Читать книгу Frankenstein - Mary Wollstonecraft Shelley - Страница 16

3. Kapitel

Оглавление

Als ich sieb­zehn Jah­re alt ge­wor­den war, ent­schlos­sen sich mei­ne El­tern, mich auf die Uni­ver­si­tät In­gol­stadt zu schi­cken. Ich wäre ganz gern auf der Gen­fer Hoch­schu­le ge­blie­ben, aber mein Va­ter hielt es für nütz­li­cher, wenn ich, um mei­ne Er­zie­hung zu vollen­den, auch mit den Sit­ten und Ge­bräu­chen an­de­rer Län­der ver­traut wür­de. Der Tag mei­ner Abrei­se wur­de fest­ge­setzt; aber ehe die­ser her­an­kam, traf mich das ers­te Miss­ge­schick mei­nes Le­bens, das mich er­griff wie ein Omen mei­nes kom­men­den Un­glücks.

Eli­sa­beth war an Schar­lach er­krankt und schweb­te in der äu­ßers­ten Le­bens­ge­fahr.

Wir hat­ten uns alle Mühe ge­ge­ben, mei­ne Mut­ter zu über­zeu­gen, dass die Pfle­ge der Kran­ken eine große Ge­fahr für sie be­deu­te. An­fangs hat­te sie sich un­se­ren Bit­ten ge­fügt; als sie aber merk­te, dass das Le­ben ih­res Lieb­lings ernst­lich be­droht war, ließ sie sich nicht mehr ab­hal­ten. Sie wich nicht vom Kran­ken­bet­te und ihre Lie­be sieg­te über die tücki­sche Krank­heit. Eli­sa­beth war ge­ret­tet, aber an ih­rer Stel­le er­griff das Fie­ber die treue Pfle­ge­rin. Am drit­ten Tage muss­te sich die Mut­ter le­gen. Bei den ers­ten be­un­ru­hi­gen­den Sym­pto­men wur­de der Arzt bei­ge­zo­gen, aus des­sen erns­tem Ant­litz wir das Schlimms­te er­rie­ten. Aber selbst auf dem To­ten­bet­te blieb die­se bes­te der Frau­en tap­fer und gü­tig. Sie leg­te Eli­sa­beths Hän­de in die mei­nen und sag­te: »Lie­be Kin­der! Wie habe ich mich im­mer ge­freut, euch ein­mal ver­ei­nigt zu se­hen! Mir ist es ja­wohl nicht mehr be­schie­den, das zu er­le­ben, aber es soll we­nigs­tens der Trost eu­res Va­ters sein. Nun musst du, liebs­te Eli­sa­beth, mei­ne Stel­le bei mei­nen klei­ne­ren Kin­dern ver­tre­ten. Es tut mir weh, von euch ge­hen zu müs­sen, von dem Glück, das mir zu­teil­wur­de. Aber ich will mich nicht die­sen Ge­dan­ken hin­ge­ben; ich will ver­su­chen, dem Tod froh ins Auge zu se­hen und mich da­mit trös­ten, dass wir uns ja drü­ben alle wie­der se­hen wer­den.«

Sie starb ru­hig und ge­las­sen; selbst der Wür­ger Tod war nicht im­stan­de ge­we­sen, die Lie­be aus ih­ren Zü­gen zu ban­nen. Ich brau­che Ih­nen wohl nicht zu sa­gen, wie tief wir alle lit­ten, wie öde es in uns war und wel­che Trau­rig­keit auf un­se­ren Ge­sich­tern sich aus­drück­te. Lan­ge konn­ten wir es nicht fas­sen, dass die Frau, die wir alle Tage sa­hen, nun von uns ge­gan­gen sei auf im­mer, dass ihre lie­ben Au­gen uns nun nicht mehr freund­lich an­bli­cken, ihre trau­te Stim­me nicht mehr an un­ser Ohr tö­nen soll­te. Das sind so die Ge­dan­ken der ers­ten Tage. Wenn dann aber die Zeit in ih­rem Lau­fe uns be­lehrt, dass wirk­lich al­les so ist, dann be­ginnt der ei­gent­li­che, tie­fe Gram. Aber wem hat der grau­sa­me Tod nicht schon et­was Lie­bes ent­ris­sen und warum soll ich die Schmer­zen be­schrei­ben, die je­den schon ge­trof­fen ha­ben oder noch tref­fen müs­sen? Schließ­lich kommt die Zeit, da das Leid stil­ler wird und da man das Lä­cheln, das sich auf un­se­re Lip­pen schleicht, nicht mehr ver­bannt, wenn es ei­nem auch vor­her un­denk­bar schi­en, dass das je noch der Fall sein könn­te. Mei­ne Mut­ter war tot, aber wir hat­ten Pf­lich­ten, die wir er­fül­len muss­ten; wir, die Üb­rig­ge­blie­be­nen durf­ten uns ja glück­lich schät­zen, dass der Wür­ger we­nigs­tens von dem einen Op­fer sei­ne kal­te Hand zu­rück­ge­zo­gen hat­te.

