­dass das Schiff kaum mehr den zum Vor­wärts­kom­men nö­ti­gen Platz hat­te. Un­se­re Lage war ei­ni­ger­ma­ßen ge­fähr­lich, be­son­ders des­we­gen, weil ein dich­ter Ne­bel uns ein­hüll­te. Wir dreh­ten des­halb bei, in der Hoff­nung, dass die Wit­te­rung end­lich an­ders wer­de.

Ge­gen zwei Uhr lich­te­te sich der Ne­bel und wir er­blick­ten, wo­hin wir sa­hen, wei­te, fast un­er­mess­lich schei­nen­de Eis­flä­chen. Ei­ni­ge mei­ner Leu­te wur­den un­ru­hig und auch mich be­schli­chen trü­be, ängst­li­che Ge­dan­ken, als plötz­lich et­was Selt­sa­mes un­se­re Auf­merk­sam­keit auf sich zog und uns un­se­re ge­fähr­li­che Si­tua­ti­on ver­ges­sen ließ. Wir be­merk­ten einen nied­ri­gen Wa­gen, der auf Schlit­ten­ku­fen be­fes­tigt war, von Hun­den ge­zo­gen wur­de und sich in ei­ner Ent­fer­nung von etwa ei­ner hal­b­en Mei­le nord­wärts be­weg­te. Im Schlit­ten saß eine Ge­stalt, die ei­nem Men­schen, aber ei­nem sol­chen von au­ßer­ge­wöhn­li­cher Grö­ße glich und die Tie­re lenk­te. Wir ver­folg­ten mit un­se­ren Fern­roh­ren den Rei­sen­den, der blitz­schnell da­hin­flog und bald durch Une­ben­hei­ten des Ei­ses un­se­ren Bli­cken ent­zo­gen wur­de.

Die­se Er­schei­nung er­reg­te be­greif­li­cher­wei­se un­se­re Neu­gier­de in ho­hem Maße. Wir hat­ten ge­glaubt, uns Hun­der­te von Mei­len vom fes­ten Lan­de ent­fernt zu be­fin­den, die­se Er­schei­nung aber schi­en uns das Ge­gen­teil zu be­wei­sen. Da wir vom Eis völ­lig ein­ge­schlos­sen wa­ren, war es uns un­mög­lich, die Spu­ren des rät­sel­haf­ten We­sens zu ver­fol­gen.

Etwa zwei Stun­den da­nach hör­ten wir die Grund­dü­nung, und ehe es Nacht wur­de, lös­te sich das Eis und das Schiff wur­de frei. Trotz­dem aber blie­ben wir bis zum Mor­gen lie­gen, da wir fürch­ten muss­ten, in der Dun­kel­heit mit den trei­ben­den Eis­mas­sen zu­sam­men­zu­sto­ßen. Ich be­nütz­te die­se Zeit, um mich et­was aus­zu­ru­hen.

Als es Tag wur­de, ging ich an Deck und fand alle Ma­tro­sen auf ei­ner Sei­te des Schif­fes ste­hen, sich mit je­mand un­ter­hal­tend, der schein­bar un­ten auf dem Was­ser war. Es war in der Tat ein Schlit­ten, ähn­lich dem, den wir ges­tern ge­se­hen hat­ten; er war in der Nacht auf ei­nem schwim­men­den Stück Eis zu uns her­an­ge­trie­ben wor­den. Nur ein Hund war noch vor­ge­spannt, und im Schlit­ten saß ein Mensch, den die Ma­tro­sen ver­an­las­sen woll­ten, an Bord zu kom­men. Er war nicht, wie uns der Frem­de von ges­tern ge­schie­nen hat­te, ein wil­der Ein­ge­bo­re­ner ir­gend­ei­nes un­ent­deck­ten Ei­lan­des, son­dern ein Eu­ro­pä­er. Als ich an Deck kam, sag­te der Maat: »Da kommt un­ser Ka­pi­tän, der wird nicht zu­ge­ben, dass Sie auf of­fe­ner See zu­grun­de ge­hen.«

Der Frem­de ge­wahr­te mich und sprach mich dann eng­lisch, al­ler­dings mit et­was ei­gen­tüm­li­chem Dia­lekt, an. »Ehe ich an Bord Ihres Schif­fes gehe«, sag­te er, »bit­te ich Sie mir zu sa­gen, wo­hin Sie zu fah­ren ge­den­ken.«

Du wirst be­grei­fen, dass ich mo­men­tan sehr er­staunt war, die­se Fra­ge von ei­nem Men­schen zu hö­ren, der eben knapp dem Un­ter­gang ent­ron­nen zu sein schi­en und von dem man an­neh­men muss­te, dass ihm mein Schiff ein Zuf­luchts­ort sei, den er nicht ge­gen alle Reich­tü­mer der Erde mehr ver­tauscht ha­ben wür­de. Ich er­klär­te ihm, dass ich mich mit mei­nem Schif­fe auf ei­ner Ent­de­ckungs­rei­se nach dem Nord­pol be­fän­de.

