Читать книгу Gefahr für Burg Bentheim - Mathias Meyer-Langenhoff - Страница 12
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Lottes Geständnis
Doro strahlte jetzt über das ganze Gesicht. Sie plauderte mit Tom, der wieder hinter ihnen saß, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt. Lotte kannte sie fast nicht wieder.
„Warum guckst du so?“, fragte Doro, als Tom sich gerade mit seinem Sitznachbarn unterhielt.
„Nur so“, log Lotte. „Machen wir heute Nachmittag die Burgbeschreibung zusammen? Ich glaube, wir haben morgen schon wieder bei Teichmann. Außerdem muss ich ja noch die Strafarbeit schreiben. Und ein bisschen zu erzählen gibt’s ja auch noch, oder?“, fügte sie mit Blick nach hinten hinzu.
„Sei nicht so neugierig“, antwortete Doro. „Gegen drei? Dann sind bei uns alle weg, meine Schwester hat Training und Mama und Papa sind arbeiten.“
Lotte nickte. Sie beschloss Doro am Nachmittag von der Zeitreise zu erzählen. Denn wem, wenn nicht ihrer besten Freundin, sollte sie diese Geschichte sonst anvertrauen?
„Teichmännlein hat die Burgführung wohl nicht so gut gefallen.“ Toms Gesicht tauchte zwischen den Rückenlehnen ihrer Sitze auf. Mit einem breiten Grinsen wies er auf Dr. Teichmann, der vorne neben dem Fahrer saß und schweigend aus dem Fenster sah.
Lotte gönnte ihm die schlechte Laune. Jetzt war sie gefahrlos, denn die Führung war zu Ende, und Hausaufgaben hatte er schon aufgegeben.
„Endlich hat ihm mal jemand gezeigt, wo’s lang geht“, meinte Doro. Lotte fiel auf, dass sie kaum nuschelte und überhaupt nicht rot wurde.
„Der Burgführer war nett“, sagte Lotte.
„Stimmt, und er hat gut erklärt“, nickte Tom.
Auf der Straße kam ihnen der Bus mit der Nordhorner Handballmannschaft HSG entgegen. Die Jungs, die ihn zuerst entdeckten, fingen sofort an aus Leibeskräften den Vereinsschlachtruf zu brüllen. Eigentlich ein Fall für Dr. Teichmann, aber nicht mal jetzt sagte er etwas und starrte einfach weiter aus dem Fenster. Erst als sie die Schule erreicht hatten, erinnerte er über das Bordmikrofon noch einmal an die Hausaufgabe. Während Lotte und Doro zu ihren Rädern auf dem Schulhof gingen, klingelte es. Kurze Zeit später öffneten sich die Türen, und das Schulgebäude spuckte Hunderte von Schülern aus.
„Ich habe vielleicht einen Hunger“, meinte Doro, als sie ihr Fahrrad aufschloss.
„Bei uns kocht Papa, ich schätze, es gibt Nudeln mit Tomatensoße, kannst ja mitkommen“, antwortete Lotte.
„Nö, wir lassen es lieber bei der Verabredung um drei.“ Die Mädchen bestiegen ihre Räder und machten sich auf den Heimweg.
Lotte hatte recht. Als sie nach Hause kam, roch sie schon die frische Tomatensauce, wie immer hatte ihr Vater mit viel Knoblauch gekocht und einen riesigen Salat gemacht. Er hatte Urlaub und liebte es dann seine Familie zu versorgen. Lotte ließ ihre Tasche im Flur fallen und ging in die Küche.
„Hallo mein Schatz, du kommst genau richtig, das Essen ist gerade fertig.“ Er stand vor dem Herd und war mit den Spaghettis beschäftigt.
„Ist Paul noch nicht da?“ Ihr großer Bruder hatte dienstags eigentlich auch nach der sechsten Stunde frei.
„Nein, er hat noch ein Treffen wegen der Schülerzeitung“, antwortete ihr Vater. Er goss das Wasser ab und füllte die Nudeln in eine Schüssel. Lotte lief schnell ins Badezimmer und wusch ihre Füße, an denen noch der Dreck aus dem Mittelalter klebte. Dann setzte sie sich an den Tisch, während ihr Vater die Soße holte.
„Wie war’s in der Burg?“, fragte er.
„Ich hatte Stress mit Teichmann, er hat’s richtig auf mich abgesehen“, antwortete Lotte mit vollem Mund.
„Was ist passiert?“
Nachdem sie ihm die Geschichte erzählt, aber wohlweislich die Zeitreise und ihre eigenen Frechheiten ausgelassen hatte, war ihr Zorn schon fast wieder verraucht. Herr Lehmann grinste, denn so, wie er seine Tochter kannte, vermutete er zu Recht, dass sie nicht ganz unschuldig gewesen war.