Für mei­ne Abrei­se nach In­gol­stadt, die durch die Ver­hält­nis­se auf­ge­scho­ben war, wur­de nun ein neu­er Zeit­punkt fest­ge­setzt. Es ge­lang mir, von mei­nem Va­ter einen Auf­schub von et­li­chen Wo­chen zu er­lan­gen. Es wäre mir wie ein Sa­kri­leg er­schie­nen, so schnell die Ruhe des Trau­er­hau­ses mit dem spru­deln­den Le­ben da drau­ßen zu ver­tau­schen. Und dann woll­te ich den An­blick de­rer nicht miss­en, die mir ge­blie­ben wa­ren; vor al­lem aber war es mir dar­um zu tun, mei­ne süße Eli­sa­beth ei­ni­ger­ma­ßen ge­trös­tet zu se­hen.

Sie ver­stand es, ihr ei­ge­nes Leid zu ver­ber­gen und uns alle auf­zu­rich­ten. Sie nahm das Le­ben ernst und kam ih­ren Pf­lich­ten tap­fer und treu nach. Sie wid­me­te sich ganz de­nen, die sie als Va­ter und Ge­schwis­ter lie­ben ge­lernt hat­te. Nie­mals war sie lieb­li­cher, als wenn der Son­nen­schein ih­res Lä­chelns uns alle er­wärm­te und wenn sie, ih­ren Gram ver­ges­send, uns zur Trös­te­rin wur­de.

Schließ­lich kam aber doch der Tag mei­ner Abrei­se her­an. Cler­val ver­brach­te den letz­ten Abend noch bei uns. Er hat­te ver­ge­bens ver­sucht, sei­nen Va­ter zu be­stim­men, dass er ihn mit mir nach In­gol­stadt zie­hen und dort stu­die­ren lie­ße. Aber sein Va­ter war eine eng­her­zi­ge Krä­mer­see­le und be­trach­te­te die­se Wün­sche sei­nes Soh­nes als un­nüt­zen Ehr­geiz. Hen­ry emp­fand es tief schmerz­lich, für im­mer auf eine hö­he­re Bil­dung ver­zich­ten zu müs­sen. Er sag­te we­nig; aber wenn er sprach, las ich in sei­nen glän­zen­den Au­gen den stil­len, aber fes­ten Ent­schluss, sich nicht für ewig an den klein­li­chen Krä­mer­be­ruf zu fes­seln.

Wir blie­ben lan­ge bei­sam­men­sit­zen, denn es schi­en uns un­mög­lich ein­an­der Le­be­wohl zu sa­gen. Und den­noch muss­te es schließ­lich ge­sche­hen. Wir gin­gen aus­ein­an­der, in­dem wir vor­ga­ben der Ruhe zu be­dür­fen, und trotz­dem wuss­te je­der, dass der an­de­re die Un­wahr­heit ge­sagt hat­te. Als ich dann beim Mor­gen­grau­en hin­un­ter­ging, um mei­nen Wa­gen zu be­stei­gen, wa­ren sie alle wie­der da: mein Va­ter, um mich noch ein­mal zu seg­nen, Cler­val, um mir zum Ab­schied die Hand zu drücken, und mei­ne Eli­sa­beth, um mir er­neut das Ver­spre­chen ab­zu­neh­men, dass ich ihr flei­ßig schrei­ben wer­de, und um ih­rem schei­den­den Freund und Spiel­ka­me­ra­den noch ei­ni­ge klei­ne Lie­bes­diens­te zu er­wei­sen.

