Читать книгу Der goldene Kürbis - Masal Dorothea - Страница 10

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KAPITEL 6

Klassische Musik drang aus dem Ballsaal ins Studierzimmer und riss Katie aus ihrer Starre.

Was sollte sie tun: Warten – Nicht warten – Warten – Nicht warten. Ihr eigenes Schicksal hing von Nicolas Geschicklichkeit ab. Wenn er es wie die letzten Male nicht schaffte, den Täter zu überführen und den Kürbis bis Mitternacht zu schützen, dann …

Es gab nur EINE Antwort: Nicht warten.

Eilig raffte Katie ihr Kleid samt Reifrock ein Stück nach oben und eilte den anderen hinterher.

Es war nicht leicht, sich im Getümmel des Foyers einen Überblick zu verschaffen. Die Wachen waren offenbar schnell unterwegs, denn weit und breit war keine Spur von ihnen oder Nicolas zu sehen. Dabei waren sie gerade erst aus dem Raum gegangen.

Fieberhaft suchte Katie die Umgebung ab. Pärchen schlenderten durch die Halle, hielten an, redeten miteinander oder begutachteten irgendwelche Gegenstände und Gemälde. Andere bahnten sich einen Weg zum Flur unter der Treppe. Ihre Bewegungen waren zu gemütlich. Nicolas Trupp konnte dort niemals vorbeigekommen sein. Ansonsten hätte unter den Leuten deutliche Unruhe geherrscht. Also mussten sie direkt aus dem Foyer durch eine der angrenzenden Türen verschwunden sein.

Katie schaute nach links. Die benachbarte Tür des Studierzimmers fiel gerade mit einem leisen »Klick« ins Schloss. Konnte es sein …

Ohne noch mehr Zeit zu verschwenden, huschte Katie darauf zu, schlüpfte hindurch und landete in einem kleinen Zimmer, das mit wenigen Stühlen, zwei schmalen Bänken und zwei Tischchen ausgestattet war. Geblendet hielt Katie inne. Das Zimmer war grün. Grasgrün. Die Wände strahlten in einem solch saftigen Ton, dass der Anblick Katie auf den ersten Blick überwältigte. Im Gegensatz zu den anderen Räumen waren Decke und Tapete prunkvoll in einem auffälligen Gold und Grün geschmückt und mit Fresken verziert. Jagdbilder und Wandteppiche mit Waldmotiven durchzogen das komplette Zimmer. Katie erkannte Kraniche und Hasen, die ihr von überall entgegenstarrten und sie glauben ließen, auf einer weiten Lichtung zu stehen. Es war schwer, den Blick von den Tierstatuen loszureißen. Dieser Raum hatte eine faszinierende und gleichzeitig einschüchternde Wirkung und das, obwohl nicht einmal jemand anderes anwesend war.

»Das ist bestimmt der Empfangsraum für Geschäftspartner … Unheimlich«, murmelte Katie und rannte auf die nächste Tür zu, die ebenfalls gerade ins Schloss fiel. Eilige Schritte waren dahinter auszumachen. Sie lief hinterher, doch wirklich schnell kam sie mit ihrem überdimensionalen Kleid nicht voran. Der Reifrock schlug gegen ihre Beine und machte ein stolperfreies Rennen fast unmöglich. Auch die Schleppe glich in keiner Weise einem Superman-Cape, sondern verursachte einen solchen Luftwiderstand, dass Katie das Gefühl hatte, einen Heißluftballon hinter sich herzuziehen.

»Himmel! So wunderschön du auch bist, ich könnte dich verfluchen. Warum hat man im 17. Jahrhundert noch keine Jeans getragen?«

Wieder ein menschenleerer Raum. Das gleiche saftige Grün, nur die Einrichtung bestand hier aus unterschiedlich großen Stühlen und einem prunkvollen Tisch. Katie brauchte einige Sekunden, um die nächste Tür in diesem »Wald« zu entdecken. Diese bewegte sich nicht. Entweder waren Nicolas und seine Wachen nicht dort hindurchgegangen oder Katie war, wie vermutet, deutlich langsamer durch ihr schweres Kleid und hatte nun den Anschluss verloren. Eine weitere Tür gab es in diesem Raum nicht. Also war sie einfach zu langsam mit diesem Monstrum von Kleid. Fluchend und schnaufend rannte Katie in den nächsten Raum und befand sich nun in einem Schlafzimmer.

