Читать книгу Der goldene Kürbis - Masal Dorothea - Страница 8
ОглавлениеKAPITEL 4
So selbstbewusst wie möglich schlenderte Katie aus dem Zimmer. Für einen kurzen Moment überlegte sie, dem Gang zu folgen und nachzusehen, wohin er führte. Eine innere Stimme drängte sie jedoch dazu, zuerst herauszufinden, ob sie sich tatsächlich noch in der Gruselvilla befand und woher plötzlich die vielen Leute kamen.
Möglichst anmutig versuchte Katie die Stufen der großen Treppe hinunter zu schreiten, was sich mit dem langen, schweren Kleid aber alles andere als einfach gestaltete. Nach ein paar unsicheren Schritten und einem zum Glück in letzter Sekunde verhinderten Sturz, beließ sie es dabei, den Blick stur geradeaus zu richten und zu versuchen, überhaupt unten anzukommen. Egal wie elegant.
Die Eingangshalle war groß und mit einem prunkvollen, goldenen Kronleuchter geschmückt, der in der Deckenmitte an einer goldenen Kette nach unten hing. Buntgekleidete Menschen wandelten umher und verschwanden in einem Durchgang, der sich zwischen den beiden Treppenaufstiegen befand und weiter ins Innere der Villa führte. Gegenüber lag die hölzerne Eingangstür, durch die Katie schon einmal an diesem Abend nach draußen befördert worden war. Ein besonderes Augenmerk bildete eine große Standuhr auf der rechten Seite des Foyers. Ihr Gehäuse war aufwendig geschnitzt und übersät von Ranken und geometrischen Verzierungen, die sich neben zahlreichen Fabelwesen um das schlichte Ziffernblatt wanden.
20:22 Uhr.
Auf beiden Seiten der Eingangshalle befanden sich jeweils zwei Türen. Während sie auf der rechten Seite verschlossen waren, standen sie auf der linken Raumseite weit offen. Klassische Musik erklang und Katie erkannte das bunte Treiben im Ballsaal. Dutzende farbenfroh gekleidete Tanzpaare bewegten sich im Rhythmus der Musik über das Parkett oder standen in kleinen Gruppen zusammen und unterhielten sich.
Einige Frauen trugen weit ausgeschnittene Kleider und wedelten mit Fächern. Andere protzten mit einer pudelähnlichen, riesigen Perücke und weißen Spitzentaschentüchern.
Die Gewänder der Herren glichen im Wesentlichen dem des blonden Jungen, der Katie noch allzu gut in Erinnerung war.
Der Saal versprühte eine Energie, die die Luft zu elektrisieren schien. Immer wieder eilten Männer in schwarzen Fracks durch die Menge und verteilten Gläser mit gelblicher Flüssigkeit an die Gäste.
An der gegenüberliegenden Wand standen Tische und Stühle, die Katie bekannt vorkamen. Sogar eine Art Minibuffet war daneben aufgebaut. Und egal wo das Auge hinschaute, die Wände waren mit roten, gelben und braunen Blättern, saftig grünen Efeuranken und anderer herbstlicher Deko versehen. Offenbar fand hier eine Motto-Party statt. Thema: Herbst und Halloween. Und es gab keinen Zweifel: Dieser Raum war der gleiche, in den Katie noch vor kurzem durchs Fenster eingestiegen war.
»Verzeiht.« Eine Hand legte sich auf ihren Arm. Katie fuhr herum und befürchtete sofort, dass etwas mit ihrer Verkleidung nicht geklappt hatte. Ganz offensichtlich hatte sie doch noch ein paar wichtige Schnüre am Kleid vergessen und stand jetzt halb nackt da. Schamesröte schoss ihr in die Wangen. Aus dem Augenwinkel heraus beeilte sie sich, die Nahtstellen des Stoffes auf Löcher zu überprüfen.
Ein Räuspern ließ sie aufschrecken. Das freundliche Lächeln eines jungen Mannes strahlte ihr entgegen. Wie der blonde Junge zuvor, trug auch er einen hüftlangen Mantel und Knickerbockerhosen. Allerdings in einem rot schimmernden Stoff, der dem ihres Kleides sehr ähnelte. An seinen Schultern waren kleine goldbestickte Epauletten angebracht und unter seiner schlichten Weste blitzte ein weißes mit Rüschen verziertes Hemd hervor. Der Junge war einen Kopf größer als Katie und schien etwa neunzehn Jahre alt zu sein. Seine braunen Haare trug er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ein paar Strähnen hatten sich daraus gelöst und hingen ihm lässig ins Gesicht. Das Auffälligste waren jedoch seine nussbraunen Augen, die Katie gespannt musterten.
»Verzeiht. Ich wollte Euch nicht erschrecken.« Ein entschuldigendes Schmunzeln huschte über seine Lippen. Er nahm ihre Hand und gab dieser einen flüchtigen Kuss. Katie wurde rot.
