Читать книгу Gefahr für Burg Bentheim - Mathias Meyer-Langenhoff - Страница 14

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Rückkehr ins Mittelalter

Doro hatte die glänzende, schwere Kampfrüstung angelegt. Ihr Helm, geschmückt mit einem großen weißen Federbusch, glänzte in der Sonne. Nervös scharrte ihr Pferd mit den Hufen. Sie konnte es kaum halten, weil sie in der rechten Hand eine lange, schwere Lanze trug. Auf dem Turnierplatz herrschte atemlose Stille, jeden Augenblick würde das Duell zwischen Doro und Grimmbert dem Schrecklichen beginnen. Besiegte sie ihn, würde Grimmberts Heer von der Burg abziehen. Groß und mächtig stand er ihr auf der anderen Seite in etwa achtzig Metern Entfernung gegenüber. Er trug eine schwarze Rüstung, seine Lanze war viel länger als Doros. Lotte zitterte am ganzen Körper, sie konnte die Spannung kaum ertragen. Immer wieder hatte sie versucht, ihrer Freundin den Kampf auszureden, sie angeschrien, ja sogar angefleht nicht gegen Grimmbert anzutreten. Aber es war zwecklos. Ohnmächtig musste sie jetzt mit ansehen, wie die Kämpfer ihre Pferde in Bewegung setzten und immer schneller aufeinander zurasten. Doro hob die Lanze, sie schwankte auf und nieder, gleich würden die Reiter auf gleicher Höhe sein.

„Nein, Doro, nein, weich ihm aus, neiiiiin …!“ Gellend schrie Lotte auf und schlug ihre Hände vor’s Gesicht, bis sie undeutlich eine Stimme vernahm.

„Lotte, Lotte, wach auf!“

Lotte öffnete die Augen. Ihre Mutter stand neben ihr und schüttelte sie kräftig. „Meine Güte, Kind, was träumst du für schreckliche Sachen?“

„Keine Ahnung“, antwortete Lotte ausweichend, gähnte und rollte sich langsam aus dem Bett.

„Was ist jetzt, wie spät fahren wir heute Nachmittag?“, wollte Doro wissen, als Lotte neben ihr in der Schule saß.

„Wir treffen uns um Viertel nach zwei am Bahnhof“, meinte Lotte, „dann sind wir auf jeden Fall früh genug in der Kirche.“

„Was sagen wir unseren Eltern?“

Lotte kratzte sich am Kinn. „Am besten, wir müssen noch mal zur Burg, wegen Infos für ein Referat oder so, stimmt ja auch irgendwie.“

Es klingelte. Teichmann kam herein, schleuderte mit Schwung seine Schultasche auf das Pult und blieb einen Augenblick bewegungslos stehen. Auge in Auge mit seinen Schülern versuchte er, sie wie ein Raubtierdompteur nur durch seinen Blick zur Ruhe zu zwingen. Sein Lieblingstrick, auch heute funktionierte er.

„Guten Morgen zusammen!“

„Guten Morgen Herr Dr. Teichmann!“

Das war ein Unterrichtsbeginn nach seinem Geschmack. Die Klasse gönnte ihm diesen Triumph, denn sie wusste, dass seine Laune dadurch um einiges besser wurde.

„Wir haben uns vorgenommen, noch einmal über die Burg zu sprechen, ihr solltet auf Grundlage der Broschüre eine Zusammenfassung der Besichtigung schreiben. Ach ja, Lotte, von dir bekomme ich noch die Arbeit über die Geschichte des Bergfried unter besonderer Berücksichtigung der Pechnasen.“ Er näherte sich ihrer Sitzbank. Lotte kramte in ihrer Schultasche und zog zwei eng beschriebene Seiten hervor. Sie hatte sie kurz vor dem Schlafengehen verfasst.

„Vielen Dank“, sagte Teichmann, „ich hoffe, du bist jetzt schlauer geworden.“

„Geht so“, antwortete Lotte. Ihr Blick folgte ihrem Lehrer, der zurück zu seinem Pult ging.

„Hast du gehört?“, flüsterte Lotte.

„Was denn?“, fragte Doro ärgerlich, denn sie wollte heute bei Teichmann auf keinen Fall unangenehm auffallen.

„Er hat gesagt wir haben uns vorgenommen, er schließt mal wieder von sich auf andere.“

„Kann schon sein, aber das sagen doch alle Lehrer, jetzt lass mich in Ruhe, sonst kriegen wir gleich wieder Ärger!“

„Dorothee, lies bitte vor, was du geschrieben hast!“

Sie hatte es geahnt, schon wieder war sie dran. Sie holte tief Luft, sah Lotte noch einmal böse an und begann stockend ihre Hausaufgabe vorzutragen.

„Etwas lauter bitte, hier vorne bei mir kommt gar nichts an.“

Dr. Teichmann legte demonstrativ eine Hand an sein Ohr.

„Lächerlich!“, zischte Lotte durch die Zähne. „Der versteht doch jedes Wort.“

„Was hast du gesagt, Lotte?“, fragte Teichmann herausfordernd.