Ich lehn­te mich tief im Wa­gen zu­rück, der mit mir da­hin­roll­te, und gab mich trüb­se­li­gen Be­trach­tun­gen hin. Ich war nun al­lein! Auf der Uni­ver­si­tät muss­te ich mir erst Freun­de su­chen und für mich selbst sor­gen. Mein Le­ben war bis­her ein au­ßer­ge­wöhn­lich zu­rück­ge­zo­ge­nes ge­we­sen und da­her moch­te es wohl kom­men, dass ich einen fast un­be­zwing­li­chen Ab­scheu vor al­len neu­en Ge­sich­tern hat­te. Ich lieb­te mei­nen Bru­der, ich lieb­te Eli­sa­beth und Cler­val; das wa­ren mir alt­be­kann­te, lie­be Ge­sich­ter; aber ich hielt mich für to­tal un­ge­eig­net, mit Frem­den Be­kannt­schaf­ten an­zu­knüp­fen. Das wa­ren also mei­ne Be­trach­tun­gen zu An­fang mei­ner Rei­se, aber je wei­ter ich mich von der Hei­mat ent­fern­te, de­sto mehr wuch­sen mir Mut und Hoff­nung. Ich war von bren­nen­dem Lernei­fer er­füllt. Ich hat­te oft, als ich noch zu Hau­se war, es bit­ter be­klagt, an die­sen klei­nen Er­den­fleck ge­ket­tet zu sein, und ge­wünscht, die wei­te Welt zu se­hen und den mir ge­büh­ren­den Platz in­ner­halb der Mensch­heit ein­zu­neh­men. Nun, da die­se Wün­sche in Er­fül­lung ge­hen soll­ten, wäre es tö­richt ge­we­sen, Reue zu emp­fin­den.

Für die­se und an­de­re Be­trach­tun­gen fand ich auf der lan­gen und er­mü­den­den Rei­se nach In­gol­stadt hin­rei­chend Muße. End­lich er­blick­te ich die Kirch­turm­spit­zen der Stadt. Ich stieg an mei­nem Quar­tier ab und wur­de nach mei­nem ein­sa­men Zim­mer ge­führt, um dort den Abend nach mei­nem Gut­dün­ken zu ver­brin­gen. Am nächs­ten Mor­gen mach­te ich den her­vor­ra­gends­ten Pro­fes­so­ren Be­such und gab mei­ne Emp­feh­lungs­brie­fe ab. Der Zu­fall, oder viel­leicht auch der Dä­mon der Ver­nich­tung, der mich um­schweb­te, seit ich mit zö­gern­dem Schritt aus dem Va­ter­hau­se in die Welt ge­tre­ten war, führ­te mich zu­erst zu dem Do­zen­ten der Na­tur­phi­lo­so­phie, na­mens Krem­pe. Er war ein wun­der­li­cher Mensch, aber un­er­reicht in sei­nem Fach. Er stell­te mir meh­re­re Fra­gen aus ver­schie­de­nen Ge­bie­ten der Na­tur­phi­lo­so­phie, um zu se­hen, was von mir zu er­war­ten sei. Ich ant­wor­te­te frei­mü­tig und er­wähn­te da­bei halb ver­ächt­lich die Na­men der Al­che­mis­ten, de­ren Wer­ke ich zu­erst stu­diert hat­te. Der Pro­fes­sor war sehr er­staunt, dann sag­te er: »Ha­ben Sie wirk­lich Ihre Zeit mit die­sem Un­sinn ver­tan?«

Ich be­jah­te. »Jede Mi­nu­te«, fuhr Herr Krem­pe ernst fort, »je­der Au­gen­blick, den Sie sich mit je­nen Bü­chern be­schäf­tigt ha­ben, ist un­wie­der­bring­lich und für im­mer ver­lo­ren. Sie ha­ben Ihr Ge­dächt­nis mit ver­al­te­ten Sys­te­men und zweck­lo­sen Din­gen be­las­tet. In wel­chem ver­las­se­nen Lan­de ha­ben Sie denn um Got­tes­wil­len ge­lebt, dass nie­mand Sie auf­merk­sam ge­macht hat, dass die­se Fan­tasi­en, mit de­nen Sie be­gie­rig Ihr Hirn voll­pfropf­ten, schon tau­send Jah­re alt und ganz ver­schim­melt sind? Ich muss ge­ste­hen, dass ich in un­serm auf­ge­klär­ten Jahr­hun­dert nicht er­war­tet hät­te, noch auf einen Jün­ger des Al­ber­tus Ma­g­nus und des Pa­ra­cel­sus zu sto­ßen. Mein lie­ber, jun­ger Freund, Sie müs­sen mit Ihren Stu­di­en ganz von vorn be­gin­nen.«

Er trat dann an sein Schreib­pult und no­tier­te mir eine Rei­he von Bü­chern, die ich mir be­schaf­fen soll­te. Dann entließ er mich, nach­dem er mich auf­merk­sam ge­macht hat­te, dass er vom Be­ginn der nächs­ten Wo­che ab ein Kol­leg über Na­tur­phi­lo­so­phie, und sein Freund, Herr Wald­mann, ab­wech­selnd mit ihm ein sol­ches über Che­mie le­sen wer­de.