Dies schi­en ihn zu­frie­den­zu­stel­len und er nahm mei­ne Ein­la­dung an. Gro­ßer Gott! Mar­ga­re­te, wenn Du den Mann ge­se­hen hät­test, der sich nur so schwer ret­ten ließ, Dein Er­stau­nen hät­te kei­ne Gren­zen ge­habt. Sei­ne Glie­der wa­ren fast völ­lig er­fro­ren und sein Leib war förm­lich ge­bro­chen von Mü­dig­keit und Krank­heit. Ich habe noch nie einen Men­schen in ei­ner so kläg­li­chen Ver­fas­sung ge­se­hen. Wir ver­such­ten ihn in die Ka­jü­te zu tra­gen, aber kaum hat­ten wir ihn un­ter Deck, da wur­de er schon ohn­mäch­tig. Wir brach­ten ihn also wie­der an Deck zu­rück und such­ten durch Rei­ben mit Brannt­wein und Ein­flö­ßen von klei­nen Schlu­cken ihn ins Le­ben zu­rück­zu­ru­fen. Als er Le­bens­zei­chen von sich zu ge­ben be­gann, wi­ckel­ten wir ihn in Lei­nen­tü­cher und leg­ten ihn in der Nähe des Kü­che­nofens nie­der. All­mäh­lich er­hol­te er sich und aß ein paar Löf­fel Sup­pe, die ihm sehr wohl ta­ten.

Zwei Tage ver­gin­gen, ehe es ihm mög­lich war zu spre­chen, und mir kam es zu­wei­len vor, als hät­ten ihm all die Lei­den den Ver­stand ge­raubt. Als er ei­ni­ger­ma­ßen her­ge­stellt war, ließ ich ihn in mei­ne Ka­jü­te brin­gen und pfleg­te ihn, so weit es sich mit mei­nen Pf­lich­ten ver­ein­ba­ren ließ. Ich habe nie in mei­nem Le­ben einen in­ter­essan­te­ren Men­schen ken­nen­ge­lernt. Sei­ne Au­gen ha­ben meist den Aus­druck der Wild­heit, ich möch­te fast sa­gen des Irr­sin­nes; aber in man­chen Mo­men­ten, be­son­ders wenn ihm je­mand et­was Lie­bes er­weist oder ihm einen, wenn auch noch so klei­nen Dienst leis­tet, leuch­tet sein gan­zes We­sen auf und wird durch­strahlt von ei­nem Schim­mer von Lie­bens­wür­dig­keit und Freund­lich­keit, wie man ihn sel­ten fin­det. Sonst ist er aber me­lan­cho­lisch und ver­zwei­felt und knirscht zu­wei­len mit den Zäh­nen, als kön­ne er das Über­maß der Qua­len, die er lei­det, nim­mer tra­gen.

Als mein Gast ei­ni­ger­ma­ßen wie­der ge­sund war, hat­te ich große Mühe, mei­ne Leu­te zu ver­hin­dern, dass sie ihn mit al­len mög­li­chen Fra­gen be­läs­tig­ten. Ich konn­te es doch nicht ge­stat­ten, dass durch ihre mü­ßi­ge Neu­gier­de die geis­ti­ge und kör­per­li­che Ge­ne­sung des Frem­den, die of­fen­bar nur durch un­ge­stör­tes­te Ruhe be­wirkt wer­den konn­te, auf­ge­hal­ten wer­den soll­te. Ein­mal je­doch ge­lang es mei­nem Leut­nant den­noch, die Fra­ge an ihn zu rich­ten, wo er denn in sei­nem selt­sa­men Ve­hi­kel so weit über das Eis her­käme.