„Nichts, ist schon gut.“

„So, so. Lies weiter, Dorothee!“

Die Stunde wollte und wollte nicht vergehen, aber nach einer kleinen Ewigkeit klingelte es schließlich doch.

„In der nächsten Stunde werden wir einen Test über die wichtigsten Daten und Fakten zur Burggeschichte schreiben. Bereitet euch also vernünftig vor!“

In der Pause war Doro immer noch ärgerlich.

„Hast du eigentlich schon gemerkt, dass Teichmännchen mich immer dann drannimmt, wenn du mir was zuflüsterst?“

„Tut mir leid.“ Lotte hatte ein schlechtes Gewissen.

Die folgenden Stunden verliefen normal. Kunst, Musik und Englisch, da war sogar Zeit schon mal Hausaufgaben für den nächsten Tag zu machen und sich zu unterhalten. Lotte war ein bisschen eifersüchtig, denn Doro redete fast mehr mit Tom als mit ihr.

Nach der Schule erklärte Lotte zuhause, warum sie mit Doro nach Bad Bentheim fahren wollte. Ihre Eltern hatten keine Einwände und fanden es logisch, dass sie für ein Referat noch weitere Informationen benötigten. Also schwang sie sich nach dem Essen auf ihr Rad und fuhr zum Bahnhof.

Schon an der Ampel sah sie Doro an der Bushaltestelle auf der anderen Seite der Kreuzung stehen. Lotte war aufgeregt, denn in einer knappen Dreiviertelstunde würde sie Dietlinde wiedersehen und Doro hoffentlich endgültig überzeugen können. Sie überquerte die Straße und stellte ihr Rad in den Fahrradständer, direkt vor dem griechischen Restaurant, das in dem Bahnhof untergebracht war.

„Hi, wartest du schon lange?“

„Nö, bin auch gerade erst hier“, antwortete Doro, „aber du bist superpünktlich, da kommt der Bus.“

Mit vielen anderen Schülern, die meisten aus der nahe gelegenen Berufsschule, drängelten sie sich hinein. Die Fahrt war ziemlich unbequem, weil sie fast bis zum Schluss stehen mussten.

„Hör mal, wenn deine Dietlinde gleich nicht auftaucht, dann fahren wir nach Hause, und du redest nicht mehr über diese Zeitreise und so, klar?“, sagte Doro, nachdem sie ausgestiegen waren.

„Klar“, antwortete Lotte, „sie kommt bestimmt, verlass dich drauf.“ Aber was wäre, wenn Dietlinde tatsächlich nicht auftauchte? Dann würde Doro sie endgültig für verrückt erklären. Und was sollte sie Dietlinde sagen? Lotte wusste immer noch nicht, ob sie ihr und den Bentheimern im Kampf gegen Grimmbert wirklich helfen sollte.

„Da wären wir“, murmelte sie mehr zu sich selbst, als sie mit Doro in der Katharinenkirche stand und auf ihre Armbanduhr sah. „Es ist kurz vor drei. Komm, jetzt schnell zur Kanzel.“

Sie wollten gerade die Stufen hinaufspringen, als eine Touristengruppe die Kirche betrat.

„Was macht ihr da? Das ist kein Ort zum Spielen!“, rief eine Frau, offenbar die Burgführerin.

„Wir, ich, … eigentlich wollten wir uns die Kanzel mal angucken“, stotterte Lotte.

„Da gibt es nichts Interessantes zu sehen. Wenn ihr wollt, könnt ihr euch uns anschließen, falls ihr Englisch versteht.“

Zögernd stellten sich die Mädchen zu den Touristen, sie kamen aus den USA und sahen aus wie eine Weightwatcher-Gruppe auf Urlaub, fast alle waren mehr als kräftig gebaut. Die Frauen trugen große, weite Blusen und Röcke, in die Doro und Lotte fünfmal hineingepasst hätten, die massigen Männerkörper wurden eher schlecht als recht von Hemden und Hosen in mehrfacher Übergröße bedeckt.

„Oh, how nice, little German girls.“ Freundlich tätschelte eine Frau Doros Gesicht. „Where do you come from?“, fragte sie im breiten amerikanischen Englisch.

Hilfesuchend sah Doro Lotte an. „Was hat sie gesagt?“

„Sie will wissen, woher du kommst“, übersetzte Lotte.

„Aha, ehm, … I am from Nordhorn“, stammelte Doro.

„From what?“, fragte eine andere, deren Körperform an ein Bierfass erinnerte.

„Nordhorn!“, wiederholte Doro lauter, als hätten die Frauen Probleme mit den Ohren.

„Du musst leise sein, sonst kann ich nicht erklären“, mischte sich die Führerin mit strenger Stimme ein.

„Take a chewing-gum“, grinste das wandelnde Bierfass und hielt Doro und Lotte ein Pfefferminzkaugummi entgegen. Die Mädchen bedankten sich für das Kaugummi und schoben es sich in den Mund.

Lotte wurde unruhig.