Ich kehr­te nach mei­ner Woh­nung zu­rück, kei­nes­wegs ent­täuscht, denn auch ich hat­te schon seit lan­ger Zeit, wie ich Ih­nen schon sag­te, die Wert­lo­sig­keit je­ner Bü­cher er­kannt, die der Pro­fes­sor ver­damm­te. Aber ich hat­te mir vor­ge­nom­men, trotz­dem zu die­sen Stu­di­en in ir­gend­ei­ner Wei­se zu­rück­zu­keh­ren. Herr Krem­pe war ein klei­ner, un­ter­setz­ter Mensch mit bar­scher Stim­me und ab­sto­ßen­dem Ge­sicht. Der Leh­rer hat­te also nichts an sich, was mich für sei­ne Wis­sen­schaft von vorn­her­ein hät­te ein­neh­men kön­nen. Als ganz jun­ger Mensch war ich mit den von den Leh­rern der Na­tur­wis­sen­schaf­ten er­reich­ten Re­sul­ta­ten nie­mals zu­frie­den ge­we­sen. Die Ver­wor­ren­heit mei­ner Ide­en, die ja­wohl mei­ner großen Ju­gend zu­zu­schrei­ben war, und der Man­gel ei­nes ge­eig­ne­ten Füh­rers, brach­ten mich so weit, dass ich, rück­wärts schrei­tend, die Er­geb­nis­se mo­der­ner For­schung ge­gen die Träu­me ver­ges­se­ner Al­che­mis­ten ein­tausch­te. So­gar eine ge­wis­se Ver­ach­tung emp­fand ich ge­gen die mo­der­ne Na­tur­phi­lo­so­phie. Es war doch et­was ganz an­de­res, wenn die al­ten Meis­ter Uns­terb­lich­keit und Macht an­streb­ten. Wenn die­ses Stre­ben auch un­nütz war, so hat­te es doch et­was Groß­zü­gi­ges an sich. Aber das heu­ti­ge Bild war ein an­de­res. Die For­scher schie­nen ih­ren be­son­de­ren Ehr­geiz dar­ein zu set­zen, all die Fun­da­men­te zu ver­nich­ten, auf de­nen jene ge­baut hat­ten. Es han­del­te sich für mich also dar­um, Chi­mä­ren von gren­zen­lo­ser Groß­ar­tig­keit ge­gen win­zi­ge Rea­li­tä­ten zu ver­tau­schen.

Das wa­ren mei­ne Über­le­gun­gen wäh­rend der ers­ten zwei oder drei Tage mei­ner An­we­sen­heit in In­gol­stadt, die ich haupt­säch­lich dazu ver­wen­det hat­te, um mir ei­ni­ge Orts­kennt­nis­se zu er­wer­ben. Zu Be­ginn der nächs­ten Wo­che fie­len mir dann die Wei­sun­gen ein, die mir Pro­fes­sor Krem­pe be­züg­lich der Vor­le­sun­gen ge­ge­ben hat­te. Und wenn ich mich auch nicht ent­schlie­ßen konn­te, hin­zu­ge­hen und die­sen klei­nen, ein­ge­bil­de­ten Men­schen von sei­nem Ka­the­der her­ab Weis­hei­ten ver­kün­den zu hö­ren, so er­in­ner­te ich mich doch des­sen, was er von Pro­fes­sor Wald­mann ge­sagt hat­te, den ich noch nicht kann­te, weil er bis jetzt auf dem Lan­de ge­we­sen war.