»Sagt, ich habe Euch hier noch nie zuvor gesehen und dabei sollte ich jeden auf diesem Ball kennen. Erlaubt mir zu fragen, wer Ihr seid.«
Katie riss die Augen auf. Der Junge lächelte erneut. Ein 100Watt-Lächeln, das nur Rockstars vorbehalten war. Ein kribbelndes Gefühl breitete sich in ihrer Hand aus, dort, wo er eben den Kuss platziert hatte. Katies Kiefer verkrampfte sich zu einem einzigen verspannten Muskel. Sie war unfähig ihren Mund zu öffnen und etwas zu erwidern. Selbst wenn sie eine Notlüge parat gehabt hätte, Prince Charming machte es ihr schier unmöglich zu reagieren.
»Ihr seid eine verschwiegene Frau, das macht Euch noch geheimnisvoller.« Wieder dieses Rockstar-Lächeln. »Dürfte ich um diesen Tanz bitten?« Er deutete mit dem Oberkörper eine Verbeugung an und ergriff Katies Hand, was sie noch mehr erröten ließ.
Immer noch unfähig zu sprechen, schaffte sie es zumindest, anmutig wie eine Prinzessin zu knicksen. Das genügte dem Jungen als Antwort. Sachte zog er sie hinter sich her zur Tanzfläche.
Bunte Farben und süßliche Gerüche strömten auf Katie ein. Der Pulk tanzender Menschen war so dicht, dass sie für einen Moment die Orientierung verlor. Zum Glück hielt der Junge sie immer noch an der Hand. Sein Daumen streifte über ihre Finger. Er legte die andere Hand hinter seinen Rücken und führte Katie in einer ihr völlig fremden Schrittfolge im Kreis um sich herum.
Erst jetzt schaffte es Katie, sich von seinem Blick zu lösen. Wieso hatte sie seine Tanzaufforderung angenommen? Tanzen war eines der Dinge, die sie zwar liebte, aber in Anwesenheit anderer Personen tunlichst vermied. Ganz besonders, wenn ein gutaussehender Junge unmittelbar in der Nähe war und es sich auch noch um einen historischen Tanz handelte, von dem sie überhaupt keine Ahnung hatte.
Der Junge wechselte die Schrittfolge und bewegte sich nun wie ihr Spiegelbild. Katie versuchte sich an den Tanzkurs zu erinnern, zu dem ihre Eltern sie vor einigen Jahren gezwungen hatten. Laut deren Meinung sollte jeder Jugendliche ein paar Standardtänze beherrschen, da eines Tages der Moment kommen würde, in dem man diese Kenntnisse brauchte. Wenn jetzt dieser Moment war, dann hatten ihre Eltern sowas von Unrecht gehabt. Keine der gelernten Walzeroder Cha Cha Cha-Schrittkombinationen schien hier auch nur ansatzweise brauchbar zu sein.
Katie bemerkte, dass die anderen Paare zwar immer zu zweit tanzten, die Bewegungen aber eher an einen Tanz mit dem eigenen Spiegelbild erinnerten. Dabei hielten sie stets einen gebührenden Abstand zueinander ein und vermieden, bis auf das Berühren der Hände beim Herumführen im Kreis, jeglichen Körperkontakt.
Das Ganze war eine Mischung aus Gleiten und Gehen, das durch Neigen des Kopfes vervollständigt wurde. Katie versuchte sich an den Schritten des Jungen zu orientieren und dabei nicht allzu unwissend auszusehen.
»Ihr tanzt gut.«
Das bezweifelte sie.
»Ich muss mich erneut bei Euch entschuldigen. Wie konnte ich nur vergessen, mich Euch vorzustellen: Ich bin Friedrich de Ribera.« Ein stolzes Lächeln trat in sein Gesicht, was Katie schmunzeln ließ. Er trat näher an sie heran und vollführte eine elegante Drehung. »Da Ihr nun meinen Namen kennt, verratet mir den Euren.«
Wieder verschlug es ihr die Sprache. Katie fragte sich ernsthaft, was mit ihr los war. Sie war doch sonst nicht auf den Mund gefallen. Aber Friedrich verströmte eine Vertrautheit und Selbstsicherheit, in der sie sich verrückterweise sowohl geborgen als auch ungewohnt eingeschüchtert fühlte. Sein Lächeln ließ sie rot werden und seine Nähe Schmetterlinge in ihrem Bauch fliegen. Und egal wie schlecht sie tanzte, er machte ihr Komplimente, während sie das komische Gefühl hatte, völlig allein mit ihm auf der Tanzfläche zu stehen. Alles in allem: Friedrich war ein Märchenprinz. Und das allein genügte, um aus ihrem Mund keine zwei Wörter hervorzubringen.
Schließlich schaffte sie es, halbwegs verständlich zu nuscheln:
»Katie. Katie Williams.«
»Was für ein reizender Name, Lady Katie. Aber ich behalte Recht, ich kenne Euch nicht. Zum Glück tragt Ihr keine Maske, so wie alle anderen auf diesem Ball. Sonst hätte ich Euch vielleicht nicht bemerkt. Aber bei Eurer Schönheit wärt Ihr mir auch MIT Maske aufgefallen.« Er lachte.