Ein Schat­ten tiefs­ter Be­trüb­nis husch­te über sein Ge­sicht, dann sag­te er: »Um einen zu su­chen, der mich floh.«

»Und reis­te der Mann, den Sie such­ten, in der­sel­ben Wei­se, wie Sie?«

»Ja.«

»Dann, glau­be ich, ha­ben wir ihn ge­se­hen. Denn am Tage, ehe wir Sie fan­den, sa­hen wir einen Mann auf ei­nem von Hun­den ge­zo­ge­nen Schlit­ten über das Eis hin­weg­fah­ren.«

Dies er­reg­te die Auf­merk­sam­keit des Frem­den und er stell­te eine Rei­he drin­gen­der Fra­gen, die sich dar­auf be­zo­gen, wel­che Rich­tung der Dä­mon – so nann­te er den an­de­ren – ge­nom­men habe. Als er kurz nach­her mit mir al­lein war, sag­te er: »Ich habe ohne Zwei­fel Ihre Neu­gier­de er­regt, eben­so wie die die­ser gu­ten Leu­te, aber Sie selbst sind ja zu rück­sichts­voll, um mich aus­zu­fra­gen.«

»Ge­wiss; ich wür­de es für auf­dring­lich und un­mensch­lich hal­ten, Sie mit ir­gend­wel­chen Fra­gen zu be­läs­ti­gen.«

»Und das, trotz­dem Sie mich aus ei­ner selt­sa­men, ver­zwei­fel­ten Si­tua­ti­on ge­ret­tet und mich zum Le­ben zu­rück­ge­bracht ha­ben!«

Ei­ni­ge Zeit da­nach frag­te er mich, ob ich glau­be, dass der Eis­gang den Schlit­ten des »An­de­ren« zer­stört habe. Ich ant­wor­te­te ihm, dass ich hier­über mit Be­stimmt­heit nichts aus­sa­gen kön­ne, denn der Eis­gang habe erst ge­gen Mit­ter­nacht ein­ge­setzt und der Rei­sen­de kön­ne bis da­hin recht wohl sich in Si­cher­heit ge­bracht ha­ben.

Seit die­ser Aus­kunft schi­en neu­er Le­bens­mut den ge­brech­li­chen Kör­per des Frem­den zu durch­strö­men. Er woll­te ab­so­lut an Deck blei­ben, um nach dem Schlit­ten aus­zu­spä­hen, von dem wir ihm ge­spro­chen hat­ten. Aber ich habe ihn über­re­det, sich in der Ka­bi­ne auf­zu­hal­ten, da er für die raue Tem­pe­ra­tur da oben doch noch nicht stark ge­nug sei. Ich habe ihm aber ver­spro­chen, dass je­mand an sei­ner Stel­le Aus­schau hal­ten und ihn so­fort be­nach­rich­ti­gen wer­de, wenn sich ir­gen­det­was se­hen las­sen soll­te.

Bis zum heu­ti­gen Tage habe ich Dir nun al­les über das selt­sa­me Er­eig­nis be­rich­tet. Der Frem­de scheint sich nach und nach zu kräf­ti­gen, aber er ist still und in sich ge­kehrt und ist är­ger­lich, wenn ein an­de­rer als ich sei­ne Ka­jü­te be­tritt. Aber er ist trotz­dem so freund­lich und lie­bens­wür­dig, dass die Ma­tro­sen ihn alle gern ha­ben, wenn sie auch nur sehr we­nig mit ihm in Berüh­rung kom­men. Ich aber ge­win­ne ihn all­mäh­lich lieb wie einen Bru­der und sein stän­di­ger, tiefer Gram flö­ßt mir tie­fes Mit­leid mit ihm ein. Er muss in sei­nen gu­ten Ta­gen ein präch­ti­ger Mensch ge­we­sen sein, er, der noch als Wrack so an­zie­hend und lie­bens­wert ist.

Ich habe schon ein­mal in ei­nem mei­ner Brie­fe ge­sagt, lie­be Mar­ga­re­te, dass es mir wohl nicht ver­gönnt sein wer­de, auf dem wei­ten Ozean einen Freund zu fin­den. Aber ich habe we­nigs­tens einen Mann ken­nen­ge­lernt, der mir wirk­lich, wäre sein Geist nicht so tief ver­stört, ein Her­zens­freund hät­te wer­den kön­nen.

Ich wer­de Dir von Zeit zu Zeit von dem Frem­den be­rich­ten, vor­aus­ge­setzt, dass es et­was zu be­rich­ten gibt.