„Wie sieht’s mit den Hausaufgaben aus?“
„Wir müssen einen Aufsatz über die Burg schreiben. Ich geh nachher zu Doro, wir wollen zusammen arbeiten.“
„Dann legt euch mal ins Zeug, vielleicht lässt sich Dr. Teichmann dadurch wieder beruhigen.“
„Das ist mir so was von egal!“, stieß Lotte zwischen zwei Löffeln Spaghetti hervor. „Ich lege echt keinen Wert darauf, den zu beruhigen.“
„Ein bisschen mehr Diplomatie könnte nicht schaden“, versuchte ihr Vater zu beschwichtigen.
Lotte musste tief durchatmen. „Erst tut Papa so verständnisvoll, und dann kommt er mir nur mit klugen Ratschlägen“, dachte sie wütend. Sie spürte, wie ihr Zorn wieder erwachte, aber jetzt auf ihren Vater. „Meine Güte, Papa, das verstehst du nicht!“ Sie knallte die Gabel auf den Teller, schob ihren Stuhl zurück und stand auf.
„Was hab ich denn jetzt schon wieder falsch gemacht?“, fragte Herr Lehmann erstaunt. „Darf man dir denn keinen Tipp mehr geben?“
„Du könntest ja einfach mal sagen, dass du Teichmann auch bescheuert findest“, fauchte Lotte.
„Wo willst du hin?“
„Zu Doro!“
Sie ging in den Flur, schnappte ihre Schultasche und knallte die Haustür hinter sich zu. Es war immer das Gleiche. Sie kannte die Geschichten aus der Schulzeit ihres Vaters, er hatte sie oft genug stolz erzählt. Wenn sie selbst jedoch Ärger mit Lehrern hatte, tat er so, als sei es das Beste, die Klappe zu halten.
Wütend bestieg sie ihr Rad, aber es war noch zu früh, um zu Doro zu fahren. Also radelte sie ein bisschen an der Vechte entlang, dem kleinen Fluss, der Nordhorn in westlicher Richtung verließ. An einer Bank hielt sie an, es tat gut am Ufer zu sitzen und auf das träge fließende Wasser zu starren. Kurz vor drei machte sie sich auf den Weg.
„Was machst du denn für ein Gesicht?“, sagte Doro, als sie die Haustür öffnete.
„Ich hasse Papa, er ist ein alter Besserwisser. Erwachsene sind irgendwie alle gleich.“ Lotte berichtete kurz, was geschehen war. „Lass uns jetzt lieber über was anderes reden“, fuhr sie fort, „ich hab keine Lust mehr mich aufzuregen.“
„Meinetwegen.“ Doro holte die Broschüre über die Burg aus ihrem Rucksack und begann zu lesen. „Da steht so viel drin, ich hab keine Ahnung, wo wir anfangen sollen“, stöhnte sie.
„Ich schon“, sagte Lotte gedehnt.
Doro schaute sie erstaunt an. „Was meinst du?“
„Hör zu, ich weiß nicht genau, wie ich’s dir sagen soll. Ich, ich …“ Lotte überlegte einen Augenblick, bevor sie weitersprach, dann entschied sie sich, direkt mit der Tür ins Haus zu fallen: „Also, ich habe während der Burgführung eine Zeitreise ins Mittelalter gemacht.“ Sie holte tief Luft und sah ihre Freundin erwartungsvoll an.
„Logisch, haben wir ja alle“, antwortete Doro, „jetzt komm, wir müssen was tun. Ich will morgen keinen Stress mit Teichmann.“ Sie blätterte wieder in der Broschüre.
„Du verstehst mich nicht. Ich war wirklich auf einer Zeitreise. Weißt du nicht mehr, ich bin doch gar nicht mit euch in den Batterieturm gegangen, weil mir Teichmann so auf den Wecker ging.“
„Hör auf mit dem Quatsch. Wirklich oder nicht wirklich, wo ist der Unterschied?“ Doro wurde ärgerlich.
„Der Unterschied ist, dass ich tatsächlich im Mittelalter war, und ihr nur die Führung durch die Burg gemacht habt.“
„Du spinnst“, antwortete Doro verächtlich.
„Nein, ich war echt in Bentheim, und zwar im vierzehnten Jahrhundert. Das war super. Die Burg ist längst nicht so groß wie heute und überall laufen Ritter rum. Ich hab ein nettes Mädchen kennengelernt, Dietlinde, und Balthasar, ihren Lehrer, einen Mönch.“
„Wahrscheinlich hast du auch noch den Kaiser von China getroffen“, antwortete Doro.
„Quatsch, natürlich nicht, aber es hat fürchterlich gestunken, und alles war voller Fliegen und Mücken. Ich weiß, dass es schwer ist, mir zu glauben, nur du bist meine beste Freundin. Die Bentheimer brauchen Hilfe.“
„Und warum brauchen die Hilfe?“ Doro schaute Lotte entgeistert an. War sie völlig verrückt geworden?