»Wie viele Räume haben die denn?«

Zum Glück war das Zimmer ungenutzt. Wieder war weit und breit nichts von Nicolas zu sehen.

»Echt jetzt?! Elender Reifrock.«

Fest entschlossen zog sie am Unterrock. Erneut schlug er gegen ihre Beine und wehrte sich gegen den groben Angriff. Katies Fuß verhedderte sich im Gestänge. Wenn das Ding nicht kooperierte, dann würde es eben zurückbleiben müssen. Sie zog an dem noch vor kurzem so sorgfältig verschnürten Korsett, um sich daraus zu befreien, aber nichts rührte sich. Das Kleid schien regelrecht an ihrem Körper zu kleben und machte keine Anstalten, sie freizugeben. Vergebens zerrte Katie mit aller Kraft an dem Unterrock, als sie auch schon über die nächste Schwelle taumelte und nach oben blickte. Wie angewurzelt blieb sie stehen.

»Wahnsinn!«

Eine riesige Bibliothek mit unzähligen Bücherregalen tat sich vor ihr auf. Zwei alte Ohrensessel mit kleinen Fußschemeln und Tischchen zierten die Längsseite, durch die sie hereingekommen war. Der restliche Raum war kaum auszumachen, da sich ein Bücherregal an das nächste reihte. Dutzende gebundene Rücken säumten die dunklen Regalbretter. Goldene Schriften glänzten im flackernden Kerzenschein und strahlten wie kleine Edelsteine.

Katie blieb der Mund offen stehen. Das Studierzimmer besaß bereits eine Unmenge an Büchern, aber es war kein Vergleich hierzu.

»Was hier wohl alles stehen mag?«

Nur zu gerne hätte sie sich ein paar Schinken aus den Regalen geholt und es sich in einem der Sessel gemütlich gemacht. Die Bücher riefen förmlich nach ihr und wollten sämtliches Wissen der Menschheit preisgeben. Aber das ging beim besten Willen nicht. Bereits jetzt hatte sie den Anschluss an die anderen verloren. Wenn sie überhaupt noch etwas von dem Täter mitbekommen wollte, dann musste sie sich beeilen. Das Schlimmste war jedoch, dass sie weit und breit keine weitere Tür erkennen konnte. Vermutlich befand sie sich am anderen Ende des Raums.

So schnell es ihr Kleid zuließ, eilte Katie in das Labyrinth aus Regalen. Fein säuberlich aufgereiht, ragten sie Reihe für Reihe aus dem Boden. Ein Maislabyrinth war ein Witz dagegen. Wie massive Wände türmten sie sich im Raum auf und boten keine Chance auf Abkürzungen. Jegliche Beschriftungen, die es normalerweise in einer Bibliothek gab, fehlten. Offenbar waren die Bände nicht nach Buchstaben, sondern nach Themen sortiert. Die genaue Position und die Themengebiete kannte aber scheinbar nur der Eigentümer. Ein Hinauskommen aus dem endlos wirkenden Wirrwarr an Regalen war für das ungeübte Auge alles andere als ersichtlich. Ein Regal glich dem anderen und zu allem Überfluss waren einzelne Raumecken noch mit Kunstgegenständen und Ritterrüstungen geschmückt, die wohl zur Auflockerung dienen sollten.

Katie hatte nach kurzer Zeit das Gefühl, den Raum bereits zweimal durchquert zu haben. Aber keins der Regale kam ihr bekannt vor. Sie hielt einen Moment inne. Irgendein System musste es doch geben. Dann erkannte sie es.

Die inneren Bauten waren so angeordnet, dass immer abwechselnd ein durchgängig langes Regal auf zwei kleinere folgte, was die Möglichkeit bot, auf die andere Seite zu wechseln. Also achtete Katie darauf, möglichst viel Strecke in kürzester Zeit zurückzulegen, anstatt wahllos an Kreuzungen abzubiegen. Nach kaum einer Minute erblickte sie das Ende der Bibliothek. Eine weitere Tür fehlte jedoch.

»Habe ich sie übersehen?«

Katie war irritiert. Es musste eine zweite Tür geben. Wohin sollten Nicolas und die Wachen sonst verschwunden sein? Vielleicht hatte sie sie im Durcheinander nicht bemerkt.