„Mist, es ist drei, was machen wir denn jetzt?“, zischte sie Doro zu. „Irgendwie müssen wir auf die Kanzel, sonst verpassen wir Dietlinde.“

„Pass auf, ich hab eine Idee. Ich fall gleich in Ohnmacht, wenn sich die Dicken dann um mich kümmern, hast du deine Chance!“

„Du fällst in Ohnmacht? Die merken doch sofort, dass du nur so tust “, flüsterte Lotte aufgeregt, aber Doro blieb ganz ruhig.

„Es wird schon klappen, wir treffen uns später wieder hier.“

Als die Burgführerin gerade etwas über die doppelte Holzmadonna erzählte, die von einem der schweren dunklen Dachbalken an einer langen Kette herabhing, sackte Doro mit einem lauten Seufzer zu Boden. Ihr Ohnmachtsanfall wirkte so echt, dass Lotte sich trotz Doros Ankündigung Sorgen machte und sich ängstlich über sie beugte.

„Fleh um Hilfe!“, zischte Doro ihr zu, aber das war gar nicht nötig. Wie eine Herde Elefanten sammelten sich die Dicken um die scheinbar ohnmächtige Doro.

„Please, sie muss nach draußen, outside“, bat Lotte jetzt, „... help me!“

Die Kaugummispenderin bückte sich, schob ihre Arme unter Doro und hob sie, als sei sie leicht wie eine Feder. Dann wandte sie sich dem Ausgang zu. Die anderen folgten ihr, auch die Burgführerin verließ die Kapelle.

Lotte blieb allein zurück. Staunend genoss sie für einen kurzen Augenblick die Stille, dann lief sie schnell zur Kanzel.

„Dietlinde, Dietlinde, bist du noch da? Ich …!“

„Jetzt brüll nicht so, ich bin doch nicht taub!“, hörte sie das helle Stimmchen von unten. Dietlinde hatte in der Maueröffnung auf Lotte gewartet hatte und betrat jetzt die Kanzel. „Das war knapp, wenn die Leute noch länger in der Kirche geblieben wären, hätte ich ohne dich zurückgemusst. Setz dich, wir müssen los, der Zeitstrom ist gerade noch stark genug.“

„Jetzt warte doch mal, ich muss dir was erklären“, protestierte Lotte.

„Keine Zeit, keine Zeit, gib mir deine Hand, du weißt schon, vorsichtig nach vorne halten und nicht so hoch.“

Lotte tat zwar, was Dietlinde von ihr verlangte, aber sie wollte ihr vor der Zeitreise noch unbedingt von Doro erzählen. Schon spürte sie den kleinen Stich an ihrem Finger, die Schmerzen begannen, sie schrumpfte, und ehe sie sich versah, riss Dietlinde sie mit und zerrte sie in den Zeittunnel. Lotte wehrte sich, der Strom hatte sie jedoch bereits erfasst, sie versuchte diesmal bei Bewusstsein zu bleiben, doch schon nach wenigen Sekunden merkte sie, wie ihr die Sinne schwanden.

Kurze Zeit später saß sie wieder auf der Wiese vor der Katharinenkirche und schüttelte benommen ihren Kopf. Diesmal regnete es wie aus Kübeln. Dietlinde, die zum Schutz vor dem Regen einen braunen Umhang trug, sah sie an, die roten Pumuckelhaare hingen ihr in feuchten Strähnen ins Gesicht.

„Los, erhebe dich!“, fuhr sie Lotte an. „Oder willst du hier festwachsen?“ Sie hielt ihr Balthasars Schlafsack entgegen, den Lotte schon beim letzten Mal getragen hatte. „Anziehen!“, kommandierte Dietlinde.

„Hör mal“, begann Lotte, während sie langsam aufstand und sich mit leichtem Ekel den nassen Sack über den Kopf zog, „ich wollte auf meine beste Freundin Doro warten und sie dir vorstellen, ich hab ihr nämlich alles erzählt.“ Lotte war ärgerlich, dass ihr Plan wegen der amerikanischen Touristen geplatzt war.

„Ich weiß, ich weiß, aber wir müssen hier weg, ich will ins Trockene, seit gestern Abend regnet es ununterbrochen, wir können alles bei Balthasar besprechen. Ich danke Gott, dass du wieder da bist.“

Dietlinde nahm Lotte wieder an die Hand. Während sie hinter ihr herstolperte, merkte sie, wie der Regen nach und nach auch ihre Sachen durchweichte. Das Holz der Zugbrücke war so glatt, dass Lotte beinahe ausgerutscht wäre.

„Gib acht!“, rief Dietlinde. „Gleich auf dem Weg ist es bestimmt noch schlimmer.“

Der Regen fiel wie ein dichter Vorhang, Lotte musste sich vollkommen auf Dietlindes Führung verlassen, sie konnte gerade noch erkennen, dass sie das untere Burgtor passierten und an der Pferdetränke vorbei kamen, danach verlor sie völlig die Orientierung. Der Weg war tatsächlich sehr glitschig, sie rutschte immer wieder aus.

„Ich bin nass bis auf die Haut, wann sind wir endlich da?“

„Gleich, wir müssen nur noch diesen Abhang hinab.“ Dietlinde zeigte nach vorne, nur schemenhaft erahnte Lotte den weiteren Verlauf des Weges.

Gefahr für Burg Bentheim

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