Teil­wei­se aus Neu­gier­de, teil­wei­se aus Lang­wei­le ging ich in den Hör­saal, den Pro­fes­sor Wald­mann gleich nach mir be­trat. Die­ser Herr un­ter­schied sich we­sent­lich von sei­nem Kol­le­gen. Er moch­te etwa fünf­zig Jah­re alt sein und mach­te einen au­ßer­or­dent­lich wohl­wol­len­den Ein­druck. Sein Haar war fast schwarz, nur an den Schlä­fen war es schon leicht er­graut. Er war von klei­ner Sta­tur, hielt sich aber sehr ge­ra­de und sei­ne Stim­me be­saß einen sel­te­nen Wohl­laut. Er be­gann sein Kol­leg mit ei­ner Re­ka­pi­tu­la­ti­on der Ge­schich­te der Che­mie und ihre Ent­wi­cke­lung, in­dem er mit Feu­er von den be­rühm­tes­ten Ent­de­ckern sprach. Dann kam er auf den ge­gen­wär­ti­gen Stand der Wis­sen­schaft zu spre­chen und mach­te uns mit der Ter­mi­no­lo­gie be­kannt. Nach­dem er ei­ni­ge ein­füh­ren­de Ex­pe­ri­men­te ge­macht, hielt er einen Pan­egy­ri­kus1 auf die mo­der­ne Che­mie in Wor­ten, die ich nim­mer­mehr ver­ges­sen wer­de:

»Die Al­ten ver­spra­chen Un­mög­li­ches und leis­te­ten nichts. Die heu­ti­gen Ge­lehr­ten ver­spre­chen nichts; sie wis­sen, dass die Me­tal­le nicht in­ein­an­der ver­wan­delt wer­den kön­nen und dass das Le­bens­eli­xier eine Chi­mä­re ist. Aber die­se Phi­lo­so­phen, de­ren Hän­de dazu ge­schaf­fen schei­nen, im Schmut­ze zu gra­ben, und de­ren Au­gen über den Schmelz­tie­geln und Mi­kro­sko­pen trüb wer­den, ha­ben wah­re Wun­der voll­bracht. Sie ge­hen der Na­tur bis in ihre Schlupf­win­kel nach und be­ob­ach­ten sie in ih­rer ge­heims­ten Tä­tig­keit. Sie stei­gen bis in den Him­mel. Sie ha­ben den Kreis­lauf des Blu­tes ent­deckt und die Na­tur der Luft, die wir at­men, dar­ge­legt. Sie ha­ben neue, fast un­be­grenz­te Kräf­te ent­fes­selt. Wir ha­ben dem Him­mel sei­ne Blit­ze ent­ris­sen und ma­chen uns über die un­sicht­ba­re Welt mit ih­ren Schat­ten lus­tig.«

Das wa­ren die Wor­te des Pro­fes­sors – und des Schick­sals, das es auf mei­ne Ver­nich­tung ab­ge­se­hen hat­te. Als er weg­ging, war es mir, als rin­ge mei­ne See­le mit ei­nem kör­per­li­chen Fein­de. Alle Re­gis­ter mei­nes Seins wur­den ge­zo­gen, Sai­te auf Sai­te mei­nes In­ne­ren er­tön­te und ein Ge­dan­ke, ein Wunsch, ein Ziel nahm mich ge­fan­gen. So­viel bis jetzt auch ge­sche­hen sein mag – hör­te ich die See­le Fran­ken­steins ru­fen – viel, viel mehr will ich noch vollen­den. Als Pio­ni­er will ich neue, un­be­kann­te Kräf­te ent­de­cken und vor der Welt die tiefs­ten Ge­heim­nis­se der Schöp­fung aus­brei­ten.