Sie war alles andere als begeistert, noch einmal durch das Bücherchaos zu rennen, doch die Zeit drängte. Die nächste Tür musste her.

Erneut machte sich Katie auf den Weg ins Innere des Labyrinths und verfranzte sich sofort.

Hatte die Vase eben schon hier gestanden? War das Buch über alte griechische Mythen nicht gerade noch da vorne gewesen? Und sollte sie jetzt links oder rechts abbiegen? Wo war plötzlich das System von eben hin?

Auf dieser Seite wirkten die Regale völlig anders. Selbst die Holzfarbe kam Katie viel heller vor. Dann eben nach links.

Keine zwei Meter weiter war wieder eine Kreuzung. Dieses Mal versuchte sie es rechts, dann wieder links. Sackgasse. Eine silbrig glänzende Ritterrüstung versperrte ihr den Weg und schien sie mit ihrem geschwungenen Visier regelrecht hämisch anzugrinsen. Katie biss die Zähne zusammen. Der hatte gut lachen, stand nur dumm in der Ecke rum und musste nicht den Ausgang finden.

Ein Laut ertönte: das Geräusch einer Türklinke, dann eilige Schritte, die durch den Raum hallten. Katie horchte auf. Es mussten mindestens zwei Schuhpaare sein. Erleichtert ließ sie die Luft aus ihrer Lunge entweichen. Nicolas und die Wachen betraten die Bibliothek. Katie kam nicht umhin, sich über sich selbst zu ärgern. Wie doof musste man sein, nicht aus diesem dämlichen Labyrinth herauszufinden. Es war ihr peinlich, um Hilfe zu rufen. Aber sie konnte ja nicht ewig weiter hier herumirren. So schaffte sie es weder rechtzeitig zum Tatort noch unbemerkt zurück ins Studierzimmer. Und wenn Nicolas zurückkam und sie verschwunden war, würde er sie sofort in den Kerker werfen lassen. Es nützte nichts, sie musste ihn um Hilfe bitten. Das war außerdem die passende Gelegenheit, sich für ihr »widersetzliches Handeln« gegen seinen »Befehl« zu entschuldigen.

»Nicolas?!«

Die Schritte hielten inne.

»Ich bin‘s, Katie. Ich brauche Hilfe.«

Keine Reaktion. War ja klar. Wahrscheinlich verfluchte er sich auf der anderen Seite, dass er sie nicht gleich in den Kerker geworfen oder zumindest am Stuhl festgekettet hatte. Jetzt tat er so, als ob sie gar nicht da wäre, um sie zappeln zu lassen. Katie konnte vor ihrem inneren Auge sehen, wie er sich überschwänglich freute, dass sie offensichtlich nicht mehr allein aus dem Bücherlabyrinth fand. Schon verfluchte sie sich selbst, dass sie nicht besser auf den Weg geachtet hatte. Wenn er ihr nicht raushelfen wollte, dann musste sie ihn eben dazu bewegen, es unfreiwillig zu tun.

»Hey, ich habe den Einbrecher gesehen. Ich kenne jetzt sein Gesicht. Könntest du mir kurz hier raushelfen, dann kann ich dir alles erzählen … Nicolas?!«

Noch immer regte sich nichts auf der anderen Seite. War er etwa einfach still und heimlich aus dem Raum geschlichen?

»Du bist schon noch da, oder?«

Schritte ertönten. Langsam schleichende Schritte. Katie lauschte angestrengt. Sie näherten sich ihr.

Offenbar war Nicolas immer noch beleidigt und versuchte sie jetzt zu erschrecken. Ts, dass könnte ihm so passen.

Leise trat sie hinter eins der Regale und machte sich zum Sprung bereit. Wenn er vorhatte, sie zu überraschen, dann würde sie ihm zuvorkommen. Sie wartete, während sich die Schritte näherten.

Nicolas hat kein einziges Wort gesprochen, wunderte sie sich. Sie hätte eher vermutet, dass er laut lachen oder sie beschimpfen würde? Das hätte besser zu seiner selbstgefälligen Art gepasst. Aber sich anschleichen und Verstecken spielen?

Ein komisches Gefühl beschlich sie. Irgendetwas stimmte nicht.

Sie horchte genauer.

Welche Schuhe hatte er getragen? Sie meinte sich an schwarze Lackschuhe zu erinnern.