*

13. Au­gust 17..

Mei­ne Zu­nei­gung zu dem un­glück­li­chen Gas­te wächst von Tag zu Tag. Ich be­wun­de­re und be­mit­lei­de ihn zu­gleich. Wie wäre es mög­lich, ein so ed­les Ge­schöpf von Gram ver­zehrt zu se­hen, ohne selbst den tiefs­ten Schmerz mit­zu­emp­fin­den? Er ist so gut und da­bei klug, auch ist er au­ßer­or­dent­lich ge­bil­det und spricht wohl­ge­setzt und ge­wandt.

Er hat sich jetzt von sei­ner Krank­heit ziem­lich er­holt und hält sich un­aus­ge­setzt auf Deck auf, of­fen­bar um den Schlit­ten nicht zu über­se­hen, auf den er im­mer noch war­tet. Er ist un­glück­lich, aber in all sei­nem Elend hat er doch im­mer noch In­ter­es­se für die Plä­ne der an­de­ren. Er hat viel mit mir über den Mei­ni­gen ge­spro­chen, den ich ihm rück­halt­los dar­ge­legt habe. Auf­merk­sam folg­te er al­lem, was ich im Sin­ne ei­nes glück­li­chen Aus­gan­ges mei­nes Un­ter­neh­mens vor­zu­brin­gen wuss­te, und ver­tief­te sich mit mir bis in die De­tails der Maß­nah­men, die ich ge­trof­fen. Er hat­te mir so viel Sym­pa­thie ein­ge­flö­ßt, dass ich of­fen mit ihm re­den muss­te. Ich ließ ihn in mei­ne lei­den­schaft­li­che See­le bli­cken und sag­te ihm auch, dass ich gern mein gan­zes Ver­mö­gen, mei­ne Exis­tenz, mei­ne Zu­kunft aufs Spiel set­ze, um mein Un­ter­neh­men zu ei­nem gu­ten Aus­gan­ge zu füh­ren. Le­ben oder Tod ei­nes Man­nes sei­en ja gar nichts im Ver­gleich zu dem, was der Wis­sen­schaft durch mein Un­ter­neh­men genützt wer­de. Wäh­rend ich sprach, über­zog eine dunkle Glut das Ant­litz mei­nes Zu­hö­rers. Ich be­merk­te, dass er an­fäng­lich sich be­müh­te, sei­ne Be­we­gung zu meis­tern. Er hielt die Hän­de vor das Ge­sicht, und mei­ne Stim­me beb­te und stock­te, als ich sah, dass Trä­nen zwi­schen sei­nen Fin­gern nie­der­ran­nen, als ich hör­te, wie ein we­hes Stöh­nen sich sei­ner Brust ent­rang. Ich hielt inne, da sag­te er mit ge­bro­che­ner Stim­me: »Un­glück­li­cher! Hat Sie der­sel­be Wahn­sinn er­fasst wie mich? Ha­ben auch Sie von dem Gif­te ge­trun­ken? Hö­ren Sie mich an, las­sen Sie mich mei­ne Ge­schich­te be­rich­ten und Sie wer­den den Be­cher mit dem un­heil­vol­len Trank von Ihren Lip­pen weg­sto­ßen.«

Du kannst Dir den­ken, dass die­se Wor­te mei­ne gan­ze Neu­gier er­reg­ten. Aber das Über­maß des Schmer­zes hat­te die schwa­chen Kräf­te des Frem­den über­mannt und es be­durf­te vie­ler Stun­den der Ruhe und sanf­ter Über­re­dung, um ihn wie­der ins Gleich­ge­wicht zu brin­gen.

Nach­dem er sei­ner hef­ti­gen Ge­füh­le Meis­ter ge­wor­den war, schäm­te er sich, dass sei­ne Lei­den­schaft ihn so über­wäl­tigt hat­te. Er un­ter­drück­te mit Ge­walt sei­ne Verzweif­lung und ver­an­lass­te mich, über mich selbst zu spre­chen. Er frag­te nach mei­ner Kind­heit. Die­se war rasch er­zählt, aber den­noch gab sie ver­schie­de­ne An­knüp­fungs­punk­te. Ich sprach von mei­nem Wun­sche, einen Freund zu fin­den, von mei­ner Sehn­sucht nach ei­ner gleich ge­stimm­ten See­le, die ich nie mein ei­gen nen­nen durf­te, und gab mei­ner Über­zeu­gung Aus­druck, dass nie­mand wah­res Glück ge­nos­sen habe, der sich nicht ech­ter Freund­schaft rüh­men kön­ne.