In die­ser Nacht schloss ich kein Auge. Mein In­ne­res war in ei­nem Zu­stan­de des Aufruhrs und Tu­mul­tes. Ich fühl­te, dass das wie­der gut wür­de, aber es war mir so rasch nicht mög­lich mich zu be­ru­hi­gen. All­mäh­lich, ge­gen Mor­gen, ver­moch­te ich dann ein­zu­schla­fen. Als ich er­wach­te, wa­ren mei­ne Ge­dan­ken von ges­tern wie ein Traum. Aber die Idee blieb fest haf­ten, dass ich mich wie­der mei­nen al­ten Stu­di­en zu­wen­den und mich ei­ner Wis­sen­schaft wid­men woll­te, zu der ich na­tür­li­che An­la­gen hat­te. Am glei­chen Tage noch stat­te­te ich Pro­fes­sor Wald­mann einen Be­such ab. Er war als Pri­vat­mann, wenn mög­lich, noch zu­vor­kom­men­der und ge­win­nen­der wie in sei­nem Be­ru­fe. Denn wäh­rend sei­ner Vor­le­sun­gen nahm er eine sehr wür­de­vol­le Hal­tung an, die aber in sei­nem Heim ei­ner au­ßer­or­dent­li­chen Freund­lich­keit und Lie­bens­wür­dig­keit Platz mach­te. Ich gab ihm fast den­sel­ben Be­richt über mei­ne frü­he­re Be­schäf­ti­gung wie sei­nem Kol­le­gen. Er hör­te auf­merk­sam mei­ner Er­zäh­lung zu und lä­chel­te, als er die Na­men Cor­ne­li­us Agrip­pa und Pa­ra­cel­sus ver­nahm, aber ohne sie so ver­ächt­lich zu ma­chen, wie es Krem­pe ge­tan hat­te. Er mein­te, dass die­sen un­er­müd­lich flei­ßi­gen For­schern die mo­der­nen Ge­lehr­ten viel zu dan­ken hät­ten. Sie hät­ten uns die leich­te­re Auf­ga­be hin­ter­las­sen, den Din­gen Na­men zu ge­ben, die sie mit größ­ter Mühe er­forscht. Die Ar­beit ei­nes Ge­nies sei, wenn sie auch mo­men­tan auf ir­ri­gen Voraus­set­zun­gen be­ru­he, nie­mals ohne Nut­zen für das Men­schen­ge­schlecht. Ich lausch­te mit ho­hem In­ter­es­se die­sen An­sich­ten, die so ganz ohne An­ma­ßung und Zie­re­rei aus­ge­spro­chen wur­den. Ich ver­säum­te nicht zu ge­ste­hen, dass sei­ne Vor­le­sung mein Vor­ur­teil ge­gen die mo­der­ne Che­mie be­ho­ben habe. Es ist selbst­ver­ständ­lich, dass ich mich der Be­schei­den­heit in mei­nen Aus­drücken be­flei­ßig­te, die dem Schü­ler sei­nem Leh­rer ge­gen­über zu­steht, ohne aber den En­thu­si­as­mus zu ver­heh­len, den ich mei­nen kom­men­den Stu­di­en ent­ge­gen­brach­te. Ich bat ihn noch um Ratschlä­ge be­treffs der zu be­schaf­fen­den Bü­cher, wor­auf er sag­te:

»Ich freue mich, Sie als Schü­ler ge­won­nen zu ha­ben. Wenn Ihr Fleiß Ihren Fä­hig­kei­ten gleich­kommt, zweifle ich nicht an Ihrem Er­fol­ge. Che­mie ist der Zweig der Na­tur­wis­sen­schaft, aus dem das Meis­te ge­holt wor­den ist und noch ge­holt wer­den wird. Da­rum habe ich sie als mein Spe­zi­al­fach er­wählt, ohne aber die an­de­ren Wis­sen­schaf­ten zu ver­nach­läs­si­gen. Ein Mensch wür­de nur eine sehr trau­ri­ge Rol­le spie­len, wenn er sich ganz ein­sei­tig auf Che­mie ver­le­gen woll­te. Wenn Sie wirk­lich ein Wis­sen­schaft­ler wer­den und nicht bloß ein arm­se­li­ger Ex­pe­ri­men­ta­tor wer­den wol­len, kann ich Ih­nen nur emp­feh­len, sich mit sämt­li­chen Zwei­gen der Na­tur­phi­lo­so­phie zu be­schäf­ti­gen, ein­schließ­lich der Ma­the­ma­tik.«

Er nahm mich dann mit in sein La­bo­ra­to­ri­um und führ­te mir sei­ne ver­schie­de­nen Ap­pa­ra­te vor. Er zeig­te mir auch ihre Hand­ha­bung und ver­sprach mir, dass ich sie selbst be­die­nen dürf­te, wenn ich ein­mal so weit vor­ge­schrit­ten sei, dass ich nichts dar­an be­schä­dig­te. Er gab mir dann noch ein Ver­zeich­nis der von ihm emp­foh­le­nen Bü­cher und entließ mich.

So en­de­te ein für mich denk­wür­di­ger Tag: Er ent­schied über mein gan­zes künf­ti­ges Schick­sal.

1 Ein Pan­egy­ri­cus (Pan­egy­ri­kos) war in der An­ti­ke eine prunk­vol­le Rede aus fest­li­chem An­lass. <<<

Frankenstein

Подняться наверх