Der Hall der sich nähernden Schritte klang aber viel schwerer und fester. Eher wie Reitstiefel. Wie in einem Westernfilm. Nur das Klingen der Sporen fehlte. Und auch sonst waren die Schritte zu schwerfällig für Nicolas. Niemals würde er sich so behäbig bewegen. Aber wer befand sich dann im Labyrinth?

Katie erschauderte.

Ohne einen Laut zu machen, huschte sie so schnell es ging zurück in die Sackgasse. Da war sie wieder – die grinsende Ritterrüstung.

Katies Hände griffen nach dem Schwert des Ritters, das er eisern zwischen seinen Handschuhen nach unten zu Boden gerichtet hielt. Mühsam öffnete sie die verrosteten Finger so weit, wie es die Scharniere zuließen. Mit einem kräftigen Ruck entriss sie ihm das Schwert. Ein lautes metallisches Quietschen erklang und Katie taumelte unter dem ungewohnten Gewicht ein paar Schritte rückwärts. Obwohl die Rüstung und das Schwert nicht gerade groß waren, brachte die Waffe einige Kilogramm auf die Waage.

Die Schritte des Fremden verstummten für einen Moment. Wäre auch ein Wunder gewesen, wenn er den Lärm überhört hätte. Dann ertönten sie erneut und kamen stetig näher. Katies Herz raste. Egal wer hier war – solange er sich nicht zu erkennen gab, war das kein gutes Zeichen.

Vorsichtig wog sie das Schwert in ihrer Hand, balancierte es so gut es ging aus und umfasste es dann mit beiden Händen. Leise reckte sie es nach oben und machte sich angriffsbereit. Keine Sekunde zu spät.

Schon schoss ein dunkler Schatten um die Ecke, direkt auf sie zu. Sofort ließ sie das Schwert nach unten schnellen, traf etwas Hartes und ein Stöhnen erklang. Katie war klar, dass der Mann definitiv nicht Nicolas war. Seine Stimme war viel tiefer und seine Silhouette war zu groß. Der Schwung des Schwertes riss ihre Arme nach unten. Einige Haarsträhnen flogen ihr ins Gesicht. Als sie plötzlich einen heftigen Ruck an ihrem Hinterkopf spürte und das Haargummi riss, versperrte ihr ihr Haarschopf komplett die Sicht. Katie versuchte erneut zum Schlag anzusetzen und erntete einen kräftigen Tritt in den Rücken. Das Schwert fiel nach vorne und sie stolperte hinterher. Trotzdem schaffte sie es, im Flug mit dem rechten Bein nach dem Unbekannten zu treten. Ihre Hand bekam ein Stück Stoff zu fassen, das ihr der Mann aber sofort wieder aus der Hand schlug. Stolpernd kam sie zum Stehen und wirbelte herum. Ihre offenen Haare versperrten ihr vollkommen die Sicht. Nur um Millimeter konnte sie einem Faustschlag in ihr Gesicht ausweichen. Ihr Schwert war immer noch zu tief, um es sinnvoll zum Schlag anzusetzen. Also schwang sie die Klinge flach in der Waagrechten über den Boden auf den Unbekannten zu. Der sprang gekonnt darüber hinweg und verpasste ihr gleichzeitig einen kräftigen Stoß in den Magen. Katie keuchte und taumelte gegen ein Regal. Bücher stürzten hinab. Schützend riss sie den freien Arm nach oben, um nicht am Kopf getroffen zu werden. Für einen Moment verlor sie jegliche Orientierung. Dann ließ der Schauer nach und sie wirbelte erneut herum, riss das Schwert nach oben und konnte es gerade noch vor der Brust eines Mannes mit braunem, schulterlangem Haar stoppen.

Zwei Wachen stürmten um die Regalecke und bauten sich neben ihm auf. Ihre blitzenden Degen zeigten direkt auf Katie. Automatisch trat sie einen Schritt zurück und stieß erneut einen Bücherregen los. Katie schützte sich nur oberflächlich mit der linken Hand. Den Schwertarm ließ sie unverwandt auf den Mann gerichtet.

»Verhaften sie ihn. ER ist der Dieb!«

Die Wachen traten einen Schritt auf sie zu, stellten sich in Angriffsposition und gaben dem Mann mit ihren Körpern Schutz. Ihre Degen rückten immer näher auf Katie zu, die das blanke Entsetzen packte.

Der goldene Kürbis

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