»Ich bin ganz Ih­rer An­sicht«, ent­geg­ne­te der Frem­de. »Wir sind nur hal­be Ge­schöp­fe, wenn uns nicht ein Wei­se­rer, Bes­se­rer – und das muss ja ein Freund sein – zur Sei­te steht, um un­se­re schwa­che, feh­ler­haf­te Na­tur zu ver­bes­sern. Ich hat­te ein­mal einen Freund, den edels­ten Men­schen, den man sich den­ken kann, und habe des­halb ein ge­wis­ses Recht mit­zu­spre­chen, wenn von Freund­schaft die Rede ist. Sie sind noch vol­ler Hoff­nung und ha­ben die Welt vor sich und des­halb kei­nen Grund zu ver­zwei­feln. Aber ich – ich habe al­les ver­lo­ren und kei­nen Mut mehr, von vorn an­zu­fan­gen.«

Als er das sag­te, nahm sein Ge­sicht einen gram­vollen Aus­druck an, der mir bis ins Herz hin­ein weht­at. Aber er sprach nicht wei­ter und zog sich in sei­ne Ka­jü­te zu­rück.

Trotz sei­nes Lei­des hegt er eine tie­fe, in­ni­ge Lie­be zur Na­tur. Der ster­nen­be­sä­te Him­mel, das Meer und alle Wun­der die­ser herr­li­chen Re­gio­nen schie­nen er­he­bend auf sei­ne See­le zu wir­ken. Ein sol­cher Mensch hat ei­gent­lich eine dop­pel­te Exis­tenz: Er mag lei­den und sich grä­men, aber wenn er sich in sich selbst zu­rück­zieht, dann ist er wie ein himm­li­scher Geist, den ein Hei­li­gen­schein um­gibt, den Leid und Schmerz nicht zu ver­dun­keln ver­mö­gen.

Lächle nur über den En­thu­si­as­mus, mit dem ich von die­sem präch­ti­gen Men­schen er­zäh­le. Wenn Du ihn kenn­test, wür­dest Du nicht lä­cheln. Ich weiß, Dei­ne fei­ne Er­zie­hung und die Zu­rück­ge­zo­gen­heit Dei­nes Le­bens ha­ben Dich wäh­le­risch ge­macht; aber ge­ra­de das wür­de Dich be­son­ders ge­eig­net ma­chen, das Au­ßer­or­dent­li­che an die­sem Men­schen zu er­ken­nen und zu schät­zen. Ich habe mich schon öf­ter be­müht, mir klar zu wer­den, was es ist, das ihn so him­mel­hoch über alle an­de­ren Men­schen er­hebt. Ich glau­be, vor al­lem ist es sein mehr als na­tür­li­cher Scharf­sinn, eine nie feh­len­de Ur­teils­kraft, eine Er­kennt­nis der Ur­sa­chen al­ler Din­ge. Stel­le Dir nun noch vor, dass er die Gabe be­sitzt, sich glän­zend, da­bei klar und prä­zis aus­zu­drücken und dass sei­ne Stim­me eine au­ßer­ge­wöhn­li­che Mo­du­la­ti­ons­fä­hig­keit hat, so wirst Du be­grei­fen, dass die­ser Mann im­stan­de ist, je­mand zu be­stri­cken.