Masken? dachte Katie erschrocken und merkte sofort, dass sie es laut ausgesprochen hatte. Ein dümmliches Lächeln ihrerseits folgte. Himmel Katie, reiß dich gefälligst mal zusammen!
Zu allem Überfluss trat genau in diesem Moment jemand von hinten auf ihre Schleppe. Der Reifrock verrutschte. Kein Wunder bei nur halb geschlossenen Ösen und Verschlüssen. Katie stolperte und fiel vorne über. Ihr zu großes Kleid verdrehte sich, sie verlor ihr Gleichgewicht und merkte bereits im Fallen, dass ihr Rock nach oben wanderte und die Stiefel darunter freigab. Sofort spürte sie verlegene Röte in ihr Gesicht steigen. Das stoppte den Fall allerdings auch nicht mehr.
Zum zweiten Mal an diesem Abend stürzte sie.
Millimeter über dem Parkett ergriffen zwei starke Hände ihre Arme und hielten sie fest. Erleichtert atmete Katie aus. So viel zu anpassen und unauffällig sein.
»Habt vielen Dank, Friedrich.«
Als sie zu ihrem Retter aufsah, blickte sie in das Gesicht des hochgeschossenen, blonden Jungen, der sie den Wachen übergeben hatte. Mist! Sie schluckte schwer und versuchte ein unschuldiges Lächeln aufzusetzen. Er konnte sie wohl kaum wiedererkennen. Schließlich trug sie jetzt ganz andere Kleidung und vorhin im Flur hatte er ihr ja nicht einmal richtig ins Gesicht gesehen. Ganz zu schweigen davon, dass das Licht hier ja auch nicht das Beste war. Der Junge erwiderte ihr Lächeln, doch es wirkte kühl.
»Geht es Euch gut? Ihr solltet besser auf Euch aufpassen.« Katie nickte zögerlich, stand auf und drehte sich eilig zu Friedrich um, der ihr hilfsbereit eine Hand entgegenstreckte. »Nicht, dass noch etwas aus Eurem Stiefel fällt und Euch ernsthaft verletzt.«
Der Dolch! schoss es Katie durch den Kopf. Er hatte ihn gesehen. Binnen Sekunden brach ihr der Schweiß aus und ihre Augen suchten hektisch den Raum nach Fluchtmöglichkeiten ab. Es gab keine. Der Saal war überfüllt mit Menschen, was ein Entkommen unmöglich machte. Die Wahrheit zu sagen oder eine Geschichte zusammenzulügen war ebenfalls zwecklos. Selbst wenn der Junge ihr ihre Lüge abkaufte, so musste er nur nach ihrer – nicht vorhandenen – Einladung fragen. Spätestens dann war sie geliefert.
Der Junge hatte sein Lächeln gegen eine ernste Miene ausgetauscht. »Ich denke, wir sollten uns unterhalten.«
»Cousin, das ist nicht rechtens.« Friedrich trat einen Schritt vor Katie. »ICH habe sie bereits um diesen Tanz gebeten.«
Der Junge warf ihm einen finsteren Blick zu und schaute dann über dessen Schulter zu Katie hinüber. »Folgt mir!« Mit diesen Worten machte er auf dem Absatz kehrt und marschierte voraus.
Katie überlegte, einfach bei Friedrich zu bleiben. Märchenprinzähnlich wie er war, würde er Edelfrauen in Not bestimmt verteidigen und beschützen. Und genau das war sie ja in gewisser Weise.
Der Gesichtsausdruck, den der Junge ihm entgegengebracht hatte, verdeutlichte aber, dass er keinen Widerstand duldete. Früher oder später würde er sie festnehmen. Vielleicht war es besser, gleich zu kooperieren und auf Strafmilderung zu hoffen. Katie seufzte. Friedrich begann erneut zu protestieren und sie am Gehen zu hindern.
Der blonde Junge wartete mit wachsamer Haltung ein paar Schritte entfernt und beobachtete sie beide genau. Katie murmelte etwas Entschuldigendes in Friedrichs Richtung und folgte dann dem blonden Jungen. Immer wieder warf er im Laufen einen misstrauischen Blick nach hinten, um sich zu vergewissern, dass Katie weiterlief. An Flucht war nicht zu denken. Zu viele Tanzpaare standen vor den Fenstern und Türen. Selbst wenn sie es bis dorthin schaffte, gab es da immer noch die Wachen, die der Junge in kürzester Zeit alarmieren konnte.
Wie um ihre Überlegung zu bestätigen, wurde Katie plötzlich von zwei Männern umzingelt, die sich rechts und links von ihr aufbauten. Es mussten die gleichen Wachen sein, die sie schon einmal aus der Villa geworfen hatten, denn für ihren Geschmack fassten die beiden sie ungewöhnlich fest an den Armen. Gezwungenermaßen musste sie nun zum zweiten Mal an diesem Abend dem Jungen in die Eingangshalle folgen.