„Weil Grimmbert der Schreckliche die Burg wegen Graf Ottos Tochter erobern will und die Burgmänner den Grafen zwingen wollen, mit ihnen nach Holland abzuhauen.“
„Hör auf! Das kannst du dem Weihnachtsmann erzählen! Ich will jetzt endlich mit Geschichte anfangen!“
Doro knallte die Broschüre auf den Tisch und blätterte darin herum. Lotte spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Erst der Krach mit Teichmann, dann die klugen Ratschläge ihres Vaters und jetzt wollte Doro ihr nicht glauben, das war zu viel. Sie griff zu ihrer Tasche und wollte gehen. Doro tat es sofort leid, sie begriff, dass es ihrer Freundin ernst war mit der Zeitreise. Zwar verstand sie nicht, warum ihr Lotte diesen Unsinn erzählte, aber sie entschloss sich, erst mal darauf einzugehen. „Komm, bleib hier, ich hab’s nicht so gemeint.“ Sie nahm ihre Freundin in den Arm und hielt sie einen Augenblick fest.
Langsam beruhigte sich Lotte wieder, sie setzte sich auf den Stuhl und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
„Hast du mal ein Taschentuch?“
Doro kramte in der Tischschublade. „Hier.“
Nachdem Lotte sich geräuschvoll die Nase geputzt hatte, erzählte sie Doro, was sie gesehen und erlebt hatte.
„Ich kann ja verstehen, dass du mich für verrückt hältst, aber ich brauche einfach jemanden, der mir zuhört“, schloss sie ihren Bericht.
„Hm“, staunte Doro, „klingt tatsächlich irgendwie echt, deine Zeitreise.“
„Sag ich doch. Und morgen Nachmittag habe ich mich mit Dietlinde in Bad Bentheim verabredet, sie will wissen, ob ich ihr helfe oder nicht. Kommst du mit? Dann kannst du sie kennenlernen.“
„Meinetwegen, aber wenn sie nicht auftaucht, ist die Sache für mich erledigt“, antwortete Doro.
Lotte nickte. „Danke. Dann machen wir jetzt die Hausaufgaben und danach gehen wir in die Stadt und reden über Tom, ja? Die Strafarbeit mach ich heute Abend zu Hause.“
Eine Stunde später bummelten die Mädchen durch die Fußgängerzone.
„Also, was ist denn nun mit deinem Tom?“
„Das ist nicht mein Tom. Er hat sich mit mir unterhalten, und ich hab einfach keinen Schiss mehr, wenn wir reden. Er ist frech und gleichzeitig schüchtern, und das find ich voll süß.“ Doro fühlte wieder ein bisschen die Röte ins Gesicht steigen. War das jetzt verliebt sein? Sie wusste es nicht. Es war alles ziemlich verwirrend, aber toll. Die Mädchen setzten sich in die Eisdiele und bestellten zwei Milchshakes. Lotte lud Doro ein, weil sie so erleichtert war, dass sie am nächsten Tag mit ihr nach Bentheim fahren wollte.
„Na, schmeckt’s?“
Auf einmal standen Tom und zwei weitere Jungs vor ihnen. Sofort zeigte Doro wieder das strahlende Lächeln von heute Morgen. „Auch ein bisschen bummeln?“, fragte sie mit Blick auf Tom.
„Nö, wir gehen zum Marktplatz, skaten.“
Erst jetzt sah sie, dass die drei ihre Boards dabei hatten.
„Habt ihr Geschichte schon fertig?“, wollte Tom wissen.
„Na klar“, grinste Lotte, „wie viele Seiten hast du?“
„’ne halbe“, antwortete Tom.
„Ob das wohl reicht?“, meinte Lotte spöttisch. „Da könnte es Stress mit Teichmännchen geben, wir haben drei Seiten.“ „Willst dich bei ihm wohl wieder einschmeicheln?“
„Quatsch!“, murmelte Lotte verärgert und stocherte mit dem Löffel in ihrem Milchshakeglas herum.
„Ist total normal drei Seiten zu schreiben“, kam Doro ihr zu Hilfe, „außerdem wolltet ihr doch sowieso skaten gehen, oder? Also bis morgen!“
Tom sah Doro verwundert an, dann hob er betont lässig die Hand und ging mit seinen Freunden weiter.
„Danke“, meinte Lotte, „dein Tom war echt ein bisschen blöd.“
„Ich hab dir schon mal gesagt, das ist nicht mein Tom, und außerdem hast du angefangen“, entgegnete Doro.
Darauf antwortete Lotte nicht. Eine Weile unterhielten sie sich noch über alles Mögliche, dann fuhren die Mädchen nach Hause.
„Es tut mir leid, wenn ich heute Mittag was falsch gemacht habe“, begrüßte sie ihr Vater, als er Lotte die Haustür öffnete.
„Ist schon gut“, antwortete Lotte, „war meine Schuld.“
„Hast du kein Training?“, wollte ihre Mutter wissen.
„Heute nicht“, antwortete sie, „unser Trainer ist krank.“ „Dann können wir ja endlich mal wieder zusammen Abendbrot essen“, freute sich Frau Lehmann, „Paul ist auch da.“