*

19. Au­gust 17..

Ges­tern sag­te der Frem­de zu mir: »Sie ha­ben si­cher­lich er­kannt, Ka­pi­tän Wal­ton, dass mich großes, un­sag­ba­res Leid be­trof­fen hat. Ich hat­te schon be­schlos­sen, dass die Erin­ne­rung dar­an mit mir ins Grab stei­gen sol­le; aber Sie ha­ben mich so weit ge­bracht, dass ich mei­nem Ent­schluss un­treu ge­wor­den bin. Sie su­chen, wie ich einst, nach Wis­sen und Weis­heit und ich wün­sche Ih­nen von gan­zem Her­zen, dass die­ses Stre­ben Ih­nen nicht, wie mir, zum fürch­ter­lichs­ten Fluch wer­de. Ich weiß nicht, ob Ih­nen die Er­zäh­lung mei­ner Lei­den von Nut­zen sein wird; wenn ich aber be­den­ke, dass Sie den­sel­ben Weg ge­hen wie ich, sich den­sel­ben Ge­fah­ren aus­set­zen, die mich zu dem mach­ten, was ich jetzt bin, so kommt mir die Über­zeu­gung, dass Sie aus mei­ner Er­zäh­lung doch eine Moral zu zie­hen ver­mö­gen; eine Moral für den Fall, dass Sie Er­folg mit Ihren Be­stre­bun­gen ha­ben, wie auch für den Fall, dass Sie ent­täuscht wer­den. Be­rei­ten Sie sich dar­auf vor Din­ge zu hö­ren, die Sie als un­glaub­lich be­zeich­nen möch­ten. Wä­ren wir in kul­ti­vier­te­ren Zo­nen der Erde, ich wür­de mich be­sin­nen zu er­zäh­len, weil ich fürch­ten müss­te, dass Sie mir nicht glau­ben oder mich gar ver­la­chen könn­ten; aber in die­sen wil­den, ge­heim­nis­vol­len Re­gio­nen wird Ih­nen man­ches mög­lich er­schei­nen, was sol­che, die mit den im­mer wech­seln­den Kräf­ten der Na­tur nicht ver­traut sind, zum Spot­te rei­zen wür­de.« – Du kannst Dir den­ken, dass ich dank­bar und er­freut das An­ge­bot an­nahm, wenn ich mir auch sa­gen muss­te, dass durch die Er­zäh­lung sein Leid wie­der le­ben­di­ger, die Wun­den nur wie­der auf­ge­ris­sen wür­den. Ich war un­ge­heu­er ge­spannt auf das, was ich hö­ren soll­te, teils aus wirk­li­cher Neu­gier­de, teil­wei­se aber auch, weil ich hoff­te, viel­leicht da­durch einen Fin­ger­zeig zu be­kom­men, wie ich, wenn es über­haupt mög­lich wäre, ihm hel­fen könn­te.

»Ich dan­ke Ih­nen«, sag­te er, »für Ihre Teil­nah­me, aber sie ist un­nütz; mein Schick­sal ist na­he­zu er­füllt. Ich war­te nur ei­nes ab; wenn dies ein­trifft, wer­de ich zur Ruhe ge­hen. Ich ver­ste­he Ihre Ge­füh­le«, fuhr er fort, nach­dem ich ver­ge­bens ver­sucht hat­te, ihn zu un­ter­bre­chen, »aber Sie sind im Irr­tum, mein Freund – wenn ich mir er­lau­ben darf, Sie so zu nen­nen – wenn Sie mei­nen, ir­gen­det­was wäre im­stan­de, mein Ge­schick zu än­dern. Hö­ren Sie erst mei­ne Ge­schich­te und Sie wer­den ver­ste­hen, wie un­ab­än­der­lich es fest­steht.«

Er sag­te mir noch, dass er am nächs­ten Tage mit sei­ner Er­zäh­lung be­gin­nen wol­le, wenn es mei­ne Zeit er­lau­be. Die­ses Ver­spre­chen ver­pflich­te­te mich zu auf­rich­ti­gem Dan­ke. Ich habe be­schlos­sen, im­mer nachts, wenn mich nicht ge­ra­de mein Dienst ab­hält, mög­lichst wört­lich al­les nie­der­zu­schrei­ben, was ich am Tage er­fah­ren ha­ben wer­de. Zum Min­des­ten aber wer­de ich mir kur­ze No­ti­zen ma­chen. Die­se Auf­zeich­nun­gen wer­den Dir si­cher in­ter­essant sein, und mit wel­cher Teil­nah­me wer­de erst ich, der ich doch al­les von sei­nen ei­ge­nen Lip­pen höre, in spä­te­ren Zei­ten die Zei­len le­sen. Wäh­rend ich dar­an den­ke, wie ich mei­ner Auf­ga­be ge­recht wer­den soll, tönt in mei­nen Ohren noch sei­ne vol­le, me­lo­di­sche Stim­me; ich sehe sei­ne war­men, me­lan­cho­li­schen Au­gen auf mir ru­hen, sei­ne fei­nen, schma­len Hän­de sich leb­haft be­we­gen, wäh­rend sich in den Zü­gen sei­nes Ant­lit­zes sei­ne See­le wi­der­spie­gelt. Selt­sam und schreck­lich muss sei­ne Ge­schich­te, furcht­bar der Sturm ge­we­sen sein, der das schö­ne Le­bens­schiff zer­brach.

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